Kitabı oku: «Die Löwenskölds»

Yazı tipi:

Selma Lagerlöf

Die Löwenskölds


Aus dem Schwedischen von Marie Franzos und

Pauline Klaiber-Gottschau

Mit einem Nachwort von Holger Wolandt

Urachhaus

Inhalt

Der Ring des Generals
Erstes Kapitel

Wohl weiß ich, dass es schon in früheren Zeiten viele Leute gegeben hat, die nicht wussten, was Gruseln heißt. Auch habe ich von einer ganzen Menge Leute gehört, denen es Spaß machte, über hauchdünnes Eis zu wandern, und die kein größeres Vergnügen kannten, als durchgängerische Pferde zu lenken. Ja, es hat sogar den oder jenen gegeben, der nicht davor zurückschreckte, mit dem Fahnenjunker Ahlegård Karten zu spielen, obgleich man wohl wusste, welche merkwürdigen Kunststücke er mit den Karten machte, sodass er immer gewinnen musste. Ich kenne überdies einige unerschrockene Gesellen, die sich nicht davor fürchteten, am Freitag eine Reise anzutreten oder sich an einen Mittagstisch zu setzen, der für dreizehn Personen gedeckt war. Aber ich wüsste doch gern, ob einer von diesen allen den Mut gehabt hätte, sich den schrecklichen Ring an den Finger zu stecken, der dem alten General Löwensköld auf Hedeby gehört hatte.

Es war derselbe alte General, der den Löwenskölds Haus und Hof, Namen und Adel verschafft hatte; und solange noch irgendeins von ihnen auf Hedeby wohnte, hing sein Bildnis in dem großen Salon des oberen Stockwerks am Pfeiler zwischen den Fenstern. Es war ein großes Gemälde, das vom Fußboden bis zur Decke reichte, und beim ersten Blick darauf meinte man, es sei Karl XII. in höchsteigener Person, der da im blauen Rock, große Sämischlederhandschuhe an den Händen, die Beine in den ungeheuren Stulpstiefeln fest auf den schachbrettartigen Boden gestellt, vor einem stand. Wenn man aber näher trat, da sah man allerdings, dass es ein Mann von ganz anderem Schlag war.

Ein großes, grobes Bauerngesicht stand über dem Rockkragen. Der Mann auf dem Gemälde schien dazu geboren zu sein, sein Leben lang hinter dem Pflug herzugehn. Bei all seiner Hässlichkeit sah er aber doch wie ein kluger, zuverlässiger, prächtiger Mensch aus. Wenn er in unserer Zeit das Licht der Welt erblickt hätte, wäre er mindestens Schöffe oder Bürgermeister geworden, ja, wer weiß, ob er nicht gar in den Reichstag gewählt worden wäre. Da er aber in den Tagen des großen Heldenkönigs gelebt hatte, so war er als armer Soldat in den Krieg gezogen, als der berühmte General Löwensköld zurückgekehrt und hatte von der Krone zum Lohn für seine Heldentaten das Rittergut Hedeby in dem Kirchspiel Bro bekommen.

Immerhin, je länger man das Bild betrachtete, desto mehr versöhnte man sich mit seinem Aussehn. Man meinte dann zu verstehen, dass die Krieger, die unter König Karls Befehl gestanden und ihm eine Furche durch Polen und Russland gepflügt hatten, so gewesen sein mussten. Nicht nur Abenteurer und Hofkavaliere hatten sich ihm angeschlossen, sondern gerade auch solche einfachen ernsten Männer, wie dieser hier auf dem Gemälde, hatten ihn geliebt und in ihm einen König gesehen, für den es wohl wert war, zu leben und zu sterben.

Wenn man das Konterfei des alten Generals betrachtete, war stets einer von den Löwenskölds bei der Hand, einen darauf aufmerksam zu machen, dass es durchaus kein Zeichen der Eitelkeit von dem General gewesen sei, wenn er den Handschuh von der linken Hand so weit abgestreift hatte, dass der große Siegelring, den er am Zeigefinger trug, auf dem Bilde zu sehen war. Diesen Ring hatte er vom König erhalten – für ihn gab es nur einen König –, und der Ring war mit auf das Gemälde gekommen, um zu zeigen, dass Bengt Löwensköld seinem Herrn treu war. Er hatte ja viele bittre Schmähreden über den Herrscher hören müssen; man hatte sich sogar erfrecht zu behaupten, der König habe durch Unverstand und Übermut das Reich bis an den Rand des Untergangs gebracht; der General aber hielt jedenfalls unbedingt an ihm fest. Denn König Karl war ein Mann, wie die Welt noch nie einen gesehen hatte. Und wer je in seiner Nähe hatte leben dürfen, dem war vollkommen klar geworden, dass es schönere und höhere Dinge gibt, für die man kämpfen kann, als Ehre und Erfolg in dieser Welt.

Genauso, wie Bengt Löwensköld den Königsring auf dem Bild hatte haben wollen, hatte er auch im Grabe noch bei ihm sein sollen. Aber auch dabei war keine Eitelkeit im Spiel gewesen. Es war nicht seine Absicht, damit zu prahlen, dass er den Ring eines großen Königs am Finger trug, wenn er vor Gott den Vater und die Erzengel hinträte; aber er hoffte vielleicht auf etwas andres: Wenn er da in den Saal einginge, wo Karl XII. mit allen seinen »Haudegen« um sich her versammelt war, würde der Ring ein Erkennungszeichen sein, und er dürfte auch nach seinem Tode in der Nähe des Mannes weilen, dem er sein Leben lang gedient und den er so hoch verehrt hatte.

Als der Sarg des Generals in die gemauerte Grabkammer gestellt wurde, die er sich auf dem Broer Kirchhof hatte herrichten lassen, steckte der Königsring noch an dem Zeigefinger seiner linken Hand. Unter den Anwesenden waren freilich viele, die es bedauerten, dass ein solches Kleinod einem toten Mann ins Grab folgen sollte; denn der Ring des Generals war fast so bekannt und berühmt wie der General selbst. Man erzählte, der Ring umfasse so viel Gold, dass es zum Ankauf eines Hofgutes reichen würde, und der rote Karneol, in den der Namenszug des Königs eingraviert war, sei auch nicht weniger wert. Man rechnete es den Söhnen hoch an, dass sie sich dem Wunsche des Vaters nicht widersetzt, sondern ihn das kostbare Stück hatten behalten lassen.

Wenn nun der Ring des Generals in Wirklichkeit so aussah, wie er auf dem Gemälde dargestellt war, dann war er ein hässliches, plumpes Ding, das heutzutage kaum irgendjemand am Finger tragen möchte; aber es ist sicher nicht daran zu zweifeln, dass er vor zweihundert Jahren ungeheuer hochgeschätzt wurde. Seht, man muss daran denken, wie es damals war: Mit nur ganz wenig Ausnahmen hatten alle Schmucksachen und alle Gefäße aus edlem Metall der Krone abgeliefert werden müssen; man hatte gegen Goertzens Taler und den Staatsbankrott zu kämpfen gehabt, und für sehr viele Menschen war Gold etwas gewesen, von dem sie reden hörten, das sie selbst aber niemals gesehen hatten. Und so kam es, dass die Leute den goldenen Ring nicht vergessen konnten, der zu niemandes Nutz und Frommen unter einen Sargdeckel gelegt worden war. Man hielt es fast für ein Unrecht, dass er dort lag. Der Ring hätte ja in fremden Ländern für teures Geld verkauft werden können und hätte dann vielen, die nichts zu brechen und zu beißen hatten als Häcksel und Baumrinde, ihr tägliches Brot geschafft.

Obgleich nun freilich viele gewünscht haben mochten, das kostbare Kleinod zu besitzen, war doch niemand darunter gewesen, der im Ernst daran gedacht hätte, es sich anzueignen. Der Ring lag in dem zugeschraubten Sarg in einem wieder vermauerten Grabkeller unter schweren Steinplatten, unerreichbar selbst für den kecksten Dieb, und man meinte, so müsse es bleiben bis an das Ende aller Tage.

Zweites Kapitel

Im Monat März des Jahres 1741 war der Generalmajor Bengt Löwensköld im Herrn entschlafen, und einige Monate später starb an der roten Ruhr ein kleines Töchterchen des Rittmeisters Göran Löwensköld, der als ältester Sohn des Generals nun auf Hedeby seinen Sitz hatte. An einem Sonntag gleich nach dem Gottesdienst wurde das Kind begraben, und alle Kirchenbesucher begleiteten den Leichenzug zu dem Löwensköldschen Grabe, wo die zwei gewaltigen Grabplatten schräg hochgestellt waren, und die Wölbung darunter war von einem Maurer aufgerissen worden, damit man den Sarg des kleinen Kindes neben den des Großvaters stellen könnte.

Während die Leute um das Grab versammelt waren und die Grabrede anhörten, konnte es wohl sein, dass der eine oder andere von ihnen mit Bedauern an den Königsring dachte, der hier, in einem Grabe verborgen, zu niemandes Nutz und Frommen lag. Es gab vielleicht auch einen oder den anderen, der seinem Nachbar zuflüsterte, jetzt wäre es vielleicht nicht ganz unmöglich, zu dem Ring zu kommen, da ja das Grab wahrscheinlich nicht vor dem nächsten Tag wieder zugemauert würde.

Unter den vielen, die an dem Grabe standen, war auch ein Bauer vom Mellomhof in Olsby, namens Bård Bårdsson. Er war durchaus keiner von denen, die sich des Ringes wegen hätten graue Haare wachsen lassen. Im Gegenteil! Wann immer jemand mit ihm von dem Ring gesprochen hatte, war seine Antwort stets gewesen: Er habe einen recht schönen Hof und brauche den General nicht zu beneiden, selbst wenn dieser einen Scheffel Gold mit in seinen Sarg genommen hätte. Als nun Bård Bårdsson da auf dem Kirchhof stand, stieg wie bei so vielen andern der Gedanke in ihm auf, wie merkwürdig es doch sei, dass das Grab geöffnet worden war. Er freute sich aber nicht darüber, sondern wurde ängstlich: »Der Rittmeister muss es wohl schon heute Nachmittag wieder instand setzen lassen«, dachte er. »Es gibt viele, die es auf diesen Ring abgesehen haben.«

Dies war zwar etwas, was ihn gar nichts anging; aber woher es nun auch kommen mochte – der Gedanke, es könnte gefährlich sein, wenn das Grab über Nacht offen bliebe, beherrschte ihn immer mehr. Man stand im August, die Nächte waren dunkel, und wenn das Grab nicht schon heute Abend geschlossen würde, dann könnte sich ein Dieb hineinschleichen und sich den Schatz aneignen.

Bård Bårdsson wurde schließlich von so großer Angst erfasst, dass er sich schon überlegte, ob er nicht zu dem Rittmeister hingehen und ihn warnen sollte; aber er wusste ja, dass ihn die Leute für einfältig hielten, und so wollte er sich nicht zum Gespött machen. »Du hast freilich in dieser Sache ganz recht«, dachte er, »wenn du dich aber allzu geschäftig darin zeigst, wirst du nur ausgelacht. Der Rittmeister ist ein sehr kluger Mann und hat sicherlich schon dafür gesorgt, dass das Loch wieder zugemauert wird.«

Er war ganz in diese Gedanken versunken und merkte deshalb gar nicht, dass das Begräbnis zu Ende war, sondern blieb an dem Grab stehen und wäre wohl noch länger stehen geblieben, wenn nicht seine Frau herbeigekommen wäre und ihn am Ärmel gezupft hätte.

»Was hast du denn?«, fragte sie. «Du starrst ja immerzu auf einen einzigen Fleck wie die Katze vor dem Mauseloch.«

Der Bauer zuckte zusammen, schlug die Augen auf, und siehe, er und seine Frau ganz allein waren noch auf dem Kirchhof. »Ach, es ist nichts«, antwortete er. »Es ging mir nur ein Gedanke im Kopf herum, und ich fragte mich …«

Er hätte seiner Frau gern gesagt, was ihm durch den Kopf ging, aber er wusste ja, wie viel klüger sie war als er. Sie hätte seine Grübeleien für höchst überflüssig erklärt und gesagt: Ob das Grab zugemacht oder offen bleiben würde, sei einzig und allein Sache des Rittmeisters Löwensköld und gehe sonst niemand etwas an.

Sie machten sich nun auf den Heimweg, und als Bård Bårdsson dem Kirchhof den Rücken gekehrt hatte, hätte er ja auch den Gedanken an das Grab los sein müssen; aber es war nicht so. Seine Frau redete von dem Begräbnis: von dem Sarg und den Trägern, von dem Trauergeleit und von der Grabrede, und er fügte ab und zu ein anderes Wort ein, um sie nicht merken zu lassen, wie wenig er davon wusste und gehört hatte; doch klang ihm gar bald die Stimme seiner Frau nur noch wie aus weiter Ferne. Sein Gehirn arbeitete an seinen Gedanken von vorher unablässig weiter. »Siehst du, heut ist es Sonntag«, dachte er, »und vielleicht will der Maurer an einem Ruhetag nicht zumachen. Aber dann könnte der Rittmeister dem Totengräber ja einen Taler geben und ihn die Nacht über an dem Grabe wachen lassen. Ach, wenn er doch nur auf diesen Gedanken käme!«

Auf einmal fing er an, laut vor sich hinzureden: »Ich hätte jedenfalls zum Rittmeister gehen sollen. Es hätte mir einerlei sein sollen, ob die Leute über mich lachten.«

Er hatte ganz vergessen, dass seine Frau neben ihm ging; aber er kam wieder zu sich, als sie plötzlich stehen blieb und ihn anstarrte.

»Es ist nichts«, sagte er, »mir geht nur der Gedanke von vorhin immer noch im Kopf herum.«

Darauf gingen sie zusammen weiter, und bald erreichten sie ihre eigene Wohnung.

Hier hoffte er, die unruhigen Gedanken loszuwerden, und das wäre wohl auch so gewesen, wenn er sich an irgendeine Arbeit hätte machen können; aber nun war es ja Sonntag. Als die Leute auf dem Mellomhof zu Mittag gegessen hatten, ging jeder seine eignen Wege. Bård Bårdsson blieb allein in der Stube sitzen, und sofort überfielen ihn die Grübeleien aufs Neue. Nach einer Weile stand er von der Bank auf, ging hinaus und machte das Pferd bereit, in der Absicht, nach Hedeby zu reiten und mit dem Rittmeister zu reden. »Sonst wird der Ring doch noch heute Nacht gestohlen«, dachte er.

Er kam aber doch nicht dazu, seinen Vorsatz auszuführen; dazu war er zu schüchtern. Dafür machte er sich nach dem Nachbarhof auf den Weg, um mit dem Bauern dort von seiner Unruhe zu reden. Er traf ihn nicht allein an, und wieder war er zu schüchtern zu einer Aussprache, und so kehrte er unverrichteter Dinge wieder nach Hause zurück.

Sobald die Sonne untergegangen war, legte er sich zu Bett und nahm sich vor, bis zum nächsten Morgen zu schlafen. Aber der Schlaf wollte sich nicht einstellen. Die Unruhe plagte ihn von Neuem. Er drehte und wälzte sich im Bett hin und her. Dadurch konnte seine Frau natürlich auch nicht schlafen, und nach einer guten Weile wollte sie wissen, warum er denn so unruhig sei.

»Es ist nichts«, antwortete er in seiner gewohnten Weise. »Es geht mir eben immer etwas im Kopf herum …«

»Ja, das hast du heute schon mehrere Male gesagt«, entgegnete seine Frau; »aber ich meine, du solltest mir nun doch sagen, was es ist, das dich so beunruhigt. Du hast doch wohl nicht so gefährliche Dinge im Kopf, dass du sie mir nicht sagen könntest.«

Als Bård seine Frau so sprechen hörte, bildete er sich ein, er würde vielleicht schlafen können, wenn er ihrer Aufforderung nachkäme.

»Ach, ich überlege mir nur, ob das Grab des Generals wieder zugemauert worden ist«, sagte er, »oder ob es die ganze Nacht offen steht.«

Seine Frau begann zu lachen und erwiderte: »Gerade daran habe ich auch gedacht, und ich glaube, jedem der Leute, die mit in der Kirche waren, wird es wohl ebenso ergangen sein. Aber von so etwas wirst du dich doch nicht um den Schlaf bringen lassen?«

Bård war froh, dass seine Frau die Sache so leicht nahm. Er fühlte sich nun ruhiger und glaubte, er werde jetzt schlafen können.

Aber kaum hatte er sich wieder zurechtgelegt, als die Unruhe ihn von Neuem überfiel. Von allen Seiten, von allen Häusern her sah er Schatten herangeschlichen kommen, die alle von derselben Absicht erfüllt waren: Alle lenkten sie ihre Schritte nach dem Kirchhof mit dem offenen Grab.

Bård versuchte still zu liegen, damit seine Frau schlafen könne; aber der Kopf schmerzte ihn, und der Schweiß brach ihm aus allen Poren. Er konnte es nicht lassen, sich unaufhörlich hin und her zu drehen.

Schließlich verlor die Frau die Geduld und sagte halb im Scherz: »Lieber Mann, ich glaube wirklich, es wäre klüger, du gingest auf den Kirchhof und sähest nach, wie es sich mit dem Grabe verhält, statt dass du dich hier im Bett von einer Seite auf die andere wirfst und keinen Schlaf finden kannst.«

Sie hatte kaum ausgesprochen, als der Mann auch schon aus dem Bett sprang und sich anzuziehen begann. Jawohl, seine Frau hatte ganz recht. Von Olsby bis zur Kirche von Bro brauchte man nur eine halbe Stunde. In einer Stunde konnte er wieder zurück sein, und dann würde er gewiss die ganze Nacht schlafen können. Doch kaum war er zur Tür hinaus, als die Frau sich sagte, es müsste für ihren Mann doch recht unheimlich sein, wenn er mutterseelenallein auf den Kirchhof ginge, und so sprang auch sie rasch heraus und zog ihre Kleider an. Sie holte den Mann auf dem Hügel vor Olsby ein. Bård fing zu lachen an, als er sie kommen hörte.

»Kommst du mir nach, um zu sehen, ob ich nicht am Ende den Ring des Generals stehle?«, sagte er.

»Ach, du meine Güte!«, rief seine Frau. «An so etwas denkst du nicht, das weiß ich wohl. Ich habe mich nur aufgemacht, dir beizustehen, falls dir Kirchhofsgespenster zu schaffen machen sollten.«

Mit rüstigen Schritten wanderten sie dahin. Die Nacht war indessen hereingebrochen, und alles war bis auf einen schmalen Lichtstreifen am westlichen Himmel in tiefes Dunkel gehüllt; doch kannten die beiden den Weg ja genau. Sie unterhielten sich miteinander und waren guter Dinge; denn sie gingen ja nur auf den Kirchhof, um zu sehen, ob das Grab offen stände, damit Bård nicht mehr die ganze Nacht darüber nachgrübeln müsste.

»Mir kommt es ganz unglaublich vor, dass die drüben auf Hedeby den Ring nicht wieder eingemauert haben sollten – so tollkühn werden sie sicher nicht sein«, sagte Bård.

»Darüber werden wir ja nun bald Klarheit haben«, versetzte seine Frau. »Und wenn mich nicht alles täuscht, so ist das, was wir jetzt neben uns haben, die Kirchhofmauer.«

Der Mann blieb stehen. Er wunderte sich, wie fröhlich die Stimme seiner Frau klang. Es konnte doch wohl nicht möglich sein, dass sie bei dieser Wanderung eine andere Absicht haben sollte als er.

»Ehe wir in den Kirchhof hineingehen«, sagte Bård, »sollten wir uns darüber einigen, was wir tun wollen, falls wir das Grab offen finden.«

»Ob es nun zugemacht oder offen ist – ich wüsste nicht, was wir anders zu tun hätten, als wieder heimzugehen und uns ins Bett zu legen.«

»Ja, natürlich! Da hast du ganz recht«, erwiderte Bård und setzte sich wieder in Gang.

»Das Kirchhoftor wird wohl um diese Zeit nicht offen stehen, das kann man nicht erwarten«, sagte Bård gleich darauf. »Das ist es sicher nicht«, erwiderte die Frau. »Wir müssen über die Mauer klettern, wenn wir den General besuchen und sehen wollen, wie es ihm geht.«

Der Mann wunderte sich wieder. Er hörte ein leichtes Gerassel von niederfallenden Steinchen, und gleich darauf sah er, wie die Gestalt seiner Frau vor dem hellen Streifen im Westen sichtbar wurde. Sie stand schon oben auf der Mauer, was übrigens kein Kunststück war, denn die Mauer war nur ein paar Fuß hoch; aber es war eben doch merkwürdig, wie eifrig sie sich zeigte, und dass sie nun sogar vor ihm die Mauer erstiegen hatte.

»Sieh hier! Nimm meine Hand, dann werde ich dir heraufhelfen«, sagte sie. – Gleich darauf hatten sie die Mauer hinter sich und gingen nun still und vorsichtig zwischen den kleinen Grabhügeln weiter.

Einmal strauchelte Bård über so ein Hügelchen und wäre fast gestürzt. Es war ihm beinah, als hätte ihm jemand ein Bein gestellt. Er erschrak heftig und zitterte an allen Gliedern, und dann sagte er ganz laut, damit alle Toten hörten, wie rechtschaffen er war: »Hier möchte ich nicht gehen, wenn ich in unrechter Absicht gekommen wäre.«

»Nein, wahrhaftig nicht«, erwiderte seine Frau. »Da hast du sehr recht. Aber weißt du, dort drüben ist schon das Grab.« Ganz richtig, er konnte die schräg gestellten Grabplatten vom dunklen Nachthimmel undeutlich unterscheiden.

Gleich darauf waren sie am Grab selbst, und siehe da, es war offen. Das Loch in der Wölbung war noch nicht wieder zugemauert.

»Dies kommt mir sehr nachlässig vor«, sagte Bård. »Es ist ja fast wie eigens dazu eingerichtet, alle, die wissen, welch ein Schatz da drunten verborgen liegt, in die größte Versuchung zu führen.«

»Sie verlassen sich wohl darauf, dass sich niemand getraut, einem Toten etwas zuleide zu tun«, sagte die Frau.

»Es ist ja auch kein Spaß, sich in so eine Grabkammer hinunterzuwagen«, versetzte der Mann. »Hinunterzuspringen wäre zwar nicht schwer, aber dann säße man wohl da unten wie der Fuchs in der Falle.«

»Ich habe heute Vormittag gesehen, dass sie eine kleine Leiter in das Grab gestellt hatten«, sagte die Frau. »Aber die müssen sie doch wenigstens weggenommen haben.«

»Da will ich doch gleich nachsehen«, sagte Bård und tastete sich zu dem offenen Grab hin. »Nein, denk dir nur!«, rief er. »Das übersteigt doch alle Grenzen. Die Leiter steht noch da!«

»Das ist wirklich sehr fahrlässig«, sagte die Frau. »Aber weißt du, ich glaube, es ist nicht von großer Bedeutung, ob auch die Leiter stehen geblieben ist, denn der da drunten in der Tiefe kann das, was ihm gehört, schon verteidigen.«

»Wenn ich das nur gewiss wüsste«, sagte der Mann. »Vielleicht sollte ich doch wenigstens die Leiter wegstellen.«

»Ich glaube, wir sollten hier am Grab lieber gar nichts verändern«, meinte die Frau. »Es ist am besten, wenn der Totengräber morgen das Grab genauso vorfindet, wie er es verlassen hat.«

Sie standen eine Weile still vor dem Grab und starrten unentschlossen und ratlos in das schwarze Loch hinunter. Eigentlich hätten sie jetzt heimgehen sollen; aber irgendetwas Geheimes, etwas, was keiner von ihnen auszusprechen wagte, hielt sie zurück.

»Ja, natürlich könnte ich die Leiter stehen lassen«, sagte Bård schließlich, »wenn ich nur ganz sicher wüsste, dass der General die Macht hat, die Diebe festzuhalten.«

»Du kannst ja ins Grab hinuntersteigen, dann wirst du schon sehen, wie viel Macht er hat«, erwiderte seine Frau.

Es war, als hätte Bård nur auf diese Worte seiner Frau gewartet. Im nächsten Augenblick war er bei der Leiter und drunten in dem Grabgewölbe.

Kaum aber stand er auf dem steinernen Boden der Grabkammer, als er auch schon ein Knacken der Leiter hörte und merkte, dass seine Frau ihm nachkam.

»So, du kommst mir auch hierher nach«, sagte er.

»Ich habe es nicht gewagt, dich mit dem Toten hier unten allein zu lassen.«

»Ach, ich glaub gar nicht, dass er so gefährlich ist«, erwiderte er. »Ich spüre keine kalte Hand, die mir das Leben auspressen will.«

»Siehst du, er will uns wohl nichts zuleide tun«, sagte seine Frau. »Er weiß, wir denken nicht daran, den Ring zu stehlen; etwas andres wäre es freilich, wenn wir nur zum Scherz versuchen würden, den Sargdeckel abzuschrauben.«

Sofort tappte der Mann zum Sarg des Generals hin und tastete den Rand des Deckels ab. Er fand eine Schraube, die oben im Kopf ein kleines Kreuz hatte.

»Alles ist hier förmlich für einen Dieb wie zurechtgelegt«, sagte er, indem er begann, die Sargschrauben vorsichtig aufzudrehen.

»Spürst du nichts?«, fragte seine Frau. »Merkst du nicht, ob sich unter dem Sargdeckel etwas bewegt?«

»Hier ist es still wie in einem Grab«, antwortete der Mann.

»Er glaubt wohl nicht, dass wir im Sinn haben, ihm das zu nehmen, was ihm sein teuerstes Gut ist«, sagte die Frau. »Etwas anderes wäre es, wenn wir den Sargdeckel abheben würden.«

»Ja, aber dabei musst du mir helfen«, sagte der Mann. Sie hoben den Deckel in die Höhe, und jetzt war es ihnen nicht mehr möglich, ihrer Sehnsucht nach dem Schatz Einhalt zu gebieten. Sie lösten den Ring von der welken Hand, legten den Deckel wieder zurück, und ohne ein weiteres Wort schlichen sie aus dem Grab hinaus. Als sie dann über den Kirchhof zurückgingen, nahmen sie sich bei der Hand, und erst als sie über die niedere Steinmauer geklettert waren und auf dem Weg standen, wagten sie wieder zu sprechen.

»Jetzt fange ich an zu glauben«, sagte die Frau, »dass er es so haben wollte. Er hat wohl begriffen, dass es unrecht von einem Toten ist, ein solches Kleinod für sich zu behalten, und deshalb hat er es uns gutwillig gegeben.«

Der Mann brach in lautes Gelächter aus. »Ja, du bist gut«, sagte er. »Nein, das kannst du mir nicht weismachen, dass er es uns gutwillig gelassen habe. Er hatte eben nicht die Macht, uns daran zu hindern.«

»Weißt du«, sagte seine Frau, »heute Nacht bist du wirklich sehr tapfer gewesen. Es gibt gewiss nicht viele, die sich in das Grab zum General hinuntergewagt hätten.«

»Ich habe nicht das Gefühl, dass ich etwas Unrechtes getan hätte«, sagte der Mann. »Von einem Lebenden habe ich nie auch nur einen Taler genommen; aber was könnte es schaden, einem Toten das zu nehmen, was er nicht mehr braucht?« Während sie so dahingingen, fühlten sie sich stolz und wohlgemut. Sie wunderten sich darüber, weil offenbar außer ihnen niemand auf diesen Gedanken gekommen war, und Bård sagte, er wolle, sobald sich nur eine Gelegenheit dazu biete, nach Norwegen fahren und den Ring dort verkaufen. Er meinte, er werde so viel Geld dafür bekommen, dass sie sich niemals mehr des Geldes wegen Sorgen zu machen brauchten.

»Aber«, sagte die Frau und blieb plötzlich stehen. »Was sehe ich denn? Bricht denn der Tag schon an? Es sieht dort im Osten so hell aus.«

»Nein, das kann noch nicht die Sonne sein«, entgegnete Bård. »Es muss irgendwo brennen, und es sieht aus, als sei es in der Olsbyer Gegend. Wenn es nicht …«

Ein lauter Schreckensruf seiner Frau unterbrach ihn. »Bei uns brennt es!«, schrie sie. »Der Mellomhof brennt! Der General hat ihn angezündet!«

Am Montagmorgen kam der Totengräber in größter Eile nach Hedeby, das ja ganz in der Nähe der Kirche liegt, um zu melden, dass sowohl er als auch der Maurer, der das Grab wieder zumauern wollte, der Ansicht seien, dass der Deckel auf dem Sarg des Generals schief liege und die Schilder und Sterne, die ihn schmückten, verschoben seien.

Augenblicklich wurde eine Untersuchung vorgenommen.

Jawohl, man sah gleich, in der Grabkammer herrschte allerlei Unordnung. Die Schrauben des Sarges waren gelockert, und als man den Deckel aufhob, sah man auf den ersten Blick, was geschehen war. Der Königsring war nicht mehr an seinem Platz auf dem linken Zeigefinger des Generals.