Kitabı oku: «Hope.»
Sönke C. Weiss
Hope.
Das zweite Leben
der ehemaligen Kindersoldatin
Christine Hope
Das Deutsche Bündnis Kindersoldaten hilft bei öffentlichkeitswirksamen Aktionen gegen die Rekrutierung von Kindersoldaten, weist auf Unterrichtsmaterialien hin und betreibt Lobbyarbeit: www.kindersoldaten.info/Über+uns.html
Dokumente zur Problematik Kindersoldaten in deutscher Sprache findet man auf: www.worldvision.de/kindersoldaten/norduganda/content/f/fa.php
Besonders empfehlenswert ist die Diplomarbeit von Vivien Urbach »(Ge)wehrlos – Das Trauma ehemaliger Kindersoldaten«
Wolfgang Niedeckens Rebound-Projekt finden Sie auf: www.jack-wolfskin.com/rebound/de/Projekt-Rebound-2.aspx
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der
Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten
sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
ISBN 9783865064158
1. Digitale Auflage 2012 Zeilenwert GmbH
© 2012 by Joh. Brendow & Sohn Verlag GmbH, Moers
Einbandgestaltung: Brendow Verlag, Moers
Titelfoto: Sönke C. Weiss
Für Nina
Inhalt
Cover
Titel
Impressum
Vorwort. Von Wolfgang Niedecken, BAP-Frontmann und Afrikaaktivist
Einleitung des Autors
Was bisher geschah
KAPITEL 1 Grausamkeit ist verrückt
KAPITEL 2: Ich gebe, damit du gibst
KAPITEL 3: Kololo
Epilog Joseph Kony. Eine Spurensuche
Nachwort. Von Dr. Wolfgang Jamann, Vorstandsvorsitzender der Welthungerhilfe
Vorwort
»Please, Mister, promise not to forget us.«
Die nordugandischen Flüchtlingslager glichen kleinen Städten, in ihnen lebten 10 000, manchmal 20 000 Menschen. Dicht an dicht standen die strohgedeckten Rundhütten, nicht wie in den zurückgelassenen Dörfern, wo viel mehr Platz zwischen den wenigen Unterkünften gewesen war und die Wege und der festgestampfte, mitunter marmorglatte Lehmboden in den Hütten blank gefegt gewesen waren, wo die Menschen ihre Felder bestellt hatten und die Beziehungen zwischen den Familien gewachsen waren. In den Lagern war das nicht mehr möglich. Den Männern war ihre traditionelle Rolle als Oberhaupt, Beschützer und Ernährer ihrer Familien abhandengekommen, viele von ihnen kauerten im Dunkel ihrer Hütten, fühlten sich nutzlos, überflüssig, gaben sich dem Suff hin und ließen ihre aus Resignation geborene Wut an den Frauen aus, die versuchten, das Leben in Gang zu halten. Es herrschte eine qualvolle Enge, zu viele Menschen waren auf viel zu wenig Raum untergebracht, allesamt Opfer des Bürgerkriegs, der Chance auf ein friedliches Leben in Selbstbestimmung und Freiheit beraubt, so wie Sönke C. Weiss es in diesem Buch einprägsam beschreibt und in eine Welt mitnimmt, die den wenigsten von uns bekannt ist. Gott sei Dank. Norduganda zu Beginn des neuen Jahrtausends ähnelte einer Hölle auf Erden.
»Please, Mister, promise not to forget us.«
Das habe ich nicht getan.
Oft unterhielt ich mich mit meinem Freund Manfred Hell über das, was ich in Uganda gesehen hatte. Er hörte mir zu, beharrlich, aufmerksam, ich nahm ein Interesse wahr, das weit über höfliche Neugier hinausging, ich merkte es an den Fragen, die er stellte, und daran, dass er sein Erschrecken, seine Bestürzung über das Geschilderte zuließ und nicht sofort wieder überdeckte mit leicht Dahingesagtem, was einem Rückzug ins Unverfängliche gleichgekommen wäre. Ich schlug ihm vor, mich bei meiner nächsten Afrikareise zu begleiten. Gemeinsam mit Sönke C. Weiss, von dem ich viel über diesen Teil Afrikas gelernt habe, reisten wir 2007 nach Norduganda, wo wir Flüchtlingslager besichtigten und mit ehemaligen Kindersoldaten sprachen. Unter anderem auch mit Hope, der Heldin dieses Buches. Für mich war das die Erneuerung früherer Erlebnisse, noch immer erschütternd, noch immer unbegreiflich, aber nicht mehr mein ganzes Denken und Fühlen so in Frage stellend wie beim ersten Mal, als ich, angesprun-gen von Hilflosigkeit und Trauer, viele Augenblicke lang den Boden unter den Füßen verloren hatte: Wir gründeten das Rebound-Projekt, ein umfassendes Resozialisierungsprojekt zur Verbesserung der Lebensbedingungen von Kindern und Jugendlichen, die vom Krieg betroffen sind. Mein Song »Noh Gulu« war mein erster Versuch, der Ermahnung des kleinen Mädchens aus Norduganda gerecht zu werden.
»Please, Mister, promise not to forget us.«
Die BAP-Fans reagierten großartig, über 60 000 Mal luden sie den Song auf ihre Festplatten runter und ließen sich da- für nicht lumpen. Sie stellten uns mit ihren Spenden so viel Geld zur Verfügung, dass wir zusammen mit den bereits vorhandenen Mitteln über ein ansehnliches Grundkapital für unser Rebound-Projekt verfügten und in das Stadium konkreter Planungen einsteigen konnten. Mittlerweile gibt es in Norduganda drei Rebound-Berufsschulen. Da im benachbarten Ost-Kongo nach wie vor große Not herrscht, haben wir ein zweites Rebound-Projekt in der Beni-Region ins Leben gerufen. Bei unserer Arbeit legen wir großen Wert auf die Kooperation mit staatlichen Einrichtungen vor Ort. Auch wenn der Weg beschwerlich ist, es tut sich was.
Umso mehr überrascht es mich immer wieder, dass mir in schöner Regelmäßigkeit in Interviews die Frage gestellt wird, ob man mit Musik denn wirklich etwas bewirken könne. Eigentlich verstehe ich die Frage nicht. Jeder, der das Wirken von Leuten wie Bob Geldorf oder auch Bono und Sting öffentlich belächelt und in den Schmutz zieht, kann heute mit allgemeinem Applaus rechnen. Wenn man nur Münzen hochwirft und darauf wartet, dass weder Zahl noch Krone kommen, kann man nichts falsch machen. Die Arme vor der Brust zu verschränken und sich in Zynismus zu flüchten, weil man nicht in der Lage oder zu feige ist, selbst aktiv zu werden, ist nicht nur der bequemere, sondern auch die angesehenere Variante. Der Vorwurf des »Gutmenschentums« funktioniert verlässlich als Totschlagargument. Er diffamiert den Engagierten und lässt gleichzeitig in einer perversen Verkehrung das eigene Nichtstun als das moralisch richtigere Verhalten leuchten.
»Please, Mister, promise not to forget us.«
Wer Afrika und ihre Menschen ebenfalls nie vergessen hat, ist der ehemalige Bundespräsident Horst Köhler. Ich hatte ihm immer wieder von meinen Erlebnissen in Gulu berichtet und ihm den ersten Teil von Hopes Biografie gegeben. Offensichtlich war ich damit an die richtige Adresse geraten. Köhler plante einen Staatsbesuch in Uganda, und obwohl Präsident Yoweri Museveni alles andere als begeistert davon war und sogar behauptete, man könne den Bundespräsidenten nicht standesgemäß nach Gulu einfliegen, ließ sich Köhler nicht davon abbringen, die Stadt selbst in Augenschein zu nehmen. Museveni hätte ihm lieber den halbwegs intakten Süden des Landes vorgeführt, aber gegen Köhlers Beharrlichkeit kam er nicht an, in einem persönlichen Telefonat gab er schließlich zähneknirschend sein Okay. Mit einer eigens vom Horn von Afrika nach Entebbe beorderten Transall-Maschine der Bundeswehr kamen wir im Februar 2008 in Gulu an, Köhler nahm seine Ohrenschützer ab und verließ das Flugzeug, ich fing den Blick des Bundespräsidenten auf und konnte ihn lesen, er sagte: Na also, geht doch. Köhler unterhielt sich lange mit Hope, Presse und andere Delegationsmitglieder waren nicht zugelassen, denn es ging dem Bundespräsidenten nicht um schöne Bilder, sondern darum, zuzuhören, sich auf Hope einzulassen und so vielleicht in einen Dialog zu kommen, über alles Trennende hinweg. Auch davon ist in diesem Buch die Rede.
Und davon, dass zwischen dem Start und dem Ziel immer ein Moment liegt, der das Vergangene abschließt und der Beginn von etwas Neuem ist.
Wolfgang Niedecken, Juni 2012
Einleitung des Autors
Wie es tatsächlich in Afrika aussieht, das weiß im Europa des 18. Jahrhunderts kaum jemand. Auf den Landkarten steht schlicht: Hic sunt leones – hier gibt es Löwen. Will sagen: Es ist gefährlich, seien wir besser vorsichtig.
Die Angst vorm unbekannten Kontinent ist bis heute nicht gewichen. Auf viele Menschen, speziell in Deutschland, dessen Kolonialzeit fast 100 Jahre zurückliegt, wirkt Afrika noch immer fremd, schwer verständlich und unwirklich. Die Bewohner kennen die meisten Menschen hierzulande nur durch die Medien, wenn wieder mal ein Bürgerkrieg ausbricht, eine Hungerkatastrophe aufflammt, über Aids, Korruption oder Kindersoldaten berichtet wird. Ich weiß, ich bediene das Klischee, aber es ist, was es ist.
Fakt ist: Derzeit gibt es schätzungsweise 300 000 Kindersoldaten, die meisten davon in der Tat in Afrika. In den zurückliegenden 20 Jahren sind mehr als zwei Millionen Kindersoldaten bei Kämpfen ums Leben gekommen, über sechs Millionen sind zu Invaliden geworden, ganz zu schweigen von den bis zu zehn Millionen Jungen und Mädchen, die für den Rest ihres Lebens unter seelischen Schäden leiden werden. Nüchterne Zahlen, die aus den Archiven der Vereinten Nationen stammen. Aber was genau verbirgt sich hinter dem Wort Kindersoldat?
Das Kinderhilfswerk UNICEF bezeichnet »alle Kämpfer und deren Helfer, die unter 18 Jahren sind«, schlicht und einfach als Kindersoldaten. Eine klare Definition, die bis heute aber nicht von der internationalen Staatengemeinschaft geteilt wird. Obwohl alle Länder dieser Welt im Verlauf ihrer Geschichte Kinder als Soldaten missbraucht haben. Ausnahms-los. Fakt ist also auch: Kindersoldaten sind keine Erfindung Afrikas.
Nur einige Beispiele: Bereits die römischen Heere kämpfen mit Tausenden von Kindern, als sie bis nach Großbritannien vordringen; während der Kreuzzüge gibt es zwei ganze Armeen von Kindersoldaten, eine in Deutschland und eine in Frankreich, die in den Orient marschieren. Napoleon verheizt unzählige Kindersoldaten auf seinen Feldzügen; während des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges kämpfen sie auf allen Seiten; zum Ende des Zweiten Weltkriegs setzt die Waffen-SS Kinder ein, so ist etwa Günter Grass mit seinen nur 14 Jahren ein Kindersoldat gewesen. Ähnlich wie das Mädchen namens Christine Hope, von ihren Freunden und der Familie schlicht Hope genannt, das Sie in meinem zweiten Teil ihrer Biografie näher kennenlernen werden.
Ich bin mit Hope, zum Schutz ihrer Person habe ich den Namen geändert, seit nunmehr zehn Jahren eng befreundet. Sie ist ein Teil meiner Familie geworden, so wie ich zu ihrer Familie gehöre. Hope ist die Betroffene eines Bürgerkriegs, der von 1986 bis 2006 in Norduganda stattfand. Die Konsequenzen sind über Generationen hinweg zu spüren und werden wohl noch der nächsten mit in die Wiege gelegt werden. Den Begriff Opfer vermeide ich gezielt. Dies würde Hopes Persönlichkeit nicht gerecht werden. Sie will nicht als Verlust betrachtet werden. Obwohl sie ihr Dasein immer wieder in Frage stellt, sie zwischen den Stühlen steht, zwischen Tradition und Moderne. Wie Uganda. Wie der gesamte afrikanische Kontinent.
Für Hope ist es ein »unsagbar ernstes Glück«, leben zu dürfen, trotz aller Schwierigkeiten. Sie hält ihren Kopf über Wasser, auch bei stürmischer See, wenn alles um sie herum fast verloren scheint. Hope und andere junge Frauen in Norduganda sorgen unermüdlich für ihre Familien. Sie verdienen dafür mehr offizielle Unterstützung seitens ihrer eigenen Regierung in Kampala und unserer in Berlin. Dies zu fordern ist für mich keine neokoloniale Einmischung, sondern eine weltbürgerliche Verpflichtung, der ich in meiner Eigenschaft als Mensch und Christ Rechnung trage, weil ich an Hopes Zukunft glaube, so, wie ich an die Zukunft Afrikas glaube. Selbst wenn sich die Dinge nicht nach unseren westlichen Zeitvorstellungen ändern.
Hope und ich haben uns entschieden, dass sie den zweiten Teil ihrer Geschichte aus ihrer Perspektive erzählt, um authentisch zu bleiben. Im März haben wir uns in Norduganda getroffen und für mehrere Wochen zusammengesetzt. Das Buch ist das Ergebnis unserer Gespräche. Es will Ihnen Einblicke in die Gedankenwelt und das Seelenleben von Hope und den Menschen um sie herum geben. Hope indes möchte nichts weiter als ein gewöhnlicher Mensch sein. Doch die außergewöhnlichen Umstände in Norduganda hindern sie daran. Noch. Trotzdem wagt sie jeden Tag einen frischen Anfang. Weil Hope weiß, dass die Welt nur so gut ist, wie ihre Menschen es sein wollen. Egal, ob es dort Löwen gibt oder nicht.
Sönke C. Weiss, Juni 2012
Was bisher geschah
Am frühen Morgen des 12. Dezember 1996 weiß Hope noch nicht, dass sich ihr Leben in nur 17 Stunden für immer verändern wird.
Das Mädchen geht an diesem Tag zum Markt im nordugandischen Ayam, um dort Tomaten zu verkaufen. Die Zwölfjährige träumt von einem weißen Kleid, das sie sich am liebsten schon zu Weihnachten leisten möchte, um schön auszusehen im Kirchenchor, in dem Hope jeden Sonntag singt. Doch niemand kauft ihr Gemüse.
Enttäuscht kehrt sie nach Hause zurück und beginnt, auf dem Platz zwischen den Hütten ihrer Eltern ein Feuer zu machen. Zum Abendessen gibt es Maniokbrei. Wie immer. Hopes Familie ist sehr arm.
Wegen des Krieges und weil immer mehr Kinder von der Widerstandsarmee des Herrn unter der Leitung von Joseph Kony entführt werden, sind Hopes Eltern beunruhigt. Sie fürchten um Hopes Sicherheit und die ihres älteren Bruders James.
Hopes Großvater sagt: »Die Regierung in Kampala hat kein Interesse an uns. Wir sind Acholi. Wir sind die Feinde des Südens. Dieser Krieg ist unser Problem. Sagt unser Präsident. Das muss man sich vorstellen. Freiheit haben wir erst, wenn wir unser Land als einen Staat sehen und uns nicht mehr als Angehörige von Stämmen bezeichnen.«
Es muss so gegen 22 Uhr gewesen sein, daran kann sich Hope viele Jahre später noch genau erinnern, als schwere Stiefel gegen die Tür ihrer Hütte treten.
Gemeinsam mit 35 anderen Kindern werden Hope und James von den Rebellen entführt, wie auch ihr Vater. Hopes Großvater wird erschossen, die Vorräte der Familie geplündert. 14 Tage Fußmarsch in den Südsudan folgen.
Von hier aus operiert die Widerstandsarmee des Herrn. Hier gewährt Khartums Regierung den Rebellen Asyl. Nicht aus Sympathie für Joseph Kony und seine Bewegung, sondern schlicht aus Eigennutz. Die Rebellen legen Landminen und töten die einheimische Bevölkerung, sie heizen den Konflikt zwischen Nord- und Südsudan weiter an. Dafür bekommen sie Waffen und Lebensmittel, und Khartum kann die Ölvorkommen im Süden ausbeuten. Käme es zum Frieden, müsste Präsident Umar al-Baschir den Gewinn teilen.
Auf dem Weg in den Südsudan sterben viele der Kinder an Erschöpfung und Durst. Das ist so gewollt. Die Widerstandsarmee des Herrn will nur die stärksten Jungen und Mädchen mit ins Ausbildungscamp Lubanga Tek nehmen.
Auf dem Weg wird Hope gezwungen, ihren geliebten Vater halb totzuschlagen. Die Rebellen wollen sicherstellen, dass es für Hope aus Furcht vor Strafe keinen Weg zurück in ihre Dorfgemeinschaft und Familie gibt. Sie gehört nun ihnen. Bis zum heutigen Tag macht sich Hope deshalb Vorwürfe, fragt sich, ob Gott ihr jemals verzeihen wird. Hope ist eine Christin, die ihren Glauben lebt. Weil er ihr Kraft gibt. Ein Rückzugsort ist. Oft ihr einziger.
Kurz nach Weihnachten erreicht die Gruppe ihr Ziel. Viel Schlimmeres steht Hope erst noch bevor. Das Hauptquartier der Widerstandsarmee des Herrn ist ungefähr so groß wie 20 Fußballfelder. Es besteht aus einem Exerzierplatz, den Hütten der Generäle sowie denen von Kony mitsamt seinen gut einhundert Frauen. Gegenüber dem Exerzierplatz liegt die Zeltstadt. Hier wohnen die Kindersoldaten. Es sind etwa 3000 Jungen und Mädchen. Hope beobachtet, wie die Kinder exerzieren, ihre Gewehre putzen, im Laufschritt aus dem Lager verschwinden. Andere Kinder kommen aus dem Busch zurück. Sie sehen erschöpft aus und tragen Säcke auf ihren Schultern, die sie auf einem ihrer Raubzüge erbeutet haben. Was Hope sofort auffällt, ist die Stille, die im Lager herrscht. Keines der Kinder spricht. Ab und zu hört Hope einen Schrei oder einen Befehl, mehr nicht.
»Sei ruhig, mach, was man dir befiehlt, nur dann überlebst du«, lautet die erste Lektion, die Hope von Salome, einer erfahrenen Kindersoldatin und wenige Jahre älter als Hope, gelehrt wird. Salome wird Hopes Mentorin.
Am darauffolgenden Tag müssen sich Hope, James und die anderen Neuankömmlinge auf dem Exerzierplatz versammeln und werden dort von Joseph Kony und seinem Stellvertreter Vincent Otti empfangen.
Kony sagt: »Wir töten keine Menschen. Wir töten nur böse Menschen. Ihr habt Glück gehabt. Ihr seid dem Teufel entkommen. Heute beginnt euer neues Leben. Eure Aufgabe wird es sein, den Teufel zu töten. Dafür werde ich euch belohnen. Ihr kommt in den Himmel. Gott hat mich gesandt, um Uganda zu retten. Er hat euch gesandt, um mir dabei zu helfen. Ihr seid meine rechte Hand. Gemeinsam sind wir stark. Aber nur ich allein bin euer Führer. Die Zeit des Lachens ist vorbei.«
Auf Hope wirkt Kony besonnen und gefasst, auch später, wenn er Befehle zum Töten gibt oder selbst tötet.
Unter der Aufsicht von Salome beginnt Hope mit ihrer Ausbildung zur Rebellin. Jeder Morgen beginnt mit einem Dauerlauf, der mindestens 15 Kilometer lang ist. Viele Kinder sind zu schwach, um die Strecke zu schaffen. Sie werden erschossen. Vor Hopes Augen. Für sie wird der Tod zum täglichen Begleiter. Wer sich nicht schnell genug auf die Erde wirft oder einfach nur Pech hat, der stirbt im Kugelhagel, andere Kindersoldaten später im Kampf oder an Malaria, an Schlangen- oder Skorpionbissen. Von jeder neuen Gruppe überlebt meist nur ein Drittel der Kinder, oft sogar weniger. Die Ausbildung dauert zwei Wochen.
Während dieser Zeit lernt Hope, wie man mit einer Kalaschnikow schießt, wie man einem Menschen die Kehle durchschneidet, wie man einen Hinterhalt plant und ausführt, wie man Landminen so legt, dass möglichst viele Zivilisten getötet und verletzt werden. Die Widerstandsarmee des Herrn ist straff und brutal organisiert, Widersprüche sind lebensgefährlich. Die Seelen der Kinder werden gebrochen. Die Regeln, die Hope lernt, sind eindeutig und einfach: Wer unaufgefordert redet, wird getötet. Wer zu fliehen versucht, wird getötet, Wer Befehle verweigert, wird getötet. Wer im Kampf verwundet wird, bleibt zurück.
Die Widerstandsarmee des Herrn ist eine Guerillaarmee, die den Kindern mit Aberglauben und Hokuspokus die Furcht vor dem Einsatz zu nehmen versucht. So muss sich Hope beispielsweise einen Stein in ihr Hemd einnähen.
»Wenn die Angreifer kommen, wirf ihnen den Stein entgegen. Ein großer Berg wird sich auftun. Er wird dich schützen«, erklärt der Ausbilder.
Hope muss auch immer eine Flasche Wasser bei sich tragen.
Der Ausbilder sagt: »Wenn die Angreifer kommen, schütte das Wasser auf den Boden. Ein großer Fluss wird sich bilden, und die Angreifer werden darin ertrinken.«
Konys Ziel ist es, Uganda eines Tages nach den Zehn Geboten zu regieren, einen Gottesstaat aus der noch jungen und wankelmütigen Demokratie zu machen.
Zum Denken hat Hope keine Zeit. Wenn sie nicht in den Busch zum Kämpfen geschickt wird, dann schläft sie vor lauter Erschöpfung bereits im Stehen ein. Nur ihr starker Überlebenswille lässt sie diese Zeit durchhalten.
Ihr Bruder James findet indes Gefallen am Soldatenleben. Ihm macht das neue Leben sogar Spaß. Für ihn ist es wie ein großes Abenteuer.
Bei einem ihrer gemeinsamen Einsätze verschwindet James spurlos. Er wird nie wiederauftauchen, wofür sich Hope Zeit ihres Lebens die Schuld geben wird, weil sie nicht auf ihren Bruder aufgepasst hat. Salome, die zu ihrer Vertrauten geworden ist, stirbt bei diesem Gefecht. Nun ist Hope ganz auf sich allein gestellt.
Über ein Jahr ist seit der Entführung vergangen. Hope bewährt sich immer wieder im Kampf und hat mittlerweile auch Konys Vertrauen. Er schenkt sie Vincent Otti, der sie die kommenden Monate über immer wieder missbraucht. Hope wird schwanger, merkt dies aber nicht.
Am 26. Februar 1998 überfallen Hope und ein Dutzend Kindersoldaten Lira, ein Dorf in Norduganda. Hope spürt, dass sie nicht mehr im Sudan ist, sondern fast zu Hause. Sie ergreift ihre Chance, und während die anderen Kinder die Hütten plündern, schleicht Hope sich davon, nur, um wenige Augenblicke später in drei Gewehrläufe zu blicken. Man hat sie erwischt.
Hope erschießt einen der Jungen und rennt um ihr Leben. Die anderen verfolgen sie, doch Hope ist schneller und schafft es mit letzter Kraft zu einem kleinen Backsteingebäude, in dem Carlos Rodrigues lebt. Der spanische Missionar nimmt Hope auf und bringt sie nach Gulu, wo er sie in einem Rehabilitationszentrum für Kindersoldaten abliefert.
Hope hat eine Schussverletzung. Die diensthabende Krankenschwester kümmert sich um die Wunde und stellt fest, dass Hope ein Kind bekommen wird, sie im dritten Monat schwanger ist. Hope sagt: »Ich kann kein Kind bekommen. Ich bin ein Kind.«
Hope unternimmt einen Selbstmordversuch, wird aber in letzter Sekunde gerettet.
In den kommenden Wochen nimmt Hope an Einzel- und Gruppensitzungen teil, in denen sie von ihren Erlebnissen im Busch berichtet. Sie leidet unter Albträumen, Depressionen und Schlafstörungen, die nie wieder verschwinden. Hope beginnt auch, sich immer wieder zu schlagen, eine Art von Selbstbestrafung für das, was sie verbrochen hat.
»Wir leben alle in der gleichen Welt, in unserer Wirklichkeit. Wir haben schlimme Dinge durchgemacht. Nur wenn wir unsere Erinnerungen und was wir dabei empfinden teilen, kann es uns eines Tages besser gehen«, erklärt der Therapeut den Sinn und Zweck der Gespräche.
Hope gründet eine Theatergruppe. Mit Hilfe eines Bühnenstücks, das Hope geschrieben hat, versuchen die ehemaligen Kindersoldaten, den Menschen ihren Leidensweg dramatisch darzustellen. Das Stück wird von den Menschen wohlwollend entgegengenommen. Hope schöpft neue Kraft und Hoffnung. Sie sieht wieder eine Zukunft für sich und ihr noch ungeborenes Kind.
Schließlich bringt Hope eine Tochter zur Welt und nennt sie Maria. Gemeinsam mit dem Therapeuten fahren Mutter und Tochter zurück in Hopes Dorf, um sich dort ihrer Familie zu stellen. Hope fürchtet sich vor der Begegnung mit ihren Eltern.
Der Therapeut sagt: »Stell dir euer Wiedersehen nicht zu leicht vor. Viel ist passiert. Gib ihnen Zeit. Gib dir Zeit. Wir sind eine Gemeinschaft, in der alle das Recht haben, eine Sache anzunehmen oder abzulehnen.«
Hope entgegnet: »Ich habe ihnen nichts getan. Warum sollten sie Angst vor mir haben?«
Der Therapeut antwortet: »Sie wissen, was andere Kindersoldaten angerichtet haben.«
Die Dorfältesten sind auf Hopes Rückkehr vorbereitet. Frauen klatschen in die Hände und singen ein Lied. Der Dorfprediger geht auf Hope zu und besprengt sie mit Weihwas- ser, als Zeichen der Reinigung. Anschließend zertritt Hope ein Ei.
Der Prediger sagt: »Hiermit soll die Vergangenheit endlich Vergangenheit sein und ein neues Leben für dich beginnen.« Hopes Eltern schließen ihre Tochter in die Arme und freuen sich über das neugeborene Baby.
Im Herbst 2000 wird die ehemalige Kindersoldatin und junge Mutter Hope nach Winnipeg in Kanada zu einer UN-Konferenz eingeladen, die sich dem Thema Kindersoldaten widmet. Es ist das erste Mal, dass sie ihre Heimat verlässt, und das erste Mal, dass sie vor einer internationalen Versammlung spricht.
Hope sagt: »Noch heute spüre ich den Schmerz in meiner Seele, wenn ich an die Zeit bei der Widerstandsarmee des Herrn denke. Es fühlt sich wie eine große Wunde an, die nie ganz vernarben wird. Aber ich habe noch Glück. Meine Familie ist für mich da. Andere ehemalige Kindersoldaten haben es schwerer als ich. Sie werden nicht wieder von ihren Familien aufgenommen. Auch ich werde oft von Leuten beschimpft. Geh doch wieder in den Busch mit deinem Kind, sagen sie. Wir ehemaligen Kindersoldaten stehen zwischen den Fronten. Das möchte ich ändern. Deshalb bin ich hier.«
In diesem Moment sehnt sich Hope nach daheim. Wo sie zu Hause wo Hope glücklich ist. Der einzig wahre Platz für sie auf der Welt. Uganda. Heimat. Hopes innerer Frieden. Ihre Welt ...