Kitabı oku: «Vom Kriminellen zum Kriminalisten», sayfa 2

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II

Boxen: Start in ein neues Leben · Matrose in Kühlungsborn · Grundausbildung · Boxer statt Matrose · Versetzung nach Wolgast

In Mittweida gab es eine Boxmannschaft. Einen der Boxer kannte ich näher. Als er mir erzählte, dass nach jedem Kampf im Schützenhaus in Mittweida für die Heim- und Gästemannschaft ein gemeinsames Pferdegulaschessen stattfindet, meldete ich mich beim Boxtrainer. Nun hatte ich etwas gefunden, das mir gefiel. Der Eintritt in die Welt des Boxsports sollte einige Jahre später wichtige Entscheidungen in meinem Leben bewirken. Der Trainer arbeitete mit mir individuell. Schon wenige Wochen nach Beginn meines Trainings durfte ich meinen ersten öffentlichen Kampf in Geringswalde als Fliegengewichtler bestreiten. Ich hatte einundfünfzig Kilogramm Kampfgewicht.

Im September 1949 war mit der Schule endgültig für mich Schluss. In Erlau, unweit von Mittweida, begann ich eine Lehre als Graugussformer. Die Stelle in der Eisengießerei und Maschinenfabrik Erlau hatte mir ein ehemaliges Mitglied unserer Gang vermittelt. Lange sollte ich dort nicht bleiben.

Vater hatte in den Buna-Werken Fuß gefasst und konnte gute Arbeitsleistungen vorweisen. Man wollte ihn als Arbeiter behalten. Daher bekam er das Angebot, eine Zweieinhalbzimmerwohnung in Merseburg, etwa sechs Kilometer von Schkopau entfernt, beziehen zu können. Natürlich mit seiner Familie.

Zur Jahreswende 1950/51 holte uns der Vater nach Merseburg. Graugussformer konnte ich dort nicht weiterlernen. Stattdessen fand ich Platz in der kleinen Abteilung Buntmetallgießerei der Buna-Werke. Doch auch damit hatte ich kein Glück. Nach nur sechs Monaten wurde dieser Betriebsteil stillgelegt. Man schob mich in eine Stahlgießerei in Frankleben, Kreis Merseburg. Wenig später, im September 1951, endete auch dort mein »Gießerei-Kapitel«.

Nach meinem Umzug nach Merseburg habe ich sofort Kontakt zur Boxmannschaft »Stahl Merseburg« aufgenommen. Die Aufnahme als Mitglied war reine Formsache. Als unsere Boxstaffel die Buna-Werke als Sponsor bekam, reisten wir zu Kämpfen quer durch die DDR. Einmal hatten wir Gäste »aus dem Westen«. Die Boxstaffel aus Essel-Recklinghausen trat gegen uns an. Mein Gegner hieß Auth. Wir führten einen harten Kampf, der mit einem Unentschieden endete. Zur damaligen Zeit war es noch üblich, Vergleichskämpfe mit westdeutschen Mannschaften durchzuführen.

Ende November 1952, draußen war es frostig, trat mein Boxerfreund Rudi in einer Pause an mich heran und flüsterte mir ins Ohr, dass er Merseburg verlassen wolle. Die Marine in Kühlungsborn werbe Mitglieder, und er werde bald dorthin gehen, um Matrose zu werden. Darüber hatte er bisher kein Wort verloren. Vielleicht hatte ihm unser Aufenthalt an der Ostsee während eines Trainingslagers so gut gefallen. Wir hatten 1951 mehrere Boxveranstaltungen an den Küstenorten durchgeführt, unter anderem in Kühlungsborn.

Rudis Idee ließ auch mir jetzt keine Ruhe mehr. Aufs Meer hinausfahren, Matrose sein, Seeluft schnuppern … »Was muss ich machen, damit wir zusammen zur Marine kommen?«, fragte ich ihn unverhohlen und hatte im Stillen schon einen Entschluss gefasst.

»Du musst dich beim Wehrkreiskommando melden, in Merseburg. Die warten dort nur auf Freiwillige wie dich!« – Gleich in den nächsten Tagen setzte ich meinen Entschluss um und bewarb mich an besagter Stelle. Ohne weitere Fragen nahm man meine Bewerbung an. Dass schon an dieser Stelle ein bürokratischer Fehler begangen wurde, sollte ich zu Beginn des neuen Jahres zu spüren bekommen.

Am 2. Januar 1953 fuhren wir Freiwilligen mit der Eisenbahn zuerst nach Rostock und danach mit der Kleinbahn nach Kühlungsborn. Mein Reisegepäck bestand lediglich aus meinem Boxkoffer, in dem ein wenig Wechselkleidung verstaut war. In Kühlungsborn-West angekommen, wurden wir in neu errichtete massive Baracken einquartiert. Diese standen nur wenige Meter vom Strand entfernt. Die Dienststellenleitung Volkspolizei-See (VP-See) war in einem Klinkerbau untergebracht. Vor diesem befand sich ein Appellplatz, daran schloss sich ein großer Speisesaal an. Diese Gebäude waren schon in der Nazizeit als Bestandteil militärischer Ausbildung errichtet worden.

Von Rudi wurde ich gleich nach unserer Ankunft getrennt. Er kam in einen anderen Ausbildungszug. Ein Zug bestand aus dreißig Mann. Damals war es noch üblich, dass alle Männer eines Zuges in einem Schlafsaal, der mit Doppelstockbetten ausgestattet war, untergebracht wurden. In einem zweiten Raum befand sich eine Vielzahl von Schränken. Jedem Matrosen stand eine Schrankhälfte zu.

Kurz nach unserer Ankunft hatte man unsere Personalien aufgenommen. Später stand uns die Einkleidung bevor. Dazu begaben wir uns zugweise in den Warteraum, wo wir einzeln aufgerufen wurden. Der Warteraum leerte sich. Matrose um Matrose verschwand und kehrte mit einem prall gefüllten Seesack zurück. Nur ich blieb sitzen. Ich wartete. Nachdem auch der neunundzwanzigste Auszubildende mit seinem Seesack an mir vorbei ins Quartier gegangen war, erwartete ich nun endlich meine Matrosenkleidung. Doch statt zur Einkleidung wurde ich zum Kompaniechef gerufen. Der Mann, ein »Omar-Sharif-Typ«, sah mich streng an. Kaum dass ich eingetreten war. In einem klaren Hochdeutsch und frei von jedem Ostseedialekt erklärte er mir, dass ich wieder nach Hause fahren müsse. »Schwarz, schon in Merseburg hat man einen Fehler gemacht! Man hätte Sie nicht als Freiwilligen für die Marine erfassen dürfen. Es hat wohl keiner gemerkt, dass Sie noch nicht volljährig sind. Sie sind am 1. April 1935 geboren und somit erst siebzehn dreiviertel Jahre alt. Vor Vollendung des achtzehnten Lebensjahrs dürfen wir Sie nicht einstellen.«

Ich war schon zu dieser Zeit niemand, der sich von einem gefassten Entschluss leicht abbringen ließ. Ich muss den Kompaniechef davon überzeugt haben, dass ich nie und nimmer nach Merseburg zurückfahren würde. Jedenfalls lenkte er ein: »Schwarz, eine Möglichkeit sehe ich noch. Wenn Ihre Eltern einverstanden sind, dass Sie als Minderjähriger eingestellt werden, dann ist dieses Problem gelöst. Ihre Eltern müssten dazu beim Wehrkreiskommando in Merseburg eine entsprechende Unterschrift leisten.«

Mir wurde flau im Magen, denn ich dachte daran, dass meine Mutter ganz und gar nicht mit meinem neuen Lebensweg einverstanden gewesen war. Würde sie gegen ihre Überzeugung einen solchen Antrag unterschreiben?

Ich weiß nicht, was Vater und Mutter in den folgenden Tagen miteinander ausdiskutierten. Ich weiß nur, dass die entsprechende Unterschrift an meinen Kompaniechef geschickt wurde. Kurz darauf bekam auch ich meine Matrosenkleidung. Damit war ich am 13. Januar 1953 in den Marinedienst übernommen.

Es folgte eine dreimonatige Grundausbildung. Der Leiter war ein alter Obermaat, der, so wurde gemunkelt, schon unter Adolf Hitler in der Kriegsmarine die jungen Matrosen ausgebildet hatte. Die Art, wie er mit uns Freiwilligen gleich in der ersten Woche umging, verschärfte diesen Verdacht.

Der Januar dieses Jahres war an der Küste Kühlungsborns eiskalt. Auf gefrorenem Sandstrand ließ er uns robben, in Bauchlage Drehungen auf dem Koppelschloss nach links und rechts vollführen, in Richtung Ufer Intervalle im Laufschritt absolvieren, niederwerfen, aufspringen … Vorwärts, vorwärts!

Ein Mitauszubildender war wie ich Boxsportler: Horst aus Könnern. Er rannte am schnellsten zum Ufer und war daher bereits im eiskalten Wasser, als das Kommando »Halt!« ertönte. Befehlsgemäß warf er sich nieder – ins eiskalte Wasser der Ostsee. Im Flachwasser wieder aufgestanden, drehte er sich zum am Ufer stehenden Obermaat um und schrie: »Wir sind doch keine Viecher!«

Um zweiundzwanzig Uhr war Nachtruhe befohlen. Mehrfach erschien der Obermaat danach mit einer Taschenlampe im Schlafsaal. Willkürlich suchte er diesen oder jenen Matrosen aus und befahl: »Strecken Sie Ihre Flossen raus! Vom Füßewaschen halten Sie wohl nicht viel! Ab in den Waschraum!«

Fehlerhaftes Bettenmachen und nicht nach Vorschrift abgelegte Kleidung im Schrankteil wurden sehr gemein sanktioniert. In solchen Fällen hatte er feinen Dünensand dabei und rieselte ihn zwischen die Kleidung. Anschließend legte er eine knapp gehaltene Frist fest, bis wann der komplette Sand aus dem Schrank entfernt sein musste.

Zum ersten Teil der Grundausbildung gehörte es, das synchrone Marschieren zu lernen. Zudem wurde uns die Handhabung eines sowjetischen Karabiners 100 (K100) mit aufgepflanztem Bajonett vermittelt und Übungsschießen mit dieser Waffe ausgeführt. Selbstverständlich wurde auch unsere politische Ausrichtung gedrillt. Im Führungsstab unserer Dienststelle waren hohe sowjetische Offiziere als Berater tätig. Aus Anlass des Todes des großen sowjetischen Führers Josef Stalin am 5. März fand ein großer Appell statt.

Ende April 1953 wurde unser Zug zusammen mit drei weiteren als Wachkompanie zum Schutz unserer Dienststelle eingesetzt. In der Nacht vom 17. auf den 18. Juni 1953 gab es Großalarm. Feldmarschmäßig ausgerüstet mit dem K100 und scharfer Munition harrten wir zwei bis drei Tage in der Dienststelle aus, ohne einen Befehl für einen Einsatz zu bekommen. Nach dem 17. Juni wurden zwei hochrangige Offiziere sowie unser verhasster Obermaat nicht mehr in unserer Dienststelle gesehen. Es kursierten Gerüchte von Fahnenflucht beziehungsweise Verlassen der DDR in Richtung BRD.

Ende Juni 1953 sollten wir, wie in der Grundausbildung versprochen, nach Peenemünde versetzt werden. Wir sollten unseren ersten Einsatz auf Minensuch- sowie Räumbooten der ehemaligen Kriegsmarine leisten. Nicht mit einem Schiff, sondern per Lkw brachte man uns nach Peenemünde. Es war spätabends, als wir dort ankamen. Auf dem dortigen Appellplatz begrüßte uns der Dienststellenleiter mit den Worten: »Guten Abend, Wachkompanie!« Ich glaubte, meinen Ohren nicht zu trauen. Wachkompanie? Schon wieder Wache schieben? Ich wollte an Bord gehen, zur See fahren. Mit Wache hatte ich nichts am Hut. Aber im Militär gilt es, Befehle zu befolgen.

Nach etwa vier Wochen Wachdienst, wir hatten gerade Politikunterricht, betrat ein Oberleutnant zur See den Schulungsraum. Nach einem kurzen Gespräch mit dem Lehrer wandte er sich an uns. Er stellte sich als leitender Sportoffizier der Dienststelle vor und bat uns, aufzuschreiben, ob wir im zivilen Leben Sport getrieben hätten. Nach Dienstschluss schrieb ich auf, dass ich bereits in Mittweida mit dem Boxen begonnen hatte und in Merseburg in der Betriebssportgemeinschaft (BSG) der Buna-Werke geboxt hatte.

Einige Tage später wurde ich zum Sportoffizier gerufen. Ich hatte ein gutes Bauchgefühl. Schwarz, dachte ich mir, hast du schon wieder großes Glück? In seinem Büro empfing mich der Oberleutnant zur See. Er war ein Frauentyp mit sportlicher Figur, mittelgroß und hatte braunes, welliges Haar. Er steckte in einer Uniform, die für ihn maßgeschneidert zu sein schien. Der Oberleutnant war ungefähr vierzig Jahre alt, verheiratet und stammte aus dem Raum Dresden. »Matrose Schwarz«, sagte er, »nach Durchsicht der aufgezeichneten sportlichen Aktivitäten habe ich mich entschlossen, Sie als meinen Stellvertreter einzusetzen. Sind Sie damit einverstanden?« Was für eine Frage! Mit erhöhtem Puls sagte ich auf der Stelle zu.

Sodann zählte er mir ausführlich meine zukünftigen Aufgaben auf: Ab sofort war ich alleinverantwortlich für den Dienstsport der im Hafen liegenden fahrenden Einheiten und auch der an Land befindlichen Männer. Durchführungsort und Dienstsitz war eine große, neu errichtete Sporthalle mit vielseitigen Sportgeräten. Als ich die Halle besichtigte, stellte ich zu meiner Überraschung fest, dass auch alle Hilfsmittel für Boxtrainings vorhanden waren. Es gab einen ledernen Sandsack, einen Punchingball, Boxhandschuhe, Ballhandschuhe sowie Springseile.

In meiner Freizeit konnte ich nun trainieren wie einst zu Hause. Ich war froh über diese Wendung und erfüllte alle Aufgaben zur vollen Zufriedenheit.

Wenn wir Landgang bekamen, suchten wir Tanz­lokale auf, die es in Peenemünde nicht gab. Das war nicht einfach, denn ab Karlshagen mussten wir mit dem Zug nach Zinnowitz fahren. Ab Karlshagen war in Richtung Peenemünde militärisches Sperrgebiet. Direkt neben einer der Gaststätten befand sich in einer Bretterbude der Straßenkontrollpunkt zum Peenemünder Hafen und zum Flugplatz, der von sowjetischer Seite unterhalten wurde. Wer Wachestehen musste, saß praktisch Tür an Tür mit diesem Kon­trollpunkt. Auch ich habe diesen Dienst mit weiteren Matrosen oftmals verrichtet. Bei diesen Begegnungen musste ich immer an Stjopa denken. Eigenartigerweise wussten die so­wjetischen Wachsoldaten immer eher als wir, wenn in Peenemünde zum Beispiel der Chef der Volkspolizei-See, Vizeadmiral Waldemar Verner, einflog. Mitteilung eines Soldaten: »Sülfried, morgen kommen dein Votzen­admiral.« Das Gelächter war natürlich riesengroß.

Ende August 1953 wurden Boxmeisterschaften ausgeschrieben. Mit Erlaubnis meines Chefs habe ich daraufhin sehr intensiv die Boxgeräte bearbeitet und Dauerläufe von Peenemünde nach Karlshagen absolviert. Ich kam im Weltergewicht (sechsundsechzig Kilogramm) bis in den Endkampf und erhielt trotz einer Punktniederlage die Berechtigung, Mitglied der Boxstaffel der Sportvereinigung »Vorwärts Kühlungsborn« zu werden. Wochen später war für mich in Peenemünde Dienstschluss. Kühlungsborn, der Ort der Grundausbildung, hatte mich wieder.

Rudi, mein Freund aus Merseburg, und Horst, der Ostseeschwimmer, gehörten hier auch zu meiner Mannschaft, denn alle drei wollten wir weiter boxen. Unser Trainer hieß Hermann Lange. Er kam aus Magdeburg-Sudenburg. Wir bezogen nun ein Dreibettzimmer in dem Klinkerbau auf dem Dienstkomplex. Als Boxsportler bekamen wir eine Sonderverpflegung und trainierten jeden Tag.

Neben unserem Trainer war Oberleutnant zur See Hacker für unsere weitere militärische Ausbildung zuständig. Von nun an fanden die Wettkämpfe regelmäßig statt. Wir hatten Gäste aus Aschersleben, Pößneck, Rudolstadt, gegen die wir antraten. Auch eine Mannschaft aus der Deutschen Hochschule für Körperkultur (DHfK) Leipzig trat gegen uns an. Austragungsorte waren der Konzertgarten in Kühlungsborn-Ost und das Erholungsheim des Freien Deutschen Gewerkschaftsbunds (FDGB) »Jochen Weigert«.

Im Frühjahr 1955 bekamen wir einen neuen Trainer: Siegfried K. Inzwischen waren wir nach Parow umgezogen. Siegfried K. war Absolvent der DHfK und wurde Angehöriger der Volkspolizei-See. Als solcher war er nicht Zivilangestellter wie Hermann Lange, sondern wurde als Offizier eingestellt. »Neue Besen kehren gut.« Unter diesem Motto führte er neue Trainingsmethoden ein. Zu diesen sowie zu seiner Person fand ich keinen Draht. Ich versuchte es eine Zeitlang. Dann gab ich es auf und beendete meine Boxerlaufbahn im Mai 1955.

Wenige Tage später packte ich meinen Seesack und erhielt Order, mich in Wolgast in einem großen Versorgungslager in der Kaderabteilung zu melden. Denn laut meinem Dienstvertrag war ich bis zum 3. November 1955 Angehöriger der Volkspolizei-See.

Meine Versetzung nach Wolgast war durch eine Namensgleichheit zustande gekommen. Der leitende Kaderoffizier begrüßte mich freudig mit den Worten: »Willkommen, Textilingenieur Schwarz!«

»Tut mir leid, ich bin kein Textilingenieur, sondern Boxer und Maat der Volkspolizei-See«, musste ich eingestehen.

Irgendwo zwischen der Hauptabteilung in Berlin und Wolgast hatte eine Namensverwechslung stattgefunden. Doch nun war ich einmal vor Ort und sollte auch zum Einsatz kommen. Zunächst wurde ich zu Büroarbeiten in der Kaderabteilung für Zivilangestellte herangezogen.

Wenige Wochen später kam der erneute Versetzungsbefehl. Dieses Mal sollte ich in Saßnitz-Dwasieden Zugführer für künftige Offiziere in der Grundausbildung werden. Meine eigene Grundausbildung hatte ich vor mehr als zwei Jahren absolviert. Den aktuellen Stand der Ausbildung kannte ich nicht. Ich lehnte ab.

Schon einen Tag später wurde ich vom Kaderoffizier zum »Offizier für die Küche« berufen. Meine Aufgabe bestand darin, von allen in der Küche zubereiteten Speisen Essensproben zu aservieren. Das hieß, von allen zubereiteten Speisen der Küche unserer Dienststelle Proben zu sichern, um nach eventuell auftretenden Erkrankungen einen Nachweis zu haben.

Über den Spätsommer 1955 bis zum Tag meiner Entlassung am 3. November 1955 hatte ich mehr Freizeit als Dienst in der Küche.

Die erwähnte Freizeit nutzend, kleidete ich mich für das zivile Leben neu ein: Ich kaufte ein Paar braune randgenähte glänzende Lederhalbschuhe aus der ČSSR, eine braune Hose, ein Sakko in Salz-und-Pfeffer-Optik, ein roséfarbenes längsgestreiftes Oberhemd und die dazu passende Krawatte.

In diesem Erscheinungsbild und mit einer Vielzahl Entlassener wurde ich von der Dienststelle bis zum Bahnhof mit Blasmusik verabschiedet. Das war so üblich. Wir zogen durch die ganze Stadt.

In Stralsund nahm ich im Hotel zur Post ein Zimmer und verabredete mich mit anderen Ex-Matrosen zu einer Abschiedsfeier. Nach dieser feuchtfröhlichen Sause, die bis in die Morgenstunden andauerte, fuhr ich am nächsten Tag mit dem D-Zug um 7.05 Uhr nach Halle.

Im Hotelzimmer hatte ich eine Illustrierte aus der BRD gefunden. Diese las ich nun auf der Zugfahrt. Es gab neben vielen anderen Artikeln auch eine Textsorte, die ich so bisher nicht zur Kenntnis genommen hatte: Horoskope! Für einen Widdergeborenen wie mich wurde da eine ganze Palette an beruflichen Möglichkeiten ausgebreitet. Unter anderem war von Militär und Polizei die Rede.

Nur wenige Tage später sollte ich mich beim Wehrkreiskommando einfinden, um einen Wehrpass zu erhalten. Dort traf ich aber nicht auf eine Bürokraft oder einen Offizier, der mein Dokument unterzeichnete und mir übergab. Vielmehr warteten dort: ein Vertreter der Polizei, einer der Feuerwehr, einer des Strafvollzugs und ein Mann in Zivil. Mein Wehrpass spielte in dieser illustren Gesellschaft gar keine Rolle mehr. Vielmehr wurde mir bewusst, dass jeder der Männer mich für seinen Dienst anwerben wollte. Ich hatte keine Idee, was aus mir werden könnte. Mir fiel das Horoskop aus dem Zug wieder ein. Den Vertreter der Polizei fragte ich, ob ich Kriminalist werden könnte. »Aber natürlich«, antwortete dieser. Bei entsprechenden Voraussetzungen und einem nachträglichen Schulbesuch sei das möglich. Im Anschluss an dieses Gespräch erklärte ich dem Vertreter der Polizei, dass ich Polizist werden möchte.

III

Ein neuer Lebensabschnitt beginnt · Gruppenführer im Schnellkommando · Einzug in die Abteilung Kriminalpolizei · Erste kriminalistische Schritte · Sachgebiet »Landwirtschaft« – Als Verdeckter Ermittler unterwegs · Sachgebiet »Leben und Gesundheit« – Brände, Suizide, Verkehrsunfälle und dem Tod von der Schippe gesprungen · Erschütternde Fälle – Straftaten an Neugeborenen, Säuglingen und Kleinkindern · Die So­wjetischen Streitkräfte, unser großer Bruder · Ein Suizid und ein Mord

Am 11. November 1955 führten zwei Kommissare der Volkspolizei mit mir ein Einstellungsgespräch. Das Ergebnis war meine Übernahme in den Dienst der Deutschen Volkspolizei. Gleich mit Beginn des Folgemonats, am 1. Dezember 1955, begann meine Karriere. Vom Maat nun zum Oberwachtmeister mutiert, kam ich für Wochen in den Streifendienst. Dort blieb ich nicht lange.

Kurz darauf wurde ich Gruppenführer im Schnellkommando. »Schnellkommando« war ein anderes Wort für »Überfallkommando«. Im Zwölf-Stunden-Takt war es Aufgabe des Gruppenführers mit dem Personalbestand von zwölf Polizisten für Ruhe, Ordnung und Sicherheit in der Kreisstadt Merseburg und deren Umgebung zu sorgen.

Das hieß für uns vor allem, Kneipenschlägereien zu trennen. Besonders die Auseinandersetzungen in der Mitropa-Gaststätte im Bahnhof Merseburg waren die schwersten und härtesten Einsätze. Auch zu Raufereien in den Kneipen der Schrebergärten fuhren wir oft aus. Nicht selten konnten wir die Streitereien nur mit Hilfe des Schlagstocks klären. Interessant aus heutiger Sicht ist die Tatsache, dass keiner der Täter je eine Anzeige erstattete, wegen der gegen ihn erfolgten Gewalt.

Die Uniform des Schnellkommandos sah anders aus als die im Normaldienst. Wir trugen Stiefel, Stiefelhose, Uniformjacke, Mantel und als Kopfbedeckung einen schwarzen Tschako. Bewaffnet waren wir mit Schlagstock und einer Pistole 08. Diese Waffe war schon in Nazideutschland als Schusswaffe eingesetzt worden. Im Normaldienst trug man schwarze Halbschuhe, eine lange Hose, eine grüne Uniformjacke mit Schulterstücken und eine grüne Schirmmütze. Mit anderen Worten: Wer uns kommen sah, wusste, dass es jetzt ernst wurde.

Im Juni 1956 schlugen mir dieselben Kommissare vor, mich in die Abteilung Kriminalpolizei des Volkspolizeikreisamts zu versetzen. Ich fand diesen Vorschlag gut, und schon am 1. Juli 1956 war ich Angehöriger dieser Abteilung. Weder für den Dienst in der Schutzpolizei noch in der Kriminalpolizei hatte ich irgendeine Qualifikation vorzuweisen. Mit meinen gerade einmal einundzwanzig Jahren war ich plötzlich der jüngste Kriminalist des Bezirks Halle.

Meine ersten Stunden in dieser Abteilung gestaltete der Leiter, Otto M. Mit ihm ging es von Zimmer zu Zimmer. Er stellte mich den Kriminalisten als neuen Mitarbeiter vor. Als wir im Büro des Kreisfahndungsbevollmächtigten Heinz P. angekommen waren, begrüßte der mich wie aus der Pistole geschossen: »Ach, der Coco!« Erst Jahre später, als Heinz mir das Du angeboten hatte, fragte ich ihn nach dieser Begrüßung. Er erzählte mir, dass er in seinem zivilen Leben in der Lehre einen Mitlehrling mit Namen Schwarz gekannt habe. Den hätten alle immer Coco genannt. Aus »Coco« wurde in meiner Abteilung später »Koks«.

Das »Laufen« in der neuen Tätigkeit lehrte mich Georg K. Auch er war um Jahre älter als ich. Der Kriminalist stammte aus Breslau und beherrschte perfekt Judo. Sein Körper war absolut durchtrainiert. Seinem Aussehen nach hätte man ihn für einen Asiaten halten können. Er hatte mandelförmige Augen, eine dunklere Hautfarbe und schwarze Augenbrauen sowie tiefschwarze Haare. Georg K. leitete nicht nur den Dienstsport in der Abteilung, sondern auch eine monatliche Fachschulung. Einen Ausspruch von ihm habe ich noch heute in Erinnerung: »Mein Junge, bei uns kannst du jeden Tag von früh bis abends klauen, aber nur mit den Augen und den Ohren.«

In dieser Zeit hatte ich viel zu lernen. Da war einerseits das Kriminalistenhandwerk. Andererseits hatte ich durch Krieg und Flucht viel Unterricht in der Schule versäumt, und es fehlte mir an Allgemeinbildung. Im Selbststudium holte ich auf der Abendschule den Abschluss der zehnten Klasse nach und erreichte dabei gute Noten.

Besonders auffallend waren meine Defizite zu Beginn meiner Laufbahn, als ich erste Berichte verfassen musste. Ich erinnere mich noch gut an meinen allerersten, welchen ich für den Leiter der Abteilung schreiben sollte. Im Adlersuchsystem klapperte ich diesen auf einer ausgeleierten Büroschreibmaschine herunter. Ich bekam ihn zurück. Unter vier Augen legte mir der Abteilungsleiter das orthografisch korrigierte Schreiben vor. Seitdem holte ich mir beim Dokumentieren von Ermittlungsergebnissen den »Liebknecht« auf meinen Schreibtisch. Das »Wilhelm-Liebknecht-Volksfremdwörterbuch« half mir bei komplizierten Wörtern. Da es auf unserer Etage nur ein Exemplar gab, musste ich das Hilfsmittel manchmal in den anderen Zimmern suchen.

Beim Verfassen eines Berichts benötigte ich wieder einmal das Wörterbuch, um keinen Fehler zu machen. Ich begab mich also auf die Suche danach in den anderen Zimmern. Doch dort fand ich es nicht. Es blieb am Ende nur das Nebenzimmer. An der Zimmertür hing das Schild: »Vernehmung, nicht stören!« Ich überlegte kurz, dann klopfte ich behutsam an die Tür. Ich steckte den Kopf hinein. Ein Kriminalist hatte, wie es das Schild erläuterte, einen Mann vor seinem Schreibtisch sitzen. Nahe bei dem Ohr des Polizisten fragte ich leise: »Hast du den Liebknecht da?« Er notierte für mich auf einem Infozettel neben der Schreibmaschine: »Nein, das ist Herr Müller. Der gibt eine Anzeige auf.«

Eine junge Frau saß eines Tages in meinem Dienstzimmer und erstattete bei mir Anzeige. Ich hörte ihr zu und fixierte das Gesagte. Nach Ende des Schriftsatzes schrieb ich, wie das üblich war, links meinen Namen und Dienstgrad auf. Auf die rechte Seite schrieb ich den Namen der Frau. Danach legte ich ihr die Anzeige zur Unterschrift vor. Sicherheitshalber sollte sie noch einmal laut vorlesen. Sie sah auf das beschriebene Blatt und fing auf einmal an, zu schreien: »Aua, mein Kopp, aua, mein Kopp!« Nachdem sich dieses mehrfach wiederholt hatte und ich langsam ahnte, was der Grund für dieses merkwürdige Verhalten war, fragte ich, ob sie des Lesens und Schreibens unkundig sei. Sie nickte nur. Mit drei Kreuzen besiegelte sie den von mir vorgelesenen Sachverhalt.

An der Seite von Georg K. lernte ich Schritt für Schritt das kriminalistische Vorgehen bei der Bearbeitung von einfachen Eigentumsdelikten. Dazu gehörten der Diebstahl von Kleinvieh, von Fahrrädern, aber auch Einbrüche in Lebensmittelgeschäfte und Gaststätten.

Zu Beginn eines jeden Tages, wir arbeiteten auch samstags bis dreizehn Uhr, gab der Kriminaldauerdienst im Beisein des Leiters der Abteilung den morgendlichen Rapport. Je nach Deliktlage kamen dann Kriminalisten der jeweiligen Fachgebiete zum Einsatz. Wenn also im Stadtgebiet von Merseburg in der vergangenen Nacht ein Einbruch in ein Lebensmittelgeschäft, der Handelsorganisation (HO) oder der Konsumgenossenschaft, stattgefunden hatte und der Kriminaldauerdienst mit dem Kriminaltechniker zum Einsatz gekommen war, begann unsere Täterermittlung. Kam dafür das Stadtgebiet in Frage, wurde die Ermittlung zu Fuß durchgeführt.

Das gesellige Leben spielte sich in jenen Jahren nicht zu Hause ab, sondern in der nächstgelegenen Kneipe. Wenn also in der Nacht irgendetwas passiert war, dann war es in der Kneipe zumindest Diskussionsthema gewesen. Daher führte unser erster Gang immer in das Lokal, das in unmittelbarer Nähe zum Tatort lag.

In Merseburg existierte damals eine Vielzahl von kleineren und größeren Gaststätten in allen Stadtteilen. Die Kneipen öffneten in der Regel um elf Uhr. Wir fanden uns zehn Uhr ein. Georg K. wusste, dass man um diese Uhrzeit als Polizist, der ein Delikt aufklärt, auf ein Frühstück hoffen durfte. Es gab zum Beispiel mehrere Gaststätten, welche Pferdefleisch im Angebot hatten. Einer der Wirte machte aus Pferd, Rind und Schwein Gehacktes und bot dazu eine Fleischbrühe. Während wir frühstückten, begann dann ganz ruhig und gelassen das »Abschöpfen« des Wirtes. Wir erfuhren, welche Gäste am Vorabend bis zuletzt in seinem Lokal anwesend gewesen waren. Da Georg schon viele Jahre im Dienst war, kannte er auch den Stamm der Straftäter, welche für Einbrüche bekannt waren. So kamen wir mehr als einmal zu einer schnellen Täterermittlung. Hinzu kam die Tatsache, dass es im Stadtgebiet Abschnittsbevollmächtigte (ABV) der Deutschen Volkspolizei gab. Diese trugen ebenfalls zur schnellen Aufklärung unterschiedlichster Delikte bei.

In einem Bericht eines ABV hieß es: »In dem genannten Lokal verkehrten Kohlen- und Aschefahrer, Nutten, Volkspolizisten und anderes Gesockse.«

Nun, zu diesem »Gesockse« zählte auch ich. Das Lokal, in dem ich verkehrte, hieß Gasthof zur goldenen Kugel und befand sich in der Oberen Breiten Straße in Merseburg. Durch einen Wohnungswechsel lebte ich ganz in der Nähe. Der Wirt, Werner M., war nicht nur ein guter Kneipier, sondern auch ein hervorragender Koch. Diesen Beruf hatte er im Roten Ross in Halle erlernt. Der Schalk saß ihm oft im Nacken, und mit Leichtigkeit konnte er einen »in den April schicken«.

Eines Abends betrat ich nach der Arbeit die Goldene Kugel. Sie war wie immer gut besucht. Ich saß noch gar nicht richtig, da brachte mir Werner ein Bier und einen Braunen, »Wilthener Goldkrone«. Ich hatte das Gedeck nicht bestellt und sah ihn daher fragend an. Er sagte: »Geht schon in Ordnung.« Noch zweimal durfte ich das Angebot nutzen. Mehr hätte ich auch nicht trinken dürfen, um nicht volltrunken zu werden. Ohne von Werner zu erfahren, wer der edle Spender war, trat ich den Heimweg an. Entsprechend angetrunken kam ich zu Hause an. Tags darauf begab ich mich auf kürzestem Weg nach Feierabend abermals zur Goldenen Kugel. Im Gegensatz zum Vortag waren wenige Gäste im Lokal. Ich fragte Werner, durch wen ich denn nun gestern kostenlos fast volltrunken geworden wäre. Jetzt erzählte er die Geschichte dazu: In meiner Kneipe verkehrten neben Polizisten und anderem »Gesockse« eben auch Kohlen- und Müllfahrer. Einer von denen hatte einen Tag zuvor im Alkoholrausch seine Frau dermaßen verprügelt, dass sie ein blaues Auge davongetragen hatte. Werner hatte diesem Prügelehemann nach meinem Erscheinen eingeredet, dass ich wegen der Körperverletzung an seiner Frau anwesend sei. Und bevor ich eventuell Fragen zu diesem Sachverhalt stellen könnte, wäre es besser, mich mit alkoholischen Getränken milde zu stimmen. Alles daran war frei erfunden. Ich wusste von keiner Körperverletzung. Nur der Gastwirt hatte rein zufällig von einem Kollegen des Mannes erfahren, dass dieser einmal wieder seine Elvira grün und blau geschlagen hatte.

Auf alle Fälle habe ich durch Georg K. alle Gaststätten der Stadt, einschließlich der Kneipen in den Schrebergartenanlagen, und deren Personal kennengelernt.

Aber auch auf andere Weise lernte ich im Kreis Merseburg und in Teilen des Bezirks Halle Gaststätten, Lebensmittelgeschäfte und Möbelhäuser kennen. Wegen meines bescheidenen Gehalts opferte ich Teile von meinem Jahresurlaub, um in der Transportgesellschaft Handel Merseburg als Kraftfahrer die entsprechenden Einrichtungen mit Waren zu beliefern. Unweit unserer Merseburger Dienststelle, des Volkspolizeikreisamts (VPKA), befand sich eine Gaststätte namens Hoffischerei. Darin aßen wir, wenn uns das Essen der Dienststelle nicht zusagte. Natürlich kehrte man dort auch nach Dienstschluss noch ein. Georg K. spendierte mir dort so manches Mal ein Bier. Jetzt aber war ich als Lieferant auf dem Weg zu dieser Gaststätte und mit einem vorbestraften Beifahrer unterwegs. Dieser wusste allerdings nicht, was ich im wirklichen Leben machte. Vor der offiziellen Öffnung empfing uns der Wirt, um die bestellten Spirituosen entgegenzunehmen. Mit etwas Abstand lief hinter mir der Beifahrer, ebenfalls einen Karton tragend. Bei meinem Anblick entfuhr es dem Wirt: »Siggi, was ist mit dir los?«

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