Kitabı oku: «Der Schuppenmann», sayfa 2
Der Bäumling schritt spontan auf die alte Frau zu und legte ihr seine Finger an die runden Wangen. Wie Wasser fühlte sich ihre Haut an, wie warmes, weiches Wasser!
Das ist also ein Mensch!, dachte der Bäumling. In seiner Sprache nannte er die Frau Fließdichwässerlein!
Und wie liebte er gleich dieses Menschenwassermischwesen mit seiner verschämt stillen Art!
Über die Wangen der Frau liefen Knitterfalten, denn sie lachte jetzt leise. Und in einer Anwandlung von Zärtlichkeit legte der Baummensch einen Arm um die Menschenfrau. Die musste mit einem Mal weinen über die Großzügigkeit der Natur, welche in Gestalt des Jünglings zu den Menschen gekommen war.
Der Bäumling seinerseits empfand das Kostbare ihrer Tränen und wollte sie damit trösten, dass er ihr sein eigenes Zuhause, seine Heimat zeigte.
»Pluttplutt! Giebe, Giebe!«, sagte er in seiner Sprache und bedeutete ihr damit, dass er unter ihrem Haus einen Tunnel bis zu seinem Wald graben wollte. Er war so sehr in Eifer darüber, dass er sie trösten wollte, befand sich so sehr im Überschwang seiner Gefühle, dass er sich gleich ans Werk machte. Sanft stellte er die alte Frau beiseite. Sodann riss er mit einem einzigen Ruck die Türschwelle aus ihrer Verankerung! Das Holz barst unter einem lauten Knacks sofort entzwei, die Zargen bebten.
Überhaupt nicht erschrocken über sein rabiates Vorgehen setzte sich die Frau sich ergeben auf einen bereitstehenden Hocker. Es roch nach Moder unter den hinweggerissenen Planken. Der Bäumling sah braune, satte Erde, die nicht zu fest verbacken war, sondern genau richtig, um darin einzutauchen. Gleich machte er sich ans Werk, dass diese nur so unter seinen Händen fortspritzte!
Mit aalglatter Behutsamkeit schraubte der Bäumling sich in die Tiefe, immer darauf bedacht, nur ja keine der vorhandenen, von Ferne zugeleiteten Wurzeln zu durchtrennen. Immer schneller schaffte er seine Umdrehungen, mit denen er die schaufelgleichen Hände in den Erdboden schraubte, bevor sie dann zurückschnellten und die Erde zu Hügeln aufwarfen auf dem Küchenboden.
Endlich, als der Morgen schon graute, war nicht nur ein schmaler Durchlass freigelegt, sondern auch ein langer Tunnel gegraben worden, der sich in vollkommener Dunkelheit im Erdboden verlor und recht gleichmäßig temperiert war. Die Frau hier hindurch zu geleiten, war bestimmt besser, als sie auf offener Straße durch den rauen Winter zu schicken!
Er hievte sie sich auf den Rücken, dann stieg er in die Tiefe. Und bald schon waren beide Gestalten nicht mehr auszumachen, wie eingeatmet von der Erde!
Bereits im Morgengrauen waren sie unter der Erde bei der Mutter Eiche angekommen. Sie sahen das Laubbett, bis unter welches der Bäumling gegraben hatte, von unten unter der noch nicht so dicken Schneeschicht ruhen wie ein bunt erstarrter Fluss. Die Sonne schien bis dort hinab und entzündete ein feuriges Schauspiel. Sogar die Wände des Tunnels hinab leckte der rote Schein!
»Mutter Eiche«, sprach der Bäumling zu dem Schatten über dem Teich, »wir schlafen jetzt kurz«, sagte er. »Bitte passe gut auf auf das Menschenwasserwesen: Es mag frieren, wo wir nicht frieren, und sich ängstigen, wo wir beheimatet sind.«
Die Eiche gab ein zustimmendes Gemurmel. Ihre um sich greifenden Äste leiteten etwas von der beginnenden Wärme des Tages den Stamm hinab, wo sie sich in das Erdreich verfügte und der Frau ein schönes Lager bereitete.
4
Als die alte Frau erwachte, ruhte sie wie unter einer gläsernen Glocke. Sie lehnte gegen einen Erdwall und war völlig entspannt. Neugierig blickte sie zu dem Eisdach über sich. Die Blätter waren eingefroren darin und ihre Schönheit also noch für eine Zeit bewahrt. Wie herrlich das anzusehen war!
Lautlos schuf der zarte Schimmer von Farben Brücken, das Licht lief von Blatt zu Blatt wie lauter gesponnene Goldfäden!
Sobald die alte Frau ihre Blicke von dort oben zurücknahm und den Kopf drehte, konnte sie den Baummenschen sehen. Er schlief auf der Seite in gekrümmter Haltung. Sein Rücken glänzte wie poliertes Olivenholz. Im Nacken strebten beim Ausatmen jeweils ein paar Schuppen empor. Erst blätterten sie auf, sodann schlossen sie sich wieder leise der Haut an. Und doch summte die Haut, summte die ganze Höhle davon! Das Geräusch der auf- und zuklappenden Plättchen legte sich unter das Eisdach, wo es noch verstärkt wurde.
Der alten Frau gefiel es sehr gut, so ganz nah an den Bäumen und deren Wurzeln, den eigentlichen Fundamenten zu sein. Mit den Fingern zeichnete sie Muster in den Boden, wie sie es als Kind getan hätte, Kerben und Riffelungen, lang gezogene Linien und kreisförmige Linien.
Gleichzeitig verfolgte sie wieder mit den Augen den sich mittlerweile an alle Seiten des Tunnels heftenden, weich ausgestrichenen rötlichen Schein. Der Schein flimmerte und flirrte, denn die Sonne oben am Himmel blähte sich gerade auf und entrollte sich zu weiterer prachtvoller Größe.
Die alte Frau stieß ein Atemwölkchen aus. Der weiße Dunst wurde sogleich aufgesogen von dem rötlichen Flirren, das daran nestelte wie an einem Nebelfaden.
Großartig, dass ich so gar nicht friere!, dachte sie, als sie bemerkte, wie sich das rote Licht allmählich ausdünnte und aus seiner Mitte heraus viel Gelb nachfloss. Das war der Schein der tagesälteren Sonne, die sich von nun an endgültig behauptete und weitere Wärme veranlasste.
Die Frau wackelte mit dem Kopf und wollte sich höher aufsetzen, um ihre Stirn in dem neuen Licht zu baden. Dabei verursachte sie ein Geräusch, das den Bäumling weckte. Seine Augen blickten aber gleich ganz munter und er stand schließlich sofort auf.
Die ihm von oben zuwachsende gelblich rote Gloriole des aufgesprengten Sonnenscheins war wirklich wunderschön zu betrachten.
Über dem Scheitel des Jünglings stoben Goldfunken, sodass er aussah wie ein Königssohn. Alles um den Auserwählten schien im besonderen Maße belebt, begünstigt von seiner Anwesenheit.
Und ich darf das alles erleben!, dachte, erneut ganz ergriffen, die alte Frau.
Plötzlich fing der Baummensch an, mit ihr zu sprechen. Es klang wie ein Strudel, was da aus seinem Mund hervorquoll, sich an den Kanten der Zähne brechende Laute, aber voll überschwappend. Mit den Händen bedeutete er ihr, dass es jetzt an ihr sei, etwas zu essen, wollte sie kräftemäßig nicht verfallen.
Er fing an zu graben, wobei er immer in die gleiche Richtung witterte: Eicheln, teilweise noch in ihre Fruchtbecher eingeschlossen, entsandten unweit von hier einen betörenden Duft zu ihnen herüber. Beim Weitergraben kamen dünne Filamente von verrottendem Wurzelwerk zum Vorschein, zerfasertes Baummaterial blieb dem Baummann zwischen den Fingern hängen wie Spinnengewebe. Er hieb weiter ins Erdreich hinein mit den Kanten seiner Hände, als ginge es darum, jemand buchstäblich und augenblicklich vor dem Verhungern zu bewahren. Bald geriet er an eine Wurzelbrut, die weich und wie seidig unter seinen Fingern lag. So ausgebleicht, wie sie war, besaß sie Ähnlichkeit mit dem hellen Haar einer Frau.
Der Baummensch hielt inne im Schaufeln und lugte zu der Großmutter hinüber, welche wiederum sehr in Verlegenheit darüber geriet, so genau betrachtet zu werden: Sie kratzte sich am Kopf und blickte zur Seite. Ihre Haare, die der Baummensch sich gedankenverloren besah, lagen sehr reinlich aufgeteilt über der Stirn und fielen in einer weichen Welle den Hinterkopf hinab.
Plötzlich musste er lachen, dass es laut dröhnte unter der Erde. Die Menschenfrau mit ihrer peinlich berührten Art und den kugelrunden Augen in dem Gesicht, aus denen so beredt die innersten Regungen sprachen, war einfach zu drollig anzusehen!
»Komm jetzt weiter!«, sprach er nach dem Mahl, das beide sitzend eingenommen hatten, seine ersten Worte in ihrer eigenen Sprache, denn er lernte sehr schnell. Er winkte ihr mit den Händen, ihm nachzusteigen. Erstens, weil er den Schacht noch vertiefen wollte, um ihr, was er erst jetzt verstand, dass es sich dort unten befinden müsse, das Herz des Waldes zu zeigen, wie es an geheimer Stelle unter der Erde schlug.
Zweitens fühlte er sich wieder so ausgeruht und erstarkt, dass er wusste, die alte Frau würde nicht zurückbleiben müssen, sie könnte ihm gleich folgen.
In einer Geschwindigkeit, die wahrhaftig schwindelerregend war, begann er den Schacht von vorhin also noch zu vertiefen. Die alte Frau stieg ihm tatsächlich hinterher. Sie musste sich im Tunnel noch nicht einmal bücken, so groß waren die Schollen, die der Bäumling aushob. Beinahe erhobenen Kopfes trabte sie ihm gemächlichen Schrittes einfach hinterher!
Wie gewaltig die Kraft war, die er besaß! Und wie machtvoll demzufolge noch der Wald sein musste!
Mit großem Zutrauen verlebte sie jene nachfolgenden Meter, die sie tiefer und tiefer unter die Erde führten.
Im Laufe der Zeit beobachtete sie dabei so mancherlei Veränderungen in der Beschaffenheit des Bodens. Wo sie konnte, sah sie hin. Es wurde ja auch nicht dunkler, sondern heller, je tiefer sie kamen. Das war natürlich wider die Natur, hatte aber mit dem Außergewöhnlichen zu tun, dem sie bald gegenüberstehen sollten. Der Boden, durch und auf dem sie liefen, war marmorblass und sehr fein gekörnt, wie aus Quarzsand bestehend. Lediglich hier und da tauchten in fast regelmäßigen Abständen dunklere Einsprengsel auf. Bisweilen blitzte es aber auch, weil dann so etwas wie ein Silberfaden in dem Gang auftauchte, den sie queren mussten.
Wie lange es gedauert hatte den Tunnel zu graben, wusste die alte Frau im Nachhinein schließlich nicht mehr zu sagen. Der Bäumling, der sich stets mit einem Lächeln auf dem Gesicht nach ihr umsah, hatte sich in Schweiß gearbeitet. Plötzlich dann, als die Farben an den Wänden immer bunter wurden, gelang der Durchbruch:
Begleitet von einem leise klirrenden Geräusch fiel ein Stück Wand zu Boden wie ein Vorhang aus Eis. Er zerbrach dabei nicht, sondern zerlegte sich einfach in mehrere Bestandteile, die alle gleich lang waren. Die wie verglasten Lamellen stapelten sich gleich ordentlich am Boden. Für ein paar Augenblicke vergaß der Baummensch die Frau, in deren Begleitung er sich befand. Behutsam schob er einen ersten Fuß auf den ebenfalls wie von Glas durchwirkten Boden. In dem Glas waren matt leuchtende Luftblasen eingeschlossen, die sich überraschenderweise aber leise hin und her bewegten, als die zwei Besucher, die alte Frau war dem Bäumling nämlich einfach gefolgt, über den Boden tappten. Wie sie staunten, wie prachtvoll alles anzusehen war!
Als bewegte sich ein Windspiel, schellten von überallher kleine Glöckchen. Allerorts schienen sich die aus Glas gewirkten Wände und Böden in Schwingung zu befinden. Es war, als seien sie nicht in etwas Festem verankert, sondern als hingen sie über einem luftleeren Raum. Der Bäumling vermutete auch gleich, dass sich unter dem Glaskäfig das Eigentliche befand, das er suchte, zu dem er strebte.
Der Boden war wohl wie die Membran von etwas, das im Verborgenen ruhte und auf den ersten Blick nicht gleich entdeckt werden konnte.
Erst etwas ratlos darüber, was jetzt zu unternehmen sei, blickte er zunächst zum Eingang, dem Durchbruch. Wie überrascht, aber auch erfreut er war, als er dort einen Wurzelarm der Mutter Eiche entdeckte, der sich über die Schwelle der Öffnung legte! Die Mutter trank Wasser von dem gläsernen Meer, nachdem sie ihnen über die weite Strecke gefolgt war!
Dort, wo der Wurzelarm in das Glasmeer eintauchte, war er schon ganz weiß geworden, wodurch er unterschiedslos mit allem anderen verschmolz.
Jetzt endlich verstand der Baummensch, den seine Instinkte hierher geleitet hatten: Der Teich war in Wirklichkeit das Herz des Waldes, zu dem sämtliche Bäume immer mal wieder Fühlung aufnahmen! Und richtig: Wenn er genau hinsah, gegen das Grelle des Ortes die Augen mit seinen Händen beschirmte, dann erblickte er von überallher Ausläufer von Baumwurzeln, welche die Wände des Raumes an unzähligen Stellen durchbrachen. Gläsern, wie auch sie waren an ihren Spitzen, fielen sie kaum auf. Es war aber deutlich, dass jene Nähe für sie von Vorteil war, fast schmatzten die Wurzeln vor lauter Glück, weil ihnen das Wasser so wohl schmeckte!
Der Baummann, der sich in den heiligen Hallen des Waldes befand, stellte sich ganz aufrecht hin, spannte die Brust, fühlte das eigene Holzherz darin schlagen und gedachte in Liebe seiner Eltern. War er überhaupt würdig, hier zu stehen?
»Vater! Mutter!«, seufzte er, indem er das Haupt neigte. Sobald er das gesagt hatte, begann sich das Eismeer von seiner Mitte her zu verflüssigen. Es tat sich ein Trichter auf, der mit blauen Rändern in die Tiefe wies. Das Wasser strudelte, einer Stromschnelle nicht unähnlich, nach unten. An den Rändern des Trichters schäumte es weißlich auf.
Mit vorsichtigen Schritten, da sie ja nicht wussten, ob das Eismeer sie tragen würde, näherten sich die alte Frau und der junge Baummensch dem Abgrund, in den das Wasser gespült wurde. Was sie dort unten erblickten, verschlug ihnen zunächst die Sprache. Ein gigantisches Herz atmete am Grund der Senke, die sich aufgetan hatte unter dem Eismeer! Es atmete, litt aber offensichtlich Schmerzen, seine Kammern sahen nicht mehr frisch oder gut durchblutet aus! Der Bäumling, den das alles sehr mitnahm, streckte Anteil nehmend und wie liebkosend die Hände gegen das Herz aus.
Jenes fühlte sein Ansinnen und fing an, sich aufzupumpen und aufzublähen. Immer größer wurde es, bis es sich schließlich so weit aufgewölbt hatte, dass es mit seiner Membran die Finger des Bäumlings berührte. Plötzlich liefen Lichtimpulse vom Herzen zum Sohn des Waldes, es war wie ein Gewitter, das sich zwischen den beiden entlud.
Der Bäumling erhielt eine Vision, befand sich, gebeugt über den Rand des Wasserfalls, in einer Art Trancezustand!
Was die alte Frau nicht wissen konnte, war, dass sich gerade, vom Herzen ausgehend, das kollektive Gedächtnis des Waldes auf den Baummann übertrug.
In ein dunkles Bedauern hinein verwandelte sich dessen ansonsten so unbeschwertes Gemüt: Fast überall in diesem Bezirk ging es dem Wald schlecht!
Die bunte Vielfalt des gesamten Planeten starb! Wie die Flora, das Ornamentale allen Lebens und zugleich dessen Nährboden, großzügig ihre Pracht hinausduftete in den Schoß der Menschheit! Wie um sich gegen dieses neu erworbene Wissen zur Wehr zu setzen, schüttelte der Baummensch den Kopf. Seine Haare zogen knisternd mit. Wie nur hatte es so weit kommen können? Warum nur waren die Menschen so sorglos?
Warum taten sie seinen Eltern so weh? Fast empfand der Sohn des Waldes so etwas wie Furcht. Aber nein, das durfte nicht sein! Konnte man die Dinge nicht noch ändern? Behutsam liebkoste er das seinen Fingern angeschmiegte, riesige Herz, beruhigte es und sprach ihm seine noch bestehende Zuversicht aus. Noch lange verständigten sich beide in Worten und Gedanken. Irgendwann aber, unmerkbar erst, schloss sich die Eisdecke wieder über dem Herzen, das Meer floss zurück und erstarrte. Das Tosen des Wasserfalls hatte aufgehört.
Das Herz konnte also in aller Zurückgezogenheit unter dem gläsernen Meer fortdauern, jetzt hoffnungsfroh, da es den Sohn gesehen hatte. Der Bäumling nahm Abschied, für beide war die Begegnung viel zu kurz gewesen, aber es galt, sich zu schicken.
Die alte Frau, welche in den vergangenen Minuten beinahe unbeteiligt gewirkt hatte an allem und der soeben vielerlei Überlegungen im Kopf herumgingen, sie erahnte jetzt, dass jedes zusammenhängende Waldgebiet ein solches Herz besaß, das lachte oder weinte, je nachdem, wie es ihm ging. Für den Augenblick waren es erdenweit harzduftige Töne, die hinaus geweint wurden und sich an dem Schmerz festmachten, bald sterben zu müssen!
Sie hob den Kopf, denn sie wunderte sich, dass etwas über ihr plötzlich so grell leuchtete. Und tatsächlich: Die Kuppel über ihren Köpfen, das Glas- oder Eisdach, war aufgegangen wie ein Blumenkelch im warmen Wind. Die Sonne schien breit herein und das Licht blendete dermaßen, dass es sie beinah blind machte. Nun war der direkte Weg nach oben also frei! Der Baummensch an ihrer Seite hatte die Öffnung ebenfalls bemerkt. Er sah liebevoll zu der alten Frau hin, die es schon immer geahnt hatte, dass der Wald lebte und dass er verstand, was mit ihm geschah.
»Nur zu!«, sprach er zu ihr.
Und damit meinte er, dass sie nun auf die Lichttreppe steigen solle, die sich vor ihnen aufgetan hatte. Er würde sie schon stützen, sobald ihr schwindlig werden würde!
Leise Melodien begleiteten sie, als sie aufstiegen, denn der Wind schliff an den Kanten der Stufen, die begannen zu singen. Immer höher stiegen sie die gläserne Treppe hinauf, die auf Luft gebaut war und aussah wie aus Quarz gebacken. Schließlich aber wurden die Treppenstufen immer schmaler, sie schmolzen hinweg, je höher sie kamen.
Auf der obersten angelangt, war es nur noch ein kleiner Sprung bis auf den Gipfel der Bergkuppe. Der alten Frau war kurz schwindlig vom Aufstieg, aber als sie in die sich wie ein grüner Teppich ausbreitende Landschaft blickte, wurde ihr allmählich wieder besser. Der Bäumling, der hinter ihr stand und ihr einen langen Schatten über die rechte Schulter legte, deutete mit seinem ausgestreckten Arm auf einen in der Ferne besonders üppig wachsenden Baum: Es war die Mutter Eiche, wieder in Nebelstreifen gehüllt wie in ein fließendes Gewand!
Ihr Kronendach hing schon fast in den Wolken, die Sonne überblendete all dies und malte einen gelben Saum und gelbe Bänder.
Wie schön des Bäumlings Heimat war!
Sein Glück wurde richtiggehend fühlbar für die alte Frau: Wie ein Kind tastete er nach einer ihrer Hände und drückte sie fest.
Als ein besonders flächendeckendes Wolkenfeld, das hinten über dem Wald kurz gestockt hatte, endlich wieder abzog, weitete sich das Panorama noch mehr: Sie sahen das eintönige Grau eines Häusermeeres gegen die schwarze und weiße Vielfalt des Waldes einschneiden. Die Stadt war sehr geradlinig gewachsen, wirkte schroff und spitz, sodass es dem Bäumling etwas wehtat in den Augen, sie zu betrachten. Womöglich aber auch besaß er nur etwas Furcht vor dem, was ihn dort erwartete.
Da das Wetter aber schön war, gab er sich einen Ruck und beschloss die Frau einfach zu tragen. Stark genug war er ja dafür! Aber damit sie es auch schön warm hatte auf seinen Armen, schälte er zunächst ein breites Stück Rinde von einem Birkenstamm, worin er sie anschließend einhüllte. Sie lachte ein bisschen in ihrem runden Zelt:
In der Art, wie es jetzt geschah, hatte man sich ihrer bisher noch nie angenommen! Wie schnell der Bäumling lief! Fast wurde es unbequem auf seinen Armen, denn immer schaukelte sie hin und her wie ein Weberschiffchen auf seinem Rahmen.
Je näher das seltsame Gespann der Stadt kam, desto häufiger begegneten ihnen verwunderte Blicke.
Der Baummensch aber ließ sich nicht beirren, er trabte immer weiter auf das zu, was für seine Begriffe zwischen den Straßenschluchten aussah wie eine Lichtung, in Wirklichkeit aber der Marktplatz der Stadt war.
5
Etwas von der Birkenrinde war abgeblättert, und nun ragten die Beine des Großmütterchens aus dem Etui heraus. Eine Volksmenge, welche das Gespann sah und darüber, was zu unternehmen sei, geteilter Meinung war, rottete sich schließlich mehr und mehr gegen die beiden zusammen. Die einen murrten, die anderen drohten bereits mit den Fäusten.
Einer war sogar dabei, der dem Bäumling gleich hinterher jagen wollte, um ihn aufs Entschiedenste zur Rede zu stellen. Er scheiterte jedoch an der Geschwindigkeit, mit welcher der Baummensch davon hastete.
Ein anderer rief laut »Halt!« und »Was soll denn das?«.
Die meisten Leute waren dem Baummenschen auf alle Fälle kurz so nah, dass sie sowohl dessen Nacktheit und in der Folge dazu die Schuppen an seinem Körper sehen konnten. Diese stellten sich beim Laufen auf wie kleine Segel, der in seiner Merkwürdigkeit kaum zu übertreffende Unbekannte konnte nirgendwo vorübergehen, ohne dass es zischte oder fauchte.
Bisweilen, abhängig davon, wie und von welcher Seite ihn der Wind berührte, rasselten die Holzplättchen auch ein wenig, es klang fast musikalisch.
Einer der Passanten deutete dem Läufer nach und schrie mit einer schnarrenden, teils überschnappenden Stimme, dass man der enteilenden Person habhaft werden müsse, dass da etwas nicht mit rechten Dingen zugehen könne und dass man sie einfach schnappen müsse.
Der Schuppenmann, von alldem nicht sonderlich viel ahnend, obgleich er von jetzt an für alle so heißen sollte, er jagte, die alte Dame, durch dessen Baumrindenröhrenkleid die Winde pfiffen, jetzt sorgsamer in den Armen wiegend, weiter auf den Mittelpunkt des Marktplatzes zu, um dort ein gewaltiges Schauspiel zu veranlassen. Noch zwei Straßen hatte er zu überqueren, sodann vermochte er den Platz gut zu überblicken.
Es wuchsen dort zwei Linden, die sich auch bescheiden der winterlichen Kälte fügten. Nur die Blätter raschelten, denn die Kälte hatte begonnen, sie steif zu machen.
Die alte Frau glitt endlich aus ihrem Etui heraus, ein bisschen ungelenk, aber gar nicht verfroren, und schaute um sich. Sie sah zu den Ästen jener Linden empor, die sich zu einem jeweils ovalen Gebilde aufbogen, und bejubelte innerlich all diese Schönheit! Sodann glitten ihre Blicke zu dem Baummann, der mit geschlossenen Augen wie erstarrt dastand. Der Kopf war gegen den Boden gerichtet, alle Schuppen hatte er aufgestellt, derweil immer mehr Menschen hinzuströmten.
Plötzlich breitete der Schuppenmann die Arme aus, und es geschah dies so abrupt, dass die Menschenmenge erschrak und einige von seinen Schuppen abbrachen und auf das Straßenpflaster fielen. Und dann schrie der Schuppenmann! Er schrie ganz unverständliche Laute, aber so laut und so durchdringend, dass die meisten Anwesenden sich die Ohren zuhalten mussten.
Die Maserungen seiner Haut liefen dunkelgrün an. Wie ein Drache sah der Schuppenmann aus! Mehrere, vor allem weibliche Passanten, waren einer Ohnmacht ganz nahe und fielen nur deswegen nicht um, weil andere Leute sie daran hinderten.
Der Himmel aber hatte den Schmerzenslaut des Baumkindes vernommen! Sofort schickte er sich an, sich zu verdunkeln: Mächtige Wolkentürme bauschten sich auf, die an den Rändern weißlich ausfransten, aber bald dunkler wurden. Eisiger Wind kaum auf, Windböen bündelten sich über den Baumkronen zu einem mächtigen Rüssel, der kreiselnd um sie herum sirrte. Der Rüssel holte Atem, bevor er Abermillionen kleinster Geschosse ausspie, unterdes das menschliche Treiben auf dem Marktplatz auf einen Schlag wie erstorben war.
Aus der dunklen Wand lösten sich Zapfen, aber auch Kastanien und Eicheln, die mit großer Wucht auf die Erde niederprasselten. Das Sonderbare an dem Körnerhagel war aber, dass er beim Niedergehen nichts und niemanden verletzte! Die Samen, die herab zischten, zeichneten im Fallen jeweils die Konturen der Menschen und Tiere nach! Sie wichen ihnen sogar aus, wann immer sie sich bewegten, auf die Art ihre friedlichen Absichten für alle gut sichtbar zur Schau stellend. Keiner wurde getroffen von den Geschossen aus der Wolkenwand, man verspürte lediglich den Luftzug, als die Knollen niederprasselten.
Jedoch: Eine solche Fülle, eine solch gewaltige Unmenge an Samen hatte sich aus der Wolkenwand gelöst, dass jeder der Anwesenden sich bald hüfthoch davon eingeschlossen sah! Es vermochte keiner mehr, sich zu bewegen, geschweige denn, sich davon zu stehlen, wie er es wohl vorgehabt haben würde in Anbetracht des Hagels und nach einem solchen Erschrecken.
Als die Wolken letztlich leer geregnet waren, knackte es gleich überall auf dem Marktplatz: Die Hülsen brachen auf, eine nach der anderen erwachten sie zum Leben! Zeitgleich zum Aufplatzen der Hülsen wurde das Wetter wieder milder. Die bis hierher wie aufgestellten Wolkentürme verflachten, gingen in feine Schleier über. Alsbald, und bevor sich die Menschen hatten austauschen können über die jüngsten Ereignisse, zerriss die Sonne jene Schleier schließlich wieder und warf sich, hellen Auges, von ihrer thronenden Höhe herab: Wie hingegossen putzte der gelbe Schein das Gräuliche vom Himmel fort!
Der Schuppenmann und die alte Frau badeten förmlich im Licht. Sie standen, als einzige, frei herum, ohne bis zu den Hüften von den Samenbergen begraben worden zu sein.
Und da die Sonne jetzt so herrlich herniederbrannte, ereignete sich auch recht rasch das nächste Ereignis. Ihre Wärme drang nämlich unter die Schalen der Samenhülsen, wo sie die Lebensfunken weiter entfachte. Die Keimlinge wurden hungrig. Grüne Hälse schlängelten sich empor, rankten zum Licht hinauf, Blätter entrollten und entfalteten sich, in Windeseile und der eigentlichen Jahreszeit trotzend. Die Samenberge wurden zur ruhelosen Masse. Sie waberten hin und her, sich stetig neu ordnend, das Leben drängte weiter aus jeder Kapsel und suchte neuen Raum für sich zu gewinnen!
Überraschenderweise besannen die Menschen sich mit einem Mal auf ihre Instinkte, blind dem Trieb der Fürsorge folgend.
Rascher als geschwind pflückte einer der Marktgänger einen Keimling aus dem wabernden Haufen. Die kleinen Wurzeln lagen bleich und ein wenig frierend auf der bloßen Handfläche. Das wiederum rührte den Menschen sehr. Wie der Steckling ihn doch anwurmte mit seiner lebenshungrigen Spitze!
Es war jetzt wie eine innere Veranlagung bei ihm, die geweckt worden war, dass er Zuneigung zu dem Schössling empfand. Und in kürzester Zeit waren es schon ganze Hundertschaften an Menschen, welche, einen jungen Trieb zwischen den Fingern, veranlasst wurden, mit ihnen so schnell als möglich nach Hause zurückzukehren. Dort wurden die jungen Pflanzen sogleich in Erde gebettet und von Anfang an äußerst liebevoll gepflegt.
Im allgemeinen Rauschzustand des Lebens, als überall alles nur noch gedeihen wollte, wuchsen auch dem Bäumling mit einem Male an genau der Stelle, wo sich früher die Brustwarzen abgelöst hatten durch Hunger, große Knospen! Es entfalteten sich zwei prachtvolle, malvenfarbige Blüten auf seiner Brust! Das Licht fiel dort hinein wie in einen Trichter, es war eine blendende Helligkeit dort drinnen wie aus einem Schmelztiegel! Dem Baummenschen strömte scheinbar Gold ins Herz hinein!
Die alte Frau, welche das alles hautnah miterlebte, empfand stolz über das Verwirrspiel der Natur, die mit teils belustigenden Waffen kämpfte.
Die Blüten glichen mittlerweile bereits umgestülpten Schirmen, deren Stoff sich leise wellte im Wind.
Während die meisten Menschen nach Hause gelaufen waren, kamen seit einiger Zeit wieder Schaulustige zum Marktplatz, welche von den ungewöhnlichen Vorfällen dort bereits Wind bekommen hatten. Auch Sicherheitskräfte waren alarmiert worden, die mit ihren schweren Stiefeln über die aufgequollenen und damit verrutschten Samenberge schlicht hinweg stiegen. Sie packten den Schuppenmann, der sich nicht wehrte, grob bei den Handgelenken und verpassten ihm Handschellen.
Da die Blütenblätter auf seiner Brust aber immer noch weiter gediehen, wurden die Polizisten immer sanft angewedelt von ihnen, die Blüten strichen ihnen über die Ohren und dem einen Mann zusätzlich wiederholt über den Schnurrbart. Das aber war kaum auszuhalten, unentwegt musste er die Lippen zusammenkneifen, um nicht zu lachen.
Auf dem Weg zum Wagen dachte er sich, dass er dadurch an Haltung verlor und dass es wohl besser wäre, die Teile auszureißen. Er hatte aber noch nicht zu Ende gezupft an einem Blütenblatt, die anderen Kollegen nickten beifällig, da wehrte sich die so angegriffene Brust, indem aus der Mitte des Blumenkelches die fast fertig nachgewachsene Warze heraus und dem Angreifer mitten ins Gesicht sprang! Es war ein Gefühl, wie von einer warmen Nacktschnecke geküsst worden zu sein, und der Ordnungsmann schrie deswegen ein bisschen wie ein kleines Mädchen.
Er wurde großzügig ausgelacht und fürs Erste wagte es niemand mehr, dem Schuppenmann zu nahe zu kommen. Die alte Frau packte man für alle Fälle aber gleich mit ein. Sie zappelte erst ein wenig, weil sie die zwei Linden auf dem Marktplatz so lieb gewonnen hatte und sie nicht verlassen wollte und sah, dass die Bäume trauerten, als der Schuppenmann abgeführt wurde.
Wie gepeitschte Riesen lagen die Linden, obwohl stämmig, unter dem Wind. Mächtige Wolkenblöcke tobten mittlerweile am Himmel. Es gab immer mal wieder ein gewittriges Aufleuchten über dem Marktplatz, Blitze zuckten auf und der Schein der Sonne wurde von den dunklen Wolken so schnell weggewischt, wie er vorhin aufgezogen war. Fauchende Windböen und erste Hagelkörner veranlassten die Schaulustigen schließlich dazu, wieder auseinander zu stieben.
Die Ordnungskräfte bugsierten den Schuppenmann so rasch als möglich ins Innere des Polizeiwagens. Die alte Frau wurde in einen anderen Bus verfrachtet, und fürs Erste verliert sich hier ihre Spur.
Die Enge der Fahrzeugkabine ließ den Schuppenmann zunächst einmal Atemnot erleiden. Gleich war er aber von etwas anderem abgelenkt. Gleichwohl aus Holz beschaffen, hörte er doch nicht auf zu rinnen! Es rann ihm von innen heraus das Wasser aus den Gliedern! Das Holz schwitzte, sonderbare Kräfte veranlassten seine Säfte, nach außen zu treten. Gleichzeitig schmolz es von seiner Größe her zurück. Der Schuppenmann wurde zusehends kleiner, währenddessen ihm das grüne Wasser von oben herab fortlaufend über die Füße tropfte. Aber auch diese schrumpften bald immer mehr, bis sie schließlich kleinen marionettenhaften Holzpantinen glichen.
Die Polizisten waren natürlich alles andere als beglückt über diesen Umstand und machten dem Schuppenmann deswegen ununterbrochen Vorhaltungen, er solle ja aufhören mit seinen Possen und Narreteien, und auch das sei Widerstand gegen die Staatsgewalt. Es half aber nichts, dass sie ihn beschimpften und festhielten, das Holz schmolz ihnen einfach unter den Fingern weg. Bald mussten sie aufstehen, wenn sie nicht im Wasser sitzen wollten! Und wie um sie zu verärgern, beschleunigte der Gefangene sein Entschwinden offensichtlich noch:
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