Kitabı oku: «Miau», sayfa 2
Kapitel 1
6 MONATE SPÄTER
Er riecht nach Angstschweiß. Ich schlage die Beine übereinander, die Füße auf dem Schreibtisch, hinter dem ich Platz genommen habe. An dem ich mich rumfläze, wäre der bessere Ausdruck. Schlamm tropft von den Sohlen meiner Stiefel. Ich muss das später sauber machen; aber jetzt unterstützt es erst mal das knallharte Image, das ich mir geben will. Mit mir ist nicht zu spaßen. Mir sind Regeln, Konventionen und Kleiderordnungen egal. Während der Mann auf der anderen Seite des Schreibtischs einen makellosen Anzug trägt, sitze ich da in meinen Leder-Leggings und einer Tunika. Leggings, weil die mich nicht am Kämpfen oder Dächer-Springen hindern und eine Tunika, weil sie länger ist als ein normales Hemd und man folglich mehr Platz hat für versteckte Taschen. Alles in schwarz, selbstredend. Blutflecke sind verdammt schwer aus Kleidungsstücken rauszukriegen. Ich bin nun mal praktisch veranlagt.
Mein Haar ist unter der schwarzen Kappe verborgen, die ich neuerdings immer trage. Ich bin der Meinung, sie gibt mir das mysteriöse Etwas, obwohl Lily ständig nervt, ich soll das Ding abnehmen. Das Mädchen hat einfach keinen Sinn dafür, wie wichtig es ist, mit seinem Outfit eine Botschaft zu senden. Leg dich nicht mit mir an – das soll meine Kleidung ausdrücken. Besonders die schlammverschmierten Stiefel auf dem Schreibtisch.
Der Mann räuspert sich.
»Sie wurden mir sehr empfohlen«, sagt er zögerlich, als sei er sich nicht ganz sicher, ob er jetzt sprechen darf.
Ich ziehe die Augenbrauen hoch. »Wer hat mich empfohlen?«
Er reißt die Augen auf. Wie das Kaninchen vor der Schlange. Er hat Angst, aber nicht nur vor mir.
»Kontakte«, sagt er ausweichend. »Ich bin bereit zu zahlen, was Sie verlangen.«
Sofort steigen die Preise auf meiner Liste um das Zehnfache. Ich liebe reiche Klienten. Sie wollen selten wissen, was ich Leuten mit weniger Geld berechne.
»Was genau wollen Sie von mir?« frage ich und sehe ihn mir genauer an. Er sieht nicht wie jemand aus, der normalerweise mit Killern umgeht. Er sieht eher wie ein Bürohengst aus, der über Dinge aus der Schattenwelt höchstens in der Zeitung liest.
»Mein Bruder wurde getötet. Ich möchte, dass Sie herausfinden, wer das getan hat.«
Nun richte ich mich doch ein wenig auf. »Da sind Sie hier aber an der falschen Adresse, Mister« sage ich mit leicht verächtlicher Stimme. »Ich suche keine Mörder. Ich beauftrage sie.«
Er zuckt sichtlich zusammen. »Sobald Sie den Mörder meines Bruders gefunden haben, können Sie den Kerl gerne umbringen.«
Ich spitze die Lippen. Das ist ungewöhnlich. Das ist doch tatsächlich mal etwas Neues. Ich mache den Job jetzt seit einem halben Jahr, und das sehr erfolgreich, aber bisher hat mich niemand darum gebeten, einen Mörder zu finden.
»Und was, wenn einer meiner Leute Ihren Bruder umgebracht hat?« frage ich, nehme jetzt doch die Füße vom Tisch und sehe in meinen Akten nach. »Wie heißt er?«
»Ich glaube nicht, dass es ein Profikiller war«, murmelt er und sieht mir nicht in die Augen. »Es schien nicht geplant zu sein und war sehr brutal.« Er schüttelt sich etwas. »Da war sehr viel Blut.«
Interessant. Er hat Recht, hört sich nicht nach einem Profi an. Es gehört zu unserem Berufsethos, den Tatort möglichst sauber zu hinterlassen. Wir wollen es der Polizei doch nicht zu leicht machen.
»Wie heißt er?« frage ich noch einmal.
»Winston Kindler. Krämerstraße 14B. Er hatte da einen Süßwarenladen.«
Süßigkeiten? Vielleicht sollte ich diesen Fall selbst übernehmen. Klingt vielversprechend.
Ich blättere durch meine Karteikarten, bin mir aber schon sicher, da keinen Kindler zu finden. Auch wenn ich nicht jeden Job selbst erledige, habe ich doch immer mit allen Kunden direkt zu tun. Und ich erinnere mich an die Namen unserer Zielpersonen.
»Was macht die Polizei?« frage ich abwesend.
»Nichts«, sagt er, und der Ärger ist hörbar. »Die glauben, es war ein Überfall, aber seine Brieftasche war noch da. Die Kasse war leer, aber der Safe völlig intakt. Es war noch früh am Tag, also wären sowieso kaum Einnahmen da gewesen. Ergibt überhaupt keinen Sinn.«
Ich nicke. »Tun wir mal so, als ob ich diesen Fall annehmen würde. Über was für ein Honorar reden wir da?«
Zum ersten Mal, seit er mein Büro betreten hat, lächelt er.
»Wie wär’s mit einem Blankoscheck?«
Im Kühlschrank liegt ein Kopf. Ich seufze. Nicht schon wieder.
»Lily!« rufe ich. »Ich hab dir doch gesagt, keine Leichenteile in der Küche!«
Meine Freundin lacht. »Bis du das Kühlaggregat im Leichenraum repariert hast, ist das der einzige Ort, an dem wir sie aufheben können.«
Ich stöhne auf. Wir haben jetzt schon seit zwei Monaten Probleme mit dem Kühlraum. Immer wenn ich denke, es ist alles in Ordnung, funktioniert er wieder nicht. Es ist wie verhext – oder ein Spuk?
»Ich kümmere mich drum«, verspreche ich. »Wir haben gerade einen echt reichen Kunden an der Angel, da können wir uns zur Abwechslung mal einen richtigen Handwerker leisten.«
Nicht den coolen Typen aus dem Eckhaus, der das kostenlos gerichtet hat, weil er sich einen Kuss von Lily dafür versprochen hat. Er hat die Sache wahrscheinlich verschlimmert. Und natürlich von Lily keinen Kuss bekommen. Lily steht nicht auf Männer, auch wenn sie ihnen das nicht auf die Nase bindet. Sie nutzt die Vorteile, die ihr ihr gutes Aussehen verschafft.
Ich schließe den Kühlschrank, weil ich nicht länger in die toten Augen des Frauenkopfes starren will. Um genau zu sein, fehlt ein Auge. Das ist zwar nicht genug, um mir den Appetit aufs Abendessen zu verderben, sieht aber auch nicht gerade anregend aus.
»Besorg mal einen zweiten Kühlschrank für den Übergang«, weise ich Lily an. »Den kannst du wahrscheinlich sowieso zusätzlich gut gebrauchen, da sind die Kosten vertretbar.«
Sie grinst mich breit an. Sie spielt gerne mit ihrer Beute, wenn sie dazu Gelegenheit hat. Manchmal gehört auch dazu, einige Leichenteile mit nach Hause zu nehmen und sie später an die Familien ihrer Opfer zu schicken. Das hört sich jetzt wirklich böse an, aber in Wirklichkeit ist Lily ein reizendes Mädchen. Sie hat nur diesen etwas gewalttätigen Zug.
»Was gibt’s zu essen?« frage ich, wo ich ja nun gerade festgestellt habe, dass zumindest im Kühlschrank nichts Essbares liegt.
»Benjamin wollte was vom Imbiss mitbringen«, sagt sie und zuckt mit den Schultern. »Ist aber noch nicht zurück, wir müssen also noch ein bisschen warten. Hast du Hunger?«
Ich nicke. »Könnte nen Elefanten verdrücken.«
Sie lacht. »Die sind da wohl kaum im Angebot. Schau mal, was im Wohnzimmer noch rumliegt. Da muss noch ne halbe Tüte Chips von gestern Abend sein.«
Ich weiche ihrem Blick aus. »Nicht mehr.«
Lily stemmt die Hände in die Hüften und starrt mich nieder.
»Gierschlund«.
»Die lagen da so rum. Ich bin ein Killer, da müssen manchmal auch Kartoffelchips dran glauben. Sind ja eigentlich nur tote Kartoffeln.«
Jetzt kichert sie. »Also, was ist mit diesem neuen reichen Kunden? Der, der unseren neuen Kühlraum finanziert?«
Ich folge ihr ins Wohnzimmer, wo sie aus irgendeiner Ecke eine Tafel Schokolade und eine Handvoll gerösteter Erdnüsse zaubert. Die sehen trockener aus als normal, also nehme ich lieber erstmal die Schokolade.
Wir lassen uns auf das größte Sofa fallen. Die Möbel gehören mir nicht, jedenfalls habe ich keine gekauft. Waren schon in dem Haus. Irgendwann wollte ich mir mal eine Einrichtung nach eigenem Geschmack zulegen, aber das nötige Kleingeld hat bisher gefehlt. Als der mysteriöse Typ mir eine »Geldspritze« für den Start meiner Selbständigkeit anbot, war damit leider nur eine ziemlich kleine Spritze gemeint. Das meiste davon habe ich eingesetzt, um mich von der Meute loszukaufen. Sollte mich aber nicht beklagen. Ich habe ein Haus, ein Büro, sogar eine Leichenkammer. Und das hatte ich vorher alles nicht. Ganz zu schweigen von dem Halsband, das ich losgeworden bin. Echtes Win-Win.
»Ich soll für ihn den Mörder seines Bruders finden«, erkläre ich mit einem unwilligen Unterton.
»Echt jetzt? Das ist mal was Neues.« Lily lacht. »Du wirst diesmal also niemanden umbringen?«
Ich zucke mit den Schultern. »Ich darf den Mörder morden, wenn ich ihn finde.«
»Krass. Und warum kommt der damit ausgerechnet zu dir?«
»Keine Ahnung. Vielleicht hat die Meute den Auftrag nicht haben wollen. Vielleicht hat er nur von mir gehört und nicht den anderen hier in der Stadt. Weiß ich echt nicht, aber die Bezahlung macht alles wett.«
Sie zieht die Augenbrauen hoch. »Wie viel?«
Ich zwinkere ihr zu. »Genug. Davon können wir das Haus in Ordnung bringen, uns ein schönes Honorar zahlen und ein paar streunende Katzen füttern.«
Lily lacht auf. »Du darfst sie nicht immer füttern. Heute Morgen saßen wieder zwei Katzenjunge vor der Tür und haben gebettelt. Die lernen anscheinend schon, dass sie nur herkommen müssen, um gefüttert zu werden. Da bist nur du schuld dran.«
»Ich kann nichts dafür«, meine ich achselzuckend. »Liegt nun mal in meiner Natur, meinen Katzenverwandten zu helfen.«
Sie grinst. »Ich bin keine Katze, aber du hast mir trotzdem geholfen.«
Ich seufze. »Also gut, und meinen Freunden. Ob Katzen oder nicht. Besser?«
»Und ob. Wie willst du aber diesen Killer finden? Du hast doch gar keine Erfahrung mit so was.«
»Mir wird schon was einfallen. Zuerst werde ich mir mal den Tatort ansehen und dann nach Zeugen suchen. So machen die das in den Büchern doch auch immer.«
Sie lacht wieder. »Du wirst den Fall bestimmt lösen. Sag Bescheid, wenn du meine Hilfe brauchst, obwohl ich im Moment eine Menge mit meinem Fall zu tun habe. Der Kerl geht mir auf die Nerven, aber er liebt seine neue Freundin.« Sie kichert. »Zu schade, dass die nicht echt ist.«
Lily grinst breit. Sie spielt eben gern mit ihrer Beute, bevor sie sie tötet. Sie macht die Männer verrückt auf sich; und tötet sie genau dann, wenn sie merken, dass sie zum Narren gehalten worden sind. Sie bricht ihnen das Herz, bevor sie es durchbohrt. Echt böse auf eine fast schon lustige Weise. Eben eine von uns. Wir, das ist M.I.A.U. mein zusammengewürfeltes Team aus entrechteten Killern und zwielichtigen Gestalten. Bis jetzt sind wir nur zu viert, haben uns aber schon einen Namen gemacht. Unser Ruf verbreitet sich nach jedem Mord, wir sind da sehr effizient. Kaum zu glauben, dass ich vor sechs Monaten noch ein Sklave war, für die Meute gearbeitet habe, weil die mich mittels Halsband in der Hand hatten. Jetzt bin ich selbständig. Eine Unternehmerin. Ich arbeite auf eigene Kosten, zahle allein für meinen Unterhalt, beschäftige sogar Mitarbeiter. Und von denen trägt keiner einen Ring um den Hals. Sie sind aus freien Stücken hier.
Ich gähne, die Müdigkeit überwältigt mich. Ich war gestern lange auf, bin über die Dächer der Stadt gerannt und habe die Örtlichkeiten für eine von uns geplante Mordaktion ausgespäht. Den Fall übergebe ich wahrscheinlich an eine der anderen, hab jetzt etwas Gewinnbringenderes zu tun. Dieser merkwürdige Mordfall hat jetzt Vorrang. Wir brauchen schließlich das Geld.
»Ich geh ins Bett«, beschließe ich. Ich muss gehörig die Bauchmuskeln anspannen, um mich aus den Tiefen des Sofas zu hieven. Ist einfach zu niedrig und zu weich. Sobald diese Sache erledigt ist, kaufe ich uns ein neues.
»Träum was Schönes«, sagt Lily mit anzüglichem Lächeln. »Ich geh vielleicht nochmal raus und gönn mir was.«
Ich überlasse sie ihren Plänen und gehe die Treppe hinauf bis zur Leiter, die auf den Dachboden führt. Muss dran denken, wie ich das erst Mal hierher kam. Da ging mir gleich durch den Kopf, was für ein tolles Zuhause das wäre und dass der Dachboden ein super Schlafzimmer abgeben würde. Das ist er jetzt auch.
Ich steige die Leiter hoch und ziehe sie hinter mir hoch, schließe dann die Falltür. Ich hab’s gern privat. In den vergangenen Monaten habe ich diesen Raum in mein eigenes kleines Reich verwandelt. Große Kissen liegen überall auf dem Boden verteilt, der von Dutzenden kleiner Teppiche bedeckt ist. Ein paar Regale hängen an der Dachschräge, aber das beste Stück ist meine Hängematte, die ich zwischen zwei großen Dachbalken angebracht habe. Ich zieh mir was Bequemes an und sehe nach, dass das Fenster richtig zu ist. Ich bin da schließlich zweimal eingebrochen und weiß, wie leicht das auch jemand anderes könnte. Ich hab es allerdings neu verglasen lassen, mit einer extra dicken Scheibe. Sollte halten, wenn jemand versucht, es einzutreten.
Draußen höre ich ein leises Geräusch, weshalb ich das Fenster öffne und nochmal nachsehe.
Da miaut ein dünnes Stimmchen. Ich lehne mich aus dem Fenster, bis ich das Kätzchen sehe, das sich oben am Fensterrahmen festklammert. Es muss über die Dächer gelaufen sein und konnte von dort oben am Dachfenster nicht weiter. Armes Ding. Ich strecke meine Hand aus und fange an zu schnurren. Das Kleine soll mich schließlich nicht kratzen.
Seine Ohren zucken, als ich das beruhigende Geräusch mache. Wahrscheinlich ist es ganz verwirrt, dass sich ein Mensch wie eine Katze anhört. Das sind am Anfang alle.
Langsam kommt es in meine Hand, passt da ziemlich genau rein. Ich trage es ins Zimmer und setze es sanft auf den Boden. Es starrt mich mit großen gelben Augen an.
»Und jetzt?« frage ich. »Ich werde dich nicht den ganzen Weg runtertragen. Du musst schon hier oben bei mir schlafen.«
Das Kätzchen faucht. Ich weiß, dass es mich verstehen kann.
»Tut mir leid«, sage ich ihm. »Bin müde. Ist ja nicht meine Schuld, dass du da oben nicht weitergekommen bist.«
Weil ich aber nicht als zu egoistisch rüberkommen will, schütte ich ein bisschen Wasser in eine Schale und stelle sie auf den Boden. Da hat das Kleine wenigstens was zu trinken.
»Schlafenszeit«, gähne ich. Ich klettere in meine Hängematte und mache mich sofort auf ins Land der Träume.
Kapitel 2
Miau. Miau.
Ich blinzele und starre in große gelbe Augen mit großen schwarzen Pupillen. Barthaare streichen meine Wangen.
Ich stöhne und schließe wieder die Augen. Es fühlt sich viel zu früh an.
Miau.
»Sei still« murmele ich und stecke meinen Kopf unter das Kissen.
Daraufhin beginnt das Kätzchen mein Hemd mit seinen Krallen zu bearbeiten. Toll. Ein Wecker mit Krallen. Die schlimmste Erfindung, die je gemacht wurde.
»Hau ab«, grummele ich, aber die Katze rührt sich nicht vom Fleck. Wahrscheinlich hat sie Hunger.
Ich atme tief durch. Es ist ein Kater. Normalerweise lasse ich keine männlichen Wesen in mein Bett. Ich schlafe mit ihnen in ihrem eigenen und verlasse sie vor Tagesanbruch. Das ist meine Regel. Keine Beziehungskisten. Zum Glück ist dieses Männchen kein Mensch.
Miauuu.
»Also gut.« Ich seufze theatralisch und setze mich auf, überrasche damit das Kätzchen. Es fällt kopfüber und landet in meinem Schoß, miaut dabei empört.
Der Kleine wird von mir keine Entschuldigung zu hören kriegen. Ist schließlich seine Schuld, was macht er auf meiner Brust.
Ich gähne laut, nehme ihn hoch und steige aus der Hängematte. Normalerweise würde ich mich jetzt erst anziehen, aber der kleine Kater verlangt weiter etwas zu fressen. Ich lass mich einfach zu leicht manipulieren.
Ich nehme ihn mit nach unten in die Küche. Im Haus ist alles still, wir sind offenbar die ersten, die aufgestanden sind.
»Schau weg«, warne ich ihn, bevor ich die eine Schranktür öffne, hinter der sich Stapel von Katzenfutter verbergen. Das ist mein gut gehütetes kleines Geheimnis. Sogar für mich riecht das sehr appetitanregend, aber ich habe meine Katzenseite unter Kontrolle und kann der Versuchung widerstehen. Ich schütte etwas von dem Futter in eine Schüssel und stelle sie dem Kleinen hin. Er frisst gierig, ich schaue amüsiert zu.
Während er sein Frühstück genießt, mache ich mir gebackene Bohnen auf Toast. Es ist einer dieser Tage. Irgendwie sehen die Bohnen fast wie Dosen-Katzenfutter aus. Bin mir nicht sicher, ob sie das mehr oder weniger verführerisch machen.
Miau.
Er hat sein Futter schon verschlungen und scheint immer noch hungrig zu sein. Katzen halt. Gierige Schlingel.
Ich grinse und gebe ihm noch etwas. Ich möchte ihm gern einen Namen geben, aber wahrscheinlich hat er schon einen. Um das herauszufinden, müsste ich mich verwandeln, bin aber nicht in Stimmung. Ich weiß, dass die Katzen mich verstehen können, wenn ich menschliche Gestalt habe; umgekehrt kann ich nur verstehen, was sie mit ihrem Miau meinen, nicht aber die eigentlichen Wörter.
Vielleicht mache ich das mit der Wandlung später. Aber bis dahin ist er wahrscheinlich schon wieder verschwunden. Es sei denn, Lily hat recht und ich habe den örtlichen Katzen schon beigebracht, dass sie nur hierher kommen müssen, wenn sie etwas zu fressen wollen. Aber da kann ich nichts dran ändern.
Plötzlich schießt mir ein Gedanke durch den Kopf, und ich hätte fast selbst miaut. Ich glaube, ich hatte gerade eine fantastische Idee.
Ich beuge mich zu dem kleinen Kater hinunter. Er ignoriert mich, damit beschäftigt, die letzten Krümel zu fressen. Keine Ahnung, wie der zwei Schüsseln Katzenfutter in dieser Geschwindigkeit vertilgen konnte. Sogar ich hätte dafür länger gebraucht.
»Hey, Kleiner«, sage ich ruhig. »Wollen wir ein Geschäft machen?«
Seine Ohren zucken, aber er frisst weiter.
»Wie wär’s, wenn ich dir jeden Tag was zu fressen gebe und du im Gegenzug für mich ein paar Dinge erledigst? Dir bestimmte Orte vornimmst und die auskundschaftest? Mir sagst, ob da Menschen rumlungern? So was in der Art?«
Ich spüre, wie er darüber nachdenkt, er ist aber noch zu sehr mit seinem Futter beschäftigt. Seufzend warte ich, bis er fertig ist.
Er wischt sich mit der Vorderpfote übers Gesicht – so süß, mein Herz schmilzt nur so dahin. Das ist zu viel für mein kaltes Mörderherz. Ich sollte mich nicht mit Katzenbabies einlassen. Die verursachen bei mir totale Gefühlsduselei.
»Also, was meinst du?« frage ich. »Willst du für mich spionieren?«
Auch wenn ich mich nicht verwandelt habe, spüre ich doch seine Zustimmung und grinse. Ich habe gerade einen Spion gewonnen, den nie jemand verdächtigen würde. Klar, er wird mir nicht sagen können, worüber die Menschen, die er antrifft, gesprochen haben, aber er kann Dinge ausspähen. Katzen sieht man schließlich überall, und die meisten Menschen beachten sie nicht weiter. Sehr wenige Menschen wissen, dass ich mit ihnen sprechen kann. Das wird so geil.
Ich lese den kleinen Kater auf und trage ihn zur Eingangstür.
»Komm morgen wieder, dann bekommst du Futter und einen Auftrag.«
Er schaut mich mit einem so intelligenten Ausdruck an, dass ich keinerlei Zweifel habe - unsere Zusammenarbeit wird ein voller Erfolg werden.
Plötzlich habe ich das Bild anderer Katzen vor Augen.
Ich lächle. »Ja, du kannst auch deine Freunde mitbringen, falls die Interesse haben.«
Er dreht sich um und rennt davon, ohne sich noch einmal nach mir umzuschauen. Katzen beachten mich meist mehr als sie andere Menschen wahrnehmen, aber sie wollen trotzdem nicht zahm oder emotional bedürftig erscheinen. Ihr Wort halten sie aber immer. Katzen können manchmal etwas hinterlistig sein, halten damit aber wenigstens nicht hinter dem Berg.
Ich gehe ins Haus zurück und frühstücke. Die Bohnen sind kalt, der Toast ist durchgeweicht, aber egal. In Gedanken mache ich schon Pläne für ein Katzennetzwerk im Untergrund. Ich muss dringend noch Katzenfutter bestellen. Lily wird das nicht gefallen, aber sie wird bald den Vorteil davon erkennen. Es liegt in ihrer Natur, Katzen nicht zu mögen, aber immerhin mag sie mich. Ich bin ihre beste Freundin, und umgekehrt.
Ich gähne und stelle meinen Teller in die Spüle, in der Hoffnung, dass jemand ihn abwaschen wird. Eher unwahrscheinlich, aber die Hoffnung stirbt zuletzt. Ich muss mich um Wichtigeres als schmutziges Geschirr kümmern.
In meinem Büro lege ich wie immer die Füße auf den Schreibtisch und nehme die erste Akte vom Stapel. Darin starrt mich ein Foto des Mordopfers an. Auf dem Bild ist der Mann noch am Leben, aber sein Blick ist seltsam gejagt, angstvoll. Entweder hat er immer Angst gehabt oder speziell vor der Person, die das Foto gemacht hat. Ich setze neben das Bild ein kleines Fragezeichen. Das ist doch schon mal ein guter Ausgangspunkt für die Ermittlung.
Der Bruder des Opfers hat auf die nächste Seite eine kurze Aussage geschrieben. Laut ihm war Winston Kindler ein ruhiger, zurückgezogen lebender Mann mit wenigen Hobbies. Er ging gelegentlich angeln, sonst gab’s da kaum etwas. Keine Drogen, kein Alkoholmissbrauch. Keine Spielsucht – ein so langweiliger Typ, dass ich beim Lesen fast einschlafe. Alles, was Winston gemacht zu haben schien, war, in seinem Bonbonladen zu sitzen oder zu Hause. Ich denke, dem Laden muss ich als erstes einen Besuch abstatten.
Bis jetzt gibt’s jedenfalls keinen Grund, warum ihn irgendjemand hätte umbringen sollen.
Auf einem Notizblock schreibe ich ein paar Anweisungen für Benjamin: Bankkonten, Polizeiregister, Krankenakten.
Benjamin ist ein Dieb, der beste, und er wird leicht an diese Infos rankommen. Wir brauchen niemanden um diese Dokumente zu bitten. Ist doch viel leichter, sie zu stehlen. Vielleicht ergeben sich ein paar neue Anhaltspunkte, wenn er die Sachen besorgt hat, aber im Moment bleibt mir nichts übrig, als den Laden und den Tatort zu besichtigen. Hört sich nicht besonders spannend an. Jedenfalls nicht nach so viel Spaß wie ein guter Mord. Aber dann erinnere ich mich wieder an diesen wunderbaren Blankoscheck und bin auf einmal der Meinung, es gäbe kaum etwas Schöneres, als einen Süßwarenladen aufzusuchen.
Der Laden von Winston Kindler ist nicht geschlossen, wie ich das vermutet hatte. Nein, eine Schlange von Kindern windet sich davor bis um die nächste Straßenecke. Die meisten von ihnen warten geduldig, bis sie an der Reihe sind, aber viele hüpfen auch aufgeregt herum. Was in drei Teufels Namen geht hier vor? Ist denn heute keine Schule? Ich bin ja manchmal etwas desorientiert, aber glaube zu wissen, dass heute kein Wochenende ist.
Ich wende mich an ein Mädchen, das alleine dasteht und ein bisschen verloren wirkt.
»Was ist denn hier los?« frage ich sie und deute mit dem Kopf in Richtung Laden.
Sie lächelt schüchtern. »Die verschenken da Süßigkeiten.«
Ich ziehe die Augenbrauen hoch. »Tatsächlich? Weißt du, warum?«
Sie nickt. »Der Besitzer ist gestorben, und in seinem Testament hat er gesagt, die Süßigkeiten sollen alle verschenkt werden.«
Das Mädchen grinst breit und zeigt dabei schwarzgefärbte Zähne. Die Versuchung ist groß, ihr zu sagen, dass sie besser nichts Süßes mehr essen sollte, aber ich behalte den Gedanken für mich. Sie würde eh nicht auf mich hören.
Ich lasse sie stehen und gehe zum Eingang des Ladens. Einige Kinder beschweren sich laut von wegen Vordrängeln, wagen es aber nicht, mir das ins Gesicht zu sagen. Dabei versuche ich schon, meine Sprich-mich-nur-an-und-stirb-Aura auf ein Minimum zu reduzieren, aber es ist schwer, eine alte Gewohnheit aufzugeben. Je weniger Leute mich kennen, desto weniger können vor Gericht gegen mich aussagen. Oder mich umbringen.
Ich drücke mich an ein paar ungehobelten Jungs vorbei, bis ich im Laden stehe. Der Traum jedes Kindes! Große Gläser voller Bonbons in allen erdenklichen Farben türmen sich auf den Regalen und nehmen jedes verfügbare Plätzchen ein. Es duftet nach Schokolade und Lakritze und lässt mich vergessen, dass ich schon gefrühstückt habe.
Eine junge Frau steht hinter der Theke und wiegt Süßigkeiten auf einer uralten Messingwaage ab. Ich warte, bis sie die Bonbons in eine Papiertüte gefüllt und einem der Jungen ausgehändigt hat, bevor ich sie anspreche. Die Kinder hinter mir protestieren leise, dass ich mich in die Schlange gedrängelt habe.
»Das ist hier nur für Kinder, junge Frau«, sagt das Mädchen. Sie ist selbst kaum den Kinderschuhen entwachsen, höchstens siebzehn Jahre alt. Ihre Schürze ist übersät mit Staubzucker und Sirupflecken Sie sieht recht gewöhnlich aus, aber ihre Augen sind wach und funkeln.
»Ich bin nicht wegen der Bonbons hier«, sage ich und bemühe mich, dass man mir mein Bedauern nicht anhört. Hoffe aber, dass sie mir trotzdem ein paar Pfefferminzbonbons anbietet. »Ich bin hier wegen des Besitzers, Herrn Kindler.«
»So eine Tragödie«, murmelt sie. »Er war so freundlich zu allen. Ich weiß wirklich nicht, warum den irgendjemand umbringen wollte.«
»Du weißt, dass er ermordet wurde?« frage ich, ein wenig überrascht.
Sie nickt. »Ja, sicher, wir waren Nachbarn. Ich habe seinen Leichnam gesehen.« Sie erschaudert. »Das war wirklich kein schöner Anblick. Aber davon sollten wir besser nicht vor den Kindern sprechen.«
Ihr Blick schweift zu den Jungs hinter uns, die mit großen Augen zuhören. Das wird auf jeden Fall Thema Nummer Eins auf allen Schulhöfen der Stadt werden.
»Da hast du recht. Machst du bald Pause?«
Sie sieht auf ihre Armbanduhr, ein schweres, teures Exemplar. Nicht gerade üblich, so etwas am Arm einer jungen Verkäuferin zu sehen. Vielleicht ein Erbstück?
»Offiziell in einer Stunde. Aber bei dem Betrieb könnte das auch länger dauern. Die Nachricht hat sich schnell verbreitet, und bald wird jedes Kind in der Stadt auf dem Weg hierher sein. Würde mich nicht wundern, wenn ich den ganzen Tag hinter dem Ladentisch stehe oder eben bis alle Süßigkeiten verteilt sind. War eine nette Geste von Win … Herrn Kindler, das so zu bestimmen, aber für mich ist es ein hartes Stück Arbeit.«
Für den Bruchteil einer Sekunde zieht ein Schatten über ihr Gesicht, als sei sie nicht so überzeugt von ihrem ehemaligen Arbeitgeber. Ich notiere das im Geiste, auch die Tatsache, dass sie ihn beinahe beim Vornamen genannt hätte.
Widerwillig nicke ich. »Ich komme heute Abend wieder. Hier ist meine Karte, falls du früher fertig bist.«
Ich bin wieder mal froh, dass ich diese Visitenkarten habe drucken lassen. Da steht nicht viel drauf, nur meine Adresse und Telefonnummer. Kein Wort von Auftragsmorden. Das wäre denn doch geschmacklos.
»M.I.A.U.?« fragt sie und runzelt die Stirn.
»Unser Firmenname«, antworte ich. »Es ist ein Kürzel«.
Ich sage ihr nicht, wofür es steht, das weiß ich selber nicht. Seit ich mir diesen blöden Namen ausgedacht habe, zerbreche ich mir den Kopf, was ich Kunden auf solch eine Frage antworten soll, außer, dass es ein dummer Witz war. Ich habe doch nie geglaubt, dass diese ganze Sache mit dem eigenen Geschäft überhaupt Erfolg haben würde. Sonst hätte ich schon einen etwas ernsthafteren Namen gewählt. Aber jetzt werde ich dieses M.I.A.U. nicht mehr los. Meister Im Anonymen Umbringen… oder so.
Sie stopft die Karte in ihre Schürzentasche und sieht mich genervt an, so als wollte sie sagen, ich solle mich vom Acker machen, damit sie den Kindern endlich weiter ihre Süßigkeiten geben kann.
»Bis später«, sage ich und spreche es mehr als Drohung denn Versprechen aus. Mir liegt es einfach nicht, nett zu anderen zu sein.
Die Leute, mit denen ich es zu tun habe, sterben meistens sowieso, es wäre also Verschwendung von Zeit und Emotionen, wenn ich so tun würde, als ob ich sie nett fände. Ich gehe professionell mit meinen Kunden um, bin aber sicher, dass mich keiner als »nett« bezeichnen würde. Angenehm kühl, vielleicht. Frostig hilfsbereit. Solange sie mich bezahlen, ist es mir egal, was sie denken. So was von egal.
Ich verlasse den Laden und wünschte fast, ich hätte mir eine Tüte der Minzbonbons mitgenommen. Der Duft da drinnen hat meinen Appetit geweckt. Das Frühstück ist schon Geschichte. Mein Stoffwechsel spielt seit einiger Zeit verrückt. Ich esse dreimal so viel wie früher. Vielleicht liegt es daran, dass ich mir jetzt alles Essen, das ich gerne hätte, leisten kann oder daran, dass ich kein Halsband mehr trage. Irgendwie nervig, jetzt so viel Zeit damit verbringen zu müssen, Essen zu beschaffen oder zuzubereiten; aber gleichzeitig habe ich auch festgestellt, wie viel mir am Essen liegt. Eine hübsch angerichtete Platte, der Geschmack eines neuen Gerichts, das Prickeln von Gewürzen auf meiner Zunge, die ich in einer Ecke des Wochenmarktes gefunden habe, all das bereitet mir großes Vergnügen. Essen ist nicht mehr nur Nahrungsaufnahme, es ist zum Hobby geworden.
Es ist von daher ja eine gute Sache, dass mein neuester Fall teilweise in einem Süßwarenladen angesiedelt ist. Da habe ich eine Entschuldigung, nochmal hinzugehen und ein paar Proben aus diesen großen Gläsern mitzunehmen. Natürlich nur zu Forschungszwecken.