Kitabı oku: «Goschamarie Mofacup»
Goschamarie
Mofacup
Der vierte Taldorf-Krimi
Impressum
Texte: © Copyright by Stefan Mitrenga 2021
Umschlaggestaltung: © Copyright by Stefan Mitrenga 2021
Korrektur: Claudia Kufeld, Kierspe
Verlag:
Stefan Mitrenga
Bodenseestraße 14
88213 Ravensburg
Druck: epubli – ein Service der neopubli GmbH, Berlin
Vorwort
Es liegt wohl in der Natur des Menschen, verträumt an vergangene Zeiten zu denken. „Damals war alles noch besser“, hört man dann gerne. So ist es auch mit der legendären Goschamarie. Bis heute schwelgen viele in Erinnerungen an urige Abende in Taldorf mit riesigen Vespertellern und Schnaps aus Sprudelgläsern.
Durch ihre kernige Art und ihre zotigen Sprüche war die Wirtin im weiten Umkreis bekannt. Wer zur Goschamarie ging und von ihr nichts zu hören bekam, war fast schon enttäuscht.
„Wie, du willsch a Glas … wa bisch du fier an feina Pinkel?“
Einer ihrer Klassiker.
„Jetzt zahlet ihr mol und ganget, jetzt kommet nämlich räete Gescht!“
Für die Betroffenen nicht immer angenehm, aber auf jeden Fall unterhaltsam und wert, es weiter zu erzählen.
Auch in diesem Buch hole ich die gute alte Zeit ins Jetzt und Heute. Mit Euro, Smartphone und Hefe-Russ.
Zugleich widme ich dieses Buch einem ganz besonderen Ereignis. 2006 veranstaltete der Musikverein Taldorf, im Rahmen seines alljährlichen Gartenfestes, den ersten Goschamarie Mofacup. Die Resonanz war überwältigend und so fand der Mofacup fortan jedes Jahr statt, bis die Pandemie für eine Zwangspause sorgte.
Mit dieser Geschichte findet 2021, wenigstens auf dem Papier, ein Mofacup statt und ich hoffe, dass im nächsten Jahr die Zweitakter wieder durch Taldorf knattern.
Die nachfolgende Geschichte ist frei erfunden, auch die Personen
und ihre Handlungen. Eventuelle Ähnlichkeiten zu lebenden
Personen sind rein zufällig!
Vorspiel
Es war einmal …
Es war einmal vor langer, langer Zeit ein Bauer, der mit Fleiß und Hingabe seinen Hof führte. Er kümmerte sich liebevoll um seine Tiere und arbeitete unermüdlich. Schon vor dem Morgengrauen verließ er das Haus, erst im Dunklen kehrte er zurück. Seine harte Arbeit zahlte sich aus und sein Reichtum mehrte sich mit jedem Jahr. Doch der
Bauer war nicht glücklich. Seine Eltern waren vor Jahren bei einem Unglück ums Leben gekommen, seitdem war er allein. Er sehnte sich nach Gesellschaft, Liebe und Anerkennung, doch ließ ihm die Arbeit dafür keine Zeit.
Eines Morgens erwachte er mit einem seltsamen Ziehen im Bauch und musste sich kurz darauf heftig übergeben. Geschwächt setzte er sich in sein Auto und machte sich auf den Weg zur Creszenz. Der Bauer hegte ein tiefes Misstrauen gegenüber Ärzten und nahm daher gern die Dienste der Gesundbeterin in Anspruch. Er war selten krank, doch bei den wenigen Malen hatte die alte Creszenz ihm immer helfen können. So auch diesmal. Nachdem sie ihm kurz zugehört hatte, griff sie zu ihrem Rosenkranz und murmelte ein kurzes Gebet. Fast Augenblicklich verschwand das Ziehen in seinem Bauch und auch die Übelkeit.
Ob es ihm denn sonst gutginge, erkundigte sich die Alte und der Bauer gestand ihr wehmütig seine Sehnsucht nach Gesellschaft. Dafür hatte auch die alte Creszenz keinen Spruch, versprach aber, ihn in ihre Gebete aufzunehmen.
Nun muss man wissen, dass Creszenz nicht nur die Begabung zum Gesundbeten besaß, sie hatte oftmals auch sehr lebendige Träume, in denen ihr Dinge angekündigt wurden. Nur wenige Tage nach dem Besuch des Bauern hatte sie einen solchen Traum und suchte ihn auf. „Du musst am Samstag Blumen kaufen“, teilte sie ihm mit. „Kaufe einen Strauß Margeriten und bezahle sie ausschließlich mit Münzgeld.“
Der Bauer war verwundert, aber er tat wie ihm geheißen. Er fuhr in den Blumenladen im nächsten Dorf und äußerte seinen Wunsch. „Was für eine ungewöhnliche Wahl“, bemerkte die Gärtnerin. „Da schicken wir die Agnes. Die kümmert sich um die Margeriten.“
Als Agnes kurz darauf einen Korb voller langstieliger Margeriten brachte und sie gekonnt zu einem Sträußchen band, konnte der Bauer seinen Blick nicht von ihr abwenden. Noch nie hatte er so eine hübsche Frau gesehen. Ihre blauen Augen strahlten wie Diamanten, umrahmt von einem wunderschönen Gesicht, das mit tausenden Sommersprossen gesprenkelt war. Als er bezahlen wollte, zog er seinen Geldbeutel so ungeschickt aus der Tasche, dass der kleine Druckknopf aufsprang und das Münzgeld klimpernd zu Boden fiel. Er kniete sich hin und grabschte nach den Münzen. Als Agnes ihm helfen wollte, stießen ihre Köpfe aneinander und für einen wundervollen Moment, schien die Zeit still zu stehen. Ohne ein Wort sahen sie sich in die Augen. Der Blick währte ewig, war aber doch viel zu schnell vorbei. Beide spürten, dass in diesem Moment etwas Magisches passiert war. Von diesem Tag an kaufte der Bauer jeden Tag Margeriten, die Agnes ihm liebevoll arrangierte. Es dauerte noch ein paar Wochen bis er ihr seine Liebe gestand und Agnes bat seine Frau zu werden. Es verging nicht mal ein Jahr, bis im Dorf die Hochzeitsglocken läuteten und ein rauschendes Fest gefeiert wurde.
Der Bauer war glücklich. Endlich nicht mehr allein, ging ihm die harte Arbeit noch leichter von der Hand. Wenn er abends heim kam, erwartete ihn ein leckeres Essen und eine liebende Frau. So vergingen Wochen, Monate und Jahre. Doch irgendwann wurden beide unruhig, da sich trotz heftiger Bemühungen kein Nachwuchs ankündigte. Sie besuchten die besten Ärzte, aber keiner konnte ihnen helfen. Da erinnerte sich der Bauer an die alte Creszenz. Er erzählte ihr von ihrem Pech und bat um Hilfe. Wenige Tage später kam sie auf seinen Hof und berichtete von einem weiteren Traum: „Wenn ihr beim nächsten Vollmond beieinander liegt, wird das nicht ohne Folgen bleiben.“
Agnes und der Bauer befolgten die Anweisung der Alten und was niemand mehr für möglich gehalten hätte, geschah: Agnes wurde schwanger.
Sie gebar ein gesundes Mädchen, Andrea, das auf wunderbare Weise die besten Eigenschaften seiner Eltern in sich trug: die Schönheit und Güte seiner Mutter, sowie die Beharrlichkeit und den Fleiß seines Vaters. Sie wuchs zu einer wunderschönen Frau heran und half ihren Eltern, wann immer sie konnte, auf dem Hof. Als sie älter wurde, besuchte sie die Landwirtschaftsschule und überreichte ihren Eltern eines Tages ihr perfektes Abschlusszeugnis.
„Ich werde auf dem Hof bleiben und ihn später auch fortführen, doch möchte ich euch um eines bitten: gebt mich für ein Jahr frei, um die Welt zu entdecken. Danach kehre ich zurück und bleibe für immer.“
Schweren Herzens willigte das Bauernpaar ein und ließ seine Tochter ziehen. Ihr Weg führte Andrea in die entferntesten Länder der Welt und mindestens einmal in der Woche schickte sie einen langen Brief in die Heimat. Sie berichtete von den Menschen, den Bauwerken, dem Essen, dem Wetter … und von Steffen, dem deutschen Studenten, den sie kennengelernt hatte. Anders als ihre Eltern benötigte Andrea nicht die Hilfe der alten Creszenz, um schwanger zu werden und so schrieb sie irgendwann in einem ihrer Briefe, dass sie die Liebe ihres Lebens gefunden habe und verheiratet sei.
Natürlich waren die Eltern bestürzt und voller Angst, doch als Andrea mit dickem Bauch und frisch angetrautem Ehemann endlich heimkehrte, war die Freude groß. Der unerwartete Schwiegersohn wurde herzlich in die Familie aufgenommen und überraschte alle durch sein Geschick in der Landwirtschaft. Er hatte Jura studiert, nahm aber nur eine Teilzeitstelle in einer Kanzlei an, so dass er in der freien Zeit auf dem Hof helfen konnte. Auf das erste Kind, eine Tochter, folgte schnell ein Sohn und bescherte dem Hof einen zukünftigen Erben. Der alte Bauer war überglücklich und verbrachte viel Zeit mit seinen heranwachsenden Enkeln. Doch Glück ist ein vergängliches Gut. Eines Tages klagte seine Frau über Schmerzen und ging zum Arzt, der keine guten Nachrichten hatte. Auch die alte Creszenc vermochte nicht zu helfen und so läuteten wenige Wochen später die Kirchenglocken, als Agnes zu ihrer letzten Ruhe gebettet wurde.
Der Bauer verfiel in tiefe Trauer und kam Wochenlang nicht aus seinem Zimmer. Erst seine Enkel, die sich immer wieder heimlich zu ihm schlichen, holten ihn zurück ins Leben. Er spielte mit ihnen und machte mit ihnen Ausflüge in den Wald. Besonders liebten die Kinder seine Schatzsuchen, die er mit viel Aufwand für sie plante. Er trauerte noch immer um seine große Liebe, doch er entschied sich für das Leben und seine Familie. Der Bauer kümmerte sich liebevoll um die Kleinen, während Andrea mit ihrem Mann Steffen den Hof umtrieb. Abends war der alte Bauer so müde, dass er häufig in seinem Sessel vor dem Kamin einschlief. Es machte ihm nichts aus, da in seinem Bett niemand auf ihn wartete. Und wieder verging die Zeit und mit ihr verging auch seine Trauer.
Eines Morgens stand der Bauer auf dem Balkon und beobachtete seine Enkel, die im Garten herumtollten. Er lächelte. Er war tief zufrieden und bereit das Leben, das vor ihm lag, anzunehmen. Sie alle waren glücklich.
Ein Märchen würde an dieser Stelle mit den Worten enden: „… und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.“ Doch leider ist diese Geschichte alles andere als ein Märchen.
1
„Jetzt komm schon Walter … stell dich nicht so an!“
Walter starrte auf den Löffel, der vor seiner Nase schwebte und presste die Lippen zusammen.
„Ach bitte, nur noch diesen einen Löffel.“
Walter drehte demonstrativ den Kopf weg und ruderte mit den Armen.
„Jetzt werd ich aber gleich böse … los jetzt: mach den Mund auf!“
Der Löffel kam nun bedrohlich nahe, doch Walter konnte nicht weiter ausweichen, da sein Kopf hinten schon an die Stuhllehne stieß. Dann berührte der Löffel auch noch seine Lippen und versuchte gewaltsam in seinen Mund einzudringen. Walter zog eine Schnute und ließ seine Arme kreisen, doch der Angreifer blieb hartnäckig.
„Los. Verdammt nochmal! Mund auf!“
Walter lief rot an, presste die Augen zu und öffnete endlich den Mund.
„Buuuhääää! Buuuuuuuhäääää!“, brüllte er und dicke Krokodiltränen liefen ihm übers Gesicht.
„Elmar, was machst du denn mit unserem kleinen Walter?“
Anne stürmte ins Zimmer und hob den schreienden Walter aus dem Kinderstuhl. Sofort hörte er auf zu schreien und kuschelte sich schluchzend an den Hals seiner Mutter.
„Er will einfach nicht essen“, verteidigte sich Elmar. „Der Arzt hat doch gesagt, dass er etwas zu wenig wiegt, aber wie soll er zunehmen, wenn er nichts isst?“
Anne streichelte Walter den Hinterkopf und wiegte ihn sanft hin und her.
„Dann probieren wir es in ein paar Minuten eben nochmal. Wenn der kleine Mann gerade keinen Hunger hat, kann man das doch nicht erzwingen.“
Walter war jetzt acht Monate alt. Er war am Dreikönigstag zur Welt gekommen und erlebte gerade seinen ersten Sommer. Er konnte stundenlang in seinem Laufstall auf der Terrasse sitzen und die Vögel beobachten, die in den angrenzenden Büschen herumhüpften. Die ersten Wochen hatte er seinen Eltern das Leben zur Hölle gemacht und war alle drei Stunden aufgewacht. Erst seit einem Monat schlief er die Nacht durch.
Elmar fuhr sich entnervt durch die Haare. „Das musst du dann aber übernehmen. Ich muss gleich los zum Zeltaufbau. Bin eh schon zu spät dran.“
„Die anderen haben sicher Verständnis für einen jungen Vater. Da läuft eben nicht immer alles nach Plan.“ Anne legte den gehäuften Löffel auf das Tischchen an Walters Kinderstuhl und zog ihn sanft von ihrer Schulter weg. Sie drehte ihn herum und setzte ihn auf ihren Schoß, so dass er Elmar gegenübersaß. Sofort zog er die kleine Stirn in Falten.
„Ich glaube, er mag mich heute nicht“, resignierte Elmar. „Ich gehe besser, bevor er wieder heult!“
Elmar nahm sein Handy vom Tisch und war im Begriff aufzustehen, als Walter seine Arme hochriss und mit einem Juchzer wieder fallen ließ. Mit der Präzision eines Scharfschützen traf er den Stiel des Plastiklöffels, der seine breiige Füllung wie ein Katapult auf Elmars Hose schleuderte.
„Ja so eine Scheiße“, rief Elmar und sprang auf.
„Keine bösen Wörter vor unserem Kind“, tadelte ihn Anne. „Das hat er doch nicht mit Absicht gemacht.“
Elmar hätte ihr gern geglaubt, doch das fröhliche Lachen auf Walters Gesicht ließ ihn etwas anderes vermuten.
„Bamm! Bamm!“, lautmalte Walter und wiederholte die Armbewegungen, die ihm gerade so viel Freude bereitet hatten. Kopfschüttelnd ging Elmar ins Schlafzimmer und fischte eine frische Hose aus dem Kleiderschrank.
„Weißt du bis wann du wieder da bist?“, erkundigte sich Anne.
„Das dauert schon ein bisschen. Und hinterher … ähm … also …“
„Du willst noch in die Wirtschaft“, vollendete Anne den Satz. „Ist schon okay. Ich wollte heute sowieso noch eine alte Folge vom Bergdoktor anschauen.“
Elmar verzog das Gesicht. Er mochte die Filme nicht.
„Sag allen liebe Grüße von mir“, rief Anne ihm hinterher. „Und wenn du schon in der Wirtschaft bist, bring ein Rauchfleisch mit. Ich hatte schon lange keins mehr.“
Die Tür fiel ins Schloss und Anne hob Walter zurück in den Kinderstuhl. „Dann probieren wir beide das nochmal …“ Sie füllte Brei auf den Plastiklöffel. „Da kommt was Leckeres für unseren kleinen Walter …“ Der Löffel näherte sich und Walter riss begierig den Mund auf. Eine Ladung nach der anderen verschwand ohne Kleckern.
„Na also. Geht doch.“
2
„Jetzt komm schon Walter … stell dich nicht so an!“
Walter starrte auf den Löffel, der vor seiner Nase schwebte, und presste die Lippen zusammen.
„Ach bitte, nur noch diesen einen Löffel.“
Walter drehte demonstrativ den Kopf weg und ruderte mit den Armen.
„Jetzt werd ich aber gleich böse … los jetzt: mach den Mund auf!“
Walter überlegte verzweifelt, wie er dieser Attacke auf seine Geschmacksnerven entgehen konnte. Was Essen anging, war er bestimmt nicht heikel, aber alles hatte seine Grenzen.
„Ich hasse dieses Zeug“, brachte er hervor und verzog das Gesicht. „Ich weiß nicht, wer sich sowas ausgedacht hat. Sicher jemand, dem der Geschmackssinn abhandengekommen ist.“
Liesl zog den Löffel zurück und machte einen Schmollmund.
„Also gut … wer nicht will, der hat schon.“
Übertrieben genüsslich schob sie das Stück Sushi in den Mund und brummte zufrieden. „Glaubst du wirklich, über einhundertzwanzig Millionen Japaner leiden an Geschmacksverirrung?“
Ja, genau das glaubte Walter. Was war toll daran, rohen Fisch in pappigen Reis zu drücken und in ein Algenblatt einzurollen? Es schmeckte bestenfalls nach gar nichts, meist aber etwas fischelig nach Brackwasser. Pfui.
„Geschmäcker sind halt verschieden“, erwiderte Walter diplomatisch und scharrte unauffällig mit dem Fuß, um das vorherige Stück Sushi, das er in der Hoffnung, dass Balu es fressen würde, unter den Tisch hatte fallen lassen. Der Wolfsspitz hatte nur kurz daran geschnüffelt und sich beleidigt auf die Terrasse verzogen.
„Und so gesund kann das gar nicht sein. Überleg doch mal, warum die Japaner alle so klein sind … das könnte doch auch von diesem Zeug hier kommen.“
„Jetzt redest du aber Blödsinn“, lachte Liesl. „Gib mir deins rüber. Ich mache dir den Rest Spaghetti von gestern warm.“
Es war einer ihrer Versuche gewesen, Walters kulinarische Welt zu erweitern. Nicht, dass er sich schlecht ernährte, aber sie fand, dass Rauchfleisch, Braten und Spätzle nicht der Sockel der Ernährungspyramide sein sollten. Bei Salat und Gemüse hatte sie Walter bekehren können, wenn sie auch geschickt mit Dressings und Saucen hantieren musste, um es ihm schmackhaft zu machen.
Liesl hatte vor einiger Zeit das kleine Haus am Rand von Taldorf von ihrer Tante geerbt. Nach einer gründlichen Sanierung war sie eingezogen und hatte Walter kennengelernt. Schnell waren sie von Nachbarn zu Freunden geworden und irgendwann auch ein Paar. Ihre Häuser lagen dicht beieinander und sie verbrachten viel Zeit miteinander, doch die Idee zusammenzuziehen und eines der Häuser zu vermieten, war nie aufgekommen. Beide genossen die Rückzugsmöglichkeit in den eigenen vier Wänden. Unter der Woche, wenn Walter mitten in der Nacht aufstehen musste, um die Zeitungen im Dorf auszutragen, schliefen sie getrennt, um so mehr freuten sie sich auf die Wochenenden.
Liesl rührte in den Spaghetti und trug den dampfenden Topf zum Tisch. „Sie stellen nachher das Zelt auf. Schauen wir uns das an?“
„Natürlich“, sagte Walter mampfend und verbrannte sich die Zunge an der heißen Sauce. „Das kann ich mir doch nicht entgehen lassen, wenn hier schon mal was los ist.“
Mit dem Neubau des Musikheims neben Walters Haus, zog auch das Taldorfer Gartenfest ins Hinterdorf um. Dort war mehr Platz und die Verantwortlichen versprachen sich mehr Besucher und dadurch höhere Einnahmen. Die Hauptattraktion sollte ein Mofarennen am Samstagabend werden. Man hatte sich bewusst gegen einen fröhlichen Tanzabend entschieden, da selbst die guten Partybands überall mit rückläufigen Besucherzahlen kämpfen mussten. Das Planungsteam hatte die ruhige Zeit des Corona-Lockdowns genutzt und ein perfektes Motorsportevent geplant, bis hin zu einem ausgeklügelten Regelwerk und einer strengen Kontrolle der teilnehmenden Fahrzeuge. Walter hatte seine Bedenken was die Besucherzahlen anging. Wer hatte Interesse an stinkenden Zweitaktmaschinen, die in beschaulichem Tempo zwei Stunden im Kreis fuhren? Am nächsten Wochenende würde diese Frage beantwortet werden.
Walter und Liesl liefen die wenigen Meter bis zum neuen Festplatz. Ein LKW parkte auf der Straße. Auf seiner Ladefläche waren Aluelemente verzurrt, die, nachdem sie zusammengesetzt waren, das Gerippe des Zeltes bilden würden. Über fünfzig Musikanten standen in Arbeitskleidung bereit, um beim Aufbau zu helfen.
„Das sieht aber nicht nach Arbeitskleidung aus“, rief der Alte (wie der Vorstand des Musikvereins genannt wurde, obwohl er eigentlich Alex hieß).
„Ich wusste nicht, dass ich … ähm … also, dass ich …“, stammelte Walter, wurde aber vom Vorstand unterbrochen. „War doch nur ein Scherz. Wir haben mehr Helfer, als wir brauchen. Das geht ganz fix. Das da hinten ist der Zeltmeister.“ Der Alte zeigte auf einen hageren Mann in zerschlissenen Arbeitshosen, der gestikulierend eine Gruppe Musiker in ihre Aufgaben einwies. „Ich geh da auch mal hin“, verabschiedete sich der Vorstand und gesellte sich zu den anderen Freiwilligen.
„Es gibt einen Zeltmeister … uuuuh“, lästerte Liesl und kicherte. „Wo verdient der sonst sein Geld? Auf einem Campingplatz?“
„Das wird schon seinen Grund haben“, sagte Walter mit einem Blick auf die Alustangen, die jetzt abgeladen wurden. Sie waren länger, als er es sich vorgestellt hatte. Der Aufbau war wohl doch aufwendiger als bei einem gewöhnlichen Zwei-Mann-Zelt.
Die ersten Segmente wurden unter Anleitung des Zeltmeisters verbunden und schnell bekam man eine Vorstellung von der Größe des fertigen Zeltes.
„Das wird riesig“, sagte eine Stimme hinter Walter, der sich umdrehte und den alten Mann begrüßte, der mit seinem Stock auf ihn zu humpelte. „Panky! Schön dich zu sehen. Mit sowas kann man dich also von deinem Hof runterlocken?“
Pankratz Wagner, der von allen nur „Panky“ genannt wurde, war der Altbauer eines Hofes im Hinterdorf. Seine Tochter und ihr Mann bewirtschafteten den Hof, doch Panky half noch immer, wo er konnte. Seine siebenundsiebzig Jahre sah man ihm nicht an. Es gab fünfzigjährige, die schlechter aussahen. Der Stock an dem er ging, war einer Arthrose im rechten Knie geschuldet. Die Ärzte hätten ihm gerne ein neues Gelenk eingesetzt, doch Panky hatte wenig Vertrauen in die „Herren in weiß“, wie er sie nannte.
„Ich bin mehr unterwegs, als du denkst“, reagierte er auf Walters Anspielung. „Nur weil ich nicht jeden Abend bei der Goschamarie sitze, bin ich noch lange kein Einsiedler.“
„Das ist übrigens meine Freundin“, stellte Walter Liesl vor, da die beiden sich noch nicht kannten.
Liesl streckte die Hand aus. „Es freut mich Sie kennenzulernen“, sagte sie freundlich. „Ich bin die Liesl!“
Der alte Mann hielt ihre Hand fest umklammert und zog sie näher an sich. „Freut mich! Ich bin Panky und nenn mich bitte auch so. Und das „Sie“ kannst du auch gleich vergessen.“
„Okay, Panky. Dann freut es mich noch mehr, dich kennenzulernen.“
Bevor sie sich weiter unterhalten konnten, wurden sie von Elmars Fliesenlegerbus von der Straße gehupt.
„Sorry, bin spät dran“, rief er zum geöffneten Fenster hinaus und schleuderte eine halbgerauchte Lord ins Gras. „Walter hat mich mal wieder aufgehalten. Wollte einfach nicht essen, der kleine Sturkopf.“
Walter grinste. Er liebte den kleinen Kerl, dessen Namensgeber er war. „Tja, mit den Walters ist es nicht immer einfach.“
Elmar blickte ihn grimmig an.
„Du hast da übrigens was“, wies ihn Walter auf ein paar orangefarbene Punkte auf seiner Stirn hin. Elmar wischte mit seinem Ärmel darüber und seufzte. „Spritzer vom Babybrei, den ich nicht in ihn reinbekommen habe. Für sein Alter weiß er schon sehr gut, wie er sich wehren muss.“
Der Vorstand hatte Elmar entdeckt und winkte ihn zu sich.
„Da geh ich jetzt besser hin. Ach Walter – ich gehe nachher noch zur Goschamarie. Kommst du auch?“
Walter antwortete mit einem gereckten Daumen und nahm Liesl in den Arm. „Sollen wir uns den Rest vom Garten aus anschauen? Ohne Schatten wird es mir jetzt doch zu heiß.“
Es war das erste Augustwochenende und die Sonne brannte unbarmherzig auf sie herab.
„Wenn du ein Bier ausgibst, folge ich dir überall hin“, flötete Liesl und hakte sich bei Walter unter. Sie verabschiedeten sich von Panky, der das Geschehen weiter beobachtete und gingen in Walters Garten. Unter dem großen Sonnenschirm öffneten sie zwei Flaschen Bier und sahen zu, wie die Giebelseite des Festzeltes aufgerichtet wurde.
„Das ist ja ein riesiges Zelt“, knurrte Balu. Der Wolfsspitz lag mit Kitty, der Tigerkatze, im Schatten der alten Jostabüsche am Rand der Terrasse. Kitty gehörte eigentlich zur Wirtschaft, doch Balu und sie waren beste Freunde und verbrachten viel Zeit miteinander. „Ich bin gespannt, ob wirklich so viele Leute kommen. Wenn ich das Zelt anschaue, sind die Erwartungen wohl recht hoch.“ „Ist mir egal“, sagte Balu ärgerlich. „Hauptsache, es ist bald vorbei. Dieses nervige Zweitaktgeschnatter halte ich nicht mehr lange aus.“ Als bekannt geworden war, dass beim Gartenfest ein Mofarennen stattfinden sollte, war im weiten Umkreis das Mofafieber ausgebrochen. Wer noch irgendwo eines herumstehen hatte, versuchte es zum Laufen zu bringen, wer keines hatte, versuchte sein Glück bei ebay-Kleinanzeigen. Die Preise für gebrauchte Fahrzeuge gingen durch die Decke, bis am Ende gar keins mehr zu bekommen war. Seitdem verbrachten die stolzen Mofabesitzer viel Zeit damit, ihre Fahrzeuge herzurichten und renntauglich zu machen. Längst verloren geglaubtes Jugendwissen über das „Frisieren“ wurde reaktiviert, was den kleinen Motoren mitunter zu erheblichen Leistungssteigerungen verhalf. Natürlich musste das auch getestet werden und so knatterte zu fast jeder Tages- und Nachtzeit irgendwo ein Mofa durch Taldorf. „Da kommt schon wieder einer!“ Balu zeigte mit der Schnauze auf die Straße, auf der ein viel zu kleines Mofa mit einem viel zu großen Fahrer angerast kam. Der Rahmen war schwarz und die Felgen rot lackiert. Der Motor drehte am Anschlag. Dann ein lauter Knall und plötzliche Stille. „Der hat noch einiges zu tun“, stellte Kitty fest. „Hast du gehört, wie laut der allein schon war? Ich denke, ich werde beim Rennen nächsten Samstag nicht hier sein. Dann sind es fünfundvierzig von diesen Dingern, die Lärm machen. Das halte ich nicht aus.“„Da bin ich ganz deiner Meinung“, pflichtete Balu bei. „Wir könnten die Nacht bei Chiara verbringen und am nächsten Morgen ist alles vorbei.“Chiara war eine hübsche Border Collie Hündin und Balus Freundin. Sie lebte bei Walters Freund Georg nur ein paar Minuten Hundegalopp entfernt. „Ich weiß genau, was du bei Chiara willst“, grinste die Tigerkatze. „Aber mir soll’s recht sein. Hauptsache, wir entgehen dem Trubel. Vielleicht könnt ihr euch ja ein bisschen zurückhalten.“Balu verzichtete auf eine Antwort und beobachtete ein weiteres Mofa, das den Weg von Hütten her ins Tal hinunter raste. Als das Hinterrad blockierte, sah es erst so aus, als könnte der Fahrer das Gleichgewicht halten, doch dann schlingerte das Mofa heftig und der Fahrer wurde in den Graben geschleudert. „Autsch!“, kommentierte Kitty. „Autsch!“, stimmte Balu zu.