Kitabı oku: «Elfenzeit 8: Lyonesse», sayfa 5

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»Wieso konnten wir uns nicht zur Wehr setzen?«

»Die Trennung der Welten kam dazwischen. Wie ist dein Name?«

»Kurus.«

»König? Ein großer Name für einen kleinen Mantikor.«

Der schwarze Umhang flatterte, als Kurus den Getreuen mit aufgerissenem Mund anbrüllte. Sein Atem allerdings war erstaunlich frisch. Anscheinend hatte er noch nie einen Menschen verspeist, oder es war schon sehr lange her.

»Ich bin ausgewachsen, du schwarz verhüllter Wicht! Wie willst du dich mit mir messen?«

»Gar nicht«, erwiderte der Getreue gelassen. »Kurus, weshalb wurdest du hier eingesperrt?«

Der Mantikor schwieg verdutzt. Setzte sich auf die Hinterläufe. »Mein … mein Muttervater tat es«, sagte er dann zögernd.

Es gab nur männliche Mantikore. Angeblich pflanzten sie sich fort, indem die Mütterväter eine bestimmte Frucht schluckten, die sie in sich gären ließen und nach einer Weile wieder auswürgten und dadurch einen Welpen zur Welt brachten.

»Ich war damals noch sehr klein«, fuhr Kurus fort. »Ja … ich erinnere mich. Ich war für Großes ausersehen, doch er sagte, ich müsse in Sicherheit verbleiben, bis es soweit wäre …«

»Dann wollte dein Muttervater dich wieder rausholen, wenn es an der Zeit war?«

»So sagte er es mir. Was ist mit ihm geschehen?«

»Ich weiß es nicht, Kurus. Doch er wird wohl nicht zurückkehren, nach dieser langen Zeit. Du bist nun ausgewachsen, aber du hast immer noch den Verstand eines Kindes.«

»Ich …« Der Mantikor blickte deutlich verwirrt drein. »Ich habe nicht darüber nachgedacht.«

Der Getreue nickte. »Wie denn auch, nachdem du dein Leben lang eingesperrt gewesen bist. Das ist nicht deine Schuld.«

»Und … und was jetzt?« Misstrauen blitzte plötzlich in den orangefarbenen Augen auf. »Warum hast du mich befreit?«

»Weil deine Tür sichtbar wurde. An so etwas geht unsereiner nicht einfach vorüber, es sei denn, er hat die Tür selbst verschlossen.«

Kurus scharrte mit der Tatze über den Boden. »Dann bin ich dir wohl verpflichtet.«

»Ganz recht.« Das war immer der schöne Teil an den Regeln. »Ich schlage dir einen Handel vor.«

Die Löwenohren des Mantikors klappten nach vorn. »Ein Handel?«

»Genau. Ich werde verfolgt, ich bin sehr schwach, und ich muss so schnell wie möglich über dieses Gebirge. Mein Weg führt nach Norden. Trage mich, und ich werde dir unterwegs Wissen beibringen. Am Ziel kannst du deiner Wege gehen und nach den anderen suchen. Oder deiner Bestimmung.«

Der Getreue hatte inzwischen nachgedacht. Ihm war klar geworden, dass er, sollte er sich weiter auf dieser Ebene bewegen, früher oder später von den Verfolgern eingeholt würde. Also würde er sich der Nachstellung einfach durch eine Flucht durch die Zeit entziehen. Gleichzeitig würde er in der Vergangenheit nach seinem Ziel suchen. Er hatte inzwischen begriffen, dass der Anfang wörtlich gemeint war – er musste tatsächlich bis dorthin zurück, in die richtige Zeit, um in das richtige Land, an den richtigen Ort zu gelangen. Niemand konnte ihm dorthin folgen.

Gleichzeitig brachte er den Mantikor dorthin, wo er zu Hause war. In diese Welt hier gehörte er nicht. Und der Getreue hatte ein perfektes Transportmittel.

»Nun, was sagst du?«

Kurus zögerte. »Habe ich … eine Wahl?«

»Willst du denn eine?«

»Nein«, lautete die schnelle Antwort.

»Brav«, sagte der Getreue zufrieden.

Kurus legte den Kopf leicht schief. »Wer bist du?«, flüsterte er.

»Derjenige, der dir die Freiheit gab. Du tust gut daran, das nicht zu vergessen. Im Allgemeinen nennt man mich den Getreuen oder den Mann ohne Schatten, das soll dir genügen.«

Der junge Mantikor stand auf, sein Skorpionschwanz peitschte. »Lass uns gehen. Ich habe Hunger.«

Menschenfleisch würde er aber nicht bekommen, dafür würde der Getreue sorgen. Sollten Sterbliche unterwegs auf dem Weg zurück in der Zeit zu Schaden kommen, würde es in einer Katastrophe enden, die möglicherweise nicht nur die Menschen-, sondern auch die Anderswelt vernichtete. Beide Sphären würden schneller ineinanderstürzen als bisher befürchtet, und dann wäre alles umsonst gewesen.

Doch das würde Kurus erst später erfahren. Zuerst sollte er den Getreuen über das Gebirge tragen, die Reise war weit.

Der Getreue griff in die Mähne des Mantikors, stieß sich ab und schwang sich auf seinen Rücken. Er hieb ihm die Beine in die Seiten und befahl: »Los!«

5.
Auf den Spuren des Mystikers

»… nicht so gemeint!«, drang eine aufgeregt quäkende Stimme durch den Nebel in Roberts Gedanken. »Ich habe nur … au! Nicht das Ohr, bitte! Da bin ich sehr empfindlich! Au, au!«

Robert schlug die Augen auf und sah verschwommen Chadwick Pickwick Sloterbik, dessen Beine in der Luft zappelten und dessen haariges Ohr in Annes Hand hing. Neben ihr stand ein … ja, was war das? Ein Koloss von über zwei Metern Länge und vermutlich einem Meter Schulterbreite, haarlos und grau wie ein Fels, und genauso schrundig. In einer Schaufelhand an dem überlangen Arm hielt er eine Keule, mit der Roberts Kopf soeben unerfreuliche Bekanntschaft geschlossen hatte. Sein Gesicht zeigte einen ziemlich einfältigen, um nicht zu sagen tumben Ausdruck, ein Zahn ragte oben aus dem geschlossenen Mund heraus, an dem ein Speichelfaden hing.

Ächzend richtete Robert sich auf.

»Siehst du, siehst du, ihm ist nichts geschehen!«, rief Chad und deutete mit fuchtelndem Finger auf Robert. »Bitte lass mich wieder runter, ich halte das nicht aus!«

Anne ließ ihn los, und er plumpste unsanft auf den Boden. »Autsch!«, beschwerte er sich, rappelte sich auf und rieb sich den schmerzenden Hintern. Wütend funkelte er zu seinem riesigen Kumpan hoch. »Danke für deine Hilfe!«

»Die is’ zu stark für mich«, sagte der Riese mit Kinderstimme. »Vor der habbich Angst.«

»Und vor mir kriegst du auch gleich Angst!«, sagte Robert, dessen Stolz sich angegriffen fühlte, und stand auf. »Und wer bist du, hinterhältiger Kerl mit Keule?«

»Rocky«, murmelte der Riese und wirkte verlegen. »Tut mir echt leid, Mann, aber ich hab gedacht, du wills’ Chad was tun oder so.«

»Du bist sein Beschützer?«

»Er is’ mein Freund«, strahlte der Riese. »Ich lass nie nich’ zu, dass ihm einer was antut.«

»Und was ist Rocky?«, wollte Robert von Chad wissen. Geflissentlich wich er Annes Blick aus, die mit vor der Brust verschränkten Armen dastand, und er hätte schwören können, dass Rauch aus Ohren und Nase quoll.

»Ein Stadttroll«, erklärte der Kobold bereitwillig. »Er is’ in London aufgewachsen, genau wie ich.«

Nun explodierte Anne. »Robert, verdammt noch mal, hast du völlig den Verstand verloren?«, schrie sie ihn an.

Rocky machte einen Satz zur Seite und duckte sich unwillkürlich. Chad schützte vorsichtshalber die Ohren mit den Händen.

»Was sollte dieser Alleingang? Bist du zum hirnlosen Zombie geworden?«

»Na ja, ich dachte … weil ich doch ein unsterblicher Vampir bin …«

»Relativ unsterblicher«, fauchte sie. »Selbst dir dürfte das bekannt sein! Du bist verletzbar, und du kannst getötet werden!«

»Entschuldige«, murmelte er schuldbewusst und rieb sich die immer noch schmerzende Stelle am Hinterkopf. »Ist wohl irgendwie mit mir durchgegangen.«

Sie öffnete den Mund zu weiteren Vorwürfen, doch dann schüttelte sie nur den Kopf. Stattdessen wandte sie sich Chad zu. »Um Roberts Frage zu wiederholen, die Rockys Keulenschlag vorhin unterbrochen hat: Was wisst ihr von den Vorgängen hier?«

»Nichts«, versicherte der Kobold erneut, und der Stadttroll echote: »Nix.« Chad fuhr fort: »Wir halten uns die ganze Zeit versteckt und suchen nach einer Möglichkeit, wegzukommen.«

»Warum sucht ihr nicht nach einem anderen Portal?«, fragte Anne.

»Wegen Rocky«, antwortete Chad. »Er traut sich nicht raus, nicht mal in der Nacht, weil er Angst hat zu versteinern.«

»Aber die Gefahr besteht doch nur tagsüber …«

»Nicht mehr. Alles ist durcheinander. Rockys Bruder hat’s voll erwischt, mitten in der Nacht in Kensington Gardens, wir wissen nicht, wodurch, und jetzt haben sie ihn neben Peter Pan gestellt.« Chad schüttelte sich und würgte. »Ist das nicht grauenvoll? Neben diesen klugscheißerischen Hochstapler … der arme Pocky. So missbraucht zu werden!«

»Deswegen hat Ma ihn auch unsichtbar gemacht, dasser nur noch bei Vollmond zu sehen is’«, fügte Rocky hinzu. »Chad is’ danach abgehauen, und ich bin mitgegangen. Ma is’ bestimmt sauer, nur ich kann ja mein’ Freund nich’ im Stich lassen, gell? Und ich will nich’ enden wie Pocky.«

Robert sagte behutsam: »Aber wo wollt ihr denn hin? Nirgends ist es mehr sicher.«

»Du hast keine Ahnung, was in London abgeht, Alter. Überall ist es sicherer als dort.« Chad blickte zu Anne hoch. »Kannst du uns nicht helfen, weiterzukommen? Ich möchte gern in die Bretagne. Es heißt, dass Merlin wieder da ist und das Land beschützt, also ist das der beste Ort. Ich meine, er ist schließlich der mächtigste Zauberer, oder? Wir werden dort um Asyl bitten.« Unruhig trat er von einem Fuß auf den anderen. »Und, hilfst du uns?«

»Vielleicht«, sagte Anne unbestimmt und schien zu überlegen. »Wenn ihr im Gegenzug uns helft. Findet heraus, was hier los ist. Ihr braucht nur zu beobachten, ohne euch einzumischen. Haltet Augen und Ohren offen. Wir kommen morgen Abend wieder.«

»Ich tu mich aber fürchten«, sagte Rocky, und ein knirschendes Geräusch erklang, als seine Knie zu schlottern anfingen.

Auf Annes Gesicht trat ein misstrauischer Ausdruck. »Also wisst ihr bereits etwas?«

»Nein-nein«, beeilte sich Chad zu versichern. »Wirklich, wir haben nur ein Gespräch von zwei Sterblichen belauscht, und die haben was von einem Monster gefaselt, das hier unten leben soll … so eine typische dunkle Menschenmär, aber Rocky regt so was immer furchtbar auf. Er kriegt die Krise, wenn einer nur Gespenstergeschichten für Dreijährige erzählt …«

Anne verdrehte die Augen, und Robert hatte Mühe, nicht laut herauszuplatzen. Passend dazu steckte Rocky den Zeigefinger in den Mund. Ihm war nicht bewusst, wie groß und stark er war, und auch nicht, was er als Troll für einen Schrecken in der Menschenwelt darstellte. Aber anscheinend kam er kaum mit ihnen in Berührung, geschweige denn, dass er sie aß, wie es Trolle üblicherweise taten. Vermutlich war er nicht gerade der Stolz seiner Mutter, und die war deswegen gewiss nicht wütend, sondern froh, ihn los zu sein.

»Hör mal, Rocky, Chad passt schon auf, dass euch nichts passiert«, sagte er freundlich. »Und zieh nicht jedem gleich eins mit der Keule über, okay? Menschen vertragen das nicht so gut, und die sind hier wegen der anderen Sache aufgescheucht genug. Das könnte sie ziemlich gegen euch aufbringen.«

»Uh, nee«, sagte Rocky erschrocken. »Ich tu die Keule weg!«

»Behalte sie, aber setze sie nicht ein, und halte dich versteckt«, befahl Anne. »Bis morgen. Wir werden so gegen Mitternacht kommen, also haltet euch bereit. Und bis dahin erwarte ich Informationen, verstanden? Belauscht vor allem die Menschen.«

»Ja, gut«, sagte Chad. »Können wir auf deinen Schutz hoffen?«

Anne verdrehte erneut die Augen. »Ja, sicher. Wenn euch einer von uns bedroht, sagt ihm, ihr steht unter dem Schutz von Lan-an-Schie, der Tochter Sinenomens.«

Dem Kobold fielen eine Menge Haare aus, als er das hörte, und Rocky stammelte unter Kniekirschen: »Uh-hu-hu.«

»Ja, Herrin, zu Befehl, Herrin, alles, was Ihr wollt, Herrin«, stieß Chad zähneklappernd hervor, und dann sausten sie in die Dunkelheit davon.

»Wow«, sagte Robert.

»Ach, die beiden sind doch totale Versager und eine peinliche Parodie des Volkes«, erwiderte Anne. »Die kann man leicht beeindrucken.«

»Ach so, solche gibt es nicht viele?«

Sie seufzte, und er lachte.

»Elfen sind eben auch nur Menschen«, kicherte er. »Das ist das, was ich so an euch mag.«

»Beleidige uns nicht, Freundchen, auch in deinen Adern kreist nunmehr Elfenblut und Dämonenblut.«

»Also ein ganz besonderes, das es nur einmal gibt«, schnurrte er.

»Zurück zum Thema«, mahnte Anne. »Wie kommen wir jetzt an weitere Informationen? Ich glaube nicht, dass die beiden Schwachköpfe von Nutzen sein werden.«

Robert nickte. »Die Sache mit der Mär von dem Monster hier unten hat mich auf eine Idee gebracht«, sagte er. »Nadjas Freund, dieser Tom, hat sie doch mit Nicholas Abe, dem Mystiker zusammengebracht.«

Ihre Miene verfinsterte sich. »Um Informationen über mich zu beschaffen.«

»Genau«, bestätigte er leichthin. »Jedenfalls erzählte sie mir damals, dass Abe sich mal mit einer Sache in München beschäftigt hat, wodurch Tom ihn kennenlernte. Vielleicht ist das der Punkt, anzuknüpfen.«

»Also dann, auf zu Tom.«

Von Nadja wusste Robert, dass Tom regelmäßig in ihrer Wohnung vorbeischaute. Er ging von sich aus, wann er selbst das tun würde – am Vormittag, damit der Tag nicht zu zerrissen war.

Also legten die beiden sich ab zehn Uhr vor Nadjas Wohnung »auf die Lauer«. Anne hatte vorgeschlagen, drin zu warten – schließlich stellten verschlossene Türen kein Problem für sie dar, wie sich gerade an der Eingangstür unten gezeigt hatte –, aber Robert hatte empört abgelehnt: »Das tut man nicht.«

Sie ließ sich auf keine längere Diskussion ein, sondern gab nach.

Und tatsächlich, gegen elf Uhr kam ein Mann Anfang dreißig die Treppe herauf, mit blondem Haar, leichtem Bauchansatz und hellwachen, blauen Augen. Mit einem Schlüssel in der Hand steuerte er auf Nadjas Wohnungstür zu, und Robert und Anne stiegen die Treppe hinab zu ihm.

Der Mann schien weder überrascht noch besorgt. Er musterte die beiden kurz und sagte dann: »Freut mich, Sie endlich kennenzulernen. Kommen Sie herein. Ich mache uns Kaffee, und wie der Zufall – oder die Vorsehung – so will«, er hielt die linke Hand mit einer Bäckertüte hoch, »habe ich auch etwas zum Naschen dabei.«

Robert und Anne folgten Tom in die Wohnung. Robert stellte sofort fest, dass Nadjas Duft immer noch vorhanden war, obwohl sie seit Monaten nicht mehr hier gewesen war, und alles war ihm vertraut. Tom besorgte nicht nur die Post, er pflegte auch die Pflanzen und wischte Staub. Nichts wies daraufhin, dass Nadja nicht jeden Tag hier war. Bis auf den Umstand, dass es nie so ordentlich gewesen war, als sie noch hier gelebt hatte.

»Machen Sie es sich bequem, wo Sie möchten«, forderte Tom sie auf, während er den Mantel aufhängte, in die Küche ging und die Espressomaschine einschaltete. Dann ging er ins Wohnzimmer, packte Nadjas Laptop aus, schloss ihn an und fuhr ihn hoch. »Es kommen ja kaum mehr Nachrichten, aber ab und zu eben doch«, erklärte er und sichtete die Briefpost, die er gesammelt in den Papierkorb warf. Dann überprüfte er die Mails, kehrte in die Küche zurück und kam kurz darauf mit einem Tablett ins Wohnzimmer, auf dem ein Teller mit allerlei Gebäck und drei mit Milchschaum gefüllte Becher standen.

»Zucker?«

»Nein, danke«, sagte Anne. »Ein vollkommener Gastgeber.« In ihrer Stimme lag keine Ironie.

Tom grinste und setzte sich in den Sessel gegenüber dem Sofa, auf dem das Paar sich niedergelassen hatte. »Ich kenne mich hier inzwischen fast besser aus als in meiner eigenen Wohnung, und ich bin immer auf Überraschungsgäste eingerichtet.«

»Das kann ich mir vorstellen«, sagte Robert und holte sich seinen Becher vom Tablett, ließ ihn aber vor sich auf dem Tisch stehen.

»Oh, Verzeihung«, entfuhr es Tom, der ihn dabei beobachtete. »Sie … Sie brauchen das ja gar nicht mehr, nicht wahr?« Interessiert und ohne Scheu musterte er Robert. Der kannte diesen Blick – ein Journalistenkollege durch und durch. »Daran … muss ich mich erst noch gewöhnen, obwohl ich inzwischen schon einige Elfen und Wesen der Anderswelt kennengelernt habe. Einschließlich Dämonen und … des Getreuen.« Ein Schatten fiel kurz über sein Gesicht, aber er fing sich schnell wieder und lächelte Robert auf herzliche Weise an.

»Das ist schon in Ordnung«, sagte Robert höflich. »Ich kann diese Dinge zu mir nehmen …«

»Aber bitte, machen Sie sich meinetwegen keine Umstände. Ich kann mir vorstellen, was anschließend damit passiert.«

»Haben Sie denn gar keine Angst vor uns?«, fragte Anne.

Tom lachte. »Nein. Sie sind Nadjas beste Freunde, und Sie haben sie und Talamh im Reich des Priesterkönigs beschützt.«

Anne zeigte sich verblüfft. »Woher wissen Sie das?«

»Von Nadja selbst. Ich habe sie in Tokio getroffen, und da hat sie es mir erzählt. Wissen Sie das noch gar nicht?«

Die beiden schüttelten die Köpfe.

»Wir dachten, sie wäre im Baumschloss …«

»Da war sie und wird sie jetzt hoffentlich wieder sein.«

Also erzählte Tom ihnen von David und Rians Gefangenschaft in Cagliostros Händen und dessen Bund mit einem Dämon der japanischen Anderswelt Bóya. Robert wurde es ganz anders, als er von diesem Abenteuer hörte, er hätte nie damit gerechnet, dass Nadja sofort wieder in Schwierigkeiten geraten würde.

»Und … seither haben Sie nichts mehr von ihr gehört?«, fragte er am Ende der langen Erzählung.

Zum ersten Mal seit ihrer Begegnung wirkte Tom beunruhigt. »Nein, ich dachte zuerst … Sie könnten mir etwas sagen, aber da Sie nichts von Tokio wussten … Nadja ging mit David und Rian nach Crain zurück. Ich habe seit dem Abschied in Tokio nichts mehr von ihr gehört.«

Robert schluckte. Hoffentlich war alles in Ordnung …

»Das muss aber nichts besagen«, sagte Tom schnell, der seinen Gesichtsausdruck richtig deutete. »Ich meine, ich bin selbst erst seit ein paar Tagen zurück.«

»Wir sind auch in einer anderen Sache hier«, sagte Anne auf ihre gewohnte nüchterne Art.

»Dann schießen Sie los. Oder, warten Sie!«, rief Tom und setzte sich kerzengerade auf. »Es geht um die erfrorenen Leichen am Stachus, nicht wahr?«

»Scharfsinnig auch noch«, sagte Anne, und diesmal klang sie spöttisch.

Tom winkte ab. »Ich habe selbst schon Bücher gewälzt.« Dann wechselte er erneut: »Sie sind ja unglaublich berühmt geworden, Robert! Und zu Recht. Ich habe mir Ihr Buch gekauft und gelesen – ich finde es den hellen Wahnsinn, aber das wissen Sie ja selbst.« Er warf einen schüchternen Blick zu Anne, bevor er Robert wieder ansah und begeistert fortfuhr: »Leider habe ich es nicht dabei, denn ich hätte unheimlich gern eine Widmung!«

»Wir könnten ja tauschen«, schmunzelte Robert. »Ich habe nämlich Ihr Buch auch gelesen und hätte gern eine Widmung. Läuft ja ebenfalls sehr ordentlich – Platz Drei bei den Sachbüchern …«

Tom lachte fröhlich. »Aber das lässt sich bei weitem nicht mit Ihrer Auflage vergleichen. Dennoch: Ich bin momentan, wenn ich nicht übermütig werde, finanziell unabhängig und kann in aller Ruhe an dem nächsten Titel arbeiten …«

»Haben Sie noch Kontakt zur Contessa?«, unterbrach Anne.

»Ja, ab und zu. Es geht ihr gut, sie ist dabei, sich in Rom ein neues Leben aufzubauen. Es gibt schon einige vermögende Verehrer. Und auch ihr Vater ist mit sich ins Reine gekommen.« Toms Miene verfinsterte sich. »Sie darf niemals erfahren, was aus Cagliostro wurde. Wenigstens scheint er nicht nach ihr zu suchen. Warum auch, er konzentriert sich jetzt auf andere Ziele, wie die Weltherrschaft etwa.«

Robert musste einräumen, dass er Tom auf Anhieb mochte. Er tat Nadja sicher gut durch seine bodenständige, fröhliche Art und wie er die Dinge anpackte. Immerhin hatte sich auch seine Welt grundlegend auf den Kopf gestellt, und das … ja, das verband sie im Grunde eng miteinander. »Hör mal, Tom«, sagte er mitten in die Unterhaltung zwischen ihm und Anne hinein. »Ich finde, wir sollten diese dummen Förmlichkeiten lassen. Nach allem, was wir erlebt haben, und wir sind Nadjas Freunde …«

»Gern«, strahlte Tom. »Wisst ihr, ich bin sehr allein, denn irgendwie passe ich nicht mehr zu all den Normalos um mich herum. Das liegt natürlich an mir, dass ich die anderen auf einmal hohl finde. Und … und ich … ach, seit Island hat sich so viel verändert, zum Guten, aber auch zum Tragischen. Und ich kann mit niemandem darüber reden …«

Robert schwieg. Er wusste, was Tom meinte – den Tod von Nadjas Eltern, Fabio und Julia Oreso, die sich geopfert hatten, um Ragnarök zu verhindern. Robert hatte Julia zum ersten Mal und nur für ein paar Minuten auf Island kennengelernt, doch es reichte aus, um sie genauso wie Fabio zu vermissen. Er war nur froh, dass er den Tod der beiden nicht unmittelbar miterlebt hatte – und vor allem Nadja nicht.

»Einverstanden«, sagte auch Anne. »Wir sind inzwischen alle Gestrandete.«

»Was meint ihr … wie wird es weitergehen? Ist der Getreue nun tot oder nicht?«, fragte Tom.

»Ich kann den Elfenkanal nicht mehr benutzen«, erwiderte Anne. »Fanmór hat die Grenzen um Earrach so dicht wie möglich geschlossen, um Tara zu isolieren. Wir wissen nicht, was mit Bandorchu ist, aber ich bin sicher, sie wird leiden, da ihr wichtigster Verbündeter verschwunden ist.«

Aha, dachte Robert bei sich. Das also ist der Grund, warum sie keine Informationen hat und sich scheinbar weigert, den Elfenkanal anzurufen. Tom sagt sie das ganz offen, und bei mir macht sie ein Geheimnis daraus.

Toms Stirn legte sich in Falten. »Also, Bandorchu ist der Feind, das weiß ich. Aber … nach allem, was ich da in Tokio erlebte und an Verflechtungen erkannte … was meint ihr, was geschieht, wenn sie stirbt?«

Robert sah, wie Anne den jungen Mann auf einmal mit neuen Augen betrachtete. Sie sagte: »Das ist eine Befürchtung, die auch ich hege.«

»Uff«, machte Tom erschrocken.

Für einen Moment legte sich Schweigen über den Raum. Draußen schneite es schon wieder, es war düstergrau, und das Zimmer könnte ein bisschen Licht vertragen. Nicht, dass Robert es brauchen würde, aber es war anheimelnder und … tröstlicher. Er stand auf und schaltete die Stehlampe an, die sofort ein warmgoldenes Licht verbreitete.

»Ähm …«, machte Tom schließlich. »Kommen wir aufs Thema zurück, bei dem wir etwas unternehmen können – die Morde am Stachus.«

»Richtig«, sagte Robert erleichtert. Er wollte sich weiterhin an die Vereinbarung mit Anne halten, sich nicht in die Belange des Krieges zwischen Bandorchu und Fanmór einzumischen. Wenn er konnte, beschützte er Nadja und ihr Kind, und er war für die Zwillinge da – aber damit erschöpfte sich sein Wille zur Teilnahme. Wohin das führte, wenn man sich zu sehr einmischte, hatte er auf Island gesehen. Und mit Göttern konnte und wollte er sich nicht auseinandersetzen, auch nicht mit mächtigen Wesen wie Fanmór und Bandorchu.

Aber was hier in München geschah, da konnte etwas unternommen werden. Und es war auch wichtig, denn Robert und Anne waren keine »normalen« Menschen. Früher oder später würde das irgendjemandem auffallen, und dann wäre die Hexenjagd eröffnet. Sobald einmal das Augenmerk auf sie gefallen war, würden sie nie wieder Ruhe bekommen. Es war schon brenzlig gewesen, sich einem Profi wie Hans Dauß zu zeigen – aber noch gefährlicher, sich still zu verhalten. Also war es wichtig, die Sache so schnell wie möglich aufzuklären, um zur Tagesordnung zurückzukehren. »Du hast schon Bücher gewälzt?«

»Ja, von Nicholas Abe. Ich nehme an, das hat euch auf die Idee gebracht, hier auf mich zu warten?«

Robert nickte anerkennend.

»Abes Wohnung wurde damals ja von Tanner ausgeräumt … apropos, was wurde denn aus dem?«

»Der wurde ebenfalls ein Opfer von Ragnarök«, antwortete Anne kalt.

Genauer gesagt, dachte Robert bei sich, hatte seine Frau dem Amerikaner die Kehle aufgeschlitzt. Er hatte es verdient gehabt, und am Ende hatte es tatsächlich so ausgesehen, als würde er den Tod sogar begrüßen.

»Also kann er Nadja nicht mehr schaden? Da bin ich aber froh!«, rief Tom erleichtert. »Und ich brauche auch keinen Schiss vor seinen Schlägern mehr zu haben …« Er hob die Hand, als er Annes Ungeduld bemerkte. »Bin wieder beim Thema! – Also, ein paar Sachen konnte ich retten, bevor sie verschleppt wurden. Wie lange geht das überhaupt schon so?«

»Ein paar Tage«, antwortete Robert.

»Gut, dann habe ich noch nicht viel versäumt. Ich kam nämlich gerade von Tokio zurück, als meine Nachbarin, die immer über alles genau Bescheid weiß, mich sofort damit überfiel. Und da ich mittlerweile ziemlich paranoid geworden bin, was seltsame Vorfälle betrifft, habe ich mich gleich an die Recherche gemacht. Mir ist augenblicklich eingefallen, wie ich Abe kennenlernte – nämlich am Stachus. Beim Umbau eines Geschäftshauses dort sackte plötzlich der Boden unter einer Baumaschine weg und gab den Blick auf ein Tunnelsystem unbekannter Herkunft frei. Die Röhren waren auf keinem Plan verzeichnet, und niemand hatte eine Ahnung, wie alt sie waren, und von wem sie beauftragt worden waren. Oder wozu. Und dann passierten schreckliche Dinge.«

Tom machte eine effektvolle Pause, trank in aller Seelenruhe seinen Cappuccino und griff dann nach Roberts unangetastetem Becher. Anne hob die Augenbrauen, aber Robert konnte keinen Zorn bei ihr entdecken. Im Gegenteil – sie war amüsiert. Sie mochte Tom! Er könnte fast eifersüchtig werden.

»Es kam zu tödlichen Unfällen unter wirklich grässlichen Begleitumständen«, fuhr Tom fort. »Leute wurden zerquetscht, unter abrutschenden Massen begraben, von Baggern überrollt … ihr könnt es euch nicht vorstellen. Ich machte damals ein Praktikum in einer Lokalredaktion und wurde vor Ort geschickt. So lernte ich Nicholas Abe kennen.« Er nahm einen Zug aus der zweiten Tasse. »Der alte Zausel hat nie darüber gesprochen, was damals geschehen ist. Er ging in einen Tunnel, kam nach einer Weile wieder heraus und sagte, er habe einen Handel geschlossen: Das System solle augenblicklich von der Baufirma versiegelt werden, dann gäbe es keine Unfälle und Gefährdungen durch Erdrutsche mehr. Und so kam es. Es hielt bis heute.«

»Und jetzt suchst du nach Hinweisen in Abes Unterlagen«, vermutete Anne.

»Ganz recht. Abe war ein Mystiker und tat immer wahnsinnig geheimnisvoll, und er konnte einen auf die Palme bringen mit seinem kryptischen Gefasel … aber letztendlich musste er doch irgendwo sein Wissen anbringen, nicht wahr? Sein Ego war viel zu groß, um das auf ewig für sich behalten zu können. Was hat man davon, der größte Mystiker der Welt zu sein, wenn es keiner weiß?«

»Ich verstehe genau, was du meinst.«

»Leider habe ich nichts gefunden.« Tom hob bedauernd die Schultern. »Entweder hat Tanner die Sachen bekommen, oder sie haben tatsächlich nie existiert. Also habe ich mich an die Recherche nach Stadtmythen gemacht. Und da gibt’s nicht viel, und nichts, was auch nur annähernd in Verbindung mit den Tunnelsystemen zu bringen wäre.« Seiner Miene war jedoch zu entnehmen, dass es damit nicht zu Ende war.

Anne hakte nach: »Es sei denn …?«

»Es sei denn, man geht davon aus, dass sie zur Zeit des Kampfes um die Unabhängigkeit Bayerns angelegt wurden, um sich vor dem Feind zu verstecken, geheime Waffenlager anzulegen, und so weiter.«

Robert begriff sofort. »Da gibt’s nur zwei Möglichkeiten – die Eroberung durch die Schweden, oder, was wahrscheinlicher ist, den Spanischen Erbfolgekrieg mit der Sendlinger Mordweihnacht!«, rief er. »Aber die fand doch nicht dort statt …«

»Vielleicht hatten sie sich darauf vorbereitet, es kam nur nie dazu«, wandte Tom ein.

»Wovon sprecht ihr?«, wollte Anne wissen.

»Von einem der blutigsten Kapitel der bayerischen Geschichte«, antwortete Robert anstelle von Tom. »Weihnachten 1705 wurden bayerische Aufständische in Sendling von den kaiserlichen Truppen des Habsburgers Joseph I. bis auf den letzten Mann niedergemacht. Es war ein grausames Schlachtfest, um ein Exempel zu statuieren.«

Anne sprang auf und wanderte unruhig im Raum umher. »Das«, sagte sie, »gefällt mir ganz und gar nicht.«

Eine Weile hing jeder seinen Gedanken nach. Tom stand zwischendurch auf, räumte das Geschirr ab, spülte es, fuhr Nadjas Laptop herunter und packte ihn wieder ein. Dann goss er die Blumen, zupfte hier und richtete da.

Robert hütete sich, Anne zu stören, wenn sie in Überlegungen versunken war so wie jetzt.

»Da steckt mehr dahinter«, sagte die Muse schließlich und schien aus weiter Ferne zurückzukehren. »Tom ist schon sehr nahe dran, hier geht es um Blut. Aber die Ursache muss älter als dreihundert Jahre sein. Wir haben es hier nicht nur mit Gespenstern zu tun, und Nicholas Abe hat sich damals sicher mit jemand anderem auseinandergesetzt.«

Robert fühlte, wie es in seinen Fingerspitzen kribbelte. »Also müssen wir doch dorthin und selbst nachsehen.«

Anne nickte. »Wir müssen in das versiegelte System.« Sie wandte sich Tom zu. »Vielen Dank …«

»Stopp!« Er hob die Hände. »Ich weiß genau, was du sagen willst. Aber so läuft das nicht, klar? Ich bleibe nicht ständig auf der Reservebank sitzen, und hier geht es um meine Stadt! Wir gehen da zusammen rein!«

»Ich kann nicht auf dich aufpassen«, lehnte Anne ab.

Robert sagte hingegen: »Er geht mit.«

Sie starrte ihn an. »Was?«

»Du hast mich schon verstanden.«

»Hast du vergessen, dass er noch lebt? Er ist ein normaler sterblicher Mensch, untrainiert, verletzlich …«

»He!«, unterbrach Tom empört. »Ich kann dich hören!« Er baute sich vor Anne auf und blickte finster auf sie hinab. »Glaubst du nicht, dass ich es mir verdient habe, aktiv im Team zu sein? Ich habe Nadja in Venedig geholfen, wurde von Tanners Leuten zusammengeschlagen, der Getreue hat mich in die Mangel genommen und aus unerfindlichen Gründen am Leben gelassen, und ich habe mich in Tokio mit Dämonen und Cagliostro auseinandergesetzt! Ich bin kein blutiger Anfänger mehr, und ich kann verdammt noch mal selbst auf mich aufpassen! Ich habe dich nicht um deinen Schutz gebeten, und wenn ich mir vor Angst in die Hosen scheiße und davonrenne, braucht es dich nicht zu kümmern! Ich werde euch schon nicht gefährden, keine Sorge. Aber du stellst meine Stadt nicht ohne mich auf den Kopf – und das ist mein letztes Wort!«

Danach stolperte er zurück und zog ein erschrockenes Gesicht, als habe ihn sein Ausbruch selbst überrascht. Ausgerechnet Anne gegenüber – das fand Robert ziemlich mutig. Nach allem, was er bisher von Tom erfahren hatte, musste der junge Mann seit der ersten Begegnung mit Nadja in Venedig eine gehörige Veränderung durchgemacht haben.

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