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Die zeitgenössische europäische Gesellschaft

1) Allgemeines

Alle traditionellen Gesellschaften sehen in der Gattung Mensch ein gesellschaftliches Wesen, nicht aber die westliche Welt der Moderne. Die zeitgenössische westliche Massengesellschaft ist eine stark vom Individualismus geprägte Gemeinschaft, in gewissem Maße ein unter schlaue Kontrolle der Obrigkeit gestelltes Sammelsurium von Einzelnen, das nur wenige Menschen richtig durchschauen. Die Grundidee des Individualismus ist ein Wertesystem, in dem das Individuum den Mittelpunkt darstellt und in dem die Freiheit im Sinne einer Befreiung von allen Zwängen der Grundgedanke ist; der Gegensatz zu ihm ist der Kollektivismus. Der Einzelne hat im Individualismus einen Vorrang vor der Gemeinschaft beziehungsweise vor der Gesellschaft, deren Aufgabe lediglich ist, die Rahmenbedingungen zu schaffen, unter denen das Individuum seine Ziele verwirklichen kann. Die Legitimität der modernen Massengesellschaft gründet auf der uneingeschränkten Priorität des abstrakten, von seinen Zugehörigkeiten abgeschnittenen Individuums. Dieses stellt lediglich ein imaginäres Objekt des Begehrens dar, mit dem einzigen, spekulativen Zweck, die Ideologie der politischen Klasse populistisch zu untermauern. Die Wurzeln dieser spezifisch abendländischen Einstellung liegen in der christlichen Gleichwertigkeit vor Gott; die Zivilreligion des anthropozentrischen Atheismus hat diese nur weiterentwickelt und politisch korrekt gestaltet. Für die Modernisten stellt die Gesellschaft im Urzustand eine Tabula rasa dar, die durch die Göttin Ratio erst geformt werden muss. Für die Moderne zählt nicht das Vergangene, sondern die Zukunft, die zwar schwierig klar vorauszusehen ist, die aber theoretisch exakt vorherbestimmt werden kann. Beim heutigen Individualismus der westlichen Gesellschaft handelt es sich um eine irreale Eigensinnigkeit, um einen sachlich auf das Ich und zeitlich auf die begrenzte sterblich-irdische Dimension bezogenen Individualismus, in dem es keine Spuren eines höheren Seins mehr gibt, sondern nur das profane, hedonistische Haben-Wollen.

Unabhängig davon, dass das Individuum im Mittelpunkt der Ideologie steht und dass ständig über seine Freiheit, Würde und Menschenrechte geredet wird, berufen sich alle in ihrem Denken und Handeln auf das Gemeinwohl, wobei allerdings betont werden muss, dass jeder beim Begriff Gemeinwohl zuerst an sein Eigenwohl denkt. In einer zersplitterten Gesellschaft ist der Individualist ein Wesen der Ichbezogenheit, dessen Verbundenheit mit dem Übernatürlichen endgültig und total gebrochen ist. Der zivilreligiöse Humanismus, die eigentliche Kultur der Moderne, spiegelt nicht nur den beschleunigten Verfall der seelenlosen und hedonistischen Welt wider, sondern stellt den Menschen in den Mittelpunkt alles Seienden; außer dem Menschen gibt es nichts, was Subjekt sein sollte oder dürfte. Die Kultur wird alles, die Natur nichts. Das Wollen beziehungsweise das Haben tritt an die Stelle des Seins. Die Realität wird das Materielle, das Seiende wird das hypothetisch Werdende und das Geistige wird dessen Befriedigung. Im ethischen Sinne wird der moderne Massenmensch die moralischen Regeln der Makro- und Mikrowelt ausgleichen, womit er beide vernichtet. Aus dem Interesse des Individuums ist ein Grundrecht geworden, wodurch einerseits die Umverteilung chaotisch und pervertiert wurde und anderseits die Macht der politischen Klasse stieg.

Durch die gezielte demagogische Umverteilungspolitik versucht die politische Klasse, innerhalb der Masse von fordernden Genussmenschen – soweit es geht – erfolgreich zu schlichten, ohne dabei in den Ruch zu geraten, geizig oder sozial ungerecht zu sein. Da es in jeder Gesellschaft eo ipso vielfältige Interessen(-gruppen) und verschiedene Ziele gibt, wird auch der Individualismus unterschiedlich interpretiert. So meinen die klassischen Liberalen, dass dem freien Individuum das Primat des Privateigentums garantiert werden müsse, wie auch die volle Freiheit, allerdings nicht primär im Staate, sondern vom Staate. Für Christen und Konservative ist das Individuum ein Ebenbild Gottes, ein Wesen von unantastbarer Würde, welches sich erst in der Gemeinschaft voll entfalten kann. Die neomarxistischen Protagonisten der Ideologie des irdischen Paradieses bevorzugen indes einen steuerbaren Individualismus; der Einzelne ist für sie das Glied einer starken Kette, ein Proletarier, welcher im kommunistischen Skelett die Wirbelsäule darstellt. In dem geistigen Dunstkreis der Auflösung der Wertewelt des Christentums wird die Tiefe des natürlichen menschlichen Seins vergessen. Im Fokus der Aufmerksamkeit steht eine Maskerade. Wegen seiner Aktualität besonders wichtig ist der durch die geistige Insurrektion der 68er-Bewegung entstandene Individualismus, der vor allem durch das Streben nach Selbstverwirklichung und Selbstdarstellung des Einzelnen gekennzeichnet ist. Dieser Individualismus ist äußerst narzisstisch und lehnt jegliche Autoritäten und hierarchischen Strukturen ab. Er ist die beherrschende Weltanschauung der heutigen europäischen Gesellschaft und stellt das Lebensideal der Menschen des linken und alternativen politischen Spektrums dar.

Die politische Klasse redet gern von Werten oder vom Gemeinwohl, sie steht diesem gesellschaftlichen geistigen Kleinod aber neutral gegenüber; im zeitgenössischen Lügenvokabular bedeutet Neutralität eigentlich Gleichgültigkeit. Neutral ist allerdings auch die Bevölkerung. Sowohl der Einzelne als auch die politische Klasse meinen, dass Individualismus gleichbedeutend mit Autonomie sei, mit der Schlussfolgerung, beides sollte unantastbar bleiben. Es wird allseitig versucht, den Individualismus zu retten, wenn auch damit verschiedene Ziele verfolgt werden. Freiheit stellt heute einen der höchsten Werte dar und gilt theoretisch als total. Da mit der erwähnten Totalität keine geordnete Gesellschaft zu kreieren ist, wird die Freiheit sofort eingeschränkt, indem man – wieder theoretisch – festlegt, dass sie dort aufhört, wo sie die Freiheit des anderen beeinträchtigt, was auch immer unter diesem schwammigen politischen Gewäsch verstanden werden mag. In Wirklichkeit aber ist das das Ende der Autonomie, das unaufhaltsame Schicksal jedes Individualismus.

Es darf jedoch nicht außer Acht gelassen werden, dass der Individualismus in der zeitgenössischen Massengesellschaft mit den erwähnten klassischen Individualismen wenig gemeinsam hat. Die heutige Gesellschaft ähnelt eher einem zerstreuten Sammelsurium mündiger Roboter. Die zeitgenössische (über-)individualisierte Gesellschaft ist eine zerstückelte Ganzheit, die durch die Vervielfachung von Einzelnen formlos und summarisch geworden ist. Das zeitgenössische Individuum ist eine entpersonifizierte Person und stellt die ideale Substanz für die Schaffung einer Gesellschaft der totalen Gleichheit dar, die man aber nicht mit dem Begriff Gleichberechtigung verwechseln sollte. Die von der traditionellen Erhabenheit entzauberte Gesellschaft der herrschenden Gleichheit zermalmt alles Überkommene. Das befreite Individuum wird allmählich von der Transzendenz abgetrennt, ohne dass es sich in der Verzückung seiner ideologisierten Lyrik von Freiheit dessen überhaupt bewusst wäre. Das Sammelsurium solcher frei schwebender Wesen der Seelenlosigkeit ist natürlich leicht steuerbar und noch leichter kontrollierbar. In dem modernen gesellschaftlichen und politischen Theater stellt das Individuum eine unendlich reproduzierbare Negativmaske dar, ein Massenprodukt in einer demokratischen Massengesellschaft der Wertebedeutungslosigkeit. In der heutigen Welt des absoluten Relativismus und der herrschenden wissenschaftlich-technischen Denkweise wird die altehrwürdige Persona zerstört und das neu geschaffene Individuum auf die Ebene des jederzeit Austauschbaren herabgesetzt. Es wird trotzdem nicht zum Roboter, sondern versucht sich anzupassen, indem es in einer neuen, von den beständigen Werten entheiligten Barbarei das Gewand des mündigen Rohlings anzieht. Ohne diese Entwicklung vor Augen zu haben, ist das Verhalten des Massenmenschen nicht zu verstehen.

Die moderne westliche Gesellschaft, deren Hauptcharakteristika repräsentative Demokratie, allgemeiner Pluralismus und die wissenschaftlich-technische Denkweise sind, ist unter anderem auch dadurch gekennzeichnet, dass sie im Vergleich mit der übrigen Welt einen viel höheren Lebensstandard aufweist. Mit dem Begriff „Lebensstandard“ ist hier die Messung der Qualität des Lebens gemeint, wobei zu betonen ist, dass es sich dabei um eine Messung handelt, die auf der Gesamtheit der mit dem verfügbaren Einkommen zu erwerbenden Sachgüter und Dienstleistungen beruht. Die Beurteilung des Lebensstandards auf diese Art und Weise ist zwar die gebräuchlichste Methode, stellt jedoch eine viel zu einfache Schätzung dieser außerordentlich komplexen Größe dar, weil dadurch sowohl die wichtigen Elemente des subjektiven Empfindens der Bevölkerung als auch die immateriellen Komponenten der Politik ausgeklammert werden. Das Rechnen und Vergleichen unvergleichbarer Parameter zur Bestimmung der Qualität des Lebensstandards entspricht zwar dem in der Gesellschaft dominierenden wissenschaftlich-technischen Geist und ist für die Menschen in der gegenwärtigen Massengesellschaft wohl nicht unbedeutend, kann jedoch nicht ausschlaggebend sein. Es muss nämlich festgestellt werden, dass – unabhängig vom real messbaren Niveau des Lebensstandards – weder alle Menschen in der Gesellschaft gleich zufrieden oder unzufrieden sind, noch alle die Qualität ihres Lebens nur nach dem Stand des Materiellen beurteilen wollen. Wenn ein Individuum seine Meinung über die soziale, kulturelle oder politische Situation in der Gesellschaft öffentlich vorträgt, kann die herrschende Macht diesbezüglich zufrieden oder unzufrieden sein: Seinen Anspruch auf dieses Empfinden selbst kann ihm weder sie noch eine weiß Gott wie geschickte Gedankenpolizei wegnehmen, weil dieses Empfinden ein ihm zustehendes Naturrecht ist, eine Eigenschaft der natürlichen Ordnung, die durch nichts eliminierbar ist. Das einzige, was die herrschende politische Macht erreichen kann, ist es, durch radikale Maßnahmen Furcht zu erzeugen, wodurch die öffentliche Lautstärke des Meinungsausdrucks vorübergehend abnimmt.

Das Empfinden des Individuums ist subjektiv und muss nicht unbedingt mit der gesellschaftlichen Realität übereinstimmen. Auch die moderne Gesellschaft der hohen Zivilisation, also eine Gemeinschaft der bewussten und vor allem der freiwilligen Kooperation, stellt keine Körperschaft der Menschen dar, die alle frei vom Druck des Eigennutzes wären. Dazu ist noch zu sagen, dass es keinen natürlichen, vorurteilsfreien Maßstab gibt, mit dem das Maß des moralisch gesunden Eigennutzes gemessen werden könnte. Was die herrschende politische Macht oder eine noch größere und mächtigere Gruppe in der Gesellschaft als sozial gerechtes oder politisch ausgewogenes Maß präsentiert, ist nichts anderes als eine politische Zwangsvorgabe, deren mangelnde Sachlichkeit durch das selbstgefällige Gerede von einer angeblich sozialethischen Politik der Machthaber übertüncht wird. Will man hinsichtlich der Beurteilung des Lebensstandards und der politischen Situation insgesamt das Empfinden des Individuums in der heutigen Massengesellschaft abschätzen, muss zunächst geklärt werden, was man unter dem Begriff Ausgewogenheit bzw. Gerechtigkeit versteht. Dass Reichtum bzw. Armut immer eine Ursache hat, interessiert den Massenmenschen sehr wenig. Er fühlt sich seinen Vorfahren überlegen, ignoriert die Chance auf geistige Befreiung und zollt den materiellen Errungenschaften hohes Lob. Bei der Umverteilung der Güter möchte er unbedingt aktiv mitmachen, das heißt: die Größe seines Gutes selbst bestimmen. Er betrachtet das als ihm moralisch zustehende und unveräußerliche Gerechtigkeit.

Die aufgezeigte Entwicklung wird vor allem durch die Missachtung der Gesetzmäßigkeiten des Politischen ermöglicht. Die herrschende politische Klasse ist von dieser Situation keinesfalls begeistert, macht aber dennoch mit. Der Grund für diese Einstellung ist einerseits der nicht zu umgehende Wahlstimmenfang und anderseits ihre relative Abhängigkeit von Großwirtschaft und Finanzwelt, welche den größten nicht einer Regierung angehörigen Machtfaktor der heutigen Welt darstellen.

In der modernen westlichen Demokratie, die immer mehr ein apolitisches Sammelsurium verschiedener Pressure-Group-Mikrodemokratien darstellt, wird auf das Nachdenken über die Zusammenhänge des natürlichen Wesens der Umverteilung der Güter verzichtet. Man bewegt sich gern auf den Feldern der Ideologie und Demagogie: den Reichen nehmen, um den Armen zu geben. Dass das aus ökonomischer Sicht Unfug ist und ethisch eine Heuchelei darstellt, kümmert offensichtlich nur sehr wenige Menschen. Es ist deshalb kaum verwunderlich, dass sie alle von dieser Art der Demokratie fasziniert sind, weil sie nur in einem solchen gesellschaftspolitischen System eine reale Chance haben, auch noch ihre verrücktesten Wünsche zu verwirklichen. Das ist zugleich der Beginn und das Ende der ansonsten wünschenswerten Kooperation. Unabhängig von der Tatsache, dass die wirtschaftliche Situation ein sehr wichtiger Faktor im Leben eines Menschen beziehungsweise der Gesellschaft ist, kann sie nicht der einzige Maßstab der Gesamtlage sein. Ohne die Rolle der Wirtschaft zu unterschätzen, muss festgestellt werden, dass ein so beurteilter Lebensstandard relativ und ständigen qualitativen und quantitativen Änderungen unterworfen ist. Unter normalen Umständen sollte diese Argumentationsschwäche kein größeres Problem verursachen. Dieses entsteht aber durch den mangelnden Sinn der Bevölkerung für eine realistische Einschätzung des Zustandes der zeitgenössischen Gesellschaft und der Fähigkeit der Politik, sich zwischen Gewünschtem und Möglichem zu behaupten. Eine qualitative und quantitative Veränderbarkeit der sogenannten sozialen Rechte im Sinne einer Anpassung an die Wirklichkeit, vor allem im Falle der erzwungenen Sparsamkeit, lehnen die verwöhnten Menschen in der modernen permissiven Massengesellschaft kategorisch ab. Ein einmal gewonnenes Recht bleibt ein ewiges Recht. Obwohl keine Ökonomie ein solches unvernünftiges Verhalten auf Dauer verkraften kann, macht die politische Klasse dieses Trauerspiel mit.

Nach den großen Verwüstungen im Zweiten Weltkrieg kam es im Westen zu einer gewaltigen Kumulation der Güter. Dieser Umstand führte zu einer Entwicklung, die durch den großen Optimismus der kriegsmüden Bevölkerung gekennzeichnet war. Dieser hoffnungsfrohen Aufbauphase folgten weniger optimistische Zeiten. Es stieg die Arbeitslosigkeit, begleitet von einem rasanten Anstieg der Staatsverschuldung; Finanzkrisen waren keine Seltenheit. Trotzdem waren die europäischen Länder politisch stabil, und hinsichtlich der wachsenden Diskrepanz zwischen Wunsch und Realität hielt sich das Wehklagen der Bevölkerung durchaus im Rahmen des Erträglichen.

Es soll an dieser Stelle auf eine bemerkenswerte Zwiespältigkeit aufmerksam gemacht werden: Es besteht nämlich ein Unterschied zwischen den alltäglichen Äußerungen der Bevölkerungsmehrheit und privaten Gesprächen, in welchen eine breite Unzufriedenheit geäußert wird, sowie ihrer Abstimmung bei den Wahlen, bei denen sich die Wähler auch dann mit überwältigender Mehrheit für zeitgenössische Parteien entscheiden, wenn diese für eine restriktive Politik stehen, die deutlich gegen die im vorpolitischen Raum angedeuteten oder geäußerten Wünsche und Forderungen der Bevölkerung gerichtet ist. In ihrer negativen Beurteilung dieser friedlichen Situation, die gelegentlich als Stallfrieden bezeichnet wird, berufen sich Kritiker auf den Umstand, dass seit längerer Zeit im Durchschnitt fast die Hälfte der wahlberechtigten Bürger den Wahlurnen fernbleibt. Das ist zweifelsohne wahr, es ist jedoch fraglich, ob dieses Desinteresse in sich den Keim einer möglichen Aktivität trägt; diese Sichtweise lässt sich nämlich durch keine stichhaltigen Beweise untermauern.

An dieser Stelle sollten wir auch einen Blick auf jene Menschen in der gegenwärtigen westlichen Massengesellschaft tun, die sowohl mit dem gesprochenen als auch mit dem geschriebenen Wort umzugehen wissen und dadurch gut und üppig parasitär leben können: die Intellektuellen. Damit ist hier aber nicht die kleine Zahl von geistig wachen und nicht korrumpierbaren gescheiten Menschen gemeint, sondern die große Masse gebildeter Wesen, deren Leistung keine auf der Grundlage der natürlichen Ordnung fußende Gesellschaft jemals brauchen würde: die offiziellen Intellektuellen (Hans Herbert von Arnim). Fruchtbringend sind sie nur der politischen Klasse und sich selbst. In einer verborgenen Symbiose mit der politischen Klasse gründen diese Eskamoteure der Überzeugungsarbeit unzählige honette Organisationen, die als Beweise für das Funktionieren der Demokratie für unverzichtbar erklärt werden, und beuten damit dann die geistige Trägheit des apolitischen Massenmenschen aus. In diesem großen Betrug sind die unzähligen X-ologen zwar eng mit der politischen Klasse verbunden, weltanschaulich aber nicht unbedingt mit dieser deckungsgleich, was jedoch irrelevant ist, da sich diese Großmeister des Nepps sowieso jeder politischen Klasse und jedem Regime anpassen. Um ihren Ideen und den Zielen der politischen Klasse einen (schein-)moralischen Glanz zu verleihen und diese dadurch massenwirksam zu machen, arbeiten sie an der Maximierung der Vergesslichkeit der Bevölkerung, wodurch sie für das Verhalten des zeitgenössischen Massenmenschen maßgeblich mitverantwortlich sind. Die geistige Korruption dieser Hebammen der Solidarität der Demokraten wird von der politischen Klasse durch Ämterpatronage direkt oder indirekt üppig finanziert. Diese Intellektuellen, die innerhalb der Bevölkerung eine winzige Minderheit bilden, spiegeln auf keinen Fall das Denken der sogenannten schweigenden Mehrheit wider. Sie werden zwar als eine geistige Elite angepriesen, stellen allerdings sowohl für die politische Klasse als auch für die Bevölkerung eine Belastung dar, wenn auch aus sehr unterschiedlichen Gründen. Mit ihrem geistigen und kulturellen Überbau entstellen sie die Wirklichkeit, indem die grundlegende Vielfalt des Empfindens der Menschen in der Gesellschaft unterdrückt wird, um eine neue, künstliche Realität schaffen zu können.

Die Moderne ist das Zeitalter der Masse; aller Voraussicht nach wird die Zukunft nicht anders aussehen. Umgangssprachlich wird „die Masse“ oft als Synonym für einfache Leute oder die Bevölkerung verwendet, meist im pejorativen Sinne. Der Massenmensch, sowohl die Essenz als auch der Träger dieser Gesellschaft, ist ein gestaltloses Wesen, welches in seinem entseelten Inneren eine Seele zu finden meint. In der Masse zeichnet er sich durch Formbarkeit aus. Es stimmt zwar, dass die Masse unter Umständen eine gewichtige Rolle bei der Verwirklichung der von den politischen Eliten erarbeiteten und durchgeführten Pläne haben kann; eine selbst gestaltende und ordnende politische Kraft kann sie aber niemals werden. Sie ist im Grunde immer eine verführte Schar im Sinne eines ausführenden Hilfsorgans. Revolutionen entstehen niemals unüberlegt oder ungeplant, sondern gründen auf machtgierigen Intellektuellen, die als geniale Psychologen die Entfesselung der verborgenen Destruktivkraft der Masse zu initialisieren wissen. Es gibt allerdings keinen Grund, die Masse zu unterschätzen. Die irrationalen Entladungen des Pöbels während der Französischen Revolution und später in den kommunistischen Aufständen sprechen diesbezüglich eine klare Sprache. In friedlichen Zeiten hingegen stellt sie einen relativ gefügigen Schwarm der entweder freiwillig unterworfenen Wesen oder der nützlichen Idioten dar. Zu den wichtigsten Eigenschaften der Masse gehören der Mangel sowohl an Vernunft als auch an Kritikfähigkeit des Einzelnen, welcher sich unter gespannten Umständen seinen Emotionen und unterschwelligen Impulsen voll hingibt. Die Aufgabe der persönlichen Verantwortung des Einzelnen wird durch die Anonymität in der Masse erheblich erleichtert, wodurch diese eine spezifische Eigendynamik entwickelt. Ein derart entstelltes Individuum neigt zu irrationalem Handeln und wird leicht zum Opfer einer Ideologie oder eines talentierten Führers und Machtmenschen. In der Impulsivität der Masse, welche die Dominanz des Unterbewussten über Ich und Über-Ich widerspiegelt, liegt ihre eigentliche politische Gefährlichkeit, allerdings auch ihre größte Schwäche. Nachdem der Massenmensch vom Führer und der Masse gezielt und ideologisch erfolgreich verarbeitet wird, driftet er zum Schluss in einen quasireligiösen Wahn ab, dessen herausragende Charaktereigenschaften Unduldsamkeit und Fanatismus sind. Das Bekenntnis zur einer politischen Ideologie oder zu einem siegreichen politischen Führer wird von der Masse nicht nur verehrt, sondern auch mit geheimnisvollen oder mystischen Elementen des Übernatürlichen umhüllt. Eine aufgeputschte Masse überlegt nicht und neigt zu zerstörerischer Wirkung. Die politischen Ereignisse der letzten zwei Jahrhunderte haben das etliche Male bewiesen. Jede herrschende politische Kraft weiß das, und sie versucht alles, um die Masse bei Laune zu halten.

Dieses politische Hin und Her zwischen Zuckerbrot und Peitsche ist von großer Bedeutung für die Qualität des gesellschaftlichen Lebens. Der französische Psychologe Gustave Le Bon behauptet, dass der Einzelne in der Masse in seiner Wahrnehmungs- und Entscheidungsfähigkeit sowie in seinem Verhalten behindert sei. Was meint er damit? Ist die erwähnte Behinderung selbst gemacht oder muss von außen nachgeholfen werden? Vermutlich beides. Durch die Steigerung der Affektiertheit versucht sowohl die politische Führung als auch die bewegende Masse den moralischen Wert jener Ideen zu erhöhen, für die man sich politisch engagiert. Dieses Engagement wird von der angeregten Masse mit einer geheimnisvollen göttlichen Berufung umhüllt. Das dadurch entstandene Gefühl der Heiligkeit führt das entstellte Individuum zum Fanatismus, letztendlich zur seiner totalen Unterwerfung. Eine Masse ohne Führung wirkt wie eine Herde ohne Hirten. Unabhängig von der möglichen Brutalität und Unsittlichkeit des Führers oder der Utopie bzw. Fremdartigkeit der Ideologie, welche die Massenbewegung in Gang gesetzt hat, werden ihre Handlungen als geschichtlich zwingende Taten hochgejubelt, was dazu geführt hat, dass „historische Bedeutung“ heute ein inflationärer Begriff geworden ist. In Bezug auf den Führer der Masse stellte Le Bon fest, dass dessen Wirkungskraft von drei Methoden bestimmt sei: Behauptung, Wiederholung sowie Übertragung. Wie schon gesagt, ist die Masse in friedlichen und entspannten Zeiten träge und stellt für die politische Herrschaft kein großes Problem dar. Falls sie in Bewegung gesetzt wird, aus welchem Grunde auch immer, wird sie unduldsam und fanatisch. In einer funktionierenden Gesellschaft mit Ausgleich zwischen „Wir“ und „Ich“, wovon die heutige europäische Gesellschaft weit entfernt ist, stellt sich das Problem Masse in dieser Form nicht. Die seriösen soziologischen Analysen des Verhaltens der Massen in den vorigen drei Jahrhunderten haben gezeigt, dass die Masse, wenn sie richtig angetrieben und in Bewegung gesetzt wird, für bestimmte Mythen empfänglich ist, die zur Formung einer Massenseele beitragen. Da der Prozess der sogenannten inneren Befreiung des Menschen, der mit der Aufklärung begonnen hat und in der Gegenwart ziemlich weit fortentwickelt ist, die Menschen immer mehr vom Mythischen und Mystischen entfernt hat, müssen wir feststellen, dass die heutige Masse in den Ländern des Westens eine andere Seele hat als die Massen der Vergangenheit. Das Materielle hat das Religiöse bzw. das Mystische ersetzt, was die Seele des zeitgenössischen europäischen Massenmenschen mit allen Arten des Materialismus und Psychologismus durchwoben hat. Bei Revolutionen haben die Massenmenschen nie wegen eines höheren Lohnes mitgemacht, wohl aber wegen der nationalen Frage, der Sprache oder der Religion. Das bedeutet jedoch nicht, dass sie hinterher keine Rechnung ausgestellt hätten.

Die heutige europäische Masse pendelt zwar zwischen Kirchenstille und Leergetöse, ist aufgrund der intensiven Zersetzungskraft des Individualismus allerdings kaum politisch mobil. Die Bevölkerung der Europäischen Union fragt zu wenig gezielt nach und nörgelt zu viel ungezielt herum; nur wenige Menschen suchen Antworten auf politische Fragen, sogar auf die einfachsten. Diese politische Trägheit der Menschen wird durch einen regen Eifer auf dem Gebiet des Apolitischen quasi kompensiert, wodurch der Anschein erweckt wird, die Europäische Union sei ein Hort der lebhaften Demokratie. Dieses Verhalten der Bevölkerung ist der politischen Klasse selbstverständlich sehr willkommen und wird von ihr auch unterstützt. Die erwähnte Erregung der Menschen im öffentlichen Raum wird gern als Einbruch der Bevölkerung in das Politische hingestellt, sozusagen als demokratischer Pulsschlag der Masse apostrophiert. Aufgrund der Tatsache, dass sich die Masse durch Interessenunterschiede auszeichnet, die in manchen Fällen antagonistisch sind, arbeitet die politische Klasse vermöge ihrer Ideologie der Toleranz an der Konstituierung gesellschaftlicher Kompromisse. Diese Ausgleichsarbeit ist allerdings grundsätzlich nur von kurzer Dauer und meist nur oberflächlich. Die erwähnte Trägheit der Masse, der ein Betätigungsdrang der willensstarken und machtbewussten politischen Klasse gegenübersteht, wird damit begründet, dass der Europäischen Union die nötigen intermediären Instanzen fehlten. Diese stellen in der EU unbestreitbar eine Mangelware dar, aber ihr Fehlen ist keinesfalls die Ursache für die erwähnte Trägheit. Obiter Dictum: Die zeitgenössische Massengesellschaft der Europäischen Union schließt weder die Nationen noch das Nationale aus.

Die Persönlichkeit des Menschen im geistigen Raum der Massengesellschaft entspricht nicht einer unverwechselbaren Individualität innerhalb des Wirkungsbereiches des Politischen; sie ist vielmehr ein gleichgeschaltetes, ideenloses Perpetuum mobile des Gehorsams. Die Ursache der eingeschränkten politischen Entfaltung dieses Menschen liegt in seinem zweckgerichteten bildungssystematischen Heranzüchten während der Jugendjahre. Der junge Mensch wird auf Toleranz als Selbstzweck programmiert. Dieser Großmut existiert aber nur im Zustand der absoluten Bindungslosigkeit und kann für diesen Menschen durch die Selbstbestätigung im Konsum einigermaßen erträglich sein. Das ist die Grundlage seiner völligen Abhängigkeit. Der zeitgenössische Massenmensch ist so progressiv, dass er diesen programmierten Zustand nicht nur akzeptiert, sondern sogar propagiert. Für die Angelegenheiten des Politischen ist er schwer zu motivieren. Im Rausch seiner der gesellschaftspolitischen Elite erwiesenen Huldigung kennt der heutige Massenmensch nur noch eine Form des Politischen: Panem et circenses.

Um funktionsfähig zu sein, braucht jeder Staat, insbesondere der Wohlfahrtsstaat, genug tüchtige und fähige Leute, sozusagen fruchtbringende Ameisen, die durch ihre Arbeit die sogenannte soziale Umverteilung der Güter – das Alpha und Omega der modernen wohlfahrtsstaatlichen Massengesellschaft – erst ermöglichen. Die Schaffung der Rahmenbedingungen zum Zwecke der Beseitigung beziehungsweise Verhinderung der Armut in der Gesellschaft gehört deswegen zu den wichtigsten Aufgaben des Staates und seines politischen Establishments. Da es in Europa die von der Weltbank definierte absolute Armut von weniger als 1,90 US-Dollar pro Tag nicht gibt, soziale Gerechtigkeit im Sinne der üppigen materiellen Versorgung aber immer mehr gefordert wird, musste ein besonderes Vorgehen ersonnen werden. Zur ideologischen Bereinigung wurde ein neuer Begriff erfunden: die relative Armut. Mit diesem politischen Schachzug versucht die herrschende Klasse alle zufriedenzustellen: die Bedürftigen von der Armut zu retten und die Ameisen zu belohnen. Die relative Armut ist aber im soziologischen Sinne ein sinnloser Begriff. Da dieser auch eng mit den Begriffen „soziale Umverteilung“ und „soziale Gerechtigkeit“ verbunden wird, ist er darüber hinaus unmoralisch, weil jede soziale Distribution der Güter eine brutale Herrschaft darstellt, während sich jede politische Macht gerade auf die Freiheit beruft. Durch diese Politik der Heuchelei werden Türen für allerlei Kniffe und Tricks geöffnet, also auch für die nobel klingende, in Wirklichkeit jedoch ominöse soziale Umverteilung, deren Hauptprofiteure die politische Klasse und alle Arten von Intellektuellen in der wohlfahrtsstaatlichen Sozialindustrie sind. Außerdem löscht die Beseitigung relativer Armut jedes Leistungsmotiv aus. Dieser perverse politische Altruismus wird voraussichtlich weiterlaufen, weil die Öffentlichkeit kein Bewusstsein dafür zu entwickeln scheint, dass es sich dabei im Grunde um einen Riesenbetrug handelt.

Je gewaltiger das Informationspensum ist, welches der zeitgenössische Massenmensch durch die Medien verabreicht erhält, desto weiter ist er von der Wirklichkeit entfernt. Ihm geht es nicht mehr darum, das Sein zu ergründen, sondern vordergründig darum, das Haben zu beherrschen. Das ist die Quelle des Optimismus, für den es, objektiv gesehen, keinerlei Grund gibt. Alles Expertenwissen, gutes Zureden sowie die Politik der Friedfertigkeit haben sich als Trugbilder erwiesen. Das entseelte Wesen ist ein ideales Opfer für Beeinflussung und Manipulation. Um es wiederzubeseelen, erfand man die Selbstverwirklichung, die den Einzelnen durch Karriere glücklich machen und seine menschlichen Potenziale freisetzen soll. Glückselig wird er dadurch zwar kaum; Potenziale hingegen werden in der Tat freigesetzt, allerdings oft von der schlechtesten Sorte. So lebt er als rationales Wesen in einer irrealen Welt.