Kitabı oku: «Tamy», sayfa 2

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Im Gegensatz zu meiner Mutter waren Heinz und Charlotte immer da. Die Seite des grossen Mäzens, Fabrikbesitzers und Politikers, die mein Pflegevater in der Öffentlichkeit zeigte, war für mich als Kind bedeutungslos, aber ich spürte sehr wohl, wie sich die Stimmung änderte, sobald er einen Raum betrat und wie die Menschen auf ihn reagierten. Mich nannte er «ein Geschenk des Himmels», er war glücklich, dass ich bei ihnen gelandet war, und tat alles für mich. Charlotte war zwanzig Jahre jünger als er und natürlich erzählten sich die Leute ganz eifrig, dass sie nur seines Geldes wegen bei Heinz war – aber wie viel Wahrheit liegt in solchen selbstgefälligen Behauptungen?

Die beiden gingen sehr achtsam miteinander um, stritten nur selten, liebten sich. Von Zuhause aus lenkten sie die Firmengeschäfte, wie Heinz hatte auch Charlotte ihr Büro bei uns im Haus. Oft begleitete ich Charlotte, wenn sie zur Firma rüberfuhr, um etwas abzuholen, oder es kamen Geschäftsleute zu Sitzungen in die Villa.

Sobald wir wieder unter uns waren, war Charlotte eindeutig die Chefin, oder besser: Sie und ich waren das. Wir waren die einzigen Menschen in Heinz’ Leben, von denen er ein Nein akzeptierte. Zwar versuchte er manchmal zu protestieren, aber doch eher halbherzig und im Wissen, ohnehin nicht gegen uns anzukommen.

Für mich waren die beiden Familie; wenn ich an meine Kindheit denke, denke ich an Heinz und Charlotte. Bis ich 13 war, kroch ich nachts in ihr Bett, legte mich zu Charlotte an die Seite. Sie war mütterlich und verständnisvoll. Ich fühlte mich geborgen.

Als ich in der 2. Klasse war, gingen unsere italienischen Angestellten in Rente und zogen in ihr Haus in Norditalien. Ich vermisste sie und war traurig und auch, wenn das spanische Paar, das sie nach kurzer Zeit ersetzte, ebenfalls freundlich und sympathisch war, entwickelte ich zu ihnen nie so eine Nähe wie zu Michele und Guiseppina. Dennoch brachte ihr Einzug einen entscheidenden Vorteil für mich: Ich wurde in der Schule nicht mehr ganz so oft geärgert, denn das spanische Paar hatte zwei Kinder, die mit in unser Haus zogen, allerdings schon deutlich älter waren als ich. Der Sohn war 12, die Tochter 16, und die beiden bekamen den Auftrag, auf mich aufzupassen und darauf zu achten, dass niemand gemein zu mir war. Zwar besuchten sie schon die höhere Schule, die fünf Gehminuten entfernt war, sodass ich meine Schulwege weiterhin alleine meistern musste, aber hin und wieder sah man uns zusammen und es sprach sich herum, dass sie nach mir guckten. Ohne dass ich darüber reden musste, war dies ein wirkungsvolles Druckmittel und tatsächlich kam es zu der einen oder anderen Situation, in der sie für mich eintraten, woraufhin mich die anderen Schüler einigermassen in Ruhe liessen, was sehr erleichternd war.

Gleichwohl zeigten mir die anderen Kinder weiterhin deutlich, dass ich nicht dazugehörte, nach wie vor verstummten ihre Gespräche, wenn ich kam, zogen ihre Blicke Grenzen und manchmal war es ihnen egal, dass es da jetzt die beiden spanischen Aufpasser gab, sodass sie sich trotzdem wieder auf mich stürzten.

Ich hielt das zwei, drei weitere Jahre aus, dann reichte es mir!

Es war nicht einmal so, dass ich unbedingt dazugehören wollte oder einsam gewesen wäre. Seit ich klein war, war ich gerne allein gewesen, lebte unbeschwert in meiner eigenen Welt. Während der Kindergartenzeit hatte ich oft ewig für meinen Heimweg gebraucht, statt fünf Minuten war ich locker eineinhalb Stunden unterwegs, sodass mir oft schon meine Pflegemutter oder jemand vom Personal entgegenkamen, weil sie sich Sorgen machten. Meist fanden sie mich irgendwo auf dem Weg, im Zeitlupentempo nach Hause schleichend, selbstvergessen über Blümchen, Schmetterlinge oder sonst was staunend.

In der Schule war das noch genauso, auch, wenn sich das Umfeld geändert hatte und die Lehrer nicht begeistert waren. Im Unterricht schaute ich ewig aus dem Fenster, unterwegs in meinen eigenen Märchen. «Tamy – wo ist sie?», schrieben sie in mein Zeugnis. In ihren Kommentaren war ich «eine Tagträumerin», «nicht anwesend». Dabei beliessen sie es, da ich immer gute Noten hatte, sodass sie nicht wirklich etwas sagen konnten.

Nachmittags ging ich oft in unseren Wald, kletterte in den Bäumen herum und beobachtete von dort oben die Leute, die vorübergingen. Oder ich dachte mir Geschichten aus, in denen der Wald mein Zuhause war und die Blättchen, die ich sammelte und in meiner Waldküche kochte, mein Abendessen waren. Oder ich sass bei den Enten, die hier ein grosses Gehege hatten oder verbrachte Zeit mit unseren Hunden. Kreierte meine eigene Welt.

Manchmal spielte ich auch mit Laura, der Enkelin meines Pflegevaters, die oft bei uns vorbeikam und die, weil alles andere zu umständlich gewesen wäre, meine Cousine genannt wurde. Und es gab Nadine. Sie hatte irgendwann in der vierten Klasse entschieden, dass sie mit mir befreundet sein wollte. Ich hatte sie immer doof gefunden, vor allem wegen ihrer Frisur – so gesehen, war ich auch nicht weniger von Äusserlichkeiten beeinflusst als die anderen Kinder. Nadine hatte bereits in der Kindergartenzeit einen vollendeten Vokuhila getragen, vorne Igel, hinten lang, der damals ziemlich angesagt gewesen war und den ausser ihr bestimmt weitere vier, fünf Mädchen verpasst bekommen hatten. Ich war nur froh, dass ich davon verschont geblieben war. Auch Nadine hatte ihre Frisur schrecklich gefunden, aber sie war nicht gefragt worden und musste wohl oder übel damit herumlaufen.

Obwohl wir uns also eigentlich gar nicht mochten, freundeten wir uns jetzt, in der 4. Klasse, an und wurden bald unzertrennlich. Auch Nadine gehörte nicht gerade zu den beliebtesten Kindern der Klasse, aber sie war viel mehr connected als ich; kein Vergleich mit meinem Status, mit den ewigen Schikanen und den Anfeindungen, die weiterhin regelmässig stattfanden und auf einer Skala von 1 – mir fiese Sachen zurufen – bis 10 – Auflauern und Verprügeln – reichten. Auch, wenn es nicht jeden Tag zu 10 kam – schon bei 1 sah ich es persönlich als zwingend erforderlich an, mich zu verteidigen – und ich war es nach dieser ganzen Zeit müde, wollte nicht mehr.

So traf ich am Ende der 4. Klasse eine bewusste, folgenreiche Entscheidung: Ab dem nächsten Schuljahr würde ich anders aussehen! Ich hatte fünf Wochen Zeit. Über die Sommerferien liess ich mir die Haare wachsen und setzte meine Brille nicht mehr auf. Wenn ich mich genügend konzentrierte, konnte ich auch ohne Brille gut sehen, das ist bis heute noch so. Nur, wenn ich müde werde, fällt mir das Sehen schwer, dann wird alles ganz verschwommen, aber ich hatte meine Methoden: Ein Auge zuhalten half, Schielen auch, was ich allerdings nur tat, wenn mich keiner beobachtete. Von damals ist mir geblieben, dass ich meine Brille praktisch nie in der Öffentlichkeit aufsetze.

Ausserdem kleidete ich mich anders. Es war nicht so, dass ich in Minirock und High Heels zur Schule ging, aber während mir bisher ziemlich egal gewesen war, wie ich aussah – es hatte mich einfach nicht interessiert –, wählte ich meine Kleidung jetzt ganz bewusst nach den aktuellen Trends aus. Vorzugsweise orientierte ich mich an dem, was die Neuntklässler trugen: Statt Jogginghosen oder irgendeine No-Name-Jeans zog ich nun dieselben angesagten Klamotten wie die anderen an. Wenn die Mädchen Miss Sixties gut fanden, fand ich das jetzt eben auch. Oder es kam ein Typ mit Buffalo-Schuhen in die Schule, die so ziemlich jeder cool fand und gerne gehabt hätte, und kurz darauf trug ich ebenfalls solche Schuhe. Die finanzielle Situation bei uns zu Hause machte meine Verwandlung natürlich erheblich leichter. Es war für mich nie ein Problem, bestimmte Klamotten zu bekommen; wenn die anderen Kinder noch dabei waren, ihre Eltern davon zu überzeugen, dass sie dringend ein bestimmtes Kleidungsstück bräuchten, kam ich schon am nächsten Morgen damit ins Klassenzimmer. Auch von unseren Amerikareisen brachte ich nun jedes Mal die angesagten Jeans und T-Shirts mit.

Wenn es jetzt vorkam, dass ich mal danebengriff, spürte ich das schnell und korrigierte sofort. Zum Beispiel hatte ich mal so einen Zweiteiler, der aus einer Art Radlerhose und einer Jacke mit Knöpfen bestand. Beides war schwarz mit weissen Nähten und hatte noch irgendwelche Muster – ein wildes Teil. Ich fand es mega toll, aber es kam überhaupt nicht gut an. Also musterte ich den Zweiteiler sofort wieder aus.

Ich kam mir nach meiner Verwandlung nicht verkleidet vor und ich fühlte mich auch nicht wirklich unwohl, aber trotzdem war das nicht mehr mein selbstverständliches Ich, sondern eine Rolle, in die ich schlüpfte. Mir war nicht mal im Ansatz klar, was ich da tat, und dass ich soeben einen entscheidenden Teil von mir aufgab. Ich weiss nicht, ob ich genauso gehandelt hätte, wenn mir das bewusst gewesen wäre. Für Heinz und Charlotte war mein veränderter Look nicht mehr als eine neue Mode, die mir halt jetzt gefiel. Ich hatte zuhause nur von den wenigsten Beschimpfungen und Bedrohungen erzählt, eigentlich nur von denjenigen, bei denen ich wirklich Angst gehabt hatte – die Geschichte mit dem rosa Röckchen, die Schnee-Attacke –, alles andere hatte ich für mich behalten, weil ich einfach kein Gewicht darauf legte. Das war es nicht wert. Meine Pflegeeltern sollten nicht wissen, wie häufig ich attackiert wurde. Ich zog das erfolgreich durch.

Entsprechend unspektakulär muss meine jetzige Veränderung auf sie gewirkt haben. Eine neue Hosenmarke und längere Haare eben, ein anderer Look, aber sonst?

Ein Verstecken, Zurückziehen, Vortäuschen. Ich gab meinen eigenen Ausdruck auf.

Das Erschreckende ist, wie gut es funktionierte! Innerhalb kurzer Zeit war ich akzeptiert, war bald sogar richtig beliebt. Ich stand in den Mädchenrunden auf dem Schulhof und beteiligte mich an ihren Gesprächen über welche Themen auch immer – mir war das egal. Ich hatte neben Nadine, mit der ich weiterhin in engem Kontakt war und durch die gesamte Schulzeit befreundet bleiben sollte, plötzlich auch andere Freundinnen. Zusammen mit Nadine richtete ich in unserem Haus einen Discoraum ein, direkt neben dem Weinkeller und der Garage. Heinz und Charlotte hatten die Idee dazu gehabt. Wir besprühten die Wände mit dem, was wir unter Graffiti verstanden, hängten eine Discokugel an die Decke und bunte Lichter an die Wände. Dann lud ich zur Party ein. Es kamen all die Fünftklässler, die ich eingeladen hatte, und ausserdem Schüler aus der siebten, achten, sogar aus der neunten Klasse, und zwar ausnahmslos die «cool kids», die ich nie im Leben zu fragen gewagt hätte und die sich wohl die Gelegenheit nicht entgehen lassen wollten, die weisse Villa von innen zu sehen. Für meinen Status war ihr Auftreten der grosse Durchbruch. In meiner Klasse gehörte ich nun definitiv zu den Beliebtesten, mit denen alle abhängen wollten.

Sehr schnell wurde mein neues Image so normal für mich, dass ich gar nicht mehr darüber nachdachte und über viele Jahre komplett vergass, dass ich da mal eine Entscheidung getroffen hatte und wie ich eigentlich vorher gewesen war. Ich entwickelte mich zur Teenagerin und war eklig zu meinen Pflegeeltern. Ich stritt mit ihnen und weigerte mich beleidigt, mit ihnen zusammen am Tisch zu sitzen. Mit dem Teller in der Hand stapfte ich wütend nach oben, ass alleine in meinem Zimmer.

Bei Charlotte beklagte ich mich darüber, dass wir nicht in einer normalen Wohnung lebten. Schloss ich neue Freundschaften, war es mir jetzt peinlich, die Freunde mit nach Hause zu nehmen. Jedes Mal, wenn ich es doch tat, wurde ich damit konfrontiert, wie sie staunend umherschauten, abcheckten, verglichen. Mir machten ihre Ehrfurcht und Bewunderung noch mehr bewusst, wie sehr sich meine Situation von der ihren unterschied. Ich folgte ihren Blicken und fand es beklemmend, mir vorzustellen, was sie wohl dachten und was sie wohl zu Hause erzählen würden. Es war mir auch unangenehm, vom Chauffeur zur Schule oder zum Schwimmunterricht gebracht zu werden, weshalb ich immer eine Strasse eher ausstieg, sodass mich keiner sah – heute hätte ich definitiv nichts mehr dagegen, von einem Chauffeur gefahren zu werden. Und ich regte mich darüber auf, dass Heinz und Charlotte nicht verheiratet waren! Als ich jünger gewesen war, hatte ich es noch lustig gefunden, dass wir alle drei verschiedene Nachnamen hatten. Auf Reisen hatte das immer wieder zu Verwirrung und kritische Blicken am Schalter geführt. Ich fand, dass die beiden einfach zusammengehörten – einerseits. Andererseits suchte ich auch hier möglichst viel Normalität. Alle anderen hatten auch verheiratete Eltern; warum konnte nicht wenigstens das bei mir genauso sein? Tatsächlich taten sie mir den Gefallen, was mir bis heute sehr leidtut, denn Charlotte sollte später, nach dem dramatischen Firmenscheitern und dem Tod von Heinz, dadurch ziemliche Schwierigkeiten bekommen.

Bei all den Konflikten, die wir damals hatten, stellte ich die Autorität meiner Pflegeeltern nie infrage. Sätze wie «Ihr seid nicht meine richtigen Eltern!», habe ich nie gesagt und auch nie gefühlt. Unser Grundgerüst war stabil und tragfähig.

Mit meiner Mutter stritt ich nie. Wenn man sich nur fünf Tage am Stück sieht und dazwischen höchstens telefoniert, gibt es keinen Alltag, in dem der eine genervt vom anderen sein könnte. Es gibt immer nur Ausnahmesituationen. Meine Mutter war für mich die coolste von allen; ich fand sensationell, wen sie kannte, wie sie lebte, mit wem sie arbeitete; so wollte ich auch mal sein. Ich weiss noch, wie wir damals in der Schule ein Bild malen sollten, das uns selbst im Alter von 30 Jahren zeigt. Ich malte mich auf dem Laufsteg. In meinem Bild war Claudia Schiffer krank geworden, weshalb ich spontan für sie einspringen musste. Jeder Schüler präsentierte sein Bild vor der Klasse. Als ich meines vorstellte, erntete ich grosses Gelächter und ich wusste auf der Stelle, dass ich meinen Traum in Zukunft für mich behalten würde. Die Träume der anderen waren so handfest und real wie die Schweizer Berge.

Im Gegensatz zu heute wollte damals niemand Model werden, schon gar nicht in unserem kleinen Dorf. Es gab hier nicht die geringsten Berührungspunkte. Für mich gab es meine Mama, die zwar aktuell nicht mehr modelte, aber deren Leben nach wie vor funkelte und glitzerte. Ich durfte das selbst ein kleines fantastisches bisschen miterleben, als ich 2001 zum allerersten Mal zu ihr nach L.A. flog. Mit 16 alleine in den Flieger und ich würde fünf ganze Wochen bleiben. Damals arbeitete meine Mama gerade bei einem Videodreh der R&B-Sängerin Aaliyah mit. Aaliyah war 23 Jahre alt und gerade durch den Film «Romeo Must Die» zum Star geworden. Sie spielte darin nicht nur die weibliche Hauptrolle, sondern sang auch den Song «Try Again». «Romeo Must Die» wurde zu einem der erfolgreichsten Filme des Jahres und Aaliyahs Song schnellte hoch auf Platz eins der amerikanischen Singlecharts. Menschen auf der ganzen Welt wurden ihre Fans und ich war definitiv einer davon.

An vielen Tagen waren meine Mama und ich zusammen unterwegs, an anderen, an denen sie arbeiten musste, kümmerten sich meistens Freunde von ihr um mich oder meine Mutter setzte mich in der Mall ab, wo ich mir die Zeit vertrieb, auch mal ein paar Jungs kennenlernte, bevor sie mich abends wieder abholte. Eines Abends erzählte sie mir, dass sie mich am nächsten Tag mit ans Set nehmen würde. Es würde eine Szene gedreht, bei der ich sogar mitspielen könnte. Wow!

So gross wie meine Aufregung und Begeisterung gewesen war, war am nächsten Tag mein Frust, als wir mitten in L.A. im Stau standen und irgendwann klar wurde, dass wir den Termin definitiv nicht schaffen würden. Tatsächlich war die Szene schon abgedreht, als wir am Set ankamen, aber immerhin lernte ich Aaliyah persönlich kennen. Sie begrüsste mich, wir machten zusammen Fotos und sie wünschte mir noch viel Spass beim Zuschauen des Videodrehs. Das war mindestens genauso gut.

Ich war schon wieder zurück in der Schweiz, als Aaliyah mit einem Teil ihres Teams auf die Bahamas flog, um ein neues Video zu drehen: «Rock the Boat». Auf dem Rückflug, nur wenige hundert Meter nach dem Start, stürzte die Cessna ab, später hiess es, das Flugzeug sei überladen gewesen, ausserdem habe der Pilot Alkohol und Kokain im Blut gehabt. Drei Wochen, nachdem mir Aaliyah in L.A. die Hand gegeben hatte, war sie tot, genauso wie ihre Crewmitglieder, die mit im Flugzeug gesessen hatten. Danach verkauften sich ihre Platten kolossal. Für mich war das ein Schock. Es war so unwirklich, und obwohl wir uns ja nicht wirklich gekannt hatten, war ich traurig.

Auch mit den Rolling Stones, Britney Spears, Justin Timberlake oder Gwen Stefani arbeitete meine Mama zusammen, die Liste ist lang, alle Namen sind gross und bedeutungsvoll. Darunter auch genau die Rapper, deren Musik ich hörte. Zu meinem siebzehnten Geburtstag schickte sie mir eine kleine Filmkamera, eines der ersten Modelle mit Memory-Karte, die, wie ich feststellte, bereits einen Clip enthielt: Es strahlte mich Snoop Dogg an. «Hi Tamy my nizzy from Swizzy…» 50 Cent: «Hi Tamy your Mom is great, if you need anything my friends are your friends you heard me!» Dr. Dre: «Hi Tamy this is Dr. Dre sending you love all the way to Switzerland.»

Es kam damals immer wieder vor, dass Freunde mich fragten, ob ich denn nicht wütend auf meine Mutter sei und sich darüber aufregten, wie sie das denn machen könne, aber das liess ich nie gelten. Was wussten die schon. Ich verteidigte meine Mama vehement, erklärte, dass das voll okay für mich sei und ihre Entscheidung absolut richtig wäre. Das war meine Sicht auf mein Leben, die ich mir von niemandem nehmen liess. Und an Tagen wie diesen, als meine Mama dafür gesorgt hatte, dass all die angesagten Rapper meinen Namen sagten und mich persönlich grüssten, war ich mir sicher, dass ich es mehr als gut getroffen hatte. Mir reichte das völlig zum Glück!

In Zürich sprach ich bei einer Model-Agentur vor. Es wäre einfach genial, wenn das klappte, was würde wohl meine Mama sagen? Aber sie wollten mich dort nicht und das war es dann für mich mit dem Modeln für eine lange Zeit. Was solls – es gab noch viele andere Sachen, die mich interessierten.

Heinz und Charlotte taten weiterhin alles dafür, dass es mir gut ging. Sie hatten ihre klaren Vorstellungen von unserem Zusammenleben, aber waren nie streng, übten nie Druck aus und zeigten mir immer wieder, wie glücklich es sie machte, dass ich bei ihnen war, ohne die geringsten Zweifel – auch in diesen verstockten Teenager-Zeiten. In den wenigen Fällen, in denen Charlotte mir mal einen Wunsch nicht erfüllte, ging ich zu Heinz, der mir ganz sicher nichts abschlug. Das ging so weit, dass er seine BMWs weggab, weil ich die Autos nicht mochte, und stattdessen zwei neue Mercedes kaufte, wie er sie vorher auch schon gehabt hatte. Und auf unseren Reisen wohnten wir in den Hotels, die ich zuvor ausgesucht hatte. Dass Heinz auch die Sanierung der Schwimmhalle unseres Dorfes finanzierte, weil ich im Schwimmclub war, hatte er sich allerdings selbst überlegt. Eigentlich hätte die Halle aus Kostengründen in eine Turnhalle umgewandelt werden sollen – das wäre dann die dritte gewesen. Heinz sorgte dafür, dass es nicht so weit kam.

Seit ich als Kleinkind vergnügt in unserem Pool geplanscht hatte, liebte ich das Wasser. Mit zwei konnte ich schon gut schwimmen. Weil es mir soviel Spass machte, meldeten mich meine Pflegeeltern bald darauf erst zum Schwimmkurs und dann, ich war vier oder fünf Jahre alt, im Verein an.

Ich ging einmal die Woche hin, später zweimal und dann noch öfter. Das entwickelte sich fast automatisch: Das Schwimmen fiel mir leicht und ich war offensichtlich begabt. Wäre ich mittelmässig gewesen, hätte ich vermutlich bald wieder aufgehört, ganz sicher hätte ich schnell die Lust verloren. Wenn, dann wollte ich schon die beste sein. Meine Anatomie kam mir zugute: Ich war gross und hatte vor allem relativ grosse Handflächen, was beim Schwimmen ein entscheidender Vorteil ist. Auch meine Technik passte, sodass ich nicht gross kämpfen musste.

Die Trainer bestärkten und förderten mich und schlugen vor, das Training weiter zu intensivieren, was ich dann auch tat. Während sich meine Freundinnen aus der Schule für den Nachmittag verabredeten, zog ich meine Bahnen. Am Ende trainierte ich an fünf Tagen pro Woche acht Mal, davon sechs Mal nass und zwei Mal trocken, wie wir sagten. In meinen Spitzenzeiten schaffte ich 78 Liegestütze. Wenn meine Schulkameradinnen am Wochenende zusammen ausgingen, setzte ich mich in den Mannschaftsbus und fuhr mit den Jungen und Mädchen aus dem Club zu Wettkämpfen, und selbst einen Teil meiner Ferien verbrachte ich in Trainingslagern.

Keine Frage: Das Schwimmen machte mir Spass, es war mein Leben. Ich wollte das so. Wir waren der beste Club in der Schweiz, und es fühlte sich gut an, als Team aufzulaufen, alle in den gleichen Shorts und T-Shirts mit Vereinslogo. Schaut her, das sind wir. Aber das Training war auch hart. Manchmal, wenn wir im Trainingslager waren und das Schwimmbad im Freien lag, führten wir in unserem Schlafraum gemeinsame Rituale aus, um Regen und Sturm heraufzubeschwören, damit wir am nächsten Tag bloss nicht ins Wasser mussten. Einmal hat es danach tatsächlich so ein heftiges Gewitter gegeben, dass das Training abgesagt wurde. Wir jubelten über unseren wirkungsvollen Zauber.

Dazu kam, dass ich im Wasser völlig von der Welt abgeschlossen war. Du kommunizierst nur, wenn der Trainer dir sagt, was du als Nächstes tun sollst, dann tauchst du wieder ein und bist völlig mit dir und deinen Gedanken alleine. Nicht gerade unterhaltsam. Ich lebte auch während der vielen Stunden im Wasser in meiner Fantasiewelt, dachte mir Geschichten aus – und war weiter erfolgreich: Drei Mal wurde ich Schweizer Meisterin, wurde in das Kader der Schweizer Nationalmannschaft aufgenommen und im Jahr 2000 als jüngstes Teammitglied für die Olympiade in Sydney nominiert.

Stopp!

Für mich war das der Wendepunkt. Ich hatte den Grossteil der letzten zwölf Jahre im Wasser verbracht und auf eine Art verstanden, wie das lief. Eigentlich wurde mir erst jetzt wirklich bewusst, wie professionell ich diesen Sport inzwischen ausübte. Jetzt stellte ich mir die Frage, ob das wirklich meine Zukunft sein sollte und die Antwort war ganz klar: Nein! Ich wollte auch noch andere Sachen erleben, wollte montags in die Schule kommen und bei dem, was am Wochenende losgewesen war, mitreden können oder in den Ferien Zeit mit meinen Freundinnen verbringen. Und es gab noch einen Grund: Im Training hatte ich mir immer wieder die Mädchen angeschaut, die ein paar Jahre älter waren als ich. Sie waren riesig, hatten einen dreieckigen Oberkörper mit breiten Schultern und einem grossen Brustkorb. So wollte ich nicht aussehen. Ich hatte damals ohnehin schon recht breite Schultern und auch heute ist es so, dass ich manche Kleider nicht zukriege, weil mein Brustkorb und meine Schultern zu breit sind.

Ich besprach mich mit meiner Pflegemutter, die damals sogar Präsidentin des Schwimmvereins war. «Bist du sicher?», wollte sie wissen. Das war ich. Also rief Charlotte bei meinen Trainern an: «Tamy will nicht mehr…»

Für mich war das eigentlich kein grosses Ding, für meine Trainer schon. Es war schrecklich! Sie waren überrascht, enttäuscht, hatten auf mich gesetzt und versuchten nun, mich umzustimmen – aber mein Entschluss stand fest und ich habe ihn nie bereut.

Ich ging noch weiter zum Schwimmen, aber jetzt nur noch zweimal die Woche zum Spass und um meinen Körper nicht von einem Tag auf den anderen zu entwöhnen. Zwei Jahre lang versuchten meine Trainer noch, mich zurückzuholen.

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