Kitabı oku: «Hexerei zur Teestunde», sayfa 2

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KAPITEL ZWEI

Lex lehnte sich an den Türrahmen, sie fühlte sich müde und ausgelaugt von den Ereignissen des Tages und der Fahrt durch halb Boston. Als sich die Tür öffnete, fiel sie beinahe in die Wohnung und in die Arme des Mannes, der seit sechs Monaten ihr Freund war, Colin. Er trug ein Grinsen auf seinem sommersprossigen Gesicht, als er sie begrüßte, aber es verblasste schnell, als er ihrem Blick begegnete.

„Lexie? Was ist los?“, fragte er.

Sie seufzte, ließ den Kopf hängen und blickte für einen Moment auf den Teppich, bevor sie antwortete. „Ich habe meinen Job verloren. Kann ich reinkommen?“

Colin trat sofort zur Seite und ließ sie vorbei, schloss die Tür hinter sich, kam zu ihr und umarmte sie. Ihr Kopf ruhte an seiner Schulter, ihre Nase füllte sich mit dem Patschuli-Geruch seiner Kleidung, der immer einen Nies- oder Hustenreiz bei ihr auslöste. Ihr Kopf zuckte instinktiv zur Seite in dem Versuch, genug Platz zu bekommen, um unparfümierte Luft zu atmen. Colin trat zurück und nahm dies offensichtlich als Zeichen dafür, dass sie mit der Umarmung fertig war.

„Ich dachte, du warst reif für eine Auszeichnung“, sagte er und führte sie durch die Diele, damit sie sich auf sein Sofa setzen konnte. Es war übersät mit Exemplaren einer Zeitschrift, über ungelöste Rätsel und Verschwörungstheorien, die er abonniert hatte, und sie schob ein paar von ihnen beiseite, um einen Platz freizumachen.

„Das Buch, nicht ich“, korrigierte Lex ihn. „Und das ist es immer noch. Anscheinend verdiene ich ihnen aber nicht genug Geld.“

„Ach, Liebes“, sagte Colin, zog die Nase kraus und schüttelte den Kopf, als er sich neben ihr auf die Couch sacken ließ. Sein widerspenstiges braunes Haar rutschte ihm dabei in die Augen. „Es tut mir leid. Willst du eine Pizza und ein paar Bier, einen schrecklichen Film ansehen und dich später vielleicht bei mir ausweinen?“

Das zauberte endlich ein Lächeln in Lex' Gesicht. Er kannte sie inzwischen gut genug, um zu wissen, dass Wohlfühlessen und schlechtes Kino ein zuverlässiges Heilmittel für fast alle ihre Leiden waren. „Klingt großartig“, stimmte sie zu und wollte den Tag zumindest positiv beenden.

Colin grinste, lehnte sich dann zu ihr herüber und drückte ihr einen Kuss auf die Schläfe. „Ich hole die Karte.“

Während er seine Küchenschubladen durchsuchte, hob Lex ein offenes Magazin vom Kaffeetisch auf und seufzte. Es enthielt einen Artikel über die neuesten alternativen Geschichtssendungen, die auf Streaming-Diensten verfügbar waren, und Colin hatte einen davon mit rotem Stift eingekreist: Hitlers Tod: Mythos oder Realität? Lex warf das Magazin angewidert beiseite, sie hatte für einen Tag genug Unsinn gehört.

Stattdessen nahm sie die Fernbedienung in die Hand und begann, den Abschnitt mit den Verfilmungen durchzublättern, um einen Film zu finden, den sie sich ansehen wollte. Sie fand viele Titel, die sich gut anhörten, aber diese wollte sie lieber an einem anderen Tag ansehen, an dem sie sie eher zu schätzen wüsste. Am Ende entschied sie sich für ein Buch ohne Tiefgang für junge Erwachsene, das im letzten Jahr verfilmt worden war – glücklicherweise nicht eine von Matts Veröffentlichungen.

„Willst du das Übliche, Lexie?“, rief Colin von der Tür aus und hielt sein Handy ans Ohr. „Ich hole auch einen Becher Eiscreme für später.“

„Das Übliche ist gut“, stimmte Lex zu. Es war nichts Falsches daran, zu wissen, was man wollte. Eine bequeme Routine hatte noch nie jemandem geschadet und sie brauchte Trost. „Hast du Der Rebellenspieler gesehen?“

„Ja, aber es macht mir nichts aus, ihn noch einmal zu sehen“, sagte Colin und hielt dann eine Hand hoch, als er verbunden wurde. „Hallo? Ja, ich möchte eine Bestellung aufgeben …“

Lex ließ ihre Gedanken schweifen, während Colin die Bestellung durchgab. Ihre Augen wanderten durch den vertrauten Raum und verweilten auf der Figur einer Eule, die schon so lange in Colins Bücherregal stand, wie sie ihn kannte. Sie trug nun einen Hut aus Alufolie, er war winzig, passte aber perfekt. Lex hielt ein Glucksen zurück. Auch wenn er an viele verrückte Theorien glaubte, hatte Colin auch einen Sinn für Humor. Er musste ihn nach ihrem letzten Streit aufgesetzt haben, in dem sie ihm vorgeworfen hatte er sei kurz davor, einen Aluhut zu brauchen (ein Streit, der in Gelächter endete, als Colin ihr in einem ernsten Tonfall mitteilte, dass Alufolie wahrscheinlich Signale verstärken würde, die man vielleicht eher ausblenden wollte).

Dennoch war es nur ein weiterer Streit gewesen, einer von vielen. Er konnte so hartnäckig sein. Lex fragte sich, ob sie in der Lage sein würde, einen weiteren Streit zu ertragen.

„Es wird in zwanzig Minuten hier sein, Schatz“, sagte Colin, als er wieder hereinkam, um seinen Platz neben ihr auf dem Sofa einzunehmen. Er legte ihr seinen gebräunten Arm um die Schultern und zog sie an sich. „Es wird alles gut werden.“

Er legte seine Füße auf den Couchtisch, begann, an dem Bier zu nippen, das er mitgebracht hatte, und drückte ihr auch eins in die Hand. Er drückte auf „Play“ im Film und lehnte sich zurück, seine Aufmerksamkeit richtete sich nun vollends auf den Bildschirm.

Lex kuschelte sich an ihn, aber sie schaute nicht auf den Film, sondern auf ihr Spiegelbild, das immer dann zu sehen war, wenn der Bildschirm dunkel genug war. Colin, der fröhlich sein Bier trank und über die Handlung grinste. Sie selbst, ihr dunkles Haar, in der Spiegelung fast unsichtbar, ging am Hals in die Bluse mit schwarzem Kragen über, die sie bei der Arbeit getragen hatte. Ihre Lippen waren von der Anspannung zusammengepresst, ihre braunen Augen klein, die Lider schwer vor Müdigkeit. Sie sah erschöpft und niedergeschlagen aus.

Colin hingegen betrachtete den Film mit völlig unbeschwertem Vergnügen. Sie wusste, dass es das war, was sie sich gewünscht hatte, aber irgendwie ärgerte es sie ein wenig, dass ihm die Tatsache, dass sie ihren Job verloren hatte, nicht das Geringste auszumachen schien. Er hätte ihren Arbeitgeber verfluchen können, überlegte sie. Oder ihr helfen, ein Stellengesuch einzurichten, damit sie etwas Neues finden konnte. Irgendetwas, alles, nur nicht, es unter den Teppich zu kehren, als hätten sie über nichts Ernsteres gesprochen, als das Wetter.

Es war allerdings auch nicht so, als gäbe es wirklich etwas, worüber sie sich beschweren könnte. Er war nett und unterstützte sie und redete ihr kein schlechtes Gewissen ein, weil sie ihren Job verloren hatte. Das war schon etwas. Viele Männer hätten in der Situation anders reagiert. Sie zwang sich, sich zu entspannen, lehnte den Kopf an seine Brust und versuchte, sich auf den Film zu konzentrieren.

Die Pizza kam selbstverständlich mitten in einer Schlüsselszene. Lex und Colin stöhnten gleichzeitig laut auf und lachten dann, als Lex nach der Fernbedienung griff, um den Film anzuhalten. Er rannte hinunter in die Eingangshalle, um sie vom Pizzaboten in Empfang zu nehmen, und kam gerade zurück, als Lex ein paar neue Biere aufmachte.

„Es riecht so gut“, sagte er und legte die Schachtel auf den Kaffeetisch.

Lex stellte die Biere neben der Pizza ab, klappte den Deckel der Schachtel auf und streckte die Hand aus, um das erste Stück mit dem köstlichen geschmolzenen Käse zu nehmen, das noch so heiß war, dass es dampfte. „Was du nicht sagst“, sagte sie, atmete tief ein und nahm einen Bissen. Der Geschmack explodierte in ihrem Mund: heißer, fettiger Käse auf Tomate, perfekt gebackener Teig und ein saftiges Stück Champignon, alles zusammen in einem Bissen.

Colin drückte auf „Play“ und lehnte sich zurück, beide aßen mit dem Kopf über der Schachtel, eine Hand schwebte unter jeder Scheibe in der Luft, um etwaige verirrte Krümel aufzufangen.

Der Film war alles andere als originell und nicht ganz so fesselnd, wie Lex es sich gewünscht hätte, aber immerhin war es die Ablenkung, die sie wollte. Sie beobachtete die Teenager-Heldin mit einem Augenrollen – konnte das Mädchen nicht schon erkennen, dass sie in etwas Magisches verstrickt war? Die Figuren in solchen Geschichten schienen immer so dumm zu sein. Sie fanden nie heraus, was los war, bis sie jemand mit der Nase darauf stieß. Sie brachten sich selbst in die gefährlichsten Situationen.

Lex überlegte, dass eine Buchadaption vielleicht nicht die beste Filmwahl gewesen war. Letztendlich dachte sie nur an die Handlung und die Struktur – mit anderen Worten: an die Arbeit. Nicht, dass es noch ihre Arbeit war. Was würde sie jetzt tun? Was sie zu Bryce gesagt hatte, stimmte: Verlage neigten nicht sehr oft dazu, Stellen für hochgradig genrespezifische Redakteure auszuschreiben.

„Weißt du“, sagte Colin, als er den letzten Bissen eines seiner Stücke beendete, „Er sieht nicht einmal so aus, ernsthaft.“

Lex lenkte ihre Aufmerksamkeit zurück auf den Bildschirm und sah eine Ansicht der Erde aus dem Weltraum. Sie runzelte die Stirn und fragte sich, was sie verpasst hatte. „Wie meinst du das?“

„Der Planet. So ist er nicht. Er ist eigentlich flach.“

Lex starrte ihn an, ihr drittes Stück Pizza schwebte in der Luft vor ihrem Mund. „Nein, das ist er nicht.“

„Doch, das ist er.“ Colin drehte sich ihr voll zu, ein sicheres Zeichen dafür, dass er im Begriff war, sich auf eine eingehende Diskussion über etwas einzulassen, von dem er dachte, sie müsste es wissen. Er hatte wahrscheinlich auf einen Vorwand gewartet, um darüber zu sprechen. „Ich habe mich darüber informiert. Es ist eine riesige Verschwörung. Uns allen ist erzählt worden, dass die Erde rund ist, und wir haben all diese falschen Bilder, die angeblich aus dem Weltraum kommen sollen. Es ist nicht real. Und die Wissenschaft bestätigt das. Die Erde muss flach sein.“

„Colin“, sagte Lex betont ruhig, obwohl sie kaum fassen konnte, dass sie dieses Gespräch überhaupt führte. „Hör mir zu. Diese ‘Flacherdler’ sind Idioten. Nichts von all dem ist wahr.“

„Schau zum Horizont“, sagte Colin, wobei er lebhaft mit den Händen gestikulierte. „Er sollte eine Kurve zeigen, wenn die Erde rund ist, oder? Wenigstens eine leichte? Aber das tut er nicht. Er ist immer gerade. Sie haben Experimente gemacht und es stellte sich heraus, wenn man eine gerade Linie über die Erde misst – sie krümmt sich nicht. Sie ist völlig flach.“

„Nein, sie …“ Lex holte tief Luft und bemühte sich, ihn nicht anzuschreien. Ausgerechnet heute war nicht der Tag, an dem ihre Geduld auf die Probe gestellt werden sollte. „Colin. Man kann die Krümmung der Erde mit bloßem Auge nicht sehen, weil die Erde riesig ist. Außerdem haben Menschen die Krümmung gemessen und sie ist da. Man kann nicht einfach all seine Informationen aus Flat Earth-Foren beziehen. Schlag es richtig nach – viele Menschen haben es auf so viele Arten widerlegt. Ich zeige es dir sogar – schau mal hier, ich suche es auf meinem Telefon – Fotos, die die NASA von der ISS aus gemacht hat. Siehst du?“

„Oh, Lexie, du bist auch darauf reingefallen“, sagte Colin und griff mit einem Ausdruck voller Mitgefühl nach ihrer Hand. „Das ist es, was sie uns glauben machen wollen, weißt du? Denn es gibt wirklich wertvolle Materialvorkommen am Rande der Erde. Kurz bevor sie ins Weltall abfällt, gibt es Minen, mit denen die Regierungen der Welt ihr ganzes Geld verdienen. Sie wollen nur nicht, dass wir davon erfahren, damit sie den ganzen Reichtum kontrollieren und uns sagen können, was wir tun sollen. Alle Fotos sind gefälscht – niemand ist jemals im Weltraum gewesen. Ich zeige dir ein paar Webseiten. Man muss einfach die Augen öffnen und die Wahrheit erkennen.“

Lex riss ihre Hand aus Colins Griff und ließ das Stück Pizza, das sie gerade angebissen hatte, wieder in die Schachtel fallen. „Weißt du was, Colin“, sagte sie. Für sie war es ein langer Tag in einer Reihe von langen Tagen gewesen und jetzt versuchte er, ihr etwas zu erklären, dass sie allein schon durch ihre Arbeit besser verstand als er. „Meine ganze Arbeit dreht sich um Wissenschaft und Geschichte. Und du denkst, ich wüsste es nicht, wenn die Erde flach wäre?“

Colin runzelte die Stirn. „Ich denke nur, dass du es verdienst, die Wahrheit zu erfahren, anstatt wie der Rest der Schafe herumzulaufen. Du hast mir nicht geglaubt, was die gefälschten Mondlandungen betrifft, oder die Echsenmenschen, die den Planeten beherrschen und uns kontrollieren, oder die Illuminaten und ihre geheimen Botschaften! Du bist so engstirnig! Ich weiß nicht, ob ich mit jemandem eine Beziehung führen kann, der einfach nicht offen für die Wahrheit ist“.

Lex schüttelte ungläubig den Kopf. Colins Worte waren wahrscheinlich eine leere Drohung – eine Drohung, die sie normalerweise veranlasst hätte, einen Rückzieher zu machen und stattdessen zu versuchen, ihn zu beruhigen. Aber wozu? Damit er das nächste Woche und die Woche danach einfach wieder tun konnte? „Ich habe keine Geduld mehr für solchen Unsinn“, sagte sie, mehr zu sich selbst als zu Colin, denn er hörte offensichtlich sowieso nicht zu. „Ich kann das nicht mehr tun. Das war's. Mir reicht's! Ich habe genug!“

Sie stand vom Sofa auf und packte im Vorbeigehen ihre Tasche, die neben der Tür stand. Eine kalte Wut erfüllte sie – Wut, die durch die Entlassung und Karens Selbstgefälligkeit und Colins Unempfindlichkeit und den ganzen Rest geschürt worden war, und die sie nun mit einem gewaltigen Energieschub vorwärtstrieb.

„Lexie, Schatz, wohin gehst du?“, rief Colin. Er klang nicht besorgt oder verärgert – eher gleichgültig. Als glaubte er nicht, dass sie wirklich gehen würde. Hinter ihm lief der Film noch, völlig vergessen. Sie wusste, dass er ihr nicht zugehört hatte, nicht wirklich.

„Ich gehe nach Hause“, schrie Lex ihr über die Schulter. „Und ich komme nicht zurück. Ich bin fertig mit dir, Colin. Versuch nicht, mich noch einmal anzurufen.“

Sie trat aus der Wohnung heraus und schlug die Tür hinter sich zu, um ihren Worten Nachdruck zu verleihen. Mit einem Gefühl der Erleichterung lief sie den Korridor und dann die Treppe hinunter. Obwohl sie in ihrem Inneren wusste, dass sie die richtige Entscheidung getroffen hatte, blieb immer noch eine Frage im Hinterkopf: Jetzt, wo sie es geschafft hatte, an einem Tag sowohl ihre Karriere als auch ihre Beziehung zu beenden, was könnte da noch schiefgehen?

KAPITEL DREI

Aufgeregt lief Lex schnell auf ihren Vater zu und dieser hob sie schwungvoll hoch, um sie nach hinten in den Laden zu tragen. Hinter der großen, dunkelrot lackierten Holztheke befand sich eine Tür, die zur Außenwelt führte, wo eine Palette mit Kisten wartete.

„Vorsicht“, sagte ihr Vater und hielt seine Hand schützend über ihren Rücken, als er sie absetzte und ein Taschenmesser hervorholte. Sorgfältige und präzise Schnitte lösten das Klebeband von jeder Kiste, eine nach der anderen, und dann stellte er eine auf den Boden, sodass Lex sie leicht erreichen konnte.

Lex tauchte eifrig ein und zog ein nagelneues Exemplar eines Buches mit dem Bild einer Königin in einem Tudorkleid heraus, die von einem Dornenmotiv umringt war.

Ihr Vater fragte: „Wo kommt das hin, mein Engel?“, und legte ihr eine Hand auf die Schulter.

„Historische Romane“, verkündete Lex, ihre Hände suchten schon, um die beiden anderen Bände des gleichen Buches aus der Kiste zu holen.

„Gut gemacht. Räum sie weg und ich fange mit diesen hier an“, sagte er und strich ihr zärtlich übers Haar.

Lex grinste und rannte durch die Regale zurück, einen Weg, den sie im Dunkeln mit geschlossenen Augen finden würde. Das war ihre Welt: die hoch aufragenden Regale, der Geruch der neuen Bücher, die verwitterten und abgenutzten Seiten der Secondhand-Abteilung, die alphabetisch und nach Genres geordnet waren, die besonnene Stille der Kunden. Ihr Vater war immer einen Schritt hinter ihr, zeigte ihr die besten Titel, führte sie in schöne neue Welten ein …

Sie stellte die Bücher ins Regal und drehte sich um, aber ihr Vater war nicht mehr im Hinterzimmer. „Papa?“, rief sie, ihre Stimme hallte seltsam an einem Ort ohne menschliches Leben wider. „Papa? Wo bist du?“

Lex wachte auf und fühlte, wie ein Schauer durch ihren Körper lief. Sie schwitzte, die Erinnerung an den Traum wiederholte sich immer wieder in ihrem Kopf. Wie sie instinktiv gewusst hatte, dass ihr Vater weg war.

Weil er tatsächlich weg war, nicht nur im Traum, auch im wirklichen Leben. So idyllisch ihr das Leben als Kind auch erschienen war, sie hatte keine Ahnung gehabt, was sich hinter den Kulissen abgespielt hatte. Keine Ahnung, dass ihre Eltern sich stritten, dass das Geld knapp war, dass die Gewinnspannen beim Verkauf nicht hoch genug waren. Langsam, im Laufe von ein paar Jahren, war die Abteilung für Secondhand-Bücher gewachsen, bis der ganze Verkaufsraum aus gebrauchten Büchern bestanden hatte, eine Verkaufsstrategie, von der ihr Vater wohl geglaubt hatte, dass sie den Laden retten würde.

Lex erinnerte sich daran, wie sie zwischen diesen Regalen entlanggeschlendert war und sie sogar noch mehr geliebt hatte. Die gebrauchten Bücher hatten einen ganz anderen Geruch, einen Geruch von altem Papier und Leben. Jedes von ihnen hatte seine eigene Geschichte und Vergangenheit – nicht nur den Text auf der Seite, sondern das Leben des Buches selbst. Widmungen, die mit Bleistift oder Feder in die Einbände gekritzelt waren. Die Ränder der Seiten gut abgegriffen, zerknittert oder zerrissen, gelegentliche Anmerkungen am Rand. Die Knitterfalten auf dem Buchrücken, die bezeugten, dass das Buch immer wieder gelesen, geliebt und in einer Tasche herumgetragen worden war.

Es war magisch gewesen, bis es das eines Tages nicht mehr war. Der Laden ging pleite und ihre Eltern setzten sich mit ihr zusammen, um ihr an einem dunstigen Sommernachmittag, als es sich so angefühlt hatte, als könne nichts ihr Glück trüben, zu sagen, dass sie sich scheiden ließen.

Lex hatte mit ihrem Vater gehen wollen. Aber sie war bei ihrer Mutter geblieben, während ihr Vater in einem Motel wohnte, auf der Suche nach einer neuen Wohnung, die er dauerhaft mieten wollte. Und dann, eines Tages, hatte er ausgecheckt und war nie wieder zurückgekehrt.

Lex hatte ihn seitdem nicht mehr gesehen.

Es war ein alter Schmerz. Lex war jetzt zweiunddreißig und die glücklichen Erinnerungen an den Laden betrafen nur einen kleinen Teil ihres Lebens. Es war längst vorbei. Als Teenager hatte sie versucht, ihren Vater zu suchen – als sie auf dem College war, kurz nachdem sie ihren Abschluss gemacht hatte. Sie hatte nie eine Spur gefunden und irgendwann hatte sie aufgehört zu suchen.

Lex schwang ihre Füße aus dem Bett, ging in die Küche ihrer kleinen Wohnung, holte ein Glas aus dem Schrank und füllte es mit Wasser. Der Traum blieb in ihrem Gedächtnis haften und das nicht nur wegen der Emotionen, die er geweckt hatte.

Fast seit dem Tag, an dem das Geschäft geschlossen wurde, hatte sie einen Traum: eines Tages eine eigene Buchhandlung zu eröffnen und damit in die Fußstapfen ihres Vaters zu treten. Nachdem er verschwunden war, entwickelte sie eine Fantasie, in der er erfuhr, dass sie ihren eigenen Laden eröffnet hatte, und zurückkehrte, um sich ihr anzuschließen, um mit ihr zwischen den Regalen zu arbeiten, so wie sie es getan hatten, als sie ein Kind war. Dieser Teil davon war nur Wunschdenken, aber der Ehrgeiz war ihr geblieben.

Ursprünglich war sie nur ins Lektorat eingestiegen, um den Büchern nahe zu sein. Sie wollte etwas über den Markt lernen, wollte verstehen, was sich verkaufte und was nicht. Sie dachte, das würde ihr helfen, dachte, dass sie auf diese Weise auch nützliche Kontakte hätte, wenn sie bereit wäre, sich selbständig zu machen. Aber irgendwann war sie von einer Assistentin zur Junior-Redakteurin befördert worden, und dann hatte sie ihr eigenes Büro bekommen – so klein es auch war – und sie hatte den Traum in Vergessenheit geraten lassen.

Lex trank ihr Wasser aus, drehte das Glas auf dem Abtropfbrett um und schaute aus dem Fenster in die Nacht, ohne wirklich etwas zu sehen. Warum hatte sie diesen Traum aufgegeben? Es war etwas gewesen, das sie sich so lange gewünscht hatte, und es ergab Sinn. Sie kannte sich mit Büchern aus. Sie lagen ihr im Blut. Und mit einem Secondhand-Buchladen musste man nicht mit Bestsellerlisten und Trends Schritt halten und die neuesten, verhassten Autobiografien auf Lager haben. Man stockte auf, was man finden konnte, suchte nach Raritäten und baute sich eine Klientel auf, die Bücher wirklich liebte.

Lex ging zurück in ihr Schlafzimmer und tastete auf dem Nachttisch nach dem Handy. Da waren Nachrichten von Colin, die sie ignorierte und ungeduldig vom Bildschirm wischte, um ihre Bank-App zu öffnen. Sie studierte den Inhalt mit einiger Verärgerung. Sie war noch nie gut im Sparen gewesen, vor allem nicht, seit sie in dieser Wohnung im Zentrum von Boston lebte, wo sie einen guten Teil ihres Gehalts für die Miete hinlegte. Dann gab es Einkäufe, U-Bahn-Fahrten zur Arbeit, Nächte mit Colin …

Sie hatte ein wenig auf die Seite gelegt, aber vier Wochen Abfindung waren nicht viel, und es reichte nicht aus, um ein Unternehmen zu gründen. So viel wusste sie zumindest.

Aber es gab noch andere Möglichkeiten. Sie dachte an ihre Mutter; es ging ihr in den letzten fünfzehn Jahren gut, sie hatte wieder geheiratet, einen wohlhabenden Mann, und sie war in einem schönen Haus mit Swimmingpool in der Vorstadt untergebracht. Sie hatte eine erfolgreiche Karriere und ihr Mann war vernarrt in sie. Sicherlich würden sie die Möglichkeit, in Lex zu investieren und ihr zu helfen, sich selbständig zu machen, nicht ablehnen.

Sie beschloss, ihre Mutter morgen früh anzurufen. Alles, was sie brauchte, war ein wenig Hilfe, um die Dinge in Gang zu bringen, und ihr Traum könnte wieder lebendig werden. Es war nicht viel verlangt – seit dem College hatte sie nie ein Darlehen von der Familie genommen, und sie hatte alles zurückgezahlt, nachdem sie zu arbeiten begonnen hatte. Sie war ein Einzelkind. Welche Eltern würden nicht wollen, dass es ihrem Kind gut ging?

Etwas beruhigter zog sie sich wieder unter die Decke zurück und lächelte in der Dunkelheit vor sich hin. Am Morgen würde sie wieder auf den Weg zurückkehren, auf dem sie die ganze Zeit hätte sein sollen.

***

„Mama?“, fragte Lex und hielt überrascht das Telefon ans Ohr. „Wie seltsam. Ich wollte dich gerade anrufen!“ Eigentlich hatte sie es aufgeschoben; sie war früh aufgewacht, vor über einer Stunde, und hatte seitdem im Bett gesessen und Artikel auf einer ihrer bevorzugten Nachrichten-Webseiten gelesen. Alles, um das Unvermeidliche zu vermeiden.

„Bilde dir nicht ein, dass es ein Zufall ist, Lex“, sagte ihre Mutter eisig. „Roger hörte von Belinda, dass Carl heute Morgen mit Bryce sprach. Es scheint, dass wir die Letzten waren, die erfahren haben, dass du gefeuert wurdest.“

Lex seufzte. Sie hatte keine Ahnung, wer diese Leute waren, abgesehen von Roger, dem neuen Ehemann ihrer Mutter, aber sie hatte das Gefühl, dass sie, wenn sie das sagen würde, sich eine Lektion anhören müsste, weil sie in der Vergangenheit den Geschichten ihrer Mutter nicht zugehört hatte. Das lief irgendwie nicht so, wie sie sich das Gespräch mit ihrer Mutter vorgestellt hatte. Erst ein paar Sätze waren gefallen und schon hatte sie die Kontrolle über das Gespräch an ihre Mutter verloren. „Ich war gestern Abend müde“, sagte sie. „Ich dachte, ich rufe dich heute an.“

„Was in aller Welt ist passiert?“, rastete ihre Mutter aus. „Belinda war da, um ihr Bedauern auszudrücken und Roger zu sagen, er solle mir ausrichten, dass es nicht das Ende der Welt sei und sie sich sicher sei, dass du wieder auf die Beine kommen würdest. Und wir hatten keine Ahnung. Wie konntest du deinen Job verlieren?“

„Es war nicht meine Schuld“, sagte Lex. Da sie genau wusste, wie sehr sich das nach einer lahmen Ausrede anhörte, warf sie schnell hinterher, bevor ihre Mutter noch ein Wort einlegen konnte. „Bryce sagte, dass die Partner beschlossen haben, vom Sachbuch abzuschwenken. Die Abteilung ist weg, nicht nur ich.“

„Soweit ich weiß, warst du die Abteilung. Hättest du nicht etwas tun können? Du hättest den Verkauf ankurbeln sollen. Haben Sie dir nicht angeboten, in einem anderen Bereich zu arbeiten?“

Lex holte tief Luft und zählte in ihrem Kopf bis zehn. „Es ist vorbei, Mama. Ich habe alles getan, was sie von mir verlangt haben, aber diese Art von Buch verkauft sich nicht besonders gut. Früher waren sie damit einverstanden, aber ich schätze, sie haben ihre Meinung geändert. Ich fragte, wo ich sonst hingehen könnte, und Bryce sagte mir, ich könnte nur zu Prominenten-Autobiografien wechseln. Das war keine Option für mich.“

„Wer hat dich so größenwahnsinnig gemacht, dass du einen perfekten Job ablehnst?“ Lex' Mutter drehte durch, wie Lex es erwartet hatte. Nicht zuletzt, weil sie wusste, was in den Bücherregalen ihrer Mutter stand – und Dolly Partons Autobiografie war viel abgenutzter als „Schuld und Sühne“. „Und was hast du gestern Abend gemacht, das so wichtig war, dass du nicht anrufen konntest? Bist du mir aus dem Weg gegangen, weil du wusstest, dass ich das nicht gutheißen würde?“

„Nein, Mama“, sagte Lex zähneknirschend. „Ich war bei Colin. Wir haben uns getrennt. Und ich muss dich nicht sofort anrufen, wenn etwas passiert, weißt du? Ich bin eine erwachsene Frau.“

„Du hast mit Colin Schluss gemacht?“, keuchte ihre Mutter. „Also, Lex! Was soll das? Befindest du dich auf einer Art Zerstörungsmission? Ihr seid seit Monaten zusammen. Du wirst nicht jünger, weißt du, und ich will irgendwann Enkelkinder. Was wirst du jetzt tun, ohne jemanden, der dich unterstützt?“

Lex schloss die Augen und zwickte sich in den Nasenrücken. „Ich werde mich selbst unterstützen. Ich habe eine Abfindung bekommen, und ich werde etwas anderes finden. Eigentlich wollte ich deswegen anrufen, Mama.“

„Du willst, dass Roger ein gutes Wort für dich einlegt?“, vermutete ihre Mutter. „Vielleicht findet er für dich eine freie Stelle in der Buchhaltung. Sie suchen immer nach einem Junior, der die tägliche Verwaltung übernimmt. Ich kann ihn bitten, deinen Lebenslauf in …“

„Nein, danke, aber … Nein.“ Lex holte tief Luft. Buchhaltung? Buchhaltung? Wirklich? Ihre Mutter schien, charakteristischerweise, ihre aufbrausende Wut überwunden zu haben und sich ganz auf eine Lösung zu konzentrieren. Sie war eine Geschäftsfrau, angetrieben von Logik und Tatendrang. Sie wusste, dass man schnell handeln musste, um voranzukommen, und deshalb war sie wahrscheinlich auch so verärgert, als sie hörte, dass Lex ihre Karriere und ihre Beziehung auf einen Schlag beendet hatte. Aber es gab keine Möglichkeit, dass Lex so leicht aufgeben und Buchhalterin werden würde. Lex erzählte ihr alles eilig, in der Hoffnung, dass es weniger schmerzhaft wäre, wenn sie es schnell hinter sich brächte. „Ich möchte, dass ihr mir helft. Ich werde meinen eigenen Laden für Secondhand-Bücher eröffnen. Ich brauche nur eine kleine Finanzspritze – eine Investition. Ich zahle es euch aus den Gewinnen zurück.“

Es gab eine lange Pause – quälend lange für Lex, für die sich jede Sekunde wie eine Stunde anfühlte.

„Ich glaube, mit der Verbindung stimmt etwas nicht, Lex“, sagte ihre Mutter kühl. „Denn ich bin sicher, dass ich gerade hörte, wie du sagtest, dass du einen Secondhand-Laden eröffnen willst.“

„Das will ich“, sagte Lex, ihr Mund wurde trocken. „Mama, das ist es, was ich schon immer machen wollte. Jetzt ist der richtige Zeitpunkt. Ich brauche nur eine Chance, um anzufangen.“

„Oh ja, das ist es, was du schon immer wolltest“, schnappte ihre Mutter. „Weil es so erfolgreich war, als dein Vater und ich es versucht haben. Es hat uns zerstört, du weißt das, es hat unsere Ehe zerbrochen. Auf gar keinen Fall! Ich lasse nicht zu, dass du dein Leben wegen eines Hirngespinstes über die Rückkehr in deine Kindheit einfach wegwirfst. Es ist lange her, Lex. Er kommt nicht zurück, nicht einmal, wenn du ein Geschäft für ihn eröffnest.“

Lex atmete scharf ein und fühlte, wie die Worte sie bis ins Mark trafen. Es war grausam, um so grausamer, als es die Wahrheit war. Sie wusste das. Doch es ging nicht nur darum, ihren Vater zurückzubringen. Darum ging es eigentlich überhaupt nicht.

Es ging darum, die einzige Sache zu tun, die sie jemals wirklich geliebt hatte, ihr Herz und ihre Seele hineinzulegen und dabei vielleicht auch das Vermächtnis wiederherzustellen, das er hätte hinterlassen sollen.

„Ich wollte nur …“ Lex schluckte hart, versuchte nicht zu weinen und suchte nach den richtigen Worten. „Ich weiß, dass ich es hinkriege.“

Ihre Mutter seufzte scharf, ihr Atem blies in den Hörer. „Ich wollte dir anbieten, für deine Wohnung aufzukommen, bis du wieder auf den Beinen bist, aber diese Investition kannst du vergessen“, sagte sie entschlossen. „Ich gebe dir kein zusätzliches Geld, bis du diesen lächerlichen Traum aufgibst. Bis du erwachsen wirst und ich sicher sein kann, dass du meine Spenden nicht für Sandschlösser ausgeben wirst, werde ich Schecks direkt an deinen Vermieter schicken. Ich habe seine Daten bereits von damals, als ich dir bei der Einzahlung geholfen habe.

„Mama.“ Lex starrte ihr Handy an. Wie konnte sie das tun? Sie wusste, dass Lex jetzt Schwierigkeiten haben würde, selbst mit den kleinen Dingen wie Lebensmitteleinkäufen, und sie war wohlhabend genug, um zu helfen! Auch wenn es eine Erleichterung war, dass die Miete gedeckt war, so war es doch auch eine Verzweiflungstat, die Wohltätigkeit ihrer Mutter annehmen zu müssen – vor allem, wenn dies mit der Auflage verbunden war, schnell ihre Träume aufzugeben.

„Es ist nur zu deinem Besten, Liebling“, sagte ihre Mutter, nicht unfreundlich, trotz des strengen Tons in ihrer Stimme. „Du weißt, dass ich dich sehr liebe, und Roger sorgt sich auch um dich. Aber ich werde diese lächerliche Besessenheit nicht finanzieren. Reiß dich zusammen und komm zurück in die reale Welt. Wir werden für dich hier sein, wenn du das tust.“

Dann war die Leitung still, sodass Lex wieder auf das Gerät in ihrer Hand starrte und sich fragte, wie ihre Mutter sich bei so etwas so sehr irren konnte.

Sie musste einen anderen Weg finden, um diesen Traum wahr werden zu lassen.

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Yaş sınırı:
16+
Litres'teki yayın tarihi:
04 ocak 2021
Hacim:
281 s. 3 illüstrasyon
ISBN:
9781094343136
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