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2.5.4 Geschlechtsneutrale Grenze der Privatautonomie?
2000 Jahre Interzessionsverbot dürften ausreichen, um erneut die Frage nach der Legitimation dieser „seltsamen Erscheinung“ aufzuwerfen. Mit Gaius wäre zunächst festzustellen, dass der Ausschluss vom officium „eher ein scheinbarer, und kein wahrer Grund“ ist, weil Frauen um die Mitte des ersten Jahrhunderts ihre Geschäfte längst selbst geführt haben (Gaius I, 190). Ebenso wenig vermögen Argumente wie Leichtsinn, Schwäche, Weichheit oder mangelnde Urteilsfähigkeit zu überzeugen. Auch der Hinweis des Bundesverfassungsgerichts auf die strukturelle Ungleichheit zwischen Kreditinstitut und Bürgen geht fehl, weil das Problem nicht in dieser Rechtsbeziehung, sondern im Verhältnis zwischen Bürgen und Hauptschuldner liegt. Wegen emotionaler Verbundenheit zum Hauptschuldner ist der Bürge in der Willensbildung zwar beeinträchtigt. Diese Beeinträchtigung reicht als solche aber nicht aus, um eine Unwirksamkeit des Rechtsgeschäfts mit dem Gläubiger zu begründen.
Es bleiben eigentlich nur die ungewöhnlich stark belastenden Folgen, die mit einer Interzession meist verbunden sind. Viele der in Anspruch
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genommenen Ehefrauen oder Lebenspartnerinnen besitzen weder ein eigenes Vermögen noch erzielen sie ein nennenswertes Einkommen. Auf Grund des krassen Missverhältnisses zwischen der Höhe der Verbindlichkeit und ihrer tatsächlichen Leistungsfähigkeit laufen sie Gefahr, ein Leben lang Schuldner zu bleiben – ein Leben lang zu bezahlen, um am Ende die Bürgschaft in ungetilgter Höhe zu vererben. Man pflegt diesen Sachverhalt als Gefangenschaft der Frauen in einem Schuldturm zu bezeichnen. Einiges spricht dafür, dass hier der eigentliche Grund dafür liegt, warum bereits die Römer eine bürgende Ehefrau des Hauptschuldners vor den Zugriffen der Gläubiger schützen wollten.
Von dieser Überlegung aus ist es nur ein kleiner Schritt zum Paradox der Freiheit als einer geschlechtsneutralen Grenze der Privatautonomie (dazu näher Meder, 2011b). Diese Grenze ist dort erreicht, wo jemand seine Freiheit dazu benutzt, sich ihrer zu begeben. Offenbar gibt es Rechtsordnungen, die es auch unabhängig von den Regelungen der Geschlechterbeziehung nicht hinnehmen möchten, dass sich ein einzelnes Familienmitglied durch Interzession in die lebenslange Gefangenschaft eines Schuldturms bringt.
2.6 Resümee
An die Stelle eines durch lebenslange Gewaltunterworfenheit bestimmten Status der Frau ist in Rom eine weitgehende Gleichstellung der Geschlechter getreten. Denn das klassische Recht hat den Begriff persona auch auf Frauen erstreckt. Frauen waren zwar weiterhin von öffentlichen Ämtern ausgeschlossen. Diese Ungleichbehandlung haben die klassischen Juristen aber nicht geschlechtsspezifisch, etwa mit dem Hinweis auf geringere Befähigung oder mangelndes Urteilsvermögen, sondern gewohnheitsrechtlich begründet. Das Gewohnheitsrecht erkannten sie als wichtige Rechtsquelle zwar an, haben ihm jedoch nicht das gleiche Maß an innerer Rationalität wie dem universalen ius gentium beigemessen.
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Quellen und Literatur
Quellen
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Literatur
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3 Eine Ausnahme scheint die aus dem römischen Dotalrecht durch die Postglossatoren entwickelte Errungenschaftsgemeinschaft zu bilden. Hier konnte „der betreffende Gatte“, also auch die Frau, in manchen Regionen über sein Vermögen offenbar grundsätzlich frei verfügen (Coing, 1935, S. 67–69; Haff, 1955, S. 43). Insoweit bestünde ein Unterschied zum Wahlgüterstand der Errungenschaftsgemeinschaft im BGB von 1900, wonach der Mann auch das von der Frau eingebrachte Vermögen verwaltete. Ob diese Selbstständigkeit der Frau durch Vorschriften über die Ehegewalt am Ende nicht doch konterkariert wurde, bedürfte noch genauerer Untersuchung (zum Zusammenhang zwischen Ehegewalt und Verfügungsbefugnis siehe Vogel, 2000, S. 97–102).
4 Siehe dazu neuestens auch Garlati, 2011, S. 5; Wapler, 2012, S. 36. Schon Savigny wunderte sich über die Ausführungen des Staatstheoretikers Adam Heinrich Müller (1779–1829) zur „väterlichen und ehemännlichen Gewalt“ bei den Römern, welche den Eindruck vermittelten, als schlössen wir noch heute „unsre Ehen durch Confarreation“. Müller habe außer Betracht gelassen, dass „schon in früher Zeit bei den Römern die freie Ehe (ohne die geringste Spur von Gewalt) die häufigste war“ und dass „diese allein mit dem Römischen Recht zu uns herüber gekommen ist“ (Savigny, 1840, S. 351, Hervorhebung im Original).
5 Es ist daher kein Zufall, wenn in der Literatur behauptet wird, es sei vor allem das Recht der römischen Vormundschaft in Deutschland rezipiert worden (Nachweise bei Holzhauer, 2008, S. 661, S. 663). Dann wäre im Familienrecht weniger an klassisches als an vorklassisches römisches Recht angeknüpft worden (siehe oben 2.1, S. 41). M.E. ist Wieacker zuzustimmen, wenn er vermutet, dass sich die Vormundschaft in der Rezeptionszeit „auch ohne römischen Einfluss kaum anders hätte entwickeln können“ (Wieacker, 1967, S. 230).
6 Zum Aufbau der römischen „familia“ siehe Ulpian D. 50.16.195.1–5. Etymologisch verweist „familia“ auf die „famuli“, das Gesinde und die Sklaven, also nicht auf die Angehörigen oder Verwandten, sondern auf die „vermögensbildende Arbeitskraft“ (Holzhauer, 2008, S. 659; zu einem weiten Begriff von Familie im Sinne der Sozialform des „oikos“ 5.1, S. 129). Über die Frage, ob die Römer das Familienrecht als eigenständige Kategorie kannten, ist im 19. Jahrhundert lebhaft diskutiert worden (näher Bextermöller, 1970, S. 18–22). Während z.B. Gustav Hugo dies verneinte, war Savigny der Meinung, was „im ersten Buch der Institutionen vorgefunden wird“, sei, von der Nichtberücksichtigung der Verwandtschaft abgesehen, „fast ganz dasselbe, was ich oben als Familienrecht bezeichnet habe“ (Savigny, 1840, S. 399). Gegen Savigny wurde argumentiert, die Römer hätten lediglich einzelne auf die Familie bezogene Regelungen formuliert, die über verschiedene Bücher des Corpus iuris verstreut seien. Aus demselben Grund habe auch der französische Code civil keinen eigenen Begriff von Familienrecht ausprägen können. Die Diskussion über den Begriff des Familienrechts wird heute überwiegend in der US-amerikanischen Literatur geführt. Zur Frage, ob das römische Recht oder der Code civil eine Kategorie des Familienrechts kannten, siehe Halley / Rittich, 2010, S. 755 f.; Nicola, 2010, S. 790 (weitere Nachweise in 5.4.2, S. 149).
7 Die emancipatio diente zunächst nur der Entlassung von Söhnen aus der väterlichen Gewalt. Erst später wurde diese Art der Freisetzung aus einem Abhängigkeitsverhältnis auch zugunsten von Töchtern, Enkeln oder Frauen angewendet (vgl. Gaius I, 132, 136; Überblick über das komplizierte Verfahren bei Meder, 2011a, S. 57–58).
8 Z.B. Nübling, 1907, S. 8. Zu unterschiedlichen Formen der Raub- und Kaufehe noch immer lesenswert: Simmel, 1900, S. 405. Nur am Rande sei bemerkt, dass nicht nur unter Romanisten, sondern auch in der Germanistik darüber diskutiert wird, ob die „Eheschließungsformen“ von der Raub- und Entführungsehe ihren Ausgang genommen und über die Kaufehe zur modernen Konsensehe geführt haben (vgl. 3.3, S. 79).
9 Soweit Gaius auf das Zwölftafelgesetz verweist, ist Tafel VI, 4, gemeint. Als dritte altrömische Eheschließungsform nennt Gaius noch die confarreatio (I, 112), die hier ausgeklammert bleiben kann.
10 Zur paradigmatischen Bedeutung des Konsenses und zum Gegenmodell des „preclassical concept of nature“ Behrends, 2012: „The elder law regarded nature as divine and could thus find in the sexuality interpreted as creative power inseparably fused with divine reason the legal foundation of matrimony: coitus facit nuptias“ (II, Hervorhebung im Original). Zur umstrittenen Frage, ob es in Rom auch schon ‚Hochzeiten‘ homosexueller Paare gegeben hat und welche Aussagekraft solchen Ereignissen beizumessen ist, Obermayer, 1998, S. 235.
11 Kritisch hierzu und zur verbreiteten Auffassung, die römische Ehe sei eine Art „verwirklichte Lebensgemeinschaft“, ein „faktisches Verhältnis der sozialen Gemeinschaft“: Bürge, 1999, S. 161 f. Zur Abgrenzung der römischen Ehe (iustum matrimonium) von anderen Formen der Lebensgemeinschaft siehe Fiori, 2011, S. 201, 217.
12 Kurz nachdem Kaiser Augustus in seiner Ehegesetzgebung Frauen mit mindestens drei Kindern von der Vormundschaft befreit hatte, war die tutela mulierum in der Rechtspraxis endgültig obsolet geworden.
13 Dass Frauen keinen Verfügungsbeschränkungen unterlagen, zeigen die vielen (freilich meist aus frauenfeindlicher Quelle stammenden) Berichte über vermögende Frauen, die großen Einfluss auf das politische und gesellschaftliche Leben genommen haben (Nachweise bei Friedlaender, 1861, S. 280; Kübler, 1920, S. 22 f.; Balsdon, 1962, S. 60; Grosse, 1991, S. 161–163, 183–185, 236). Dass begüterte Frauen in unabhängiger Stellung waren und de facto die Rolle eines pater familias übernehmen konnten, bestätigt auch die Antwort des römischen Dichters Martial (40–104) auf die Frage, warum er es ablehne, eine reiche Frau zu heiraten: „Weil ich nicht Lust habe, die Frau meiner Frau zu werden“, Martial VIII, 12 (S. 537).
14 Vgl. Kaser II, 1975, S. 173 f. Zu Vorläufern im griechischen Rechtsdenken, die im Osten des Reichs in die römische Rechtsordnung hätten eindringen können: Goria, 1992, S. 99–119; Thür, 1992, S. 121–132. Die Aussage von Kaser erfährt auch dadurch eine Einschränkung, dass die Errungenschaftsgemeinschaft, die allgemein als Sonderform der Gütergemeinschaft angesehen wird, durch die Postglossatoren aus dem römischen Güterrecht entwickelt wurde (siehe oben bei Fußnote 3, S. 42). Zum Konflikt zwischen einer gewohnheitsrechtlich anerkannten „deutschrechtlichen Gütergemeinschaft“ mit der Gütertrennung in der Rezeptionszeit siehe Knothe, 2008, S. 456–461.
15 Grundlegend hierzu Benke, 1995, S. 203–212; zur Rezeption im Mittelalter 3.2, S. 77; siehe auch Braun, 1901, S. 22.
16 Peppe, 1984, S. 97, 101–112. Ebenso wäre zu fragen, ob die Römer unter „cives“ (Bürger) auch die Frauen eingeordnet haben (bejahend Peppe, a.a.O., S. 97). Von hier aus zieht sich eine Linie bis zur französischen Revolution mit den anschließenden Diskussionen, ob auch die Frauen als „hommes“ zu qualifizieren seien (4.4, S. 120). Im Hintergrund steht das auf Aristoteles zurückgeführte „one-sex model“, wonach nur der Mann ein voll ausgebildeter Mensch sei, die Frau dagegen nicht als vom Mann verschiedenes Geschlecht, sondern nur als nicht voll ausgebildeter Mann betrachtet werden könne: Ihr würden jene Körpersäfte fehlen, die dem Mann Geist, Tapferkeit und Aktivität verleihen. Sie leide an einem Übermaß von kalter Feuchtigkeit, was die Ausbildung des Gefühllebens, der Sanftmut und Passivität als typisch weiblich begünstige (dazu und zur Frage, ob diese Rezeption der Lehre des Aristoteles gerecht wird, Föllinger, 1996, S. 184; Kullmann, 1998, S. 371–377; Wapler, 2012, S. 36). Im 16. Jahrhundert dient diese Theorie auch zur Begründung eines früheren Heiratsalters der Frau: Da alles Kränkliche und Schwächliche in der Natur schneller wachse als das Gesunde, wachse auch das weibliche Wesen schneller als das männliche, das gesund, d.h. von der Substanz her trocken und heiß sei (näher Koch, 1997, S. 77, mit Nachweisen).
17 Dabei ist anzunehmen, dass Frauen auch Verbindlichkeiten gegenüber Dritten begründen konnten. Ein Beispiel wären die Anweisungen (delegatio), die, wie Bürgschaften, in einem Dreiparteienverhältnis abgewickelt werden.
18 Dagegen spricht auch die ausgedehnte Beteiligung von Frauen am Geschäftsleben (dazu näher Halbwachs, 1997).
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