Kitabı oku: «Kristin Lavranstochter», sayfa 5
IV
Frau Åshild blieb fast den ganzen Sommer auf dem Jørundhof, was dazu führte, dass viele Menschen herkamen, um ihren Rat zu erbitten. Kristin hörte, wie Sira Eirik darüber schimpfte, und sie ahnte, dass diese Situation ihren Eltern überhaupt nicht behagte, aber sie verdrängte all diese Gedanken. Sie dachte auch nicht darüber nach, was sie von Frau Åshild hielt, sondern war fast immer bei ihr und wurde es nie müde, der vornehmen Frau zuzuhören und sie anzusehen.
Ulvhild lag noch immer flach auf dem Rücken in dem großen Bett. Ihr kleines Gesicht war bis in die Lippen hinein weiß, und sie hatte jetzt tiefe schwarze Ringe unter den Augen. Ihre sonst so schönen blonden Haare stanken nach Schweiß, weil sie so lange nicht gewaschen worden waren, und sie waren schlaff und glanzlos geworden und sahen aus wie altes, angesengtes Heu. Sie selbst sah müde und gequält und geduldig aus und lächelte schwach und leidend, wenn Kristin sich zu ihr auf das Bett setzte und plauderte und ihr die schönen Geschenke zeigte, die sie von den Eltern und den Verwandten und Bekannten im ganzen Land bekommen hatte: Puppen und Vögel und andere Tiere, ein kleines Brettspiel, Schmuckstücke, Mützen aus Samt und bunte Bänder. Kristin hatte das alles für Ulvhild in einen Kasten gepackt – und Ulvhild musterte die Schätze mit ihrem ernsten Blick und ließ sie dann seufzend aus ihren müden Händen gleiten.
Doch wenn Frau Åshild zu ihr kam, strahlte Ulvhilds Gesicht vor Freude. Begierig trank sie den lindernden Schlaftrunk, den Frau Åshild für sie zubereitete, klagte nicht, wenn die vornehme Frau sie behandelte, und hörte glücklich zu, wenn sie auf Lavrans’ Harfe spielte und sang – sie kannte so viele Lieder, die die Menschen hier im Tal noch nie gehört hatten. Oft sang sie Kristin etwas vor, wenn Ulvhild eingeschlafen war. Und dann erzählte sie bisweilen von ihrer Jugend, als sie im Süden des Landes gelebt und oft mit König Magnus und König Eirik und deren Königinnen zusammengetroffen war. Als sie einmal so zusammensaßen, rutschte Kristin etwas heraus, das sie schon oft gedacht hatte:
»Ich finde es seltsam, dass Ihr immer so froh sein könnt. Dabei wart Ihr es doch gewöhnt …«, sie biss sich auf die Zunge und lief rot an.
Frau Åshild blickte lächelnd auf das Kind hinunter.
»Meinst du, weil ich jetzt von allem getrennt bin?« Sie lachte leise, bevor sie fortfuhr: »Ich habe bekommen, was ich mir gewünscht habe, Kristin, und ich bin nicht dumm genug, um zu klagen, wenn ich mich jetzt mit Wasser und Buttermilch begnügen muss, weil ich mein Bier und meinen Wein bereits getrunken habe. Gute Tage können lange anhalten, wenn wir uns und unser Eigentum fürsorglich und umsichtig behandeln, das wissen alle vernünftigen Menschen, und deshalb, glaube ich, müssen sich die vernünftigen Menschen mit guten Tagen begnügen – denn die besten Tage sind teuer. Jetzt wird der ein Narr genannt, der sein väterliches Erbe verspielt, um sich in seinen jungen Jahren zu amüsieren. Das sollen alle so sehen, wie sie wollen. Aber ich nenne einen Mann erst einen Toren und einen Narren, wenn er seinen Handel später bereut, und zweimal ein Tor und ein Narr über allen Narren ist er, wenn er damit rechnet, seine Bierkumpanen auch noch zu sehen, wenn das Erbe vertan ist. – Ist etwas mit Ulvhild?«, fragte sie freundlich in Richtung Ragnfrid, denn die war zusammengefahren, wie sie dort am Bett des Kindes saß.
»Nein, sie schläft tief und fest«, erwiderte die Mutter und kam zu Åshild und Kristin an die Feuerstätte. Mit der Hand an der Lukenstange blieb sie stehen und sah Frau Åshild ins Gesicht.
»Das versteht Kristin noch nicht«, sagte sie.
»Nein«, erwiderte Frau Åshild. »Aber sie hat sicher auch ihre Gebete gelernt, ehe sie sie verstehen konnte. Und dann, wenn man Gebete oder gute Ratschläge braucht, hat man meistens keine Lust, sie zu lernen oder zu begreifen.«
Ragnfrid zog nachdenklich ihre schwarzen Augenbrauen zusammen. Dabei sahen ihre hellen, tiefliegenden Augen aus wie Seen unter einem schwarzbewaldeten Hang, das hatte Kristin als kleines Kind oft gedacht – oder sie hatte es von anderen gehört. Frau Åshild sah sie mit ihrem angedeuteten Lächeln an. Ragnfrid setzte sich an den Rand der Feuerstätte, nahm einen Zweig und stocherte damit in der Glut herum.
»Aber wenn jemand sein Erbe für elenden Tand ausgegeben hat und dann einen Schatz entdeckt, den er für sein Leben gern besitzen würde – meint Ihr nicht, dass er sich dann wegen seiner Torheit grämen muss?«
»Wo gehandelt wird, wird auch verloren, Ragnfrid«, sagte Frau Åshild. »Und wer sein Leben geben will, soll es aufs Spiel setzen und dann sehen, was er gewinnen kann.«
Ragnfrid riss den brennenden Zweig aus der Glut, blies die Flamme aus und krümmte die Hand um das glühende Ende, so dass zwischen ihren Fingern ein blutrotes Licht zu sehen war.
»Ach, das sind Worte, und nur Worte, Frau Åshild.«
»Es gibt auch nicht viel, was es wert wäre, so teuer erkauft zu werden, Ragnfrid«, sagte die andere. »Wie mit dem eigenen Leben …«
»Doch«, sagte die Mutter heftig. »Mein Mann«, flüsterte sie fast unhörbar.
»Ragnfrid«, sagte Frau Åshild mit gedämpfter Stimme. »So hat schon manche Jungfrau gedacht, wenn sie versuchte, einen Mann an sich zu binden, und wenn sie dafür ihre Jungfräulichkeit hergab. Aber hast du nicht von Männern und Frauen gehört, die Gott alles opferten, was sie besaßen, die ins Kloster gingen oder nackt hinaus in die Wildnis zogen und es später bereuten? Ja, die werden in allen frommen Büchern Toren und Närrinnen genannt. Und es wäre doch sündhaft zu denken, dass Gott sie bei diesem Geschäft betrogen hat.«
Ragnfrid schwieg eine Weile. Dann sagte Frau Åshild:
»Und jetzt komm mit, Kristin, jetzt wird es Zeit, dass wir hinausgehen und Tau für Ulvhilds Morgenwäsche sammeln.«
Draußen lag der Hofplatz weiß und schwarz im Mondschein. Ragnfrid begleitete sie durch das Viehgehege und dann bis zum Tor des Gemüsegartens. Kristin sah sie, wie sie dort stand, dünn und schwarz, und sich an das Tor lehnte, während sie selbst den Tau von den großen, eiskalten Kohlblättern und den Falten des Frauenmantels in den Silberbecher des Vaters strich. Frau Åshild ging schweigend neben Kristin her. Sie war nur dabei, um auf sie aufzupassen, denn es wäre keine gute Idee, in einer solchen Nacht ein Kind allein aus dem Haus zu lassen. Der Tau aber gewann an Kraft, wenn er von einer reinen Jungfrau gesammelt wurde.
Als sie zum Tor zurückkehrten, war die Mutter verschwunden. Kristin zitterte vor Kälte, als sie Frau Åshild den eiskalten Silberbecher überreichte. Sie lief in ihren nassen Schuhen zum Dachboden hinüber, wo sie jetzt zusammen mit dem Vater ihr Bett hatte. Sie hatte gerade den Fuß auf die unterste Treppenstufe gestellt, als Ragnfrid aus den Schatten unter dem Söller trat. In den Händen hielt sie eine Schüssel mit einem dampfendheißen Trunk.
»Ich habe etwas Bier für dich aufgewärmt, Tochter«, sagte die Mutter.
Kristin bedankte sich glücklich und hielt den Mund an die Schüssel. Nun fragte Ragnfrid:
»Kristin – die Gebete und alles andere, was du von Frau Åshild lernst – da ist doch hoffentlich nichts Sündhaftes oder Gottloses dabei?«
»Das kann ich mir nicht vorstellen«, erwiderte das Kind, »denn in allem kommen die Namen Jesu und der Jungfrau Maria und der Heiligen vor.«
»Was bringt sie dir denn bei?«, fragte die Mutter nun.
»Ach, alles Mögliche über Kräuter, und wie man fließendes Blut und Warzen und wehe Augen bespricht – und Motten in den Kleidern und Mäuse in der Vorratskammer. Und welche Kräuter man bei Sonnenschein pflücken soll und welche bei Regen wirken. – Aber die Gebete darf ich niemandem verraten, denn dann verlieren sie ihre Kraft«, fügte sie rasch hinzu.
Ragnfrid nahm die leere Schüssel und stellte sie auf die Treppe. Und plötzlich schlang sie die Arme um ihre Tochter, presste sie an sich und küsste sie. Kristin spürte, dass die Wangen der Mutter nass und heiß waren.
»Gott und Unsere Liebe Frau mögen dich beschützen und vor allem Übel bewahren, wir haben doch jetzt nur noch dich, dein Vater und ich, nur dich hat unser Unglück noch nicht berührt. Liebe, Liebe – vergiss nie, dass du die einzige Freude deines Vaters bist.«
Ragnfrid ging zurück in die Winterstube, zog sich aus und legte sich zu Ulvhild ins Bett. Sie legte den Arm um das Kind und schmiegte ihr Gesicht an das der Kleinen, so dass sie die Wärme von Ulvhilds Körper spürte und den scharfen Schweißgeruch der feuchten Kinderhaare einsog. Ulvhild schlief tief und ruhig, wie immer nach Frau Åshilds Abendtrunk. Es duftete betäubend nach dem Liebfrauenbettstroh, das unter dem Laken ausgestreut war. Dennoch lag Ragnfrid noch lange wach und starrte hinauf zu dem kleinen Lichtfleck in der Decke, wo der Mond durch die Hornscheibe der Rauchklappe schien.
Im anderen Bett lag Frau Åshild, aber Ragnfrid wusste nicht, ob sie schlief oder wachte. Die Andere erwähnte nie, dass sie einander früher gekannt hatten – und das machte Ragnfrid Angst. Und sie glaubte, niemals so von bitterer Trauer und Herzensangst erfüllt gewesen zu sein wie jetzt – obwohl sie wusste, dass Lavrans genesen und dass Ulvhild überleben würde.
Frau Åshild schien gern mit Kristin zu sprechen, und mit jedem Tag, der verging, freundete die Kleine sich mehr mit ihr an. Als sie eines Tages unterwegs waren, um Kräuter zu sammeln, setzten sie sich oben am Hang auf eine kleine Grasfläche unterhalb der Geröllhalde. Sie konnten bis auf den Hofplatz von Formo hinabblicken und Arne Gyrdssohns rotes Wams erkennen. Er war mit ihnen losgeritten und sollte auf ihre Pferde aufpassen, während sie oben am Hang Kräuter suchten.
Wie sie so dort saßen, erzählte Kristin Frau Åshild von ihrer Begegnung mit der Zwergenkönigin. Sie hatte viele Jahre nicht mehr daran gedacht, aber jetzt fiel ihr alles wieder ein. Und während sie noch redete, sah sie plötzlich eine seltsame Ähnlichkeit zwischen Frau Åshild und der Zwergenkönigin – obwohl sie gleichzeitig genau wusste, dass die beiden einander überhaupt nicht ähnelten.
Als sie ihren Bericht beendet hatte, schwieg Frau Åshild eine Weile und blickte über das Tal hinweg. Schließlich sagte sie:
»Es war klug, dass du weggelaufen bist, denn du warst damals doch noch ein Kind. Doch hast du niemals von Menschen gehört, die das Gold angenommen haben, das ein Zwerg ihnen anbot, und die den Zwerg danach in den Fels bannten?«
»Solche Geschichten habe ich gehört«, erwiderte Kristin. »Aber ich hätte mich das niemals getraut. Ich finde es auch nicht richtig.«
»Es ist gut, wenn das, was wir uns nicht trauen, uns nicht richtig erscheint«, sagte Frau Åshild und lachte. »Aber es ist nicht so gut, wenn wir etwas nicht richtig finden, weil wir uns nicht trauen, es zu tun. – Du bist in diesem Sommer sehr gewachsen«, fügte sie plötzlich hinzu. »Weißt du wohl selbst, dass du eine Schönheit zu werden versprichst?«
»Ja«, sagte Kristin. »Alle behaupten, dass ich nach meinem Vater komme.«
Frau Åshild schmunzelte.
»Ja, es wäre auch das Beste für dich, wenn du äußerlich wie innerlich nach Lavrans kämst. Aber es wäre doch eine Schande, wenn sie dich hier oben im Tal verheirateten. Bauernsitte und Dorfbrauch soll man nicht geringachten, aber sie finden sich ja so vortrefflich, diese wohlhabenden Leute hier oben, als ob es im ganzen Land nicht ihresgleichen gäbe. Sie können sicher kaum begreifen, dass ich lebe und mich wohlfühle, obwohl sie mir ihre Türen verschlossen haben. Doch sie sind träge und dünkelhaft und wollen nichts Neues lernen – und dann schieben sie alles auf die alten Fehden mit dem Königreich in den Tagen von König Sverre. Das ist gelogen, dein Ahnherr hat sich mit König Sverre ausgesöhnt und wurde von diesem beschenkt, aber wenn dein Onkel unserem König folgen und für ihn einstehen wollte, müsste er sich innerlich und äußerlich verschönern, und dazu kann sich dieser Trond nicht aufraffen. Du aber, Kristin, du müsstest einen Mann heiraten, der ritterlich und galant auftritt.«
Kristin sah hinab auf den Hofplatz von Finsbrekken und auf Arnes roten Rücken. Sie hatte sich das noch nie richtig überlegt, aber wenn Frau Åshild von der Welt erzählte, in der sie sich früher bewegt hatte, stellte Kristin sich die Ritter und Grafen immer vor wie Arne. Früher, als sie klein gewesen war, hatte sie diese Männer immer in der Gestalt des Vaters vor sich gesehen.
»Der Sohn meiner Schwester, Erlend Nikulaussohn auf Husaby, der könnte ein passender Bräutigam für dich sein – aus dem Jungen ist wirklich ein stattlicher Bursche geworden. Meine Schwester Magnhild hat mich im vergangenen Jahr besucht, sie ist durch das Tal gereist, und er hat sie begleitet. Ja, der ist wohl unerreichbar für dich, aber ich hätte gern über euch beide im Brautbett die Decke ausgebreitet – er hat so schwarze Haare, wie du helle hast, und er hat schöne Augen. Aber so, wie ich meinen Schwager kenne, hat er sich wohl schon nach einer besseren Heirat für Erlend umgesehen, als du eine wärst.«
»Bin ich denn keine gute Heirat?«, fragte Kristin verwundert. Sie war nie gekränkt von etwas, das Frau Åshild sagte, aber sie spürte demütig und niedergeschlagen, dass die vornehme Frau ihrer eigenen Familie doch etwas voraushatte.
»Doch, du bist eine gute Heirat«, sagte Frau Åshild. »Aber du könntest trotzdem nicht damit rechnen, in meine Sippe aufgenommen zu werden. Dein Ahnherr hier im Land war vogelfrei und noch dazu ein Ausländer, und die Gjeslinge verschimmeln nun schon so lange auf ihren Höfen, dass sich bald außerhalb dieses Tales niemand mehr an sie erinnern wird. Aber meine Schwester und ich, wir haben die Enkel von Königin Margret Skulestochter geheiratet.«
Kristin brachte es nicht einmal über sich, einzuwenden, dass nicht ihr Ahnherr, sondern dessen Bruder als Vogelfreier ins Land gekommen sei. Sie schaute hinüber auf die dunklen Hänge jenseits des Tales, und sie dachte an den Tag vor langer Zeit, als sie dort oben auf der Hochebene gewesen war und gesehen hatte, wieviele Berge zwischen ihrem Dorf und der Welt aufragten. Dann sagte Frau Åshild, sie müssten jetzt nach Hause, und befahl ihr, Arne zu rufen. Kristin legte die Hände an den Mund, rief so laut sie konnte und winkte mit ihrem Halstuch, bis sie sah, dass sich der rote Fleck dort unten bewegte und zurückwinkte.
Einige Zeit darauf wollte Frau Åshild zurück nach Hause, doch im Herbst und zu Beginn des Winters kam sie oft auf den Jørundhof und verbrachte einige Tage bei Ulvhild. Das Kind wurde jetzt tagsüber aus dem Bett geholt, und sie wollten sie zum Stehen bringen, aber die Beine knickten unter ihr ein, sowie sie versuchte, sich aufrecht zu halten. Sie jammerte, war müde und bleich, und der Schnürleib, den Frau Åshild aus Pferdehaut und feinen Weidengerten für sie gefertigt hatte, war für sie eine Qual; sie wollte am liebsten auf dem Schoß der Mutter liegen. Ragnfrid hielt ihr Töchterchen immer in den Armen, deshalb war nun Tordis für den Haushalt verantwortlich, und auf den Befehl der Mutter hin begleitete Kristin sie, um zu lernen und zu helfen.
Kristin hatte immer wieder Sehnsucht nach Frau Åshild, und manchmal sprach diese viel mit ihr, an anderen Tagen aber wartete das Kind vergeblich auf ein Wort außer der Begrüßung, wenn Frau Åshild kam und wieder aufbrach – dann sprach sie nur mit den Erwachsenen. So war es immer, wenn ihr Gatte sie begleitete, denn es kam nun auch vor, dass Bjørn Gunnarssohn sich auf dem Jørundhof einfand. Eines Tages im Herbst war Lavrans nach Haugen geritten, um Frau Åshild ihren Heilerinnenlohn zu bringen – und zwar die beste Silberkanne mit einer dazugehörigen Platte, die sie im Haus gehabt hatten. Er hatte die Nacht dort verbracht, und seither hatte er nur Gutes über diesen Hof zu sagen: Er sei schön und in gutem Zustand und durchaus nicht so klein, wie allgemein behauptet werde. Und in den Gebäuden sei alles standesgemäß eingerichtet und der Umgang dort höfisch und elegant, wie bei den reichen Leuten im Süden des Landes. Was er von Bjørn hielt, sagte Lavrans nicht, aber er empfing ihn immer gastfreundlich, wenn er seine Gattin zum Jørundhof begleitete. Lavrans hielt sehr viel von Frau Åshild, er sagte, das meiste, was über sie erzählt werde, sei seiner Meinung nach gelogen. Er meinte auch, vor zwanzig Jahren hätte sie wohl kaum zu Hexenkünsten greifen müssen, um einen Mann zu fesseln – nun sei sie fast sechzig, sehe aber noch immer jung aus und sei einfach bezaubernd und anmutig in ihrer Art.
Kristin war klar, dass die Mutter das alles nur sehr ungern hörte. Ragnhild sagte zwar niemals etwas über Frau Åshild, aber einmal verglich sie Bjørn mit dem plattgedrückten, gelben Gras, das man unter schweren Steinen finden konnte, und Kristin fand diesen Vergleich absolut überzeugend. Bjørn sah auf eine seltsame Weise welk aus, er war ziemlich fett, bleich, schlaff und fast kahl, obwohl er nicht viel älter war als Lavrans. Ihm war jedoch anzusehen, dass er früher einmal ein sehr schöner Mann gewesen war. Kristin wechselte nie ein Wort mit ihm – er sprach überhaupt wenig, sondern saß meistens still auf dem ihm angewiesenen Platz, sowie er den Raum betreten hatte und bis es Zeit zum Schlafengehen wurde. Er trank ungeheuer viel, aber es war ihm kaum anzumerken, er aß fast nichts und ließ seine seltsamen, verblassten Augen immer wieder starr und nachdenklich auf irgendeinem Gegenstand im Zimmer ruhen.
Von den Verwandten auf Sundbu hatten sie seit dem Unfall nichts gesehen, Lavrans war jedoch einige Male nach Vågå geritten. Sira Eirik dagegen besuchte den Jørundhof wie früher, fand dort häufig Frau Åshild vor und verstand sich gut mit ihr. Die anderen fanden das sehr schön von dem Priester, der ja selbst auch ein kundiger Arzt war. Das war sicher auch einer der Gründe, warum die Leute von den großen Höfen Frau Åshild nicht um ihren Rat baten, jedenfalls nicht offen; sie hielten den Priester für tüchtig genug, und sie wussten auch nicht so recht, wie sie sich zwei Menschen gegenüber verhalten sollten, die von ihresgleichen gewissermaßen ausgestoßen worden waren. Sira Eirik sagte selbst, sie kämen einander bei ihrer Heiltätigkeit nicht ins Gehege, und was Frau Åshilds Hexenkunst angehe, so sei er nicht ihr Pfarrherr, es sei ja möglich, dass die vornehme Frau etwas mehr wisse, als für ihr Seelenheil gut sei, aber man dürfe auch nicht vergessen, dass unwissende Menschen gern von Zauberei sprächen, sowie eine Frau klüger sei als die Allgemeinheit. Frau Åshild ihrerseits äußerte sich überaus lobend über den Priester und zeigte sich als eifrige Kirchgängerin, wenn sie zufällig einen Feiertag auf dem Jørundhof verbrachte.
Weihnachten wurde in diesem Jahr ein trauriges Fest. Ulvhild konnte sich noch immer nicht auf den Beinen halten, und von den Verwandten auf Sundbu hörten und sahen sie nichts. Kristin wusste, dass im Dorf darüber geredet wurde und dass der Vater sich das alles sehr zu Herzen nahm. Die Mutter aber blieb unerbittlich, und Kristin fand das gar nicht schön von ihr. Doch eines Abends gegen Ende der Feiertage kam Sira Sigurd, Trond Gjestlings Hauspriester, in einem prachtvollen Schlitten angefahren, und es war sein wichtigstes Anliegen, sie alle zu einem großen Gastgelage auf Sundbu einzuladen.
Sira Sigurd war in den Dörfern der Umgebung nicht sehr beliebt, denn eigentlich war er es, der Tronds Besitztümer verwaltete – jedenfalls glaubten alle, es sei seine Schuld, wenn Trond sich als hart und ungerecht erwies, und es kam durchaus vor, dass Trond seine Bauern schlecht behandelte. Sein Priester konnte sehr gut schreiben und rechnen, er war gesetzeskundig und ein tüchtiger Arzt – wenn auch nicht so tüchtig, wie er selbst glaubte. So, wie er sich aufführte, konnte niemand ihn für einen besonders klugen Mann halten, seine Rede strotzte oft von Dummheiten. Ragnhild und Lavrans hatten ihn noch nie leiden können, die Leute von Sundbu dagegen waren geradezu begeistert von ihrem Priester, was ja auch verständlich war, und sie und er waren zutiefst verbittert darüber, dass er nicht zu Ulvhild geholt worden war. Und nun wollte es das Unglück, dass Frau Åshild und Herr Bjørn bereits da waren, als Sira Sigurd den Jørundhof erreichte. Die übrigen Gäste waren Sira Eirik, Gyrd und Inga von Finsbrekken, Arnes Eltern, der alte Jon vom Loptshof und Bruder Åsgaut, ein Predigerbruder aus Hamar.
Während Ragnhild die Tische abermals mit Feiertagskost decken ließ und Lavrans die Briefe las, die der Priester mitgebracht hatte, wollte Sira Sigurd nach Ulvhild sehen. Sie war schon zu Bett gebracht worden und schlief, doch Sira Sigurd weckte sie, befühlte ihren Rücken und ihre Glieder und fragte sie aus, zuerst durchaus freundlich, dann ungeduldig, denn sie hatte Angst vor ihm – Sigurd war ein kleiner Mann, fast ein Zwerg, hatte jedoch ein breites, flammendrotes Gesicht. Als er sie auf den Boden heben wollte, um ihre Füße auf die Probe zu stellen, fing sie an zu schreien. Frau Åshild stand auf, ging zum Bett hinüber und deckte Ulvhild wieder zu. Dabei sagte sie, die Kleine sei so müde, dass sie nicht aufrecht stehen könne, aber an ihren Füßen sei nichts auszusetzen gewesen.
Der Priester redete sich in Rage, schließlich galt auch er als fähiger Arzt. Frau Åshild jedoch nahm seine Hand, führte ihn zum Hochsitz und erzählte ihm, wie sie Ulvhild behandelt hatte, wobei sie ihn bei jeder Einzelheit um seine Meinung fragte. Er beruhigte sich schließlich und griff bei Ragnfrids Köstlichkeiten zu. Aber als Bier und Wein ihm dann zu Kopf stiegen, wurde Sira Sigurd wieder mürrisch, streitsüchtig und zornig – er wusste schließlich, dass niemand im Raum ihn leiden mochte. Zuerst wandte er sich an Gyrd, den lokalen Bevollmächtigten des Bischofs von Hamar in Vågå und Sil, denn es hatte etliche Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Bischof und Trond Ivarssohn gegeben. Gyrd sagte nicht viel, Inga dagegen war eine leicht erregbare Frau, und dann mischte sich auch noch Bruder Åsgaut ein und meinte:
»Vergiss bitte nicht, Sira Sigurd, dass unser Ehrwürdiger Vater Ingjald auch dein oberster Herr ist – wir wissen in Hamar durchaus Bescheid über dich. Du suhlst sich auf Sundbu in allem, was gut ist, und scheinst kaum daran zu denken, dass du zu einer anderen Aufgabe geweiht wurdest, als Tronds Augenstern zu sein und ihm bei allem Unrecht zu helfen, das er begeht und das seine Seele in Gefahr bringt und das Recht der Kirche verletzt. Hast du nie gehört, wie es den ungehorsamen und ungetreuen Priestern ergeht, die sich gegen ihre geistlichen Väter und Vorgesetzten vergehen? Weißt du nicht, wie es damals zuging, als die Engel den heiligen Thomas von Kanterborg zur Höllenpforte trugen und ihn einen Blick hineinwerfen ließen? Da staunte er sehr darüber, dass er keinen seiner Priester erblickte, die sich ihm gegenüber so verhalten hatten wie du deinem Bischof gegenüber. Schon wollte er Gottes Erbarmen preisen, da bat der Engel den Teufel, kurz seinen Schwanz zu lüpfen, und herauskamen mit gewaltigem Krach und Schwefelgestank die vielen Priester und Gelehrten, die sich an der Kirche vergangen hatten. Und nun hatte Thomas gesehen, wo sie geendet waren.«
»Jetzt lügst du, Mönch«, gab der Priester zurück. »Diese Geschichte habe ich auch schon gehört, aber da waren es keine Priester, sondern Bettelmönche, die aus dem Hintern des Teufels hervorschossen wie Wespen aus einem Wespennest.«
Der alte Jon lachte lauter als das gesamte Gesinde und grölte:
»Das waren bestimmt beide Sorten, stell ich mir vor!«
»Dann muss der Teufel aber einen ungewöhnlich breiten Schwanz besessen haben«, meinte Bjørn Gunnarssohn, und Frau Åshild lächelte und sagte:
»Ja, hast du nicht gehört, dass alles Böse einen langen Arsch hinter sich herschleift …«
»Schweig still, Frau Åshild!«, rief Sira Sigurd. »Erzähl du uns nichts von dem langen Arsch, den das Böse hinter sich herschleift! Du sitzt hier, als ob du die Hausfrau wärst, und nicht Ragnhild. Aber es ist seltsam, dass du ihr Kind nicht heilen kannst – hast du nichts mehr von dem kraftvollen Wasser, mit dem du früher gehandelt hast? Das ein zerlegtes Schaf im Kochkessel wieder zusammensetzen und eine Frau im Brautbett zur Jungfrau machen konnte? Ich weiß doch von der Hochzeit hier im Dorf, als du der verführten Braut das Bad bereitet hast …«
Sira Eirik sprang auf, packte den anderen Priester an der Schulter und schleuderte ihn quer über den Tisch, so dass Kannen und Krüge umstürzten, Speis und Trank über Tischdecken und Boden strömten und Sira Sigurd mit besudelter Kleidung auf dem Boden liegen blieb. Eirik setzte über den Tisch und wollte weiter auf ihn einschlagen und übertönte dabei mit seinem Gebrüll das Stimmgewirr:
»Halt deine Drecksfresse, du Schweinepriester, du!«
Lavrans versuchte, die beiden zu trennen, während Ragnfrid leichenblass neben ihrem Tisch stand und die Hände rang. Da eilte Frau Åshild herbei, half Sira Sigurd auf die Füße und wischte ihm das Blut aus dem Gesicht. Sie flößte ihm einen Becher Met ein, und dabei sagte sie:
»Seid doch nicht so streng, Sira Eirik. So spät am Abend bei einem Trinkgelage müsst Ihr doch wohl einen Scherz vertragen können. Setzt Euch jetzt, dann erzähle ich von dieser Hochzeit. Es ist überhaupt nicht hier im Tal passiert, und leider war ich es auch nicht, die jenen Heiltrunk kannte – wenn ich den brauen könnte, würden wir wohl nicht hier oben auf unserem kleinen Hof sitzen. Dann wäre ich jetzt eine reiche Frau mit Häusern irgendwo in einer großen Stadt – in der Nachbarschaft von Klöstern und Bischöfen und Domkapiteln«, schloss sie und lächelte die drei Geistlichen an.
»Aber in den alten Tagen war diese Kunst offenbar bekannt, denn soviel ich weiß, geschah das in den Tagen von König Inge, und der Bräutigam war Peter Lodinssohn auf Bratteland, doch welche seiner drei Gemahlinnen die Braut war, soll hier verschwiegen werden, denn von allen dreien leben Nachkommen. Diese Braut hatte also Grund genug, sich den Heiltrunk zu wünschen, und sie konnte ihn auch beschaffen und ließ sich im Brauhaus ein Bad bereiten. Doch ehe sie hineinsteigen konnte, kam ihre angehende Schwiegermutter herein. Sie war schmutzig und erschöpft nach dem Ritt zum Hochzeitshof, und deshalb zog sie sich aus und stieg in die Wanne. Sie war eine alte Frau und hatte mit Lodin neun Kinder gehabt. Aber in dieser Nacht wurden sowohl Lodin als auch Peter ganz andere Freuden zuteil, als sie erwartet hatten.«
Alle im Raum lachten herzlich, und Gyrd und Jon riefen, Frau Åshild solle noch mehr solcher Schwänke erzählen. Aber Frau Åshild wehrte ab: »Hier sitzen zwei Priester und Bruder Åsgaut und junge Knaben und Mägde, jetzt hören wir auf, ehe unser Gerede unsittlich und grob wird, und denken wir daran, dass Weihnachten ist.«
Die Männer protestieren lauthals, die Frauen dagegen gaben Frau Åshild recht. Niemand hatte bemerkt, dass Ragnfrid den Raum verlassen hatte. Kurz darauf sollte Kristin, die am Frauentisch ganz unten zwischen den Dienstmägden gesessen hatte, zu Bett gehen. Sie schlief in der Hütte von Tordis, weil so viele Gäste auf dem Hof weilten.
Es war bitterkalt, und im Norden flackerte und flammte das Nordlicht über die Berghänge. Der Schnee kreischte unter Kristins Füßen, als sie fröstelnd und mit vor der Brust verschränkten Armen über den Hofplatz lief. Dabei bemerkte sie, dass im Schatten unter dem alten Vorratsgebäude ein Mensch im Schnee hin- und herlief, sich die Arme um den Leib schlang, die Hände rang und laut jammerte. Kristin erkannte ihre Mutter, lief verängstigt hinüber und fragte, ob sie krank sei.
»Nein, nein«, wehrte Ragnfrid heftig ab, »ich musste nur raus. Geh du jetzt schlafen, Kind.«
Kristin drehte sich um, und die Mutter rief ihr leise hinterher:
»Geh in die Stube und leg dich zu Vater und Ulvhild – nimm deine Schwester in den Arm, damit er sie nicht aus Versehen erdrückt; er schläft so tief, wenn er betrunken ist. Ich schlafe heute Nacht auf dem alten Dachboden.«
»Jesus, Mutter!«, entfuhr es Kristin. »Da erfriert Ihr doch, wenn Ihr da oben schlaft – noch dazu allein. Und was glaubt Ihr, was Vater sagt, wenn Ihr heute Nacht nicht ins Bett kommt?«
»Der merkt das nicht«, erwiderte die Mutter. »Als ich gegangen bin, war er schon fast eingeschlafen, und morgen wird er erst spät aufwachen. Jetzt geh schon, und tu, was ich dir gesagt habe.«
»Ihr werdet schrecklich frieren«, sagte Kristin noch einmal, aber die Mutter schickte sie mit etwas sanfterer Stimme weg und schloss sich auf dem Dachboden ein.
Drinnen war es ebenso kalt wie draußen, und es war stockdunkel. Ragnfrid tastete sich zum Bett vor, riss sich das Tuch vom Kopf, band ihre Schuhe auf und kroch zwischen die Felle. Die waren eiskalt, sie hatte das Gefühl, in einer Schneewehe zu versinken. Sie zog sich ein Fell über den Kopf, zog die Knie an und presste sich die Hände auf die Brust – so lag sie da und weinte, manchmal sehr leise mit strömenden Tränen, dann wieder schrie sie und knirschte mit den Zähnen. Am Ende hatte sie das Bett doch ausreichend angewärmt, um schläfrig zu werden, und schließlich weinte sie sich in den Schlaf.
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