Kitabı oku: «Wahre Römer», sayfa 3

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Andronicus: Von der Camena geküsst

Wir haben bisher je einen Sabiner und einen Latiner kennengelernt, die zu Römern wurden, jetzt wird es Zeit für einen griechisch-stämmigen Neurömer. Unser Kandidat heißt Andronicus und stammt aus dem süditalischen Tarent. Nach Rom gelangte er im 3. Jh. v. Chr., als Sklave nach der Einnahme der Stadt durch die Römer. Er lebte dann im Haushalt der Livier und wurde später freigelassen, was ihm das römische Bürgerrecht und seinen römischen Namen einbrachte: Lucius Livius Andronicus. Denn ein Freigelassener behielt als cognomen den Namen, den er schon als Sklave hatte, und übernahm Vornamen und Familiennamen seines ehemaligen Herren, der die Freilassung bewirkt hatte (Antike Autoren bezeichneten ihn deshalb meist einfach als Livius, während man heute als Kurzform Andronicus bevorzugt, vor allem, um Verwechslungen mit dem gleichnamigen kaiserzeitlichen Historiker vorzubeugen).

Man erkannte in Rom seine literarischen Talente; er war als Lehrer für die Söhne des Hauses Livius tätig, vor allem jedoch wurde er, der Grieche, zum eigentlichen Begründer der römischen Literatur und des römischen Theaters. Und neben der Arbeit an den Stücken stand er auch selbst als Schauspieler auf der Bühne.

Soweit jedenfalls die Standardversion von Andronicus’ Leben, wie sie sich in Übersichtsdarstellungen findet. Die Details sind auch hier wieder einmal umstritten: Selbst sein Vorname Lucius ist nicht sicher, auch Titus ist in der Überlieferung im Angebot. Gravierender sind jedoch die offenen Probleme rund um seine Herkunft, denn sie betreffen die grundsätzliche Frage nach den Anfängen der römischen Literatur. Wir werden uns später diesem Thema zuwenden, aber zunächst einen Blick auf die literarische Produktion des Andronicus werfen.

Die ersten ludi scaenici, also Bühnenspiele, fanden in Rom schon 367 v. Chr. statt. Dabei handelte es sich jedoch noch um Tanzdarbietungen mit Musikbegleitung, die man aufführte, um anlässlich einer pestilentia die Götter zu besänftigen (Wir wissen nicht, welche Seuche das war, die Übersetzung mit „Pest“ im Sinne des Schwarzen Todes wäre jedenfalls falsch). Zu diesem Zweck hatte man eigens Experten aus Etrurien kommen lassen; der Konsul, der das veranlasst hatte, war übrigens der gebürtige Volsker Popillius Laenas, dem wir im vorigen Kapitel begegnet sind.

Die Seuche ging, die Begeisterung der Römer für die ludi scaenici blieb - auch deshalb, weil man im Laufe der Zeit das Ganze zunehmend mit witzigen Einlagen und einer Spielhandlung aufpeppte. Das erste echte Theaterstück bekamen die Römer aber erst zu sehen, nachdem Andronicus in die Stadt gelangt war.

Abb. 4: Terrakottafigur eines Schauspielers, der vielleicht eine Figur aus Menanders Komödie „Der Griesgram“ darstellt, um 330 v. Chr. (Paris, Musée du Louvre).

Denn Andronicus brachte die humoristischen Kleinkunstdarbietungen, die bis dahin die römische Bühne dominiert hatten, auf Weltniveau, sprich griechisches Niveau. Er entfaltete eine umfassende Übersetzertätigkeit, bei der er zahlreiche Dramen aus dem Griechischen in Latein übertrug. Man kennt die Titel von diversen Stücken, etwa die Tragödien „Das Trojanische Pferd“, „Achilles“, „Aegisthus“ und „Ajax“, und dazu die Komödien „Gladiolus“, „Virgo“ und „Ludius“. Von den Schriften selbst hat sich fast nichts erhalten, die heutige Ausbeute aller seiner Werke beträgt maximal 50 Zeilen Text.

Trotz dieser dürftigen Überlieferung kann man sich ein Bild von der Arbeitsweise des Andronicus machen, und man erkennt, dass dieser erste literarische Übersetzer der gesamten europäischen Geschichte in reflektierter und methodischer Weise vorging. Das beginnt mit der gezielten Auswahl der übersetzten Stücke: Alle Tragödien, die er übertrug, stammen aus der klassischen Tragödie des 5. Jhs. v. Chr., während er bei den Komödien die Richtung der attischen Neuen Komödie aus hellenistischer Zeit bevorzugte (Abb. 4).

Ebenso wichtig war das Ringen mit der Sprache, denn das Griechische ist in gewisser Weise geschmeidiger als Latein, es erlaubt z. B. fast unbegrenzte Wortneubildungen durch Zusammensetzungen, was im Lateinischen viel schwieriger ist. Ebenso galt es, für die verschiedenen griechischen Versmaße passende Entsprechungen in der lateinischen Sprache zu finden.

Der erste von Andronicus übertragene Text war allerdings kein Theaterstück, sondern ein noch anspruchsvolleres Projekt, die Übersetzung der Odyssee. Von seiner „Odusia“, wie er das Epos auf Latein nannte, ist zumindest die Anfangszeile erhalten. Anstelle des Hexameters Homers verwendete er den Saturnier, der zwar nicht sehr elegant ist, aber als altrömisches Versmaß seinen Lesern vertraut war. Im Original heißt es

„Andra moi ennepe, Moûsa, polytropon …“

was bei Andronicus wurde zu

„Virúm mihí, Caména, ínsecé versútum …“

In der deutschen Übersetzung von Johann Heinrich Voß lautet Homers Zeile

„Sage mir, Muse, die Taten des vielgewanderten Mannes …“

wobei offensichtlich Voß (1751 – 1826), nach mehr als zwei Jahrtausenden europäischer Kulturgeschichte, keine Bedenken hatte, beim Leser die Kenntnis des Wortes Muse vorauszusetzen. Ganz anders Andronicus, der noch nach einer lateinischen Entsprechung für Mousa suchte und bei Camena landete. Die Camenae (es gab mehrere) aus der römischen Mythologie waren eigentlich eine Entsprechung der griechischen Quellnymphen, nicht der Musen. Aber durch die Ähnlichkeit ihres Namens mit dem Wort carmen (Lied) glaubte man später, sie seien auch für die Dichtkunst zuständig. An diesem Detail zeigt sich, wie sorgfältig sich Andronicus um eine Übersetzung bemühte, die dem Original gerecht wurde und dem neuen Leserkreis trotzdem verständlich war.

Später entwickelte sich eine eigenständige römische Literatur, die nicht mehr nur von Übersetzungen griechischer Werke abhängig war. Ein Punkt jedoch, der bei Andronicus als Erstem zu konstatieren ist, bleibt für die römische Literatur bis zum Ende typisch: Die allermeisten römischen Autoren stammten nicht aus Rom.

Die Frage, wann genau Andronicus nach Rom kam (und warum), hängt mit der wechselvollen Geschichte der tarentinisch-römischen Beziehungen zusammen. Im Jahr 284 v. Chr. kamen die Römer der kleinen Stadt Thurioi zu Hilfe, mit der sie verbündet waren und die von den Stämmen der Lukaner und Bruttier bedrängt wurde. Eigentlich war dies kein direkter Konflikt mit Tarent – aber die Tarentiner sahen hier einen römischen Übergriff auf ihr eigenes Einflussgebiet im südlichen Italien und votierten für Krieg.

Tarent war eine der bedeutendsten griechischen Kolonien in Italien; es hatte eine ansehnliche eigene Armee und, ähnlich wie Rom, ein System verbündeter Städte, den Italiotenbund. Dessen Wert war allerdings begrenzt, denn das Lieblingsspiel der griechischen Poleis, der Krieg aller gegen alle, wurde auch unter diesen Verbündeten gespielt. Davon abgesehen war aber ohnehin klar, dass Rom in eine ganz andere Liga gehörte, und so suchte Tarent einen mächtigen Verbündeten außerhalb Italiens.

Die Wahl fiel 281 v. Chr. auf König Pyrrhos von Epiros, ein Cousin von Alexander dem Großen, und begierig, sich denselben Feldherrenruhm wie der makedonische Vetter zu erwerben. In der Praxis war seine Bilanz aber eher bescheiden, vor allem, weil Pyrrhos nach anfänglichen Misserfolgen schnell die Lust verlor. Da sich die römischen Barbaren als zäher erwiesen als erwartet, verließ Pyrrhos 275 v. Chr. Italien für immer; drei Jahre später kam er in Argos bei einem weiteren militärischen Abenteuer ums Leben.

Damit war die Option Pyrrhos endgültig vom Tisch, und es kam zum Friedensschluss Tarents mit Rom. Die Bedingungen waren recht günstig, und Tarent war hinfort ein Verbündeter Roms. Als jedoch Hannibal im Zweiten Punischen Krieg kreuz und quer durch Italien zog, gehörte Tarent zu der Minderheit römischer socii, die eine Chance auf völlige Unabhängigkeit witterten und sich Hannibal anschlossen. Das war 213 v. Chr., vier Jahre später wurde Tarent von den Römern zurückerobert und diesmal gab es keine milden Friedensbedingungen: Die Stadt wurde geplündert, die Stadtmauern geschleift und die Einwohner deportiert.

Scheinbar passt alles gut zusammen: Andronicus wurde 209 v. Chr. versklavt und kam in das Haus Livius. Sein erstes literarisches Werk in Rom war 207 v. Chr. ein Hymnus zu Ehren der Göttin Juno; den ehrenvollen und wohl auch lukrativen Auftrag hierfür erhielt er auf Veranlassung seines Patrons Livius Salinator, und Andronicus wurde eine Art literarischer Celebrity. Die erste Aufführung eines von ihm übersetzten Stückes wird auf 197 v. Chr. datiert. Dies jedenfalls sind die Eckdaten zu Andronicus Karriere, die später vom römischen Autor Accius zusammengestellt wurden (geb. ca. 170 v. Chr.?), der selbst Theaterstücke schrieb und sich für die Geschichte seines Metiers interessierte.

Nun wissen wir nicht, auf welche Dokumente sich Accius stützte, und wie getreu er ihren Inhalt in seine Rekonstruktion einfließen ließ. Schlimmer noch: Die Darstellung des Accius ist uns nicht aus seiner eigenen Feder erhalten, sondern nur in der Wiedergabe in Ciceros Rhetoriklehrbuch „Brutus“. Cicero kann man hier allerdings nicht als fair bezeichnen, ging es ihm doch darum, Accius Schludrigkeit nachzuweisen.

Eine neue Generation von Gelehrten, neben Cicero auch Varro und Atticus, hatte sich um 50 v. Chr. daran gemacht, die Frühgeschichte der römischen Literatur neu zu bewerten. Kernpunkt dabei war die Feststellung, dass das erste römische Theaterstück aus der Übersetzerwerkstatt des Andronicus schon 240 v. Chr. aufgeführt wurde. Und das hat gewichtige Konsequenzen: Dann kann er wohl nicht erst 209 v. Chr. nach Rom gelangt sein. Man hat bis in die moderne Forschung versucht, Accius hier trotzdem partiell zu retten, mit der Annahme, er habe einfach zwei römische Siege über Tarent verwechselt – wenn Andronicus nicht 209 v. Chr. versklavt wurde, dann eben schon 272 v. Chr. Diese Rekonstruktion führt aber sofort zu neuerlichen Problemen.

Zum einen gab es 272 v. Chr., anders als 209 v. Chr., kein verheerendes römisches Strafgericht über Tarent, die Bevölkerung wurde nicht deportiert. Dazu war Andronicus, falls 272 v. Chr. überhaupt schon geboren, höchstens ein Kind, kein ausgebildeter Experte für griechisches Theater. Aber wenn er der Erste war, der die Kenntnis griechischer Dramen nach Rom gebracht hat, kann er sich logischerweise dieses Wissen nicht in Rom angeeignet haben – und erst recht nicht die praktische Erfahrung mit griechischem Theater, die er später als Schauspieler mitbrachte! Er kann also schwerlich bereits als Kind nach Rom gelangt sein.

Unter dem Strich bleibt die Vermutung, dass die ganze Story vom Sklavendasein des Livius Andronicus nichts als eine gelehrte Spekulation war. Ein freigelassener Sklave erhielt durch seinen ehemaligen Herrn den Namen und das Bürgerrecht – eine Standardprozedur. Aber ein freier Ausländer, der durch die Fürsprache eines römischen Patrons das Bürgerrecht erhielt, übernahm ebenso dessen Namen. Das Verhältnis zwischen Andronicus und dem Haus Livius kann also ein klassischer Fall von Patronage gewesen sein, wie es zwischen begabten Künstlern und einflussreichen Aristokraten mehr als einmal in der Weltgeschichte vorkam. Dass Andronicus nebenbei auch Lehrer der jungen Livii war, ist keineswegs ausgeschlossen.

Für Cicero und die anderen „Revisionisten“, die die Geburtsstunde der römischen Literatur von 207 nach 240 v. Chr. verschoben, ging es aber wohl um mehr als bloße Chronologie: Jarrett Welsh hat deutlich gemacht, dass sie auch der Kontext beschäftigte. Der Juno-Hymnus von 207 v. Chr. wurde direkt nach der siegreichen Schlacht am Metaurus in Auftrag gegeben, einem Wendepunkt des Zweiten Punischen Krieges. Die erste Theateraufführung von 240 v. Chr. jedoch fällt in eine Zeit des Friedens und hat keinen militärischen Bezug. Und irgendwie ist ja der Gedanke tröstlich, dass selbst bei einem martialischen Volk wie den Römern nicht alles aus dem Krieg geboren war, und dass es römische Gelehrte gab, die diesen Punkt auch für wichtig hielten.

Literatur: BEARE 1940, COWAN 2009, FUHRMANN 2005, LIVINGSTON 2004, SANFORD 1923, SEELE 1995, SZEMERÉNYI 1975, WELSH 2011

Späte Republik (133 – 31 v. Chr.)

Sanibelser: An den Vätern erkennt man die Söhne

Wir haben schon den Stein von Satricum kennengelernt, jetzt folgt die Bronze von Áscoli. Sie wurde im Juni 1908 von Professore Gatti aus Rom erworben, eine rechteckige Bronzeplatte mit lateinischer Inschrift, etwa 29 × 52 cm groß und mit Löchern versehen, weil die Platte früher einmal irgendwo angenagelt war. Zwei Jahre später gelang Gatti auch noch der Ankauf der fehlenden oberen rechten Ecke.

Solche Erwerbungen aus dem Kunsthandel, mit oft völlig ungeklärter Provenienz, sind nach heutigen Maßstäben eine äußerst zweischneidige Sache, auch wenn man das früher nicht so eng gesehen hat: Natürlich ist es immer gut, wenn wertvolle Objekte im Museum oder einer wissenschaftlichen Sammlung landen, statt in den Schatztruhen privater Sammler. Aber noch viel besser ist es, wenn Archäologen die Funde selbst bergen, sodass man auch den Kontext kennt.

Die Bronze von Áscoli ruht heute jedenfalls wohlverwahrt im Palazzo dei Conservatori, einem Bestandteil der Kapitolinischen Museen in Rom. An Popularität kann sie es mit vielen anderen Exponaten dort nicht aufnehmen, die geradezu Ikonen der römischen Kunst sind – etwa die Kapitolinische Wölfin oder die Fragmente der einstmals ca. 12 m hohen Kolossalstatue Constantins. Was ihre historische Aussagekraft angeht, spielt diese Bronzetafel dennoch in der ersten Liga, und das gleich aus mehreren Gründen.

Sie ist nämlich eine Urkunde, die die Verleihung des römischen Bürgerrechts im Jahr 89 v. Chr. an 30 Reiter aus Hispanien festhält, welche als Hilfstruppen der Römer gekämpft haben (Abb. 5). Diese Männer bildeten eine turma (Kavallerieschwadron), nach ihrer Herkunft als turma Salluitana bezeichnet. Der Magistrat, der für den Rechtsakt verantwortlich ist, ist Gnaeus Pompeius, Vater von Pompeius dem Großen. Alle 30 Iberer sind namentlich aufgeführt; der Erste davon – vermutlich der Befehlshaber der Einheit – ist ein gewisser Sanibelser, Sohn des Adingibas. Der entscheidende Kopfteil des Textes lautet:

CN. POMPEIUS SEX. F. IMPERATOR VIRTUTIS CAUSA EQUITES HISPANOS CEIVES ROMANOS FECIT IN CASTREIS APUD ASCULUM A.D. XIV K. DEC. EX LEGE IULIA

Übersetzt und mit Auflösung der Abkürzungen (die auch damals schon eine besondere Leidenschaft der Verwaltungsmenschen waren) erhält man:

Der Imperator Gnaeus Pompeius, Sohn des Sextus, hat wegen ihrer Tapferkeit die hispanischen Reiter zu römischen Bürgern gemacht, im Feldlager bei Asculum, 14 Tage vor den Kalenden des Dezember, gemäß dem Iulischen Gesetz.

Asculum ist natürlich das heutige Áscoli; Imperator bedeutet hier noch nicht Kaiser, sondern Feldherr oder General; und das Datum wäre der 16. November in moderner Zählung. Die Welt hat vieles von den Römern übernommen, auch den Kalender; allerdings – den Göttern sei Dank! – nicht das absurd komplizierte System der Tageszählung.

Auffällig sind Elemente eines recht altertümlich wirkenden Lateins, etwa ceivis statt civis für „Bürger“, oder in castreis statt in castris. Altertümlich wirkt aber auch das Rechtsverständnis, das hier zum Ausdruck kommt: Bei einem modernen Dokument reicht in der Regel die Unterschrift eines einzelnen Sachbearbeiters, wenn nicht sogar „maschinell erstellt – ohne Unterschrift gültig“ zu lesen ist. Auf der Bronze von Áscoli jedoch folgt auf den Kopfteil, der den Sachverhalt als solchen beschreibt, die enorme Zahl von 59 römischen Bürgern, die als Zeugen die Gültigkeit des ganzen Vorganges garantieren. Diese Männer sind das consilium des Pompeius, also die Militärtribunen und Centurionen, die als Offiziere unter seinem Kommando dienten. Danach folgen die Namen der 30 Neubürger, und schließlich erhält die Tafel auch noch einen zweiten, kürzeren Urkundentext, in dem es um zusätzliche Tapferkeitsauszeichnungen geht.

Kavalleristen hatten in antiken Heeren oft einen Elitestatus, und römische Feldherren setzten gerne Männer fremder Herkunft als persönliche Leibwache ein. Berühmt wurde später die germanische Leibwache Iulius Caesars; auch nach ihm hatten römische Kaiser – neben den Prätorianern, die sich aus römischen Bürgern rekrutierten – oft germanische Reiter in ihrer Garde. Die turma Salluitana war also vermutlich eine Eliteeinheit, die sich bei der Erstürmung der Stadt Asculum besonders hervorgetan hatte.

Abb. 5: Darstellung eines iberischen Kriegers aus Urso (heute Osuna) um 100 v. Chr.; charakteristisch ist der kleine Rundschild (caetra). (Madrid, Museo Arqueológico Nacional, Inv. 38428).

Die Stadt, nach der die Einheit benannt ist, ist das heutige Zaragoza. In diesem Namen klingt noch die antike Bezeichnung Caesaraugusta an. So hatte Augustus die römische Kolonie genannt, die er an dieser Stelle gründete, aber es gab eine Vorgängersiedlung der Iberer, als deren Namen man Salduia, Saldubia, Salduba oder so ähnlich vermutet hat (von der betreffenden Stelle bei Plinius dem Älteren gibt es verschiedene Lesarten). Nach der Entdeckung der Bronzetafel kann man den ursprünglichen Namen ziemlich sicher als Salluia oder Salluvia rekonstruieren. Die Männer kamen übrigens vermutlich alle aus dem nordöstlichen Hispanien, aber nicht notwendigerweise aus Salluvia: Es werden auch andere Herkunftsstädte in der Region genannt, etwa Ilerda, das heutige Lérida.

Über den Städtenamen Salluvia hinaus ist die Tafel aber auch grundsätzlich ein wertvolles Zeugnis für die iberischen Sprachen, von denen nur sehr wenige schriftliche Belege erhalten sind. So haben einige Namen aus der turma Salluitana noch heute Entsprechungen in Spanien, insbesondere im Baskenland, also wiederum im Nordosten der Halbinsel. Beispiele sind (jeweils Bronze v. Áscoli – modern): Agirnes – Aguirre, Albennes – Albéniz, Enneges – Enneco/​Eneko, Estopeles – Estibaliz.

Den Hintergrund für die Rekrutierung dieser Männer bildet die römische Annexion Hispaniens nach dem Zweiten Punischen Krieg, also ab 206 v. Chr. Die endgültige Eroberung gelang erst unter Augustus fast 200 Jahre später, war also zu Zeiten von Sanibelser und seinen Kameraden noch keineswegs abgeschlossen. Die langen Kriege, die die Römer in Hispanien führen mussten, erklärt man oft mit ihrer viel drückenderen Herrschaft im Vergleich zu den Karthagern, die die iberische Halbinsel zuvor okkupiert hatten.

Nun wurden allerdings auch die Karthager nicht mit lautem Jubel empfangen, als sie sich anschickten, Iberien zu unterwerfen. Nach der antiken Überlieferung fiel beispielsweise Hannibals Vater Hamilkar im Kampf gegen Iberer; Hannibals Schwager Hasdrubal soll von einem Diener ermordet worden sein, der den Tod seines iberischen Fürsten rächen wollte. Der Grund für den sich so lange hinziehenden Abnutzungskrieg ist ein anderer: Anfangs hatten die Römer „mit dem Recht des Siegers“, wie man es in der Antike sah, einfach die karthagischen Besitzungen übernommen. Diese Regionen im Osten und Süden der Halbinsel waren schon lange, auch vor der punischen Herrschaft, kulturell zum Mittelmeerraum orientiert. Mit ihren zahlreichen Städten waren sie gewissermaßen zur urbanen Zivilisation der Römer (oder Karthager) gut kompatibel, und das erleichterte den Wechsel zu den neuen Herren.

Die Römer jedoch gingen die Sache mit einer Gründlichkeit an, die die Karthager zuvor nicht umgetrieben hatte, und nahmen sich auch die Eroberung der unzugänglichen Hochlandregionen im Landesinneren vor: Viele Berge, wenig Wasser, und dazu jede Menge keltiberische Stämme, die sich hervorragend aufs Kämpfen verstanden – dies waren die Gründe, die den Vormarsch der Römer so zäh machten.

Im Jahr 89 v. Chr., als Sanibelser zum römischen Bürger wurde, war Hispanien daher teilweise noch Schauplatz heftiger Kämpfe, teilweise aber auch schon befriedet und „romanisiert“. Die Anführungszeichen bedeuten, dass der Begriff in der Fachwelt sehr kontrovers diskutiert wird, was hier nicht in aller Ausführlichkeit ausgebreitet werden kann. Wichtig ist, dass die Einheimischen nicht einfach ein römisches Standardmodell übernahmen oder übernehmen mussten, sondern eine neue provinzialrömische Kultur unter Beibehaltung eigener Traditionen schufen.

Die Analogien zum europäischen Kolonialismus der Neuzeit sind daher irreführend, wenn man die antiken Prozesse verstehen will: Die Römer wären z. B. niemals auf die Idee gekommen, den Eingeborenen den Gebrauch ihrer Sprachen zu verbieten, damit hinfort alle nur noch Latein sprechen. Auch hat man keine Missionare auf die Dörfer geschickt, um die einheimischen Religionen auszumerzen.

Das Fortschreiten der Romanisierung Hispaniens in unterschiedlichen Graden ist auch an einem Detail auf der Áscoli-Tafel abzulesen: Die dort aufgeführten Ilerdenses, also die Männer aus Ilerda, trugen als Einzige der 30 Iberer schon römische Namen, als auch sie rechtlich noch Ausländer waren. Da findet sich ein Gaius Otacilius, Sohn des Suisetarten, oder ein Gnaeus Cornelius, Sohn des Nesille – die Namen der Väter verraten unzweifelhaft die barbarische Herkunft dieser Männer.

Wie so oft in der Geschichte hängt alles mit allem zusammen: Asculum war der Schauplatz einer Schlacht im Pyrrhos-Krieg gewesen, der uns im vorigen Kapitel beschäftigt hat, aber das war zwei Jahrhunderte zuvor. Sanibelser und seine Mannen kämpften in dem Krieg, der als Bundesgenossenkrieg (bellum sociale) in die Geschichte eingegangen ist. Die Römer bezeichneten ihn auch als bellum Italicum oder bellum Marsicum, denn es war zuerst der Stamm der Marser gewesen, der sich gegen Rom erhoben hatte. Und das Thema Bürgerrecht spielte dabei eine Hauptrolle.

In vorhergehenden Kapiteln wurde mehrfach auf die Offenheit der Römer gegenüber Fremden und die Vergabe des Bürgerrechts hingewiesen – dabei darf man aber nicht die Proportionen aus den Augen verlieren: Diese römische Praxis steht im Gegensatz zum Exklusivitätsdenken der Griechen oder Karthager, aber die römische Großzügigkeit war auch nicht grenzenlos. Eine gute Analogie liefern vielleicht die Vereinigten Staaten: Einerseits ist man stolz auf die Traditionen des modernen Einwanderungslandes schlechthin, andererseits heißt das nicht, dass einfach jeder und ganz ohne Hürden ins Land gelassen wird.

Die römischen Bundesgenossen in Italien waren schon länger unzufrieden mit ihrem Status zweiter Klasse und forderten die volle rechtliche Gleichstellung. Denn sie hatten Truppen zu stellen für die Kriege der Römer, kamen aber bei der Verteilung der Beute schlechter weg, und von den politischen Entscheidungsprozessen waren sie ganz ausgeschlossen. Durch volle Teilhabe am römischen Bürgerrecht wollten sie diese Benachteiligung überwinden.

In Rom gab es durchaus reformbereite Politiker, die die Berechtigung dieser Forderungen einsahen – und das Argument, dass der Staat insgesamt gestärkt wird, wenn sich die Zahl seiner Bürger vergrößert, zeigte das römische Eigeninteresse in dieser Sache auf. Dem gegenüber stand jedoch eine reaktionäre Oligarchenfraktion vor allem aus der Nobilität, die das Privileg des römischen Bürgerrechts um keinen Preis an so viele Nichtrömer verschenken wollte. Der führende Kopf der Reformer, der Volkstribun Marcus Livius Drusus (schon wieder ein Livier!), scheiterte mit seinem Gesetz zur Aufnahme der socii in den römischen Staatsverband, und wurde schließlich sogar ermordet.

Man muss allerdings einräumen, dass es nicht ausschließlich Chauvinismus war, der die Hardliner umtrieb: Nach den römischen Gepflogenheiten wurden Neubürger Klienten und somit Gefolgsleute desjenigen, der ihnen die civitas verschafft hatte. Mit diesem Coup hätte Drusus also auf einen Schlag seine Anhängerschaft und damit sein politisches Gewicht vervielfacht, und das drohte die delikate Machtbalance innerhalb der römischen Führungsschicht zu zerstören.

Jedenfalls platzte nun einigen Bundesgenossen der Kragen, und mit der Ermordung eines römischen Prätors in Asculum brach 91 v. Chr. ein offener Aufstand los, an dem sich etliche italische Völkerschaften wie die Marser und die Samniten beteiligten, und der die Römer militärisch in ziemliche Bedrängnis brachte. Die dramatische Situation führte zu paradoxen Konsequenzen: Zuerst gewährte man 90 v. Chr. allen Bundesgenossen, die loyal zu Rom geblieben waren, das volle Bürgerrecht, um sie auch weiterhin bei der Stange zu halten. Umbrien und die griechischen Kolonien Süditaliens hatten sich beispielsweise nicht dem Aufstand angeschlossen. Die rechtliche Grundlage dafür war genau jene lex Iulia, die auch der Bürgerrechtsverleihung an Sanibelser und seine Männer zugrunde lag. Aber auch alle Aufständischen, die bereit waren, die Waffen niederzulegen, sollten sofort in den Genuss der vollen rechtlichen Gleichstellung kommen. Die Städte Etruriens, die sich nach anfänglichem Zögern dem Aufstand angeschlossen hatten, nutzten diese Gelegenheit auf der Stelle. Ein Jahr später gewährte man auch allen Übrigen das Bürgerrecht und erreichte so ein Ende der Kämpfe.

Die Einnahme Asculums war ein wichtiger römischer Erfolg in diesem Krieg, aber entscheidend war am Ende nicht der Sieg der Waffen, sondern der Vernunft: Das, was die Italiker von Anfang an gefordert hatten, bekamen sie schließlich zugestanden, obwohl sie zuletzt militärisch unterlegen waren. Dieses Resultat hätten die Römer wahrlich auch zu einem günstigeren Preis haben können, ohne einen verheerenden Krieg in fast ganz Italien.

Auch in Hispanien beruhigten sich die Verhältnisse allmählich. Augustus hatte noch einmal eine Streitmacht von sechs Legionen aufgeboten, um 26 – 19 v. Chr. auch den letzten Streifen Land im Norden der Halbinsel zu erobern. Bei seinem Tod, 33 Jahre später, standen nur noch drei Legionen im Land, im weiteren Verlauf der Kaiserzeit reduzierte sich die römische Garnison schließlich auf eine einzige Legion für ganz Hispanien. Die Einheimischen waren im Römischen Reich angekommen, und Hispanien bildete für lange Zeit eines der am stärksten romanisierten Gebiete; neben Italien eine Art weiteres Kernland des Imperiums. Dazu passt, dass mit Traian (98 – 117 n. Chr.) und Hadrian (117 – 138 n. Chr.) zwei Spanier auf den Kaiserthron gelangten – als erste Kaiser überhaupt, die nicht mehr aus Rom oder Italien stammten. Bis dahin war es zu Sanibelsers Lebzeiten noch ein ziemlich weiter Weg. Aber es ist ebenso passend, dass ausgerechnet er und seine iberischen Kameraden diejenigen sind, deren Namen auf der ältesten erhaltenen Urkunde über römische Bürgerrechtsverleihung die Jahrtausende überdauert haben.

Literatur: ANDERSON 1973, ASHBY 1909, BELTRÁN LLORIS 1999, CHRIST 1984, COŞKUN 2009, GESCHE 1981, KOCH 2014, PANZRAM 2014, SCHMOLL 1956, STEVENSON 1919, SYME 1939

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