Von der Kürze des Lebens

Abonelik
Yazar:
0
Yorumlar
Parçayı oku
Okundu olarak işaretle
Von der Kürze des Lebens
Yazı tipi:Aa'dan küçükDaha fazla Aa

Seneca

Von der Kürze des Lebens

Mit einem einleitenden Essay

Impressum

ISBN 978-3-86408-036-4 (epub) // 978-3-86408-037-1 (pdf)

Digitalisat basiert auf der Ausgabe von 1946 aus der Bibliothek des Vergangenheitsverlags; bibliografische Angaben:

Seneca, Vom glückseligen Leben. Von der Kürze des Lebens, Heidelberg 1946.

Digitalisierung: Vergangenheitsverlag. Bearbeitung: Wolf-Rüdiger Knoll

Die Marke „100% - vollständig, kommentiert, relevant“ steht für den hohen Anspruch, mehrfach kontrollierte Digitalisate klassischer Literatur anzubieten, die – anders als auf den Gegenleseportalen unterschiedlicher Digitalisierungsprojekte – exakt der Vorlage entsprechen. Antrieb für unser Digitalisierungsprojekt war die Erfahrung, dass die im Internet verfügbaren Klassiker meist unvollständig und sehr fehlerhaft sind.

© Vergangenheitsverlag, 2011 – www.vergangenheitsverlag.de

eBook-Herstellung und Auslieferung:

readbox publishing, Dortmund

www.readbox.net

Inhalt

Einleitendes Essay

Von der Kürze des Lebens

Einleitendes Essay

Seneca ist einer der wichtigsten Autoren der Antike und ältester Vertreter der stoischen Philosophie, die sich in den Schriften Senecas niederschlägt. Oberstes Ziel war die Suche nach der richtigen Lebenskunst, um vernünftiger zu leben, am Ende auch um glücklicher zu sein.

Lucius Annaeus Seneca wurde 4 v. Chr. im spanischen Córdoba als Sohn eines Römers geboren. Seine Jugend verbrachte Seneca in Rom, wo er eine privilegierte Ausbildung genoss und so bereits während seiner Jugend die Grundsätze der stoischen Philosophie erlernte. Da Senecas Gesundheitszustand in jenen Jahren von körperlichen Gebrechen gezeichnet war, zog es den begnadeten Redner nach seiner Ausbildung an den Nil nach Ägypten. Er kurierte seine Atembeschwerden und studierte zeitgleich die Philosophie der Pythagoreer. Zentraler Bestandteil der pythagoreischen Philosophie ist die Lehre von der Unsterblichkeit der Seele, der Seelenwanderung.

Nach seiner Rückkehr ins Römische Reich strebte Seneca eine politische Karriere an. Er stieg in den Rang eines Quästors auf und machte sich zusätzlich als Anwalt und Schriftsteller einen Namen. Seneca war damit eine der schillernden Figuren seiner Zeit. Er war nicht nur Gelehrter, sondern agierte mitten im Machtzentrum seiner Zeit. Unter Kaiser Claudius (41-54 n. Chr.) fiel Seneca aufgrund machtpolitischer Intrigen in Ungnade und wurde für acht Jahre auf die Insel Korsika verbannt. Dort widmete er sich intensiven philosophischen Studien und verfasste als Trauerbewältigung Trostschriften, von denen heute lediglich zwei erhalten sind. 49 n. Chr. kehrte Seneca auf Geheiß Agrippinas, der neuen Frau Kaiser Claudius‘, nach Rom zurück und übernahm die Erziehung und Ausbildung des noch jungen Thronfolgers Nero. Fortan musste Seneca keine materielle Not mehr leiden, lebte aus stoischer Überzeugung jedoch weiter ein asketisches Leben. Nachdem die ersten Regierungsjahre des neuen Kaisers Nero (54-68 n. Chr.) noch von Senecas Morallehre geprägt waren, entwickelte Nero in den Folgejahren eine Machtbesessenheit, die psychopathische Züge trug. Nach dem Mord an seiner eigenen Mutter Agrippina wandte sich Nero auch gegen seinen einstigen Mentor Seneca. Unter dem Vorwurf an einer Verschwörung gegen den Kaiser beteiligt gewesen zu sein, befahl Nero 65 n. Chr. dem bereits aus dem politischen Leben ausgeschiedenen Seneca die Selbsttötung. Dieser Aufforderung kam der römische Philosoph ohne großes Zögern nach. Als Stoiker und Anhänger der Seelenwanderung war Seneca mental auf den Tod vorbereitet und sah diesem ohne Furcht entgegen.

Von der Kürze des Lebens, circa 55 n. Chr. entstanden, thematisiert eine zeitlose Frage, die auch heute noch hochaktuell ist: Wie kann Leben in einer subjektiv unterschiedlich empfundenen Zeitspanne gelingen? Wie kann ein Mensch glücklich werden?

Zentral ist die Frage, wie Menschen ihre Zeit nutzen, ob sie sie verschwenden oder sinnvoll einsetzen?

Um seine Antworten deutlich zu machen, wendet sich Seneca in dem Text an den namentlich angesprochenen Paulinus, der offenbar Senecas Hilfe gesucht hatte und sich über die Kürze des Lebens beschwert hatte. Seneca weist dieses Gefühl zurück und brandmarkt es als Ausdruck eines Lebens, das nur von Ehrgeiz getrieben war. Die Geschäftemacher, wie Seneca sie nennt, entwerten ihre Gegenwart durch ständige Suche nach neuem Erfolg, mehr Geld, beruflichem Fortkommen. Sie registrieren den Moment nicht mehr, erleben die Gegenwart als langweilig, was zu Genusssucht, Oberflächlichkeit und Hetze führt.

Die Antwort auf ein solches Leben ist, die richtige Lebenskunst zu finden, etwas, das laut Seneca schwieriger zu erlernen sei als alles andere und das ganze Leben brauche. Was „die richtige Lebenskunst“ ausmacht, lässt sich aus diesem Text nicht wie ein Lehrplan herauslesen. Von der Kürze des Lebens gibt aber Hinweise und Denkanstöße, die auch heutigen Leserinnen und Lesern Impulse geben können…

Von der Kürze des Lebens

1.

Die meisten Menschen, mein Paulinus, klagen über die Bosheit der Natur: unsere Lebenszeit, heißt es, sei uns zu kurz bemessen, zu rasch, zu reißend verfliege die uns vergönnte Spanne der Zeit, so schnell, dass mit Ausnahme einiger weniger den anderen das Leben noch mitten unter den Zurüstungen zum Leben entweiche. Und es ist nicht etwa bloß der große Haufe und die unverständige Menge, die über dies angeblich allgemeine Übel jammert, nein, auch hoch angesehene Männer haben, von dieser Stimmung angesteckt, sich in Klagen ergangen. Daher jener Ausruf des größten der Arzte: „Kurz ist das Leben, lang die Kunst.“ Daher der einem Weisen wenig ziemende Hader des Aristoteles mit der Natur: „Die Natur habe es mit den Tieren so gut gemeint, dass sie ihnen fünf, ja zehn Jahrhunderte Lebenszeit vergönne, während dem Menschen, der für so vieles und für so Großes geboren sei, ein so viel früheres Ende beschieden sei.“ Nein, nicht gering ist die Zeit, die uns zu Gebote steht; wir lassen nur viel davon verloren gehen. Das Leben, das uns gegeben ist, ist lang genug und völlig ausreichend zur Vollführung auch der herrlichsten Taten, wenn es nur von Anfang bis zum Ende gut verwendet würde; aber wenn es sich in üppigem Schlendrian verflüchtigt, wenn es keinem edlen Streben geweiht wird, dann merken wir erst unter dem Drucke der letzten Not, dass es vorüber ist, ohne dass wir auf sein Vorwärtsrücken achtgegeben haben. So ist es: Nicht das Leben, das wir empfangen, ist kurz, nein, wir machen es dazu; wir sind nicht zu kurz gekommen; wir sind vielmehr zu verschwenderisch. Wie großer fürstlicher Reichtum in der Hand eines nichtsnutzigen Besitzers, an den er gelangt ist, sich im Augenblick in alle Winde zerstreut, während ein, wenn auch nur mäßiges Vermögen in der Hand eines guten Hüters durch die Art, wie er damit verfährt, sich mehrt, so bietet unser Leben dem, der richtig damit umzugehen weiß, einen weiten Spielraum.

2.

Was klagen wir über die Natur? Sie hat sich gütig erwiesen: Das Leben ist lang, wenn man es recht zu brauchen weiß. Aber den einen hält unersättliche Habsucht in ihren Banden gefangen, den anderen eine mühevolle Geschäftigkeit, die an nutzlose Aufgaben verschwendet wird; der eine geht ganz in den Freuden des Bacchus auf, der andere dämmert in trägem Stumpfsinn dahin; den einen plagt der Ehrgeiz, der immer von dem Urteil anderer abhängt, den anderen treibt der gewinnsuchende, rastlose Handelsgeist durch alle Länder, durch alle Meere; manche hält der Kriegsdienst in seinem Bann; sie denken an nichts anderes, als wie sie anderen Gefahren bereiten oder ihnen selbst drohende Gefahren abwehren können; manche lässt der undankbare Herrendienst sich in freiwilliger Knechtschaft aufreiben; viele kommen nicht los von dem Glücke anderer oder von der Klage über ihre eigene Lage; die meisten jagt mangels jeden festen Zieles ihre unstete, schwankende, auch sich selbst missfällige Leichtfertigkeit zu immer neuen Entwürfen. Manche wollen von einer sicher gerichteten Lebensbahn überhaupt nichts wissen, sondern lassen sich vom Schicksal in einem Zustand der Schwäche und Schlaffheit überraschen, so dass ich nicht zweifle an der Wahrheit des Wortes jenes erhabenen Dichters, das wie ein Orakelspruch klingt: „Ein kleiner Teil des Lebens nur ist wahres Leben“; der ganze übrige Teil ist nicht Leben, ist bloße Zeit. Von allen Seiten drängt und stürmt das Unheil an und lässt nicht zu, dass man den Blick erhebe zur Betrachtung der Wahrheit, drückt die Menschen vielmehr in die Tiefe und fesselt sie an die Begierden. Niemals wird es ihnen möglich, zu sich selbst zu kommen, und tritt zufällig etwa einmal eine Pause ein, dann schwanken sie hin und her wie das tiefe Meer, das auch nach dem Sturm noch in Bewegung ist; kurz, niemals lassen ihre Begierden sie in Ruhe. Und meinst du etwa, ich spräche nur von denen, über deren beklagenswerte Lage alle einig sind? Blicke hin auf jene, die allgemein als Glückskinder angestaunt werden: Sie ersticken an ihrem eigenen Glücke. Wie vielen wird der Reichtum zur Last! Wie vielen raubt das Rednergeschäft und das tägliche Verlangen, ihr Talent leuchten zu lassen, die wahre Lebenskraft! Wie viele bieten infolge des unaufhörlichen Sinnengenusses den Anblick von wandelnden Leichen! Wie vielen lässt die sich drängende Klientenschar keinen freien Augenblick! Kurz, gehe sie alle durch vom Niedrigsten bis zum Höchsten: Der eine sucht einen Anwalt, der andere stellt sich ihm zur Verfügung; der eine ist in Gefahr, der andere übernimmt die Verteidigung; wieder ein anderer fällt das Urteil; keiner sichert sich sein Recht über sich selbst; der eine verzehrt sich im Dienst für den anderen. Frage nach jenen Stützen der Gesellschaft, deren Namen auswendig gelernt werden, du wirst sehen, man unterscheidet sie nach folgenden Merkmalen: Der eine dient diesem, der andere jenem, keiner sich selbst. Ganz sinnlos ist demnach die Entrüstung so mancher: Sie klagen über den Hochmut der Höherstehenden, weil diese für den zudringlichen Besucher keine Zeit gehabt haben! Darf sich irgendjemand herausnehmen, über den Stolz eines anderen zu klagen, der für sich selbst niemals Zeit hat? Jener hat dir unbedeutendem Gesellen doch irgendeinmal einen Blick gegönnt, wenn auch einen noch so hochfahrenden, er hat sein Ohr zu deinem Anliegen herabgelassen; du aber hast dich nie für wert gehalten, einen Blick in dich zu tun, auf dich selbst zu hören. Diese deine Dienstbeflissenheit gibt dir also keinen Anspruch auf Beachtung von Seiten irgendjemandes; denn als du sie ausübtest, lag dem nicht die Absicht einer Verbindung mit dem anderen zu Grunde, sondern nur das Unvermögen, dir selber anzugehören.

 

3.

Mögen auch die glänzenden Geister aller Zeiten über diese Tatsache in Übereinstimmung sein, so werden sie sich doch niemals genug wundern können über diese geistige Finsternis der Menschen. Ihre Landgüter lassen sie von niemand in Beschlag nehmen, und beim geringsten Streit über die Feldmark rennen sie nach Waffen; was aber ihr eigenes Leben betrifft, so lassen sie andere in dasselbe eingreifen; ja nicht genug damit, sie bemühen sich sogar darum, andere zu Herren und Besitzern ihres Lebens zu machen. Es findet sich keiner, der sein Geld austeilen möchte; sein Leben dagegen, unter wie viele verteilt es ein jeder! Ihr Vermögen zusammen zu halten, sind sie immer eifrig beflissen; handelt es sich aber um Zeitverlust, so zeigen sie sich als die größten Verschwender da, wo der Geiz die einzige Gelegenheit hat, in ehrbarer Gestalt aufzutreten. Greifen wir also aus der Masse der Höherbetagten irgendeinen heraus: „Wir sehen, du bist an der äußersten Grenze menschlichen Lebens angelangt; hundert Jahre oder mehr noch lasten auf dir. Wohlan, überschlage dein Leben und gib Rechenschaft davon. Berechne, wie viel dir davon der Gläubiger, wie viel die Geliebte, wie viel der Angeklagte, wie viel der Klient entzogen hat, wie viel der eheliche Hader, wie viel die Sklavenzucht, wie viel das dienstbeflissene Umherrennen in den Straßen der Stadt; nimm dazu die selbstverschuldeten Krankheiten und was unbenutzt liegen blieb, so wirst du sehen: Die Zahl deiner Jahre ist geringer, als du annimmst. Frage dein Gedächtnis, wenn du einmal deiner Sache wirklich sicher gewesen bist, wie wenige Tage deiner Absicht gemäß verlaufen sind, wie selten du mit dir selbst Umgang gepflogen, wie selten du dein wahres Gesicht gezeigt, wie oft dein Gemüt verzagt hat; frage dich, was du in dieser langen Lebenszeit tatsächlich geleistet, wie viel dir von deinem Leben durch andere weggenommen worden, ohne dass du den Verlust gewahr wurdest, wie viel dir vergebliche Trauer, törichte Freude, unersättliche Begierde, der Reiz der Geselligkeit Zeit geraubt, wie wenig dir von dem Deinigen geblieben – und du wirst einsehen, dass du stirbst, ehe du reif bist.“

Ücretsiz bölüm sona erdi. Daha fazlasını okumak ister misiniz?