Kitabı oku: «Stadtflucht», sayfa 8
„Sie vergessen aber, dass sowohl Ihr Vater, als auch der Rest Ihrer Familie meinten, Ihre Mutter würde sich nie umbringen und dass Ihr einziger Sohn im Dauerstreit mit ihr lebte. Ja, die Badewanne war voller Blut und Wasser und mittendrin schwamm ein Haar Ihres Unterarms“, merkte Ulman süffisant an und ließ sich, ob seiner breiten Informationslage, selbstherrlich in seinen abgesessenen Stuhl zurücksinken.
„Aber bitte Herr Kollege. Das war vor neun Jahren sagen Sie? Ich sehe keinerlei Zusammenhang mit dem heutigen Grund unserer Zusammenkunft. Sind Sie verheiratet, haben Sie eine Freundin oder Verwandte? Haben Sie die Möglichkeit irgendwo abseits des Trubels zur Ruhe zu kommen?“
Alle neurologischen Schleusen waren geöffnet, der Strom an Tränen wollte nicht abreißen und wurde, ob der schlimmen letzten Begebenheit mit seiner Freundin, noch verstärkt. Niemanden hatte er mehr. Er war dort angelangt, wo er immer hinwollte. Aaron Röttger war ganz alleine und hatte nun bald seine Ruhe. Jedenfalls war sie vom Charakter her ein grundverschiedener Typ wie er, doch sie war gütig, rücksichtsvoll und liebte des Couch-Potatos kleine Macken. Trotz alle dem kam es immer wieder zu Streitigkeiten zwischen den beiden. Vor allem die negative Art des passionierten Nörglers zog auch ihr positives Gemüt hinunter und der Umstand, dass ihr Freund kein Wort mit Ihrer mutterähnlichen großen Schwester wechselte, belastete Sie und die Beziehung zusätzlich. Hinzu kam, dass sie, von Beruf Sängerin und Darstellerin kleinerer Musicalrollen, kaum ein Hobby mit ihm teilte. Sie lebten sich über die Jahre in ihrer gemeinsamen sechzig Quadratmeterwohnung auseinander und als Aaron mit Vorschlägen für kleine Schönheitsoperationen an sie herantrat war das Fass zum überlauf gebracht. Nein, der wimmernde Befragte konnte sich auf sie nicht mehr verlassen, seine Jasmin war ihm entglitten. Und nach dem Tod seiner Mutter und dem Umzug seines Vaters nach Australien blieb nur noch einer, der ihm jetzt den nötigen Schutz und Geborgenheit geben konnte: sein Cousin.
„Ja, mein Vetter. Wir sind wie Brüder. Er wohnt rund eineinhalb Autostunde nordwestlich von hier in einem kleinen Dorf, neben meiner Heimatstadt“, stellte Aaron euphorisch fest und wischte sich die Tränen aus dem roten Gesicht.
Rasch war erleichtert, dass der Zeuge wieder emotional zu sich kam.
„Gut. Wir müssen, und bitte, das ist nur eine Vorsichtsmaßnahme, eventuell davon ausgehen, dass der Mörder auch Sie oder Ihren Chef verletzen will. Können Sie dort für einige Tage unterkommen und mit uns in Kontakt bleiben? Benötigen Sie Polizeischutz?“
Bestürzung machte sich im Kronzeugen breit. Nun musste er seine tiefe Angst auch aus dem Mund des freundlichen Oberkommissaren hören: jemand konnte hinter ihm her sein und nach seinem Leben trachten! Der verständnisvolle Ermittler würde ihn sicherlich nicht grundlos oder aus Angstmache anlügen. Sein Herz pochte und pumpte das Blut aus seinem rot angelaufenen Kopf in seine schlotternden Extremitäten. Das war dann zu viel der Seifenoperetten-Darbietung für den abgezockten und routinierten Mittsechziger. Erbost, hintergangen und bloßgestellt fühlte er sich und sprang von seinem überbenutzten Stuhl auf, um durch den ganzen kleinen Raum zu fluchen: „Sind Sie verrückt Rasch, dieser Mann gehört in Untersuchungshaft! Woher will er überhaupt wissen, dass es ein Mörder war? Warum nicht mehr? Weil er es war! Sag, wo sind die Waffe und die Projektile? Im Müll hast du sie entsorgt, oder?“
„Aus Herr Kommissar! Verlassen Sie sofort den Raum!“, erwiderte der fassungslose Rasch, peinlich berührt und geistesgegenwärtig, mit flinken Fingern das Tonaufnahmegerät abdrehend.
Folgeleistend ergriff der cholerische Kommissar seinen Schnellhefter, drosch die Türe hinter sich zu und stürmte zu seiner Schreibtischfestung. Sein Kopf lief nun ebenfalls tiefrot an und seine Lederslipper traten mit vollem Genuss gegen seinen blechernen Papierkorb.
„Wissen Sie, was wir jetzt machen?“, schlug der, nun die ganze Reputation der Polizei retten wollende Rasch, in deeskalierendem Ton vor, „wir gehen gemeinsam zu meiner Kollegin Krings und holen Ihre Sachen. Sie geben mir die Kontaktdaten Ihres Chefs und wir besprechen wie Sie nach Hause kommen. Okay? Wenn wir noch Fragen hätten melde ich mich bei Ihnen.“
Nach Hause? Das Schlagwort für den welthassenden Phlegmatiker, der sich beruhigt hatte und seinen überschwänglichen Optimismus, ob dieser Worte, wieder mit schauspielerischem Geschick zu unterdrücken versuchte. Noch hielt seine antiegomanische Membran der durchdrängelnden Selbstverliebtheit stand und mit Nachdruck presste er eine Träne nach der anderen aus seinen Augen.
„Ich hab doch nichts damit zu tun, warum ist der Herr Kommissar so böse zu mir?“, bohrte er noch, gekonnt in des Oberkommissar Egowunden und untermauerte seine Rolle als liebevollen Überlebenden, der einfach nichts weiß und zu sehr traumatisiert und geschockt war, um mehr zu sagen als das, was er bereits den beiden Ermittlern und dem Diktiergerät verraten hatte.
Rasch geleitete den schluchzenden Zeugen, der seine nicht schließbare Hose fest vor dem Abrutschen umklammerte, aus dem Verhörraum durch das Großraumbüro, vorbei an der Papierfestung, in Richtung der forensischen Abteilung. Der rasend-böse Kommissar saß auf seinem Schreibtisch und versah den vorbeischlapfenden Aaron nicht nur mit seinem durchdringenden und anschwärzenden Runzelblick, sondern auch mit einem Zuruf, der durch das ganze Großraumbüro des Morddezernats hallte: „Der Teufel sitzt dir in den Augen, ich kriege dich! Ich habe euch alle gekriegt! Ordentlich gefirmt wirst du von mir!“
Dem gedemütigten Oberkommissar blieb nichts übrig als den Zeugen mit noch schnelleren Schritten an Isabella Krings zu überstellen. Was für eine rufschädigende Blamage für ihn. Als leitender Ermittler zuzulassen, dass eine Vernehmung so außer Kontrolle geriet. Der Karrierist Rasch war sich sicher, das hatte ein Nachspiel bei einer Unterredung mit dem Dezernatsleiter.
Mit seiner rutschenden Leihhose tat sich Aaron schwer dem Tempo zu folgen. Aber ansonsten empfand er nur Genugtuung. Innerlich strahlte er. Endlich hatte er genügend Überzeugungsarbeit geleistet. Zweieinhalb Stunden Wimmern, Jammern und Weinen hatten ein Ende. Äußerlich rang er sich weiter, die Parzellierung seines archivierten Kummers glaubwürdig dosiert, abzurufen. Keiner würde ihn nun mehr aufhalten Frieden und Ruhe zu finden. Und schon gar nicht mehr die Polizei.
„Krings, bitte händigen Sie Herrn Röttgers die Sachen aus“, bat der aufgekratzte Rasch die Spurensucherin.
Er vermittelte dem Kronzeugen das Gefühl, dass er ihn so schnell und so weit weg wie möglich vom Morddezernat schaffen wollte.
Bis auf seine Kleidungsstücke, welche noch für weitere Untersuchungen in der Gerichtsmedizin verbleiben mussten, konnte er seinen blau-weiß karierten Rucksack, sein Mobiltelefon, seine Geldbörse, seine Ausweiskarten und seine Schlüssel mitnehmen.
„Auch die Schuhe können wir nicht mitgeben“, stellte Isabella Krings in entschuldigendem Wortlaut klar, „wollen Sie uns nicht zeigen, was Sie in ihrem Rucksack haben?“
Der sich nun nicht mehr als dringend Tatverdächtiger Betrachtende, sah darin keinerlei Problem und zog freiwillig die Zips der beiden Rucksacktaschen von einer Seite auf die andere.
„In der hinteren Tasche habe ich Taschentücher, einen Schal und Winterhandschuhe. In der vorderen einen Regenschirmknirps, die heutige Zeitung, ein Plastiksäckchen mit getrockneten Cranberrys und eine Wechselunterhose.“
„Eine Wechselunterhose?“, fragte die Forensikerin erstaunt.
„Ja, man weiß ja nie“, grinste Aaron kleinlaut, um sich dann wieder hinter seiner weinerlichen Fassade zu verstecken.
„Ach Krings, lassen wir den armen Mann doch endlich in Ruhe!“ forderte der unruhige Oberkommissar seine spurensuchende Kollegin auf, ihm endlich seine Sachen auszuhändigen.
„In der kleinen Vortasche habe ich noch Kopfhörer und feuchtes Reiseklopapier“, legte der Zeuge mit dem unruhigen Darm nach.
Um das Prozedere endlich beenden und nach dem Abgang des indisponierten Kronzeugen, die Scherben aufräumen zu können, riss Rasch den Rucksack an sich, stocherte mit seiner linken Hand darin herum und warf einige kurzweilige Blicke hinein.
„Okay, wir verstehen, das ist alles nicht tatrelevant. Damit ist auch das geklärt. Krings, notieren. Durchsucht und nichts gefunden. Bitte geben Sie noch Ihre und die Kontaktnummer Ihres Chefs an. Aja, und die Adresse, wo Sie jetzt hinfahren“, skizzierte der gebürtige Bergländer die weitere Vorgehensweise.
Währenddessen Krings die benötigten Daten von Aaron aufnahm, späte der ambitionierte Karrierist mit einem scharfen, tief-erzürnten Gesichtsausdruck quer durch das gesamte Großraumbüro auf den Hinterkopf des rauborstigen Kommissars, welcher sich wieder an sein Aktenstudium machte, als wäre nichts passiert.
„Herr Oberkommissar? Was machen wir mit den fehlenden Schuhen und glauben Sie, der Zeuge holt sich ohne Jacke, bei diesem nasskaltem Wetter, nicht den Tod?“, unterbrach sie, nach getaner Arbeit, ihren Vorgesetzten beim Starren.
Geistig war Rasch schon in Vorbereitung ein Feuerwerk der Zurechtweisung loszulassen.
„Was? Aja. Wohin fahren Sie nun Herr Röttgers?“, fragte er ihn, wie ein überfreundlicher Gebrauchtwagenverkäufer seinen einzigen Kunden.
Lange musste Aaron nicht überlegen. Er wollte einfach weg aus dieser großen Stadt und seiner Einsamkeit und der panikmachenden Angst, der Mörder könnte auch noch ihn aufsuchen und liquidieren.
„Bahnhof. Nordbahnhof. Ich fahre gleich zu meinem Vetter. Die Adresse haben Sie ja nun.“
„Wenn eine Streife Sie hinfährt, reichen die Pantoffeln? Und keine Jacke?“, bot ihm der wohlerzogene Akademikersohn den Shuttleservice zum Bahnhof anzunehmen, um weitere Unannehmlichkeiten zu verhindern und war hocherfreut, als der Zeuge nickte.
„Weiters organisieren wir Ihnen noch Beistand aus dem Notfallpsychologischen Dienst für Traumabewältigung. Es wird sich jemand bei Ihnen melden.“
„Nein, bitte nicht, ich brauch keinen. Ich brauche niemanden außer Ruhe!“
Oberkommissar Mag. Jakob Rasch reichte Aaron Röttgers die Hand, entschuldigte sich bei ihm für die Unannehmlichkeiten und verwies ihn an die beiden herbeigeeilten Streifenpolizisten, die ihn zum Bahnhof kutschieren sollten.
Sowie der Zeuge mit den beiden Beamten, vorbei am Empfang und durch die Milchglastür verschwunden war, richtete er den doppelten Windsorknoten an seiner schwarz-rot gestreiften Seidenkrawatte und stampfte zurück in das Großraumbüro.
„Magnin!“, rief er eine Kommissarin herbei, „hier die Kontaktdaten des Geschäftsführers. Checken Sie alles über ihn. Er muss kommen. Und hier die Adresse, wo unser Zeuge jetzt hinfährt. Rufen Sie bei der Kreisstadtpolizei an. Die sollen morgen eine Streife vorbeischicken und nach dem Rechten sehen. Und wenn noch Zeit bleibt, fordern Sie psychologische Betreuung für den traumatisierten Mann an.“
„Ja, Herr Oberkommissar. Und wie geht es dann weiter?“, fragte die junge Kommissarin.
„Ich weiß es nicht Magnin. Ich weiß es noch nicht. Aber eines weiß ich. Von unseren achtundvierzig Stunden sind schon fast zwölf vergangen. Das werden lange Nächte. Nachdem Sie die Anrufe getätigt haben, trommeln Sie alle zusammen! Ich unterhalte mich einstweilen mit unserem hochdekorierten lahmen Gaul.“
Kapitel 8 Ab in die Scheiße
Erbost und fassungslos stürmte Oberkommissar Magister Jakob Rasch in das Großraumbüro des Morddezernats der Metropolpolizei Distrikte Süd-Ost, um dem cholerischen Kommissar die Leviten zu lesen.
„Ulman in mein Büro!“
Das Murmeln und Tastaturgeklapper, ja selbst das Telefongeläut, verstummte für einen Moment. Alle Aufmerksamkeit war auf den alternden Kommissar Sebastian Ulman in seiner vermüllten Papierstapelburg und auf den bergländischen Karrieristen, der an sich durch seine Besonnenheit bekannt war, gelenkt.
Laut stapften die braun-melierten Schlangenlederschuhe über die anthrazitfarbenen Fliesen, durch die Schreibtischgasse der großzügigen Amtsräume entlang und verschwanden hinter der Milchglastür seines Büros. Und während das tobende Schauspiel noch immer jegliche Zuwendung der Beamtenschaft auf sich zog, erhob sich der uneinsichtige Mittsechziger aus seinem ausrangierten Ledersessel, der die gleichen Dienstjahre wie er auf dem Buckel zu haben schien und bewegte sich langsam und zögerlich seinem jungen Vorgesetzten zu folgen.
Vor dem großen eichenen Schreibtisch nahm er, in einem der beiden eleganten weißen Ledersessel Platz und betrachtete die Urkunden, Diplome sowie Pokale und Medaillen, welche die Wand vor ihm schmückten und dem Nutzer dieses Arbeitsplatzes, wie in einem fürstlichen Thronsaal erscheinen ließen.
Rasch sank in seinen dick gepolsterten und ergonomisch geformten Drehstuhl und durch seine gut gebaute und durchtrainierte Statur kamen die Beurkundungen seiner akademischen Leistungen und sportlichen Erfolge, an der Trophäenwand hinter ihm, noch mehr zur Geltung. Es war, als würde der kleinlaute Ulman gegen ein Meer von Spiegeln und Lichtreflektoren blicken.
Inmitten dieses einschüchternden Prunkspektakels sammelte die einnehmende Gestalt des frisch rasierten, die Frisur perfekt sitzenden und bestens gekleideten Oberkommissar Mag. Jakob Rasch, dessen muskulöser Oberkörper nun begann sich aufzuplustern, seine Wut.
„Was soll das für ein Auftritt sein? Sie schüchtern Zeugen ein. Nein, Opfer. Dieser Mann ist knapp dem Tod entronnen und steht unter Schock. Derzeit werden wir nicht mehr von ihm erfahren, als er uns gesagt hat! Mehr weiß er auch nicht.“
Dem, mit allen Wassern der Gosse gewaschenen Kommissar, konnte die klar, mit körperlicher Präsenz und lukullischem Ambiente untermauerte Ansage seines Vorgesetzten nicht imponieren. Im Gegenteil er beharrte auf seinen Ansichten.
„Herr Magister. Fakt eins: der Täter ist jemand mit Ortskenntnis. Schlüssel für das Haus und das Bewusstsein, dass er alle Zeit der Welt für seine Tat hatte. Wie unser, nennen wir ihn einmal Zeuge. Fakt zwei: Den Opfern wurden Stücke ihrer Haut entfernt, das lässt darauf schließen, dass der Täter die Opfer persönlich gekannt hatte und ihnen etwas wegnehmen wollte, dass sie öffentlich brandmarkt. Das alles war gründlich, der Täter ist ein Serienmörder und Trophäenjäger. Er wollte die Opfer nicht übermäßig töten, sondern wusste genau was er wollte. Willkürlich aus den Körpern geschnitten. Fein säuberlich. Mit Trophäen kennen Sie sich ja aus.“
„Und warum soll das der Zeuge gewesen sein?“
„Fakt drei: Ich habe es in seinen Augen gesehen. In ihm steckt der Teufel. Darum habe ich gleich seine Akte überprüft. Ich brauchte nur eine halbe Stunde Aktenstudium und habe einen neun Jahre alten Fall gelöst. Sind hier alle so blind?“
„Was haben Sie gelöst Ulman? Sagen Sie es mir.“
„Man fand im Blut der Mutter eine Überdosis Benzodiazepine. Nun benötigt man, ich denke das ist am Land genauso wie hier, ein ärztliches Rezept dafür. Dieses wurde nie ausgestellt. Woher die Schlaftabletten kamen ist bis heute ein Rätsel.
„Und weiter“, gab ihm der unbeeindruckte Oberkommissar die Chance, seine Ausführungen weiter auszuschmücken, während er in seinem ledernen Lehnsessel lehnte und einen Tennisball zwischen seinen Händen pendeln ließ. Für Rasch war jeder Ansatz relevant. Hauptsache dieser Fall war bald geklärt.
„Scheinbar ist unser Mann damals bei unseren ländlichen Ermittlerkollegen, die halbtags Schweine züchten und nebenbei versuchen Mordfälle zu lösen, durchgekommen. Aber nicht hier.“
„Ulman! Sie schaffen das alleine nicht. Achtundvierzig Stunden sind die Grenze für die höchste Aufklärungschance und zwölf haben Sie schon verplempert. Ein Einsatzteam muss her. Alle Opfer durchleuchten. Das schaffen Sie nicht alleine“, schloss er mit doppelter `L´-Rollung über seiner Zunge ab.
„Warten Sie Herr Magister, es geht noch weiter. Unser, nennen wir ihn eben weiterhin noch Zeuge, hatte seit Jahren ein streitbares Verhältnis zu seinen Eltern. Darum ist er drei Jahre vor dem Tod der Mutter zu seinem Großvater gezogen. Wie kommt dann ein Oberarmhaar von ihm in die Badewanne voller Blut? Dort wo, die Leiche seiner Mutter gelegen hat?“
„Sie meinen die Frau schluckte eine Überdosis Schlaftabletten, lässt sich ein Bad ein und schneidet sich die Pulsadern auf. Und weil ein Haar ihres Sohnes darin ist, denken Sie er sei unser Mann? Vor welchem Gericht soll das halten?“
„Der Großvater stirbt ein Jahr vor dem Mord an der Mutter. Unser Zeuge lebt mit seinem Cousin gemeinsam im Haus des Großvaters. Die Mutter erbt es vom Verstorbenen und gibt es dann dem Cousin weiter. Der Sohn schaut durch die Finger.“
„Das soll sein Motiv gewesen sein?“
„Jeder Befragte gab damals an, dass ein Selbstmord lächerlich sei und ihr Sohn den teuflischen Charakter hätte so etwas zu tun. Sogar der Vater sagte das aus und nachdem die Todesursache als Selbstmord deklariert wurde, zog dieser nach Australien. Er flüchtete, sage ich.“
„So diabolisch kam mir der Zeuge heute gar nicht vor“, lachte Rasch, „wie ist die Sachlage bei unserem Fall? Keine Schmauchspuren, damit scheidet er als Schütze aus.“
„Kennen Sie diese schwarzen Latexdinger? Handschuhe nennen die sich“, fragte der, sich nicht ernst genommene Ulman süffisant.
„Herr Kommissar, dann wären auf der Kleidung Spuren. Außerdem besitzt der Zeuge weder einen Waffenschein, noch eine Waffe. Ich schätze ihn auch nicht so ein, dass er sich eine am Schwarzmarkt besorgen könnte.“
„Das sagen Sie. Meine These: Er flippt aus, egal warum. Fährt in die Arbeit, mit der Gewissheit, dass alle Wohnungen in dem Zinshaus unter der Woche leer sind. Alles geplant. Niemand stört ihn, er hat Zeit. Er knallt seine Kollegen ab, weiß genau, wo er wen vor Ort und Stelle vorfindet und entnimmt seine Trophäen aus der Haut der Opfer …“
„Bitte, Herr Kommissar“, forderte der belustigte Bergländer einen Sinn zur Realität ein.
„Dann sammelt er die Patronenhülsen ein, Riss die Projektile aus der Wand, wechselte die Kleidung, kackt ins Klo und entsorgt alles Unliebsame im Restmüllcontainer vor dem Haus. Im Wissen, dass diese jede Minute abgeholt und entsorgt werden. Dann rief er, mit englischem Akzent, mit so einem, wie sagt man? ´Pri-Handi´, dass er dann später auch entsorgte, die Polizei an und kauerte sich unter die Stiegen, bis die Beamten eintrafen.“
„Wo sind die Trophäen?“
„Ich weiß es nicht. Aber Waffe, Projektile, Hülsen, Mobiltelefon und dekontaminierte Kleidung in der Müllverbrennungsanlage.“
„Wenn Ihre wahnwitzige Theorie stimmt, sind diese Beweismittel damit ohnehin verloren. Es ist neunzehn Uhr dreiundvierzig und alles verbannt.“
„Nein, der heutige Müll rund um den Tatort ist gesichert und wird von einem Heer an Spurensichern gerade durchforstet. Da fällt Ihnen der Suppenschlitz auseinander, oder?“, griente der vorlaute Mittsechziger, in Erwartung eines bestätigendes Lobes.
Wahrlich konnte Oberkommissar Rasch vor Erstaunen seine Lippen nicht mehr geschlossen halten und sein Gesichtsausdruck verwandelte sich von amüsiert in ungläubig-erstaunt. Kurz musste er sich fassen, um sein Gegenüber nicht mit dem Tennisball zu bombardieren und seine nächsten Worte gewillt und höflich zu formulieren. Da klopfte es an der Milchglastüre und Dr. Peter Weiss trat, ohne Hereinbitten des Büroinhabers, ein. Seine vormittägliche Tatort-Adjustierung, Einweg-Overall, Überziehschuhe und schwarze Plastikhandschuhe wichen einem weißen langen Labormantel und einer lila-rosa gestreiften Krawatte, ganz seinem Rang, als oberster Forensiker der Hauptstadt, angemessen.
„Bitte entschuldigen Sie Herr Magister Oberkommissar, dass ich hier einfach so hereinplatze, aber ich muss mit Ihnen sprechen. Sie sind ja nun der Chefermittler in dem Fall der drei getöteten Personen in Distrikt neunzehn heute Vormittag?“, bat er um Nachsicht für sein Eindringen.
„Herr Doktor Weiss. Bitte kommen Sie herein und setzen sich“, antwortete Rasch, erfreut über den zusätzlichen Know-How-Input zu dem, in eine Sackgasse führende Gespräch, mit Ulman.
„Ich komme vom Flughafen.“
„Flughafen?“
„Ja, Kommissar Ulman hatte angeordnet, dass die Müllcontainer aus den umliegenden Häuserblocks beschlagnahmt und dort in einen Hangar gebracht werden. Derzeit suchen zwölf Polizisten und vier Spurensucher, unter der Anweisung von zwei meiner Leute, nach Beweismittel.“
Das stolze Sozialbaukind fühlte sich in seiner schnellen Reaktion bestätigt und setzte ein selbstzufriedenes Grinsen auf.
„Und, was haben Sie gefunden?“, legte er selbstsicher nach.
„Herr Kommissar, wir werden dort bis Ende der Woche nicht fertig. Der Müllberg ist zu groß. Alles dreht sich um Effektivität.“
Bevor dieser noch in seiner direkten und wüsten Art antworten konnte fiel ihm Rasch ins Wort: „Was für ein Blödsinn. Ulman, ich weiß nicht, was ich mit Ihnen machen soll? Ihre wahnwitzige Theorie, dass dieser, unter Schock stehende Zeuge, der Täter ist, ist verrückt. Diesen Fall lösen wir nur mit harter Investigativ-Arbeit und nicht im Dreck. Nun haben wir einen Hangar voll Müll am Flughafen. Was soll ich dem Dezernatsleiter erzählen?“
„Herr Magister, Herr Doktor und Herr Bürgermeister. Alle feinen Leute. Wenn es Ihnen nicht passt, dann klettere ich allein in den Dreck. Ich bin im Sozialbau und auf den Straßen aufgewachsen. Ich verstecke mich nicht hinter einer Krawatte und die Krawatte nicht hinter einem Schreibtisch.“
Rasch und Weiss blickten einander, in vertraut verdutzter Weise an. Die allseits gewohnten despektierlichen Rundumschläge des Großstadteingeborenen waren wieder an der Tagesordnung. Oft kam mit dem Mundgeruch der passende Inhalt über Ulmans Lippen.
„Folgendes. Herr Kommissar. Es klingt verrückt, aber wir müssen jeder Spur nachgehen. Aber diese ist sichtlich kalt. Der Druck der Öffentlichkeit, der Medien und der Politik ist immens. Alle Einsatzkräfte vom Flughafen abziehen. Wir brauchen nun eine Task-Force. Eine Talente-Aufteilung. Effektivität mit der Uhr und den Ressourcen.“
Es brodelte wieder unter des Mittsechzigers hohem Stirnansatz und seinen, mit Fett nach hinten gekämmten, zu einen Zopf gebundenen Haaren. Seine Augenbrauen, bedingt durch seine runzelnde Stirn, glitten fast über seine tiefsitzenden rehbraunen Augen und seine Hände ballten sich zu Fäusten, als Weiss kurzerhand einwarf: „Wir haben schon mit der Müllabfuhr gesprochen. Es ist erst ab Samstag möglich den Hangar zu leeren.“
„Hören Sie das Ulman? Wenn das die Presse mitbekommt. Wir füllen den Flughafen mit Müll an. Um Gottes Willen. Bis Ende der Woche will ich Ergebnisse sehen, ansonsten ziehe ich Sie von dieser Angelegenheit ab. Ich bin der erste Ansprechpartner in diesem Fall.“
„Aber es war dieser Röttgers!“, fuhr der großstädtische Kommissar aus seinem hageren, dünnen Körper.
„Da wäre ich mir nicht so sicher“, warf der besonnen gebliebene Weiss ein, „ich bin kein Ermittler und ich mische mich auch nicht ein, aber nichts deutet auf einen ´Overkill´ hin. Ist das nicht oft so, bei persönlichen Verbrechen aus Hass?“
„`Owakill´ - ´DaskFors´? Sprechen Sie mit mir, wie einen normalen Menschen!“, platzte der hohlwangige Mittsechziger noch mehr durch das prächtig ausstaffierte Büro.
„Aus!“, beendete der oberkommissarische Karrierist das beidseitige Fantasieren und knallte den Tennisball auf seinen eichenen Schreibtisch, „Weiss, geben Sie mit Ihrem Endbericht der Spurensuche Gas und Sie Ulman, räumen Ihren Arbeitsbereich auf. Danach suchen wir in der ´Task Force´ einen Platz für Sie. Auf geht’s meine Herren!“
Ohne Wiederwort erhob sich der zum Putzkommando abgestempelte Kommissar aus dem weißen Lederstuhl, schnappte seinen Schnellhefter und schritt, ohne ein Anzeichen einer Verabschiedungsgeste, zur Milchglastüre hinaus.
Weiss hatte in seiner langen Karriere schon mit vielen schwierigen Charakteren, aus den verschiedensten Dezernaten der Hauptstadt, zu tun gehabt. Vielleicht sogar war es Voraussetzung diesen Beruf ausüben zu können, wenn man schwierig und kantig war. Und genau aus diesem Grund wollte er die Situation noch mit einer freundlichen Begebenheit abschließen, hatten sie doch über die Jahre viele schreckliche Tatorte gemeinsam besucht und hatte er stets die Gefühlsregungen seines cholerischen Investigativ-Kollegen geduldet. Jahrelang hatte er seine Eskapaden ertragen und er fühlte, dass sich der Mittsechziger, in seinem x-ten Dienstjahr, am Ende seines Wohlfühlbereichs angekommen sah.
„Herr Kommissar! Wie ging es bei Ihrem letzten Fall, dem Blutenden am Tresen in Distrikt zehn, weiter?“
Verblüfft über das plötzliche Interesse an seiner Person und den damit verbundenen Geschichten, blieb der beleidigte Kommissar stehen und drehte sich mit frohlockendem Gesichtsausdruck, inmitten seines Dreitagesbartes, um und berichtete voller Enthusiasmus. Einen Moment war sein Groll auf die beiden Herren wie verflogen.
„Der am Tresen Verbliebene saß dort mehr als zehn Minuten allein. Ein anderer Gast kam bei ihm vorbei und bemerkte, dass er aus der Seite blutete. Der Typ sah, dass sein Hemd auf der linken Seite komplett blutverschmiert war und in dem Moment, wo ihm das klar war, sank er zusammen und stürzte vom Barhocker und verreckte. Der Typ bekam einen Bauchstich und merkte es nicht mal. Keiner wusste wer es war und niemand wollte es gewesen sein. Beim Vorbeigehen schnell hin gestochen.“
„Das ist ja tragisch“, zeigte sich der schnauzbärtige Weiss, über den Ausgang des Falles und den belustigten Enthusiasmus des lachenden Erzählers erstaunt.
„Keine Angst. Der Fall ist gelöst. Das was Leute aus den Bergen und feine Herren aus wohlhabendem Haus nicht verstehen ist, dass der Täter dann drei Tage später in einer Seitengasse, nahe der Bar mit einer tiefen Bauchwunde tot aufgefunden wurde“, berichtete Ulman mit gewohnt tiefer, kratziger Stimme. „Was ist dabei Ihre Apperzeption? Haben Sie nicht genug davon?“, fragte der Spurensucher erstaunt nach.
Der alternde Kommissar schüttelte den Kopf.
„Verwenden Sie bitte Worte, die jeder Mensch versteht. In meiner Stadt bekommt jeder seine Rechnung. Teure Rechnungen, die einfache Menschen wie ich ständig zahlen müssen.“
Noch bevor der, sich verteidigen wollende Weiss, ausführen konnte, dass sein Vater Schlosser und seine Mutter Hilfsköchin waren und ihm der akademische Weg nicht geschenkt wurde, verschwand der gedemütigte Choleriker in Richtung seiner vermüllten Schreibtischburg.
Mit der Dunkelheit zog auch wieder ein leichter Nieselregen, der viertelstündlich stärker wurde, über die Metropole am Strom. Aaron saß, voller Genugtuung, am Rücksitz des Polizeiwagens, welcher ihn zum Nordbahnhof brachte. Seine akute Fluchtangst hinter sich gelassen, machte sich in ihm ein Gefühl der Selbstzufriedenheit breit. Nun konnte er genüsslich aus dem Fenster blicken und die vorbeiziehenden Menschenmassen, ausgeleuchtet durch das künstliche LED-Licht der Straßenbeleuchtung, mit Entzücken beobachten. Wie ein Fürst in seiner Kutsche, wie aus einem geschützten Subkontinent heraus, beobachtete er das rege Treiben auf den Straßen der Großstadt, die ihn mit Amüsement unterhielten. Menschen, die versuchten vorm Regen zu fliehen, andere die mit ihren Regenschirmen alle anderen Passanten niederrammten und wieder andere, die sich aus öffentlichen Verkehrsmitteln heraus- oder hineindrängten, nur um keinen Tropfen Wasser abzubekommen. Jogger, die neben dreispurigen, stark-frequentierten Straßen liefen und unweigerlich nass wurden. Muslimische Mütter, die versuchten das Innere ihrer Kinderwägen vor dem himmlischen Nass zu schützen und Jugendliche, die lediglich mit Trainingsanzug und Frühlingsjacke unter Bäumen dem Wetterschauer zu trotzen versuchten. Nur eines konnte Aarons Stimmung noch steigen lassen, endlich wieder nach Hause zu kommen, aufs Land.
Seinen Cousin, den er als Bruder betrachtete, zu besuchen und in das Haus seiner Großeltern zurückzukehren, mit dem er die schönsten Kindheitserinnerungen assoziierte. Endlich wieder eine Vertrauensperson, bei der man sich geborgen und verstanden fühlte. Zuletzt hatte er die Hauptstadt vor gut zwei Monaten verlassen und sich auf die eineinhalbstündige Reise in seine Heimat aufgemacht und nachdem sich der, per Mobiltelefon vorgewarnte Cousin, ebenso über seine noch heutige Ankunft, freute, wie er selbst, konnte dem Tageshappyend nun nichts mehr im Weg stehen. Ja, er wollte es sogar noch verfeinern und am Bahnhof einen seiner geliebten Fast-Food-Ketten einen Besuch abstatten, um seinen knurrenden und strapazierten Magen zu besänftigen, der sich in der stressabklingenden Phase des Tages, nun mit lautem Brummen meldete.
Irgendwie schien es, als hätte er, nach dem heutigen Tag, emotional mit der Großstadt abgeschlossen. Seine Freundin war weg, seine Arbeit nicht mehr existent und ein Mörder vermutlich hinter ihm her. Dieses Betonlabyrinth konnte ihm, außer heißen Sommern und Anonymität nichts mehr geben. Nein, sie nahm ihm sogar mehr, als sie einst geben konnte. Die toleranten Abgründe der selbsternannten freien, westlichen Zivilisation bekam er bei jedem Verlassen seiner Wohnung aufgezeigt und so wollte er sich einfach nicht mehr ärgern lassen, denn aus seinem tiefsten Inneren stieg eine Grundzufriedenheit auf, welche sich anfühlte, als sei er neu geboren. Alle Lasten seines bisherigen Lebens schienen von ihm abzufallen und die selbst aufoktroyierenden schlechten Einflüsse seiner Umwelt prallten von ihm ab, wie die immer intensiver auf die Autoscheiben prasselnden Regentropfen.
Selbst als ihn, die unter Dachvorsprüngen und Vordächer kauernden Passanten anstarrten, während er direkt vor dem Bahnhof aus einem Polizeiauto stieg und im strömenden Winterregen, per Slalomlauf, versuchte seine weißen Schlapfen von Wasserpfützen fernzuhalten und sich dabei bemühte, seinen offenen Hosenbund vom Abrutschen Richtung Knie abzuhalten.
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