Kitabı oku: «Morgarten», sayfa 2

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Wie stellen neue Präsentationsformen Geschichte dar?

Als Letztes ist auf eine aktuelle Diskussion über die gegenwärtigen Veränderungen in der Vermittlung und Wahrnehmung von Geschichte zu verweisen. Wolfgang Hardtwig und Alexander Schug schreiben in History Sells! in Bezug auf «Histotainment», dass die mediale Geschichtsinszenierung dramatisiere, personalisiere und vereinfache. Sie präsentiere «lineare, chronologische Narrative, die der Komplexität moderner Gesellschaften kaum gerecht werden».30 Die problemlos scheinende Orientierung mache populäre Geschichtsdarstellung attraktiv, vermuten Hardtwig und Schug – und fordern, dass Historiker sich öffentlich zu Wort melden und dabei versuchen sollen, das «Interesse des grossen Publikums» ernsthaft zu verstehen. Die kulturkritischen Zweifel an der Vereinbarkeit von Wissenschaft und Populärkultur, der die zwei Autoren einen «konsumistischen Kern» zuschreiben, sind nicht zu überhören. Um Geschichte «verkaufen» und «konsumieren» zu können, müsse sie in eine Ware verwandelt werden. Wie lässt sich die Verwandlung von Geschichte in eine Ware beschreiben?

Wie ein kulturelles Produkt zu einer Ware gemacht wird, zeigt sich bei der Auszeichnung historischer Orte als «Kulturerbe». Wie Kultur zu «Kulturerbe» gemacht wird, untersuchte die Ethnologin Regina Bendix 2013.31 Bendix wählte drei schweizerische Beispiele, um einen, wie sie schreibt, vielfach gelagerten «Inwertsetzungsprozess» über einen längeren Zeitraum zeigen zu können.32 Die Historikerin Taina Syrjämaa wählte hingegen den Begriff der Kommodifizierung, um zu umschreiben, wie aus Geschichte Konsumgüter gemacht werden.33 Syrjämaa schreibt der Werbung – kleinen Broschüren, farbigen Postern, Zeitungsanzeigen und Tourismusfilmen – einen wichtigen Schritt in Richtung Kommodifizierung zu, weil Geschichte auf dieselbe Weise angepriesen werde wie Seife oder Schokolade.34

Neue Präsentationsformen von Geschichte werden oft mit Rückgriff auf «–isierungsthesen» analysiert: Kommodifizierung (in eine Ware verwandeln), Kommerzialisierung (einer ökonomischen Logik anpassen), Personalisierung (auf einzelne Personen aus der Geschichte fokussieren), Emotionalisierung (die Absicht verstärken, Gefühle hervorzurufen), Folklorisierung (Unterhaltungsbräuche ausserhalb ihrer Sinnzusammenhänge inszenieren), Fragmentierung (Geschichte in zusammenhangslose, einzeln betrachtete Teile zerlegen), Enthistorisierung (Geschichte weniger einbeziehen), Entpolitisierung (Politik weniger einbeziehen), Retraditionalisierung (an die für Touristen inszenierten Bräuche zu glauben beginnen). Ohne diese Thesen abzulehnen, sind sie dennoch für die Quelleninterpretation wenig hilfreich, weil ihre Formulierungen vorgeben, dass es von selbst laufende Prozesse gebe, und deshalb die handelnden Personen nicht ins Sichtfeld ziehen. In diesem Buch geht es aber darum, wer in welchem Kontext und mit welchen Mitteln die Geschichte der Schlacht am Morgarten für Besucher inszenierte und wie dieses Angebot genutzt wurde. Daher tauchen hier in der Folge anstelle von «dem Tourismus» eine Vielzahl von Akteuren mit Namen auf.

Wie historische Orte gestaltet und wahrgenommen werden, wurde bislang wenig untersucht. Eine Ausnahme bildet ein Kapitel im 2007 erschienenen Buch Geschichte im Gedächtnis von Aleida Assmann. Die Autorin beschreibt drei aktuelle Grundformen historischer Präsentation: Erzählen, Ausstellen, Inszenieren.35 Inszenierung sei ein «Schlüsselbegriff eines konstruktivistischen Weltverständnisses, demzufolge Wirklichkeit nicht vorfindlich existiert, sondern performativ hergestellt» werde.36 Auch Besucher einer Inszenierung könnten sich als Teil dieser Inszenierung betrachten. Dadurch verlassen Geschichtsinszenierungen gemäss Assmann «die geschlossenen Räume des Museums und die Fläche von Bildschirm und Leinwand», um sich an «Orten, Städten und Landschaften» auszubreiten, die «als historische Bühne begangen und aufwendig bespielt» werden.37 Assmann macht hier treffend auf ein Spezifikum historischer Orte aufmerksam: Für den touristischen Geschichtsgebrauch werden oft Aussenräume als Anschauungs- und Projektionsfläche verwendet und mit Angeboten, die für diesen spezifischen Gebrauch hergestellt werden, ausgestattet. Diese neuen Präsentationsweisen erklärt Assmann mit einem anders motivierten Publikum, für welches Geschichte auf andere Weise aufbereitet werden müsse: Die Konsumgesellschaft ersetze das Bildungsbürgertum. Geschichte sei «–was die Präsentation angeht – vielfältiger, reizvoller, raffinierter geworden», was allerdings nicht heisse, dass sie «deshalb weiter und tiefer verankert wäre». Die Präsentation, so Assmann, ziele «weniger auf Wissen als auf emotionale Anteilnahme, Schaulust und Unterhaltung» ab.38

So plausibel diese kritischen Beobachtungen sein mögen, fällt auf, dass sie ohne Akteure auskommen und die Rezipienten in den abstrakten Begriff der «Konsumgesellschaft» fassen. Was unterscheidet die Konsumgesellschaft vom Bildungsbürgertum, wenn es um Geschichtsvermittlung geht? Wer sind die Produzenten dieser neuen «Präsentationen» und wie stellen sie Geschichte dar? Die Idee, Geschichtsbilder mit emotionaler Berührung vor Ort zu inszenieren, hat in gewisser Weise Karl Bürkli bereits 1895 vorgeführt und war damit zweifellos nicht der Erste. Wer waren seine Vorgänger?

Merkwürdige Schweizer Geschichte, 1780–1830

Reiseführer, Reiseberichte und Anleitungen, wie man richtig reist
Reiseziel Schlachtfeld

Bis ans Ende des 18. Jahrhunderts suchten nur wenige Besucher den Ort der Schlacht am Morgarten auf. Zwischen 1750 und 1790 nahm der Reiseverkehr in die Schweiz beträchtlich zu, wie beispielsweise die Anzahl publizierter Reiseberichte nahelegt.39 Laurent Tissot setzt die Prämissen des Tourismus in die Jahre 1780 bis 1830.40 In dieser Zeitspanne wurde die Schweizerreise bei Reisenden zunehmend beliebter. Die Schweiz und die Alpen wurden als Projektionsflächen für neue Theorien genutzt, die erklären, was eine schöne Landschaft ausmache und wie Menschen zusammenleben sollten.41

Sehenswürdigkeiten der Vormoderne waren historische Waffensammlungen in Zeughäusern und vom 18. Jahrhundert an vor allem die Natur.42 Auch Schlachtfelder gehörten zu den frühen Sehenswürdigkeiten. In Goethes Faust, der Tragödie zweiter Teil (1832) fragt Mephistopheles spöttisch:

«Sind Briten hier: Sie reisen sonst so viel.

Schlachtfeldern nachzuspüren, Wasserfällen, Gestürzten Mauern, klassischdumpfen Stellen;

Das wäre hier für sie ein würdig Ziel.»43

Die gemeinsame Aufzählung von Schlachtfeldern mit Wasserfällen und Ruinen ordnet Schlachtfelder den Reisezielen des romantischen Tourismus des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts zu. Im Gebiet der heutigen Schweiz war insbesondere das Schlachtfeld von Murten ein beliebtes Ziel von Reisenden, die es oft Goethe gleichtaten und aus dem Beinhaus von Murten den Schädelteil eines Burgunders als Souvenir mitnahmen.44

Die Schlachtfelder und Schlachtkapellen waren nicht die einzigen Orte, an denen Geschichte «besichtigt» wurde. Auch frühe Denkmäler und Zeughäuser repräsentierten Geschichte. Die Historikerin Christine von Arx untersuchte Zeughäuser als «Orte der historischen Repräsentation» im 18. und 19. Jahrhundert. Von Arx schreibt, dass in den Reiseberichten ein grosses Interesse an der mittelalterlichen Geschichte der Eidgenossenschaft, insbesondere der Kriegsgeschichte, auszumachen sei, ja sogar, dass eine Geschichtsbegeisterung massgebend die Beliebtheit der Schweiz als Reiseland bewirkt habe.45 Die Reisenden hätten den «bezeugten historischen» Schauplatz betreten wollen. Sie zitiert den englischen Reiseschriftsteller William Coxe, der in seinem Reisebericht von 1781 seine Gedanken beim Besuch des Schlachtfelds von Näfels beschrieb: «Hier wars! Hier wars, wo 350 Glarner mit Hilfe von 30 Schwyzern der ganzen Macht der österreichischen Armee widerstunden.»46 Von Arx folgert, dass die Reisenden des späten 18. Jahrhunderts bereits den «authentischen Ort» betreten wollten, um Geschichte «über alle Sinne» wahrzunehmen und somit «erst eigentlich» zu erleben. Dabei hätten die Denkmäler an den historischen Orten nur als «Zeigefinger» funktioniert, die den Schauplatz markierten, den man zu betreten wünschte. Dieser Wunsch sei, so von Arx weiter, in engem Zusammenhang mit einem neuen Naturverständnis zu verstehen. Die Landschaften seien neu «in ihrer historischen Bedeutsamkeit» wahrgenommen worden.47

Was ist die Rolle von Landschaften in der Darstellung mittelalterlicher Geschichte? Wenn Authentizität eine Zuschreibung ist, wie Martin Sabrow es definiert, etwas Echtes und Originales, eine «unverstellte Unmittelbarkeit», vor sich zu haben – an welchen Kriterien machten die Reiseautoren eine Zuschreibung von Morgarten als authentische «historische Stätte» fest?48

Ein erstes Beispiel stellt die Behauptung, dass die Reisenden Geschichte als «authentischen Ort» besuchen wollten, bereits in Frage. In den 1780er-Jahren reiste Christoph Meiners (1747–1810), Professor in Göttingen, streckenweise zu Fuss durch die Schweiz und schrieb einen Reisebericht in Briefform. Dieser Bericht wurde in der aufkommenden Begeisterung für die Schweiz zum vielverkauften Reiseführer.49 Meiners reiste auch ins Ägerital, wo sich eine Wirtin über den «vornehmen» Besucher, der «aus blosser Neugierde» so weit gereist sei, gewundert habe. Von einem Hügel aus habe er das Schlachtfeld von Morgarten gesehen. Auf zwei Zeilen rekapituliert Meiners die Geschichte der Schlacht am Morgarten in einer Version, die der Schilderung von Ägidius Tschudi im 1734–1736 veröffentlichten Werk Chronicon helveticum naheliegt.50 Tschudis Erzählung war von mehreren anderen Werken des 18. Jahrhunderts übernommen worden, etwa den populären Geschichten Schweizerischer Eidgenossenschaft von Johannes von Müller, den Meiners persönlich kannte. Die zwei wichtigsten Motive in Meiners Morgartendarstellung sind die ungleichen Gegner – wenige schlecht bewaffnete Fusskrieger gegen viele schwerbewaffnete Ritter – und die Steinlawine vom Berg herab. Von der Schlacht erzählt Meiners, als er von seinem Aussichtspunkt ins Ägerital zurückblickt und nicht, als er am Ort der Schlacht steht. Dieser Blick entspricht der Vogelperspektive, mit der die zeitgenössischen Kupferstiche das Ägerital als ländliches Arkadien zeigen. Die «schöne» Ansicht der Landschaft von oben war für Meiners der geeignete Standort, um sein Nachdenken über die Schlacht zu verorten. Die Frage nach dem genauen Standort der Schlacht spielte für ihn offensichtlich keine Rolle.

Reiseschriftsteller

Was in Reiseberichten über die Orte, Landschaften und deren Bewohner geschrieben wird, sagt viel über das Selbstverständnis des jeweiligen Autors und seiner Adressaten aus, im Falle Meiners jenes eines vornehmen Gelehrten. Der Literaturwissenschaftler James Buzard charakterisiert die schreibenden Touristen als eine Art Antitouristen – Touristen, die sich nicht als solche verstehen und sich von den anderen Touristen abheben wollen, indem sie unterwegs schreiben.51 Schreibende Touristen sind von der bereits existierenden Reiseliteratur geprägt, sie sind sich der kulturellen Vorstellungen bewusst, was als sehenswürdig gilt, wie es beschrieben wurde und von ihren Lesern sogleich wiedererkannt wird – sie wissen, was ihrer Leserschaft bekannt ist und was sie vom Autor erwartet.52 Zugleich betonen sie jeweils ihre eigene, von bisherigen Reiseberichten abweichende Sicht und praktizieren somit eine Geste der Selbstausnahme, auch wenn sie bekannten Reiserouten folgen. Buzard nennt diese Schreibhaltung ein rollendistanzierendes Handeln: Die Autoren versuchen, sich aus ihrer Rolle als Touristen und deren Konventionen zu heben oder sogar in eine vermeintlich direkte Beziehung zum beschriebenen Ort zu treten. Das war nicht bloss Werbung für den eigenen Reisebericht, sondern stellte laut Buzard eine Auflehnung gegen die Vorstellung dar, dass der Einzelne von der Kultur bestimmt sein soll – ein Plädoyer für individuelles Erleben.53

Die Literaturwissenschaft beschreibt Reiseberichte als heterogene, gemischte Textform, die vor allem zwischen den zwei Feldern der Autobiografie und der Wissenschaft oszilliere.54 Reiseberichte würden sich stilistisch aber auch bei Memoiren, Journalismus, Briefen, Reiseführern, Bekenntnisschriften und vor allem bei der Literatur bedienen.55 Das Erlebnis der Reise, die Fremderfahrung, werde in einem Schreibprozess geordnet, reflektiert, repräsentiert, übersetzt und umgewandelt.56

Mit zunehmender Zahl bildeten die Reiseberichte ein eigenes Referenzsystem, in welches sich spätere Reisende im Vorfeld ihrer Reisen einlasen.57 In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde es in England und Deutschland Mode, einen Reisebericht zu veröffentlichen. Charles Dickens spottete 1846 in seinem eigenen Italienbericht, dass es wahrscheinlich kein berühmtes Bild und keine Statue in ganz Italien gäbe, die man nicht unter einem Berg von gedrucktem Papier begraben könne, das sich seiner wissenschaftlichen Beschreibung widme.58 Mit einer ähnlichen Pointe machte sich Gottlob Heinrich Heinse 1810 lustig, dass sich mit den Reisebeschreibungen der Schweiz «vielleicht der Rhein dämmen liesse».59 Auch die Reiseberichte über die Schweiz vervielfältigten sich Ende des 18. Jahrhunderts. Einige von ihnen waren aufwändig erstellte Texte, andere schnell zusammengestellte Collagen aus älteren Berichten.60 Als Illustrationen wurden bereits existierende oder eigens angefertigte Landschaftsstiche, Karten oder auch Porträts eingefügt. Aber die Reiseberichte waren nicht nur aufgrund ihrer puren Anzahl eindrücklich. Ihre Inhalte wirkten auf die Vorstellungen ihrer grossen Leserschaft ein – auch auf deren Geschichtsbilder.

Reiseliteratur und «nation building»

Reiseliteratur spielte im Prozess des «nation building», der Nationalstaatsbildung, eine wichtige Rolle.61 Wie hat das Reisen und die Reiseliteratur das Bild der Nation beeinflusst? Der Historiker Georg Kreis schreibt, dass die Reiseberichte des 18. Jahrhunderts die Eidgenossen «auf das eigene historische Erbe aufmerksam» gemacht hätten und diese sich daraufhin in einer Bewegung des Aufklärungs- und Reformpatriotismus vermehrt auf historische Vorbilder bezogen hätten.62 Reiseberichte machten die patriotische Bewegung nicht nur auf ihre Geschichte, sondern auch auf deren «Stätten» aufmerksam, und sie formten die Erzählungen zu diesen Orten wesentlich mit.

Die Überlegungen, wie Reiseliteratur und Selbstbild der Schweiz zusammenspielten, spitzte der Schriftsteller Michail Schischkin zu: «Es waren Reisebeschreibungen, die das Land kreierten, die Wortgebilde haben sich über die Realität gelegt.»63 Ein erfolgreicher Reisebericht habe eine Welle neuer Reisender und Reisebeschreibungen ausgelöst. Die Reiseliteraten «leisteten so etwas wie einen unausgesprochenen Rütlischwur bei der Gründung der virtuellen Eidgenossenschaft.»64 Die realen Bewohner dieses erdichteten Landes hätten nicht nur «marktgerecht» an der Idylle herumgefeilt, sondern konnten auch «ihr Brot verdienen, indem sie als ideale Schweizer arbeiteten.»65 Und letztlich, so Schischkin, prägten sich das reale Land und das erdichtete Land gegenseitig so stark wie ein Schauspieler und seine Bühnenrolle, die er kreiere und dabei gleichzeitig sich selbst bleibe und die ihn wiederum präge; umso mehr, als er auch nach Ende der Vorstellung sozusagen auf der Bühne lebe.66 Was heisst dies konkret für das Geschichtsbild des späten 18. Jahrhunderts?

Christine von Arx schreibt in ihrer Untersuchung über Zeughäuser, dass deren Geschichtsinszenierungen stark lokal geprägt gewesen seien und dass die Macher der Präsentationen jeweils die Geschichte ihres Ortes in Abgrenzung zu den anderen eidgenössischen Orten präsentiert hätten.67 Im Gegensatz dazu hätten sich deutsche, englische und französische Reisende in ihren Berichten über die Zeughäuser auf die Schlachten der Eidgenossen konzentriert. So habe die «Fremdperspektive» eine «imaginierte Eintracht» beschworen, bevor diese Geschichten von nationalen Akteuren ausgeschöpft worden seien.68 Der Blick der Touristen gründete die nationale Perspektive auf Geschichte mit.

Aus der Reiseliteratur lässt sich folglich nicht zuverlässig erfahren, wie der Ort aussah, den Reisende auf Spurensuche nach der Schlacht am Morgarten besucht und was die Reisenden dort erlebt hatten. Aber die Reiseliteratur zeigt, mit welchen Motiven und in Bezug auf welches historische Material Reiseschriftsteller in der Frühzeit des Tourismus (1780–1830) die Schlacht am Morgarten erzählten und ihren Besuch auf dem Schlachtfeld schilderten.

Philippe-Sirice Bridel, Juli 1790

An einem Samstag im Juli 1790 wanderte Philippe-Sirice Bridel (1757–1845) vom Dorf Hütten auf den Mangliberg, von wo aus er einen Rundblick über das Mittelland, die Voralpen und das Ägerital vor Augen hatte – «den berühmten See, dessen Wellen das glorreiche Schlachtfeld von Morgarten bespühlen».69 Der aus Lausanne stammende Bridel arbeitete im Jahr 1790 als reformierter Pfarrer in der französischen Kirche von Basel.70 Die Wanderung auf den Mangliberg war Teil einer Fussreise durch die Schweiz, die Bridel von Basel über den Aargau und Zürcher Gebiet in die Zentralschweiz führte. Er stieg vom Mangliberg nach Ägeri hinab und kehrte vermutlich in Oberägeri in ein Wirtshaus ein, wo ein «ehrlicher» Wirt ihm ein Mittagessen vorsetzte, «vortreffliche Fische, ausgesuchter Käse, Bergkohl, und Wein, der jenseits des Gotthards wächst».71 Der französische Gelehrte Mabillon habe die Wirtshäuser der Innerschweiz 1683 in mehreren Punkten falsch beschrieben, merkt Bridel an und zitiert Mabillons Beschwerden: Fliegen, Tabakgestank, schlechtes Essen, zu kurze Betten für einen Franzosen und kein Feilschen über den Preis. Bridel beschreibt indes ein pittoreskes Ägerital, wobei ihm die hübschen jungen Frauen und Kinder auffallen, 72 was kein Zufall ist. In den Reiseberichten um 1800 sind solche Bemerkungen meist Ausdruck der verbreiteten Vorstellung, dass die Landschaft das Aussehen und den «Charakter» ihrer Bewohner präge und, in den Worten Heinrich Zschokkes, «dass die schöne Landschaft auch der Aufenthalt schöner Menschen sey».73 Wie man gegessen und geschlafen habe, erzählen Reiseberichte hingegen, um den Eindruck von subjektiver Wahrhaftigkeit – dass man es wirklich erlebt hat – zu erzeugen.74

Bridel schiebt daraufhin die Worte eines Sennen, eines Bauern und eines Greisen ein, die sich mit ihm unterwegs über die Französische Revolution unterhalten hätten – allegorische Figuren der Schweizer Einfachheit im Naturzustand, wie sie auch Albrecht von Haller in seinem Alpen-Gedicht von 1729 besungen hatte. In einer Fussnote betont Bridel den Zeitpunkt seiner Reise: «Der Leser muss übrigens nicht vergessen, dass hier vom Julius 1790 die Rede ist.»75 Zur Französischen Revolution stand Bridel in einem ambivalenten Verhältnis. Er gehörte zu einer Bewegung des Aufklärungs- und Reformpatriotismus, des Helvetismus.76 Im 18. Jahrhundert versuchten vor allem Westschweizer und Zürcher Literaten durch eine gemeinsame schweizerische Nationalliteratur eine patriotische Begeisterung zu wecken. Bridel sah, so schreibt der Historiker François de Capitani, in der «gemeinsamen Natur und Geschichte» die Grundlage dieser Nationalliteratur.77 Nur: Was verstand man unter der «gemeinsamen Natur und Geschichte»? Der «wahre Helvetier» und das «Helvetische», nach welchen Bridel auf seinen Fussreisen in abgelegenen Tälern suchte, entsprachen einem Idealbild der Schweiz, das auch die aufklärerischen Reisenden beschrieben und sehen wollten.78 Der Helvetismus verherrlichte die Alpenbewohner als besonders tugendhaft und republikanisch. Die Französische Revolution war in den Augen Bridels nicht nur gefährlich, sondern für den «ursprünglicheren» schweizerischen republikanisch-föderalistischen Naturzustand der unverdorbenen Bergbewohner unnötig.

In Unterägeri bezahlt Bridel einem Mann, der einen für den Ägerisee typischen Einbaum besitzt, «bloss zwei Batzen», dass dieser ihn zum Schlachtfeld nach Morgarten übersetze.79 Die Ufer des Ägerisees, «eines sehr lachend, das andere hingegen wild und melancholisch», entsprechen der zeitgenössischen Vorliebe für abwechslungsreiche Landschaftseindrücke – für das Pittoreske. Angekommen am Schlachtort Morgarten, wendet sich Bridel pathetisch an die «Schatten der grossmüthigen Streiter aus den drei Ländern», deren «Gedächtnis an diesen Stätten, den Zeugen Eurer Heldentaten», man segnen müsse: «Andenken an die Vorzeit, entflamme, wie noch nie, meinen gerührten Geist!»80 Bridel stellt den Besuch des Schlachtorts als eine sinnliche und emotionale Erfahrung dar, die nur in ihm selbst stattfindet. Das Boot setzt ihn an einem reinen Erinnerungsort ab, über dessen Aussehen in der Gegenwart der Leser nichts erfährt. Wichtig für Bridels Schilderung ist das antitouristische Motiv der Einsamkeit.81 Bridel reist offenbar alleine und stellt seine Rührung ins Zentrum des historischen Orts, der so zu einer Bühne für seine Gefühle wird. Das Schlachtfeld ist kein konkreter, sondern ein imaginierter Ort, der stark mit seinem Vorwissen und seinen Gefühlen verbunden ist.

Romantische Motive prägen Bridels Vorstellungen, was er auf dem Schlachtfeld von Morgarten fühlt und erkennt. Er spricht von Stätten und der Landschaft als Zeugen der Geschichte von Morgarten. Die zentralen Motive in seinem Geschichtsbild sind jene der Freiheit und des gemeinsamen Ursprungs im Mittelalter. So wie der Ort Zeuge der Geschichte ist, verleiht sich Bridel als «Zeuge des Zeugen» die exklusive Autorität, Erkenntnisse zu haben, die nur Besucher des Orts haben können. Mehrere Geschichtsschreiber hätten, «weil sie das Lokal nicht selbst besucht haben», «ziemlich bedeutende Fehler» in der Schlachtgeschichte gemacht – im Gegensatz zu seiner Version von 1788.82 Die aufklärerische Forderung nach dem eigenen Denken umfasst auch das eigene Sehen und Fühlen. Die Wahrnehmungstheorie des Pittoresken verspricht darüber hinaus, dass man einen Teil sehen und das Ganze fühlen könne.83

Von Morgarten wandert Bridel weiter über Sattel nach Steinen, wo er Werner von Stauffacher, einem der drei Schwurmänner vom Rütli, huldigen will. Anstelle von Stauffachers Wohnhaus findet Bridel eine Kapelle, deren Fresken gerade restauriert werden. Bridel bewertet die Machart der Bilder zwar als «sehr mittelmässig», ihre Inhalte und Wirkung als volkspädagogisches Mittel der Geschichtsvermittlung jedoch als sehr stark. Die «edeln Gefühle» und die «tiefe Rührung», die diese Bilder in jedem wecken würden – das sei «unstreitig die beste Art, das Volk, seine Geschichte kennen zu lernen».84 Wie so oft und wie viele andere kratzt Bridel vergnügt und stolz seinen Namen in die Kapellenmauer ein und bezeugt so seine «Pilgerschaft zu diesen heiligen Oertern».85 Bridel evoziert nicht nur Geschichte, er schreibt sich auch gewissermassen selbst in sie hinein: Ich war hier.

Die Selbstdeklaration als Pilger oder Wallfahrer zu einer historischen Stätte war nicht selten, sie verlieh der Reise zusätzliche Bedeutung und Legitimation. Der Geistliche Bridel wendet eine sakrale Sprache auf die historischen Stätten an, die er als «heilige Orte» bezeichnet. Pilgern war um 1790 offenbar eine positiv konnotierte Form des Reisens. Im Vorwort seines «Tagebuch einer Fussreise durch das Innere der Schweiz» schreibt Bridel, dass man am besten zu Fuss unterwegs sein solle, abseits der grossen Strassen, einfach gekleidet, ohne Anspruch auf Komfort, allein oder mit einem gleichgesinnten Freund – ganz wie ein Pilger. Der Beginn des touristischen Zeitalters wird auf den Aufbau der beschleunigten und vergünstigten Reiseinfrastruktur (Eisenbahnen, Strassen) zurückgeführt. Dennoch gehörte das Lob der Fussreise in Reiseberichten und Reiseführern, beispielsweise auch im Baedeker, im gesamten 19. Jahrhundert zum Selbstverständnis. Auch die ersten Touristen wollten bereits keine sein. Dieses Distinktionsspiel biss sich nicht damit, dass Johann Gottfried Ebel dem «freien» Fussreisenden empfiehlt, einen Gepäckträger für die ganze Reise zu buchen, so wie er sich immer von Herrn Pfister aus Zürich begleiten lasse, einem Bediensteten, der nicht nur sein Gepäck trage, sondern auch die Wege kenne, über Preise verhandle, ihn frisiere und rasiere sowie Italienisch und Französisch spreche.86

Woher nahm Philippe-Sirice Bridel seine Kenntnisse der Geschichte und Geografie? Neben den älteren Beschreibungen der Schweiz – er erwähnt Johann Jakob Scheuchzer – kannte Bridel auch die Reisebeschreibungen seiner Zeit, von denen er jene von ausländischen Reisenden ablehnte, weil sie das oberflächliche Produkt eiliger Reisen entlang der gängigen Reiserouten seien. Bridel beschreibt jedoch «sein» Helvetien mit den romantischen und aufklärerischen Motiven und Geschichtsbildern, die er mit jenen Autoren gemeinsam hat, deren Beschreibungen der Schweiz er im selben Atemzug als «literarische Invasion» ablehnt.87 Er schreibt also in einer doppelten Selbstausnahme: Er distanziert sich von nicht-schreibenden Reisenden, aber auch von allen anderen schreibenden Reisenden, die nicht auf seine Art ihr «eigenes» Land bereisen.

Beeinflusst wurde Bridel auch durch ortskundige Gelehrte, die er unterwegs besuchte, wie beispielsweise den Arzt und Politiker Karl Zay (1754–1816) in Arth. Zay gehörte zu jenen gut vernetzten, angesehenen und gebildeten Persönlichkeiten, die Reisende privat empfingen. Er soll auch häufig Reisende auf die Rigi begleitet haben.88 Mögliche Gründe für dieses vermutlich unentgeltliche Engagement sind die Pflege des Netzwerks und des repräsentativen Status in seinem Wohnort, eine Vorliebe für Ausflüge und wohl auch Neugierde.

Bridels Reisebericht ist ein Beispiel für den romantisch geprägten Aufklärungspatriotismus um 1800, dessen Geschichtsbild von Reiseberichten geprägt wird. Es war Bridels grosses Bildungsprojekt, die Schweiz zu Fuss kennenzulernen, die Topografie, die Bevölkerung, die Eigenheiten der Regionen und die Verhältnisse vor Ort. Allerdings war Bridel der Meinung, dass man beim Reisen auch viel falsch machen könne, beispielsweise zu wenig (oder die falsche) Vorbildung mitbringen oder auf die falsche Weise an die falschen Orte reisen. Deshalb formulierte Bridel, wie viele andere Reiseschriftsteller, Ideale, wie man «richtig» reisen sollte – ebenfalls ein Ausdruck von Distanzierung. Diese Ideale geben Einblick in seine Vorstellungen, wie man auf vaterländischen Reisen Geschichte kennenlerne.

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