Kitabı oku: «Violet - Verfolgt / Vollendet - Buch 6-7»

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Violet - Verfolgt / Vollendet - Buch 6-7

Von Sophie Lang

Inhaltsverzeichnis

Buch 6 - Verfolgt

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Buch 7 - Vollendet

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Epilog

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Nachwort, Neues zu Violet Buch 8

Info zu Begnadet:

Danksagung

Vorschau auf den Auftakt zur Begnadet-Reihe:

Begnadet

Aeia – Sechs Tage zuvor

Aeia - Blut

Buch 6 - Verfolgt

Am Anfang war die Energie

Die Natur hat kein System, sie hat, sie ist Leben und

Folge aus einem unbekannten Zentrum, zu einer nicht

erkennbaren Grenze. Naturbetrachtung ist daher endlos,

man mag ins Einzelne teilend verfahren oder im Ganzen

nach Breite und Höhe die Spur verfolgen.

Goethe

Prolog

Situations-Bericht.

2 Monate und 17 Tage nach dem Übergang.

Wir haben Zugriff auf Informationen aus den Sektionen. Kristen und ich zapfen das Signal an, mit welchem sie mit den Drohnen in Kontakt stehen und gelangen so an die Quelle und in einige nicht so gut geschützte Datenbanken der Gesandten.

Das, was sich dort draußen abspielt, ist erschütternd.

Der Virus hat das ganze Land fest in seinem Würgegriff. Er breitet sich von Nordosten über den gesamten Kontinent aus. Freijas Brüder sind nicht zu stoppen.

Die Sektionen suchen verzweifelt nach einem Heilmittel, einem Impfstoff oder etwas Ähnlichem. Bisher ohne Erfolg.

Asha scheint als einzige in der Lage zu sein, die Verwandlung in ein seelenloses Monster zu verzögern. Trish ist dafür der lebende Beweis.

Wir sind seit einem Monat hier und können nichts tun. Wir sind wie gelähmt.

Wir müssen endlich etwas unternehmen.

Adam

Kapitel 1

Mit Adams schwarzem Füller in der Hand blättere ich vor und zurück. Vor und zurück. Wie schwer es mir fällt etwas zu schreiben. Ich habe noch nicht einen Satz beendet. Meine Fingerspitzen sind blau geworden von der frischen, unbenutzten Tinte. Der Füller hat ein Leck.

Ich bin unfähig, das was mich bewegt, umtreibt, rastlos macht, in Buchstaben, für alle, die nach mir kommen, festzuhalten.

Ein schwarzer Vogel fliegt vorbei. Ich sehe ihm nach. Hope wüsste wahrscheinlich, welcher Gattung er angehört. Vielleicht ein Rabe oder so. Ich weiß es nicht. Ich schließe meine Augen in der Hoffnung, dass etwas passiert, dass die Stunden und Tage des Trainings Früchte tragen.

Sie war wie Elektrizität. Entfesselte, reinste Energie. Geführt, gelenkt durch Bewusstsein. Jeder lebende Körper ist im Grunde nichts anderes als genau das. Geist und Energie. Und jeder tote Körper unterscheidet sich von den Lebenden durch das nicht Vorhandensein dieser Zwei, die alles Allgegenwärtige in Formen zu wandeln vermögen. Die Welt, der ganze Kosmos, ist ein Ozean. Jedes Wesen ein Tropfen, eine Welle, eine Kräuselung auf seiner unendlich weiten Oberfläche. Alles und jeder sind miteinander verbunden und der Glaube an die Individualität ist letztlich doch nur eine Illusion.

Da war sie wieder.

Die Stimme in meinem Kopf.

Meine Stimme, meine Intuition.

Als würde ich in einem anderen Leben, in einer anderen Welt ein Selbstgespräch führen. Ich habe unter Hopes unerbittlicher Anleitung geübt. Bringe es nun fertig, auf die andere Seite überzutreten, ohne wesentlich die Kontrolle zu verlieren, ohne mich für Stunden oder ganze Tage in Luft aufzulösen. Ich habe gelernt, auch dieser neuen Fähigkeit nicht willenlos ausgesetzt zu sein, sondern sie bewusst einsetzen zu können. Dennoch fürchte ich mich jedes Mal davor, es erneut zu tun.

Ich blicke auf das fast leere Papier, auf meine blauen Fingerspitzen und dann fliegt ein schwarzer Vogel vorbei. Schon wieder?

Er beschreibt genau die gleiche Flugbahn. Es ist der gleiche Flügelschlag, kommt aus der gleichen Richtung?

Was war das? Etwa der gleiche Vogel, der noch einmal eine Runde gedreht hat?

Dann beginne ich die Worte aufzuschreiben, die mir meine Intuition zugeflüstert hat, während ich nur kurz auf der anderen Seite war. Ich beende den letzten Satz mit dem Wort Illusion, dann höre ich sie.

»Das ist ganz schön krass, findest du nicht?«

Mein Magen krampft zusammen. Eine menschliche Reaktion, ein Überbleibsel, das mir unmissverständlich klar macht, dass ich nicht das verkörpere, was ich glaube über die wahre Beschaffenheit der Welt zu wissen. Ich weiß, es gibt keinen Grund, sich zu erschrecken, sich vor irgendetwas zu fürchten und doch jagt ein Adrenalinstoß durch meinen Körper. Völlig unbegründet, denn es ist nur meine beste Freundin. Hope steht hinter mir und schielt über meine Schulter. Ich schlage das Buch abrupt zu.

»Du spionierst mich aus, schaust, was ich schreibe«, klage ich sie an, ohne sie anzusehen.

»Nur weil du gesagt hast, dass es kein Tagebuch wird, sondern etwas, das einmal alle lesen dürfen. Alle, die sich dafür interessieren.«

»Das stimmt, aber ich bezog das auf einen Zeitpunkt irgendwann in der Zukunft. Wenn es fertig ist und nicht wenn ich gerade unbeholfen, die ersten Zeilen zu Papier bringe.« Hope setzt sich neben mich ins Gras und legt mir ihren Arm um die Schulter. Sie hat sich ihre Augen dunkel geschminkt, sich in kniehohe Lederstiefel, braune Leggins und ein enganliegendes weißes Top gekleidet. Sie sieht umwerfend aus.

Mit ihren schwarzen Haaren hebt sich ihre Silhouette noch zusätzlich von der umgebenden Landschaft ab. Ich schaue an mir hinab, komme mir neben ihr, nur in Jeans und dem zu weiten T-Shirt, etwas ungepflegt und stillos vor. Ist doch eigentlich auch egal.

Was haben sie und ich schon zusammen durchgemacht, überlege ich jetzt? Das könnte wirklich schon genügend Aufregung für ein ganzes Leben sein und ich zerbreche mir über so etwas Belangloses wie Klamotten den Kopf.

»Komm schon, reg dich nicht auf. Vielleicht kann ich dir sogar dabei helfen. Du musst zum Beispiel unbedingt reinschreiben, dass die Hauptdarstellerin in deinem Buch nicht schlafen will, weil sie Angst davor hat, für ganze Wochen einfach so von der Bildfläche zu verschwinden, um dann urplötzlich wieder wie aus dem Nichts aufzutauchen. Dann schreibst du noch auf, dass sie diese Fähigkeit mehr und mehr in den Griff bekommt und unbedingt weiter üben muss. Und dann auch, dass sich ihre Freunde in ihrer Abwesenheit trotzdem unendlich viele Sorgen machen und sich fürchterlich erschrecken, wenn sie plötzlich wieder aus der Astralwelt erscheint und einfach so Hallo sagt.«

»Das sagt gerade die Richtige. Wie aus dem Nichts aufzutauchen und einen halb zu Tode zu erschrecken, hast du definitiv besser drauf als ich«, meine ich trocken und stupse meinen Ellenbogen liebevoll in ihre Seite.

»Autsch«, quietscht Hope übertrieben. »Na warte, du kleines, verzogenes Biest, das zahl ich dir heim«, sagt sie und boxt mir auf die Schulter.

Was dann folgt, gehört zu unserem alltäglichen Zeitvertreib. Jemand könnte sagen, wir wären irre. Vielleicht stimmt das ja auch, aber ich liebe es über alles, mit Hope zu kämpfen. Es gibt nichts Vergleichbares, das mich körperlich mehr herausfordert, wie es mit dieser jungen Frau aufzunehmen. Ihre Bewegungen sind unwahrscheinlich schnell und ihre Attacken variantenreich, listig, nicht vorhersehbar.

Wie Bestien aufeinander loszugehen, hilft uns fit zu bleiben und für den Ernstfall zu trainieren. Niemand sollte uns in einem solchen Moment zu nahe kommen. Das Risiko sich, bei dem Versuch uns auszuweichen, tödlich zu verletzen, ist zu groß.

Hope rennt in Blitzgeschwindigkeit um den nächststehenden Baum. Kurz verschwindet ihre schlanke Gestalt hinter dem mächtigen Stamm, dann sehe ich sie wieder. Sie hüpft hoch, nimmt Schwung an einem der unteren Äste und springt mich an, als wäre sie ein verzaubertes Mischwesen, zusammengesetzt aus der Gelenkigkeit eines Gorillas, gepaart mit der Schnelligkeit eines Panthers.

Ich rolle mich unter ihrem heranfliegenden Körper weg, werfe meine Arme nach oben und verpasse ihr einen Hieb, der sie am Oberschenkel trifft. Sie schlägt im nahen Unterholz auf, Äste knicken ein, welke Blätter fallen von den Bäumen. Sofort ist sie wieder auf den Füßen und rollt wie eine Lawine mit einem Wirbel aus Flickflacks auf mich zu. Ihre Faust rast auf mich zu, stoppt wenige Zentimeter vor meiner Brust, gefangen in meiner Hand. Ich projiziere einen Abwehrschild, der sie zurückweichen lässt, aber Hope schneidet ihn mit einer Technik, die ich noch nie zuvor bei ihr gesehen habe, entzwei.

»Was zum Teufel war das?«, frage ich verblüfft und trete einen Schritt zurück. Sie blickt auf ihre Hände. »Süße, du musst noch so viel lernen«, lacht sie, dann ist sie bei mir, stößt mich mit solcher Kraft von sich, dass ich rückwärts taumle und beinahe zu Boden stürze. Der Schild, der mich sogar vor Gewehrkugeln schützen konnte, ist plötzlich völlig nutzlos.

Dann schießt sie wieder auf mich zu. Ich erwarte sie mit erhobenen Fäusten, will sie irgendwie abwehren, doch kurz bevor sie auf mich knallt, schert sie unerwartet zur Seite aus, beschreibt einen Halbkreis mit ihrem linken Bein, über das ich es gerade noch schaffe hinwegzuspringen. Sie duckt sich flink unter meinem nächsten Schlag durch, bekommt mein Handgelenk zu fassen, dreht sich und schleudert mich über ihre Schulter. Ich lande dumpf auf dem Waldboden, mein Kreuz beklagt sich, als ich zappelnd wie ein Käfer auf dem Rücken liegen bleibe. Dann ist sie schon wieder über mir, ihr Gesicht nur wenige Zentimeter von meinem entfernt, rammt sie mir ihr Knie auf die Brust und legt ihre Finger um meine Kehle.

»Gewonnen«, flüstert sie und pustet sich die wild vom Kopf stehenden Haare aus dem Gesicht. Ihre dunkel umrandeten Augen glühen aufreizend. Ihre Tattoos versprühen Feuer, funkeln böse. Wir schauen uns tief in die Augen. Eine, zwei, drei Sekunden lang.

Dann prusten wir gleichzeitig los. Ausgelassen. Glücklich lachen wir, bis uns Krämpfe überwältigen. Kugeln uns über den Waldboden wie Hundewelpen. Später, als sich unsere Lachmuskeln wieder halbwegs beruhigt haben, kriechen wir erschöpft zurück zur Anhöhe. Sie schlüpft aus ihren Stiefeln, ich aus meinen Turnschuhen. Dann strecken wir unsere Beine im trockenen Gras nebeneinander aus und lassen nur noch unsere Fußzehen miteinander ringen. Die Sonne strahlt in unsere Gesichter und wärmt uns. Ich empfinde ein wundervolles Gefühl. Ich bin glücklich.

»Wie hast du meinen Schild durchbrechen können?«, frage ich, während ich die Übungseinheit in meinem Kopf analysiere.

»Kleine, du sprichst hier mit der Erfinderin dieser Fähigkeit. Wenn du verstehst, wie die Energie des Schildes funktioniert, dann kannst du sie auch überwinden, neutralisieren oder übernehmen.«

»Mhm«, vernehme ich einen Laut, der aus meiner Kehle kommt. »Ich muss wohl noch viel lernen.«

»Yip, so ist es.«

»Hast du dir das alles selbst beigebracht?«

Plötzlich wird Hope ganz still. Ich habe eine Grenze überschritten, ohne mir darüber im Klaren zu sein. Ich bohre nicht nach. Wenn sie bereit ist, mir mehr aus ihrer Vergangenheit zu erzählen, dann wird sie es schon tun.

»Du hast dir einen wirklich inspirativen Platz zum Schreiben ausgesucht«, knüpft Hope nahtlos an das Thema vor unserem Training an. »Weißt du, wie man dieses Naturphänomen nennt?«, fährt sie fort und macht eine übertrieben weite Geste mit ihren Armen, die die ganze Aussicht einfasst. Ich schüttle zweimal meinen Kopf und lasse meinen Blick über die tausend Laubbäume schweifen, die man von der kleinen Anhöhe aus überblicken kann. Die Natur ist atemberaubend schön.

Die Welt hat sich binnen weniger Tage in ein zauberhaftes Gemälde verwandelt. Die Blätter leuchten sanft rot, gelb, orange und der Himmel strahlt seit Tagen unendlich tief und azurblau, so als säßen wir in einem lichtdurchfluteten Tintenglas. Ich habe noch nie einen so schönen Himmel gesehen.

»Vielleicht wurde es nach einem Künstler oder dem Schöpfer höchst persönlich benannt«, spekuliere ich.

Hope blickt sinnend hinaus. »Eine alte Freundin nannte diese Jahreszeit den Indian Summer«, sagt Hope sanft und malt mit ihren Fingern faszinierende, unsichtbare Symbole in die Luft. Hopes eigene, für sie typische, Zeichensprache.

Ich überlege, wer diese Freundin wohl war und ob sie noch lebt, wo sie sich jetzt gerade aufhält, ob Hope jetzt doch etwas preisgeben möchte, während mich das Spiel der Farben in seinen Bann zieht. »Der Sommer der Indianer?«

Hope ist in Gedanken, beginnt, sich ihr langes, schwarzes Haar mit den Fingern durchzukämmen. Die Blätter und Ästchen, die sich darin verfangen haben, zu entfernen. Ich übernehme diese Aufgabe für sie, während ich sie bitte, mir mehr zu erzählen.

»Hier im Norden lebten einst Indianer. Irokesen nannte man ihren Stamm. Meine Freundin war ein Nachkomme dieses naturverbundenen Völkchens. Sie hat mir erzählt, dass ihre Urgroßväter große Friedensstifter waren. Ein legendärer Häuptling, sein Name war unaussprechlich, klang für mich, wie wenn sich jemand einen Stock in den Hals steckt und dann die Worte Luft und Wasser sagen will.« Ich muss glucksen. »Nun, also der Häuptling hat den Zusammenschluss des Völkerbundes aller Irokesen bewirkt. Ihrer Geschichte zufolge, lebten sie alle in einem Haus, das siebenhundert Meter lang war. Die Leute vom Großen Hügel bewachten das westliche Tor und die Leute vom Feuerstein das östliche. Niemals waren die Eingänge unbewacht«, erzählt Hope mit ihrer Stimme und ihren Fingern und Gesten.

»Was tust du mit deinen Händen?«, will ich wissen.

»Das war ihre Art, sich mit uns zu verständigen«, antwortet Hope und ich weiß, sie spricht von ihrer alten Freundin.

»War sie stumm?«

»Ich denke, sie hatte sich einfach dazu entschlossen, sich nicht mit Worten, sondern mit Symbolen Ausdruck zu verschaffen. Ich habe viel von ihr gelernt.«

Hope hält für einen Augenblick inne, fährt sich mit der Hand über das Gesicht, ihre Augen. »Die Winter hier im Norden sind sehr hart. Die Nahrungsspeicher müssen pünktlich randvoll mit Vorräten sein, damit alle die kalte Jahreszeit unversehrt überstehen konnten. Der Indian Summer läutete in ihrer Tradition die Jagdsaison ein. Die roten Farben waren als Zeichen der Götter zu verstehen und bedeuteten ihnen, dass es an der Zeit war, Vorbereitungen zu treffen, bevor der Winter über das Land hereinbricht. Die Jagdsaison war eröffnet.«

Ich kämme Hopes Haare der Länge nach mit meinen Fingern durch und lausche ihrer weichen, melodischen Stimme, verfolge die subtilen, einzigartigen Bewegungen ihrer Finger. Sie ist eine wundervolle Geschichtenerzählerin.

»Du weißt zu allem und jedem etwas zu erzählen. Ich hätte auch gern so ein Superhirn wie du. Woher weißt du nur so viel?«, will ich wissen.

Hope schaut mich über die Schulter an, ihre Augen funkeln amüsiert. Sie legt ihren Kopf schief. »Das ist einfach zu erklären. Ich bin eben hochintelligent«, lacht sie und dann: »Spaß beiseite, ich hatte das Glück, in einer privilegierten Familie aufzuwachsen. Wie alle Kinder loyaler Familien sollte ich später auf einer Universität der Gesandten studieren, um dann einmal zur Elite zu gehören. Also zu denen, die mehr wissen dürfen als alle anderen. Schon als ich ganz klein war, hat mir mein Vater das Lesen beigebracht. Er meinte, sie können uns alles nehmen, aber nicht das, was wir wissen. Ich hatte damals keine Ahnung, wen er damit meinte.«

»Wenn dich die Vollstrecker erwischen und löschen, dann nehmen sie dir auch das«, sage ich ernst und denke an die gelöschten Jungs, die, unweit von hier, in unserem Lager versuchen ins Leben zurückzufinden.

»Sie haben mich aber nie erwischt.« Ich erinnere Hope nicht daran, dass sie von einer Drohne abgeschossen wurde und fast getötet wurde. Als wir uns nach acht Wochen, nach der Zeit im Atombunker, wieder gesehen haben, war ich erstaunt darüber, wie gut es ihr ging. Von ihrer Verletzung war nichts mehr zu sehen und Hope hat auch nie mehr darüber gesprochen. Manchmal wünsche ich mir, ich könnte so gut wie sie die schrecklichen Erinnerungen verdrängen und nur hoffnungsvoll nach vorne blicken.

Manchmal?

Ständig, um genau zu sein.

»Diese Privilegierten, von denen du sprichst? Gehörten dazu auch solche Menschen wie Halo und Fischer und der Professor?«

»Ja und meine Todfeindin Kristen und Adam auch«, ergänzt Hope.

Ich nicke stumm und zupfe ein Blatt aus einer ihrer Strähnen. Niemals hätte ich Adam im gleichen Atemzug mit Kristen erwähnt. Todfeindin, hat sie gesagt. Hope trifft den Nagel auf den Kopf. Die beiden können sich nicht ausstehen. Sind wie Hund und Katz.

»Was ist dann geschehen?«

»Diesen Teil meiner Vergangenheit kennst du bereits. Meine Mutter war ein Symbiont. Die Vollstrecker kamen sie holen und wir haben sie nie mehr gesehen. Sie haben uns gesagt, dass sie tot sei. Meinen Vater haben sie in Frieden gelassen, solange er treu den Interessen der Gesandten diente. Ich denke, er hat sich davor gefürchtet, sie würden ihm nach seiner Frau auch seine Kinder wegnehmen, wenn er nicht nach ihren Regeln mitspielte. Er ist ein Jahr später, nachdem meine Mutter fort war, gestorben.«

»Der Fluch der Symbionten«, sage ich leise. Hope sagt dazu nichts, fährt mit ihrer Erzählung fort.

»Adam ist nach dem Tod meines Vaters in seine Fußstapfen getreten und als es offensichtlich war, dass ich symbiontische Fähigkeiten von meiner Mutter geerbt habe, bin ich geflohen und habe mich lange versteckt.«

»Du hast mal erzählt, dass du andere Symbionten gefunden hast. Andere Mädchen, Frauen, die wie wir sind? Hast du dort das Indianermädchen getroffen? War sie auch ein Symbiont, so wie du und ich?«

Hope neigt ihren Kopf und blickt mich traurig an. »Anscheinend verfügen wir über eine Art inneren Magneten. Wir Symbionten ziehen uns an und finden uns. Egal wo auf der Welt. Wir beide haben uns ja auch gefunden.«

»Magst du mir von den anderen Symbionten erzählen?«, frage ich jetzt ganz vorsichtig, weil ich spüre, wie schwer es Hope fällt, darüber zu sprechen.

»Sie sind alle tot, so wie meine Mum.« Ich schlucke einen Kloß aus Metall die Kehle runter. Verstumme. Streiche weiter stoisch durch Hopes Mähne.

»Es war ein Tag wie heute. Keine Wolke konnte dem Himmel etwas anhaben. Ich hatte seit Wochen keine Vollstrecker mehr gesehen, dann hörte ich Motorengeräusche. Ich versteckte mich unter meinem Schild und wartete wachsam ab. Zwei Motorräder preschten hinter der Hügelkuppe hervor und hinterließen eine Spur von Verwüstung auf der Wiese. Ganze Büschel Gras und Blumen wurden hinter den Reifen in die Luft geschleudert und Dreckklumpen gaben dem Grün den Rest.

Auf den Maschinen saßen Typen mit Helmen. Der eine trug Jeans und Lederjacke, der andere kurze Hosen und ein schwarzes Shirt mit weißem Totenschädel aufgedruckt. Den mit dem Totenschädel nannten sie Thunder und den anderen Storm. Sie waren die einzigen Menschen, die unter den Symbionten lebten. Die einzigen Jungs.

Die zwei Motorradhelden kamen direkt vor mir spektakulär zum Stehen. Oh mein Gott, ich kann mich nicht an eine zweite Szene in meinem Leben erinnern, in der ich so erschrocken bin. Sie wussten genau, dass ich da war. Und sie verhielten sich wie geschlechtsreife Kerle auf Brautschau. Ziemlich schnuckelige Kerle, was ich mir eingestehen musste, als sie ihre Helme abnahmen und mich neckisch angrinsten.« Ich muss lächeln, höre weiter wie gebannt zu.

»Thunder hatte pechschwarze Haare, so wie ich, und seine Augen waren so schwarz, als würde er keine Pupillen besitzen. Mitten über seine rechte Wange verlief eine lange, ausgefranste Narbe, die ihm seinen Namen eingebrockt hatte. Die Narbe stieß mich aber nicht ab, sie, sein schmales Gesicht und sein langes Kinn machten ihn sogar ziemlich umwerfend. Er stieg von seiner Kiste ab und eine Aura von Kraft und Selbstsicherheit strahlte mich an.«

Hope macht eine kurze Pause. Um sich zu erinnern oder in den Erinnerungen zu schwelgen. Ich kann nur raten.

»Ich glaube, ich muss ihn ziemlich idiotisch angeglotzt haben, als er mir seine Hand zum Gruß hinstreckte. Ein winziges Lächeln spielte auf seinen Lippen, als er mir seinen Namen verriet. Ich bin Thunder und du siehst gut genug aus, um dich nicht hinter einem Schild, der scheinbar unsichtbar macht, verstecken zu müssen, sagte er.

»Wie konnte er dich sehen?«, unterbreche ich Hope.

»Seine Augen waren nicht wirklich pechschwarz. Er trug künstliche Linsen, die ihm das ermöglichten. Manche Symbionten verfügen auch über erstaunliche technische Fertigkeiten. Selbst Flavius könnte da noch so einiges lernen. Ich ließ meinen Schild verschwinden und Thunder sagte dann zu mir, dass ich sogar so hübsch wäre, dass er mich in seinem Fanclub aufnehmen würde, aber nur, wenn ich ihm meinen Namen verraten würde. Boah, das gab es ja wohl nicht, dachte ich. Was der sich einbildete. Als würde ich das wollen? Scheiße, ich wollte. Um alles in der Welt!«

Ich muss lachen. Hope kann so witzig erzählen.

»Hope, nannte ich ihm damals voll schüchtern meinen Namen. Dann trat der andere Junge aus Thunders Schatten und oh mein Gott Freija, ich erstarrte. Sein Name war Storm und seine Augen! Die waren irisierend, überwiegend blau und doch wechselten sie ständig ihre Farben wie ein Wetterleuchten. Okay, ich musste ruhig werden und ein vernünftiges Hallo zustande bringen, sagte ich mir immer wieder. Ich musste mich einfach normal benehmen und die Tatsache aus meinem Kopf verbannen, dass die zwei ultimativ atemberaubendsten Typen vor mir standen, denen ich jemals begegnet war. Nicht, dass ich bis damals vielen Jungs begegnet war, aber niemand in ganz Sektion 0 sah so gut aus. Alle nennen mich Storm, sagte er. Und mich Hope, gab ich zu verstehen, so als wäre er taub und hätte das nicht schon längst mitbekommen. Himmel, die Situation war so abgefahren. Da versteckst du dich monatelang im Wald und dann finden dich zwei süße Typen. Thunder und Storm grinsten mich an und ich grinste auch, stand da mit feuerrotem Gesicht und wollte vor Scham mit dem Boden verschmelzen.«

»Du kannst rot werden?«, lache ich.

»Damals war das meine natürliche Gesichtsfarbe, sobald mir einer der beiden über den Weg lief. Da war ich noch jung und unerfahren«, sagt Hope und zwinkert mit einem Auge.

»Erzähl sofort weiter«, flehe ich sie an.

»Nun, die zwei nahmen mich mit. Bis nahe an die Grenze zu Sektion 2. Einer der angeblichen Zuchtsektionen. Grausam. Keiner wagte sich über die Grenze. Alle fürchteten die Bestien. Schon verrückt. Wo wir doch alle, die dort lebten, Symbionten waren und jeder eines dieser Biester in sich trug. Ich hatte bis dahin noch nicht viele Symbionten gesehen. Nur meine Mutter, um genau zu sein. In der Siedlung gab es kleine Steinhäuser, die gerade mal ein Schlafzimmer und ein Badezimmer und eine kleine Küche hatten. Es gab weder Strom noch fließendes Wasser.

Alle, die dort lebten, waren schon irgendwie Verrückte. Aber sind wir das nicht auch? Mich eingeschlossen, lebten dort 15 Menschen, 13 Symbionten und Storm und Thunder. 15 Menschen, die jünger als 18 waren und alle waren wir nicht normal.

Alles war umsäumt und geschützt von den Bäumen, dem unfassbar großen Wald. Von dort aus konnten wir die Drohnen in der Ferne die Grenze bewachen sehen, aber wir passten auf, dass wir nicht gesehen wurden. Es war ein Zufluchtsort, von dem niemand etwas wusste außer denen, die dort lebten. Ich dachte, ich könnte ewig mit ihnen zusammen sein.

Um uns zu waschen, gingen wir runter an den Fluss. Strom zum Kochen brauchten wir keinen, da wir nichts aßen. Wasser reinigte uns von außen und von innen und ließ die Energie in uns besser fließen.

Darauf konnten wir nicht verzichten. Ich hatte mich damals schon daran gewöhnt, dass ich trotz des Fastens nicht abnehme und wahrscheinlich nie mehr feste Nahrung benötigen würde. Von ihnen habe ich gelernt, dass Nahrung eine Form der Energieaufnahme ist, die für Symbionten nicht besonders effizient ist. Um den Energiedurst, den ich damals empfand, zu stillen, hätte ich den ganzen Tag nichts anderes tun müssen als essen, essen, essen. Wie ein Brontosaurus oder etwas anderes Großes.

Aber anstatt zu essen, bezog ich die Energie nun aus der Atemluft. Ich habe gelernt, den Sauerstoffgehalt in der Luft zu verbrennen, wie ein Motor, wie Adams schwarzer Sportwagen. Sie brachten mir bei zu tanzen und der Tanz mit der Natur erhöhte mein Energielevel von Tag zu Tag mehr. In mir loderte ein Feuer. Tag und Nacht.

Den größten Teil der Tage verbrachte ich damit zu lernen und zu üben, wie ich meine symbiontischen Fähigkeiten besser kontrollieren konnte. Alle, die dort lebten, taten das. Jeden Tag. Außer Thunder und Storm. Sie spielten die Rolle der Beschützer, auch wenn das lächerlich war. Jedes der Mädchen konnte gut selbst auf sich aufpassen.

Fast alle, die dort lebten, konnten schon den direkten Kontakt mit ihrer Energie herstellen. Viele waren einfach nur körperlich übermenschlich stark und schnell, aber manche hatten auch andere außergewöhnliche Fähigkeiten. Ich war eine davon. Meine Bestie legte einen Schleier der Unsichtbarkeit auf uns, sodass uns die Vollstrecker nicht sehen konnten. Ich war eine perfekte Ergänzung für alle. Niemand konnte sich so ungeschützt bewegen, bis zu dem Tag, als ich gekommen war und alles Tag und Nacht in Verborgenheit unter meinem Schild einhüllte. Mir war es ein Rätsel, wie es mir gelang, so einen starken und großen Schild aufrechtzuerhalten. Ich glaube, nein ich weiß, wenn wir uns in der Nähe anderer Symbionten befinden, dann verstärken sich unsere Kräfte. Und je mehr wir sind, desto größer ist dieser Effekt. Ich konnte danach nie mehr einen so mächtigen und großen Schild erschaffen.

Viele Fähigkeiten der Symbionten, die dort lebten, waren mehr auf Schutz als auf Angriff ausgelegt. So wie meine heilenden Hände und meine beruhigende Stimme.

Dort lebten Symbionten in Einklang mit der Natur der Dinge und wir hatten Zeit, uns alle gut kennenzulernen. Ich möchte dir von Dreien, die mir sehr nahe standen, erzählen. Ich zählte sie schon nach sehr kurzer Zeit zu meinen besten Freundinnen. Nicht nur, weil sie mich jeden Tag trainierten oder meine Fähigkeiten testeten oder weil ich sie so toll fand und unbedingt wollte, dass sie mich auch mochten.

Nein, ich hatte bei ihnen tatsächlich das Gefühl, dass sie mich liebten, weil sie viel mehr wussten über die Wahrheit. Wie alle Dinge, alle Lebewesen miteinander verbunden waren. Sie gaben mir immer das Gefühl, dass ich kein abgekapselter Tropfen war, sondern ein Teil des Ozeans. Ich denke, du verstehst, was ich meine?«

Ich nicke verständnisvoll.

»Also, die drei, von denen ich dir erzählen möchte, sind: Floe, Syndra und Awokyn.

Awokyn war das Irokesenmädchen. Von ihr kenne ich den Indian Summer. Sie war meine liebste Freundin, auch wenn sie nur sehr selten gesprochen hat, haben wir uns blind verstanden. Sie verwendete nur dann Worte, wenn es überaus wichtig war. Sonst verständigte sie sich nur durch Gebärden. Sie hat mir ihre Zeichensprache beigebracht und auch, wie ich mich und andere heilen konnte.«

Hope malt etwas Wunderschönes vor meinem Gesicht in die Luft. Eine Art Kreis. »Der Kreis ist in der Zeichensprache das Symbol für die Ewigkeit. Und dieser hier steht für die Freundschaft. Das habe ich auch von ihr.«

Ich male den Kreis mit meinen Händen in den Himmel. Flüstere: »Ewige Freundschaft.« Hope schaut mich an.

»Gut gemacht. Wenn du willst, dann bringe ich dir noch mehr Zeichensprache bei.«

»Ein anderes Mal vielleicht. Bitte erzähl weiter.«

»In einer rabenschwarzen Nacht hat mir Awokyn erklärt, dass die Sterne nicht vom Himmel fallen können, weil sie der Form eines Kreises folgen. Wir hier auf der Erde glauben, dass sich alles nach einem linearen Muster verhält. Awokyn war da anderer Meinung. Sie war davon überzeugt, dass sich alles in festgelegten Zyklen wiederholt. Wie in einem Kreis eben.« Hope senkt den Blick. »Awokyn«, flüstert sie traurig, dann fährt sie fort: »Floe war die Jüngste von uns. Ich war mit meinen sechzehn Jahren übrigens die Älteste. Oh je, was soll ich über Floe sagen? Ich könnte Stunden erzählen, aber ich fasse mich heute kurz.

Sie war 15, hatte strohblondes Haar.« Hope sieht mich an, fährt mir liebevoll durchs Haar. »Genauso wie du. Sie war klein, zierlich, hatte ein Gesicht wie ein Vogel, war aber trotzdem irgendwie auf ihre Art hübsch und ihre Fähigkeit war der Hammer. Sie konnte mit Maschinen kommunizieren und sie konnte ihre eigene Energie für Maschinen in nutzbare Energie umwandeln. Sie war also die einzige Stromquelle in dem kleinen Dorf, könnte man so sagen.«

Ich denke daran, was ich mit Adams Computer angestellt habe und frage mich, ob Floe und ich noch mehr gemeinsam haben, als die Farbe unserer Haare. Der Gedanke verpufft, als ich Hopes feuchte Augen sehe. Ihr fällt es schwer weiterzusprechen, mir mehr aus dieser Zeit zu berichten. Sie ist kurz vorm Losheulen.

Türler ve etiketler

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