Kitabı oku: «Verrat der Intellektuellen», sayfa 6

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4. »Die totale Mobilmachung« – Jünger II

Benn, Jünger und Heidegger sahen wie viele konservative Zivilisationskritiker – und wie es heute religiöse Fundamentalisten ebenso sehen – die Etablierung der westlich-zivilisatorischen Moderne als Prozeß des Verfalls: Die Infragestellung des religiösen Sinngebungsmonopols durch Aufklärung, Säkularisation und Laizismus, die seit dem 19. Jahrhundert explosionsartig die Lebenswelt verändernde Technisierung und Industrialisierung sowie der sie begleitende Emanzipationsprozeß der Demokratisierung machte den Menschen metaphysisch obdachlos, entfremdete ihn seinem »elementaren« Sein. Geborgenheit dagegen fand, wer sich dem »Elementaren« anvertraute: Irgendeiner Religion, vor allem aber seinem Volk, seiner Nation oder seiner Landsmannschaft. Und das hieß auch à la Jünger: So bald als möglich mit »Feuer und Blut« sowie der neuesten Kriegstechnik den Versailler Vertrag außer Kraft zu setzen und das überfällige Ende der »undeutschen« Weimarer Republik herbeizuführen. Ausdrücklich schloß für Jünger die Vergewisserung der Nation als germanischer »Blutsgemeinschaft« die »Erweiterung des Lebensraums« ein. So bestand zu Hitler zeitweilig kein nennenswerter Unterschied, wenn Ernst Jünger 1925 in »Feuer und Blut« schrieb: »Den Drang ins Weite und Grenzenlose, wir tragen ihn als unser germanisches Erbteil im Blut, und wir hoffen, daß es sich dereinst zu einem Imperialismus gestalten wird, der sich nicht wie jener kümmerliche von gestern auf einige Vorrechte, Grenzprovinzen und Südseeinseln richtet, sondern der wirklich aufs Ganze geht.«1 Wirklich aufs Ganze: Das Schwert zu führen, um die scheinbar in Versailles entwürdigte Nation zu rehabilitieren. Dazu war für Jünger kein anderer so sehr berufen wie der Frontsoldat des Ersten Weltkriegs. Als Jünger von Franz Seldte und Theodor Duesterberg, den beiden Vorsitzenden des »Stahlhelms«, des rund 400 000 Mitglieder zählenden »Bundes der Frontsoldaten«, als Chefideologe des Blattes verpflichtet wurde, zählte Jünger in Deutschland bereits zu den einflußreichsten Rechtsintellektuellen. Mit der Zeitschrift »Die Standarte. Beiträge zur geistigen Vertiefung des Frontgedankens«, die als Beilage zur Wochenschrift »Der Stahlhelm« im September 1925 in einer Auflage von 170 000 Exemplaren erschien, erreichte Jünger ein Massenpublikum. Innerhalb eines halben Jahres erschrieb er sich das Renommee eines der, wenn nicht des führenden Publizisten der Konservativen Revolution und des geistigen Kopfes des »revolutionären« Nationalismus. Was Jünger den »nationalen, sozialen, kriegerischen und diktatorischen Gedanken« nannte, machte er als vier Essentials bis 1933 in seiner politischen Publizistik zur stets wiederholten Grundlage seines »nationalistischen Manifests«. Zugleich beschrieb er am 29. November 1925 in der »Standarte« zwei Prozeduren der Machtübernahme. Im »kalten« Verfahren gliedert sich der national Denkende durch Option für eine nationale Partei wie die NSDAP in das Verfassungsgefüge von Weimar ein: »Ist eine nationale Mehrheit am Ruder, so ist alles in Ordnung, ist das Gegenteil der Fall, so treibt man Obstruktion. Das alles geht vollkommen gesetzmäßig zu, allerdings in einer Gesetzmäßigkeit, die in den Tagen unseres größten nationalen Tiefstandes als Norm gesetzt wurde. Die höchste Chance, die zu erwarten ist, ist eine Mehrheitsabstimmung, durch welche diese Norm grundsätzlich geändert wird.«2 Im »warmen« Verfahren dagegen verweigert sich der national Gesinnte den Institutionen und verfassungsgemäßen Mitteln des Staates: »Wir wollen keine Partei bilden, wir wollen nicht wählen, das hieße den Staat anerkennen, das hieße eins seiner Organe werden, statt gegen ihn gerichtet zu sein. Wir wollen uns zu einer selbständigen Macht entwickeln, die eines Tages mächtiger sein wird als der Staat … Wir sind Soldaten, wir halten den Waffengedanken hoch. Wir haben uns in jenem großen, ruhmvollen Kriege am schärfsten für die Rechte der Nation eingesetzt, wir fühlen uns auch jetzt zum Kampf für sie berufen. Jeder Mitkämpfer soll uns willkommen sein. Wir bilden eine Einheit durch Blut, Gesinnung und Erinnerung, den ›Staat im Staate‹, den Sturmblock, um den sich die Masse schließen soll. Wir schätzen keine langen Reden, eine neue Hundertschaft ist uns wichtiger, als ein Sieg im Parlament.«3 Nicht Parteien, Wahlen, Kompromisse sind die Leitbegriffe in Jüngers Sprache, sondern Schwert, Sprengstoff, Bürgerkrieg und Krieg. Zu Beginn des Jahres 1926 forderte er die nationalen Verbände und Kampfgruppen – des Jungdeutschen Ordens und der Nationalsozialisten – auf, sich zusammenzuschließen und endlich Gebrauch zu machen vom Dynamit. (Sich bereitzuhalten – siehe Bohrer – für das Erlebnis der Plötzlichkeit des Todes.) Und um für den Ernstfall gewappnet zu sein, riet er – frei von jeder Ironie – der verweichlichten Nachkriegsjugend zur Beherzigung der Ertüchtigungs-Ideale des preußischen Unteroffiziers: »Ein oder zwei Jahre voll Pfiff und Schliff, bei Erbssuppe und Kommißbrot, morgens um fünf geweckt, zackiger Dienst und bei jeder Nachlässigkeit ein Donnerwetter, das die Knochen zusammenreißt, bis endlich jene Haltung entsteht, die man die des gedienten Mannes nennt«, nämlich: »den inneren Schweinhund zu überwinden, Körper und Charakter zu beherrschen in scharfer, männlicher Zucht«4. Jüngers teutonische Revolutionspropaganda und sein Antiparlamentarismus waren so vehement, daß schließlich selbst die Leitung des »Stahlhelm« zu ihm auf Distanz ging. Sie folgte zu Jüngers Enttäuschung 1926 der Parole »Hinein in den Staat!« – ebenso wie Hitler, der nach dem mißglückten Putsch vom 9. November 1923 und seiner darauffolgenden Haft die NSDAP am 27. Februar 1925 wiedergegründet hatte. Dabei legte er seine nur 35 000 Mitglieder zählende Splitterpartei auf einen strikten Legalitätskurs fest.

Jüngers Verhältnis zu Hitler war lange von Bewunderung geprägt. 1923 hatte er ihm im »Zirkus Krone« zugehört, seither war er für ihn »vielleicht der größte deutsche Redner« und die große politische Hoffnung. Beeindruckt hatte ihn auch, daß Hitler gemeinsam mit Ludendorff am 9. November 1923 einen Putsch gegen die gehaßte Demokratie gewagt hatte. Noch im Oktober 1929 pries er das fehlgeschlagene Unternehmen unter der Überschrift »Reinheit der Mittel« als eine aus »reinstem Metall« geschmiedete Waffe. In Hitler, so begeisterte sich Jünger im September 1925 in der »Standarte«, kündige sich das große »Naturereignis« eines »starken Mannes«, des »geborenen Führers« an: »… in der völkischen Bewegung … taucht aus dem Dunkel die Gestalt des Gefreiten Hitler auf, eine Gestalt, die unzweifelhaft schon wie die Mussolinis die Vorahnung eines ganz neuen Führertypus weckt«.5 Einige Monate nach dieser Eloge ließ Jünger Hitler ein Exemplar seines Essays »Feuer und Blut« mit der Widmung zukommen: »Dem nationalen Führer Adolf Hitler!« Daraufhin bedankte der sich am 27. Mai mit einem Exemplar von »Mein Kampf« und der Bemerkung, daß er alle Schriften Jüngers gelesen habe. Zu einem von Hitlers Stellvertreter Rudolf Heß vage avisierten Treffen in Leipzig kam es jedoch nicht.

Die Übereinstimmung zwischen Jünger und Hitler war – abgesehen vom rassischen Antisemitismus, den der kulturelle Antisemit Jünger für übertrieben hielt und nicht teilte – groß. Sie bestand, so führte Jünger unter der Headline »Nationalismus und Nationalsozialismus« in der von ihm gegründeten Zeitschrift »Arminius« am 27. März 1927 selbst aus, in der nationalen, völkischen und autoritären Idee. Unterschiede gab es nur in der Ausführung, in Strategie und Taktik: »Es besteht jedoch der Unterschied, daß der Nationalsozialismus in seiner Eigenschaft als politische Organisation auf die Gewinnung von tatsächlichen Machtmitteln angewiesen ist, während die Aufgabe des Nationalismus eine andere ist. Auf der einen Seite besteht der Wunsch, eine Idee zu verwirklichen, auf der anderen Seite der, sie möglichst tief und rein zu erfassen. Für den Nationalsozialismus spielt daher die Masse mit Recht eine Rolle, während dem Nationalismus die Zahl ohne Bedeutung ist.«6

Ungetrübt, allenfalls von Rivalität geprägt, blieb Jüngers Verhältnis zu Hitler in den Jahren der Weimarer Republik. Im Gespräch mit Helmut Franke, Jüngers Mitherausgeber des »Arminius«, äußerte Hitler erneut »den dringenden Wunsch«, Jünger endlich kennenzulernen. Und Goebbels, der Jünger davon unterrichtete, fügte in seinem Brief an Jünger vom 10. Mai 1927 hinzu: »Sie können mir glauben, es bereitet mir besondere Freude, daß zum wenigsten einer von denen, die nicht direkt in der NSDAP organisiert sind, sich zu unserem Kampf und unserem Handeln bekennt.«7 Wie sehr, das zeigt auch Jüngers programmatischer Artikel »Der neue Nationalismus«, in dem er am 23./24. Januar 1927 im »Völkischen Beobachter« erneut den Schulterschluß zu den Nationalsozialisten herstellte. Und dabei, eine »straffe Staatsgewalt von schärfster autoritativer Prägung« fordernd und seinem Affekt gegen Meinungs- und Pressefreiheit freien Lauf lassend, hinzufügte: »Wenn diese Gewalt es verhindert, daß jeder Schmierfink die eigene Nation herunterreißen darf, wenn sie also die Pressefreiheit abschafft, so ist das nur begrüßenswert. Daß eine solche Gewalt … die Todfeindin des Parlamentarismus sein muß, ist selbstverständlich.«8 Das ihm seitens der NSDAP sowohl 1927 als auch 1933 angetragene Reichstagsmandat lehnte Jünger ab. Er wollte sich nicht einer Führung unterwerfen, sondern selbst führen. Dem Journalisten Ludwig Alwens gegenüber – der ihm empfahl, der NSDAP beizutreten, um sie und Hitler in seinem Sinne zu benutzen – begründete er sein reserviertes Verhalten am 22. Oktober 1927: »Die Hitler-Angelegenheit liegt so: Unsere Aufgabe … ist es, einen bestimmten Typ, besonders geeignet, die modernen Entscheidungen zu schlagen, … anziehend zu machen … Eine große Apparatur ist vorläufig noch nicht nötig, im Gegenteil scheint es mir, als ob eine etwas exklusivere Haltung nichts schaden könnte … Bei Hitler besteht für uns allerdings eine Gefahr, die in anderen Verbänden weniger scharf ausgesprochen ist: Die Anhängerschaft ist nämlich schon zum Teil nach unserem Prinzip aufgebaut, allerdings aus brüchigerem und schwerfälligerem Material … Daß sie zahlreich sind, spielt nur dort eine Rolle, wo es auf Zahlen ankommt, also in Bezug auf Geld, Propaganda usw. Alles in allem sehen Sie mich also nicht abgeneigt; ein praktischer Modus wird sich auch bei Gelegenheit wahrscheinlich finden.«9 Auf den nichtabgeneigten Jünger ging Hitler schließlich ein drittes Mal zu und ließ ihm im Mai 1929 durch seinen Stellvertreter Heß eine Einladung als Ehrengast des Nürnberger Parteitages vom 1. bis 4. August 1929 zukommen. Jünger nahm die Einladung an, fuhr dann aber doch nicht hin. Möglicherweise, weil eben dorthin auch der von ihm mittlerweile publizistisch attackierte Stahlhelmführer Theodor Duesterberg eingeladen war. Erneut empörte den ideologischen Scharfmacher Jünger der Legalitätskurs der Nationalsozialisten, als am 1. September 1929 vor dem Berliner Reichstag eine Bombe explodierte. Alle Parteien, auch die NSDAP, distanzierten sich von diesem Anschlag. Verübt worden war er von der militanten Landvolkbewegung in Schleswig-Holstein – von Bauern, die ihrer Forderung nach staatlicher Hilfe gegen ausländische Konkurrenz sowie ihrem Protest gegen das »jüdisch-parlamentarische System« mit Sprengstoff Nachdruck verliehen. Jünger, der 1927 von Hannover nach Berlin-Steglitz gezogen war und einen Kreis von Nationalisten um sich geschart hatte, war am Rande mitbetroffen. Die Brüder Ernst und Bruno von Salomon, die zu seinem Kreis gehörten, wurden als Verdächtige verhaftet. Bruno von Salomon hatte als Redakteur der neugegründeten Zeitschrift »Das Landvolk« die sich ausweitende Bewegung unterstützt. Jünger befürchtete, die Distanzierung der NSDAP bedeute Akzeptanz des Parlamentarismus, wie er Bruno von Salomon am 10. September 1929 mitteilte: »Es ist dies die erste praktische Bewegung, an der ich wirklich Anteil nehme. Auch möchte ich gelegentlich wohl einmal nach Holstein fahren, wenn es dort etwas zu sehen gibt, um mir von den Leuten ein Bild machen zu können. Als Positivum begrüße ich es, daß diese Arbeit die Nationalsozialisten, oder wenigstens ihre Führer zwingt, ihren verborgenen bürgerlichen Kern zum Ausdruck zu bringen.«10

Trotz seiner Befürchtung, die NSDAP beschreite den Weg des »westlerischen« Parlamentarismus, wünschte ihr Jünger doch, wie er 1929 in Ernst Niekischs Zeitschrift »Der Widerstand« schrieb, »von Herzen« den Sieg. Wie auch anders. Es war Wasser auf seine Mühle. Und als Hitler 1933 den Sieg errungen hatte, erwies Jünger ihr im »Nachrichtenblatt für die Ritter des Ordens ›Pour le Mérite« ausdrücklich seine Reverenz: »Der neue Staat, der sich von der Novemberrepublik auch darin unterscheidet, daß er sich auf die Taten und Leistungen im großen Kriege beruft, fordert die Mitarbeit jeder wertvollen Kraft. Sein Aufbau ist der eines Führerstaates; der geborene Führer wird ihm daher willkommen sein …«11

Jüngers frühe Kriegsprosa und seine politische Publizistik der Weimarer Jahre läuft hinaus auf das, was er 1930 im Titel seines Essays »Die totale Mobilmachung« nannte: auf die totale Ausrichtung aller auf ihr Deutschtum und auf dessen Realisierung um jeden Preis, auch oder gerade in einem neuen Krieg. In seinem im Herbst 1932 erschienenen Essay »Der Arbeiter« hatte Jünger seinen Zukunftsstaat modelliert: die Ablösung der liberalen Demokratie und des »bürgerlichen Individuums« durch den »Typus des Arbeiters«, durch eine Art Soldat der Werkbank, in einem totalitären, militarisierten »Arbeitsstaat«. Dieser Staatstypus entsprach weitgehend dem des »Dritten Reiches«. Als das NS-Regime dann aber den rassischen Antisemitismus der Reden und Programme tatsächlich in die Realität umsetzte, ging Jünger – erfreulicherweise – mehr und mehr auf Distanz. Dabei lehnte zwar auch er jede jüdische Assimilitation oder Integration ab, weil dadurch die von ihm befehdete Verwestlichung und Liberalisierung Deutschlands nur vorangetrieben werden würde, nicht aber billigte er die physische Vernichtung der Juden. Jünger 1985 im Gespräch mit dem französischen Literaturwissenschaftler Julien Hervier: »Natürlich war eine Reihe von sehr guten Gedanken da. Deshalb hatten die ja auch den großen Zulauf, zum Beispiel daß sie die Folgen des Versailler Vertrages weitgehend rückgängig machen wollten. Das leuchtete mir natürlich ein. Aber die Art und Weise der Ausführung hat mich eben zunehmend befremdet. Und eigentlich der wirkliche Abstand, den habe ich erst nach dieser Kristallnacht gewonnen. Das waren ja also Dinge, die mir von Grund auf widersprachen.«12 Und nach dem Ende des »Dritten Reiches«? Distanzierte sich Jünger da von der nationalen, ›wehrhaften‹, autoritären Idee des Nationalsozialismus? Keinesfalls. Eben das ignorierten zu Jüngers hundertstem Geburtstag am 29. März 1995 etliche seiner Jünger. Selbstkritische Korrektur totalitärer Irrtümer, unter diesem Leitgedanken flocht Frank Schirrmacher in der »FAZ« dem vitalen Alterswunder Jünger wahre Kränze. Vom konservativen Revolutionär und blutrünstigen Heißsporn zum gemäßigten, christlich inspirierten Anarchen und Waldgänger, der – bewußt Abstand haltend zur gewöhnlichen Normgebung der Masse – seismographisch in vermeintlich geschichtsfreiem Naturraum allein das Geschehende registriert, so wollten es viele seiner alten und neuen Verehrer wissen. Hat Jünger sich wirklich der Mühe einer Korrektur unterzogen? Noch der Siebenundachtzigjährige erklärte am 16. August 1982 in einem »Spiegel«-Interview, daß die eigentliche Realität für ihn noch immer das »Deutsche Reich« und daß sein Hauptwerk »Der Arbeiter« sei, eine verquaste demokratieresistente Phantasmagorie. Am 20. April 1945 notierte Jünger in sein Tagebuch: »Für den Autor kommt es nicht nur darauf an, die Lage zu erfassen, sondern sie zugleich zu bändigen, sie in einen Spiegel zu bringen, in den sich auch die Schreckensbilder einfügen.«13 – »Unsere Aufgabe besteht im Sehen, nicht aber in der Wertung«.

Liegt nicht aber im Sehen und Beschreiben schon – durch Ausgrenzung und Hervorhebung – Wertung, also Moral, Gewissen? Da für Jünger Geschichte und Wirklichkeit ein nicht korrigierbares, über den Menschen verhängtes Geschehen bilden, stellt er auch keine Fragen: nicht die nach individueller und kollektiver Verantwortung, nicht die nach der Korrekturbedürftigkeit der vier Essentials seines nationalrevolutionären »Programms«. »Schreckensbilder« wie Krieg und Kriegsverbrechen werden vielmehr immer wieder gerechtfertigt als Produkte des Schicksals und eingefügt in den »Spiegel« der Geschichte – unbegriffen abgestellt in der Kammer der Geschichte. Nicht um Fehleranalyse geht es, sondern um Entlastungsstrategie und Selbstbestätigung durch Widerspiegelung von Schreckensbildern. In einem der drei »Briefe an meine Freunde« Jüngers heißt es am 15. Juli 1946: »Überhaupt muß ich meine Leser bitten, meine Autorschaft als ganzes zu nehmen, in dem zwar Epochen, nicht aber Widersprüche zu unterscheiden sind. Ich möchte nicht zu jenen Zahllosen gehören, die heute nicht mehr an das erinnert werden wollen, was sie gestern gewesen sind.«

Schon in der 1941 entworfenen, im November 1943 geschriebenen und nach Kriegsende redigierten Schrift »Der Friede« suchte Jünger nach Entlastungsstrategien. Zwar distanzierte er sich darin vom »Dritten Reich« und modellierte – sympathischerweise – ein vereintes Europa, wehrte Schuldzuweisungen aber ab. Nicht der deutsche Nationalismus und Nationalsozialismus hätten den Krieg bewußt herbeigeführt, heißt es, sondern das »Walten des Weltgeistes«, der »Zug des großen Werdens« – Jüngers und des Seinsphilosophen Heideggers über alle Geschichte verhängtes Schicksal. Und um Schuld zu suspendieren und moralisch zu entlasten, erklärte Jünger neben den Deportierten auch gleich die deutschen Soldaten und die deutsche Zivilbevölkerung zu Opfern. Alle sind sie, befand er in der Ausgabe von 1960 der zu religiöser Besinnung und Kirchgang anhaltenden Weltanschauungsprosa »Der Friede«, Werkzeuge eines Reinigungsaktes der Schöpfung – eine groteske Entwertung des Leids der Opfer. Jünger: »Die Mannigfaltigkeit der Fronten verhüllte den Tätern und Leidenden die Einheit des großen Werkes, in dessen Bann sie wirkten – doch wird sie durch ihre Zeugung, durch ihre Verwandlung zum Opfer offenbar«14. Zwar spricht Jünger auch von den »Judengräueln« und davon, daß sie »das Universum gegen uns aufbringen«, setzt sie aber gleich mit dem »roten Schrecken«, den Verbrechen Stalins. Daß sich die Wehrmacht Hitler und seinem rassischen Vernichtungskrieg im Osten zur Verfügung stellte, ist für Jünger Folge eines »Weltbürgerkrieges«, nicht Ergebnis einer bereits Jahre vorher immer wieder programmatisch verkündeten Rassendoktrin. Und den Totalitarismus Stalins und Hitlers setzt er insofern gleich, als er beide zu Geschöpfen des Rationalismus erklärt: »Im Treibhaus der Kriege und Bürgerkriege trugen die großen Theorien des vorigen Jahrhunderts Früchte, indem sie sich zur Praxis wendeten. Nun trat zutage, daß das kalte Denken sie erfunden hatte, sei es, daß sie die Gleichheit, sei es, daß sie die Ungleichheit der Menschen kündeten.«15 Jüngers Argumentation fand Nachfolger – Ernst Nolte zum Beispiel.

5. Ernst Nolte kopiert Ernst Jünger im »Historikerstreit«

1986, vierzig Jahre nach Jüngers »Friedens«-Schrift und dem wenig später ähnlich argumentierenden Essay »Der gordische Knoten«, hat der Historiker Ernst Nolte im sogenannten Historikerstreit Jüngers Weltbürgerkriegsthese erneuert. Unter der Überschrift »Die Vergangenheit, die nicht vergehen will« veröffentlichte »FAZ«-Herausgeber Joachim Fest am 6. Juni 1986 in seinem Blatt einen Aufsatz, in dem Nolte behauptete: Es bestehe eine ursächliche Verbindung zwischen den Klassenmorden unter Lenin und dem nationalsozialistischen Rassenmord an den Juden. Ein bewußter Tabubruch: »Vollbrachten die NS, vollbrachte Hitler eine ›asiatische‹ Tat vielleicht nur deshalb, weil sie sich und ihresgleichen als potentielle oder wirkliche Opfer einer ›asiatischen‹ Tat betrachteten? War nicht der Archipel Gulag ursprünglicher als Auschwitz? War nicht der ›Klassenmord‹ der Bolschewiki das logische und faktische Prius des ›Rassenmordes‹ der Nationalsozialisten? … Aber so wenig wie ein Mord oder gar ein Massenmord durch einen anderen Mord ›gerechtfertigt‹ werden kann, so gründlich führt doch eine Einstellung in die Irre, die nur auf einen Mord und den einen Massenmord hinblickt und den anderen nicht zur Kenntnis nehmen will, obwohl ein kausaler Nexus wahrscheinlich ist.«1 Noltes Strategie: Die Naziverbrechen werden als Antwort auf – angeblich bis 1989 – fortdauernde bolschewistische Vernichtungsandrohungen verständlich gemacht und so relativiert. Das von den Nazis organisierte Verbrechen der Judenvernichtung, behauptet er, sei – »mit alleiniger Ausnahme des technischen Vorgangs der Vergasung« – keineswegs einmalig gewesen. Ein unbelasteteres Nationalbewußtsein solle sich endlich wieder entfalten können.

Nolte schlug damit die Verbrechen des NS-Regimes der Historie zu und versuchte sie zu »entsorgen«: Indem er Auschwitz innerhalb eines ideologischen Weltbürgerkrieges darstellte als bloße Reaktion auf Stalins Gulag. Nolte folgte Jünger bereitwillig: Erklärte der in »Der Friede« Verbrechen und Terror der Nazis damit, daß der Überlebenskampf sie dazu gezwungen habe, »asiatische« Methoden zu kopieren, so spricht Nolte vom »bolschewistischen Antibolschewismus«. Deutschland als Träger der abendländischen Kultur versus kulturzerstörerischem Bolschewismus – diese Konstellation erklärt für Jünger wie für Nolte Hitler.

Und ganz wie Jünger konstruiert Nolte ein Weltbild, in dem eine »ewige Linke« durch ihre Forderung nach Gleichheit »Verschwörungen zur Vernichtung der Kultur« angezettelt habe und anzettele. Permanent, vom Spartakusaufstand bis zur Oktoberrevolution, habe sie, will Nolte es in seiner Verschwörungstheorie wissen, »Massenerregung«, »Volksaufstand«, »Klassenmord« inszeniert. Und auch heute seien die linken »Egalitätsideologen« dabei, führt Nolte 1993 in der »Schlußbetrachtung« seiner »Streitpunkte« aus, die »geschichtliche Bevölkerung« der Deutschen, den ›deutschen Volkskörper‹, durch Multikulturalismus zu zerstören. Das Ziel der »Egalitätsideologen«: »Deutschland nicht bloß zu einem Einwanderungsland, sondern zu einer ›multikulturellen Gesellschaft‹ zu machen und dadurch endlich jene Schichten und Gruppen in Deutschland auszuschalten, denen man die Schuld am Ausbruch des Ersten Weltkriegs und am Sieg des Nationalsozialismus zuschreibt.«2 Die klassische rechte Verschwörungstheorie.

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