Kitabı oku: «Elfenzeit 8: Lyonesse», sayfa 3

Yazı tipi:

»Warum bist du hier?«

»Der Wind flüsterte es mir und wies mir den Weg. Ich kam, um zu helfen.«

Der Getreue schien nachzudenken. »Wie viele von deiner Sorte gibt es noch?«

Ayoub hob die Schultern. »Nicht mehr viele, glaube ich. Die Geistersphäre leert sich. Es ist sehr still geworden, seit die Erste von uns gegangen ist …«

Der Getreue stieß einen schmerzvollen Laut aus. »Island …«, flüsterte er. »Ich erinnere mich, dort gewesen zu sein …«

»Etwas geschah, das alle Sphären erschütterte«, sagte Ayoub. »Und hier verändert sich seither die Sphäre. Die Grenzen sind geöffnet …«

»Warum bist du allein, Ayoub? Wohin gehst du?«

»Ich reise zumeist allein, doch wenn ich es möchte, finde ich überall gute Gastfreundschaft. Ich gelte als heiliger Mann, und außerdem bin ich reich. Mein Clan verwaltet mein Vermögen, längst ist er sesshaft geworden und der Gier nach Reichtum erlegen. Meine Leute sind keine Berber mehr und noch weniger Tuareg. Ich aber bin Nomade geblieben, ich kann nichts anderes sein. Meine Seele wohnt schon so lange hier, sie ist ein Teil der Wüste. Und wohin ich gehe? Als ob du das nicht wüsstest.«

Der Getreue schüttelte leicht den Kopf. »Ich weiß es nicht. Ich müsste es wissen, aber dem ist nicht so. Die Erinnerungen kehren nur langsam wieder … die Kenntnis …«

Ayoub wies auf die Wüste. »Ich gehe nach Gewas.«

»Die Oase Gewas? Ich kenne sie. Das … das Paradies? Du weißt, dass niemand sie finden kann, der sie sucht?«

»Und deswegen bin ich unterwegs. Meine Suche ist das Ziel. Wer hat mir das wohl beigebracht? Und sage nicht, die Oase gibt es nicht – Kufrah könnte es dereinst werden, seit ich den ersten Ölturm setzen wollte und Wasser fand, auch wenn es immer wieder Rückschläge gab.« Ayoub stand auf und klopfte sich den Sand aus der Kleidung. Sein Dromedar hatte sich inzwischen satt getrunken und Büsche abgeweidet. Jetzt senkte es den langen Hals und musterte seinen Herrn aus großen, sanften dunklen Augen, die von dichten Wimpern beschattet wurden. Die Mundwinkel waren leicht nach oben gezogen, als ob es lächelte. Ohne dass Ayoub etwas sagen musste, kauerte es sich hin. Die beiden zogen schon so lange gemeinsam durch die Wüste, sie verstanden sich ohne Worte und Befehle.

»Das verstehe ich nicht«, sagte der Getreue.

»Du wirst es, sobald du zu dir selbst gefunden hast«, erwiderte Ayoub und schwang sich in den Sattel, verschränkte die Beine vorn am Hals. »Deswegen musst auch du dich auf die Suche begeben.« Mit der Gerte wies er nach Süden. »aṣ-ṣaḥrā’ al-kubrā«, sagte er melodiös, mit erstaunlich junger Stimme. »Die sehr große Wüste.« Dann wies er nach Norden, wo sich graue Berge am Horizont abzeichneten. »baḥr bilā mā. Das Meer ohne Wasser. Geh Richtung Meer, durchquere die Wüste und gelange zum Ozean. Dort findest du den Anfang und den Träger. Das ist dein Weg, so wie der meine … die entgegengesetzte Richtung ist. Sei standhaft – du hast gut und gern neunhundertfünfzig Kilometer Weg vor dir.« Er zwinkerte.

Das Dromedar stemmte sich leise grunzend hoch und ragte schneeweiß über dem Getreuen auf. Unermüdlich wiederkäute es und drehte leicht den Kopf, als wolle es die Richtung erraten, in die es seinen Herrn gleich tragen würde.

»Warum?«, fragte der Getreue ratlos.

»Das fragst du?« Ayoub lachte leise. »Sieh es als Schuld an, die ich beglichen habe. Ich gebe dir zurück, was du mir einst gemacht hast. Das ist nur fair. Leb wohl!« Er schnalzte und zog am Riemen, während ein Fuß leicht an den Hals klopfte. Das Dromedar wendete und schaukelte im flinken Pass-Trab mit seinem Herrn in die wasserlose Dürre hinein.

Hitze breitete sich aus, und der Umhang des Getreuen dampfte. Er stemmte sich hoch und stand eine Weile gekrümmt, schwankend da. Nur langsam kehrte das Gefühl in die Gliedmaßen zurück, das Bewusstsein, einen Körper zu besitzen. Diese Existenzform war schwer, aber auch sehr intensiv. Er würde sich daran gewöhnen – falls er es schaffte, zu überleben. Das war nämlich noch keineswegs gewährleistet. Im Augenblick war er dankbar, überhaupt den Weg zurück gefunden zu haben und sich soweit zu sammeln, dass er neu beginnen konnte. Aber mehr als halbstofflich war er noch nicht.

Haltsuchend taumelte er zu einer Palme und stützte sich schweratmend dagegen. Nicht viel mehr als ein Fetzen wehenden Tuches, und doch zerrte ein schweres Gewicht an ihm.

Wer auch immer dafür gesorgt hatte, dass er Hilfe bekam, dem gebührte Dank. Aber hoffentlich war es nicht verfrüht. Als die Hand des Getreuen plötzlich durch den Stamm fiel, rutschte er haltlos zu Boden. Seine Gestalt flackerte erneut, bevor sie sich wieder einigermaßen verstofflichte.

Die Geistersphäre.

Der Getreue war erleichtert, als ihm dies einfiel. Dort stand sein dunkler Turm, der ihm die Kraft zurückgeben würde, die er brauchte.

Er konnte sich nicht erinnern, wieso er hier war, was ihn an den Rand der Vernichtung getrieben hatte. Island … dort musste es geschehen sein. Aber was?

Der Turm, er war jetzt sein Anker. Erst einmal in seiner Kammer, würde sich alles von selbst ergeben und klären.

Der Getreue konzentrierte sich und tauchte in die Geistersphäre ein. Doch er erreichte nicht mehr als das Zwischenreich. Weit in der Ferne sah er seinen dunklen Turm aufragen, aber er war zu schwach, um dorthin zu gelangen. Dieser Weg blieb ihm verwehrt.

Keuchend sank er in sich zusammen. Alle Mühe vergebens, er würde das wenige Leben, das ihm geblieben war, verlieren. Was hatte Ayoub gesagt? Das Meer ohne Wasser … die Oasen namens … Kufi? Kari? Kufrah! Und Gewas! Das war es!

»Libyen«, murmelte er. »Ich bin in Libyen.«

Kein besserer Ort hätte es sein können. Hier hatte alles begonnen. Von hier aus waren die Ersten aufgebrochen. Ayoub hatte es gewusst und ihm deshalb den Weg nach Norden gezeigt, zum blauen Meer. Dort gab es Rettung für ihn und … und …

Wem gilt meine Treue?

Wer muss sterben, wenn ich nicht zurückkehre?

Er zerbrach sich den Kopf, aber er konnte sich nicht erinnern. Doch es galt, keine Zeit zu verlieren. Eine Menge stand auf dem Spiel. Sprach Ayoub nicht auch darüber? Dass die Grenzen sich verschoben und öffneten, und dass alles sich veränderte?

Auf allen vieren kroch der Getreue zum Wasser, um noch einmal zu trinken, bevor er aufbrach. Er beugte gerade den Kopf über das sandige Ufer, als er einen dunklen Schatten bemerkte. Und dann geschah es auch schon.

Etwas schoss aus dem Wasser hervor, riesengroß und graugrün, stank nach Moder und Verwesung, und schnappte mit langem Maul, in dem faulige Zähne steckten, nach dem Getreuen.

Dass die Bestie schon sehr alt war, war sein Glück. Und dass der Getreue früher eine unglaublich schnelle Reaktionsfähigkeit besessen hatte, ebenfalls. Auch wenn davon nicht mehr viel übrig war – er war immer noch schneller als ein Mensch. Und um ein wenig schneller als die Panzerechse.

Der Getreue warf sich zur Seite, und das Maul schnappte nur Luft. Klickend, klirrend krachten die schief stehenden Zähne zusammen, und das Tier stieß einen grunzenden Laut aus, als einige zersplitterten und herausfielen. Der Gestank, der daraufhin dem wieder halb geöffneten Rachen entströmte, färbte die Luft grünlich.

Doch das konnte das Krokodil nicht aufhalten. Es fuhr herum, peitschte das Wasser mit dem wild schlagenden Schwanz auf, während es an Land kam, den Körper mit den seitlich am Leib gelegenen Beinen hochstemmte und den Getreuen erneut angriff. Wieder konnte er sich im letzten Augenblick zur Seite werfen, doch er kam nicht schnell genug hoch und musste halb kriechend, halb robbend ausweichen.

Schließlich rollte er in einem günstigen Moment unter die Echse, seine Arme schossen nach oben und legten sich um das Maul des Krokodils und hielten es zu.

Eine über sechs Meter lange Panzerechse hatte keine natürlichen Feinde mehr und war ein tödlicher Gegner. Mit einem Schlag ihres Schwanzes konnte sie die Knochen eines Elefanten zertrümmern. Einmal zugebissen, konnte nichts mehr dem Rachen entkommen, und selbst Schwergewichte wurden mühelos ins Wasser geschleppt. Der Druck beim Zubeißen lag bei über einer Tonne. Aber das Maul zu öffnen, wenn es einmal geschlossen war – dafür besaß ein Krokodil keine Muskelkraft.

Der Getreue umklammerte die Schnauze, gleichzeitig schlang er die Beine um den Leib der Echse, die sich wütend zur Wehr setzte und sich wild wand. Aber an der verletzlichen Bauchunterseite konnte sie den Gegner nicht erreichen. Der Getreue ließ sich trotz der heftigen Bewegungen nicht abschütteln und umklammerte die Echse so lange, bis sie in ihrer Gegenwehr endlich ermattete und Richtung Wasser strebte, um sich in Sicherheit zu bringen. Als sie dabei eine Sandgrube durchlief und auf der rechten Seite einsank, brachte der Getreue sie aus dem Gleichgewicht und zu Fall.

Das Krokodil war alt, nicht mehr allzu sicher auf den Beinen, durch den unerwarteten Verlauf des Kampfes verwirrt und nur noch auf die Flucht ins Wasser konzentriert. Sein Gehirn war nicht größer als eine Nuss, es konnte nicht flexibel auf Veränderungen reagieren. Obwohl sein Gegner körperlich weit unterlegen war, war es ihm nicht gewachsen.

Während die Echse stürzte und der Getreue obenauf kam, achtete er auf die empfindliche Stelle am Hals, wo die Hauptschlagader verlief, knapp unter dem gewaltigen Kieferknochen. Er schlug die gestreckten Finger hinein, woraufhin die Panzerechse augenblicklich bewusstlos zusammensackte, und riss die spröde Haut auf. Seine Zähne vergruben sich im Hals, seine Zunge fing das hervorsprudelnde Blut auf, und er trank gierig.

Das Krokodil kam nicht mehr zu sich und starb, während es dem Getreuen sein Leben gab. Mit seinem Blut nahm der Verhüllte zugleich seine Geschichte und die seiner Vorfahren in sich auf.

Das Tier war über hundert Jahre alt, die meiste Zeit seines Lebens hatte es im Schlaf verbracht, um den Hunger und die Dürrezeiten zu überstehen. Es war der letzte Nachkomme einer Gruppe Nilkrokodile, die vor Jahrtausenden durch einen Flusslauf hierher gelangten und an einem See gelebt hatten, bevor das Wasser schwand und das Land zur Wüste wurde. Sie waren immer weniger geworden und in den letzten neun oder mehr Jahrzehnten hatte es nur noch einen Überlebenden gegeben.

»Du hast dein Leben gehabt«, brummte der Getreue, nachdem er sich gestärkt hatte und spürte, wie das Blut des Krokodils durch seine Adern floss. »Du bist nicht sinnlos gestorben.«

Er stand auf und streckte sich, fühlte, dass er nun die Kraft hatte zu gehen. Ihm blieb nicht viel Zeit, aber immerhin war er nicht mehr hilflos.

Ohne das tote Fossil noch eines Blickes zu würdigen, ging er Richtung Norden.

3.
Mord am Stachus

»Normalerweise«, sagte Robert, während er ein Buchregal umsortierte, »enden Romane an der Stelle, wo ich angekommen bin.«

»Und sie lebten glücklich bis ans Ende ihrer Tage.« Der Spott in Annes Stimme war angemessen. Sie sprach, ohne aufzusehen, da sie gerade auf allen vieren über das Parkett kroch, unter den Sessel und Regale schaute.

»Stimmt genau. Aber meine Geschichte geht eben noch weiter … oder fängt neu an.« Robert seufzte. »Das verunsichert mich.«

»Warum? Als Sterblicher hast du doch stets im Ungewissen gelebt.« Sie wandte sich der anderen Wand zu.

Robert runzelte die Stirn, räumte eine Reihe wieder aus und sortierte sie neu. »Nicht ganz. Ich kannte ungefähr meine Lebensspanne, wenn nicht Unfälle oder Krankheiten dazwischenkamen. Meine Möglichkeiten waren begrenzt.«

»Du bist eine Nervensäge«, stellte Anne in scharfem Tonfall fest. »Ständig geht deine Stimmung rauf und runter. Da warst du mir als Alkoholiker noch lieber, andauernd im Selbstmitleid versunken und …«

Robert hielt inne und sah zu ihr hinunter. »Was machst du da eigentlich?«

»Moment … ah!« Plötzlich sprang Anne los, wie eine Katze auf die Beute, ihre rechte Hand schoss vor, und Robert hörte ein leises Quieken. Verdutzt sah er Anne zu, als sie sich aufrichtete und eine kleine graue Hausmaus in ihren Krallen präsentierte. »Sie wollte deine Bücher anknabbern!« In ihren Augen lag ein gieriges, wildes Glitzern, das Robert einen eiskalten Schauer den Rücken hinunterlaufen ließ. Ein Raubtier, das sich genüsslich über die Fangzähne leckte.

»Tu ihr nichts!«, sagte er schnell.

Sie zog die Brauen zusammen. »Warum?«

»Ich dachte, Catan wäre die Katze …«

»Falsch gedacht.« Sie näherte die Hand ihrem Mund, und die Maus quietschte in Panik auf.

»Nein!«, rief Robert und hielt ihren Arm fest. »Sie … das ist doch ein ganz harmloses und sehr niedliches Wesen. Lass sie laufen, bitte!«

Anne war nun deutlich ungehalten. »In unserer Wohnung? Ausgeschlossen. Lasse ich sie im Treppenhaus frei, findet sie wieder ein Schlupfloch zu uns. Lasse ich sie auf der Straße frei, erfriert sie. Dann erklär mir, was mit der Maus geschehen soll, ohne ihr zu schaden!«

Robert sah ein, dass sie recht hatte. »Tut mir leid, kleine Maus«, murmelte er und wandte sich ab. Kurz darauf hörte er das Klappen der Wohnungstür, Anne und die Maus waren verschwunden. Erleichtert atmete er auf.

Eine halbe Stunde später war sie zurück. »Ich weiß gar nicht, warum ich das alles mache!«, bemerkte sie. Unsicher sah er sie an, er konnte ihrem Tonfall nicht entnehmen, ob sie wütend war. »Mein Leben ist völlig auf den Kopf gestellt.«

Aber sie hatte die Maus am Leben gelassen. Sie an einen sicheren Ort gebracht. »Und … äh … gefällt es dir?«

»Es ist nicht uninteressant«, gab sie zu. »Mal was Neues.« Dann grinste sie.

Er lächelte erleichtert zurück. Als er das Regal zu seiner Zufriedenheit sortiert hatte, setzten sie sich gemeinsam aufs Sofa und sahen dem Schneetreiben vor dem Fenster zu.

»Ob Nadja unsere Nachricht bekommen hat?«, äußerte Robert, was ihn bewegte. Er hatte einen Beleg seines Buches mit einer Widmung zum Baumschloss der Crain geschickt, Anne hatte den Transport übernommen.

»Ganz sicher. Sie weiß jetzt, dass wir noch leben.«

»Und … wie stehst du zu ihr?«

»Ich respektiere sie. Sie ist sehr mutig und eine echte Kämpferin. Ich stehe nicht mehr zwischen dir und ihr, falls du das wissen willst.« Anne setzte sich auf. »Aber wir beide werden uns nicht mehr einmischen. Nadja kann auf sich selbst aufpassen, und ebenso auf ihren Sohn. Außerdem sind da noch David und Rian und der ganze Rest der Bande. Sie braucht uns nicht. Ich bin schon weit genug gegangen. Keinesfalls werde ich mich in die Dienste Fanmórs stellen.«

»Das verlange ich ja gar nicht«, beschwichtigte er. »Ich habe nur das Gefühl, als ob sie schon wieder in Schwierigkeiten steckt …«

Sie blickte finster. »Und du möchtest, dass ich das via Elfenkanal herausfinde.«

»Ähm … ja.«

»Vergiss es. Ende der Diskussion.«

Notgedrungen gab er nach. Dann musste er eben einen anderen Weg finden.

Es kam in den Abendnachrichten. Nachdem einige Penner in den vergangenen Nächten erfroren waren, war nun etwas Neues an die Presse durchgesickert – hervorgerufen durch die nächste aufgefundene Leiche. Einer undichten Polizeistelle zufolge war keiner der Obdachlosen eines natürlichen Todes gestorben, wobei die genaue Todesursache noch nicht feststand. Aber alle waren grausam entstellt, teilweise habe sogar die Haut gefehlt, oder sie wären wie eingetrocknet gewesen …

Robert war hellwach. »Das geht nicht mit rechten Dingen zu! Komm, das müssen wir uns ansehen, und zwar sofort!« Er sprang auf und lief zur Garderobe. Nicht, dass er einen Mantel brauchte, aber es würde doch zu sehr auffallen, wenn er bei mehreren Minusgraden im Hemd spazierenging.

Nach kurzem Zögern folgte Anne ihm. Robert war auf Fragen, Vorhaltungen gefasst gewesen, doch sie zog schweigend ihre weiche Samtjacke an, und er fühlte sich auf einmal beschwingt, als wäre etwas von ihr auf ihn übergesprungen.

Sollte etwa … Er dachte nicht zu Ende, das war unwichtig und lenkte nur ab. Jetzt wartete eine Reportage auf ihn!

Um schneller dort zu sein, fuhren sie eine Station mit der U-Bahn zum Karlsplatz und kamen in der Nähe des Mathäser Filmpalastes heraus, wobei es nicht einfach war, nach oben zu gelangen. Unten herrschte dichtes Gedränge, einige Ausgänge waren gesperrt worden, und überall war Polizei. Sie brauchten fast zehn Minuten, bis sie endlich die Station verlassen hatten. Eine Menge Schaulustige waren vor Ort, sowie Übertragungswagen diverser TV-Sender. Scheinwerfer schnitten grelle Lichtbahnen in die Dunkelheit und schufen in unmittelbarer Nähe harte Schlagschatten, die in unregelmäßigen Abständen dick eingemummte Gestalten gebaren, beschäftigt mit irgendwelchen wichtigen Dingen.

Robert sah sich aufmerksam um, und dann hoben sich seine Brauen. Hastig ergriff er Annes Hand und zog sie mit sich, auf die Absperrung zu. Als ein Polizist ihn aufhalten wollte, zeigte er seinen Presseausweis und deutete auf einen Mann Ende fünfzig, dessen Halbglatze dem erneut einsetzenden Schneefall schutzlos ausgeliefert war. Er trug einen billigen Mantel, einen dampfenden Kaffeebecher in der linken Hand und eine Brille auf der Nase, die sein halbes Gesicht bedeckte.

»Das ist Hans-Peter Dauß, wir sind schon sehr lange befreundet«, erklärte er dem Polizisten. »Er erwartet mich!«

»Tut mir leid«, erwiderte der Uniformierte. »Ich habe strikte Anweisung, niemanden durchzulassen, und das gilt besonders für die Presse.«

»Aber …«, setzte Robert an, und Anne schob sich neben ihn.

»Haben Sie nicht gehört, dass wir erwartet werden?«

Der Polizist schluckte trocken und wirkte eingeschüchtert, wich trotzdem keinen Millimeter. »Ich habe die Anweisung, meine Dame, wenn ich die nicht befolge, bin ich meinen Job los.«

»Lass nur«, winkte Robert ab. Er sprang vor dem Absperrband auf und ab, wedelte heftig mit den Armen und rief: »Jim! He, Jim Gordon!«

Der Mann mit dem Kaffeebecher fuhr herum, und feiner Sprühregen verteilte sich rings um seinen Kopf im Scheinwerferlicht. Als er Robert entdeckte, war sein Seufzen bis hierher zu vernehmen. Langsam kam er näher und nickte dem Polizisten zu. »Lassen Sie ihn und seine Begleiterin durch, das geht in Ordnung.«

Der Polizist verzog keine Miene, als er das Absperrband hob und das Paar hindurchschlüpfte.

»Musstest du das über die ganze Stadt brüllen?«, empfing Hans-Peter Dauß den Autor. »Ist ja peinlich.«

Robert grinste breit und schlug dem älteren Mann auf die Schulter. »Ach was, es erinnert sich doch niemand mehr daran.«

»Dann bist du … Batman?«, fragte Anne stirnrunzelnd ihren Gefährten.

»Der? Nein, das ist Jimmy Olsen, als er noch Praktikant war«, versetzte der Mann.

Robert grinste fröhlich.

»Muss ich das verstehen?«

»Nicht unbedingt. Ich bin nicht mal sicher, ob ich es je verstanden habe.« Er hielt Anne die Hand hin. »Hans-Peter Dauß, Pressereferent des Hauptkommissariats. Sehr erfreut.«

»Das wird sich noch herausstellen«, erwiderte sie augenzwinkernd. »Anne Lanschie. Ich bin Roberts Frau.«

Robert platzte fast vor Stolz. So hatte sie sich anderen nie vorgestellt. Das war doch all die Strapazen und Kämpfe im Reich des Priesterkönigs wert. Seine Frau. Genau!

Dauß blickte Robert verblüfft an, dann nickte er anerkennend. »Alle Achtung«, sagte er. »Ich wähnte dich längst im Rinnstein.«

»Da hat sie mich auch rausgezogen«, bekannte Robert vergnügt.

Anne hüstelte. »Ihr seid Freunde.« Sie ordnete den Sitz ihrer Jacke. »Dann will ich euch zur Wiedersehensfreude allein lassen. Darf ich mich ein wenig umsehen, Herr Dauß? Selbstverständlich, ohne irgendetwas anzurühren.«

»Sie sammelt Informationen für mich, aber sie ist sehr diskret«, erklärte Robert schnell. »Komm schon, Comissioner Gordon, in Erinnerung an alte Zeiten, und weil du wirklich so klischeebehaftet dastehst wie in einem amerikanischen Krimi, selbst der Coffee-to-go …«

»Schlimme Unsitte, ich weiß, aber er hält warm. Immerhin rauche ich nicht mehr.«

»Und ich wollte dir gerade eine anbieten.«

»Gehen Sie nur, Frau Lanschie«, sagte Dauß zu der Muse. »Ich vertraue auf Roberts Wort.«

Sie lächelte ihn an, woraufhin er verwirrt blinzelte und verlegen grinste, und machte sich mit schwingenden Hüften davon.

Dauß schüttelte den Kopf. »Das wirst du mir eines Tages erklären müssen, Olsen.«

»Das werde ich, versprochen. Aber jetzt interessiert mich, was hier vor sich geht.«

»Stehst du denn in Diensten?«

»Derzeit nicht, aber ich bin trotzdem noch Journalist. Und vielleicht sind es Recherchen für mein nä… für mein Buch.«

»Also willst du deinen Traum endlich wahrmachen?«

»Ja, stell dir vor, und Anne hilft mir dabei.«

Dauß trank den Kaffee aus. »Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob ich dir helfen kann. Und es muss alles unter uns bleiben.«

»Das weißt du.« Robert fühlte sich genau wie damals, während seiner Tätigkeit als Enthüllungsreporter. Durch die Arbeit hatte er Dauß kennengelernt, und sie waren Freunde geworden. Der Pressereferent hatte zunächst verschiedene Positionen im Kommissariat bekleidet, bevor er den Polizeidienst quittierte und diesen Job annahm. Er war ein Profi, dem man nicht so leicht etwas vormachen konnte. Noch heute zog es ihn an Tatorte, noch heute zog er Schlussfolgerungen, doch von anderer Sichtweise aus. Und so hatte er einst seine Ehe gerettet, die, dem Ring nach zu urteilen, wohl nach wie vor bestand.

Dauß drückte einem vorbeieilenden Polizisten den leeren Becher in die Hand, nahm Robert am Arm und zog ihn mit sich. »Kam es gerade in den Nachrichten?«

»Ja.«

»Verdammt, dabei wollte ich es verhindern. Nun sieh dir den Rummelplatz hier an! Wie soll man da noch Spuren sichern? Das Problem ist, wir können den Platz unmöglich auf Dauer sperren. Die ganzen Abendgeschäfte feilen schon an Schadenersatzklagen. Vor allem – wo genau sollen wir die Sperre errichten? Wir müssten auch den U-Bahnhof schließen und so weiter. Da steigt uns der Bürgermeister aufs Dach.«

Sie kamen in die Nähe einer Treppe hinab zur U-Bahn, ein anderer Aufgang als der, den Anne und Robert benutzt hatten. Der Zugang war durch ein gelbes Band gesperrt.

Dauß fuhr fort: »Alles, was wir tun können, ist Präsenz zu halten. Aber wie lange? Ich habe nicht genug Leute, und sie leisten schon Überstunden über die normale Belastung hinaus.«

»Was genau passiert denn?«, erkundigte sich Robert.

»Bisher haben wir fünf Leichen und ein gutes Dutzend angeschlagene Leute, die im Krankenhaus behandelt werden mussten. Leider können sie sich an nichts erinnern, was mich äußerst misstrauisch macht. Unsere Psychologen sind im Einsatz, aber bisher ohne Ergebnis.« Dauß schüttelte sich. »Ob lebend oder tot, es ist entsetzlich, was diesen Leuten widerfährt, Robert. Sie sind in einem unbeschreiblichen Zustand, als hätten sie schwere Folter erleiden müssen. Als würde ihnen die Substanz entzogen, so kommt es mir vor. In meiner ganzen Dienstzeit habe ich so etwas noch nie erlebt.«

»Habt ihr irgendwelche Anhaltspunkte, wer …«

»Nichts. Es gibt kein Motiv. Die meisten der Opfer sind Obdachlose, aber es sind auch ein paar Normalbürger dabei, die allein zu später Stunde unterwegs waren. Du kannst dir vorstellen, wie der Bürgermeister uns deswegen im Nacken sitzt. Obdachlose wären ihm ziemlich egal, aber Steuerzahler? Und dann auch noch an einem so hochfrequentierten Platz? Weihnachtszeit, Adventsmarkt, haufenweise Touristen …«

Robert rieb sich grübelnd das Kinn. »Denkst du, ein einzelner Täter kommt in Frage?«

»Ich wünschte, es wäre nur eine Bestie, die wir jagen müssen. Aber es gibt Hinweise, dass mehrere daran beteiligt sind. Was wir eben den wenigen Zeugenaussagen entnehmen konnten, Kumpel wie Passanten, die irgendwelche unheimlichen Gestalten gesehen und schaurige Schreie gehört haben wollten. Normalerweise würde ich das als Hysterie abtun, aber die Aussagen kamen unabhängig voneinander, sind ziemlich übereinstimmend, und die Leute kennen einander nicht.« Dauß sah auf einmal sehr müde aus. »Robert, du und ich – wir beide haben schon eine Menge bizarre Scheiße erlebt. Aber das hier jagt mir Angst ein. Vor allem, weil ich keine Ahnung habe, warum es angefangen hat, und wann es aufhört. Wie wir das in den Griff bekommen wollen, bevor wir fünfzig Leichen haben.«

Robert starrte in die Finsternis neben dem Scheinwerferlicht. Mit seinen Vampiraugen konnte er mühelos die sich darin bewegenden Silhouetten der Menschen erkennen. »Ich werde sehen, was wir tun können«, sagte er dann. »Anne und ich … haben einiges an Erfahrung gesammelt, was mit solcherlei Geschehnissen zusammenhängt. Ich denke, wir müssen uns da auf metaphysischer Ebene umtun.«

Dauß blieb stehen und musterte ihn misstrauisch. »Seid ihr etwa Esoteriker?«

»Nein, eher … nun, es ist so etwas ähnliches wie das Profiling, verstehst du? Wir haben uns viel damit beschäftigt und Kurse gemacht. Wegen meines Buches, weißt du. Ich denke, wir haben es hier mit jemandem zu tun, der sich einer anderen Sphäre zugehörig fühlt. Der wiederum esoterisch ist, wenn du so willst.«

»Ein Satanist«, stöhnte Dauß. »Das passt doch in diese Zeit. Glaube und Aberglaube, weil sonst die Verzweiflung droht.«

Robert klopfte ihm beruhigend auf die Schulter. »Wir kriegen das schon raus, Hans. Es kann eine Weile dauern, bis ich mich bei dir melde, aber wir sind dran. Und ich werde dich sofort informieren, wenn wir etwas herausgefunden haben.«

»Na schön, sehen wir, welche Methoden schneller greifen – die konventionellen oder Spinnerei.« Dauß konnte nicht lächeln, obwohl er sich Mühe gab. Er nestelte eine Visitenkarte hervor und reichte sie Robert, der ihm wiederum seine Handynummer gab.

»Einen Festanschluss habe ich nicht, da ich umgezogen bin. Ich wohne nicht weit von hier, am Radlsteg.«

»In Ordnung. Wir bleiben in Verbindung.«

Robert schlenderte zu Anne, die am Rand eines Scheinwerferkegels stand. Dichtes Schneetreiben hatte eingesetzt, und die Polizisten gerieten in Hektik, um der Spurensicherung nachzukommen.

»Was haben wir, Watson?«, fragte Robert im Nuschelton, als würde eine Pfeife im Mundwinkel stecken.

»Nicht viel, Mrs. Hudson«, antwortete Anne, während sie leicht gebückt eine Absperrung abschritt.

Robert grinste. Touché, dachte er. Sie richtete sich auf und sah zu ihm. »Sie kommen von unten«, ihr Zeigefinger deutete auf den Boden, »überall in der Luft hängen Reste ihrer magischen Energie, doch ich kann sie nicht recht deuten.«

»Was meinst du damit?«

»Ich weiß nicht, um wen es sich handelt. Damit meine ich keine bestimmte Person, sondern die Zugehörigkeit.«

»Dann sind es Elfen?«

»Ich glaube nicht.«

Robert war ratlos. »Keine Elfen …«

»Keine Götter, keine Geisterwesen …«

»Untote?«

»Mhm. Wenn, dann ungewöhnlicher Art. Aber diese Vermutung trifft es am ehesten. Doch da ist noch etwas anderes, das ich nicht zuordnen kann …« Anne hob die Schultern. »Wenn ich dazu fähig wäre, würde es mich schaudern.«

»Ich sollte dazu nicht mehr in der Lage sein, aber wenn du so etwas sagst …« Robert schüttelte es durch und durch. »Was tun wir jetzt?«

»Gehen wir hinunter und sehen uns um.« Anne war schon auf dem Weg zum abgesperrten Treppenabgang.

Robert vergewisserte sich, dass niemand hersah, und folgte ihr. Hoffentlich entdeckte sie keiner. Aber es schneite inzwischen so dicht, dass außerhalb des Bereichs der Scheinwerfer nichts mehr zu erkennen war, und die Flocken innerhalb reflektierten das Licht. Ringsum herrschte geschäftiges Treiben und Stimmen schwirrten über den Platz. Die meisten Schaulustigen hatten sich entfernt, es war nach Mitternacht, und Aufregendes war nicht mehr zu erwarten. Robert gab Anne ein Zeichen, und sie huschten die Treppe hinunter. Der Bahnhof unten war weitgehend leer, die letzte U-Bahn durchgefahren, und die Polizei kontrollierte nur noch sporadisch. Robert stieß Anne leicht an und wies auf die Kameras, die überall installiert waren. Sie schmunzelte und winkte ab.

»Wir sind nicht mehr als huschende Schemen in der Aufzeichnung«, wisperte sie ihm zu.

»Ist das ein Elfentrick?«

»Ein Vampirtrick.«

»So was wie der Spiegeltrick? Der funktioniert bei mir aber nicht, ich kann mich immer noch sehen.«

»Besser als der Spiegeltrick.«

»Cool. Und ich kann den auch?«

»Sicher. Ich zeige dir, wie du dich bewegen musst.«

Nach kurzer Zeit hatte Robert es heraus und lachte in sich hinein, als er Anne zum Bahnsteig folgte. Sie widmete ihre Aufmerksamkeit vor allem den Schächten, in denen die Züge verschwanden. Ihre Nasenflügel waren weit gebläht und sie schien zu wittern.

Robert versuchte, die magische Strömung auszumachen, die Anne bemerkt hatte, aber er war zu ungeübt darin. Deshalb konnte er auch immer noch nicht den »Elfenkanal« benutzen. Anne sagte, das würde seine Zeit brauchen, dann käme es von ganz allein. Dennoch näherte er sich dem Tunnel, in dem es nur ein paar Meter weit schummrige Beleuchtung gab, hinter der tiefe Finsternis lag. Seine Vampiraugen bohrten sich in die Schwärze, und nach einiger Konzentration konnte er undeutliche Konturen ausmachen.

Das ist so geil, dachte Robert. Ein nie gekanntes Gefühl von Macht durchströmte ihn. Als würde er jetzt erst begreifen, was er seit seiner Wiederauferstehung geleistet hatte. Er hatte sich mit mächtigen Dämonen und Elfen angelegt und sie besiegt – nun ja, bei Catan konnte man sich darum streiten, aber er hatte den Panther zumindest außer Gefecht gesetzt, bevor er abgehauen war –, sein Körper war schnell und stark, und schaurige Geschöpfe der Nacht respektierten ihn allein aus der Tatsache, dass er ein Vampir war, und zwar ein besonderer. Das konnten sie spüren.

Gewiss, er hatte auch getötet. Aber das war im Elfenreich gang und gäbe, die Unsterblichen dachten nicht weiter darüber nach und hatten weitaus weniger Skrupel als normale Menschen. Daran würde er sich wohl oder übel gewöhnen müssen – aber nur, solange es Elfen waren. Mochte das wie eine zweifelhafte Moral klingen, aber Robert wollte keinen Menschen gefährden. Das war einfach eine andere Sache. Eine andere Welt.

Türler ve etiketler
Yaş sınırı:
0+
Hacim:
630 s.
ISBN:
9783946773320
Yayıncı:
Telif hakkı:
Bookwire
İndirme biçimi:
epub, fb2, fb3, ios.epub, mobi, pdf, txt, zip

Bu kitabı okuyanlar şunları da okudu