Kitabı oku: «Dantes Theologie: Beatrice»
Stefan Seckinger
DANTES THEOLOGIE: BEATRICE
Herausgegeben vonKarl-Heinz MenkeJulia KnopMagnus Lerch |
Bonner Dogmatische Studien Band 57
Stefan Seckinger
DANTES THEOLOGIE: BEATRICE
Die Liebe als Zielgrund
menschlichen Strebens
in der Divina Commedia des Dante Alighieri
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© 2015 Echter Verlag GmbH
Umschlaggestaltung: Peter Hellmund
ISBN 978-3-429-03809-0 (Print)
ISBN 978-3-429-04799-3 (PDF)
ISBN 978-3-429-06215-6 (ePub)
Vorwort
Die vorliegende Untersuchung wurde im Sommersemester 2014 vom Fachbereich Kultur- und Sozialwissenschaften der Universität Koblenz-Landau als Dissertation zur Erlangung des akademischen Grades eines Doktors der Philosophie angenommen. Die Disputation erfolgte am 16. September 2014.
Danken möchte ich an dieser Stelle Herrn Prof. Dr. Karlheinz Ruhstörfer und Frau Prof. Dr. Kirsten Dickhaut.
Für Beatrice
Inhalt
Hinführung
1Die Divina Commedia als theologisches Werk
1.1Die theologische Fragestellung
1.2Abgrenzung zu nichttheologischen Zugängen
1.3Aufriss der Interpretationsmöglichkeiten der Bedeutung Beatricens
1.4Die Divina Commedia im Horizont aktueller theologischer Fragestellungen
1.5Dantes Divina Commedia als Anregung, Theologie existentiell als Beziehungsgeschehen zu verstehen
1.6Hermeneutik und Symbolgehalt theologischer Aussagen
1.7Die Eschatologie als hermeneutischer Schlüssel aller Theologie
1.8Das Christentum und seine eschatologische Ausrichtung
1.9Ewigkeit als Realität oder Fiktion – Aufriss eines ›theologischen Konstruktivismus‹
1.9.1Zum Grundverständnis des Konstruktivismus
1.9.2Die Divina Commedia vor dem Hintergrund des Konstruktivismus
1.9.3Der Konstruktivismus als Hermeneutik der Eschatologie ?
1.9.4Eine Eschatologie des ›Als Ob‹ ?
1.10 Hermeneutik in konstruktivistischer Perspektive als Bezugsrahmen der theologischen Interpretation der Divina Commedia
2Grundlegung : Die Verirrung im Wald oder die Ausweglosigkeit in der Lebenskrise
2.1Das Gefühl, etwas im Leben verpasst zu haben
2.2Die Lebenswende als Sinnkrise kontingenter Selbstverwirklichungskonzepte
2.3Aberrative Versuche der Problembewältigung
2.4Die Hilfe von oben : Vergil und Beatrice
2.4.1Die natürliche Gotteserkenntnis als Beginn der Bewegung zum Zielgrund des eigenen Lebens (Vergil)
2.4.2Die übernatürliche Gotteserkenntnis als Gnadenbeistand der eigenen Sehnsuchtsbewältigung (Beatrice)
Exkurs : Die prinzipielle Zuordnung von natürlicher und übernatürlicher Gotteserkenntnis in der Divina Commedia
3Die Sehnsucht des Menschen nach der Erfüllung seines Liebesstrebens als Maßstab seines Handelns : Paradiso
3.1Das irdische Paradies
3.1.1Die Begegnung mit Beatrice als Ablösung der Philosophie durch die Theologie
3.1.2Lethe und Eunoe – die erlangte Vergebung
3.1.3Das Kirchenverständnis in den Gesängen zum irdischen Paradies
3.2Der Aufstieg Dantes durch die Himmel
3.3Die jeweiligen Himmel als Ausdruck der personalen Bestimmtheit des Einzelnen
3.3.1Das verklärte Scheitern oder der Mondhimmel
Exkurs : Willensfreiheit und Gnadenwahl in der Divina Commedia
3.3.2Das Übermaß an irdischem Streben oder der Merkurhimmel
Exkurs : Sündenfall und Erlösung
3.3.3Das Zuviel an irdischem Liebesverlangen oder der Venushimmel
3.3.4Die Frage nach der Erkenntnis des göttlichen Mysteriums oder der Sonnenhimmel
3.3.5Die Bedeutung der Divina Commedia für die Welt oder der Marshimmel
3.3.6Das Geheimnis der göttlichen Gnadenwahl oder der Jupiterhimmel
3.3.7Der Ort der Kontemplativen oder der Saturnhimmel
3.3.8Dantes Prüfung in Glaube, Hoffnung und Liebe oder der Fixsternhimmel
Exkurs : Die Engel in der Divina Commedia oder der Kristallhimmel (primum mobile)
3.3.9Das Empyreum oder die Himmelsrose
Exkurs : Dantes Marienverehrung
3.4Zusammenfassende Darstellung der Theologie des Paradiso
4Läuterung als Weg der Selbstwerdung : Purgatorio
4.1Die Bereitschaft zur Selbstläuterung vor dem Hintergrund der Höllenerfahrung – das Vorpurgatorium
4.1.1Die vorbereitende Zeremonie von Waschung und Gürtung
4.1.2Der Gemeinschaftscharakter des Aufstiegs zum Paradies
4.1.3Der Einstieg in den Läuterungsberg – die Vergebung als Aufstieg zu Gott
Exkurs : Die Leib-Seele-Problematik in der Divina Commedia
4.2Die verschiedenen Wurzelsünden und ihre Läuterung – der Maßstab der Liebe als Einteilungsprinzip des Läuterungsberges
4.2.1Der Stolz
4.2.2Der Neid
4.2.3Der Zorn
4.2.4Die Trägheit
4.2.5Geiz und Verschwendung
4.2.6Die Schlemmerei
4.2.7Die Wollust
Exkurs : Das Wesen der Fürbitte
4.3Zusammenfassende Darstellung der Theologie des Purgatorio
5Isolation und Stagnation – das verfehlte Leben : Inferno
5.1Der Konnex von Sünde und Strafe
5.2Dantes Einteilung der Höllenkreise
5.3Die Ausweglosigkeit (Ewigkeit) der selbstentfremdenden Gottferne oder das Höllentor
5.4Die Oberhölle : Verirrung im Maß
5.4.1Die Zagenden
Exkurs : Die Annahme eines limbus patrum und eines limbus puerorum
5.4.2Die Wollüstigen
5.4.3Die Schlemmer
5.4.4Geizige und Verschwender
5.4.5Zornige und Verdrossene
5.5Die Unterhölle : Verirrung im Ziel
5.5.1Die Ketzer
5.5.2Die Gewalttätigen
5.5.3Die Betrüger
5.5.4Das Höllenzentrum mit den Erzverrätern und Luzifer
5.6Zusammenfassende Darstellung der Theologie des Inferno
6Die Theologie der Divina Commedia
6.1Beatricens Bedeutung für Dantes Läuterungsweg
6.1.1Die konkret-zwischenpersonale Liebeserfahrung als Ausgangspunkt der Gottsuche
6.1.2Beatrice als personifizierte Theologie in der Divina Commedia
6.2Gnadenlehre und Kirchenverständnis der Divina Commedia
6.3Der sich offenbarende Gott als der Zielgrund des Liebens, als Erfüllung aller Sehnsüchte
6.4Christus als Mitte der Divina Commedia
6.5Die Divina Commedia als Zeugnis des christlichen Glaubens
6.6Die christliche Jenseitsvorstellung und ihre moralische Ausrichtung
6.7Dante als Theologe
6.8Infernum und Purgatorium als aktuelle Problemkreise der Eschatologie
6.8.1Die Frage nach der Hölle
6.8.2Die Frage nach der Läuterung
6.9Ansätze für eine Dogmatik unserer Zeit
6.10 Die Unzulänglichkeit aller Eschatologie
6.11 Theologie im nachmetaphysischen Denken der Gegenwart
6.12 Die Divina Commedia und ihr Beitrag zu einer Theologie der Gegenwart
7Schlussreflexion : Personale Liebeserfahrung als Theologie
8Literaturverzeichnis
Hinführung
Die Divina Commedia (DC) des Dante Alighieri stellt den nicht einfachen Weg des Menschen zu Gott in dichterischer Form dar. Die vorliegende Untersuchung sieht die DC Dantes nicht mit den Augen der Philologie, sondern mit den Augen der Theologie. Es sind die Augen Beatricens, die für Dantes Läuterungsweg maßgebend sind. Dantes konkrete zwischenmenschliche Liebeserfahrung ist Ausgangs- und Zielpunkt seines läuternden Weges zu Gott (der die Liebe in unbedingter Erfülltheit ist). Seine Jugendliebe Beatrice wird ihm dabei zur theologischen Führerin und himmlischen Fürsprecherin. Dass Beatrice Dantes theologische Lehrerin ist und dementsprechend die Theologie verkörpert, wird nicht undifferenziert vorausgesetzt, vielmehr werden aus ihrer Fürbitt- und Geleitrolle Rückschlüsse auf ein entsprechend personales Verständnis theologischer Gottsuche gezogen, welches somit in einer geläuterten Liebessehnsucht seinen Ausgangspunkt findet. Beatrice wird nicht mit der Theologie schlechthin identifiziert, sie ist mehr als deren bloße Personifikation.1 Ziel dieser Untersuchung ist es herauszuarbeiten, inwiefern die Begegnung mit dem geliebten Du im konkreten Lebensvollzug – auch und gerade im Moment der Erfahrung der Trennung – der zunächst in einem formal-offenen Sinn verstandenen Theologie einen existentialen und persönlichen Akzent zu geben vermag.
Dantes Suche nach der Erfüllung seiner Sehnsüchte in Gott ist initiiert durch die Fürbitte Beatricens, aber sie ist ihm nicht allgegenwärtige Begleiterin in der DC (bis zum Eintritt ins irdische Paradies auf dem Läuterungsberg übernimmt diese Rolle Vergil). Dementsprechend verschließt sich die vorliegende Arbeit in ihrem methodischen Vorgehen nicht dem einheitlichen Ganzen von Dantes Werk. Seine drei Teile stehen in Beziehung zueinander und können nur als Einheit letztlich adäquat verstanden werden. Wo Beatrice nicht als Wegbegleiterin Dantes erscheint, ist ihr Fernbleiben bedingt durch den gottfernen bzw. noch zu läuternden Zustand in Hölle und Purgatorium. Vor diesem Hintergrund wird zunächst das Paradies – der vornehmliche Ort der Vermittlerrolle Beatricens – in Augenschein genommen, danach der Aufstieg auf den Läuterungsberg und schließlich der Gang durch die Hölle. Hierbei lässt sich das personale Verständnis theologischer Gottsuche erschließen, wie es sich von der Bedeutung Beatricens in der DC her ableiten lässt.
Die Jenseitswanderung ist geleitet von der jedem Menschen innewohnenden Ausgerichtetheit auf die Seinsfülle Gottes hin als seiner eigentlichen Beheimatung (Zielbestimmung), weshalb die DC auch von der Ambivalenz irdischer Sehnsüchte aus zu lesen ist und Inferno und Purgatorio die Verweigerung bzw. das Abdriften diesbzgl. charakterisieren. Die DC lebt von ihrer drastischen Konkretheit, ihrem personalen Bezugsfeld ; ihre Theologie gewinnt dadurch Lebendigkeit, ohne selbst wiederum unkritisch von dieser abgeleitet werden zu können. Wer mit dem Dichter Dante den Weg des Gottsuchers Dante mitgeht, bedarf daher einer unvoreingenommenen Offenheit gegenüber dem, was ihm dort begegnet. Ziel dieser Arbeit ist es nicht, den Gehalt der DC unter dem Kriterium neuzeitlichen Denkens (etwa unter Federführung psychologischer Interpretationen) aus seiner originären Darstellung herauszubrechen. Dante ist ein Kind seiner Zeit2, er teilt die philosophisch-theologische Weltsicht des Mittelalters und nimmt in der DC die konkreten Menschen in den Blick, denen er im Leben begegnete und die er – heute wie damals in unfassbarer Kühnheit – entweder der Hölle, dem Fegefeuer oder dem Himmel zuordnet (als bedeutende Persönlichkeiten der Zeit Dantes waren sie den damaligen Menschen ebenso bekannt wie die genannten Berühmtheiten der Menschheitsgeschichte ; ihre exemplarische Bedeutung dient der moralischen Intention des Werkes). Dante schreibt seine Dichtung in der Verbannung. Zwischen den Parteikämpfen von Guelfen und Ghibellinen in seiner Heimatstadt Florenz hin und her gerissen, letztlich verfolgt und geächtet, wächst seine Aversion gegen Bonifaz VIII. und das französische Königshaus sowie seine Hoffnung auf einen starken (das Reich einigenden) Kaiser. Gerade weil (und nicht obwohl) Dante seinem Lebenskontext in der DC Ausdruck und Gestalt verleiht, übt sie auf den heutigen Leser eine ungebrochene Faszination aus ; es ist die Konkretheit des menschlichen Einzelschicksals, die den Zugang zu dem großen Gedicht Dantes erleichtert.
Seine Jenseitsreise beginnt am Karfreitag des Jahres 1300 und endet nach einer Woche Wanderschaft mit der Anschauung Gottes. Die drei Lieder (Inferno, Purgatorio, Paradiso) teilen sich in je 33 Gesänge auf, zusammen mit dem Einleitungsgesang ergeben sich für das ganze Gedicht demnach hundert Gesänge.
Dantes Weltbild entspricht dem ptolemäischen. Scholastik und Antike begegnen sich darin nicht unkritisch, da die Commedia ein Zeugnis des christlichen Glaubens darstellt. Der Einfluss des Aquinaten auf die DC ist kaum zu verleugnen und an zahlreichen Stellen belegt. Ein genuiner Beitrag ist zweifelsohne Dantes Staatsauffassung, wie er sie grundlegend in De Monarchia vertritt und woraus sich auch seine kritische Position gegenüber weltlichen Machtansprüchen des Papsttums nährt (die er ganz auf Seiten des gottgewollten Kaisertums verortet wissen will).
Von den verschiedenen Übersetzungen in deutscher Sprache wird für den Mengentext dieser Arbeit vornehmlich die von H. Gmelin herangezogen, die eine möglichst wort- und satzgetreue Wiedergabe des italienischen Textes bietet.3 Da es sich in der Untersuchung um eine theologische Arbeit handelt, spielen literarkritische bzw. philologische Überlegungen keine übergeordnete Rolle.4 Der italienische Text ist ebenfalls der kommentierten Übersetzung von Gmelin entnommen, die den testo critico geglättet, d. h. von veraltet-unverständlichen Elementen befreit, wiedergibt.
Ein Blick in die umfassende Danteforschung zeigt, dass ein theologischer Zugang zur DC nicht unbedingt und selbstverständlich gesucht wird. So will diese Untersuchung auch einen Beitrag zum christlich-religiösen Verständnis der DC leisten, wie es Dantes Anliegen war.
1 Die Divina Commedia als theologisches Werk
1.1 Die theologische Fragestellung
Die vorliegende Arbeit nimmt die Divina Commedia des Dante Alighieri unter theologischem Gesichtspunkt in den Blick. Auch wenn romanistische und historische Arbeiten zu Dante und seinem Hauptwerk die Veröffentlichungen im wissenschaftlichen und außerwissenschaftlichen Kontext dominieren, so ist doch die Göttliche Komödie in erster Linie ein christliches Werk und nur als solches auch richtig zu verstehen bzw. sinnvoll zu interpretieren. Obgleich Dante selbst zahlreiche Anleihen aus der heidnischen Antike in sein Werk einbaut, spricht letztlich doch der Florentiner in seiner christlichen Grundhaltung in und aus jedem einzelnen der 100 Gesänge. Dante bietet hierbei nicht nur einen Einblick in seine Zeit (eine meisterhafte stilistische und philologisch ergiebige Darstellung), es ist vielmehr sein persönliches Bekenntnis, das beeindruckt, wobei er Poesie und Geschichte mit seiner politischen, kulturellen und v. a. religiösen Überzeugung in Einklang zu bringen sucht. Es ist ein existential-theologisches Werk insofern, als es nicht nur durchdrungen ist von eschatologischem Gedankengut der Kirche, sondern vielmehr Dante selbst als Theologen zeigt, der diese ekklesiale Eschatologie erweitert und in einen neuen Horizont stellt : Zum einen personalisiert er die Glaubenslehre, die er auf sich selbst, seinen Lebensweg in Diesseits und Jenseits bezieht, zum anderen interpretiert er sie neu und nimmt zuweilen eigenmächtig mutige Korrekturen vor. Gerade die Personalisierung und Neuinterpretation überlieferter Glaubensaussagen lassen die Göttliche Komödie auch heute für die Theologie fruchtbringend erscheinen.
Insofern lenkt die vorliegende Arbeit den Blick in erster Linie auf den personalen Aspekt der fiktiven Jenseitsreise Dantes. Theologie wird dabei unter dem Blickwinkel von Dantes existentieller Sichtweise (die individuellen Fragen und Nöte seines Lebens betreffend) erfahrbar. Hierbei begegnet dem Leser die dogmatische Theorie nur insofern, als deren Fragestellungen und Festlegungen in Zusammenhang mit dem Schicksal des Jenseitswanderers stehen und so lebendig werden. Dieses existentialtheologische Verständnis der DC fokussiert daher in der Terminologie P. Tillichs das, was Dante als Christen unbedingt angeht5. Das theologische Verständnis Dantes ist von seinem persönlichen Schicksal und den daraus sich ergebenden Fragen her zu interpretieren. Diese unmittelbare Betroffenheit lässt die eschatologische Vorstellungswelt in ihrer Relevanz nicht nur für Dante selbst, sondern für alle Christen deutlich werden (was Dante mit seiner Divina Commedia lehren will). Die Faszination der Divina Commedia liegt schließlich gerade in ihrer Anschaulichkeit. Damit ist sie für den Leser zugänglich und einsichtig. Er fühlt sich mit hineingenommen in das Imaginationsvermögen Dantes, da die existentiellen Fragen nach Schuld und Sühne, nach Sehnsucht und Zweifel, nach Vergebung und Liebe vor dem Hintergrund des eigenen Lebensschicksals Dantes und dem Weltbild seiner Zeit aufleuchten und in der DC einen literarischen Ausdruck finden, der bis heute an Faszination nicht verloren hat.
Für die theologische Fragestellung der vorliegenden Arbeit ist Dantes Begegnung mit Beatrice von zentraler Bedeutung : Es geht um die Reflexion darüber, wie Beatrice Dante die Einsichtnahme in die drei Reiche des Jenseits ermöglicht, wie sie ihn als Geliebte, Heilige und Lehrerin der Gottesschau immer näher bringt. In diesem Sinn ist sie als jenseitige Weggefährtin Dantes zugleich Personifikation der Theologie, welche so als Beziehungsgeschehen aufgefasst wird. Um subjektive Bedeutung zu erlangen, bedarf die Theologie interpersonaler Begegnung. Auch die visio Gottes selbst ist eine solche, ja die letztlich einzig entscheidende.6 Oftmals aber sind es auch die Begegnungen mit anderen Menschen, die den Blick neu auf die Ewigkeit lenken, weil sie selbst ihr Leben darauf hin ausgerichtet haben. Für Beatrice gilt dies in besonderer Weise, da sie in Dante die Sehnsucht nach Erfüllung wachhält. Gerade weil sie bereits die diesseitige Welt verlassen hat, d. h. dort ist, wo die Hoffnung auf Vollendung in Erfüllung geht, vermag sie für Dante Wegbegleiterin zu Gott zu sein. Somit wird die Begegnung mit ihr im Diesseits wie im Jenseits (da es sich ja um die eine Beatrice handelt) zu Dantes persönlicher Glaubenserfahrung. Indem Beatrice in ihm die Sehnsucht nach vollendeter Liebe weckt, ist die Grundlage und das Leitmotiv der Jenseitsreise geschaffen. Sie selbst wird zur persönlichen theologischen Inspiration Dantes, da sie sowohl in ihrer Lehre als auch in ihrer Begegnung mit ihm diese Sehnsucht immer mehr entfacht, bis sie selbst zurücktritt in dem Moment, in dem Dante an das Ziel allen Lebens gelangt. Hier wird ihre Brückenfunktion, welche auch die Brückenfunktion aller Theologie ist, deutlich. Die Begegnung, welche auf Gott verweist, tritt zurück, wenn die Begegnung mit IHM selbst möglich wird. Theologie ist damit Brücke zu Gott ; für Dante allerdings nicht unabhängig von seinem persönlichen Schicksal, den eigenen Fragestellungen und individuellen Begegnungen.
1.2 Abgrenzung zu nichttheologischen Zugängen
Theologie als Wissenschaft über den Glauben setzt diesen immer auch schon voraus. Im Bereich der Dogmatik knüpft die Eschatologie an Aussagen aus der Schrift und der Tradition an, um Antworten auf heutige Fragestellungen zu finden. Dante selbst nimmt an zahlreichen Stellen Bezug auf Aussagen aus dem Alten und Neuen Testament sowie der Dogmengeschichte und ihrer Exponenten (allen voran Thomas von Aquin). Obgleich damit Theologie sich der eigenen Herkunft bzw. Tradition immer rückversichert und bestrebt ist, im Einklang mit ihr zu stehen, ist damit keineswegs einer bloßen Tradierung ihrer Inhalte das Wort geredet. Es gilt, den theologischen Gehalt gerade immer wieder neu zu überdenken und zu interpretieren, um den jeweils auch zeitbedingten Inhalt zu aktualisieren und neu zu akzentuieren.
Im Unterschied zu einer nichttheologischen Betrachtung von Dantes Werk spielen demnach innerhalb einer theologischen Perspektive die Glaubensinhalte selbst eine zentrale Rolle. Diese werden weder indifferent übergangen noch in ihrem – die Glaubenslehre der Kirche ausmachenden – Grundgehalt hinterfragt. Bei Dante kommen noch die Momente persönlicher Betroffenheit und existentieller Relevanz hinzu, welche ganz im Horizont des Glaubens stehen : Aus einer glaubensindifferenten Position heraus lässt sich daher die Göttliche Komödie nicht so verstehen, wie es ihr Autor intendierte. Eine theologische Betrachtung setzt mit Dante nicht nur die Existenz Gottes voraus, sondern teilt mit ihm die eschatologischen Eckdaten, die seine Jenseitswanderung strukturieren (formal wie inhaltlich). Diese ist nicht voraussetzungslos, sie ist gebunden an eine jenseitige, personale Fortexistenz nach dem Tode. Sie ist gebunden an die Möglichkeit ewiger Hoffnungslosigkeit, jenseitiger Läuterung und sehnsuchtsstillender Vollendung. Vor allem sind die personalen Begegnungen Schlüssel zu Dantes Werk – zu seiner Vorstellungswelt und seinem theologischen Verständnis. Der christliche Glaube ist damit Grundlage und Standpunkt der Divina Commedia.
Die theologische Abgrenzung zu romanistischen oder mediävistischen Fragestellungen und Zugängen zu Dante besteht daher in der Glaubensvoraussetzung Ersterer, die Letztere bewusst ausklammern. Die Veröffentlichungen im philologischen Bereich kommen zwar ebenso wenig wie die der mittelalterlichen Geschichtsforschung um den theologischen Verständnisrahmen der Anschauungswelt Dantes herum, um sein Werk überhaupt aus sich heraus reflektieren zu können, der Zugang selbst bleibt allerdings frei von einem persönlichen Glaubensstandpunkt des Reflektierenden. Dante selbst aber weist diesen Standpunkt auf ; der Dichter und sein Werk können theologisch-neutral von außen analysiert werden, sie sind damit aber von innen heraus nur bedingt verstanden. Für Dante war der christliche Horizont nicht bloß eine Möglichkeit, seine Sichtweise der Politik und seine eigene persönliche Verflochtenheit darin darzustellen, vielmehr ist es diese christliche Sicht, die ihm seine Rolle, sein Schicksal erst verständlich macht. Dante nachzuvollziehen, verlangt daher auch seine theologische Einbettung, die eben nicht dem Glauben gegenüber indifferent ist, sondern ihn immer schon (auch bei allem Zweifel, aber doch persönlicher Auseinandersetzung und Aneignung) voraussetzt. Mit Dante den Glauben an Gott teilen, der die Welt lenkt und ihr Zielpunkt ist, bedeutet zumindest die Einladung, seine persönliche Erfahrung nicht nur irgendwie nachzuvollziehen, sondern sich persönlich darauf einzulassen.7