Kitabı oku: «Brasilien», sayfa 4

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Aber es ist nur ein halber Sieg, denn die Franzosen bleiben im Lande. Im ganzen sind sie etwa einen Kilometer zurückgeworfen, also eine Strecke, die man heute im Automobil in fünf Minuten durchfährt. Sie sitzen ungehindert im Hafen wie zuvor, treiben weiter ihren Handel, laden Schiffe ein und aus, bauen am Morro do Castelo eine neue Festung statt der alten, sie reizen sogar die Tamoios, die ihnen befreundeten Eingeborenen, zu Unternehmungen gegen die Portugiesen, und der erste Angriff auf São Paulo durch Angehörige dieses Stammes war wahrscheinlich von ihnen organisiert. Aber Mem de Sá hat keine Macht, die Eindringlinge zu vertreiben. Wie immer in Brasilien, von Anfang an bis heute, ist das Manko das gleiche: es sind zu wenig Menschen da. Mem de Sá vermag in Bahia keinen einzigen Arm zu entbehren, sonst geriete die Zuckerproduktion, der ökonomische Nährstoff des Landes, ins Stocken, außerdem hat eine verhängnisvolle Pest den Großteil der Bevölkerung hinweggerafft. Ohne Unterstützung von Portugal ist es darum unmöglich, die Franzosen aus ihrer neuen Position zu verdrängen, und diese Unterstützung läßt endlos auf sich warten; unbehelligt verbleiben die Kolonisten Villegaignons weitere fünf Jahre in Rio. Und wieder ist es Nóbrega, der unablässig drängt und abermals und abermals mahnt, daß, wenn statt Portugals die Franzosen weiterhin Sukkurs schicken, die Bucht von Rio und damit Brasilien endgültig der Krone verloren sei. Endlich hört die Königin auf seine dringliche Bitte und entsendet aus Lissabon Estácio de Sá gemeinsam mit den von den Jesuiten im Lande vorbereiteten Hilfstruppen gegen den Feind. Neuerlich beginnen in liliputanischen Maßen die kriegerischen Aktionen. Am 1. März 1565 segelt Estácio de Sá mit seiner Kriegsflotte in die Bucht von Rio und schlägt unter dem Pão de Açucar, an der Stelle des heutigen Urca, sein Lager auf. Aber, unfaßbar für unsere Vorstellungen von heute, ehe es zu dem Sturm auf den Morro do Castelo – genau zehn Minuten heutiger Autofahrt – kommt, vergehen ebensoviele Monate. Erst am 18. Januar 1566 führt Estácio de Sá seine Soldaten zum Sturm, und in einem Kampf von wenigen Stunden und mit einem Verlust von zwanzig oder dreißig Mann fällt die welthistorische Entscheidung, ob diese Stadt in Hinkunft Rio de Janeiro oder Henriville heißen wird, ob Brasilien der portugiesischen oder französischen Sprachwelt verbleibt – in solchen Dimensionen von zwei oder drei Dutzend Soldaten wurden damals ebenso in Indien wie in Amerika Kämpfe ausgefochten, die Form und Schicksal dieses Weltteils für Jahrhunderte bestimmen sollten. Estácio de Sá selbst bezahlt, von einem Pfeilschuß verletzt, den Sieg mit seinem Leben. Aber diesmal ist es ein entscheidender Sieg: die Franzosen fliehen auf ihren Schiffen aus dem Land und bringen nach Frankreich nichts anderes mit als die Kunde vom Tabak, den sie zu Ehren des Botschafters Jean Nicot benennen. Auf den Trümmern der französischen Festung, dem Morro do Castelo, weiht der Bischof die Kirche der zukünftigen Hauptstadt Brasiliens ein: die Stadt Rio de Janeiro ist mit dieser Stunde erstanden.

Es war ein liliputanischer Kampf, aber er hat die Einheit Brasiliens gerettet: Brasilien gehört den Brasilianern. Nun aber gilt es die Kolonie auszubauen, und dafür bleiben ihr beinahe fünfzig Jahre vollkommenen Friedens. Langsam schieben sich die Grenzen nach Paraíba, nach Rio Grande do Norte und ins Innere vor, die Siedlungen der Jesuiten in São Paulo beginnen sich fruchtbar zu entfalten, die Plantagen an der Küste werden erträgnisreich, und neben dem ständig steigenden Export von Zucker und Tabak blüht ein anderes, dunkleres Geschäft, der Import von »schwarzem Elfenbein«. Von Monat zu Monat werden immer größere Frachten afrikanischer Sklaven von Guinea und aus dem Senegal herübergebracht, und soweit sie auf der Reise in den vollgestopften, stinkenden Schiffen nicht verendet sind, auf dem großen Markte in Bahia verhandelt. Eine Zeitlang droht durch diese Fülle der Neger und die erstaunliche Anzahl der von den Portugiesen produzierten mamelucos, dieser Mischlinge aller Schattierungen, der europäische, der zivilisatorische Einfluß ins Schwinden zu geraten; einer Handvoll Unternehmer, die sich maßlos bereichern, steht in den Küstenstädten eine unermeßliche Anzahl farbiger Sklaven gegenüber; ohne die ausgleichende Arbeit der Jesuiten, die im Innern des Landes überall Fazenden anlegen und die Bevölkerung zur Seßhaftigkeit erziehen, die die Ausrottung der Eingeborenen verhinderten und durch Vorurteilslosigkeit die Mischung beförderten, wäre Brasilien vielleicht ein afrikanisches Land geworden, weil Europa sich völlig gleichgültig zeigt. Jedoch Europa, in hundert Kriege verstrickt, hat keine neuen Kolonisten abzugeben, und nur wenige Einsichtige finden sich, denen allmählich die Erkenntnis von dem Werte dieses Landes klargeworden ist; schon 1587 wird Gabriel Soares de Sousa in seinem »Roteiro« die prophetischen Worte finden: Estará bem empregado todo cuidado que Sua Majestade mandar ter deste novo reino, pois está capaz para se edificar nelle hum grande imperio o qual com pouca despeza deste reino se fará tão soberano que seja hum dos estados do mundo.

Die Stunde aber ist längst vorüber, wo das die halbe Welt beherrschende Portugal noch irgend jemandem helfen konnte, denn sein großartiger romantischer Traum, die ganzen drei Erdteile für sich und den christlichen Glauben zu erobern, ist ausgeträumt. Es hatte dem kleinen, tapferen Lande nicht genügt, beide Küsten Afrikas, die östliche und die westliche, zu besitzen und Indien bis hoch hinauf nach China seinem Handelsmonopol unterworfen zu haben. König Sebastian, der letzte und kühnste Träumer dieses heroischen Geschlechts, träumt von einem Kreuzzuge, der ein für allemal die muselmanische Macht vernichten soll. Statt seine besten Kräfte, seine Ritter, seine Soldaten in den Kolonien zu verteilen und das Reich der »Lusiaden« durch realistische Organisation zu erhalten, sammelt er wie ein Gralsritter in silberner Rüstung seine ganze Macht zu einem einzigen Heer und setzt nach Afrika über, um den maurischen Erbfeind mit einem Schlage zu vernichten. Aber nicht die Mauren trifft der vernichtende Schlag, sondern ihn selbst, und in der Schlacht von Alcacer-Quibir, diesem letzten, verspäteten Kreuzzug des Abendlands gegen das Morgenland, wird 1578 das portugiesische Heer völlig vernichtet und König Sebastian erschlagen. Die ungeheure Überspannung des Willens hat sich grausam gerächt: Portugal, das kleine Land, das ein Weltall sich untertan machen wollte, verliert seine eigene Unabhängigkeit, und Spanien rafft den freigewordenen Thron an sich. Das von tausend Kämpfen ausgeblutete Land vermag keinen Widerstand zu leisten; für zweiundsechzig Jahre, von 1578 bis 1640, verschwindet Portugal als selbständiges Reich aus der Geschichte. Alle seine Kolonien und somit auch Brasilien werden spanischer Kronbesitz.

Damit beherrscht für eine Weltstunde Philipp II. ein Weltreich, das jenes Alexanders und das römische des Augustus weit übertrifft. Außer der iberischen Halbinsel gehören dem Habsburger noch Flandern und das ganze erforschte Amerika, drei Viertel von Afrika und das von den Portugiesen eroberte indische Reich. Und dieses Gefühl der Kraft und der Größe spiegelt sich in der Kunst Iberiens. Cervantes, Lope de Vega, Calderon schaffen ihre unvergleichlichen Werke; aller Reichtum der Erde strömt in dies eine triumphierende Land.

An diesem Triumph hat Brasilien geringen Teil und keinerlei Vorteil; statt zu gewinnen an Macht, durch die unerbetene Zugehörigkeit zu dem iberischen Imperium, bekommt die bisher unbehelligte Kolonie alle Feinde Spaniens ins Haus; englische Piraten plündern Santos, verbrennen São Vincente, die Franzosen setzen sich zeitweise am Maranhão fest, die Holländer brechen in Bahia ein und räubern dort die Schiffe. Schmerzhaft muß es Brasilien fühlen, wieviel neue Mächte seit der Vernichtung der Armada Spanien die Herrschaft über das Meer streitig machen. Keine dieser piratischen Einzelaktionen kommt freilich tief unter die Haut, es sind bloß kleine Schädigungen und Beunruhigungen, die der raschen Entwicklung nichts anhaben können. Gefährlich wird die Situation für Brasilien erst, da in Holland ein geregelter und wohldurchdachter Plan einsetzt, nicht bloß Häfen zu plündern, sondern het Zuikerland, wie diese guten Kommerzleute Brasilien nach seinem besten Handelsartikel benennen, als Ganzes zu erobern.

Holland, wirtschaftlich vorbildlich organisiert, weiß genau um den Wert Brasiliens, und kaum dürfte das Wort in den »Diálogos das grandezas do Brasil« (1618) seinen wachsamen Kaufleuten entgangen sein, daß als Ganzes Brasilien mehr Reichtümer besitze als Indien. So ist es wohl kein Zufall, daß 1621 nach dem Vorbild der indischen Compagnie in Amsterdam eine Compagnie »das Índias Ocidentais« mit großem Kapital begründet wird – angeblich bloß um Handel mit Brasilien und Südamerika zu treiben, in Wirklichkeit mit dem Hintergedanken, dieses gewaltige Reich für Holland und sein Handelsmonopol in Besitz zu nehmen. In dieser Compagnie sitzen gute Rechner, die einsehen, daß man für ein so großes Ziel auch große Investitionen einsetzen muß; um Brasilien zu besetzen und noch wichtiger, um es dann festzuhalten, darf man nicht, wie es die Franzosen getan, zwei oder drei Schiffe mit europamüden Kolonisten und rasch angemieteten Matrosen ausschicken, sondern muß eine wirkliche Flotte ausrüsten und in dieser Flotte eine geschulte Armee. Nichts zeigt die Entwicklung und die Wichtigkeit, die Brasilien in dem letzten halben Jahrhundert für die Welt bekommen hat, sinnfälliger als die veränderten Dimensionen. Während Villegaignon mit drei oder vier Schiffen landet, um die »France Antarctique« zu erobern, und sich dann die entscheidenden Kämpfe zwischen siebzig und hundert Mann improvisierter Kriegerschaft abspielen, rüstet die holländische Compagnie von Anfang an sechsundzwanzig Schiffe aus mit siebzehnhundert geschulten Soldaten und sechzehnhundert Matrosen.

Der erste Schlag gilt der Hauptstadt. Am 9. Mai 1624 wird Bahia fast ohne Widerstand genommen und unermeßliche Beute weggeschleppt. Nun erst wacht Spanien auf; über fünfzig Schiffe mit elftausend Mann werden entsandt, die Bahia vereint mit den einheimischen Hilfstruppen aus Pernambuco zurückerobern, ehe die zweite Flotte der Holländer mit vierunddreißig Schiffen eintrifft: bereits haben sich in Erkenntnis des Werts der bisher mißachteten Kolonie die Anstrengungen verhundertfacht, das »Zuckerland« zu behaupten. Genötigt, in Bahia zurückzuweichen, rüstet die holländische Compagnie zu einem neuen Angriff mit neuen Verstärkungen und hat damit Erfolg. 1635 wird Recife und in den folgenden Jahren außer Bahia die ganze Nordküste besetzt. Von dieser Stunde an besteht durch dreiundzwanzig Jahre im Norden Brasiliens eine selbständige holländische Verwaltung.

Die kolonisatorische Leistung dieser dreiundzwanzig holländischen Jahre ist allerdings eine großartige. Sie übertrifft bei weitem alles, was die Portugiesen vordem in hundert Jahren getan. Die Holländer haben klare und erprobte Organisationsideen. Sie überlassen die Einwanderung und Verwaltung nicht zufälligen anarchischen Elementen, sie senden nicht den Abhub ihres Landes, sondern ihre besten und vorsorglich ausgewählten Männer. Moritz von Nassau, der als Gouverneur der Krone das neue Land verwaltet, stammt nicht nur aus königlichem Blut, sondern ist auch im geistigen Sinn ein Edelmann, weitsichtig, großzügig und tolerant. Er bringt einen ganzen Generalstab von Fachleuten, Ingenieuren, Botanikern, Astronomen, Gelehrten, um das Land zu erforschen, zu kolonisieren, zu europäisieren. Und nichts ist typischer für die Minderwertigkeit des kulturellen Materials, das die Portugiesen im Vergleich zu den Franzosen und Holländern nach Brasilien entsandten, als daß wir über die erste Jugendzeit Brasiliens keine einzige wirklich literarisch gültige Beschreibung von irgendeinem Portugiesen außer den Briefen der Jesuiten besitzen, während die Franzosen nach wenigen Jahren schon das Werk über die »France Antarctique« der Welt geben und Moritz von Nassau durch Barleus jenes vorbildliche Prachtwerk mit Kupfern und Plänen anfertigen läßt, das seinen Ruhm und seine Leistung verewigt.

Moritz von Nassau macht gute Figur in der brasilianischen Geschichte. Er hat als Humanist die Idee der Toleranz mitgebracht, allen Religionen freie Wirkung verstattet, allen Künsten fruchtbare Entwicklung ermöglicht, und selbst die alten Ansiedler können über keine Gewalttätigkeit klagen. In Recife, ihm zu Ehren Mauritsstaad benannt, werden Paläste, steinerne Häuser und saubere Straßen gebaut, das umliegende Land von Geographen durchforscht. Für die Zuckerindustrie werden neue hydraulische Pressen eingeführt, in den Handel die Kaufleute eingeschaltet, die aus Portugal geflüchtet waren, das ganze öffentliche Leben auf Stabilität und Entwicklung eingestellt. Den Portugiesen bleiben ihre Rechte gewahrt, den Eingeborenen ihre Freiheit. In gewissem Sinn verwirklicht Moritz von Nassau das gleiche Ideal der friedlichen Besiedlung, wie es die Jesuiten auf religiöser Grundlage anstrebten, im Geiste der Humanität.

Aber nicht in Brasilien wird das Schicksal Brasiliens entschieden, sondern in Europa. 1640 hat sich Portugal wieder von Spanien losgelöst und unter Dom João IV. seine eigene Krone zurückgewonnen. Dadurch ist eine weitere Okkupation durch Holland ohne jede rechtliche Grundlage. Ein Waffenstillstand gibt beiden Teilen Rast, und da seinerseits Holland, die neue Seemacht, mit der noch jüngeren Seemacht Englands in Konflikt gerät, kann der Kampf um die Befreiung Brasiliens wiederaufgenommen werden; zum erstenmal sind es nationale brasilianische Kräfte, die ihn entfachen. Es ist diesmal nicht so sehr Portugal, sondern schon die Kolonie selbst, die um ihre Einheit und Unabhängigkeit ficht. Wieder sind es kirchliche Elemente, welche die Führung übernehmen, weil sie die vitale Wichtigkeit erkennen, das neue Land unversehrt von jeder Infiltrierung durch protestantische Elemente zu erhalten, deren Anwesenheit den mörderischen Religionskrieg aus Europa nach Brasilien übertragen könnte. 1649 gründet der Pater António Vieira, einer der genialsten Diplomatenfiguren seiner Zeit, in Lissabon eine Gegencompagnie gegen die holländische, die »Companhia Geral de Comércio para o Brasil«, die aus eigener Initiative eine Flotte ausrüstet, und gleichzeitig improvisiert sich im Lande im Verein mit den einheimischen Handelsleuten, die ihre Plantagen und Zuckerwerke zurückgewinnen wollen, eine nationale Armee. Und nun geschieht das Überraschende: während Portugal mit Holland noch verhandelt, ob und wann und wieviel von Brasiliens Küste ihm verbleiben solle, und ehe noch die Flotte, die Portugal zur Stützung senden will, herübergekommen ist, haben die Brasilianer die Initiative auf eigene Faust übernommen; Schritt für Schritt werden die Holländer zurückgedrängt, Moritz von Nassau verläßt das Land, und am 6. Januar 1654 kapituliert Recife, ihre letzte Festung; die Holländer ziehen sich endgültig zurück. Während das Traumreich der Lusiaden ebenso rasch entschwindet, wie es der schöpferische Augenblick Portugals gebaut, bleibt Brasilien unversehrt sich selbst erhalten.

Im ganzen bedeutet die holländische Episode in der Geschichte Brasiliens einen Glücksfall. Sie hat lange genug gedauert, um durch vorbildliche Verwaltung darzutun, was in diesem Lande bei guter, zivilisierter Organisation geleistet werden kann, und dauert doch anderseits nicht lange genug, um die Einheit der portugiesischen Sprache und der portugiesischen Sitte zu brechen; im Gegenteil: gerade die Bedrohung durch eine Fremdherrschaft erschafft und fördert erst das brasilianische Nationalgefühl. Von Norden bis Süden empfindet sich jetzt diese Kolonie als ein zusammengehöriges Land, das einhellig entschlossen ist, jede gewaltsame Einwirkung auf sein nationales Leben ebenso gewaltsam aus seinem Organismus auszuscheiden: alles Fremde muß sich von nun ab dem Brasilianischen amalgamieren, wenn es sich behaupten will. Scheinbar ist mit diesem Kriege Brasilien für Portugal zurückgewonnen, in Wirklichkeit aber schon sich selbst.

Denn zum erstenmal in diesem Kriege zwischen Portugiesen und Holländern ist dieses neue, in seinen Kräften und Eigenheiten noch unbekannte Element in Erscheinung getreten: der Brasilianer.

Langsam hat sich dieser Typus zu formen begonnen und zunächst in ziemlich gegensätzlicher Art. Die Küste und das Innere des Landes zeigen ein durchaus verschiedenes Bild. In den Küstenstädten strömt ständig neues Blut ein, Zuwanderer, Händler, Matrosen und Sklaven, in den aldeias des Binnenlands wiederum erhält sich dasselbe Blut durch ständige Vermischung. Die Menschen der Küste sind Händler oder primitive Industrielle, ihre wahre Heimat ist das Meer, unwillkürlich blicken sie mit ihren Produkten und Plänen ständig nach Europa hinüber. Für die Kolonisten dagegen ist die Heimat die Erde, und nur Erde erzeugt das volle Gefühl der Verbundenheit.

Die stärkere Energie ist bei den Männern des Hinterlandes. Sie wohnen im Ungesicherten und, gewöhnt an die Gefahr, haben sie begonnen, sie zu lieben. Vor allem in São Paulo beginnt ein merkwürdiger Typus sich zu bilden: der Paulista. Als Portugiesen oder Söhne von Portugiesen einerseits die nomadische Lust der alten Indios, anderseits die Abenteurerfreude der europäischen Ahnen im Blut liebt dies neue Geschlecht es nicht, die Erde selbst zu bestellen, die es besitzt. Längst besorgen diese grobe Arbeit für sie ihre Sklaven, und die langsame Art, Reichtum zu erwerben, widerstrebt ihrem unruhigen Blut. Mit Ackerbau und Viehzucht wird man nicht reich, solange man sie nicht mit hundert Sklaven in großem Stile betreibt, und sie wollen reich werden auf Conquistadorenart – reich, mit einem Schlag und wenn auch mit Einsatz ihres Lebens. So schließen sich die Ansiedler von São Paulo mehrmals im Jahr zu größeren Gruppen zusammen, um als Bandeirantes, die Fahne voran, zu Pferd und mit einem Troß von Dienern und Sklaven wie einst die Raubritter ins Land zu ziehen, nicht aber ohne vorher ihre Fahne feierlich in der Kirche segnen zu lassen. Manchmal vereinigen sich bis zweitausend Menschen zu solchen entradas, und für ein paar Monate bleiben dann die Stadt und die Siedlungen leer von Männern. Was sie suchen, wüßten sie selbst nicht zu sagen; halb ist es das Abenteuer, halb die Hoffnung auf irgendeinen unvermuteten Fund in diesem grenzenlos weiten und unerforschten Land. Seit den Tagen, da die Schätze Perus und die Silberminen Potosis entdeckt wurden, wollen die Gerüchte von einem sagenhaften Eldorado nicht verstummen. Warum sollte es nicht in Brasilien verborgen sein? So ziehen die Paulistas die Flußläufe entlang, die Berge auf und nieder, auf immer anderen ungebahnten Wegen, in welcher Richtung gerade der Wind die vorangetragene bandeira treibt, immer erregt von der Hoffnung, irgendwo auf die sagenhaften Minen zu stoßen. Und solange sich das kostbare Erz nicht finden läßt, solange nicht der »Hercules vom Sertão«, Fernão Dias, wenigstens die Smaragde entdeckt, bringen sie wenigstens eine andere Beute mit: lebendige Menschen. In den ersten Jahrzehnten sind diese entradas nichts anderes als eine wüste, grausam rücksichtslose Sklavenjagd. Den Paulisten scheint es einfacher und zugleich spannender, statt am Markt in Bahia sich Neger zu kaufen, die Eingeborenen mit Hunden und Pferden in scharfer, die Sinne erregender Jagd wie Hasen einzufangen; aber am bequemsten finden sie es schließlich, statt mit den Bluthunden den Verängstigten bis tief in den Urwald nachzujagen, sich diese Sklaven einfach von den Kolonien zu holen, wo sie die Jesuiten so schön ordentlich angesiedelt und schon im voraus zur Arbeit erzogen haben.

Selbstverständlich ist dieses Raubrittertum gegen jedes Gesetz, denn ausdrücklich hat der König die Freiheit der Eingeborenen bestätigt, und Anchieta erhebt verzweifelte Klage: Para êste género de gente não há melhor prègação que espada e vara de ferro. Aus bloßer Gewinngier zerstören die Rotten ihr in Jahren und Jahren mühsam aufgebautes Ansiedlungswerk; sie entvölkern ihre Kolonien, sie tragen den Terror tief in befriedetes Land hinein, sie knechten und rauben nicht nur wehrlose, sondern auch schon kultivierte und dem Christentum gewonnene Menschen. Aber schon sind die Paulisten dank der rapiden Vermehrung durch Mischlinge zu stark, als daß sie Gebot und Gesetz noch einschüchtern könnte; selbst die päpstlichen Bullen gegen diese entradas und bandeiras haben mitten im sertão, im Urwald, keine Gewalt. Immer wilder und zugleich weiter geht die Menschenräuberei ins Land hinein, und noch aus dem Anfang des neunzehnten Jahrhunderts finden wir in Debrets »Voyage pittoresque au Brésil« eines der grausigen Bilder, wie nackte Männer, Frauen und Kinder an langen Stangen zusammengekoppelt wie Vieh von diesen brutalen Sklavenjägern verschleppt werden.

Dennoch haben diese wilden Gesellen in der Geschichte des Landes wider Willen ein großes Verdienst. Immer war die an sich verächtliche Gier nach raschem Gewinn eine der stärksten Kräfte, die den Menschen ins Weite getrieben; sie führte die phönizischen Schiffe über das Meer, sie lockte die Conquistadoren in die unbekannten Erdteile, sie peitschte, obwohl der schlimmste Trieb, die Menschheit vorwärts von Stillstand und bequemem Behagen. So ergänzen paradoxerweise die Bandeirantes, die nur raffen und rauben wollen, das zivilisatorische Werk des Aufbaus Brasiliens, denn durch ihr wildes, zielloses Vordringen fördern sie die geographische Entdeckung des Landes. Von Bahia aus den São Francisco empor, von São Paulo den Paraná hinab und den Paraguay, nach Minas Gerais die Serra empor nach Mato Grosso und Goiaz, quer durch den Urwald vordringend, schaffen und erforschen sie erste Wege in das unbekannte Territorium, und während sie entvölkern, besiedeln sie zugleich. Denn an manchen Stellen bleiben ein paar von ihnen zurück; damit entstehen neue Zellen der Besiedlung, neuen Zentren, von denen neue Nerven und Adern sich weiterbilden ins Unbetretene; in bitterster Feindschaft dem geduldigen Siedlungsplan der Jesuiten entgegenwirkend, haben sie anderseits gerade durch ihr ungeduldiges Vordringen ins Unbekannte das Werk der Durchdringung beschleunigt, nach Goethes Wort »ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und doch das Gute schafft«. Auch sie haben an der Schaffung Brasiliens ihr gutes Teil.

Paulisten sind es auch, die auf einer ihrer entradas in die völlig unbewohnten Bergtäler von Minas Gerais eindringen und dort im Rio das Velhas das erste Gold finden. Einer der Bandeirantes bringt die Nachricht nach Bahia, ein anderer nach Rio de Janeiro, und sofort setzt von beiden Städten und allen möglichen Orten eine ganze Völkerwanderung in diese unwirtlichen Gebiete ein. Die Plantagenbesitzer treiben ihre Sklaven mit sich, die Zuckerwerke werden verlassen, Soldaten desertieren; in ein paar Jahren entsteht im Goldbezirk ein kleiner Ring von Städten, Vila Rica, Vila Real, Vila Albuquerque mit hunderttausend Einwohnern. Dazu kommt bald darauf die Entdeckung der Diamanten. Mit einemmal ist Brasilien die reichste Goldquelle der Welt und der kostbarste Besitz der portugiesischen Krone geworden, die sich von vornherein den Fünftteil an allem gefundenen Gold und jeden Diamanten über zweiundzwanzig Karat gesichert hat.

Die neue Provinz bietet zunächst das Bild eines vollkommenen Chaos. Wie in den ersten Zeiten der Kolonisation fühlen sich in diesen abgelegenen Gebirgstälern, weil noch ohne staatliche Kontrolle, die Eindringlinge jenseits von Recht und Pflicht, und der eingesetzte Gouverneur stößt ebenso wie seinerzeit die Jesuiten – auf entschlossenen Widerstand, sobald er Ordnung und Zucht einführen will. Die »Paulisten« wehren sich gegen die emboabas, die Eindringlinge von der Küste, und es kommt zu verzweifelten Kämpfen, in denen schließlich die königliche Autorität die Oberhand behält. An und für sich ist es nur Habgier, welche die ersten Goldgräber, die den unerwarteten Reichtum mit niemand anderem teilen wollen, zusammenrottet. Aber hinter ihrem eigenmächtigen Widerstand wirkt als höherer Wille schon unbewußt ein nationales Empfinden. Die Paulisten stellen mit diesen ersten Revolten gegen die portugiesische Autorität rein instinktiv die Forderung auf, allerdings noch ohne sie zu formulieren, daß jeder Reichtum der brasilianischen Erde Brasilien gehöre; sie empfinden es als absurd, daß das Gold, das sie – oder vielmehr ihre Sklaven – graben, verwendet werden solle, um tausende Meilen über dem Meer in einem Lande, das sie zeitlebens nie sehen werden, Paläste und gigantische Klöster zu bauen. In gewissem Sinn ist dieser erste, rasch niedergeschlagene Aufstand der Goldgräber gegen die portugiesische Autorität schon das erste Vorspiel des großen Unabhängigkeitskampfes, der in derselben Stadt, an derselben Stelle ein halbes Jahrhundert später seine niedergehaltenen Kräfte neuerdings entladen wird. Denn das Gold als die sichtbarste, münzbarste Wertsubstanz hat Brasilien zum erstenmal das Selbstbewußtsein seines Reichtums gegeben; von der Stunde seiner Entdeckung an betrachtet sich das Land nicht mehr als der Verschuldete und Dankespflichtige gegen sein Ursprungsland, sondern als freies Subjekt, das seine einstige Verpflichtung bereits in hundertfachen Werten an die Heimat zurückerstattet hat.

Im ganzen dauert dieser Goldtaumel nicht länger als fünfzig Jahre. Dann versagt – eine Katastrophe für Portugal – diese kostbare Quelle. Aber immer wiederholt sich in der Geschichte Brasiliens das gleiche merkwürdige Phänomen: was für sein Mutterland, für Portugal, ein Unglück bedeutet, wird für die Kolonie zum Gewinn. Über Portugal bricht, sobald die Goldsendungen ausbleiben, eine Finanzkrise schwerster Art herein, die Pombal nicht bemeistern kann und die im weiteren Verlauf die Austreibung der Jesuiten und seinen eigenen Sturz zur Folge hat: Brasilien wird dagegen eher stabilisiert. Denn durch die Auffindung des Goldes ist eine neue Verschiebung des Gleichgewichts und damit eine erste Konsolidierung in der Menschenverteilung Brasiliens eingetreten. Abermals sind große Massen in das bisher schwachbesiedelte Innere verpflanzt worden, und selbst als das Schwemmgold im Sande abgeschöpft ist, ziehen es die einstigen Goldgräber vor, die hier keine Bleibe und auch sonst keine Heimat haben, statt an die Küste zurückzuwandern, in der mata, dem fruchtbaren Tiefland von Minas Gerais, sich anzusiedeln. Damit ist abermals – wie vordem São Paulo – eine Provinz bevölkert und der bisher ungenützte Strom des São Francisco als lebendige Verkehrsader gewonnen. Immer mehr wird Brasilien aus einer bloßen Küste ein wirkliches Reich.

Aber wichtiger als alles gewonnene Gold ist für Brasilien das mächtig erstarkte Gefühl seines eigenen Wertes. Teilweise in Kämpfen wider die von Norden gegen den Maranhão vordringenden Franzosen, teilweise durch kühne Streifung ins Unbekannte und fortschreitende Besiedlung des Westens, hat sich die Bevölkerung aus eigener Kraft das Flußgebiet des Amazonas, Mato Grosso, Goiaz, Rio Grande do Sul und eine Reihe anderer Provinzen gewonnen, deren jede einzelne räumlich so groß oder größer ist als die allmächtigen europäischen Staaten, wie Spanien und Frankreich und Deutschland; zu einer Zeit, da das gleiche umfangreiche Nordamerika kaum ein Sechstel seines Bodens kennt, hat Brasilien sich bis nahe zu den heutigen Grenzen ausgebreitet, und längst ist das eigene kleine Mutterland kein Maßstab mehr, denn eingezeichnet in die immensen Gemarkungen Brasiliens, erscheint Portugal klein wie ein Tintenfleck auf einem riesigen Tuch. Wie dann 1750 im Vertrag von Madrid endgültig die Grenzen der Kolonie gegen die spanischen festgesetzt werden sollen, muß Spanien ärgerlich anerkennen, daß Brasilien längst nicht mehr auf die veralteten Linien des Vertrags von Tordesillas zurückgeschoben werden könne und durch das stärkere Recht seiner kolonialen Leistung alle papierenen Paragraphen zunichte gemacht hat. Langsam beginnt um die Wende des achtzehnten Jahrhunderts Europa, beginnt das Land selbst zu begreifen, wie groß, wie mächtig, wie einheitlich es in den scheinbar ereignislosen Jahren auf seine stille, beharrliche Art geworden ist. Und je mehr es seiner Kindheit, seiner finanziellen Abhängigkeit entwächst, um so mehr muß es als Ungehörigkeit und Ungerechtigkeit empfinden, daß seine freie Entwicklung durch die unpolitische und überdies ungeschickte Vormundschaft Portugals immer noch in kleinlicher Weise gehemmt wird.

Denn um möglichst viel Gewinn aus seiner Kolonie herauszuholen, umstrickt die portugiesische Krone Brasilien mit einem Netzwerk von Gesetzen, das dem jungen Land die von Kraft strotzenden Adern vom Welthandel abbindet; die Regierung erlaubt zum Beispiel gerade dem Lande, wo die Baumwolle frei und üppig ihre Heimat hat, keine eigene Fabrikation von Textilwaren, um Brasilien zu zwingen, die Fertigware von Lissabon zu bestellen, und derartige Verbote häufen sich bis ins Willkürliche und Stupide. So wird 1775 durch ein Dekret verboten, Seife zu erzeugen, es wird verboten, heimischen Alkohol zu keltern, um die Konsumenten zu nötigen, mehr portugiesischen Wein zu trinken. Der Gouverneur weigert sich, in seinem Palast jemanden zu empfangen, der nicht aus portugiesischen Stoffen gefertigte Kleider trägt. Einem Lande, das schon zweieinhalb Millionen Einwohner besitzt, wird untersagt, Reis anzupflanzen, im Jahrhundert der Philosophie und Aufklärung seinen Städten nicht der Druck von Zeitungen und nicht einmal von Büchern erlaubt, kein Brasilianer darf ein fremdes Schiff kaufen, kein Ausländer in Rio leben und kaum einer dort landen. Brasilien wird abgesperrt wie der Privatgarten des Königs von Portugal. Selbst im neunzehnten Jahrhundert wird noch, als Humboldt für seine großartige Schilderung, die Brasilien erst wahrhaft für die Welt entdeckt, das Land bereisen will, den Behörden vertraulicher Befehl erteilt, wenn ein certain baron Humboldt sich einstelle, ihm die möglichsten Schwierigkeiten zu bereiten.

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