Kitabı oku: «Steine der Macht – Band 13», sayfa 2

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Kapitel 1


Zur Adventszeit im Führersperrbezirk

„Da sind Sie ja“, grüßte der General, als er hinter einem Felsen nahe der Nixloch-Höhle hervortrat. „Pünktlich wie immer!“

„Das gehört sich doch so“, antwortete Wolf. „Guten Tag! Wie kommt es, dass Sie mich diesmal zu diesem Treffpunkt bestellt haben? Normalerweise …“

„Normalerweise treffen wir uns an den altbekannten Stellen am alten Gasthof oder sonst wo auf der anderen Seite des Untersbergs“, unterbrach ihn Kammler, „doch gegenwärtig tummeln sich dort zu viele Leute, die mich nicht sehen müssen.“

„Wer denn zum Beispiel?“, fragte Wolf neugierig.

„Unter anderem viele Leute vom Geheimdienst eines nahöstlichen Landes, welches mit der westlichen Welt eng verbunden ist“, blieb der General zurückhaltend.

„Sie meinen den Mossad? Die haben doch eh immer wieder Agenten hier am Berg im Einsatz, wie ich von einem Baron aus Wien bereits vor Jahren hörte!“

„Zurzeit jedoch in größerer Zahl“, meinte Kammler kurz angebunden. „Doch weshalb ich Sie sprechen wollte: Haben Sie Lust auf eine gemeinsame Zeitreise?“

„Welch eine Frage!“, dachte Wolf im Stillen hocherfreut und wunderte sich, dass der General von sich aus so etwas vorschlug. Trotzdem äußerte Wolf sich dann jedoch ruhig:

„Warum nicht? Wohin soll es denn gehen? Und in welches Jahr?“

„Ich dachte, Sie würden gerne ein paar Raunächte am Obersalzberg erleben – ich schlage 1944 vor!“

Wolf überlegte kurz. Diese Reise würde voraussichtlich ungefährlich sein, zumindest in militärischer Hinsicht bestand seines Wissens keine größere Gefahr, denn der Großangriff alliierter Luftstreitkräfte auf Bad Reichenhall, Berchtesgaden und den Obersalzberg fand erst in der Nacht vom 25. auf den 26. April 1945 statt. Er erklärte daher entschlossen:

„Ich bin gerne dabei.“ General Kammler nickte.

„Gut. Können Sie Musik mitbringen?“

„Musik?“, fragte Wolf erstaunt und konnte seine Überraschung über diese Frage in seiner Mimik nicht verbergen.

„Ja, Musik. Ein paar weihnachtliche CDs und einen tragbaren CD-Spieler mit einem Schwung Batterien, das werden Sie doch besitzen! Er sollte auch bei niedrigen Temperaturen funk­tionieren.“

„Geht in Ordnung, natürlich! Ich bringe alles Gewünschte mit“, antwortete Wolf. Offenbar lebten der General und seine Leute in der Station im Berg doch nicht mehr so isoliert, dass ihnen Errungenschaften des späten 20. Jahrhunderts komplett verborgen geblieben waren. Noch vor einigen Jahren schienen sie dankbar, wenn er ihnen ein paar aktuelle Tageszeitungen besorgte und übergab, und nun waren sie offensichtlich irgendwie im Bilde, welche Tonträger und Abspielgeräte man in der Gegenwart nutzte. Wie war das möglich? Er hätte bestenfalls ein paar Grammophone in der Basis im Inneren des majestätischen Untersbergs erwartet.

„Darüber muss ich mit Becker sprechen!“, rutschte es ihm heraus.

„Wieso mit Becker? Was hat der mit Ihren Tonträgern zu tun?“

„Äh, nichts. Ich war durch einen Gedanken abgelenkt, der überhaupt nichts mit unserem Vorhaben zu tun hat. Keine Sorge, ich bringe die gewünschten Sachen zu unserem nächsten Treffen mit!“

„Und dann habe ich hier in diesem Umschlag noch eine Liste mit Büchern, die ich von Ihnen erbitte“, fuhr der SS-General fort und überreichte Wolf einen Briefumschlag: „Öffnen Sie!“

Wolf tat wie geheißen und warf einen Blick hinein. Neben der Liste fanden sich erstaunlicherweise einige größere Euro-Scheine. Wie war der General denn zu diesem aktuellen Zahlungsmittel gekommen? Eine weitere offene Frage, die ihn ebenso verwunderte wie die Bitte um Weihnachts-CDs.

„Sehen Sie sich die Liste an!“

„Hm, das sind alles Bücher, deren Beschaffung keine Schwierigkeiten machen dürfte!“

„Prima. Ich muss Ihnen an dieser Stelle gestehen, dass ich im Juli 2011 ein Gespräch belauschte, als Sie sich mit Ihrem norddeutschen Freund Lutz vom Isaisring und der Jägerin Silvia auf der Bank an der Buchhöhstraße mit Blick auf den Untersberg über eine Stunde lang über Gott und die Welt und auch kurz über diese Bücher bzw. deren Thematik, Hitlers Bombe, unterhielten.“

„Da waren Sie wohl im Tarnmodus unterwegs, General?“

„Ja, doch das nützte nur bedingt etwas, denn Ihr Freund bemerkte mit seinen scharfen Sinnen meine Anwesenheit und machte auch Sie darauf aufmerksam, dass er dächte, dass noch eine weitere Person anwesend sei. Sie und Silvia drehten sich sogar nach mir um, konnten mich jedoch nicht sehen. Lutz auch nicht, dennoch warf er häufig Blicke in den Wald hinter Ihrem Rücken.“

„Daran kann ich mich nicht mehr erinnern, auch wenn mir die Situation durchaus noch vor Augen ist. Ich saß mit Silvia auf dieser Bank, da fuhr Lutz von Großgmain kommend Richtung Fürstenbrunn an uns vorüber, bemerkte uns, wendete bei nächster Gelegenheit und kehrte zurück, um uns zu begrüßen. Daraus wurde dann eine längere Unterhaltung“

„Genau so war es!“

„Auf dieser Liste stehen aber auch Bücher, die erst nach 2011 erschienen sind“, stellte Wolf bei genauerer Betrachtung fest. „Wie ist das möglich? Darüber können wir damals doch nicht gesprochen haben?“

„Haben Sie auch nicht! Ich habe mir erlaubt, die Liste aufgrund jüngster Internetrecherchen zu aktualisieren!“, erklärte General Kammler. Die Augen seines Gegenübers wurden immer größer:

„Sie haben Internet in der Station im Berg? Sie finden mich überrascht!“

Kammler nickte. Die SS-Leute waren inzwischen anscheinend in der Lage, sich selbständig zu informieren. Wie war es zu diesem Entwicklungssprung gekommen? Und wie konnten sie aus der Station heraus Zugriff auf das weltweite Informations- und Kommunikationsnetz haben? Fragen über Fragen, die nach Antworten verlangten. Wolf wollte versuchen, Becker so rasch wie möglich zu sprechen, um diese wundersamen Veränderungen in der Station zu besprechen!

„Warum wundert Sie das? Glauben Sie, wir leben hinter dem Mond?“

„Die Gerüchte über Nazis auf der Rückseite des Mondes verstummen nicht!“

„Jaja, die Mondnazis!“, meinte der General schmunzelnd, während er sich wegdrehte.

„Was auch immer auf der Rückseite des Mondes zu finden ist – doch wenn Sie Internetzugang haben, frage ich mich, warum Sie die Bücher nicht selbst bei den Verlagen oder einem großen Buchvertrieb ordern!“

„Und dann? Soll ich etwa als Lieferadresse angeben General Dr. Ing. Hans Kammler, SS-Station im Untersberg, Quellgebiet Grödig, Österreich?“

„Warum nicht? Es wäre einen Versuch wert“, lachte Wolf.

„Das halte ich gegenwärtig nicht für ratsam!“, wurde Kammler rasch wieder ernst. „Denken Sie an den Mossad und die anderen Geheimdienste am Berg! BVT, BND, CIA etc., die Franzosen, Engländer und Russen schicken auch immer wieder Leute!“

„Ich verstehe. Nun gut, ich besorge Ihnen die Bücher gerne!“

Ohne jegliche Regung erwiderte der General:

„Ich hole Sie in exakt 48 Stunden genau an dieser Stelle ab.

Wolf nickte zustimmend:

„Ja. Ich habe zwar ein paar Verabredungen in den nächsten Tagen, doch die kann ich problemlos verschieben.“

„Gut. Wenn Sie nichts anderes von mir hören, dann bleibt es dabei – in 48 Stunden sehen wir uns hier wieder. Sollte dieser Treffpunkt wider Erwarten unpassend sein, werde ich es Sie wissen lassen. Und vergessen Sie nicht die Musik!“, mahnte Kammler, bevor er wieder hinter den Felsen trat.

„Ich … äh … Herr General!“, rief Wolf und eilte ihm, so rasch er konnte, nach, doch der General war verschwunden.

„Da kann man nichts machen“, sagte Wolf zu sich selbst, obwohl er dem General gerne noch einige Fragen gestellt hätte, und ging wieder hinab zum Parkplatz von Hallthurm, wo sein Auto stand. Auf dem Heimweg fragte er sich, wen er in der Julzeit 1944 am Obersalzberg antreffen würde. Doch wer es auch immer sein mochte, diese Zeitreise würde äußerst spannend werden.Daheim angekommen machte er sich umgehend an die Online-Bestellung der gewünschten Bücher zu den Themen deutsche Atombombe, geheime deutsche Hochtechnologie etc. Es zeigte sich jedoch nach telefonischer Rücksprache mit den Verlagen und Vertrieben, dass die Gefahr bestand, dass nicht alle Bücher rechtzeitig geliefert werden würden. Wolf bestellte sie dennoch und sagte zu sich selbst:

„Ich besitze all diese Bücher. Sollten die Lieferungen nicht in der mir bleibenden Frist vollständig eintreffen, stelle ich dem General vorerst meine Exemplare ersatzweise zur Verfügung!“

Dann fertigte er rasch eine Liste von Ausrüstungsgegenständen an, die es bei der bevorstehenden Unternehmung mitzunehmen galt. Natürlich war warme Kleidung besonders wichtig. Und er suchte umgehend die gewünschten Tonträger zusammen. Neben allerlei besinnlicher Vokal- und Instrumentalmusik mit Weihnachtsklassikern wie „Stille Nacht, heilige Nacht“, „Oh, Du Fröhliche“ usw. wählte er das zu dieser Zeit sehr populäre Lied „Hohe Nacht der klaren Sterne“ aus. Er war sich sicher, dass dieses Lied bei Kammler Gefallen finden würde. Auch griff er zu einem Sampler mit modernen Adventsschlagern, die von Bing Crosbys Superhit „White Christmas“ über „Jingle Bells“, „Santa Claus is coming to town“ und dem rotnasigen Rentier Rudolph bis zum jüngsten Ohrwurm „Last Christmas“ eine Menge Pseudo-Weihnachtsmusik umfasste. Er schüttelte den Kopf: „Da kommt in einem Lied das Wort Christmas vor und schon wird es heutzutage leider als Weihnachtslied verkauft. Mit Weihnachten hat es doch eigentlich nichts zu tun. Wenn die Leute 1818 bei der Uraufführung von ‚Stille Nacht‘ dabei gewesen wären, wie ich bei der damaligen Zeitreise mit Linda, dann würden sie unter Weihnachten etwas anderes verstehen als dieses oberflächliche, kommerzielle Trallala! Nun ja, wer hat schon die Chance auf Reisen durch Zeit und Raum? Es hat schließlich nicht jeder so viel Glück wie ich!“ Gedankenverloren drehte sich Wolf um und sah auf einmal Becker vor sich stehen. Rasch erholte er sich von dem unerwarteten Erscheinen des Illuminaten und freute sich, ihn über die Interessen des Generals befragen zu können.

„Können Sie mir erklären, weshalb mich Kammler in die Vergangenheit mitnehmen will?“, fragte Wolf und sah in das schmunzelnde Gesicht Beckers, welches ihm verriet, dass er über das Treffen Bescheid wusste. Zu einer Antwort vom Illuminaten kam es nicht mehr, da die Haustüre aufgesperrt wurde und Becker vor den Augen Wolfs verschwand. Claudia war überraschenderweise früher von der Arbeit nach Hause gekommen und Wolf erzählte ihr vom bevorstehenden Besuch am Obersalzberg im Jahre 1944. Sie freute sich für ihn und bat ihn, vorsichtig zu sein, denn 1944 war ja mitten im Krieg.

„Wann und wo hast du denn den General getroffen?“, wollte die junge Frau noch wissen.

„Das war direkt beim Nixloch in Hallthurm“, antwortete Wolf.

Zwei Tage später wartete er an der verabredeten Stelle nahe der Nixloch-Höhle auf den General. Zunächst war Wolf mit seinem Auto vom Parkplatz Hallthurm den Forstweg hangaufwärts gefahren, um seinen schweren Koffer auszuladen. Schließlich wollte er diesen nicht mühsam hinauftragen oder -schleifen, denn die warme Kleidung, die vom General gewünschten Bücher, das CD-Abspielgerät, die Tonträger und einige Flaschen italienischen Weins ergaben in ihrer Gesamtsumme schon ein beträchtliches Gewicht. Zu seiner Überraschung wartete dort bereits ein SS-Mann und erklärte sich bereit, den Koffer zu bewachen, während Wolf das Fahrzeug wieder hinab zum Parkplatz fuhr. Als er zu Fuß zurückkehrte, fand er den SS-Mann nahe des Koffers rauchend an einen Baum gelehnt.

„So viel Gepäck habe ich noch nie zu einer Zeitreise mitgenommen“, stellte er fest. Der Waffen-SS-ler sah ihn aufmerksam an, sagte jedoch kein Wort, dennoch fuhr Wolf fort: „Der Winter 1944/45 soll recht kalt gewesen sein! Danke, dass Sie auf meinen Koffer achtgegeben haben!“

„Keine Ursache, das gehört zu meinen Pflichten!“

„Wann kommt der General Kammler?“

„Zu der mit Ihnen verabredeten Zeit!“

„Dann haben wir noch einige Minuten“, stellte Wolf mit Blick auf seine Uhr fest. Der SS-Soldat bot ihm eine Zigarette an, doch Wolf winkte dankend ab. Obwohl er noch mehrere Versuche unternahm, mit diesem Mann aus einer anderen Epoche ein Gespräch zu beginnen, scheiterte er, denn sein Gegenüber wollte oder durfte scheinbar nicht mit ihm kommunizieren.

Er warf einen Blick auf sein Gepäckstück. Auf dem Koffer lag eine nicht eingepackte Winterjacke, denn Wolf wollte sich rasch warm anziehen können, sollte die Zeitreise zunächst nicht in ein Gebäude, sondern in die Natur des winterlichen Führersperrbezirks am Obersalzberg führen. Es wäre jedoch angesichts der relativ warmen Temperaturen im sonnigen Untersbergwald verfrüht gewesen, das wärmende Kleidungsstück bereits jetzt anzuziehen. Offenbar hatte er wie so oft den richtigen Riecher gehabt, denn plötzlich erschien der General in einem dicken Wintermantel.

„Kommen Sie“, bemerkte Kammler. „Folgen Sie mir und ziehen Sie Ihre Jacke über, denn wir werden gleich erst mal im Winterwald stehen!“

„Das sagte mir meine Intuition bereits“, lächelte Wolf und beeilte sich, dieser Anweisung nachzukommen. Der General trat bereits hinter den besagten Felsen, hinter dem er vor zwei Tagen verschwunden war.

„Was ist mit Ihnen?“, fragte Wolf den SS-Wächter, der keinerlei Anstalten machte, seinem Vorgesetzten zu folgen.

„Ich bleibe hier“, erklärte dieser bestimmt.

„In meiner Gegenwart?“

„Ja.“

„Warum?“

„Das darf ich Ihnen nicht sagen! Auf Wiedersehen!“

„Auf Wiedersehen!“

„Kommen Sie endlich“, rief der General ungeduldig. Wolf eilte, obwohl ihm der schwere Koffer arg zu schaffen machte.

Einen Augenblick später fand er sich in einem winterlichen, lichten Bergwald vor einem kleinen hölzernen Gebäude wieder. Hier standen einige Wehrmachtssoldaten und Waffen-SS-Männer mit ernsten Mienen scheinbar untätig im Schnee. In zwanzig, dreißig Meter Entfernung waren einige militärische Fahrzeuge auf einer verschneiten Waldstraße. Irgendwie kam Wolf das Szenario sehr vertraut vor, nur die Hütte schien ihm fremd. Der Wald war ungewöhnlich ruhig, es ging kein Windhauch und auch sonst ließ sich kein Geräusch vernehmen. Es war eine eigenartige Stille.

„Warten Sie hier“, bemerkte Kammler, nickte den militärisch grüßenden Anwesenden kurz zu und verschwand nach einem kurzen, leisen Austausch mit einem anwesenden Obergruppenführer über eine Treppe, die unter das Gebäude führte, im Untergrund. Leider hatte Wolf kein Wort dieser flüsternden Kommunikation verstanden, doch er erkannte nun, wo er sich befand. Das kleine Gebäude vor ihm war das Bienenhaus, welches sich in der Ära des Führersperrbezirks Obersalzberg über jenem Gewölbe befand, welches später mit N2 bezeichnet wurde und ihm aus dem 21. Jahrhundert bestens bekannt war. Sollte er heute etwa die Chance bekommen, dieses Gewölbe in seinem ursprünglichen Zustand kennenzulernen? „Heil Hitler!“, grüßte er in die Runde, welche den Gruß erwiderte und weiterhin ernst und schweigsam war. Wolf sah sich um und bemerkte, dass einige der vor dem Bienenhaus anwesenden Soldaten die Abwesenheit Kammlers nutzten, um eine Schneeballschacht zu beginnen. Wolf freute sich und war erstaunt, dass so etwas möglich war. Plötzlich traf Wolf versehentlich ein Schneeball, welcher von einem Soldaten zu weit geworfen worden war. Da wurde das Kind in Wolf geweckt und er formte einen Schneeball, welchen er ohne zu zielen in Richtung der Soldaten warf. Just in diesem Moment kam der General die Treppe herauf und Wolfs Schneeball riss ihm die Dienstmütze vom Kopf.

Plötzlich war es schlagartig still. Zu Wolfs Entsetzen erschienen hinter Kammler auch noch Adolf Hitler und Reichsführer SS Heinrich Himmler. Wolf sah sich schon vor einem Erschießungskommando stehen. Kammler hob seine Kopfbedeckung auf und sah dann streng und ernst in die Runde. Überraschenderweise drehte sich Hitler um und schob Himmler zurück ins Gewölbe, wo man die Tür ins Schloss fallen hörte.

„Sie müssen entschuldigen, General, ich wollte Sie nicht treffen. Das ist im Eifer des Gefechts passiert“, stammelte Wolf verlegen.

„Ein Soldat sollte immer wissen und kontrollieren, wohin er schießt oder wirft“, antwortete der General in strengem Ton.

„Ich bin Zivilist“, kam der umgehende Einwurf mit protestierendem Unterton von Wolf.

„Haben Sie nicht gedient? Doch das spielt keine Rolle“, gab der SS-General seinem Zeitreisegast keine Chance auf eine Antwort oder weitere Erklärung, und sprach sehr energisch: „Kommen Sie endlich! Ich habe keine Zeit, mich mit Banalitäten zu befassen!“ Der Besucher aus dem 21. Jahrhundert atmete erleichtert tief durch. Zumindest wurde er nicht auf der Stelle erschossen. Wo diese Gefahr nun vorerst abgewendet schien, konzentrierte er sich einen Augenblick auf die Frage, was Adolf Hitler und Heinrich Himmler gerade besprachen, als ihm weitere Fragen in den Sinn kamen: Ob man ihn bitten, einladen oder auffordern würde, hinab in das N2-Gewölbe zu steigen? Doch das war wohl zu viel verlangt von den erkenntnisversprechenden Fügungen des Schicksals. Und schon tauchte die nächste Frage in seinem Kopf auf. Mit seinem Freund Lutz vom Isaisring hatte er schon einige Diskussionen geführt, ob Hitler Doppelgänger hatte, und wenn ja, wie viele und wie und wo diese dann möglicherweise eingesetzt wurden. Hatte er gerade den Original-Hitler gesehen oder war das einer seiner eventuellen Doppelgänger? Da trat der General an ihn heran. Natürlich forderte er ihn nicht auf, N2 zu betreten, obwohl Wolf nur zu gerne den Zustand des kleinen Gewölbes unter dem Bienenhaus betrachtet hätte, und dies auch völlig unabhängig von den sich gerade dort befindlichen Personen.

„Kommen Sie, Wolf! Wir fahren Sie nun zur SS-Kaserne am Obersalzberg, dort können Sie Ihr Quartier beziehen.“

Darauf wies er einen der umstehenden Männer an, Wolfs Koffer zu einem der in geringer Entfernung wartenden Fahrzeuge zu tragen. Der Aufgeforderte folgte.

Die Gegend sah am Fuße des Kehlstein fast genauso aus wie Wolf sie aus seiner Zeit kannte. Zunächst konnte er kaum einen Unterschied feststellen, doch das änderte sich, als sie den Obersalzberg erreichten. Es juckte in seinen Fingern, die Kamera zu zücken, doch wollte er das nicht ohne Erlaubnis des Generals tun. Hier, inmitten des Führersperrbezirks, war dies gewiss strengstens verboten. Doch wenn man ihm Quartier gab, handelte es sich offensichtlich um einen längeren Aufenthalt, und dann mochten sich noch Gelegenheiten finden, den General auf das Thema Fotografieren anzusprechen.

Dieser hatte sich bei der kurzen Fahrt hinab zum Obersalzberg schweigend verhalten, was seinem Gast aus der anderen Zeit auch ganz recht war, konnte er so doch ungestört beobachten, was er bestenfalls ansatzweise von historischen Filmen und Dokumentationen kannte. Doch als sie die Wache am Eingang der SS-Kaserne passiert hatten, brach Kammler das Schweigen:

„Sie werden gleich einen alten Bekannten wiedertreffen, den Obersturmbannführer Weber!“

Sie hielten vor einem Gebäude, an dessen Tür Weber wartete. Wolf erkannte ihn sofort, schließlich war ihm dieser im 21. Jahrhundert wiederholt an der Seite des Generals begegnet. Und überhaupt waren die SS-Leute praktisch nicht gealtert, was mit dem Zeitphänomen in der Station im Untersberg zu erklären war. Als der General mit seinem Gast aus dem Fahrzeug stieg, grüßte Weber freundlich. Kammler erklärte:

„Der Obersturmbannführer wird nun Sie und Ihr Gepäck zu Ihrem Zimmer im dritten Stock bringen. Sie werden von den Urlaubsreisen Ihrer Zeit einen anderen Luxus gewohnt sein, den wir Ihnen jedoch unter den gegenwärtigen Umständen nicht bieten können. Ich habe allerdings dafür gesorgt, dass Ihnen der Aufenthalt auf Ihrem Zimmer einigermaßen angenehm sein dürfte.“

„Vielen Dank“, bedankte Wolf sich mit einer stillen Enttäuschung, doch sagte er sich selbst, dass er falsche Erwartungen gehegt hatte, dabei war es doch klar, dass man ihn gewiss nicht in Hitlers Berghof einquartieren würde. Schade eigentlich, dort wären einmalige Fotos möglich gewesen – die ersten Digitalfotos in den originalen Räumlichkeiten des Berghof. Doch er beendete derartige Träumereien und war nun bereit, sich der Realität zu stellen.

„Ansonsten verbleiben Sie dort, bis wir Sie abholen, und folgen Sie im Falle des Falles allen Anweisungen der SS, um jedwede Komplikation zu vermeiden.“

„Was ist mit den Büchern?“

„Übergeben Sie diese dem Obersturmbannführer. Ich muss mich nun um dienstliche Angelegenheiten kümmern!“, enteilte Kammler. Weber griff den Koffer und Wolf war ausgesprochen froh darüber, dass er sein Gepäck nicht über drei Etagen hinaufschleppen musste, denn es gab in diesem Gebäude keinen Fahrstuhl, dafür jedoch eine zwei Mann starke Wache im Eingang des Hauses. Vermutlich war es daher nicht möglich, den Eingang ungesehen zu passieren. Heimliche, eigenständige Unternehmungen seinerseits waren hier bestimmt nicht erwünscht und obendrein wahrscheinlich auch höchst gefährlich. Der Obersturmbannführer eilte trotz des schweren Koffers strammen Schrittes entschlossen die Stufen hinauf, Wolf folgte ihm deutlich langsamer.

In der dritten Etage verengte sich der Flur durch einen großen Kachelofen, der eine wohlige Wärme ausstrahlte. Weber quetschte sich mit dem Koffer durch den verengten Gang und bemerkte zu dem hinter ihm gehenden Wolf:

„Leider ist Ihr Zimmer nicht beheizbar, doch wir haben warme Bettwäsche für Sie bereitgestellt. Außerdem finden sich hier oben in diesem Fach etliche Steine, die durch die Hitze des Kamins gewärmt werden. Wenn Sie es wünschen, dürfen Sie sich einige dieser Steine nehmen und als Fuß- und Rückenwärmer ins Bett mitnehmen. Sollte Ihnen vor der Bettruhe zu kalt sein, können Sie sich gerne auf diesen Stuhl hier setzen und am Ofen aufwärmen. Allgemeine Toilette und Waschraum finden Sie dort hinter den beiden letzten Türen auf der linken Seite. Ansonsten weise ich Sie darauf hin, dass Sie sich in diesem Haus darüber hinaus nicht weiter bewegen dürfen. Unterlassen Sie vor allem, andere Räumlichkeiten zu betreten.“

„Und wenn ich irgendein Anliegen haben sollte?“

„Dann gehen Sie hinunter zu den beiden Wachhabenden und richten Sie diesen Ihr Anliegen aus“, antwortete der SS-Mann und blieb vor einem Zimmer stehen, dessen Tür offen stand:

„Das ist Ihr Zimmer. Wir haben die Tür nicht geschlossen, damit etwas Wärme aus dem Flur hineinziehen kann.“

Wolf sah hinein. Eine eisige Kälte strahlte ihm entgegen, denn vermutlich hatte man das Feuer im Ofen des Flures erst kurz vor seinem Eintreffen entzündet, so dass dessen Wärme noch nicht das relativ weit entfernte Zimmer hatte temperieren können. „Sie stecken dich in einen Kühlschrank“, dachte Wolf, „doch es war klar, dass es sich hier nicht um einen Luxusurlaub auf den Malediven handeln würde!“

Es handelte sich eigentlich um eine bessere Besenkammer, die jedoch zwei Vorteile bot: a) ein offenes Fenster mit Blickrichtung Untersberg und b) musste er sich diesen Raum mit niemandem teilen. Die Einrichtung mit einem Bett, einem kleinen Tisch, einem Stuhl, einem Herrendiener und einem halbhohen Schrank war mehr als spartanisch, doch neben einer Deckenlampe erkannte er im Tageslicht des sich dem Abend nähernden Nachmittages auch eine Art Leselampe auf dem Tisch. An der dem Fenster gegenüberliegenden Wand war eine einfache Garderobe angebracht. Es schien, als habe man einen Abstellraum leer geräumt und auf die Schnelle in eine Art Gästezimmer umgewandelt. Auf dem Bett lagen zwei große Kissen und eine gewaltige Daunendecke. Immerhin.

„Das geht schon! Danke!“, sagte der Besucher aus dem 21. Jahrhundert und betrat diesen Raum entschlossen. Weber folgte ihm und warf den Koffer aufs Bett. Wolf entdeckte auf dem kleinen Schrank zwei Flaschen Bier, einen Krug Wasser, eine Tafel Zartbitterschokolade, zwei Äpfel und einige in Butterbrotpapier gewickelte Stullen mit Wurst und Käse sowie einen Kerzenständer, zwei Kerzen, Streichhölzer, eine Schüssel, ein Handtuch und ein Stück Seife. Auf dem Tisch lagen einige Bücher und ein großes, mit Schreibmaschine beschriebenes Papier.

„Damit Ihnen in der Wartezeit nicht langweilig wird, habe ich Ihnen etwas Lektüre zusammengestellt! Auf dem Blatt finden Sie die allgemeinen Anweisungen, die Sie gegenwärtig wissen müssen. Bitte beachten Sie vor allem die Hinweise zur Verdunkelung und halten Sie sich an die vorgegebene Uhrzeit. Die Kerzen sind für den Fall, dass der Strom ausfallen sollte. Sollten Sie diese nutzen, löschen Sie sie unbedingt, wenn Sie den Raum verlassen oder sich zur Ruhe begeben.“

„Das ist selbstredend, doch ich habe eine batteriebetriebene Taschenlampe in meinem Gepäck und werde die Kerzen voraussichtlich nicht benötigen“, erklärte Wolf.

„Das ist gut. Soll ich Ihnen zeigen, wie der Fensterladen zu schließen ist?“

„Nicht nötig. Doch bevor Sie gehen, Obersturmbannführer, will ich Ihnen die Bücher mitgeben, die ich dem General auf seinen Wunsch hin besorgt habe.“

Wolf öffnete seinen Koffer. Er übergab dem SS-Mann zwei Stofftaschen mit den gewünschten Büchern und zückte dann einen Umschlag:

„Das ist das überschüssige Geld, das …“

„Alles klar“, unterbrach ihn Weber. „Ich werde alles dem General übergeben. Und nun haben Sie eine gute Zeit! In zwei Stunden wird Sie einer unserer Männer abholen und zum Abendessen in den Speisesaal führen!“, sagte er und wollte gerade wieder gehen, als er sich nochmal zu Wolf umdrehte, um einen Uhrenabgleich durchzuführen. Wolf setzte sich an den Tisch, überflog kurz das Papier mit den Verhaltensregeln und trat dann an das Fenster. Er wollte es erst öffnen, doch angesichts der Tatsache, dass er sich in einem recht kühlen Raum befand, verwarf er diesen Gedanken. Dennoch holte er seine Kamera hervor und fotografierte den Untersberg, hinter dem die Sonne langsam niedersank. Dann räumte er den Koffer vom Bett und schob ihn darunter, da er sich in dem kleinen Raum sonst kaum hätte bewegen können.

„Eigentlich fühle ich mich wie in einem Gefängnis“, sprach er zu sich selbst, „denn die Sicherheitsbestimmungen hier im Führersperrbezirk untersagen mir sämtliche Bewegungsfreiheit. Ich darf mich nur in diesem Raum aufhalten und zwischendurch den Waschraum und die Toilette aufsuchen. Nun ja, immerhin besser, als in einem Verhörraum des Reichssicherheitsdienstes in die Mangel genommen zu werden. Dann will ich einmal probieren, wie die Butterbrote schmecken! Eine Sachertorte und Mokka zum Nachmittagskaffee konnte ich hier schließlich nicht erwarten!“

Die einfache Zwischenmahlzeit schmeckte ihm, obwohl es tatsächlich nur Kommissbrot war. Doch er begann nun, sich trotz des mangelnden Luxus und der gegenwärtig eingeschränkten Bewegungsfreiheit in dieses neue Zeitreiseabenteuer einzufinden und sich wohlzufühlen. Momentan schien er auf dieser Etage allein zu sein, denn kein Geräusch verriet die Anwesenheit weiterer Personen. Er sah sich die ihm zur Verfügung gestellte Lektüre an. Bis auf das Buch „Vom Kaiserhof zur Reichskanzlei“ von Joseph Goebbels waren ihm sämtliche Werke unbekannt und versprachen eine interessante Lektüre für zeitgeschichtlich interessierte Menschen wie ihn. Zunächst einmal fotografierte Wolf alle Buchtitel, um dann gegebenenfalls später daheim das eine oder andere Buch gebraucht zu besorgen. Einfach einstecken und mitnehmen wollte er kein Exemplar, obwohl er jetzt, da Weber die Bücher für den General übernommen hatte, Platz im Gepäck gehabt hätte.

Er suchte zunächst den Waschraum, dann die Toilette auf. Es gab kein warmes Wasser, doch vielleicht konnte er das Wasser zum Rasieren im Krug am Ofen aufwärmen. Er ging zu diesem hinüber und warf vom daneben befindlichen Holzvorrat einige Scheite ins Feuer, um darauf die bisher offenstehende Schwingtür zum Treppenhaus zu schließen. Letzteres musste schließlich nicht beheizt werden. Vielleicht war es so doch möglich, zunächst den Flur und dann letztendlich sein Zimmer noch etwas erwärmen zu können. Nun legte er sich kurz auf seinem Bett nieder und nickte rasch ein, bis es plötzlich klopfte. Ein ihm fremder SS-Mann blickte durch die offene Tür und sprach:

„Herr Wolf, seien Sie in zehn Minuten am Ausgang und nehmen Sie Ihre Winterjacke mit. Ich warte unten und bringe Sie dann hinüber zur Kantine.“

„Ist in Ordnung! Ich bin pünktlich unten!“

Wolf machte sich fertig und zog die Zimmertür hinter sich zu. Da der Schlüssel fehlte, war sie nicht abschließbar, doch war kaum anzunehmen, dass irgendein SS-Mann zum Dieb werden würde. Schließlich drohte für ein solches Vergehen gewiss eine heftige Disziplinarstrafe. Und ein eventuelles Durchwühlen seiner Sachen, um ihn auszuspionieren, wäre der SS wohl auch bei einem abgeschlossenen Zimmer möglich gewesen, da sich bei einer derartigen Absicht sicherlich jemand eines Zweitschlüssels bedient hätte. Doch das hätte Wolf nicht zu fürchten gehabt, schließlich befand sich nichts in seinem Gepäck, was in irgendeiner Form hätte problematisch werden können. Um jedoch zu überprüfen, ob man in seiner Abwesenheit sein Zimmer und sein Gepäck untersuchen würde, hatte er kleine, unauffällige Vorrichtungen getroffen, die ihm so etwas anzeigen würden …

Sie gingen über den Kasernenhof hinüber zu dem Gebäude, wo sich der Speisesaal für die Mannschaften befand. Sein Begleiter wies ihn an, sich an der Essensausgabe einzureihen:

„Es gibt heute Erbsensuppe. Sie haben freie Platzwahl unter den nicht besetzten Stühlen. An allen Tischen finden Sie Kannen mit Wasser oder Tee vor!“ Wolf nickte:

„Ich danke!“

„Dann guten Appetit! In einer halben Stunde hole ich Sie wieder ab und geleite Sie zurück in Ihr Quartier!“

„In Ordnung“, sprach Wolf und ärgerte sich im Stillen, weil es ihm so unmöglich wurde, unbeobachtet Fotos zu machen. Wahrscheinlich sollte genau das auch unterbunden werden, denn es war klar, dass es bei der Begleitung nicht darum ging, dass der Gast aus der anderen Zeit den Weg zwischen Speisesaal und Quartier hätte verfehlen können. Er durfte sich schlichtweg nicht frei bewegen.

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