Kitabı oku: «Mit Gudrun nach Göteborg», sayfa 2

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Interessant, philosophiere ich, der Zug steht im Münsterland und meine Fähre nach Schweden steht in Travemünde. Insofern verblüffende Parallelität der Ereignisse. Allerdings wird meine Fähre zu einem bestimmten Zeitpunkt losfahren, während der Zug bis zu einem unbestimmten Zeitpunkt stehenbleiben wird. Daraus ergibt sich ein Interessenkonflikt, denke ich, denn mein Interesse scheint nicht mit dem der Deutschen Bahn überein zu stimmen. Was jetzt gerade blöd ist. Natürlich ist es eine großartige Geste der Bahn respektive des Schaffners, in regelmäßigen Abständen mit neuen Wasservorräten vorbei zu kommen, aber momentan scheint mir die Gefahr des Verdurstens weniger akut als die, die Fähre zu verpassen und auf dem Parkplatz des Terminals übernachten zu müssen.

Viele Wasserpäckchen später, als ich mich gerade mit dem Gedanken anfreunde, dass es sich im Zug immer noch angenehmer übernachten lässt als auf dem Parkplatz des Fährterminals, gehen plötzlich die Lichter wieder an. Hurra, denke ich, der Zug hat Licht, jetzt traut er sich auch, weiter zu fahren. Der Zug macht „Brrrrssslllbrrrssst…“ und die Lichter gehen wieder aus. Und wieder an. „Brrrsssllbrrrrr…“ und wieder aus. Und wieder an und…der Zug berappelt sich, schüttelt sich, ruckelt einmal ordentlich an jedem Waggon und macht sich auf die Beine. Und fährt nach Hamburg, wie es sich gehört. Die Deutsche Bahn! Immer für eine Überraschung gut.

Kurz vor Hamburg-Hauptbahnhof stehe ich neben Gudrun, denn ich habe mich schon in Bremen auf die Expedition gen Fahrradwaggon gemacht und somit mein Fahrrad auf den Schlag pünktlich erreicht. (Gute Planung ist die halbe Miete, wie ich immer sage. Ab jetzt werde ich das zumindest immer sagen, nehme ich mir vor.) Gudrun ist gesattelt und gespornt, wir scharren mit den Hufen und sind bereit für einen eleganten Landeanflug in Hamburg Hauptbahnhof.

Nachdem wir uns auf dem Bahnsteig wieder aufgerappelt und sortiert haben, mache ich mich auf die Suche nach dem Anschlusszug. Leider kann man ja nun in einem Bahnhof nicht mal eben von einem Gleis zum anderen hüpfen (was mit einem Fahrrad ja sowieso schwerer ist, als man denkt), sondern man muss nach unten oder, wie in Hamburg, nach oben, übers Gleis hinweg und wieder nach unten, aufs gewünschte Gleis hinunter. Einfacher wäre es natürlich, wenn das gewünschte Gleis einfach nebenan, also auf demselben Bahnsteig wäre. Aber auf so simple Bedürfnisse nimmt die Deutsche Bahn natürlich keine Rücksicht.

Typisch, denke ich und schaue mir die Treppe an. Von unten. Schaue mir Gudrun an. Schaue mir nochmal die Treppe an. Wird nicht besser mit der Zeit, also lass ich das mit dem anschauen und mache mich auf die Suche nach einem Fahrstuhl. Und – wie toll ist das denn? – sowas gibt es tatsächlich. Finden die anderen Fahrradfahrer auch toll. Und stehen Schlange vor der einzigen Kabine. Die gerade mit einer mitteljungen Dame in Armani und Dior und einem Hauch von Handtäschlein nach oben entschwebt. Da wartet man doch gerne. Irgendwann schwebt aber der Fahrstuhl wieder nach unten. Und nun stellt sich heraus, dass in dieses tolle Gefährt, welches zur Erleichterung des Transportes von Fahrrädern und Rollstühlen erbaut wurde, genau folgendes hinein passt: Entweder ein halbes Fahrrad oder ein ganzer Rollstuhl, aber ohne Person, die selbigen schiebt (was zu einem lustigen Wettrennen des Fahrstuhls mit einem schwitzenden, die Treppe hinauf hastenden Zivildienstleistenden führt) oder eine Dame mit Handtäschlein. Eine nur bedingt praktische Sache, besonders, wenn man es eilig hat. Was auf einem Bahnhof ja gelegentlich vorkommen soll.

Jetzt stellt es sich als Glücksfall heraus, dass meine Gudrun leicht überladen und damit etwas Hecklastig ist (siehe Bonn-Hauptbahnhof). Ich schiebe Gudrun in die Kabine und es bedarf nur geringfügigen guten Zuredens und Gudrun setzt sich brav auf den Arsch. Nun den Lenker hoch, Vorderrad an der Kabinenwand entlang nach oben schieben, Fahrstuhltür zu und schon entschweben auch wir unter den Jubelrufen der begeistert applaudierenden Mitwartenden nach oben. Bisschen blöd nur, dass oben die andere Tür aufgeht und Gudrun und ich etwas stürmisch aussteigen. Kann man von unten aber nicht sehen, macht also nichts. Alles wieder an die richtigen Stellen sortiert und los zu Gleis 98b, Fahrstuhl, bewährte Stapeltechnik anwenden, runter und in den Zug. Soweit der Plan. Der Fahrstuhl zu Gleis 98b kennt diesen Plan nicht und stellt sich bockig. Man kann hinein gehen und Knöpfe drücken. Mehr geht leider nicht. Ist zwar auch schön, aber auf Dauer führt einen das ja nicht weiter. Geschweige denn nach unten. Dahin führt jetzt nur noch die Treppe. Ich klemme mir Gudrun unter den Arm, ermahne sie eindringlich, sie müsse mal etwas Gewicht abnehmen und mache mich todesmutig an den Abstieg. Wie sich später herausstellt, ein gutes Training, denn den letzten funktionierenden Fahrstuhl auf einem deutschen Bahnhof habe ich gerade hinter mir gelassen.

Jetzt im Moment stellt sich aber nur zweierlei heraus: Dass ich und ein maßlos überpacktes Fahrrad unterm Arm nicht die ideale Konstellation ist und dass der Zug nach Lübeck weg ist. Beides überrascht mich nicht besonders. Das Gute ist aber, dass in 20 Minuten schon der nächste Zug fahren soll – das müsste dann der 40 Minuten verspätete Zug sein, der 15 Minuten vor meinem eigentlichen Zug fahren hätte sollen, wenn dieser dann nicht 50 Minuten Verspätung gehabt hätte, weshalb der Zug, denn ich gerade verpasst habe, der war, der vor 60 Minuten hier hätte abfahren sollen. Bahnmathematik halt. Wenn nun also der aktuell verspätete Zug pünktlich verspätet eintreffen sollte und auf dem Bahnhof nicht noch weitere Verspätung ansammeln würde (was von der Bahn immer sehr gerne genommen wird – wer kann schon damit rechnen, dass tatsächlich mal ein Zug im Bahnhof ankommt. Dass muss dann wohl gründlich untersucht werden. Und sowas dauert), dann könnte ich mit viel Glück sogar noch meine Fähre in Travemünde erreichen. Also wenn ich vom Bahnhof, der so weit entfernt wie möglich vom Fähranleger gebaut wurde, so zügig (haha!) wie möglich zur Fähre radeln würde. Also alles tutti bis hier.

De Zoch kütt (da geht meine neuerdings und überraschenderweise ausgebrochene Rheinlandbegeisterung schon wieder mit mir durch.) Und was soll ich sagen? Fahrräder kann man einfach so durch die geöffnete Tür schieben (!), abstellen und sich daneben (!) auf einen Sitzplatz setzen. Das gibt aber mal ein kräftiges Lob an die Deutsche Bahn. Auch wenn man fairerweise erwähnen sollte, dass diese Strecke von einem Konkurrenzunternehmen befahren wird. Was mich verwirrt. Für Verspätungen ist ja eigentlich die Deutsche Bahn zuständig. Wenn das hier aber gar nicht die Deutsche Bahn ist, wieso denn dann die Unpünktlichkeit? Das freundliche Lautsprechermännlein klärt mich auf: „Wir bitten auch alle neu zugestiegenen Fahrgäste für die Verspätung um Entschuldigung. Grund war ein liegengebliebener ICE auf der Strecke.“ Ach so.

Wenn man nach Travemünde will, steigt man logischerweise in Kücknitz aus. Das ist so, weil man mir das so gesagt hat. Dann mach ich das auch so. Der Bahnhof von Kücknitz ist exakt so, wie der Name schon nahe legt. Ich möchte deshalb und weil ich es etwas eilig habe nicht weiter auf die Trostlosigkeit dieser Örtlichkeit eingehen, die sich eigentlich nur durch ein leicht verwahrlostes Schild mit der Aufschrift „Kück itz“ vom Rest der trostlosen Landschaft unterscheidet. Naja, nun bin ich doch darauf eingegangen. Es macht also Sinn, den letzten Satz einfach zu überlesen. Es dunkelt bereits merklich, die Zeit rinnt unerbittlich dahin, die Abfahrtszeit der Fähre rückt mit lautem Ticken näher. Ich bereite mich auf einen strammen Ritt zum Fähranleger vor.

Doch dann die Überraschung: Vor dem Bahnhof (auch wenn das Wort Bahnhof hier ein bisschen schwer über die Lippen kommt) steht einsam und alleine ein alter VW-Bus und wartet auf wen? Auf mich! 2 liebe alte Freunde aus Lübeck haben von meiner Not erfahren (durch mich bzw. mein mobiles Telefon) und wollen mich erretten. Nicht, dass in dem Bulli jetzt tatsächlich noch Platz für ein Fahrrad gewesen wäre, aber der gute Wille zählt. Denke ich. Womit ich nicht gerechnet habe, ist der Erfindungsreichtum und die Stauerfahrung eines alten VW-Bus Kämpen. Wir fahren los und ich schaue mich alle paar Meter um, um mich zu vergewissern, dass Gudrun wirklich an Bord ist. Nützt aber eigentlich nichts – von Gudrun ist nichts zu sehen. Ich weiß aber, dass sie da ist, weil ich die Einlagerung selbst gesehen habe. Auch wenn ich es nicht recht glauben konnte, aber irgendwo da unter den ganzen Kisten und Werkzeugen und Angelsachen und Kochgeschirr und Baumaterial und Matratzen und Supermarkteinkäufen muss sie stecken. Auf jeden Fall schaffen wir die Fähre nun doch noch.

Kurz vor dem Fahrkartenhäuschen bitte ich meine lieben Freunde, ein klitzekleines Stück zurück zu fahren, so bis hinter die Hecke da, ja, danke sehr! Hoch zu Ross radel ich sodann zum Fahrkartenschalter und zeige stolz mein Ticket. Nicht ohne zu erwähnen, dass ich aus Bonn komme. Heute. Die Dame im Fahrkartenhäuschen ist sichtlich beeindruckt und kommentiert meine sensationelle Leistung mit: „per Anhalter oder was?“ Ich drehe mich um und sehe meine lustigen Freunde in 20 Meter Entfernung fröhlich aus dem Bulli winken. „Aber nur das letzte Stück!“ sage ich, aber ich weiß nicht, ob die Skeptikerin in ihrer Bude mir noch zuhört.

Ich wechsel das Thema. „…hätte es fast nicht geschafft“ sage ich „Aber dann wär ich einfach morgen gefahren. Null Problemo!“ „Doch Problemo“ korrigiert mich die Dame. „Ohne Reservierung geht morgen gar nix!“ „Aber ist doch total leer hier“ konter ich „Warum soll morgen denn mehr los sein?“ Die Dame schaut mich mitleidig an, offenbar über meinen Geisteszustand nachdenkend „Sommer!“ sagt sie vieldeutig. „Viele Urlauber. Alle Kabinen reserviert. Und ohne Kabine keine Überfahrt!“ Mir wird ein bisschen unwohl. Vorausschauende Seekrankheit wahrscheinlich. „Übrigens wird es hier gleich noch leerer sein, dann bin ich nämlich auch weg. Und das Schiff auch.“ Meint die Dame durchaus freundlich. „Wieso?“ frage ich ziemlich blödsinnig. „Weil Sie der letzte sind. Und wenn ich Sie wäre, würd ich mich jetzt mal langsam auf den Weg machen. In 2 Minuten schließen die die Luke und dann dürfen Sie höchstens noch winken“. Oha. Warum hält die mich auch so lange auf mit ihrem Geschnatter.

Ich trete in die Pedale wie ein Wilder und rausche ungebremst und heftig scheppernd über die Ladeluke aufs Autodeck. Und nu? Hinter mir wird allerhand mit Seilen und Ketten und Blechen und viel Lärm und Getöse gewerkelt – das scheint irgendwie dazu notwendig zu sein, um die riesige Klappe zu schließen, durch die Hunderte von Autos und LKW und Bussen und ein Radfahrer aufs Schiff gestapelt wurden. Ich fühle mich noch nicht hinreichend gestapelt und wedel – vielsagend fragend, wie ich meine – mit meinen Armen in Richtung eines Arbeitsmannes, der gerade nicht mit Seilen und Ketten beschäftigt zu sein scheint. „Wohin!?“ brülle ich zur Sicherheit noch gegen den allgemeinen Schiffslärm an. Der Arbeitsmann (das ist für mich jeder, der sich durch hinreichend professionell und verschmutzt aussehende Kleidung ausweisen kann) deutet auf einen Dreckhaufen in einer Ecke. Gammelige Tampen (das ist der seemännisch korrekte Ausdruck für Seile, wie ich natürlich weiß) liegen neben rostigen Ketten und löchrigen Plastikeimern, ein alter Besen und interessanterweise eine Mistforke stehen daneben. Wie jetzt, denke ich, soll ich hier sauber machen? Deckschrubben vielleicht, die altbekannte Strafe für blinde Passagiere? Ich krame aufgeregt mein Ticket hervor. „Nix blind Passagier, ik bezahl, guck Ticket!“ rufe ich dem armen Arbeitsmann zu, der ja schließlich nichts dafür kann, dass er als unterbezahlte und ungelernte Arbeitskraft aus was auch immer für einem niedrig entwickelten Zureiseland (sagt man das heute so? Keine Ahnung) hier Sklavenarbeit verrichten muss. „Ik wissen tu“ sagt der arme ungebildete Fremdarbeiter „und das hier ist der offizielle Abstellplatz für Fahrräder. Im Übrigen wird das Autodeck in 5 Minuten geschlossen“. Ich bedaure den Ärmsten, der offensichtlich trotz seiner unwürdigen Bezahlung auch noch so komplizierte Sätze auswendig lernen muss, um nicht auf hoher See kalfatert und über die Back geheißt zu werden. Oder was man heute so macht auf hoher See.

Travemünde – Trelleborg
Ich lerne, dass Schiffe innen fast so hoch wie außen sind und wie man schwedisch isst.

Mit meinem gesamten Gepäck mache ich mich auf den Weg zu meiner Kabine. Meine Güte, was Gudrun so alles tragen kann! Ich, soviel ist mal sicher, kann es nicht und lasse mich schwer auf den ersten Treppenabsatz plumpsen. Wer hätte gedacht, dass Schiffe so hoch sind! Wäre es nicht eine viel bessere Idee, das Auto- und vor allem das Fahrraddeck viel dichter an den Kabinen zu bauen? Ich bin sehr angetan von meiner klugen Idee und notiere sie gleich in meinem kleinen schwarzen Ideenbuch. Ich schaue mir die in unendliche Höhen sich hinaufwindende Treppe an und bedaure einmal mehr, dass ich dies von unten tue. Schön, denke ich, bleibe ich halt unten und schlafe bei Gudrun, mir ist jetzt alles recht. Blöderweise werden in diesem Moment die Türen zum Autodeck abgeschlossen. Jetzt gilt es Ruhe bewahren und nachdenken. Wozu hat man einen überlegenen Geist? Ich rechne mir die Sache durch: Wenn ich die Hälfte des Gepäcks nach oben schleppe, dort ablege, wieder nach unten gehe, die andere Hälfte nach oben bringe, dafür eine kleine Tasche wieder mit nach unten trage, den Proviant darf ich nicht zusammen mit der Regenjacke alleine lassen – nein, so geht`s nicht, ich schweife ab, das war das Rätsel mit dem Fährmann und dem Fluss und den Schafen und dem Wolf – wobei, wieso will eigentlich jemand mit Schafen und Wölfen über einen Fluss und wieso reist er überhaupt mit Schafen und Wölfen, dass macht doch gar keinen Sinn, ich meine, er müsste den Wolf ja auch irgendwie füttern, würde er dafür eines seiner Schafe nehmen? Wäre das Rätsel dann einfacher, wenn ein Schaf schon gegessen wurde? Ich mache mir noch eine kleine Notiz, dass ich da mal drüber nachdenken sollte.

Aber zurück zu meinem Problem: ich könnte einen Teil nach oben bringen, aber dann müsste ich die Treppe ja nicht nur einmal bewältigen, sondern sogar dreimal! Halt, ich hab`s: Ich bringe einen Teil des Gepäcks nur einen Absatz nach oben, dann hole ich den Rest nur einen Absatz nach oben, dann bringe ich einen Teil wieder einen Absatz nach oben usw. Auf diese Weise brauche ich die Treppe nicht dreimal zu erklimmen. Genial! So mach ich es auch. Komischerweise bin ich oben genauso erschöpft, als wäre ich die Treppe dreimal gegangen. Seltsam.

Oben angekommen drücke ich auf den lustigen roten Riesenpömpel neben der Tür und die Tür macht: „Zuuuüüüaaaa-zuuuoooohhhhrg-zwooooosch“. Déjà-vu, denke ich, aber nein, nach kurzer Bedenkzeit geht die Tür tatsächlich auf! Ein gutes Omen, denke ich, außerdem bin ich jetzt nicht mehr in der Bahn, sondern auf einem Schiff. Was soll da schon schief gehen? Ich klettere durch die Tür und stehe in einer Art Einkaufspassage, nur dass alles mit einem schicken grün-bräunlichen Teppichboden ausgelegt ist. Klar, denke ich, clever gemacht. Wir sind schließlich auf einem Schiff, da wird dem einen oder anderen schon mal schlecht. Gut, wenn man denn einen Teppichboden hat, auf dem die Folgen nicht so auffallen. Links von mir ist der Fahrstuhl, aus dem gerade eine Dame mit winzig kleinem Handtäschchen steigt. Verweichlicht, die Menschen heute.

Ich merke mir die Stelle mit dem Fahrstuhl für den Rückweg und mache mich auf die Suche nach meiner Kabine. 7548 steht auf meinem Ticket. Zur besseren Orientierung hängen dicht unter der Decke winzig kleine Schilder mit den Kabinennummern und noch winzigeren Pfeilen daneben. Was dazu führt, dass alle Passagiere mit weit in den Nacken gelegten Köpfen nach oben starren und sich ständig gegenseitig anrempeln. Idioten! Mir reicht ein kurzer Rundumblick und ich weiß, wo ich hin muss. Theoretisch. Leider ist meine Nummer nicht auf den Schildchen. Bei dieser Ziehung nicht dabei, sozusagen. Ich lege den Kopf in den Nacken und schaue mir alle Schildchen nochmal genauer an, dabei von einem Schild zum anderen wandernd. Gelegentlich stoße ich mit einem der Idioten zusammen, die nicht genügend aufpassen. Kein 7548. Seltsam. Ich beschließe, dass jetzt der geeignete Zeitpunkt ist, meine neu erworbenen Schwedisch-Kenntnisse nutzbringend anzuwenden. „Har dü…kenner dü…Nummern de Kabinskern?“ spreche ich einen besonders schwedisch aussehenden blonden Herren an. „Tut mir leid“ sagt dieser nach einigem Nachdenken „aber ich spreche kein Schwedisch. Zum Glück“ fügt er etwas rätselhaft hinzu. Mist! Natürlich ist mal wieder kein Schwede in der Nähe, wenn man einen braucht! Und das soll ein schwedisches Schiff sein! Wie soll ich denn nun bloß meine Kabine finden? Vielleicht, so überlege ich, sind schwedische Nummern ja gar nicht wie deutsche Nummern. Es könnte ja sein, dass es so wie mit arabisch ist, man denkt, man kann das alles wunderbar lesen, und dann stellt sich heraus, dass man von rechts nach links lesen muss und alles ist ganz anders. Oder Chinesisch, von oben nach unten, und die komischen Zeichen sind gar keine Buchstaben, sondern vielleicht richtige Worte oder ganze Sätze. Da denkt man denn „na, da hat aber jemand ausgiebig seinen Kuli getestet“ und in Wirklichkeit heißt es vielleicht „Die goldene Morgenröte erglüht im sanften Flamingoflügel“. Oder so. Da kommt man schon ins Grübeln. Andererseits sehen schwedische Zahlen genauso aus wie deutsche und Flamingos gibt es hier auch nicht. Schneeeulen vielleicht. Mit wieviel „e“ schreibt man eigentlich Schneeeule? Drei, denke ich, nein, das ist ja grad die Falle, man denkt, haha, drei e hintereinander, da musst du aber früher aufstehen, aber nein, die Falle ist eben, das es dann vier e sind, dass würde bei „Schneeeule“ auch noch funktionieren, während bei „Seeelefanten“ der Plural nochmal ein e beisteuert, also 5.

Ich merke, dass ich nicht mehr ganz bei der Sache bin. Mittlerweile stehe ich wohl schon ganz schön lange hier herum, recke den Kopf nach oben zu den kleinen Schildchen mit den Zahlen drauf und denke an Seeelefanten. Da erscheint eine – Stewardess? Sagt man das? Oder gilt das nur im Flugzeug? Auf dem Schiff ist es vielleicht eine Hostess? Nein, das sind die von der Olympiade, die immer kleine Häppchen reichen und Getränke und dann den schwedischen König heiraten, wobei, schwedisch passt ja wieder, von daher vielleicht doch Hostess.

„Wie bitte?“ fragt die Hostess, freundlich, aber doch mit einer Spur Argwohn, wie ich finde. Möglicherweise habe ich den letzten Teil nicht so leise gedacht, wie ich dachte. Also das mit der Hostess. Weswegen sie, wenn man den Argwohn berücksichtigt, vielleicht doch keine Hostess ist. Schaffnerin? Fährerin? Jetzt fragt sie mich was in einer fremden und für mich total sinnlos klingenden Sprache, von der ich kein Wort verstehe. „Was?“ frage ich. „Ah, Sie sind Deutscher. Kann ich Ihnen helfen?“ sagt die Schiffsbegleitpersonalistin. Ich reiße mich zusammen. „Wegen der Kabine. Meine Nummer steht da nicht“ sage ich. „Welche Nummer haben Sie denn?“ „7548“ sage ich und zeige ihr blödsinnigerweise noch mein Ticket, auf dem genau dasselbe steht. Sie guckt trotzdem drauf. „7548“ sagt sie. „Ja“ sage ich „7548“. Jetzt klappt die Verständigung, denke ich, vielleicht gehen wir zusammen essen. Sie zeigt auf ein Schildchen, dann in eine Richtung. „Da lang“. „Da steht aber nichts von 7548“ erkläre ich belehrend. „Da steht nur 7500 und 7599!“. Die Schiffahrtsfährenpassagierbetreuerin schaut mich lange an. Dann zeigt sie wieder auf das Schildchen. „Sehen sie den kleinen Strich?“ „Ja“ sage ich und denke mir, ist das jetzt ein Sehtest oder was. „Der Strich bedeutet „bis“ und da geht es zu den Kabinen von 7500 bis 7599. Da ist 7548 dabei“. „Ja“ sage ich „das wusste ich“.

Meine Kabine ist sehr schön und hat neben einem winzig kleinen Bett ein noch winzigeres Tischchen zu bieten. Es gibt einen Zigarettenaschebraunen Teppichboden und einen Garderobehaken an der Tür. Daneben ist ein Schild angeklebt, welches einen an all die grauenvollen Gefahren erinnert, die auf hoher See drohen, inclusive Feuersbrunst und nassem Tod. In beiden Fällen, so lese ich, solle man lauthals schreiend wie ein Irrer durch die Gänge rennen und keinerlei Rücksicht auf Frauen und Kinder nehmen. Das steht zwar nicht wortwörtlich da geschrieben, aber als gebürtiger Hypochonder scheint es mir vom Sinn her ungefähr hin zu kommen und ich beschließe, es im Falle eines Falles genau so zu handhaben.

Außerdem soll hier noch ein Badezimmer mit WC, Waschbecken und Dusche verborgen sein. Aber wo? Ich schlängel mich wieder Richtung Eingangstür und taste die Wände ab. Hohl klingt es überall, das bringt mir noch nichts. Dann entdecke ich in einer Wand verborgen eine Tür und dahinter - ist irgendetwas, ich kann es nur nicht sehen, weil die Tür mir nun die Sicht versperrt. Erst muss die Tür wieder zu, dann schlängel ich mich daran vorbei, Tür wieder auf und – voila! Das Bad. Auf den ersten Blick ist es überschaubar, auf den zweiten Blick auch. Es gibt ein Miniaturwaschbecken und darunter die Toilette. Wenn man sich schräg über die Toilettenschüssel lehnt, kann man sich mit einer Hand gegen den Spiegel stützen und mit der anderen Hand die Zähne putzen. Bei heftigem Seegang vielleicht ganz nützlich, um eventuelle Schräglagen des Schiffes auszugleichen, aber hier im Hafen ist das nichts. Ich benutze lieber die Dusche, die schräg oberhalb der Toilette angebracht ist. Man kann sich einen glibberigen Vorhang mit zweifelhaften Vorbenutzern um den Leib schlingen, um die vollständige Überflutung des Bades zu verhindern, es nützt aber nichts. Ich finde es ganz lustig, mal zu duschen wie auf der russischen Raumstation und probiere es gleich mal aus. Das Wasser riecht nach etwas, was da nicht hineingehört, aber ich werde nass und sauber. Der Rest des Badezimmers wird nur nass.

Unter der Dusche untersuche ich meinen Körper auf die für Radfahrer typischen weißen Stellen an Oberarmen und Oberschenkeln. Leider ist davon auch bei gründlicher Untersuchung noch nicht viel zu sehen, was ich nach der langen Tour über das Hafengelände schon ein bisschen enttäuschend finde. Ich denke ein wenig über professionelle Radfahrer nach, zu denen ich jetzt ja gewissermaßen zähle. Auch wenn meine Tour zugebenermaßen noch in der Anfangsphase steckt, fühle ich mich dem gewöhnlichen Autotouristen doch schon recht weit entfremdet. Ich meine, Autofahrer – das ist doch eine ganz andere Welt, eine furchtbar touristische Welt, die ich schon vor Stunden verlassen habe. Echte Reisende fahren mit dem Rad und entdecken die Natur und die Landschaft und kommen in Kontakt zu den Menschen und sind deshalb keine Touristen. Es sind freundliche Besucher, interessiert an Leuten und Gebräuchen, jedoch keinesfalls aufdringlich, sondern stets angenehm zurückhaltend. Sie lernen vorab die Sprache, kaufen im örtlichen Kaufmannsladen ein und bemalen ihr Fahrrad in den Landesfarben. Fast schon Einheimische, könnte man sagen. So wie ich. Autofahrer hingegen – ach, die sind mit uns Radfahrern ja überhaupt nicht zu vergleichen. Wir sind schon ein besonderes Völkchen, wir Radfahrer, denke ich. Und doch ganz natürlich geblieben, einfach und bescheiden.

Solchermaßen innerlich gestärkt mache ich mich daran, mal ein wenig durchs Schiff zu flanieren. Großmütig denke ich daran, dass ja nicht jeder als Radfahrer geboren werden kann und manch Autofahrer vielleicht gar nichts dafür kann, dass er es halt nur bis zum Autofahrer gebracht hat. Natürlich werden mich alle sofort als Radfahrer erkennen, da sie mich ja mit bewundernden und etwas neidischen Blicken beobachtet haben, wie ich forsch und doch elegant aufs Schiff gebyket kam. Geentert, sagen wir Seeleute auch, aber ich will die Landratten hier nicht unnötig mit Fachchinesisch verwirren.

Leider scheint es den restlichen Passagieren aber komplett gleichgültig zu sein, dass sie einen waschechten Radfahrer an Bord haben. Sind alle viel zu viel mit sich selbst beschäftigt, stelle ich fest und mich selbst an die Reling, von wo aus ich einen, wie ich hoffe, kenntnisreich-weltbefahrenen und deshalb leicht gelangweilten Blick auf die Weiten des Ozeans werfe. Wobei gelangweilt es ganz gut trifft, denn viel zu gucken gibt es ja eigentlich nicht auf so einem Ozean. Wasser halt, und davon viel. Selbst in der realistisch betrachtet doch überschaubar kleinen Ostsee. Wenn man sich die Ostsee auf der Karte ansieht, sollte man doch meinen, dass bei den paar Zentimetern Wasser Schweden längst zu sehen sein müsste. Ist es aber nicht. Wegen der Erdkrümmung. Die Erdkrümmung sorgt nämlich dafür, das Dinge, die eigentlich so furchtbar weit weg gar nicht sind, trotzdem nicht gesehen werden können. Es liegt daran, dass die Schwerkraft das Wasser, weil es schwer ist, nach unten zieht, während sie dem Licht, welches viel leichter ist, nichts anhaben kann. Da die Augen nun aber stets dem Licht folgen und von Wasser schnell gelangweilt werden, verschwindet das Wasser unterhalb des Blickes der Schwerkraft folgend und der Blick verliert sich mit dem Licht in der unendlichen Weite des Ozeans. Abends, wenn wenig Licht ist, geht dass logischerweise noch schneller. Es ist Abend, meine Augen langweilen sich in der unendlichen Weite und ich geh was essen.

Skandinavisches Buffet. Das ist jetzt aber mal was für die wirklich Hungrigen. Da stapeln sich all die leckeren Dinge, die man in Skandinavien nie und nimmer serviert bekommt. Hähnchen und Würstchen und Kartoffelgratin und Nudeln und Hackbällchen und Pommes Frites und Schweinebraten und dunkle Soße und Brot und dreierlei Suppen und viererlei Salate und allerlei Gemüse und was weiß ich nicht alles. Esse ich natürlich alles nicht. Jetzt kommt nämlich der Geheimtipp (der eigentlich nun kein Geheimtipp mehr ist, weil ich ihn in einem massenhaft verbreiteten Standardwerk enthülle): Fisch. Beim Skandinavischen Buffet niemals die Sattmacher nehmen, sondern an Fisch halten. Fisch, Garnelen, Krabben, Krebse – zu Fisch zählt alles, was aus dem Wasser kommt. Deshalb nämlich, weil a) Fisch am teuersten ist und man will ja was haben für sein Geld und b) Fisch bekanntlich nicht satt macht. Kann man also viel mehr von essen, was wieder a) Geld spart. Ich häufe mir einen Teller schön voll mit gekochtem Lachs und Meerrettichsahne. Sehr lecker! Und dann bin ich satt. Komisch.

Ich geh also in meine Kabine. (oder müsste es heißen „auf meine Kabine“? Man sagt ja auch „ich geh mal auf mein Zimmer“. Warum eigentlich? Auf dem Zimmer wäre ja eigentlich über dem Zimmer, was einem nichts nützen würde, wenn man hinein will, weil die Tür ja nicht über dem Zimmer sondern an der Seite angebracht ist. Man wäre dann vielleicht beim Nachbarn von oben, der sicher nett ist, aber wäre er einverstanden, wenn man sich auf seinen Fußboden legt, um auf seinem Zimmer zu sein? Schwierig. Und wohin ginge der Nachbar, wenn er auf sein Zimmer wollte? Angenommen, er wohnt direkt unterm Dach. Müsste er vielleicht sagen „ich gehe unter mein Zimmer“? Dann wäre er bei mir und ich bei ihm. Auch eine Art Patt-Situation). In meiner Kabine lege ich mich schlafen, wach auf und bin in Schweden. Schlafen spart Zeit!

Apropos sparen – das Frühstück spare ich mir auch, nach einem Blick in das Frühstücksrestaurant. Ein infernalischer Radau wie vor den Toren von Jericho vermittelt bereits kurz nach Verlassen der Kabine einen akustischen Eindruck von der Lage am Buffet, der dann vom visuellen Eindruck noch übertroffen wird. Ungefähr 500 Kinder außer Rand und Band dürfen das erste Mal in ihrem noch kurzen Leben ein Frühstück ganz alleine für sich alleine zusammenstellen und sich dabei frei im Raum bewegen. Jedes einzelne scheint zu glauben, dass dies auch das letzte Mal in seinem Leben sein wird und rast wie angestochen laut schreiend mit seinem Tellerchen von einer Sehenswürdigkeit zur nächsten. Brötchen! Nutella! Würstchen! Noch mehr Nutella! Das Paradies ist eingetroffen und die Eltern würden es niemals bemerken, wenn man sie nicht sofort und lautstark und immer wieder darauf aufmerksam machen würde. Die Eltern wirken hingegen nicht alle und nicht so vollständig begeistert. Eher müde, entnervt und untercoffeiniert. Wie gut, denke ich, dass ich nie so ein Kind war. Oder überhaupt je eines war.

Ich schleife also mein reichliches Gepäck zum Fahrstuhl, der aufgrund der kurzen, aber immer noch andauernden Frühstückzeit ausnahmsweise mal nicht überfüllt ist und rausche gen Meeresboden. Beziehungsweise Schiffsboden, aber hier, in einem kleinen engen Stahlkasten innerhalb eines sehr viel größeren Stahlkastens fühlt es sich verdammt nach Meeresboden an. Als ich das Fahrzeugdeck betrete, wird es nur unwesentlich besser. Eigentlich wird es schlechter. Hier unten gibt es genau so wenig Fenster wie im Fahrstuhl, dazu kommt aber ein Ohrenbetäubendes Spektakel, den das offenbar waidwunde Schiff dem Untergang geweiht von sich gibt. Die Motoren blubbern und spucken und röcheln auf eine zutiefst unmotorenmäßige Art, die Stahlwände ächzen und krachen und jaulen, als ob sie sich an ultimativen Eisbergen abarbeiten würden, die Wanten biegen und brechen und kalfatern wie eine Streichholzschachtel im eisigen Polarsturm, die Winschen klabautern im Takt der Walküren und überhaupt ist alles recht ungewöhnlich. Gut, ich habe keine ganz genaue Vorstellung davon, was Winschen und Wanten sind und natürlich weiß ich, dass man kalfatern mit arbeitsunwilligen Seeleuten macht – aber das Schiff hört sich an, ich schwöre, als wäre es gerade aus Versehen in eine riesige Schrottpresse gefahren und hätte seinen Fehler etwas zu spät bemerkt. Kann passieren, sollte man generell auch nicht zu hoch hängen, aber, so denke ich, blöderweise bin ausgerechnet in diesem Moment ich an Bord. Was die Angelegenheit irgendwie emotional werden lässt. Ich bin zweifellos ein Mann von stabiler Gelassenheit und geradezu sprichwörtlicher Angstresistenz und keinesfalls schnell zu beunruhigen. Aber gerade als ich laut schreiend „Wir werden alle sterben! Wir werden alle sterben!“ von Autotür zu Autotür rase und diese wahllos öffne oder schließe, je nach vorherigem Zustand, da öffnet sich die Bugklappe und ich sehe vor mir den Hafen von Trelleborg.

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