Kitabı oku: «Mel macht´s anders»
Sina Seeland
Mel macht´s anders
Ein erotisches Tagebuch
Sina Seeland ist das Pseudonym einer Autorin, die 1973 in Hamburg geboren wurde. Nach Studium der Anglistik und Literturwissenschaft arbeitete Sina teils freischaffend, teils angestellt, als Übersetzerin, Ghostwriterin und Lektorin. Ihre Liebe zur erotischen Literatur entdeckte sie vor einigen Jahren. Seitdem wurden Texte von ihr in verschiedenen Online- und Printmagazinen sowie in zwei Kurzgeschichtenbändern veröffentlicht. «Mel macht´s anders” ist ihr erstes Romanprojekt. Sina lebt zurzeit mit Mann und Kind in Nordrhein-Westfalen.
Sina Seeland
Mel macht´s anders
ein erotisches Tagebuch
ELYSION-BOOKS TASCHENBUCH
BAND 4074
1. Auflage: Februar 2014
VOLLSTÄNDIGE TASCHENBUCHAUSGABE
ORIGINALAUSGABE
© 2014 BY ELYSION BOOKS, LEIPZIG
ALL RIGHTS RESERVED
UMSCHLAGGESTALTUNG: Ulrike Kleinert
www.dreamaddiction.de FOTOS: © fotolia/YS LAYOUT &WERKSATZ: Hanspeter Ludwig www.imaginary-world.de Korrektorat und Lektorat: Inka-Gabriela Schmidt
PRINTED IN POLAND
ISBN 978-3-942602-53-2
eISBN 978-3-945163-13-9
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Inhalt
Prolog
Mo. 27.08.12
Mi. 29.08.12
Mo. 03.09.12
So. 09.09.12
Fr. 21.09.12
Di. 02.10.12
Fr. 12.10.12
So. 14.10.12
So. 21.10.12
Fr. 02.11.12
So. 04.11.12
Mo. 05.11.12
Mi. 07.11.12
Do. 08.11.12
Fr. 09.11.12
Fr. 09.11.12 (später)
Mi. 14.11.12
Fr. 16.11.12
Di. 20.11.12
Mi. 21.11.12
Do. 22.11.12
Fr. 23.11.12
Sa. 24.11.12
So. 25.11.12
Mi. 28.11.12
Do. 29.11.12
Fr. 30.11.12
Sa. 01.12.12
So. 02.12.12
Mi. 05.12.12
Fr. 07.12.12
Sa. 08.12.12 (spät nachts)
So. 09.12.12
Mo. 10.12.12
Di. 11.12.12
Sa. 15.12.12
Sa. 15.12.12 (spät nachts)
So. 16.12.12
So. 23.12.12 (eine Woche später)
So. 30.12.12 (wieder eine Woche später)
Fr. 04.01.13
Di. 08.01.13
So. 13.01.13
Do. 17.01.13
Fr. 18.01.13 (spät nachts)
Epilog
Prolog
Die junge Frau bemühte sich nach Kräften. Sie kniete nackt zwischen den Beinen ihres Partners, der lang ausgestreckt auf dem Bett lag und nicht sehr glücklich aussah. Er starrte mit zusammengepressten Zähnen an die Decke und sein ganzer Körper schien seltsam verkrampft.
»Jetzt, ja, so, ja, weiter … gut so, Mel!«, stieß er ruckartig hervor und Mel war einmal mehr froh darum, dass ihr langes, dunkles Haar ihr wie ein Schleier vor das Gesicht fiel, während sie blies. So sah er wenigstens nicht, dass sie mit den Augen rollte. Ihr Nacken tat ihr weh, die Muskeln in ihren Wangen waren bereits verkrampft und wenn sie ganz ehrlich war, dann hatte sie schon vor einigen Minuten die Lust an diesem Blowjob komplett verloren. Sie kam sich unzulänglich vor, denn an der Art, wie die Erektion ihres Freundes in ihrem Mund immer wieder in sich zusammenfiel, war unschwer zu erkennen, dass sie irgendetwas wohl nicht richtig machte.
Noch schlimmer war, dass sie dieses Gefühl ständig hatte. Denn der Sex mit Tilo war … mies. Man konnte es einfach nicht anders sagen und auch nicht netter umschreiben. Während sie sich weiter abmühte, saugte, lutschte, umspielte, massierte und knetete und mit allem ihr gegebenen Ehrgeiz zum Abschluss kommen wollte, wanderten ihre Gedanken. Es war doch am Anfang nicht so gewesen. Nun ja, in der ersten Phase der Verliebtheit wachsen einem immer Flügel, auch im Bett … aber jetzt? Jetzt, nach sechs Jahren, war sie an dem Punkt angekommen, den sie nur zu gut kannte. Die Lust verließ sie. Und diese Erkenntnis frustrierte sie nicht nur, sie machte ihr regelrecht Angst. Was lief da falsch bei ihr? Was für ein Problem hatte sie, um Himmels Willen? Tilo war ein netter Mann. Ein treuer Mann. Ein Mann, mit dem sie lachen konnte, dem sie vertraute und der sie liebte. Er war nie anders als freundlich und liebevoll zu ihr gewesen. Was also war los mit ihr? Am Anfang hatte ihr der Sex doch gefallen. Naja … soweit ihr Sex eben gefiel. War sie frisch verliebt, ließ sie sich einfach vom hormonellen Überschwang leiten und hatte so schon sehr viele sehr schöne Momente erlebt. Mit Tilo, und auch in vorangegangenen Beziehungen. Melanie war 34 und hatte genug Erfahrungen gesammelt, um nunmehr der Meinung zu sein, dass Sex als solcher vollkommen überbewertet wurde. Jawohl. Klar, Sex war … nett. Aber nachdem der erste Gefühlsüberschwang vorüber war, war er für sie in jeder ihrer Beziehungen und auch jetzt mit Tilo zu einer Art Pflichtübung geworden. Etwas, zu dem sie sich immer öfter überwinden musste. Ein schrecklicher Gedanke, aber genauso fühlte es sich an. Von selbst hatte sie kaum noch Lust und wenn, dann endete es meistens … so.
»Ja. Hm. Gut so. Weiter. Oh. Mel«, murmelte Tilo über ihr noch immer. Ihr Nacken schmerzte inzwischen so sehr, dass sie beschloss, dem ganzen Schauspiel endlich ein Ende zu bereiten. Sie nahm die Hand zu Hilfe und packte zu. Während ihre Lippen noch die Eichel und den Eichelkranz umspielten und daran saugten, fuhr sie mit der Hand in festen Bewegungen den Schaft auf und ab. Auf und ab. Sie wich mit dem Mund bis an die Spitze zurück und schob die Hand bis fast ganz nach oben, immer über die empfindlichste Stelle. Das war geschummelt. Hand ist nicht gleich Mund. Aber dies war nicht der Moment für übertriebene Blowjobethik. Ihr tat der Rücken weh und so entschied sie sich kurzfristig für die ergebnisorientierte Variante. Was soll’s. Wahrscheinlich hatte sie es einfach nicht drauf. Vielleicht hätte sie es eher drauf, wenn sie es selbst auch nur ansatzweise aufregend gefunden hätte, was sie da tat. Noch zweimal, dreimal bewegte sie die Hand über Tilos Schaft, dann ergoss er sich endlich mit einem Seufzer über ihre Finger. Sie richtete sich vorsichtig auf, verzog vor Schmerz das Gesicht ein wenig, schob sich die Haare aus dem Gesicht und versuchte ein vorsichtiges Lächeln, als sie sagte:
»Tilo … wir müssen reden.«
Mo. 27.08.12
Also gut. Es muss sich etwas ändern.
Ach ja, ich vergaß: es hat sich ja schon etwas geändert. Mit Tilo ist Schluss. Nach sechs Jahren. Ich fühle mich … keine Ahnung. Ich glaube, unfähig trifft es am ehesten. Es gab kein großes Drama, er hat mich nicht betrogen (soviel ich weiß), ich habe keine Szene gemacht. Wir haben uns einfach angesehen und wussten, dass es das jetzt war. Ok, vielleicht hat er doch ein ganz klein wenig trauriger ausgesehen als ich. Aber als ich mein Köfferchen gepackt habe und gegangen bin, hat er mich nicht aufgehalten und ich denke, das spricht doch irgendwie für sich. Unfähig, ja. Ich bin jetzt 34 Jahre alt und irgendwie dachte ich, Tilo wäre der Mann für die »große Nummer«. Naja, Haus bauen und Familie gründen halt. Wenn ich mit 34 nicht mal langsam zu Potte komme damit, wann bitteschön dann?? Andererseits kann das aber nicht der einzige Grund sein, um mit einem Mann zusammen zu bleiben, oder? Und da war eben immer diese kleine fiese Stimme, die mir ins Ohr raunte: »Er ist es nicht, Mel … du merkst es doch auch. Er ist toll, schon gut. Er ist lieb und nett und treu und er liebt Dich … aber er ist es einfach nicht.«
Nein, er war es nicht. Und darum ist es jetzt auch vorbei. Und ich bin die Unfähige. Ich habe überhöhte Ansprüche. Ich will, dass mein Partner auch der Stimme in meinem Ohr gefällt. Ich will, dass sie Ruhe gibt. Dass sie sich in ihren Ohrensessel verzieht und Socken strickt und zufrieden ihren Tee schlürft. Oder so etwas in der Art. Jedenfalls soll sie mich nicht mehr nerven. Aber bisher habe ich es nicht geschafft, sie dauerhaft zum Schweigen zu bringen. Immer hatte sie etwas zu meckern. Immer hat sie mich daran erinnert, dass irgendetwas … fehlt. Ich lernte einen Mann kennen, war begeistert, hatte leuchtende Augen … und sie verdrehte die Augen und schüttelte den Kopf. Ich kann es ihr einfach nicht recht machen, der Stimme in meinem Ohr. Ich frage mich übrigens, woher die ihr Männerbild hat. Kann es sein, dass sie eines der hundert Bücher, die ich gelesen habe oder einen der hundert Filme, die ich gesehen habe, irgendwie zu ernst genommen hat? Seitdem glaubt sie nämlich, dass Liebe einen umhauen, einen innerlich zum Brennen bringen muss, einen Dinge versprechen und schwören lässt, für die man sich zuvor für verrückt erklärt hätte. Ich selbst glaube ja, dass es da einen traurigen, aber wahren Unterschied gibt zwischen Literatur und Realität. Aber die Stimme in meinem Ohr hört nicht auf, Jane Austen zu zitieren und die Brontë-Schwestern und in unpassenden Momenten ganze Passagen aus Julia-Roberts-Filmen aufzusagen und sie besteht darauf, dass es so etwas auch für mich geben muss. Für weniger ist sie nicht bereit, ihr OK zu geben.
Und darum bin ich jetzt nicht mehr mit Tilo zusammen. Darum habe ich mein Köfferchen genommen und wieder von vorn angefangen. Neue Wohnung, neue Möbel, neues Leben. Das Gute ist: Ich kann es mir leisten. Wenigstens im Job läuft es gut. Die Agentur mag mich, die Auftragslage stimmt. Ich schreibe Werbetexte und kann damit Leute von allem möglichen Unsinn überzeugen. Aber mich selbst und vor allem die Stimme in meinem Ohr nicht. Der kann ich keinen Kerl anpreisen, als sei er ein Hauptgewinn. Sie merkt sofort, wenn es in Wirklichkeit wieder nur ein Trostpreis ist. Nun ja. Im Job jedenfalls ist alles ok. Das ist nicht alles, aber es ist viel wert. Ich bin unabhängig. Ich brauche keinen Mann. Jedenfalls nicht so. Nicht, um mich zu ernähren oder um mein Leben zu finanzieren oder mich auszuhalten oder dergleichen. Das kann ich alles selbst und das fühlt sich ziemlich gut an. Wenn ich überhaupt einen Mann brauche, dann aus anderen Gründen.
Was denn? Eine Frau hat eben Bedürfnisse! Und die lassen sich nun einmal nicht alle im Alleingang stillen. Zehn gesunde Finger? Ja, sicher. Einen Nachttischschrank voller netter kleiner Spielsachen? Ja, auch das. Aber seien wir doch mal ehrlich: Das Gleiche ist das nicht. Es ist … einsam. Auf Dauer. Was tut man also als Single - dieses Wort allein, oh je! Ich muss mich erst einmal daran gewöhnen – gegen diese Form von Einsamkeit? Meine Antwort lautet: Man wirft sich ins pralle Leben und sucht sich was zum Vögeln, wenn einem danach ist. Männer können sowas auch. Und auch viele Frauen. Einige meiner Freundinnen konnten das. Bevor sie dann selbstverständlich allesamt ihrem »Mr. Right« begegnet sind und schwanger wurden und heirateten und nun keine anderen Gesprächsthemen mehr haben als die Konsistenz des Windelinhalts ihrer Sprösslinge oder die tausend Vorzüge ihrer wundervollen Ehemänner. Wieso ist denen das alles passiert und mir nicht? Vielleicht, weil meine Freundinnen alle weniger Brontë und Austen gelesen haben, sondern mehr Gala und Bild der Frau? Weil sie sich Strähnchen und schicke Kunststofffingernägel haben machen lassen und ausgegangen sind, während ich meine Nägel lieber bis aufs Nagelbett abkaue und blass und ungesträhnt in meiner Bude hockte und Bücher lese? Ich kann nichts dafür, dass ich gern lese und Plastiknägel scheußlich finde und dass mein Haar nur eine einzige, langweilige Farbe hat. Ok, ich kann was dafür. Aber ich bin eben auch nicht bereit, mich in etwas oder jemanden zu verwandeln, der ich nicht bin (in eine Tussi, zum Beispiel), nur um endlich dem Traumprinzen zu begegnen. Der würde sich dann ja in die Tussi verlieben, die ich eigentlich gar nicht bin, und nicht in mich.
Ok ok, ja, ich gebe es zu: »Tussi« ist fies und vielleicht bin ich ein wenig neidisch. Ich wollte das auch. Ehemann und Windelinhalt und so. Ich wollte es mit Tilo. Eigentlich. Nur irgendwann wollte ich es nicht mehr. Jedenfalls nicht mehr mit ihm. Und inzwischen weiß ich gar nicht mehr, ob ich es überhaupt noch will. Dieser ganze Familienkram … wird der nicht grandios überbewertet? Davon abgesehen: Wie viel Zeit habe ich noch, um einen Mann kennenzulernen, der bei dem Gedanken, eine Familie zu gründen, nicht schreiend davonläuft, als hätte man ihm mit der beidseitigen Daumenschraubenfolter gedroht? Bis wir uns dann zusammengerauft haben, bin ich fast 40 und dann fange ich mit dem ganzen Mist auch nicht mehr an. Ist doch wahr.
Nein, Schluss. Ich werde ab sofort viel mehr im Hier und Jetzt leben. Ich bin Single und das ist gut so. Es ist kein Stigma, kein scharlachroter Buchstabe auf der Bluse, kein Mal, das man auf die Stirn gebrannt bekommt und dessen man sich schämen muss. Im Gegenteil. Es bedeutet Freiheit. Es bedeutet, so viele Bücher lesen zu können - und das auch bis weit nach Mitternacht - wie ich will. Es bedeutet, BH und Slip nicht immer zueinander passend aussuchen zu müssen. Es bedeutet mehr Tage in meinen heißgeliebten Chucks und weniger in widerlich unbequemen High Heels. Es bedeutet mausfarbenes Haar ohne erkennbare Frisur und absolut kein Problem damit. Es bedeutet: was geschieht, ist meine Entscheidung und meine allein. Es bedeutet: sich vor niemandem und für gar nichts rechtfertigen und entschuldigen zu müssen. Es bedeutet: eine unendliche Vielzahl von Möglichkeiten. Jawohl. Ich werde gern und mit Begeisterung Single sein. Gleich morgen fange ich damit an.
Mi. 29.08.12
Hatte ich nicht erwähnt, dass zu viel Selbstbefriedigung und zu viele Sextoys in der Schublade einsam machen? Nun ja …
Frei nach dem Motto »kein Alkohol ist auch keine Lösung« habe ich den Beginn meines Single-Daseins dennoch ganz für mich allein gefeiert. Mit einem Sexshop-Besuch. Nein, ich war nicht ganz allein dort, das wäre mir dann noch etwas zu armselig vorgekommen. Es war so ein klassisches Mädelsabend-Ding. Angeheitert durch diverse Proseccöchen verkündete Jule (beste Freundin und auch einzige, die bisher zwar nicht von Strähnchen und Plastiknägeln, dafür aber von Ehemann und Kindern verschont geblieben ist), dass sie mir jetzt den besten Männerersatz der Welt beschaffen würde. Einen, der immer genau dann will, wann man selbst auch Lust hat, der immer sofort die richtigen Punkte findet und einen, der sich hinterher nicht grunzend und schnarchend auf drei Vierteln des Bettes breit macht. Naja, nicht dass ich so einen nicht schon hätte. Ich bin ja eine moderne, aufgeschlossene Frau von heute, also habe ich auch einen Dildo. Und einen Vibrator. Einen, der aussieht wie eine Raupe. Den hat Tilo mir mal geschenkt und fand das irre frivol. Ich weiß bis heute nicht, was ich davon halten soll, es mir mit einer Insektenlarve zu besorgen.
Wir also rein in den Sexshop. Den großen mit der vielen Neonbeleuchtung und den Schaufensterpuppen mit den kunstledernen Domina-Outfits. Soll das eigentlich cool wirken? Oder stylish? Ich finde es immer irgendwie … ja, sagen wir es doch mit gerümpfter Nase: billig, wie diese Läden daherkommen. Da war noch einer, der hatte so einen 70er-Jahre-Vorhang aus bunten Plastikbändern im Eingang hängen. Der war bestimmt auch aus den Siebzigern. Der Vorhang. Und der Laden. Bäh. In den sind wir also nicht, der war uns zu schmuddelig. Wir sind in den großen, steril wirkenden mit dem Neonlicht. Man, sieht man da im Spiegel immer scheiße aus. Kreidebleich, übernächtigt. Ob einen so ein frustrierender Anblick im Spiegel dazu bringt, sich Sexspielzeug zu kaufen? Keine Ahnung. Man weiß es nicht. Ich wäre ja wieder gegangen, aber Jule wollte noch eine Weile herumkichern. Wir also in die Ecke mit den Porno-DVDs. Da, wo die Grenze zwischen Faszination und Ekel am dünnsten ist. Jedenfalls, wenn man sich mal eingehender die Bilder auf den Covern anschaut. Ich weiß eigentlich auch so, dass es in einer Sexshop-Pornoecke keinen Geschmack gibt, der nicht bedient wird. Sowas weiß man ja. Aber sich davon mit eigenen Augen zu überzeugen, das ist nochmal was anderes. Nichts für schwache Mägen. Kein Exkrement, keine Körperausscheidung, die nicht der Befriedigung des sexuellen Spieltriebs dienen kann. Und ich meine keine. Jule kicherte immer noch, aber mir wurde langsam elend und ich sah mich lieber anderweitig um. Im hinteren Teil des Raumes führte eine Treppe ins Untergeschoss. Ah, das Verlies, ging es mir durch den Kopf. Da ist bestimmt die »Schlag mich«-Abteilung untergebracht. Ich stieg hinunter und … richtig. Schwarze Kleidung auf Stangen vor schwarz bemalten Wänden. Lack, Latex und Leder, den ganzen Körper bedecken wollend oder aber nur das Notdürftigste verbergend. Mein Blick fiel auf eine Puppe mit einer Gasmaske, daneben eine weitere mit Ballknebel im Mund. Nicht meine Baustelle. Ich bin klaustrophobisch und habe einen sehr empfindlichen Würgreflex. Und wieso muss das eigentlich immer in den Keller? Hat die Branche ein Imageproblem? Ist das so schmutzig, dass es weggesperrt gehört? Ich weiß es nicht. Aber es interessiert mich auch nicht besonders. Ich habe de Sade auch gelesen – ich lese ja viel – und ja, es ist nicht so, als hätte mich das alles gar nicht angesprochen. Ich finde vor allem die Psychologie dahinter spannend. Irgendwie könnte ich mir schon vorstellen, solche Dinge zu probieren … Aber kein noch so dominanter Dominanter würde mich dazu kriegen, mich in so einen Latexfummel mit Strippen- und Schnallengedöns zu zwängen und mich zu kostümieren wie auf einem Science-Fiction-Fantreffen. Oder diese Nummer mit dem Hundehalsband und der Leine. Bah. Inakzeptabel. Aber da waren doch auch … ich ging noch ein paar Stufen hinab. Da hinten, an der Wand. Ich trat noch näher heran. Dort hingen und lagen diverse kleine und größere Werkzeuge, die ich doch irgendwie spannend fand. Hand- und Fußfesseln aus gepolstertem Leder, versehen mit Ösen und Karabinerhaken aus Metall. Ich fuhr mit den Fingern über das Material - weich und doch fest - und atmete den Geruch ein. Ich stellte mir vor, wie jemand mit energisch zusammengepressten Lippen und Feuer in den Augen meine Hände packte und hinter meinem Rücken fixierte. Ich ging weiter an den Regalen entlang. Dann würde dieser Jemand mir vielleicht die Augen verbinden und ich könnte nichts weiter tun als mit klopfendem Herzen darauf warten, was als nächstes geschah. Und dann … ich blieb stehen und betrachtete einige … ja, was genau war das eigentlich? Ich nahm eines in die Hand. Ein Griff aus dunklem Holz schmiegte sich angenehm in meine Handfläche. Daran befestigt eine Art Paddel. Auf der einen Seite mit Leder bezogen, auf der anderen mit einem samtenen Stoff. »Knie dich hin«, sagt der Jemand zu mir in meiner Vorstellung. Dann schiebt er mir das Höschen vom Po, sodass ich ihm mein nacktes Hinterteil präsentiere. Im einen Moment hocke ich dort, nackt und bloß und ausgeliefert und im nächsten Moment spüre ich dann dieses Paddel auf mir. Erst die samtene Seite, die meine Haut liebkost. Dann ein Zischen, das die Luft durchschneidet und im nächsten Moment die lederne Seite, die mit einem lauten Klatschen meine Pobacke zum Glühen bringt. Mein kurzer Aufschrei. Dann wieder das Streicheln des Samtes. Dann ein erneuter Schlag. So lange, bis mein Hinterteil in Flammen zu stehen scheint … Ich blickte auf und blinzelte meinen Tagtraum fort. Warum nochmal war ich hergekommen? Ach ja. Spielzeug.
Ich legte das Lederpaddel zurück an seinen Platz und stieg die Stufen wieder hinauf. An der Wand direkt gegenüber der Treppe, da hingen sie. Reihe um Reihe von mehr oder weniger naturgetreuen Nachbildungen sämtlicher penetrierbarer menschlicher Körperöffnungen in Gummi. Daneben Schwänze aus Plastik und Silikon in allen Farben des Regenbogens.
Ganz ehrlich? Ich schritt skeptisch das Angebot ab. Je »naturgetreuer« es sein soll, desto mehr stoßen mich diese Sachen ab. Riesenschwänze aus fleischfarbenem, wabbeligem Gummimaterial, das einen unverkennbaren Geruch nach chemischen Lösungsmitteln ausströmt. Igitt. Und diese Verpackungen mit den Fotos von sich willig räkelnden naturgeilen Weibsbildern mit grotesken Körbchengrößen. Und die Namen dieser Spielzeuge. »Horny Hugo«, »Big Jimbo« oder »Wet Dream Deluxe«. Entweder, das Zeug verseucht einem bei der Erstbenutzung den Blutkreislauf mit Giftstoffen oder aber es fällt einem schon vorher zwischen den Fingern auseinander, noch während man versucht, die Batterie reinzufummeln. Das alles ist so abturnend und unsexy, dass ich … aber Moment mal, was war denn das? In einer verschließbaren Vitrine in der Nähe der Kasse präsentierte man offensichtlich die hochpreisigeren Exemplare. Die, die zu klauen sich lohnen würde. In mehr als einer Hinsicht, wie ich bei näherer Betrachtung vermutete. Einige dieser sehr schicken, sehr schnörkellos durchdesignten Teile sahen aus wie Wohnaccessoires. Man könnte sie zu Hause auf der Anrichte platzieren und jeder besuchenden Schwiegermutter mit unbewegter Miene erklären, es handle sich um ein Designobjekt, das man in der letzten Ausgabe von »Schöner Wohnen« entdeckt hätte und sofort haben musste. Skandinavisches Minimaldesign, ist ja total angesagt momentan. Und dann, wenn die Schwiegermutter fort war, nähme man das Schätzchen mit ins Boudoir und führte es seiner wahren Bestimmung zu …
So eines wollte ich mir mal genauer anschauen. Der Typ hinter dem Kassentresen sah schmierig aus, hatte einen Nasenring und schlecht gemachte Tattoos. Nicht, dass wir uns hier falsch verstehen, ich mag Tattoos und Piercings. Gut gemacht kann beides durchaus dazu beitragen, einen attraktiven Körper noch attraktiver wirken zu lassen. Wenn es das war, was der Kerl an der Kasse beabsichtigt hatte, muss ich leider sagen: schief gelaufen. Ist halt immer alles auch eine Typfrage. Egal. Ich bat ihn jedenfalls, mir eines der skandinavischen Designobjekte aus der Vitrine zu holen. Er kam meiner Bitte nach und hinterließ dabei fettig-feuchte Fingerabdrücke auf dem Glas.
»Gute Wahl, schöne Dame«, nuschelte er, während er einen schlichten, geschwungenen Stab in meine Hände legte. »Wir importieren diese Schätzchen direkt aus den Staaten. So was Feines gibt es bei uns gar nicht. Die sehen nicht nur schick aus, die haben auch mächtig Power. Hier.« Und damit drückte er am Ende des Stabes einen fast unsichtbar angebrachten Knopf. Der Stab begann kaum hörbar zu brummen, dafür aber deutlich merkbar zu vibrieren. Woah! Ich sah den Mann an der Kasse verblüfft an. »Tjaha«, lachte der und ließ dabei eine Reihe gelblicher Zähne sehen, »der geht ab wie Schmidts Katze, das kann ich dir versichern. Hehe.«
Ich war beeindruckt und schielte nach dem Preisschild. Von hinten trat die bereits im Pornodschungel verloren geglaubte Jule an mich heran und spähte mir über die Schulter. »Uuui, sehr nett. Zeig mal.« Der Kassentyp erzählte Jule etwas vom Mercedes unter den G-Punkt-Stimulatoren, während ich schon in meinem Portemonnaie das Geld zusammenkratzte. »Haste gesehen, was der Mercedes kostet!?«, zischte Jule mir zu und ich zischte zurück: »Lass mich, ich will jetzt mal dekadent sein«, und fragte den Kassentypen, ob er das Modell noch einmal originalverpackt da hatte. Ohne dass er bereits mit seinen Patschehänden dran gefummelt hatte, fügte ich im Geiste mit einem Gruseln hinzu. Ja, ich habe eine zuweilen sehr niedrig angesetzte Ekelgrenze.
Fazit meines Besuchs im Sexshop: Ich mag die immer noch nicht. Die allermeisten wirken schmuddelig und billig, ebenso wie 95% der dort angebotenen Ware. Aber für die restlichen 5%, oder genauer für EIN ganz bestimmtes Exemplar dieser 5%, war ich dem schlecht Tätowierten wirklich, wirklich dankbar. Seine Turbovibration setzt bei der kleinsten Berührung alles in mir in Schwingung und es fühlt sich aufregend und intensiv an, wenn ich es über meine Haut führe, über meine Nippel, zwischen meine Schenkel. Es kann und will immer, wenn ich will, es will »danach« nicht kuscheln oder schnarchend einschlafen, es passt mühelos mit mir in meine kleine Badewanne und es hat eine sowas von eingebaute Orgasmusgarantie, dass mir jedes Mal die Ohren klingeln.