Kitabı oku: «New Hope City», sayfa 3

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Verlegen sah Harald an die Decke. Er schwieg einen Augenblick, ehe er antwortete: »Das erleben alle das erste Mal. Aber du kannst mir glauben, das kommt nicht wieder. Ist wahrscheinlich eine Nebenwirkung, weil sich dein Körper erst einmal an das Blue gewöhnen muss. Bekommt man halt Verfolgungswahn. Ab jetzt wirst du nur noch cooles Zeug erleben, dafür lohnt sich die Paranoia.«

Audrey antwortete nicht. Anscheinend hatte sie der Trip mehr mitgenommen, als er angenommen hatte. Harald überlegte, wie er sie wieder auf andere Gedanken bringen konnte. Schließlich meinte er unvermittelt:

»Woll’n wir noch n’bisschen Mero III zocken? Ich bin kurz vor dem Endboss, kann echt nicht mehr lange dauern. Danach könnten wir doch den Multiplayer ausprobieren«

Sie nickte. Während Harald sich daran machte, die nächste Zombiehorde zu plätten, ging sie zum einzigen Fenster der Wabe und öffnete es. Der Lärm der Straße drang zu ihr hinauf. Immerhin hatte ihre Wohnung den Luxus eines Fensters.

Unter ihr flog eine Drohne am Wohnblock vorbei. Sie projizierte ein Hologramm des New Hoper Bürgermeisters Desmond Giordano. Dazu ertönte eine Lautsprecherdurchsage mit der Stimme des Stadtoberhaupts, die auf schizophrene Weise zugleich sowohl vor der allgegenwärtigen Terrorgefahr warnte, als auch garantierte, dass kein Grund zur Besorgnis bestehe.

Audrey hörte die Stimme nicht. Stattdessen musste sie an die Worte des Mannes denken, den sie während ihres Rausches getroffen hatte: ›Trotz allem hattest du Glück: Du hast mich gefunden und darfst wieder gehen. Das können nicht alle von sich behaupten, die mich besucht haben.‹

Ihre Gedanken schweiften ab zu dem neuesten Mumienmord, der sich laut den Nachrichten am Vormittag ereignet hatte.

Böses Erwachen – eine Stadt sucht einen Mörder

The shitstorms are coming!

Graffiti, Künstler unbekannt

*

The shitstorms are coming! Die Warnung starrte Steiner von der Wand des versifften Aufzugs an, der ihn und sein Motorrad aus dem Wabenblock beförderte. Sie kam wieder einmal zu spät, denn ein Shitstorm der ganz besonderen Art wütete bereits in seinem Schädel. Er wusste nicht mehr, was er gestern Abend alles in sich hineingeschüttet hatte, aber den Schmerzen nach zu urteilen, mussten es sich Madame Ming und er ziemlich dreckig gegeben haben.

Wenigstens hatte er schon einen Kaffee intus – mitsamt dem obligatorischen Tablettenmix aus Aspirin, einer Antialkpille und seiner täglichen Anti-Aging-Dosis. Sich zu duschen war leider nicht drin gewesen, Madame Ming brauchte ihre tägliche Wasserration für sich selbst. Ein gewaschenes Gesicht und Deo unter den Achseln mussten gegen den Alkoholgestank vorerst ausreichen. Die einzige, die sich daran stören würde, wäre ohnehin Irina. Aber er war es gewohnt, mit ihren feindseligen Blicken zu leben. Die sollte sich nicht so aufführen, schließlich machte er den Job schon eine halbe Ewigkeit. Auch ihr Idealismus würde mit der Zeit verschleißen. Ein Gedanke, den Steiner als äußerst tröstend empfand.

Auf der Fahrt durch die belebten Straßen New Hopes, in denen er sich hauptsächlich gegen militante Radfahrer durchsetzen musste, machte er einen kurzen Halt an einem Bäckereiautomaten. Er wählte aus den vielen der vegetarisch belegten und in Diätmajo ertränkten Brötchen eines aus, um es während der Fahrt hinunterzuwürgen. Das entsprach zwar nicht den Verkehrsregeln, aber wer hielt sich schon daran? Außer Fußgängern und Passagieren der Metropolbahn waren die meisten Verkehrsteilnehmer schließlich Radfahrer. Und das waren die selbstgerechtesten Verkehrsfaschisten überhaupt, wenn es nach Steiner ging. Die fuhren ja mit dem Rad und taten damit der Natur und ihrer Gesundheit etwas Gutes. Da durften sie schon erwarten, dass die Welt ihnen applaudierte, wenn sie Fußgänger zur Seite drängten oder die Metropolbahn blockierten, weil sie dringend noch über die Schienen mussten. Damit musste man doch Einsehen haben.

Zusätzlich waren diese Lahmärsche seinem Motorrad im Weg. Nachdem der Kommissar wieder einmal von einem dieser Idioten geschnitten wurde, der ohne Handzeichen und Schulterblick in Steiners Fahrbahn eingebrochen war, stellte er seine Sirene an und drängte den Flachwichser zurück in seine Spur. Rücksichtlos heizte er an den eingeschüchterten Radfahrern vorbei, bis er endlich das Polizeihauptrevier der Undercity erreichte. Das Sirenengeheul war zwar Gift für seinen Schädel, aber der wummernde Schmerz, den es auslöste, war allemal besser, als sich dieses Verkehrshickhack weiterhin bieten zu lassen.

Irina Dvorac war eine Frau von beinahe zwei Metern Größe und kräftigem Körperbau, so der Typ Terminator. Ihr Gesicht war im Gegensatz dazu das Sinnbild von vollendeter weiblicher Schönheit. Ihre Reaktion auf sein nur mühsam kaschiertes Saufgelage des Vorabends war so vorhersehbar wie vernichtend:

»Süleyman, wenn du dich schon mit deinem kriminellen chinesischen Flittchen volllaufen lässt, dann sei wenigstens keine Pussy und komm am nächsten Tag pünktlich zur Arbeit. Und zieh keine solch mitleidserregende Fresse, das ist echt ekelerregend!«

»Eigentlich ist sie Franko-Kanadierin«, brummte Steiner in sich hinein »Ihr asiatisches Aussehen kommt von ihrem Großvater mütterlicherseits. Der kam aus Myanmar, als das Land noch so hieß …« Zumindest hatte sie ihm das erzählt. Was an den Geschichten dieser Frau stimmte und was nicht, konnte er nie so genau sagen. Die Wahrheit war ihm aber auch schlicht egal.

»Dann ist sie eben ein franko-kanadisches Flittchen mit burmesischen Wurzeln, tut das irgendwas zur Sache?«, fauchte sie gereizt.

Oh je, heute war sie aber so etwas von scheiße drauf. Irina hatte zu seinem Leidweisen ein sehr ausgeprägtes Temperament. Steiner fragte sich, ob das daher kam, dass sie aus einem der zahlreichen semiautonomen und autokratischen Staaten des Wahren Pakts für Europa (WPE) stammte, die alle in der Einflusssphäre des Russischen Imperiums lagen.

An seinem Schreibtisch angekommen, ließ er sich in seinen ergonomisch geschwungenen Sitz fallen. Während er sich mit seinem Smartpod ins Polizeinetz einloggte, fragte er seine Kollegin:

»Hat sich seit gestern irgendetwas Neues im Mordfall am Erasmus ergeben?«

Irina, mit der er sich ein Abteil des Großraumbüros teilte, das von über 20 Kommissaren und Kommissarinnen benutzt wurde, saß ihm gegenüber. Sie minimierte den Holodesktop auf ihrem Schreibtisch mit einer herabwischenden Handbewegung, um ihn besser zu sehen.

»Wir haben keine neuen Spuren am Tatort entdeckt, falls es das ist, was du meinst. Allerdings bin ich auf Unstimmigkeiten gestoßen, als ich mit unseren biometrischen Suchprogrammen die Kameraaufzeichnungen des Erasmus-von-Rotterdam-Platzes überprüft habe: Unser Verdächtiger ist auf keiner der Aufnahmen zu sehen. Auch sonst habe ich in unseren Datenbanken so gut wie nichts über ihn gefunden.« Sie sah ihrem Kollegen verschwörerisch in die Augen.

»Ist denn der gesamte Platz komplett mit Kameras abgedeckt?«, meinte Steiner abgelenkt, der seinerseits seinen Bildschirm zwischen ihnen erscheinen ließ und ihn soweit vergrößerte, sodass er Irina verdeckte. Mit gespielt konzentriertem Blick rief er die neuesten Informationen der Mordkommission AlbinoBlue auf.

»Nein, aber der Zugang zu den Toiletten ist bis auf wenige minutenlange Unterbrechungen dauernd abgedeckt. Entweder hat unser Zeuge dort mindestens zweieinhalb Stunden verbracht oder ich kann mir nicht erklären, wie er unbemerkt dort hineingekommen ist.«

»Häh?«, Steiner war plötzlich ganz Ohr.

»Ich sagte …«,

»Ja, ich habe dich gehört … Aber wie ist das möglich?«

»Das sollten wir unseren Zeugen vielleicht selber fragen. Oder besser gesagt: Du. Ich habe hier nämlich noch zu tun und du hast ihn schließlich schon einmal vernommen. Wenn auch ziemlich dilettantisch.«

›Besorg’s dir doch selber‹, fluchte er gedanklich und minimierte seinen Bildschirm. Sein Smartpod unterbrach die Verbindung zum Polizeinetzwerk. Steiner legte seinen mobilen Rechner wieder auf sein Armgelenk, wo sich dieser an der Haut des Kommissars festsaugte. Der Halt war so bombenfest wie bequem. Warum konnte nicht alles im Leben so einfach und durchdacht wie dieses Stück Technik sein? Steiner stand seufzend auf.

Die »Mumienmorde«, so hatten die Medien die Reihe mysteriöser Todesfälle getauft, die die Stadt seit Monaten in Atem hielten. Weil die Opfer keinen Tropfen Flüssigkeit mehr enthielten und so ausgetrocknet waren wie Mumien aus der Zeit der Pharaonen. Nachdem es nun schon über vierzig dokumentierte Fälle gab und die Ermittlungen nach wie vor nicht vom Fleck gekommen waren, war eine EF-Taskforce gebildet worden. Sie bestand aus führenden Kriminalexperten aller Verwaltungsbezirke der Europäischen Föderation sowie aus Beamten der Polizei von New Hope. Zum Chefermittler der Taskforce war Georgios Venizelos ernannt worden, eine wahre Polizeilegende. Er hatte innerhalb von Kriminalistenkreisen erstmals größere Bekanntheit erlangt, als er im EF-Distrikt Ost-Mediterranien eine Mordserie an den Managern eines chinesisch-europäischen Konsortiums aufgeklärt hatte, die alle von ihren heimischen Servicerobotern umgebracht worden waren. Als Täter stellte sich eine Gruppe von vollkommen verarmten Firmentechnikern heraus, die von ihrem Unternehmen um ihre Rentenansprüche gebracht worden waren.

Steiner gehörte zu seinem Leidwesen ebenfalls dieser Taskforce an. Das hatte er seiner Juniorpartnerin Irina zu verdanken. Mit viel Engagement (und dem fast schon ans Verbrecherische angrenzenden Einfordern von Gefallen) hatte sie ihr Ermittlerduo in die Mordkommission AlbinoBlue geboxt. Diese Frau konnte Berge bewegen, da war sich der Kommissar ganz sicher. Denn bei Steiners Ruf grenzte Irinas Erfolg schon fast an ein Wunder. Sie machte ihm manchmal etwas Angst. Irina wollte unbedingt Karriere machen – aber nicht um der Karriere willen, sondern weil sie wirklich etwas verändern wollte. Jetzt ermittelte er mit ihr zusammen im Fall der Mumienmorde. Leider.

Die Dunkelziffer der Todesfälle lag wahrscheinlich deutlich über den bisher bekannten Opferzahlen. Denn aus irgendeinem noch unbekannten Grund zerfielen die ausgetrockneten Leichen nach wenigen Minuten zu Staub. Sicherlich war anfangs nicht jeder auffällige Staubhaufen mit dem Verschwinden eines Menschen in Verbindung gebracht worden.

Steiners Kollegen gingen davon aus, dass ein Zusammenhang mit dieser neuen Droge namens AlbinoBlue bestand, die alle Opfer konsumiert hatten. Seit Monaten überschwemmte die Substanz die Straßen New Hopes. Steiner hatte einmal gewagt zu fragen, ob die Tode nicht einfach eine Folge der Droge selbst sein könnten, zum Beispiel als ungewöhnliches Ergebnis einer Überdosis. Seine Hoffnungen, dass dies keine Angelegenheit einer Mordkommission, sondern eine Sache des Drogendezernats sein könnte, zerschlugen sich jedoch schnell, als ihm Irina so effizient wie genervt die Fakten präsentierte:

Das AlbinoBlue war nicht tödlich, egal in welcher Dosierung. Das hatten alle Versuche an der neuesten Generation von Bio-Dummys gezeigt, die den menschlichen Organismus sogar in Echtzeit simulierten. Auch die Tests zu Wechselwirkungen mit anderen chemischen Elementen und Verbindungen hatten zu keinen nennenswerten Erkenntnissen geführt. Zwar bereitete die Formel des AlbinoBlues den Experten nach wie vor Kopfzerbrechen, da es sich dabei um ein völlig neuartiges und hochkomplexes Molekül handelte, dessen Struktur und Wirkungsweise selbst den hinzugezogenen Wissenschaftlern ein Rätsel war. Aber auch wenn die Experten der Polizei sich an AlbinoBlue die Zähne ausbissen, so sprach doch vieles für Mord. Denn bei allen Opfern hatten Forensiker vor dem Leichenzerfall eine kleine Einstichwunde an der Stirn entdeckt. Allerdings gab es nach wie vor keine einzige Videoaufnahme der vermuteten Morde, die von Argus‘ flächendeckender Überwachung aufgezeichnet worden wäre.

» … Es gibt also definitiv eine Verbindung zwischen den Toten und dem Blue. Wir wissen nur noch nicht, welche«, hatte Irina damals ihre Ausführungen beendet. Seitdem waren sie in ihren Nachforschungen keinen Schritt weiter gekommen. Selbst die Kollegen, die undercover im Drogenmilieu ermittelten, hatten nicht den Hauch einer Spur von den Hintermännern. Nur Websites, Spammails und Flyer, die das AlbinoBlue mal als bewusstseinserweiterndes Nonplusultra, mal als den heißesten Shit, den man unbedingt ausprobiert haben musste, anpriesen, fanden sie zuhauf.

In ihrer Ratlosigkeit hatte die New Hoper Polizei im Zusammenhang mit den Mumienmorden öffentlich vor dem Konsum von AlbinoBlue gewarnt. Die Medien stürzten sich begierig darauf: Der »Fluch des Pharao« war geboren. Die Droge, die dir den Trip deines Lebens verschafft – es sei denn du triffst den Pharao, der dich in eine Mumie verwandelt. Game over. Leider hatte die Polizeiwarnung für viele, die den Kick suchten, den Reiz erst erhöht. Seufzend stellte der Kommissar fest, dass er in einer Zeit der Ressourcenknappheit lebte: Da der Konsumgesellschaft die Güter ausgegangen waren, war das Sammeln von Erfahrungen als höchster Lebensinhalt geblieben. Synthetische Drogen florierten.

Steiner machte sich auf den Weg zu seinem Zeugen. Vielleicht war dieser Rivera ja tatsächlich der Pharao, der hinter all diesen Morden steckte. Steiner stieß ungewollt auf. Sein eigener vergammelter, nach Alkohol riechender Atem stieg ihm in die Nase,

›Memo an mich selbst: Ich muss mir unbedingt eine zweite Zahnbürste für Madame Ming oder die Arbeit zulegen. Mundwasser tut es vielleicht auch.‹

Beim Verlassen des Gebäudes machte Steiner an einem Snackautomaten halt. Eine Packung Kaugummi mit Minzgeschmack musste vorerst ausreichen.

*

Rivera lag nackt auf seinem Bett. Er starrte die Decke an. Aus dem Hintergrund hörte er den laustarken Protest des kanadischen Premierministers gegen die Annexion Kanadas durch die USA. Es war irgendeine Dokumentation auf History Facts – AllAlternativeChannel 5. Wenn dieser Junkie, den er sich eingefangen hatte, wenigstens die Lautstärke etwas drosseln würde … Er strich sich durch sein kurzes, schwarzes Haar und atmete mehrfach tief durch. Er atmete rein aus Gewohnheit, denn sein transhumaner Körper benötigte natürlich keinen Sauerstoff. Aber es wirkte entspannend, also tat er es trotzdem.

Eigentlich müsste er angewidert sein. Dennoch war er es nicht. Irgendwie ließen ihn die Ereignisse des gestrigen Abends erstaunlich kalt. Klar, er war mit einem Kerl in der Kiste gelandet, aber dieses sexuelle Experiment war letztendlich nichts weiter als eine neue Erfahrung gewesen, von der er noch nicht ganz wusste, wie er sie einordnen sollte. Das hatte ihn selbst etwas überrascht. Homophobe nahmen ihr Anliegen eindeutig zu wichtig.

Rational betrachtet war er, Rivera, ein Psychopath, darüber machte er sich keine Illusionen. Sein Gefühlsleben entsprach nicht dem des Durchschnitts. Er empfand nichts für seine Mitmenschen, genau genommen nahm er sie mehr als Dinge, denn als Lebewesen wahr. Die naheliegendste Erklärung für ihn war wohl die, dass er schon als Psychopath geboren worden war. Warum die Ärzte das damals trotz des amtlich vorgeschriebenen postnatalen Gehirnscanns nicht erkannt hatten, würde wohl für immer ein Rätsel bleiben. Vielleicht gab es tatsächlich keine neurologischen Ursachen, vielleicht hatte ihn irgendetwas so werden lassen. Irgendein furchtbares Erlebnis, an das er sich nicht mehr erinnerte. Dabei waren seine Eltern stets liebevoll zu ihm gewesen. Auch hatte er nie ein Trauma erlebt, zumindest keines, das seine jetzigen Neigungen rechtfertigen würde.

Warum auch immer er war, wie er war, er war ein begnadeter Serienkiller. Aber nicht irgendein gewöhnlicher Serienkiller, oh nein. Rivera verschränkte die Arme hinter seinem Kopf und grinste ein zufriedenes, selbstsicheres Haifischgrinsen. Im Gegensatz zum gemeinen Serienmörder, der ein spezielles Opferprofil bevorzugte, war Rivera geradezu universell: Für ihn war die gesamte Menschheit Beute. Selbst bei der Todesart ließ er sich nicht festlegen, das wäre eine absolut unnötige Einschränkung seiner Kreativität gewesen. So hatte er allen Spaß der Welt, während die Polizei unmöglich in der Lage war, seine einzelnen Morde miteinander in Beziehung zu setzen.

Wenn er so darüber nachdachte, dann war die Erklärung für seinen gestrigen Ausrutscher eigentlich recht einfach: Psychopathen liebten Macht. Er war ein Psychopath. Ergo liebte er Macht. Nach seiner Ohnmacht gegenüber diesem Kafkaliebhaber hatte er sich seine Macht zurückerobert, indem er ihn gefickt hatte. Dieser pseudopsychologische Ansatz überzeugte Rivera. Natürlich entsprach diese Denkweise einem überkommenen Männlichkeitsbild, wie er aus dem Sozialkundeunterricht wusste. Damals, als ihn sein Lehrer in der Schule über den Unterschied zwischen den Kategorien Gender und Sex aufgeklärt hatte. Rivera hatte das nie ernst genommen.

›Bin ich wirklich so einfach gestrickt?‹ Sein Grinsen wich einem nachdenklichen Blick. Er sah zu dem jungen Mann hinüber, der seinen nackten ausgemergelten Körper in eine Decke gehüllt hatte und auf dem Boden saß, von wo aus er den Wandbildschirm anstarrte.

›Vor allem, was mache jetzt mit ihm?‹ Rivera hatte nicht das Gefühl, dass ihn jetzt noch irgendetwas davon abhielt, diesen Typen zu killen. Da sein synthetischer Körper keine DNA-Spuren hinterließ und er die Kameras vor seiner Wohnung manipuliert hatte, würden wie immer keine Rückschlüsse auf ihn möglich sein. Doch sollte er ihn wirklich hier töten?

Einen Mord in einer auf ihn registrierten Wabe hatte Rivera noch nie begangen. Privates und Vergnügen hatte er bisher immer getrennt gehalten. Es gab also noch keinen Präzedenzfall, an dem er sich orientieren konnte. Er drehte sich zur Seite und ging die ganze Angelegenheit sachlich in Gedanken durch.

Die Sauerei könnte er auf die Küche oder das Bad beschränken, da wäre es einfach sauberzumachen. Der Abtransport der Leiche wäre da schon eher das Problem. Wenn er mit einem großen Sack auf dem Rücken durch New Hope laufen würde, wäre das wahrscheinlich ein wenig zu auffällig. In seiner Not müsste er den Junkie womöglich zerkleinern und ihn über mehrere Tage hinweg in der Stadt verteilen. Das Zerkleinern würde er wohl am besten in der Duschkabine erledigen, die Körperteile dann in Ökoplastik abpacken und vorerst im Tiefkühlfach seines Kühlschrankes lagern. Doch das Fach war kaum groß genug, um den gesamten Junkie aufzunehmen.

Rivera erhob sich, begab sich in die Küchenecke seiner Wohnwabe und öffnete seinen Kühlschrank. Er warf noch einmal einen Blick auf Rien. Nein, das Tiefkühlfach reichte definitiv nicht aus. Den Rest müsste er wohl im Kühlschrank lagern und schnellstmöglich paketweise entsorgen, wenn er verhindern wollte, in seiner Wohnung am Leichengestank zu ersticken. Wobei er die Geruchssensoren seines Körpers nach unten regulieren könnte, das Problem wäre nicht sein eigenes Befinden. Die Gefahr läge vielmehr in der Entdeckung durch die Nachbarn, denen der bestialische Gestank vermodernden Fleisches auffallen würde. Was für ein Stress! Warum musste das nur so kompliziert sein, dabei wollte er doch nur dieses bedeutungslose Mitglied der Gesellschaft loswerden, um den sich wirklich niemand scherte … Ach, hätte er es doch in dem Augenblick getan, in dem er ihm begegnet war, dann hätte er nun kein Entsorgungsproblem. Aber da Rien nun einmal hier war …

Forschend öffnete Rivera die Schublade mit dem Besteck. Die Messer durchtrennten problemlos Fleisch, kämen aber ganz sicher nicht durch die Knochen. Nun, die konnte er mit seinen modifizierten Händen durchbrechen. Recyclingsäcke? Hatte er zum Glück erst vor kurzem wieder vom städtischen Service Center geholt. Zielstrebig steuerte er auf sein Opfer zu.

» …wodurch Großbritannien auf den Stand einer amerikanischen Kolonie herabsank. Doch die Annexion sollte nicht von Dauer sein: Die Einführung des flächendeckenden Waffenrechts für alle führte zu heftigen Widerständen seitens der britischen Bevölkerung und löste eine Welle antiamerikanischer Proteste aus, die in mehreren Anschlägen gipfelten, die den britischen Unabhängigkeitskrieg auslösten …«

Rivera ignorierte die Dokumentation. Mit einem unbarmherzigen Griff packte er Rien an den Haaren und zerrte ihn ins Bad, wo er dessen Kopf an der Kante des Duschkabinenrandes zertrümmerte. Riens Körper erschlaffte schon beim zweiten Aufprall. Es war für Rivera ein leichtes, den Körper in die Kabine zu hieven. Ganz offensichtlich war der junge Mann nur kurz bewusstlos gewesen, denn als Rivera begann, ihn in Scheiben zu schneiden, versuchte er sich zu wehren. Mit einem Schlag brach er ihm den Unterkiefer, um das einsetzende Geschrei zu unterdrücken. Entsetzen starrte Rivera aus dem zermanschten Gesicht entgegen. Oh ja, das tat so gut. Belebender als jeder Orgasmus.

Gerade kugelte er Riens Arm aus, als ihn ein Klingeln an seiner Haustür aus seinen Tagträumen riss.

Sofort schaltete Rivera in seinem Kopf auf die Kamera, die über seiner Wabentüre angebracht war. Es war dieser Bulle, der ihn gestern verhört hatte. Mist, den konnte er nicht warten lassen. Gereizt blickte Rivera zu Rien, der immer noch seelenruhig und unversehrt auf den wandfüllenden Holobildschirm starrte.

»Versteck dich und bleib ruhig!«, schnauzte er ihn an »Lass ja das Licht aus, ich will nicht, dass man den Abzug hört!« fuhr er Rien an, als er ihn ins Bad zerrte und die Tür hinter ihm zuschlug. Der Polizist sollte ihn ganz sicher nicht mit der Person zusammen sehen, deren Teile entsetzte Passanten in den nächsten Wochen aus Recyclingeimern in ganz New Hope fischen würden.

Ein weiteres Klingeln trieb Rivera zur Eile an. Hastig versuchte er Ordnung in seine Wabe zu bringen, denn von der Tür aus war beinahe die gesamte in schlichtem Bauhausstil gehaltene Wohnung zu überblicken. Nichts sollte auf Rien hindeuten. Schnell warf er ihre vom Vorabend herumliegenden Klamotten unter das Bett, ehe er sich aus seinem Wandschrank eine schwarze Boxershorts und ein weißes T-Shirt angelte, die er beide sofort überzog. Es klingelte schon zum dritten Mal. Er hätte gerne im Spiegel überprüft, ob er genauso leger aussah, wie er sich das vorstellte, aber da der Spiegel im Bad hing, verließ er sich auf seine natürliche Ausstrahlung, versprühte noch Deo gegen den Männergeruch, und warf die Dose hektisch zu den Klamotten unter dem Bett. Kurz bevor er die Tür öffnete, streifte er sich noch eine Jeans über.

»Oh, Sie sind es, Herr Kommissar«, spielte er den Überraschten, als er die Türe öffnete »Es tut mir leid, dass Sie so lange warten mussten. Womit kann ich Ihnen weiterhelfen? Hat sich der Verdacht gegen mich erhärtet, oder besuchen Sie mich nur zum Vergnügen?«

Rivera merkte dem Kommissar an, wie sehr diesen seine aufgesetzte Freundlichkeit abstieß. Das amüsierte ihn und tröstete ihn immerhin für den Moment darüber hinweg, die geplante Zerstückelung noch ein wenig aufzuschieben.

»Darf ich eintreten?«

»Wenn Sie so direkt fragen, dann möchte ich Ihnen genauso direkt antworten: Nein.« Er wollte wirklich nicht, dass der Bulle seine Wabe betrat. So wie er diesen Rien einschätzte, würde es nicht lange dauern, bis der sich auf die eine oder andere Weise bemerkbar machte. Wahrscheinlich rutschte der Junkie im Bad aus, schlug sich als Folge dessen vollkommen von allein den Kopf auf und er, Rivera, wäre schon wieder der Verdächtige in einem Todesfall, den er nicht verschuldet hatte.

»Sie wissen, dass es sich dabei um eine rhetorische Frage handelt. Durch die Antiterrorgesetzgebung ist es der Polizei auch ohne Durchsuchungsbefehl erlaubt, fremde Wohnungen zu betreten«, entgegnete ihm der Beamte im Trenchcoat trocken. Sein künstliches, tief dunkelgrünes Auge funkelte Rivera bösartig an.

»Aber das können Sie nur, sofern Terrorverdacht besteht.«

»Es liegt vollkommen in meinem Ermessenspielraum, ob ich einen terroristischen Hintergrund vermute, unabhängig davon, ob sich dieser Verdacht im Nachhinein als gerechtfertigt herausstellt. Wenn Sie mir in diesem Fall Widerstand leisten, dann kann ich sie ohne weiteres festnehmen.

Also, darf ich reinkommen oder muss ich Sie erst als Terrorist verdächtigen?«

Gut gespielt. Unter anderen Umständen würde der Kommissar so etwas wohl nicht machen, aber jetzt kam die Retourkutsche für gestern.

»Es ist mir unangenehm, Sie sehen ja an meinem Casual Look, dass ich nicht auf Besuch vorbereitet bin. Meine Wohnung ist daher nicht gerade das, was man ordentlich nennen würde.«

»Damit habe ich kein Problem.«

»Dann treten sie ein«, entgegnete ihm Rivera mit einem scheinbar überlegenen Lächeln, von dem er wusste, dass es diesen Steiner ärgern musste »Kann ich Ihnen einen Kaffee anbieten? Oder Tee?« Er bekam keine Antwort.

»Ich hatte mir Ihre Wohnung größer vorgestellt. Auch die Wohngegend überrascht mich. Was arbeiten Sie denn?«, meinte der Polizist, als er die Wabe betreten hatte und die Türe hinter sich schloss. Rivera fragte sich, warum ihn der Beamte das fragte. Hatte der Kommissar ihn denn nicht überprüft? Was für ein lausiger Polizist …

»Sie meinen, weil mein Körper sehr kostspielig gewesen sein muss? Mit nahezu unbezahlbarer Nanotechnologie und allen Extras im High-End-Bereich ausgestattet? Ich bin Privatier und lebe von dem Vermögen, das mir meine Eltern hinterlassen haben. Hier wohne ich übrigens nur während der Frühlings- und Sommermonate«, der letzte Satz klang blasiert, sollte auch so klingen und war blanker Unsinn.

»Sie leben hier alleine?«

Rivera wollte gerade verneinen, doch dann hielt er inne: Um ein Haar hätte ihn der Polizist erwischt. Wahrscheinlich konnte der Kommissar mit seinem Augenimplantat durch Wände sehen. Sein Zögern überspielte Rivera dadurch, dass er in der Küche die Kaffeemaschine neu befüllte und aktivierte. Möglicherweise hatte der Polizeibeamte beobachtet, wie er seinen Gast ins Bad gezerrt hatte. Glück gehabt! Hätte der Kommissar nur zehn Sekunden später geklingelt – es wäre wirklich schwierig geworden, eine mit dem Gesetz im Einklang stehende Erklärung dafür zu finden, warum er gerade Riens Schädel zertrümmert hatte.

»Die Wohnung ist auf mich angemeldet, aber es kann passieren, dass ich hin und wieder Gäste im Haus habe.«

»Haben Sie momentan Gäste?«

»Sie meinen welche, die ich einem unerwarteten Besuch vorstellen möchte?«

Seinen Gesprächspartner hatte Rivera damit überrumpelt. Er beschloss, dem Kommissar den Wind aus den Segeln zu nehmen:

»Ich bin bi«, log er »Aber ich will nicht, dass das bekannt wird. Meine Kontakte zu Männern behandele ich lieber diskret. Da bin ich etwas konservativ. Jetzt kennen Sie auch den tatsächlichen Grund, warum ich sie nicht in meiner Wohnung haben wollte«, fügte er mit einem guten Schuss Pathos hinzu.

Es war offensichtlich, dass der Kommissar unzufrieden mit seiner Antwort war, da er wohl gehofft hatte, ihn in diesem Punkt ins Schwitzen zu bringen oder ihn zumindest in einen Widerspruch zu verwickeln.

»Kann ich Ihren Besuch sehen?«, meinte Steiner mürrisch.

Das war keine rhetorische Frage, das war Rivera klar.

»Wollen Sie auch einen Kaffee?«, versuchte er vom Thema abzulenken, während er sich selbst eine Tasse einschenkte. Genießerisch roch er daran, ehe er einen Schluck daraus nahm. Bei Riveras hervorragenden Aussehen und seinem schauspielerischen Talent hätte er es mit den besten Werbemodels aufgenommen.

»Ich bin nicht hier, um mit Ihnen Kaffee zu trinken. Das Gespräch wird ab dem jetzigen Zeitpunkt übrigens aufgezeichnet«, entgegnete der Kommissar. Ohne weitere Erklärung legte er seinen Smartpod auf den Küchentisch:

»›Beweisaufnahme: Start.‹

Herr Ben Rivera, meine Kollegen und ich sind die Aufzeichnungen der Überwachungskameras am Erasmus-von-Rotterdam-Platz durchgegangen und haben dabei festgestellt, dass Sie in keiner einzigen Einstellung zu sehen sind.«

»Und?«

»Nach unserem bisherigen Wissensstand hätten Sie sich mindestens zweieinhalb Stunden in der Toilette aufhalten müssen, ohne von einer einzigen Kamera auf dem Platz gesehen zu werden. Ziemlich viel Zeit, wenn man bedenkt, dass Sie es ohnehin nicht nötig haben, eine öffentliche Toilette aufzusuchen. Dealen Sie mit Drogen?«

Rivera grinste sein höflichstes Raubtiergrinsen, während er zuckersüß entgegnete:

»Nein, das habe ich nicht nötig. Überprüfen Sie ruhig meine Finanzen, falls Sie mir nicht glauben. Gerne auch mit Verdacht auf terroristischen Hintergrund, sofern Ihnen das den Zugriff auf meine Konten erleichtert. Ansonsten können Sie mich und meine Wohnung jederzeit durchsuchen, Drogen werden Sie keine finden.

Aber um zu Ihrem anderen Punkt zu kommen, dass ich mich zweieinhalb Stunden in der öffentlichen Toilette aufgehalten haben soll … Das kann schlicht nicht sein. Befragen Sie ruhig die anderen Personen, die in diesem Zeitraum dieselbe Örtlichkeit aufgesucht haben. Dank Ihrer Kameras dürfte es nicht schwierig werden, die dafür in Betracht kommenden Zeugen zu identifizieren. Mit meinem weißen Anzug hätten sie mich nur schwer übersehen. Falls Sie und Ihre Kollegen es nicht von sich aus tun sollten, dann werden es meine Anwälte in die Wege leiten, keine Sorge. Ich weiß, dass ich mich damit entlaste.

Aber haben Sie vielleicht einmal in Betracht gezogen, dass Sie die Aufzeichnungen von Argus vielleicht nicht sorgfältig genug durchgegangen sind?«

Er hatte beim Kommissar einen Nerv getroffen. Natürlich wusste Rivera nicht, dass sich Steiner fragte, ob Irina nicht doch ein Fehler unterlaufen sein könnte, der ihn nun in eine peinliche Situation brachte. Doch Rivera, der große Manipulator, erkannte am kurzen Zögern des Kommissars die Schwäche seines Gegners. Nachdem er Steiner schon am laufenden Band vorgeführt hatte, war dies die Chance, eine Verbrüderung vorzutäuschen.

»Sie wollen wirklich keinen Kaffee? Dieser Kaffee ist echt, kein fades, mit Geschmacksstoffen vollgestopftes Ersatzprodukt, so wie Sie es sonst überall erhalten. Kommen Sie, nehmen Sie auch einen«, und er befüllte eine zweite Tasse, die er liebenswürdig dem Polizisten reichte »Der wird Sie wieder auf Trab bringen. Sie sehen schon so müde aus, seitdem ich Sie an der Türe gesehen habe. Ich akzeptiere kein Nein als Antwort.«

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Litres'teki yayın tarihi:
25 mayıs 2021
Hacim:
310 s.
ISBN:
9783957771421
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