Kitabı oku: «Das geheimnisvolle Leben der Anna Schäffer»
Stefan Meetschen
Das geheimnisvolle
Leben der
ANNA SCHÄFFER
Mystikerin des Leidens
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Das geheimnisvolle Leben der
ANNA SCHÄFFER
Mystikerin des Leidens
Stefan Meetschen
© Media Maria Verlag, Illertissen 2020
Alle Rechte vorbehalten
eISBN 978-3-9479317-1-2
Inhalt
Prolog
1.Geburt und Kindheit (1882 bis 1893)
2.Frühe Dienste (1894 bis 1901)
3.Beginn der Leidenszeit (4. Februar 1901 bis Mai 1902)
4.In der Schule des Leidens (Mai 1902 bis Herbst 1910)
5.Außerordentliche Dinge (ab Herbst 1910 bis 1923)
6.Körperliche Qualen, Sterben und Tod (25. April 1923 bis 5. Oktober 1925)
7.Beerdigung und Verehrung
8.Umbettung der Gebeine und Eröffnung des Seligsprechungsprozesses (1976)
9.Verleihung des heroischen Tugendgrades (11. Juli 1995), Seligsprechung durch Johannes Paul II. (7. März 1999) und Heiligsprechung durch Benedikt XVI. (21. Oktober 2012)
10.Gebetserhörungen
Anna Schäffers Lebenslauf
Anmerkungen
Tipps zum Weiterlesen
Film/DVD
Websites
Prolog
Die Wendepunkte des Lebens – manchmal vollziehen sie sich mit spektakulärer Schroffheit, geradezu brutal. Der Wendepunkt im Leben der heiligen Anna Schäffer ereignete sich am 4. Februar 1901, als das damals 18-jährige Mädchen in einem Forsthaus in der Nähe von Ingolstadt arbeitete. Die typischen Hausarbeiten waren ihr aufgetragen worden. Da stellte sie fest, dass sich ein Ofenrohr gelöst hatte – über einem Waschkessel. So durfte es nicht bleiben, sie musste es reparieren. Doch was passierte? Anna Schäffer glitt »unglücklicherweise aus und rutschte mit beiden Beinen bis über die Knie in einen Kessel mit kochender Lauge«.1
Ihr Leben sollte von diesem Moment an anders verlaufen, als sie es sich ersehnt und erhofft hatte. Völlig anders. Doch Anna Schäffer willigte ein – in die Pläne Gottes, welche die Vernunft und die Maßstäbe des Menschen übersteigen. Nicht sofort, zunächst widerstrebend, doch dann ganz ergeben. Sie sagte »Ja« zu dem Weg, den Gott für sie bereitet hatte. Einem sehr harten Weg – 25 Jahre sollte Anna Schäffer im Bett verbringen, ihrer »Leidenswerkstatt«, wie sie selbst ihr Krankenlager bezeichnete, das mit vielen körperlichen Schmerzen und zahlreichen Entbehrungen verbunden war. Wie kann man das ertragen? Anna Schäffer setzte auf Ganzhingabe. Sie nutzte die Zeit, die ihr gegeben war, um ganz für Gott und die Menschen da zu sein. Mit zahlreichen Briefen antwortete Anna Schäffer denjenigen, die sich in ihrer Not an sie, die »Schreiner Nandl«, wie man sie in ihrem bayerischen Geburtsort nannte, wandten. Sogar bis nach Amerika ging die Post. Niemand, der sich an sie richtete, enttäuschte Anna Schäffer. Manchmal schmückte sie ihre Briefe sogar mit einem selbst verfassten Gedicht, in dem sie Gott die Ehre gab. Jesus, ihrem persönlichen Erlöser. Dem Heiland. Dazu nähte und stickte sie, was ihr neben einer kümmerlichen Frührente ein sehr bescheidenes Nebeneinkommen bescherte.
Leiden, schreiben, sticken – Anna Schäffer selbst hat diese drei einfachen Tätigkeiten, die ihr Leben ausfüllten, als ihre »drei Himmelsschlüssel« bezeichnet.2 Die Türöffner zur Ewigkeit.
Was das Schreiben betrifft, so besaß sie trotz ihrer elegantordentlichen Schrift, ihrer nüchtern einfühlsamen Worte keinerlei schriftstellerischen Ehrgeiz. Es war ein Dienst, der von Herzen kam und den sie mit Bescheidenheit, mit Demut ausübte. »Ich schreibe nur immer so, wie’s mir im Herzen ist. Was würde es nützen, wenn ich ganze Bücher schreiben würde und meine Seele wäre weit entfernt von dem Geschriebenen? Bleiben wir ganz klein in den Augen aller, das macht glücklich und bringt uns großen Herzensfrieden.«3
Eine passendere Einstellung für ein Buch über Anna Schäffer kann es eigentlich nicht geben. Ganz klein bleiben. Zumal bei einer Biografie wie dieser, die kein genialischer Wurf ist und sein kann, sondern sich so faktentreu wie möglich auf die Arbeit anderer Autoren und Forscher stützt, die in den vergangenen Jahrzehnten viel Zeit und Kraft auf die Durchleuchtung des Lebens dieser geheimnisvoll-verborgenen Heiligen investiert haben: von Friedrich Ritter von Lama bis Pfarrer Alfons Maria Weigl, vom Priester-Dichter Konrad Zoller bis hin zu Prof. Dr. Georg Schwaiger, die Anna Schäffer allesamt biografisch gewürdigt haben. Vor allem aber einem Mann verdankt dieses kleine Buch wesentliche Hinweise und Informationen: Prälat Emmeram H. Ritter, dem langjährigen Leiter der Abteilung Selig- und Heiligsprechungsverfahren in der Diözese Regensburg, der nicht nur die Briefe der Heiligen veröffentlicht, sondern auch eine umfassende Biografie verfasst hat, die rechtzeitig zur Heiligsprechung im Jahr 2012 erschienen ist. Fast 700 Seiten Lesestoff mit vielen interessanten Zeugnissen, Materialien sowie von Herzen kommenden bayerischen Anekdoten und Hintergrundinformationen. Ohne Prälat Ritters Buch wäre diese Biografie, in der das Wesentliche in chronologischer Ordnung ersichtlich werden soll, nicht möglich gewesen. Aber auch seinem Nachfolger im Amt, Domvikar Msgr. Georg Franz X. Schwager, gebührt als Herausgeber aktueller Werke von und zu Anna Schäffer ein besonderer Dank, gerade was die Schilderung des Ablaufs der Heiligsprechung und die zahlreichen Gebetserhörungen in jüngster Zeit betrifft. Denn was sehr wichtig ist: Das Kapitel Anna Schäffer ist nach erfolgreicher Selig- und Heiligsprechung keineswegs abgeschlossen. Vielmehr scheint ihr eigentlicher himmlischer Einsatz gerade erst begonnen zu haben, wie es auch eine offizielle Statistik belegt.
So ist das Ziel dieses Buches also ein kleines und doch auch ein großes: Das Leben Anna Schäffers, das fernab vom großen Treiben der Welt ablief, chronologisch und in möglichst realistischer Weise zu schildern. Auch wenn ihr Leben nach dem Unfall durch ihre jahrelange Bettlägerigkeit gezwungenermaßen handlungsarm war. Jedenfalls nach den üblichen Maßstäben, wie sie auch in der heutigen Action- und Event-Kultur gelten. Anna Schäffer wurde keine Missionarin, die ferne Länder bereiste, was sie ursprünglich ersehnt hatte, aber sie unternahm geheimnisvolle mystische Reisen, »Träume« – die sie nach Jerusalem oder auf die Schlachtfelder des Ersten Weltkriegs führten. Sie sah nicht die Metropolen Europas und der Welt, sondern blieb in ihrem engen Winkel zwischen Regensburg und Ingolstadt, doch im Laufe der Jahre wandten sich Menschen aus der ganzen Welt an sie. Anna Schäffer strebte nicht nach Ehre und Prominenz, doch ihr Dienst sprach sich herum – und gelegentlich suchten Persönlichkeiten aus allen Schichten der Gesellschaft bis hin zum bayerischen Königshaus und Persönlichkeiten aus Kirche und Medien ihre Nähe, ihr Gebet und ihren Rat. Sehr häufig waren es auch einfache Kinder, zu denen sie einen ganz natürlich-übernatürlichen Draht besaß.
Schön wäre es, wenn der Leser bei der Lektüre dieses biografischen Aufrisses das Gefühl hätte, ganz nah bei Anna Schäffer zu sein, sich trotz aller zeitlichen und räumlichen Distanz in der ersten Reihe ihres geheimnisvollen Lebens zu befinden, ihre Träume und ihr weiteres Wirken persönlich mitzuerleben. Vielleicht sogar zu spüren, dass diese Heilige, die das irdische Leben mit seinem ganzen bitteren Geschmack erfuhr, ohne selbst bitter zu werden, weiterhin da ist, weiterhin für die Nöte und Sorgen der Menschen offen ist. Mag sich das Leben heute mit Social Media und globaler Vernetztheit auch kolossal von ihrer damaligen Lebenswirklichkeit unterscheiden. Anna Schäffer selbst hat es versprochen: »Und werde ich einmal in der Ewigkeit drüben so glücklich sein, dahin zu gelangen, wo Jesus ist, dann werde ich euch allen eine rechte Fürbitterin sein!«
1. Geburt und Kindheit (1882 bis 1893)
Anna Schäffer kam in bescheidenen Verhältnissen zur Welt: am 18. Februar 1882 in dem Dorf Mindelstetten, das mitten in Bayern zwischen Regensburg und Ingolstadt liegt und »damals zum oberpfälzischen Bezirksamt Beilngries« gehörte und 529 Einwohner hatte.1 Genau um 7 Uhr morgens, an einem Samstag, kam sie zur Welt.2 Ihr Vater Michael Schäffer (1855–1896) war von Beruf Schreiner. Ihre Mutter Therese (1853–1928), geborene Forster, kümmerte sich um die religiöse Erziehung des Mädchens und ihrer Geschwister: Michael (1877–1927), Leopold (1880–1914), Kreszenzia (*1884), Katharina (1886–1966), Johann Baptist (*1888). Zwei weitere Geschwister verstarben früh: Jakob (1890–1890), Therese (1892–1893).3
Unmittelbar vor Annas Geburt hatten die Eltern ein kleines Bauernhaus erworben, bei dem auch eine Schreinerei eingerichtet wurde.4 »Das kleine bescheidene Haus bot der Familie ein echtes Zuhause. Es bestand aus einer Küche, die auch als Aufenthaltsraum diente, einer Schlafkammer für die Eltern, einem Abort in der damaligen Bauweise sowie der Schreinerei. Die Kinder schliefen im Dachgeschoss. Das Haus war in der damals in der Oberpfalz vorherrschenden Jurabauweise erbaut, das Dach gedeckt mit Kalkschieferplatten. Ein kleiner Vorgarten ergänzte den Besitz.«5
Emmeram H. Ritter hebt hervor: »Die Bewohner des Dorfes, meist in der Landwirtschaft tätig, lebten zum größten Teil in bescheidenen Verhältnissen an der Grenze zwischen Auskommen und der damals gewohnten Anspruchslosigkeit.«6
Auch bei Familie Schäffer war das Geld öfter knapp, sodass Annas Vater nebenberuflich als Musiker in Wirtshäusern auftreten musste. Dass er dabei auch hin und wieder einen über den Durst trank, versteht sich eigentlich von selbst.7 Die bayerische Wirtshauskultur hatte und hat schließlich nichts Asketisches an sich. Annas Mutter hingegen, so wird berichtet, war eine »äußerst sparsame, fleißige und geduldige Frau«, die sich um Anna kümmerte, wenn diese als Mädchen krank wurde, was offensichtlich gar nicht so selten der Fall war.8 So schrieb Anna Schäffer später einmal: »Der lb. Heiland hat mich schon in den Schuljahren manche schwere Krankheit verkosten lassen, sodass es oft schien, als stehe ich am Rande des Grabes. Und so kam immer ein Vorposten nach dem anderen, bis mich der Herr als junges Bäumchen in seinen Leidensgarten verpflanzte.«9
Waren ihre Noten in der Volksschule zunächst eher durchschnittlich, so entwickelte sich Anna Schäffer doch schon bald zu einer sehr guten Schülerin. Auf einem Foto, das sie als neunjähriges Schulmädchen zeigt, wirkt sie recht ernst und aufmerksam. Eine prüfende, schüchterne Beobachterin? »Anna tat alles, was man ihr anschaffte, und arbeitete flink und sauber. Eines aber mochte sie nicht: das Einkaufengehen oder fremde Häuser betreten. Sie betete gern, oft und viel, zog sich dabei in einen Winkel zurück, damit sie nicht gesehen werden konnte. Sie liebte innig das Jesuskind und verehrte vor allem die liebe Gottesmutter, den hl. Joseph und den hl. Nikolaus, den Patron der Pfarrkirche von Mindelstetten.«10
Am 12. April 1893 war der Tag von Annas Erstkommunion. Sie war damals elf Jahre alt. Die Art und Weise, wie sie diesen religiösen Festtag beging, ist erstaunlich. So berichtete ihre Schwester Katharina, dass Anna »ein schönes weißes Florkleid aus dünnem Seidengewebe« trug und »eine himmelblaue Schärpe«; der Versuchung der Eitelkeit vorbeugend, band sie sich aber auch Brennnesseln auf den Körper.11 Dazu verfasste Anna Schäffer ein Gebet, einen »Vorsatz«, den sie viele Jahre später erneuerte. Dieser Vorsatz wirkt wie ein frühreifes Manifest ihres außergewöhnlichen geistlichen Weges; so als hätte sie das ihr bevorstehende Leidensschicksal bereits damals schon geahnt oder es prophetisch vorwegnehmen wollen: »Vorsatz bei der ersten hl. Kommunion! O lieber guter Jesus, heute bei meiner ersten hl. Kommunion, weihe u. opfere ich Dir mein Herz u. meine Seele. Verlass mich nicht, o Du lb. Jesus, auf dieser Pilgerfahrt und mache mit mir, was Du willst; ich will auch immer recht brav sein u. folgen, damit ich Dir, o lb. Jesus, recht viele Freuden machen kann. Ich will Dir, o guter Papa Jesu, Sühne leisten; u. wenn Du willst, o guter Papa Jesu, lass mich ein Sühneopfer werden; für alle Unehre u. Beleidigungen, welche wider Dich, o guter Jesus […]. Dir empfehle ich auch, o guter Jesus, meine lb. Eltern und Geschwister […]. Ich empfehle Dir auch meinen guten Beichtvater, alle meine Freunde u. Feinde. Ich will brav sein u. folgen.«12
2. Frühe Dienste (1894 bis 1901)
Ein Jahr später, am 16. Juni 1894, empfing Anna Schäffer in Neustadt a. d. Donau das Sakrament der Firmung durch Ignatius von Senestrey (1818–1906), den damaligen Bischof von Regensburg.1 Ihr Berufswunsch stand bereits fest: Sie wollte Missionssschwester werden. Da sie von ihren Eltern die für einen Ordenseintritt nötige Aussteuer aber nicht erwarten konnte, blieb ihr nichts anderes übrig, als sich dieses Geld selbst zu erarbeiten. »Sie verließ als Dreizehnjährige nach Abschluss der Volksschule ihr Elternhaus in Mindelstetten und fand Arbeit bei der Homöopathin Antonie Eickermann in Regensburg, die in einem der Baron-Aufseß-Häuser wohnte und eine Heilanstalt für Hautkranke führte. Anna musste helfen, die Kranken zu pflegen. Es befanden sich dort meist an Schuppenflechte oder anderen Hautkrankheiten – vielleicht auch an Geschlechtskrankheiten – leidende Patienten. Trost und Zuflucht fand sie beim täglichen Besuch der hl. Messe um fünf Uhr früh in der Kapelle im Hof des Anwesens. Sie wurde so streng gehalten, dass sie nicht einmal ihren eigenen Bruder, der in Regensburg eine Schreinerlehre machte, besuchen durfte.«2
Streng und traurig begann auch das kommende Jahr, 1896. Annas Vater lag im Sterben. Da es sein Wunsch war, von seinen Kindern Abschied zu nehmen, machte sich Anna Schäffer im Januar 1896 auf den Weg nach Mindelstetten. Dort ereignete sich eine bemerkenswerte Begegnung: »Einen Tag vor seinem Ableben, am 24. Januar 1896, ging sie des Abends zusammen mit ihrer Schwester Kathi in die Kirche, um für den schwer leidenden Vater zu beten. Da sah sie plötzlich die Muttergottes, die öfter im Kreis ging, der im Boden aufgezeichnet war, und Anna freundlich zulächelte. Kathi, die eingeschlafen war, konnte Maria nicht sehen.«3 Als Anna Schäffer ihrer Mutter von dieser Erscheinung berichtete, bat diese sie, niemandem davon zu erzählen und auch sonst kein Aufheben davon zu machen. Klugheit oder angespannte Nerven? Man kann sich vorstellen, dass Anna Schäffers Mutter aufgrund des Gesundheitszustandes ihres Ehemannes während dieser Zeit wenig Sinn für Visionen hatte. Am Tag darauf starb Annas Vater an Lungentuberkulose.
Viel Raum für Trauer über den Verlust blieb Annas Mutter, Therese Schäffer, nicht. Sie musste nun schnell nach einem praktikablen Weg suchen, wie sie sich selbst und ihre vielen Kinder ernähren konnte. Die Lösung lag auf der Hand: Der älteste Sohn übernahm die Schreinerei und Anna musste in Mindelstetten bleiben, um – zumindest aushilfsweise – durch die Arbeit bei einem Bauern etwas Geld für die Familie dazuzuverdienen. Ein hartes Los. Dazu ein Rückschlag für ihre internationalen Pläne. Keine Aussteuer, keine Ordensberufung, ergo: keine Mission.
Erst im Herbst 1897 tat sich eine neue Perspektive auf, denn Mindelstetten bekam mit Karl Rieger (1862–1934) einen neuen Pfarrer. Dieser sensible und pflichtbewusste Geistliche erkannte nicht nur früh Anna Schäffers besondere Frömmigkeit, er förderte sie auch, indem er ihr eine Stelle in Landshut vermittelte. Vermutlich ab dem Beginn des Jahres 1898 arbeitete Anna Schäffer als Dienstmädchen bei Peter Cornelius, der später städtischer Schlachthofhallenmeister wurde, und seiner Ehefrau Maria.4 Hier in der Bergstraße 152, wo sie in einer kleinen Kammer wohnte, hatte Anna Schäffer ein weiteres mystisches Erlebnis, das sich in einem Traum zutrug, wie sie später in ihrem sogenannten »Traumbuch«, in dem sie wichtige Visionen festhielt, berichtet hat: »Im Juni 1898 hatte ich einen seltsamen Traum. Eigentlich bezeichne ich es als Traum, weil ich mich nicht anders hierüber auszudrücken vermag. Ich war noch nicht zu Bette gegangen und der Mond schien so hell in mein Kämmerlein. Ich betete mein Nachtgebet und es war 10 Uhr abends. Als ich bereits fertig war, wurde es auf einmal ganz dunkel um mich und ich fürchtete mich deshalb sehr. Auf einmal wurde es wieder so blitzeshell vor mir und es stand eine Gestalt vor mir. Dieselbe war angetan mit einem blauen Kleid und einem roten Überwurf, geradeso wie die Apostel angezogen waren oder wie ich schon oft auf Bildern die Abbildung Jesu, des Guten Hirten, sah. Er hatte auch einen Rosenkranz in der Hand, sprach auch zu mir vom Rosenkranzbeten und dass ich nicht 20 Jahre alt würde und dann müsst’ ich vieles, vieles leiden. Auch sprach jene Gestalt, dass ich viele Jahre vieles leiden muss, und sprach auch eine Zahl hiervon aus, die ich aber nicht mehr wusste, auch schon gleich nicht mehr, als die Gestalt verschwunden war, denn ich war vor Zittern und Furcht so erregt, und auch gleich darauf wusste ich vieles nicht mehr, was jene Gestalt noch alles gesagt hatte. Es war darauf wieder ganz hell, denn der Mond warf seinen milden Schimmer die ganze Nacht in mein Kämmerlein. Ich konnte die ganze Nacht fast nicht schlafen, weil mir jenes Gesicht immer im Kopfe war.«5
Beruhigte sich die 16-jährige Anna Schäffer bald danach wieder? Fand sie nach dieser Erscheinung, die sicher »mehr als ein Traum« (Alfons M. Weigl) war, Ruhe und Vertrauen? Nein. Sie packte ihre Sachen und kehrte zurück nach Mindelstetten. Unverzüglich. Solch einen Schrecken hatten ihr die Gegenwart Jesu und seine Botschaft eingejagt. Menschlich verständlich und ein sicheres Zeichen dafür, dass dieser Traum »real« war und keine bloße Träumerei. Doch wie sollte es nun weitergehen mit ihrem Plan, Missionsschwester zu werden? – Das Geld für die Aussteuer fehlte weiterhin. – Zunächst mit einem beherzten geistlichen Schritt: Anna Schäffer wurde Mitglied der Marianischen Jungfrauenkongregation in Mindelstetten und weihte ihr Leben der Jungfrau Maria. Dazu gebrauchte sie eine erhalten gebliebene »Angelobungsformel«. Diese lautet: »Heilige Maria! Mutter Gottes! Ich, Anna Schäffer von Mindelstetten, erwähle Dich heute zu meiner Schutzfrau und Fürsprecherin und nehme mir kräftig vor, Dich nie zu verlassen; auch will ich niemals zugeben, dass von meinen Untergebenen wider Dich oder Deine Ehre etwas getan oder geredet werde. Ich bitte dich daher recht innigst, nimm mich zu Deinem ewigen Diener an und steh mir bei in allem meinem Tun und Lassen, absonders aber verlasse mich nicht in der wichtigen Stunde meines Hinscheidens! Amen! Mindelstetten 1898.«6 Eine neue Stelle als Dienstmädchen fand sich auch bald, nämlich »beim Schlossverwalter Schuster in Sandersdorf nahe ihrer Heimat«.7
Doch lange blieb Anna Schäffer nicht auf dem Schloss. 1899 zog sie weiter nach Stammham, gut 140 Kilometer von Mindelstetten entfernt, in das Haus des Forstmeisters Anton von Kirschbaum. Hier sollte sich das Wort vom Leid, das Jesus ihr angekündigt hatte, erfüllen.
3. Beginn der Leidenszeit (4. Februar 1901 bis Mai 1902)
Es war Anfang Februar 1901, und für die Familie von Kirschbaum und die Mitarbeiter stand ein Waschtag auf dem Programm. Das verlangte eine intensive Vorbereitung. Zumal draußen viel Schnee und Eis war. »Im gemauerten Waschhaus unweit des Forsthauses wurde zunächst der Ofen eingeheizt und Wasser für den Waschkessel herbeigeschafft.«1 Das übernahm Anna mit ihrer Arbeitskollegin Walburga Kreuzer – am 4. Februar 1901. Was dann geschah, lässt sich folgendermaßen rekonstruieren: »Um die Wäsche einweichen zu können, hatte Anna vom etwa 20 Meter entfernten Brunnen Wasser herbeigeschleppt, während Walburga auf einem Tisch neben der Türe die Wäsche ordnete. Da löste sich nach einiger Zeit das Ofenrohr aus der Kaminöffnung. Sogleich stieg Anna als die Jüngere auf die circa 92 cm hohe, aber schmale Kesselummauerung, um das Rohr zu befestigen. […] Infolge der nassen Holzschuhe, die etwas aufgetaut waren, verlor Anna das Gleichgewicht und rutschte in die kochende Lauge des 45 cm tiefen Kessels. Ihre Mitwäscherin Walburga, die ihr den Rücken zugewendet hatte, hörte plötzlich einen markerschütternden Schrei, wandte sich um und sah Anna im brodelnden Waschzuber stehen. Entsetzt stürzte sie aus dem Waschhaus, laut um Hilfe rufend. Sie holte sodann den im Forsthaus wohnenden Kutscher Johann Dickel, der die arme Verunglückte aus dem Kessel heraushob.
Die Füße Annas waren bis an die Knie verbrüht, Körper und Arme durch den heißen Dampf mit zahlreichen Brandblasen bedeckt. In der Aufregung schütteten nun die durch die Hilferufe herbeigeeilten Bediensteten ihr noch ein Schaff kalten Wassers über die Füße. Dann wickelte man die sichtbaren Wunden Anna eilends in Leinwandstreifen, die mit Salatöl getränkt waren. Dann brachte man die Verletzte mit einem Pferdefuhrwerk ins sieben Kilometer entfernte Krankenhaus in Kösching. Als man sie dort hineintrug, fast um Mitternacht, ›schleiften verbrannte Fleischfetzen am Boden nach‹.«2
Anna Schäffer wurde in dem Krankenhaus für die damaligen Verhältnisse gut betreut, doch es half nichts. Das Fleisch an ihren Füßen faulte dahin. Was sollte man tun? Der Arzt entschied sich für eine Operation. Am 19. März 1901 schnitt er ihr »von den Knöcheln bis zu den Knien […] das Fleisch weg. Da Anna nicht chloroformiert wurde, sondern nur eine Dosis Morphium erhalten hatte, war sie nur wenig betäubt und schrie in furchtbaren Schmerzen. Allmählich gesellte sich ein schweres Magenleiden dazu, ein Geschwür, das der Arzt nicht erkannte. Eines Tages erwartete man von Minute zu Minute den Tod Annas. Der Pfarrer und der Kooperator von Kösching standen an ihrem Marterbett. Da plötzlich entleerte sich das Magengeschwür durch den Mund und langsam erholte sich das Mädchen.«3 Ihre Zeit war also noch nicht gekommen. Es warteten Aufgaben für Anna Schäffer. Leidensvoll, entbehrungsreich, so wie sie es sich am Tag der Erstkommunion gewünscht hatte. Und es warteten weitere Probleme auf sie. Schwierigkeiten, Schmerzen.
Denn: »Inzwischen waren die Tage abgelaufen, für die die Invalidenversicherung bezahlte. Nun sollte ihre arme Mutter die Kosten der Krankenhausbehandlung tragen. Da diese dazu nicht imstande war, wurde sie ins elterliche Haus nach Mindelstetten zurückgebracht. Hier behandelte sie der Pförringer Arzt Dr. Willibald Wäldin, ein Protestant, mit großer Hingabe und meist um Gottes Lohn. Er probierte es zunächst mit trockener Wundbehandlung, bis schließlich Eiter am Bett herablief. Nach einem Monat hatten sich an beiden Füßen große Blutblasen gebildet. Nun versuchte er es mit Verbänden, die er jeden zweiten Tag mit den anklebenden Blutkrusten abreißen musste. Auch essigsaure Tonerde und Salben halfen nichts. So ging es ein Vierteljahr weiter, ohne wesentliche Änderung oder gar Heilung.«4
Die nächste Station des medizinischen Martyriums: »Bald nahm sich die Invalidenanstalt wieder des armen Mädchens an. Es begann ihr Martyrium im Universitätskrankenhaus in Erlangen, wo erst recht alles versucht wurde, sie zu heilen. Mehrmals wurden ihr die Füße, Vorderfuß und Zehen gebrochen; ein Gipsverband wurde angelegt. […] Darunter faulten die Füße von Neuem. Der Assistenzarzt, der den Gipsverband nach einiger Zeit absägen sollte, ein Anfänger, sägte in den Fuß hinein, sodass eine neue Wunde entstand.«5 Annas Kommentar zu all dem Ungemach: »Wenn ich gekonnt hätte, ich wäre von Erlangen auf allen vieren nach Hause gekrochen.«6
Trost kam aus Mindelstetten von Pfarrer Rieger, der »das talentierte Mädchen« in dieser Zeit des Leidens seelsorgerlich nicht allein ließ. In einem Brief vom 4. Dezember 1901 versicherte der Geistliche, dass er täglich beim Messopfer für sie bete und die »Rosenkranzkönigin« um Fürbitte für Anna anrufe. In der Hoffnung auf vollständige Herstellung und Heilung sowie mit Realismus und Einsicht in die geheimnisvollen Wege Gottes: »Der allmächtige Gott sorgt auch für Dich und gerade denen, welche Gott lieb hat, schickt er Prüfungen. […] Wie viele Mädchen Deines Alters sind schon auf Erden unglücklich trotz ihrer Gesundheit; wie manche sogar schon in ihrer Verzweiflung ewig tot. Welch reiche Verdienste kannst Du Dir dagegen für die Ewigkeit sammeln und für diese Welt lass nur den lieben Gott und unsere heiligste Mutter Maria sorgen!«7
Verdienste für die Ewigkeit. Das war gut gemeint, doch für einen jungen Menschen, der eine solch schmerzvolle Schocktherapie absolvieren musste, war das Leid, das Anna Schäffer zugemutet wurde, nicht leicht zu tragen. »Endlich«, so schreibt Emmeram H. Ritter, »brachte eine Salbe etwas Erleichterung und sie bekam einen Zinkleimverband. Nach anderthalb Jahren war sie so weit hergestellt, dass sie mühsam humpelnd wieder gehen konnte und nach Hause entlassen wurde. Sogleich wurde sie von ihrer Dienstherrschaft in Stammheim eingeladen zu kommen, aber nicht zur Arbeit, sondern zur Erholung durch Ruhe und bessere Verpflegung im Forsthaus. Doch lange hielt es Anna als müßige Kostgeherin nicht aus. Sie wollte arbeiten, sich dankbar erweisen. Bald hatte sie Gelegenheit dazu, weil die Köchin des Hauses ihren Dienst aufgesagt hatte. Sie trug immer noch den Zinkleimverband, der ihr in Erlangen angelegt wurde. Als sie eines Tages einen Eimer Wasser über die Stiege hinaufschleppte, wurde durch den Verband Eiter sichtbar. Damit endete ihr letzter Versuch, mit zusammengebissenen Zähnen den gewöhnlichen Weg eines materiell bettelarmen Mädchens zu gehen. Der Versuch war gescheitert.«8