Kitabı oku: «Schwingenfall», sayfa 6

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»An diese Hitze könnte ich mich gewöhnen«, murmelte Minn, den Kopf an seine Brust gekuschelt.

»Wenn dir Wärme gefällt, solltest du nach Gorvul kommen, sobald die Grenze wieder sicher ist.« Toryan streichelte schläfrig ihre Wange. »Ich weiß, ich habe das viel zu früh gesagt, als ich das letzte Mal hier war, aber ich meine es ernst.«

»Ist es denn sonniger im Schatten der Zitadelle als hier?«

»Gorvul ist viel mehr als die Zitadelle und der Dom. Wir haben helle Plätze, lichtdurchflutete Parks, wundervolle Tavernen. Und selbst wenn dir mal kalt wird, ich würde dich wärmen. Überleg es dir wenigstens, ja?«

Anstelle einer Antwort beugte sie sich zu ihm und küsste ihn. Nicht wild und leidenschaftlich wie zuvor, sondern lang und voll Zärtlichkeit. Er erwiderte den Kuss, und obgleich sie einander sonst nicht berührten, hämmerte sein Herz wie wild.

Sie löste ihre Lippen von seinen und strich sanft über seine Seite. »Oha. Schon wieder neue Narben?«

Er verzog das Gesicht. »Widerborste haben fiese Krallen. Besonders wenn ihre Jungen frisch aus einem Kadaver geschlüpft sind.«

»Mhhh. Und wie willst du mich in Gorvul wärmen, wenn du Nachtkrabbler an der Grenze bekämpfst?«

»Ich könnte mich versetzen lassen«, sagte er hastig. »Zur Stadtwache, oder …«

»Schon gut«, unterbrach sie. »Ich wollte dich nur necken.«

»Oh. Ah. Ja klar.«

Beide schwiegen.

»Bevor wir Zukunftspläne schmieden, müssen wir erst mal sehen, dass wir überhaupt eine Zukunft haben«, löste Minn die Stille auf, eh sie drückend werden konnte. »Also halte morgen beim Konklave dein vorlautes Mundwerk im Zaum.«

»Vorlautes Mundwerk? Das sagt die Richtige. Außerdem klingst du jetzt wie General Nobu.«

»Wie lang bist du bei der Versammlung dabei?«

»Keine Ahnung.« Er unterdrückte ein Schulterzucken. »Schätze, sie stellen mir ein paar Fragen und das war’s.«

»Gut.« Sie räkelte sich und stupste seine Brust mit der Nasenspitze an. »Weil ich danach nämlich alles wissen will. In sämtlichen Einzelheiten.«

»Ich weiß nicht, ob ich darüber reden darf.«

»Ich bekomm’s schon aus dir raus«, nuschelte sie. »Versprochen.«

13

Spione auf Gut Eulenstein


Es passierte am Frühabend des Folgetages, als Minn die Eibenhecke schnitt.

Davon abgesehen, dass Hände, Hemd und Hosen vom Pflanzen­saft klebten – und dass es sie vom Konklave fernhielt –, mochte sie diese Arbeit. Da konnten die Gedanken so schön wandern. Zu Toryan, zum Beispiel. Wie zärtlich sich seine starken Hände auf ihrer Haut angefühlt hatten. Wie er die Innenseite ihrer Schenkel geküsst hatte, quälend langsam nach oben gewandert war und …

»Autsch, verdammt.« Das hatte sie nun von der Tagträumerei. Sie war mit der Schere abgerutscht und hatte sich in den Zeigefinger der freien Hand geschnitten. Keine tiefe Wunde, aber tief genug, dass es brannte und ein Rinnsal Blut aus der Kuppe floss. Minn saugte es weg. Ihr Finger verharrte auf dem Weg aus dem Mund.

Etwas in ihr erwachte.

Der Rest der Welt verdunkelte sich. Der herbe Geruch der Pflanzen, die Wärme der Sonne auf ihrer Haut, alles rückte hinter einen Schleier. Es gab nur noch den roten Stern und die purpurnen Blutschlieren, frisch und warm und lockend.

Eine Hand rüttelte an ihrer Schulter und riss sie zurück in die Wirklichkeit. »Feierabend ist, wenn die Tempelglocken schlagen, junge Dame«, sagte Ryna streng. »Die Beete da hinten sind …« Sie stockte und erblasste, als sie das Blut und Minns Gesichtsausdruck sah. Ohne Umschweife schnitt Ryna sich mit der Heckenschere einen Stoffstreifen aus dem Gewandsaum, packte Minns Hand, schlang den Streifen um den Finger und zurrte ihn fest. Es pochte dumpf, doch Minn sah kein Blut mehr. Ihr Blick klärte sich, und zurück blieb einzig ein fernes Hämmern im Hinterkopf, wie damals, als sie zu viel von Armengals Likör stibitzt hatte.

»Worauf wartest du?«, fragte Ryna, wieder ganz die brüske Matrone. »Das Beet jätet sich nicht von selbst.«

Minn legte die Heckenschere weg, schnappte sich eine Harke und begann, die Erde vor den Sträuchern zu malträtieren. Hauptsache, dieses Gefühl ging weg, dieser erstickende, verlockende, schwindelerregende Sog. »Ich harke, ich harke, ich harke das Beet, ich harke, ich harke, von früh bis spät«, trällerte sie vor sich hin, wieder und wieder, um alle Gedanken zu vertreiben. Es gelang ihr so gut, dass sie glatt das Abendläuten überhörte. Erst als Schussel-Ann ihr die Harke förmlich aus der Hand riss, hielt sie inne.

»Hör mit dem Geleier auf, Minn«, schimpfte Ann. »Du klingst furchtbar. Und vor allem, hör auf zu arbeiten. Es dämmert schon.«

Tatsächlich. Die ersten Sterne funkelten am Firmament, Stecknadelköpfe in einem Ozean aus Tinte. Erfreut und ein wenig verblüfft klopfte Minn sich die Erde von Händen und Hose. Zwar gab es eine Wasserpumpe neben dem Schuppen für die Gartengeräte, doch aus einer Laune heraus beschloss sie, sich am Seerosenteich den Dreck vom Gesicht zu waschen – und sei es nur, damit Ann sie nicht ausfragte, warum Minn heute Abend keine Zeit für sie hatte. Sie schnappte sich ihren Umhang und wünschte der verdutzten Freundin einen schönen Abend.

Der Teich lag im hinteren Gartenteil des Herrenhauses. Als Minn das schmiedeeiserne Gittertor öffnete, kreischte es wie eine aus dem Schlaf gerissene Fledermaus. Zum Glück befand sich weit und breit niemand, der es hätte hören können.

Eine Gruppe Schwarzfichten umstand das Gewässer, es roch nach Nadeln und feuchter Erde. Minn ließ sich am Steinrand nieder und blickte in das sternenbeschienene Wasser. Der Teich reflektierte ihr Spiegelbild – ein Mädchen an der Schwelle zur Frau, mit vollen Lippen, Apfelbäckchen, Stupsnase und Mandelaugen, wegen der die anderen Kinder sie früher Nussgesicht genannt hatten. Mutter hatte dieselben Augen gehabt.

Das Antlitz im Teich sah sorglos aus. Wie wenig ein Spiegelbild doch über eine Person verriet. Minn spritzte sich Wasser über die Arme, und die Spiegelung verschwamm. Sie hatte keine Lust, schwermütigen Gedanken nachzuhängen. Bald würde sie wieder in Toryans Armen liegen, und die Welt mochte draußen ihren Gang nehmen.

Stimmen drangen durch die Abendluft. Natürlich. Das Konklave fand bestimmt in Armengals Salon statt. Was die wohl redeten? Nun, das Salonfenster lag Richtung Teich.

Minn rieb sich das Kinn. Wenn sie beim Lauschen erwischt würde, mochte sie das in ernste Schwierigkeiten bringen. Andererseits, die Wachen standen vor der Tür im Haus. Außerdem hatte Minn eine bessere Nachtsicht und ein schärferes Gehör als jeder andere auf Gut Eulenstein, was ihr schon auf so manchem Streifzug durch die Vorrats­keller zugutegekommen war. Sie würde es merken, wenn jemand sich näherte.

Die Neugier siegte. Auf Händen und Knien pirschte sie sich ans Herrenhaus heran, wobei ihr entgegenkam, dass das Gras in diesem Teil des Gartens hoch stand und die Tannen Schatten bis zur Hauswand warfen.

Die Erde krümelte unter ihren Fingern, der Mauerstein roch modrig. Von einem Erker starrte ein Wasserspeier mit obszön langer Zunge missbilligend auf sie herab. Minn streckte ihm ihrerseits die Zunge heraus, kauerte sich unterhalb des Fensters hin und spähte ins Innere. Unzählige Kerzen in Silberständern sowie mit Kraftsteinen betriebene Lampen erleuchteten den Raum taghell.

Das Essen war schon vorbei. Trotzdem quoll die Tafel noch über vor Karaffen voller Likör, Wein und Säfte. Körbe mit knusprigem Brot und Schüsseln mit Gemüse drängten sich neben Porzellan­geschirr, auf dem sich Pasteten stapelten, Kristallschalen voll Obst wetteiferten mit Türmen aus Pralinen um die Gunst der Gäste. Beinahe wäre Minn ein sehnsüchtiges »Mjamm« entfleucht.

Toryan war nicht zu sehen. Dafür saß das Oberhaupt des Klerus, der Purifikant Damian, in einem der Ohrensessel vor dem Kamin. Ihm gegenüber nippte eine mittelgroße, schlanke Frau, die Minn nicht kannte, an einem Kelch Wein. Ihr kurz geschnittenes, dichtes schwarzes Haar reichte nach Art der freiholtschen Krieger nur bis über die Ohren. Stand ihr gut. Die wachen Augen strahlten Ruhe und Aufmerksamkeit aus, und ihren Bewegungen wohnte eine Geschmeidigkeit inne, wie Minn sie von den Veteranen Gut Eulensteins kannte. Das musste die Ratsherrin Shanesa sein. Neben ihr, in Hemd und dunkle Hosen gekleidet, lehnte Rojin mit überkreuzten Füßen und einer Schale voll Sahnepudding am Rand des Kamins.

Der stämmige Hausherr Armengal trug weiße Hosen sowie ein Hemd vom Rot einer frischen Schweineleber. Breitbeinig stocherte er mit einem Schürhaken in den Flammen, wobei er Minn die Kehrseite zuwendete. Unwillkürlich stellte sie sich vor, wie es wäre, ihm jetzt einen Tritt in den Schwabbelhintern zu verpassen.

Als hätte sie den Gedanken laut ausgesprochen, trat Armengal vom Kamin weg und klopfte mit einem Löffel gegen ein Kristallglas. »Meine Dame, meine Herren«, verkündete er, »wir können nicht länger auf Kardinal Tadeeans Eintreffen warten. Das Licht gebe, dass ihm nichts zugestoßen ist. Für uns gilt es zu entscheiden, wie wir der Bedrohung durch die Altnacht begegnen wollen. Wenn es stimmt, was der junge Grenzwächter sagte, stehen wir unmittelbar vor einem Krieg.«

Toryan war also bereits gehört worden. Kurz überlegte Minn, sich zurückzuziehen und zu ihm zu gehen. Andererseits, was würde er für Augen machen, wenn sie ihm erzählen konnte, was im Konklave besprochen worden war.

»General Nobu vertraut ihm.« Damian ließ den Wein in seinem Kelch kreisen. Der Flammenschein spiegelte sich im Rubin seines Siegelrings wider. »Ich bin mir nicht sicher. So oder so, die Zeichen sind eindeutig. Das Erscheinen des Feuersterns, der Mord am Wächterengel …«

»Nicht zu vergessen der heimliche Grenzübertritt in Freiholt«, ergänzte Ratsherrin Shanesa. »Die Blutfürsten müssen entweder sehr verzweifelt oder sehr zuversichtlich sein, unser beider Reiche herauszufordern.«

»In der Tat.« Rojin kniff die Augen zusammen und blickte zum Fenster. Hatte er Minn etwa bemerkt? Nein, er stellte die Schale ab und fuhr fort. »Die Frage ist, weiß jemand mehr über diese Dämmergeborene?«

»Sie ist nichts als eine Legende.« Armengal fläzte sich in einen Sessel und machte eine wegwerfende Geste.

»Die Blutfürsten glauben offenbar, dass mehr dahintersteckt«, sagte Shanesa. »Immerhin sind sie bereit, wegen dieser ›Legende‹ einen Krieg vom Zaun zu brechen. Es gibt nicht zufällig etwas, was der Klerus verschweigt?«

Minn konnte ihr Glück kaum fassen. Hier war etwas wahrhaft Großes im Gange, und sie wollte vom Donnerkeil geküsst sein, wenn sie nicht rausfand, was.

»Spart Euch Eure Verschwörungstheorien für Euren Ratssaal auf.« Armengal tippte die Fingerspitzen aneinander. »Wir sind hier, um ein Bündnis zu schmieden.«

Rojin setzte sich in den Sessel neben ihm, stützte den Ellbogen auf die Lehne und das Kinn in die Handfläche. »Sollten Verbündete einander nicht vertrauen?«

Armengal betrachtete ihn wie ein Stück Obst, an dem er einen braunen Fleck entdeckt hatte. »Eure mokante Art ist hier fehl am Platz. Wir haben Euch nicht hergebeten, um Fragen zu stellen. Ihr sollt berichten, was im Grenzland vor sich geht, wenn Ihr Euren Sonderstatus als freier Händler behalten wollt. Es heißt, Eure Mutter stammt aus Freiholt, Euer Vater aus Daosams Grenzregion. Da kann man sich schon fragen, wie vertrauenswürdig Ihr überhaupt seid.«

Rojins Lächeln schwand. Auf seiner Stirn begann eine Ader zu pochen. »Ihr mögt von mir als Mann des Wortes und Handels gehört haben. Aber droht mir noch mal, und Ihr lernt, dass mir das Schwert so vertraut ist wie die Feder. Ihr seid nicht die Einzigen, denen ich nutzen kann.«

Der Kardinal stierte ihn an. »Was hat von Euch Besitz ergriffen?«

»Der Zorn des Gerechten.« Trotz der feurigen Worte fiel Minn auf, dass Rojins Augen zufrieden blitzten, was Armengal jedoch nicht bemerkte. Hatte der Freischärler ihn etwa mit Absicht aus der Fassung bringen wollen?

Der Purifikant hob begütigend die Hände. »Meine Herren, Streit hilft keinem weiter. Außer den Mächten, die abzuwehren unser aller Wunsch ist. Ich bin sicher, niemand stellt Meister Rojins Loyalität infrage.«

Unvermittelt kroch Gänsehaut über Minns Nacken. Ihr war, als werde sie beobachtet. Sie sah sich um – nichts. Klar. Wer außer ihr sollte sich hier herumtreiben?

Sie konzentrierte sich wieder auf die Gespräche im Salon.

»Am Ende zählt, dass wir den Vormarsch der Altnacht aufhalten«, polterte Armengal. »Die Sicherheit Freiholts wird auch in Daosam verteidigt.«

Shanesa verschränkte die Finger ineinander. »Mich müsst Ihr nicht überzeugen. Ich werde dem Rat empfehlen, dass unsere Armee an der Seite des Klerus kämpft.«

»Vielleicht muss sie das gar nicht.« Rojin hob beide Hände. »Ich verstehe Euer aller Sorge. Dennoch sollte Krieg das äußerste Mittel sein. Die andere Seite hat ebenso Leben zu verlieren. Ich bin sicher, niemand geht gern in den Tod.«

»Sollen wir etwa warten, bis sie die Grenze überschreiten?«, unterbrach Armengal. »Ist das Euer Rat?«

»Lasst mich ausreden. Mein Rat wäre, zu verhandeln.«

Damian zupfte an seiner Stola. »Was der Altnacht anheim­gefallen ist, kann nicht befriedet werden. Der Gefallene und alle, die ihm folgen, sind vereint im Hass auf das Licht.«

»Man könnte meinen, Ihr wollt nicht, dass ich und Ratsherrin Shanesa mehr von dieser Legende über die Dämmergeborene erfahren«, versetzte Rojin bedächtig.

Armengal lief puterrot an. »Impertinenter Kerl. Fangt Ihr schon wieder damit an?«

Etwas huschte ganz in Minns Nähe vorbei. Mit einer Hand tastete sie nach ihrem Messer. Mit der anderen riss sie ein Büschel Gras beiseite. Dahinter war … mehr Gras. Kopfschüttelnd stieß sie den Atem aus.

Weshalb bitte gefror der vor ihrem Mund zu einem Wölkchen?

Ein Schemen im Kapuzenmantel sprang Minn vom Dacherker an. Sie schlug hart auf dem Boden auf. Eine Hand legte sich über ihren Mund, die andere presste ihre Handgelenke zusammen. Wo der Angreifer Minn berührte, wich sämtliche Wärme aus ihr. Sie verlagerte das Gewicht und rammte das linke Knie in die Seite des Unbekannten. Der grunzte, wich aber nicht, sondern machte sich noch schwerer. Dabei verrutschte die Kapuze.

Minn starrte ins blasse Antlitz einer Schönheit mit glühenden Augen und einem sinnlichen Mund, hinter dem Fangzähne schimmerten. Eine Blutfürstin!

Erneut stieß Minn mit dem Knie zu. Die Kreatur drückte ihr die Hüfte gegen den Oberschenkel und der Stoß verlor alle Kraft. Trotz der Verbissenheit des Kampfes bemühten sich beide, möglichst leise zu sein.

Die Kälte betäubte Minn. Verzweifelt versuchte sie, ihre Gegnerin abzuschütteln. So filigran diese wirken mochte, ihre Kraft war übermenschlich. Selbst mit einer Hand hielt sie Minn so leicht unter Kontrolle, wie eine Katze eine Maus zu Boden drückt.

Tötet sie mich deshalb nicht?, schoss es Minn durch den Kopf. Will sie mit mir spielen?

Der Gedanke ließ eine Stinkwut in ihr aufsteigen. Sie erschlaffte für einen Atemzug, um die Blutsaugerin eine Handbreit näher an sich ranzulassen, damit sie einen Armhebel ansetzen konnte.

Das Miststück durchschaute den Trick.

Als Minn sich eindrehte, raste die freie Faust heran. Es war, als träfe ein Klotz aus Eis Minns Schläfe.

Dann – Dunkelheit.

14

Ein Aufbruch ohne Abschied


Das rumms-rumms-rumms einer Faust gegen die Zimmertür ließ Toryan aus dem Schlaf aufschrecken.

Sein Herz klopfte heftig, und als er sich das Haar aus der Stirn strich, war es ganz verschwitzt. Kein Wunder. Er hatte geträumt, dass er Hand in Hand mit Minn auf einer goldenen Straße Richtung Horizont schritt. Doch als er sich zu ihr drehte, um sie zu küssen, stand sie in Flammen. Ihr Gesicht schmolz, und eine Fratze mit Fangzähnen kam darunter zum Vorschein. Er wollte davonlaufen, aber Dunkelheit fraß die Sonne, bis die brennende Minn das letzte schreckliche Licht in der Finsternis war.

Die Matrone Ryna streckte den Kopf durch die Tür. »Entschuldigt, Herr Toryan. Ihr sollt schnellstmöglich in den Hof kommen. Befehl Eures Generals.«

Toryan wusch sich den kalten Schweiß von der Stirn, schlüpfte in seine Wächteruniform und gürtete sich mit seinem Schwert. Seine Gedanken schweiften zu Minn. Sie war vergangene Nacht nicht aufgetaucht. Spielte sie mit ihm? Hatte er sich nur eingebildet, dass da mehr als rein Körperliches zwischen ihnen war? Oder hatte er sie zu sehr bedrängt, sie mit seinem Vorschlag, ein gemeinsames Leben anzufangen, vergrault? Er versuchte das schale Gefühl der Enttäuschung zu verdrängen. Während er die Gänge entlang- und die Treppen hinablief, hielt er nach ihr Ausschau. Verschiedene Bedienstete huschten durchs Haus. Sie war nicht darunter.

Der Hof von Gut Eulenstein schien sich in einen explodierten Ameisenhaufen verwandelt zu haben. Krieger wuselten herum, sattelten Pferde, gürteten sich mit Waffen, füllten Vorratsfässer oder ölten die Kolben der Dampfkarren.

Toryan erblickte Nobu und eilte zu ihm.

»Fertig zum Aufbruch, Langschläfer?«, begrüßte ihn der General.

»Wieso Aufbruch? Wohin?«

»Ein Kriegstrupp der Altnacht ist in Daosam eingedrungen und belagert Kardinal Tadeeans Feste.«

»Was? Wie ist das möglich?«

»Der Phönixweidenhain ist gefallen.«

Toryans Herz schlug schneller als die Hämmer der Handwerker an den Proviantfässern. Vor Asgreals Ankunft, so wusste er aus den Historien­stunden in der Akademie, hatten Grenzwächter jene schmale Landzunge in Daosam gesichert, wo keine reißende Strömung und kein bodenloser Abgrund die Grenze zur Altnacht schützte. Nach Ankunft der Engel wurde in den Erfinderlaboren Servuls die Idee geboren, Netze aus Energie zwischen den Bäumen entlang des Grenzstreifens zu spannen, die alles pulverisieren würden, was sie zu durchbrechen versuchte.

Was genau schiefgegangen war, wusste heute niemand mehr. Von den Alchemisten hatte man vor Ort jedenfalls nur noch Asche­häufchen gefunden. Noch bizarrer war ihr Vermächtnis gewesen. Blitze zuckten ohne sichtbaren Ursprung zwischen den Ästen der Weiden hin und her und setzten die Stämme in Brand. Sobald ein Baum zerfiel, erhob sich aus der Asche ein neuer Sprössling, der binnen weniger Atemzüge zur stattlichen Brennweide emporschoss, und der Kreislauf aus Vernichtung und Auferstehung begann von Neuem. So hatten die Erfinder ihr Ziel letztlich doch erreicht, wenngleich sie ihren Triumph nicht mehr hatten genießen können.

»Der Seraph Egroger brachte die Neuigkeiten«, fuhr General Nobu fort. »Im Augenblick hält er Kriegsrat mit dem Purifikanten und Kardinal Armengal. Er wird unterwegs zu uns stoßen.«

Toryan saugte an seiner Unterlippe. Die Kampfkraft des Kriegsengels wog hundert Männer auf. Die Erinnerung an den Anblick Bahrakels bei den Sieben Söhnen verursachte ihm allerdings Unbehagen. »Was ist mit Purifikant Damian?«

»Seine persönliche Garde eskortiert ihn zurück nach Gorvul. Niemand weiß, wie sicher die Straßen noch sind, also werden sie wenig bereiste Nebenwege nehmen. Und jetzt mach dich nützlich.« Der General wuchtete ihm einen Sack mit Arkebusenkugeln in die Arme.

Toryan ging unter dem Gewicht leicht in die Knie. »Wohin damit?«

»Auf den Kolbenwaggon.« Nobu deutete auf eines der zahnradbewehrten Gefährte. »Und dann sieh zu, dass du was zwischen die Zähne bekommst. Wir brechen in Kürze auf.«

Toryan hoffte bis zum Schluss, dass Minn noch auftauchen würde. Selbst als die Waggons dampfzischend anrollten und die Pferde in Trab verfielen, spähte er noch zwischen die Hecken. Doch das Tor von Gut Eulenstein schloss sich hinter ihm, ohne dass sie sich hatte blicken lassen.

Seine Brust stach, und das Atmen fiel ihm so schwer.

Vermutlich wäre sie ohnehin nicht mit mir gekommen, sagte er sich. Ich hätte sie nie wiedergesehen, und eine Verabschiedung hätte alles nur schwerer gemacht. Es ist für uns beide besser so.

Doch egal, was er sich einzureden versuchte, der Schmerz im Innern blieb.


Minn erwachte, als ein langes, raues Etwas ihr Gesicht kitzelte. Eine Klaue? Sie riss die Augen auf. Nein, ein Grashalm, der halb in ihrem Nasenloch steckte. Was die Frage aufwarf, weshalb sie mit dem Gesicht voran auf dem Boden lag.

Die Erinnerung stürzte auf sie ein. Die Versammlung. Der Angriff der Blutsaugerin. Sie tastete sich panisch über Hals und Handgelenke. Keine Bissspuren. Dafür eine fette Beule überm Ohr, wo der Schlag sie getroffen hatte. Donnerkeil und Blitzgewitter, das Miststück hatte Kraft gehabt.

Minn zupfte ein Büschel feuchtes Gras ab und tupfte sich damit gegen die Schwellung. Was hatte die Vampirin hier gewollt? Ein Attentat begehen? Nein, wenn ein Mord passiert wäre, dann wäre längst jemand auf Spurensuche gegangen und hätte Minn gefunden. Also Spionage.

Woher weiß ein Wesen der Altnacht von dem Konklave? Und wie ist es aufs Gelände gelangt?

Benommen rappelte Minn sich auf, linste erneut in den Salon. Leer. Die Kerzen waren zu Stummeln herabgebrannt, der Tisch war mit Soßenflecken verspritzt, von Hühnerknochen hingen Haut und Fleischfetzen. Minn schaffte es noch so eben, sich von der Wand abzuwenden, ehe sie sich übergab.

Sie musste jemandem melden, was passiert war.

Aber dann wissen sie, dass ich gelauscht hab. Womöglich komm ich wegen Spionage in den Kerker. Bestimmt kann ich es Toryan sagen. Er wird wissen, wem er das anvertrauen kann.

Schwankend machte sie sich auf den Weg zum Haupthaus. Erst als sie aus dem Schatten der Bäume trat, fiel ihr auf, wie hoch die Sonne stand. Es war bereits Mittag. Sie hatte ihren Dienst verpasst. Und, weit schlimmer, die Verabredung mit Toryan. O dreimal vermale­deiter Donnerkeil!

Ihre Schläfen schmerzten, als stocherte ein Kobold mit einer Feuernadel darin herum. Gesenkten Kopfes schlurfte sie Richtung Haupthaus.

»He, da bist du ja«, rief der Pferdeknecht Foy, als sie auf den Kies­pfad neben den Ställen einbog. »Ryna sucht dich. Die ist fuchsteufels­wild. Du wirst ganz schön was auf die Ohren bekommen.« Seine Stimme verebbte, als sie ihn ansah. Rasch wandte er sich wieder seinen Strohballen zu.

Vor dem Gesinderaum holte Minn tief Luft, strich sich das Haar zurück und klopfte an.

»Rein, mit wem auch immer.« Die Matrone klang, als hätte sie Reibespäne gefrühstückt. Oh, oh!

»Ähm«, sagte Minn, während sie zögerlich die Tür aufdrückte. »Ich bin’s.«

Ein eierlegender Hund hätte Minn kaum mehr verblüfft als Rynas Reaktion. Die Matrone sprang von ihrem Schreibtisch auf, wobei sie ein Tintenfass bedenklich ins Schwanken brachte, raste zur Tür und schloss sie in die Arme. »Das Licht sei gepriesen. Ich dachte schon, der Purifikant hätte dich mitgenommen!«

Nun war Minn verdattert. »Wieso sollte er? Er hat doch genug Personal.«

»Was? Ja. Natürlich. Egal, egal.« Ryna flatterte mit den Händen. »Hauptsache, du bist da.«

»Jaaa, nicht wahr?«

Rynas Blick fiel auf die Dienstpläne an der Wand. »Du hättest heute Morgen Einkäufe in Eschgard erledigen sollen.«

»Tut mir leid. Ich hab verschlafen.«

»Du warst nicht in deinem Zimmer.« Rynas Blick bekam etwas Weiches. »Du warst bei dem Jungen, stimmt’s? Diesem Toryan? Ich hab gesehen, wie du ihn angesehen hast, vorgestern auf dem Hof. Und er dich. War er nicht vor einigen Monaten schon mal hier und hat mit dir den Ausflug zum alten Weiher gemacht, obwohl ich verboten hatte, auf die alten Koppeln zu gehen?«

Minn klappte den Mund auf. Klappte ihn wieder zu.

»Ist schon gut. Als ich in deinem Alter war, hätte ich ihn bestimmt ebenfalls … ähm … mitgenommen. Aber lassen wir das. Du wirst die Morgenschicht nacharbeiten. Klar?«

»Ja. Sicher.« Minn starrte ihre Zehenspitzen an.

»Gut. Als Erstes hilfst du Schu… hilfst du Ann, die Füllungen für die Pasteten in die Küche zu schaffen. Danach servierst du dem Kardinal seinen Tee.«

»Uh, kann das nicht einer der Dienstboten machen?«

»Übertreib’s nicht, junge Dame.« Über Rynas Brauen erschienen die senkrechten Falten, die immer dann auftraten, wenn sie kurz davor war, ernsthaft sauer zu werden.

»Schon gut. Ich mach’s ja.«

»Keine Sorge.« Die Matrone atmete tief durch. »Das Konklave ging bis spät in die Nacht. Er wird dir nicht lange Predigten halten.«

Wenn’s das nur wäre, dachte Minn.

»Woher hast du die Beule an der Schläfe?« Ryna kniff die Augen zusammen. »Hat dieser Toryan das getan? Dann kann er froh sein, dass er weg ist.«

»Was? Nein, nein, ich hab mir … Moment. Er ist weg?«

»Wie tief hast du denn geschlafen? Die Soldaten mussten nach Daosam, in den Krieg. Der gesamte Hof war in Aufruhr.«

Minn hörte die Worte wie durch Watte. Toryan war fort. Und sie hatte ihn versetzt. Vielleicht sah sie ihn nie wieder. Etwas Feuchtes rann über ihre Wangen. Ärgerlich wischte sie es weg. Sie hatte seit Jahren nicht geweint, und dreimal vermaledeiter Donnerkeil, sie würde es auch jetzt nicht tun. Stattdessen grub sie sich die Fingernägel so tief in die Handflächen, dass es wehtat, um die Leere zu verdrängen, die sich in ihr breitzumachen drohte.


Armengal hing mehr in seinem Sessel, als dass er saß. Obwohl es Spätnachmittag war, hatte er sich in einen Abendrock aus blau-silberner Seide gehüllt. Aus blutunterlaufenen Augen stierte er Minn an. Auf seinem Schreibtisch stand eine leere Flasche, aus einem Mundwinkel rann ein Speichelfaden über die Wulstlippen. Na toll. Nüchtern war er ein selbstgefälliger Griesgram, aber betrunken wurde der alte Bock unausstehlich.

»Euer Tee, Kardinal.«

»Ah, das Mägdlein Minn.« Armengal lallte leicht. »Komm her, komm. Wo hast du die letzten Wochen gesteckt?«

»Gartenarbeit. Ihr wisst schon.« Sie setzte das Tablett vor ihm auf dem Schreibtisch ab.

»Nein, weiß ich nicht. Läufst mir kaum noch über den Weg. Dabei bist du recht ansehnlich geworden. Nicht mehr so ein Brett wie als junges Gör.« Er legte einen Arm um ihre Hüfte und zog sie zu sich. Armengal hatte ihr schon öfter im Vorbeigehen einen Klaps versetzt, was Minn zähneknirschend geschluckt hatte, aber zu viel war zu viel. Statt sich gegen ihn zu stemmen, tat sie, als stolperte sie nach vorn. Dabei stieß sie ihm beide Hände vor die Brust, getarnt als Versuch, sich abzufangen. Der Sessel kippte hintenüber. Armengal ruderte wild mit den Armen wie eine fette Ente, die versucht abzuheben. Vergebens. Es krachte gleich zweimal, als er auf dem Boden aufschlug und die Flasche vom Tisch fiel und neben seinem Kopf zersprang.

»Tollpatschiges Weibsstück.« Der Kardinal zog sich am Tisch hoch, puterrot im Gesicht. An seinem Hinterkopf wuchs eine hornförmige Beule. »Ich sollte dich …«

Die Tür wurde aufgerissen und Ryna stürmte mit wehenden Röcken herein. »Was ist passiert?«

»Dieser Tölpel ist auf mich draufgefallen«, lamentierte Armengal. »Nichts als Stroh zwischen den Ohren, das Mädchen.«

»Wer selbst Honig am Kopf kleben hat, sollte aus der Sonne bleiben«, murmelte Minn. Ryna warf ihr einen beschwörenden Blick zu.

Armengal hob den Flaschenhals auf und fuchtelte damit herum. »Bring mir Ersatz für die hier.«

»Herr, Ihr habt den letzten Rum gestern Nacht mit Seiner Exzellenz Damian ausgetrunken«, sagte Ryna.

»Dann soll Minn ihren Hintern gefälligst Richtung Stadt bewegen und neuen holen.«

»Es wird bald dunkel«, sagte Ryna betont ruhig.

»Mit ihrer guten Sicht wird sie den Weg von Eschgard zurück schon finden.«

Es stand Ryna ins Gesicht geschrieben, dass sie noch etwas erwidern wollte, doch Armengal wedelte mit der Hand, als wollte er eine Biene verscheuchen. »Raus jetzt. Ich habe zu arbeiten.«

Ja, daran, Platz für die nächste Flasche zu schaffen, dachte Minn. Laut sagte sie: »Sehr wohl, Herr«. Ryna sollte auf keinen Fall seinen Unmut wegen etwas auf sich ziehen, was sie verbockt hatte. Rückwärtsgehend und mit gesenktem Haupt zogen sie und die Matrone sich aus dem Studierzimmer zurück.

»Was hast du bloß wieder angestellt?«, fragte Ryna, als sie außer Hörweite waren.

»Dafür gesorgt, dass er mich nicht begrapscht.«

Ryna seufzte. »Manchmal vergesse ich, wie die Männer dich sehen. Für mich bist du noch das kleine Mädchen, das ich vor Jahren herbrachte. Vielleicht ist es an der Zeit, dass du woanders hingehst.«

»Seid Ihr böse? Ich wollte Euch keinen Ärger machen.«

»Nein, Kind. Ich bin nicht böse.« Ryna strich ihr übers Haar. »Ich will das Beste für dich. Du musst wissen, ich bin … Nein, das ist weder der richtige Ort noch Augenblick. Komm zu mir, wenn du aus Eschgard zurück bist. Dann reden wir. Es gibt vieles, was du erfahren musst.«


Verwirrt, traurig und missmutig suchte sich Minn ihren Weg durch Eschgards Händlerviertel. Sie versuchte sich einzureden, dass es besser war, im schwindenden Tageslicht umherzustapfen, als sich von Armengal betatschen zu lassen. Womöglich hatte der Vorfall ja sein Gutes, und der alte Suffkopf würde künftig die Finger von ihr lassen.

Andernfalls muss ich ihm eines Tages dahin treten, wo selbst das Licht Asgreals nicht scheint, überlegte sie. Dann sind alle Gedankenspiele, woanders mein Glück zu suchen, ganz ohne Rynas Zutun entschieden.

Warum wollte die Matrone sie plötzlich loswerden? Wo sie doch sonst um sie herumflatterte wie eine Glucke um ihr Küken? Hatte sie endgültig genug von Minns Flausen und Tagträumerei? Nein, es steckte mehr dahinter, das spürte Minn instinktiv. Nur was, was? Dinge nicht zu wissen machte sie verrückt. Und noch verrückter, wenn es dabei um sie ging.

Sie ließ die Werkstätten der Filzmacher, Schmiede und Schnitzer hinter sich und bog in die steil abfallende Gasse ab, in der die Speziali­tätenhändler und Destillerien ihre Geschäfte hatten. An den Seitenwänden der Häuser waren bereits die Gaslaternen entzündet und tauchten ihre Umgebung in schummriges Licht.

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