Kitabı oku: «Das Gemälde»

Yazı tipi:

Susan Hill

Das Gemälde

Eine Gespenstergeschichte

Roman

Aus dem Englischen von Susanne Aeckerle

Gatsby

Stephen Mallatratt zum Gedenken in Liebe und Dankbarkeit

Prolog

Die Geschichte wurde mir von meinem alten Tutor Theo Parmitter erzählt, während wir an einem bitterkalten Januarabend in seinen College-Räumen am Kamin saßen. In jenen Tagen gab es noch echte Kaminfeuer, die Kohlen vom Diener in großen Messingschütten heraufgetragen. Ich war aus London gekommen, um meinen alten Freund zu besuchen, der inzwischen weit in den Achtzigern war, gesund und munter und nach wie vor von scharfem Verstand, jedoch durch eine starke Arthritis in seiner Bewegungsfähigkeit so eingeschränkt, dass er seine Räume nur unter Schwierigkeiten verlassen konnte. Das College sorgte gut für ihn. Er gehörte zu einem aussterbenden Menschenschlag – der alte Cambridge-Junggeselle, dem das College die Familie ersetzte. Seit über fünfzig Jahren lebte er in dieser angenehmen Wohnung und würde hier auch zufrieden sterben. Mittlerweile hatten es sich eine Reihe von uns – seine ehemaligen Studenten aus zurückliegenden Generationen – zur Angewohnheit gemacht, ihn von Zeit zu Zeit zu besuchen, um ihm Neuigkeiten und ein wenig frischen Wind aus der Welt da draußen zu bringen. Denn er liebte diese Welt. Er begab sich nur noch selten hinaus, doch er liebte den Klatsch, hörte gerne, wer welche Stellung bekommen hatte, wer erfolgreich war, wer für dieses oder jenes hohe Amt auf der Vorschlagsliste stand und wer in welche Skandale verwickelt war.

Ich hatte mein Bestes getan, ihn während des Nachmittags und beim Abendessen zu unterhalten, das uns in seinen Räumen serviert wurde. Ich wollte über Nacht bleiben, mich mit ein oder zwei anderen Leuten treffen und einen kurzen Spaziergang durch mein altes Revier machen, bevor ich am nächsten Tag nach London zurückkehrte.

Aber ich möchte nicht den Eindruck erwecken, dass ich nur aus Mitgefühl einen alten Mann besuchte, der mir seinerseits wenig zu bieten hatte. Im Gegenteil, Theo war eine enorme Bereicherung, geistreich, scharfsinnig und treffsicher, ein wahrer Quell an Geschichten, die nicht nur die weitschweifigen Reminiszenzen eines alten Mannes waren. Er war ein wunderbarer Gesprächspartner – alle, selbst die jüngsten Fellows, hatten stets darum gewetteifert, beim Dinner in der Halle neben ihm zu sitzen.

Es war die letzte Ferienwoche, und im College herrschte Stille. Wir hatten gut gespeist, eine gute Flasche Bordeaux getrunken und streckten uns jetzt bequem in unseren Sesseln an einem gemütlichen Feuer aus. Doch der Winterwind, der wie immer direkt von den Fens kam, heulte um das Gebäude, und gelegentlich prasselten Hagelschauer gegen die Scheiben.

Unsere Unterhaltung war während der letzten Stunde allmählich zum Erliegen gekommen. Ich hatte von all meinen Neuigkeiten berichtet, wir hatten die Welt wieder ins Lot gebracht, und nun, vor dem lodernden Feuer, war das Gespräch ein wenig abgeflacht. Es war sehr behaglich, hier im Lichtschein der beiden Lampen zu sitzen, und ein paar Augenblicke lang meinte ich, Theo sei eingenickt.

Doch dann sagte er: »Wärst du eventuell bereit, dir eine merkwürdige Geschichte anzuhören?«

»Sehr gerne.«

»Merkwürdig und ein wenig verstörend.« Er bewegte sich auf seinem Sessel. Er klagte nie, aber ich vermutete, dass ihm die Arthritis beträchtliche Schmerzen bereitete. »Genau die richtige Geschichte für so einen Abend.«

Ich warf ihm einen Blick zu. Sein Gesicht, erhellt vom Flackern des Feuers, zeigte einen so ernsten Ausdruck – ich würde beinahe sagen, todernst –, dass es mich erschreckte. »Mach daraus, was du willst, Oliver«, sagte er leise, »aber ich versichere dir, dass die Geschichte wahr ist.« Er beugte sich vor. »Könnte ich dich darum bitten, die Whisky-Karaffe näher zu stellen, bevor ich beginne?«

Ich stand auf und ging zu dem Bord mit den Getränken, und während ich das tat, sagte Theo: »Meine Geschichte handelt von dem Bild zu deiner Linken. Kannst du dich überhaupt noch daran erinnern?«

Er deutete auf ein schmales Wandstück zwischen zwei Bücherregalen, das in tiefem Schatten lag. Theo war immer als gewiefter Kunstsammler bekannt gewesen, als Besitzer einiger recht wertvoller Zeichnungen alter Meister und Aquarelle aus dem achtzehnten Jahrhundert, alle, wie er mir einst erzählt hatte, in seinen jungen Jahren für bescheidene Summen erworben. Ich kenne mich mit Malerei nicht besonders aus, und sein Geschmack entsprach nicht so ganz dem meinen. Aber ich trat zu dem Bild, auf das er deutete.

»Schalte die Lampe dort an.«

Obwohl es ein etwas dunkles Ölgemälde war, konnte ich es jetzt recht gut erkennen und betrachtete es interessiert. Es stellte eine venezianische Karnevalsszene dar. Auf einen Landungssteg neben dem Canal Grande und über den Platz dahinter schob sich eine Menschenmenge in Masken und Umhängen, unter ihnen Gaukler – Jongleure, Akrobaten und Musikanten –, die in Gondeln stiegen, andere bereits auf dem Wasser, die Boote so eng beisammen, dass die Stangen der Gondolieri aneinanderprallten. Das Bild war typisch für jene, deren Schauplätze durch Laternen und Fackeln erleuchtet werden, welche hier und dort einen unheimlichen Schimmer werfen, Gesichter und Farbtupfer der Kleidung und das silbrige Kräuseln des Wassers erhellen, während andere Teile in tiefem Schatten bleiben. Ich fand, dass es etwas Gekünsteltes hatte, aber sicherlich war es ein vollendetes Werk, zumindest für meine unerfahrenen Augen.

Ich schaltete die Lampe aus, und das Bild mit seinen leicht sinistren Nachtschwärmern zog sich wieder in seine dunkle Ecke zurück.

»Ich glaube nicht, dass ich es schon einmal bemerkt habe«, sagte ich und schenkte mir einen Whisky ein.

»Besitzt du es schon lange?«

»Länger, als ich das Recht dazu hatte.«

Theo lehnte sich in seinem tiefen Sessel so weit zurück, dass auch er nun im Schatten war. »Es wird eine Erleichterung sein, jemandem davon zu erzählen. Das habe ich noch nie getan, und es war eine Last. Vielleicht macht es dir nichts aus, mir einen Teil dieser Last abzunehmen?«

So hatte ich ihn noch nie sprechen hören, noch nie diesen todernsten Klang vernommen, aber natürlich zögerte ich nicht, ihm zu versichern, dass ich alles tun würde, was er wünschte, ohne mir jemals vorstellen zu können, was es mich kosten würde, ihm »einen Teil der Last« abzunehmen, wie er es nannte.

1

Meine Geschichte beginnt vor etwa siebzig Jahren, in meiner Kindheit. Ich war ein Einzelkind, und meine Mutter starb, als ich drei Jahre alt war. Ich habe keine Erinnerung an sie. Heutzutage würde sich ein Vater vielleicht bemühen, das Kind allein großzuziehen, zumindest bis er eine zweite Frau findet, aber damals waren die Zeiten ganz anders, und obwohl er mir sehr zugeneigt war, hatte er keine Ahnung, wie man einen kaum den Windeln entwachsenen Jungen versorgte, daher wurden eine Reihe von Kindermädchen und dann Gouvernanten eingestellt. Sie waren alle durchaus freundlich und gutwillig, alle tüchtig, und auch wenn ich mich nur wenig an sie erinnere, verspüre ich eine allgemeine Wärme ihnen gegenüber und der Art, wie sie mich ins Knabenalter führten. Doch meine Mutter hatte eine Schwester, verheiratet mit einem wohlhabenden Mann, der einen beträchtlichen Landbesitz in Devon hatte, daher verbrachte ich von meinem siebten Lebensjahr an viele Ferien bei ihnen, und es waren idyllische Zeiten. Mir wurde erlaubt, mich frei zu bewegen, ich genoss den Umgang mit den einheimischen Jungen – meine Tante und mein Onkel hatten keine Kinder, doch mein Onkel hatte einen erwachsenen Sohn aus erster Ehe, dessen Mutter im Kindbett gestorben war – und die Gesellschaft der Pächter, der Dorfbewohner, der Pflüger und Schmiede, Pferdeknechte und Heckenschneider und Grabenbauer. Ich wuchs gesund und robust auf, weil ich so viel Zeit im Freien verbrachte. Doch wenn ich nicht im Freien war, wurde mir im Haus eine ganz andere Erziehung zuteil. Meine Tante und mein Onkel waren kultivierte Menschen, erstaunlich belesen, und besaßen eine hervorragende Bibliothek. Mir wurde erlaubt, diese Bibliothek genauso zu durchforschen, wie ich den Landsitz durchforschte, und ich folgte ihrem Beispiel und wurde ein unersättlicher Leser. Meine Tante war jedoch auch eine große Kunstkennerin. Sie liebte englische Aquarelle, fand aber auch einen breit gefächerten, wenngleich traditionellen Geschmack an alten Meistern, und obwohl sie es sich nicht leisten konnte, Bilder berühmter Künstler zu kaufen, hatte sie eine gute Sammlung unbedeutenderer Maler erworben. Ihr Mann zeigte wenig Interesse an diesem Gebiet, war aber durchaus bereit, ihre Leidenschaft zu finanzieren, und als Tante Mary bemerkte, dass ich schon früh Gefallen an gewissen Bildern im Haus fand, ergriff sie die Gelegenheit, mit jemand anderem ihren Enthusiasmus zu teilen. Sie begann, mit mir über die Bilder zu reden und mich zu ermutigen, über die Künstler zu lesen, und ich begriff sehr schnell, welche Freude sie an ihnen hatte, und entdeckte meine eigenen Favoriten unter ihnen. Besonders gefielen mir einige der großen Seestücke und auch die Aquarelle der East-Anglia-Schule, die wunderbaren Himmel und flachen Moore – ich glaube, mein Kunstgeschmack hatte eine Menge mit meinem Vergnügen an der freien Natur zu tun. Für Porträts oder Stillleben konnte ich mich nicht erwärmen – Tante Mary allerdings auch nicht, und sie besaß auch nur wenige davon. Interieurs oder Bilder von Kirchen ließen mich kalt, und ein junger Knabe versteht noch nichts von dem Reiz der menschlichen Figur. Doch sie ermutigte mich, für alles offen zu sein, nicht ihren Geschmack nachzuahmen, sondern meinen eigenen zu entwickeln und immer darauf zu warten, von dem, was ich sah, überrascht und herausgefordert wie auch entzückt zu werden.

Meine nachfolgende Liebe zur Malerei verdanke ich ausschließlich Tante Mary und diesen glücklichen, prägenden Jahren. Als sie starb, gerade als ich nach Cambridge kam, hinterließ sie mir viele der Bilder, die du jetzt hier hängen siehst, und auch andere, von denen ich einige verkauft habe, um neue zu erwerben – wie sie es sich sicherlich von mir gewünscht hätte. Sie war eine unsentimentale Frau, und sie hätte gewollt, dass ich meine Sammlung lebendig halte, um den Erwerb neuer Gemälde zu genießen, wenn ich der alten überdrüssig geworden war.

Kurz gesagt, an die zwanzig Jahre oder länger wurde ich zu einem recht erfolgreichen Kunsthändler, ging regelmäßig zu Auktionen, und während ich meinen Spaß dabei hatte, häufte ich im Laufe der Zeit mehr Vermögen an, als es mir mit meinem akademischen Gehalt je möglich gewesen wäre. Zwischen meinen Ausflügen in die Welt der Kunst stieg ich natürlich langsam auf der akademischen Leiter nach oben, etablierte mich hier im College und veröffentlichte die Bücher, die du kennst. Mir fehlten die regelmäßigen Besuche in Devon, nachdem meine Tante und mein Onkel gestorben waren, und ich konnte meine Verbindung zu einem ländlichen Leben nur durch regelmäßige Wanderferien aufrechterhalten.

Ich habe dir in groben Zügen meine Vorgeschichte skizziert, und du weißt jetzt ein bisschen mehr von meiner Liebe zu Bildern. Aber was dann eines Tages geschah, würdest du nie erraten, und vielleicht wirst du die Geschichte nicht glauben. Ich kann nur wiederholen, was ich dir am Anfang versichert habe. Sie ist wahr.

2

Es war ein herrlicher Tag zu Beginn der Osterferien, und ich war für zwei Wochen nach London gefahren, um im Leseraum des Britischen Museums zu arbeiten und ein wenig Kunsthandel zu betreiben. An diesem gewissen Tag gab es eine Auktion mit einer Besichtigung am Morgen. Aus dem Katalog hatte ich mir zwei Zeichnungen alter Meister und ein Gemälde ausgesucht, an denen ich besonders interessiert war. Ich nahm an, dass das Gemälde für einen höheren Preis weggehen würde, als ich ihn mir leisten konnte, aber ich machte mir Hoffnungen auf die Zeichnungen, und ich fühlte mich beschwingt, als ich im Frühlingssonnenschein von Bloomsbury hinunter nach St. James ging. Die Magnolien blühten, genau wie die Kirschen, und vor dem weißen Stuck der Reihenhäuser aus dem achtzehnten Jahrhundert wirkten sie so fröhlich, dass einem das Herz aufging. Nicht dass mein Herz je traurig gewesen wäre. Ich war fröhlich und optimistisch, als ich jünger war – in der Tat war ich mit einer sonnigen und ausgeglichenen Natur gesegnet –, und ich genoss meinen Spaziergang und freute mich auf die Besichtigung und die nachfolgende Auktion. Keine Wolke war am Himmel, weder real noch metaphorisch.

Das Gemälde erwies sich dann als nicht so gut, wie es beschrieben worden war, und ich wollte nicht darauf bieten, war jedoch erpicht darauf, wenigstens eine der Zeichnungen zu kaufen; außerdem sah ich zwei Aquarelle, die sich gut für den Weiterverkauf eigneten, und ich hielt es für unwahrscheinlich, dass sie einen hohen Preis erzielen würden, da sie nicht zu der Art von Bildern gehörten, für die viele Händler zu dieser speziellen Auktion kommen würden. Ich vermerkte sie im Katalog und sah mich weiter um.

Dann fiel mir, etwas versteckt neben zwei recht überwältigenden religiösen Tafelbildern, das venezianische Ölgemälde der Karnevalsszene ins Auge. Es war in schlechtem Zustand, musste dringend gereinigt werden, und der Rahmen war an mehreren Stellen abgestoßen. Es war auch nicht die Art von Bild, die mir im Allgemeinen gefiel. Doch es hatte eine seltsame, fast halluzinatorische Ausstrahlung, und ich merkte, dass ich lange davor stehen blieb und mehrfach zurückkam. Das Bild schien mich in sich hineinzuziehen, sodass ich mir wie ein Teil der nächtlichen Szene vorkam, erleuchtet von Fackeln und Laternen, einer aus der Menge der maskierten Nachtschwärmer oder der Gruppe, die eine Gondel bestieg und über den mondbeschienenen Kanal unter eine der uralten Brücken glitt. Ich stand lange davor, spähte in alle Ecken und Winkel der Palazzi mit den hier und da geöffneten Fensterläden vor dunklen Räumen, gelegentlich von einem Kerzenleuchter oder einer Lampe erhellt, in deren Widerschein sich da und dort eine schattenhafte Figur erkennen ließ. Unter den Gesichtern der Nachtschwärmer ließen sich viele klassische Venezianer ausmachen, mit vorspringender Nase, dieselben Gesichter, die als Magier und Engel, Heilige und Päpste auf den großartigen Gemälden venezianischer Kirchen zu sehen sind. Andere gehörten jedoch erkennbar anderen Nationalitäten an, und dazwischen gab es den einen oder anderen Äthiopier und Araber. Ich verinnerlichte das Gemälde auf eine Weise, wie ich es seit langer Zeit nicht getan hatte.

Die Versteigerung sollte um zwei beginnen, und ich trat hinaus in die Frühlingssonne, um noch etwas zu mir zu nehmen, bevor ich in den Auktionsraum zurückkehrte, doch als ich an dem schummrigen Tresen in einem ruhigen Pub saß, durch dessen Fenster gelegentlich die Sonne hereinschien, war ich immer noch von der venezianischen Szenerie erfüllt. Ich wusste natürlich, dass ich das Gemälde kaufen musste. Ich konnte meinen Lunch kaum genießen und wurde ganz aufgeregt bei dem Gedanken, dass mich etwas daran hindern könnte, rechtzeitig zum Bieten in den Raum zurückzukehren, daher war ich als Erster dort. Doch aus irgendeinem Grund wollte ich hinten stehen bleiben, entfernt vom Podium, und ich hielt mich nahe bei der Tür auf, als sich der Raum zu füllen begann. Es gab einige wichtige Bilder im Angebot, und ich erblickte mehrere bekannte Kunsthändler, die im Auftrag wohlhabender Kunden dort sein würden. Keiner kannte mich.

Das Gemälde, dessentwegen ich zunächst hergekommen war, wurde für mehr verkauft, als ich erwartet hatte, und die Zeichnungen überstiegen rasch meine Mittel, aber es gelang mir fast, ein hochwertiges Cotman-Aquarell zu erwerben, das gleich nach diesen versteigert wurde, als einige der Käufer für die Lose der ersten Hälfte bereits gegangen waren. Ich sicherte mir eine kleine Gruppe guter Seestücke und musste dann ein langweiliges Jagdgemälde nach dem anderen über mich ergehen lassen – dicke Männer auf Pferden, Jäger, Pferde mit gestutztem Schweif, was ihnen eine seltsame, unausgeglichene Haltung verlieh, Pferde, die sich aufbäumten, Pferde mit gelangweilt blickenden Pferdeknechten, eines nach dem anderen, und die Hände schossen nur so in die Luft. Beinahe nickte ich ein. Doch dann, als die Auktion allmählich zu Ende ging, kam die venezianische Karnevalsszene, die hier im Raum noch dunkler und unattraktiver wirkte. Zwei halbherzige Gebote wurden abgegeben, dann trat eine Pause ein. Ich hob die Hand. Niemand machte ein Gegengebot. Der Hammer fiel gerade herunter, als hinter mir Unruhe entstand und eine Stimme ertönte. Ich blickte mich um, überrascht und bestürzt, dass ich in letzter Minute noch einen Mitbieter um das venezianische Bild haben sollte, doch der Auktionator war der Ansicht, der Hammer sei nach meinem Gebot tatsächlich gefallen und das Bieten sei beendet. Das Bild wurde mir für eine sehr bescheidene Summe zugeschlagen.

Meine Handflächen waren feucht, und mein Herz hämmerte. Nie hatte ich eine solche Beklemmung empfunden – ja, es ähnelte fast dem verzweifelten Wunsch, etwas unbedingt erringen zu wollen, und ich fühlte mich seltsam erschüttert, vor Erleichterung und auch von einem anderen Gefühl erfüllt, das ich nicht benennen konnte. Warum war ich so versessen auf dieses Bild? Welche Macht besaß es über mich?

Als ich den Verkaufsraum in Richtung Kasse verließ, um meine Erwerbung zu bezahlen, tippte mir jemand auf die Schulter. Ich drehte mich um und sah einen untersetzten, schwitzenden Mann mit einer großen ledernen Künstlermappe.

»Mr …?«, fragte er.

Ich zögerte.

»Ich muss dringend mit Ihnen sprechen.«

»Wenn Sie mir verzeihen, ich möchte noch vor der üblichen Schlange zur Kasse …«

»Nein. Bitte tun Sie es nicht.«

»Wie bitte?«

»Erst müssen Sie hören, was ich zu sagen habe. Können wir irgendwo hingehen, wo uns niemand belauschen kann?« Er blickte sich um, als erwartete er, dass sich ein halbes Dutzend Lauscher auf uns stürzen würde, und ich war verärgert. Ich kannte den Mann nicht und hatte nicht den Wunsch, mich mit ihm in irgendeine Ecke zu verkriechen.

»Alles, was Sie mir zu sagen haben, kann sicherlich hier ausgesprochen werden. Alle sind mit ihren eigenen Angelegenheiten beschäftigt. Warum sollten sie an uns interessiert sein?« Ich wollte mir meine Erwerbungen sichern, die Anlieferung in Auftrag geben und gehen.

»Mr …?« Wieder hielt er inne.

»Parmitter«, erwiderte ich kurz angebunden.

»Vielen Dank. Mein Name tut nichts zur Sache – ich handle im Auftrag eines Klienten. Ich hätte viel früher hier sein sollen, aber ich wurde in einen Autounfall verwickelt. Ein Unglücklicher, der von einem zu schnell fahrenden Auto gestreift und schwer verletzt wurde, und ich musste dort bleiben und mit der Polizei sprechen, daher meine Verspätung, ich …« Er zog ein sehr großes Taschentuch heraus und wischte sich über Stirn und Oberlippe, doch die Schweißtropfen traten sofort wieder hervor. »Ich habe einen Auftrag. Es gibt ein Bild … ich soll es kaufen. Es ist absolut lebenswichtig, dass ich es mit zurückbringe.«

»Aber Sie sind zu spät gekommen. Ihr Pech. Was jedoch kaum Ihr Fehler war – Ihr Klient kann Ihnen keinen Vorwurf machen, dass Sie Zeuge eines Autounfalls wurden.«

Er wirkte zunehmend unbehaglich und schwitzte sogar noch mehr. Ich wandte mich ab, doch er packte mich und hielt meinen Arm so fest, dass es schmerzte.

»Das letzte Bild«, sagte er, sein Atem übel riechend in meinem Gesicht, »die venezianische Szenerie. Sie haben sie erworben, und ich muss sie haben. Ich zahle Ihnen, was Sie dafür verlangen, mit einem guten Gewinn, damit Sie keinen Verlust haben. Das ist schließlich in Ihrem Interesse, da Sie es sowieso später weiterverkaufen würden. Wie ist Ihr Preis?«

Ich riss mich aus seinem Griff los. »Es gibt keinen. Das Bild ist nicht zu verkaufen.«

»Seien Sie nicht albern, Mann, mein Klient ist wohlhabend, Sie können Ihren Preis nennen. Verstehen Sie denn nicht – ich muss das Bild haben.«

Mir reichte es. Ohne mich um gute Manieren zu kümmern, machte ich auf dem Absatz kehrt und ging weg.

Aber da war er schon wieder, tatschte mich an, blieb eng an meiner Seite. »Sie müssen mir das Bild verkaufen.«

»Wenn Sie Ihre Hände nicht von mir nehmen, bleibt mir nichts anderes übrig, als die Träger zu rufen.«

»Mein Klient hat mir Anweisungen gegeben … Ich kann auf keinen Fall ohne das Bild zurückkommen. Es hat Jahre gedauert, es aufzuspüren. Ich muss es haben.«

Wir hatten die Kasse erreicht, wo sich jetzt natürlich eine beträchtliche Käuferschlange gebildet hatte, die bezahlen wollte. »Zum letzten Mal«, zischte ich ihn an, »lassen Sie mich in Ruhe. Ich habe es Ihnen gesagt. Ich will das Bild. Ich habe es gekauft und gedenke, es zu behalten.«

Er trat einen Schritt zurück, und einen Moment lang dachte ich, damit wäre die Sache erledigt, doch dann beugte er sich dicht zu mir und sagte: »Sie werden es bereuen. Ich muss Sie warnen. Sie werden das Bild nicht behalten wollen.«

Seine Augen traten hervor, und der Schweiß lief ihm jetzt über das Gesicht. »Verstehen Sie? Verkaufen Sie mir das Bild. Es ist zu Ihrem eigenen Besten.«

Ich hätte ihm fast ins Gesicht gelacht, doch stattdessen schüttelte ich nur den Kopf und wandte mich von ihm ab, starrte auf den grauen Jackettstoff des Mannes vor mir, als sei es das Faszinierendste auf der Welt.

Ich wagte nicht, mich noch einmal umzuschauen, doch als ich die Kasse endlich verließ, nachdem ich meine Erwerbungen bezahlt hatte, einschließlich des venezianischen Bildes, war der Mann nirgends mehr zu sehen.

Ich war erleichtert, schlug mir den Vorfall aus dem Kopf und trat hinaus in den Sonnenschein von St. James.

Erst später am Abend, als ich mich zum Arbeiten an meinen Schreibtisch setzte, spürte ich einen plötzlichen Schauer, ein Frösteln entlang der Wirbelsäule. Der Mann hatte mich nicht im Geringsten beunruhigt – er hatte offensichtlich versucht, mich mit einer erfundenen Geschichte zu überreden, ihm das Bild zu überlassen. Trotzdem fühlte ich mich unwohl.

Alles, was ich bei der Auktion gekauft hatte, wurde am nächsten Tag geliefert, und als Erstes brachte ich das venezianische Gemälde zu einem Londoner Restaurator. Er würde es fachmännisch reinigen und den alten Rahmen entweder reparieren oder einen anderen finden. Ich nahm auch eines der anderen mit, um einen kleinen Kratzer ausbessern zu lassen, und da Restauratoren langsam arbeiten, wie sie es tun sollten, sah ich die Bilder erst nach mehreren Wochen wieder. Mittlerweile war ich nach Cambridge zurückgekehrt, und das Sommertrimester war in vollem Gange.

Ich nahm alle neuen Bilder mit hierher. In meinen Londoner Räumen war ich zu selten, um dort etwas von Wert oder Interesse zurückzulassen. Für alle anderen fand ich mit Leichtigkeit einen Platz, aber wo auch immer ich das venezianische Bild aufhängte, sah es falsch aus. Nie hatte ich solche Schwierigkeiten gehabt, ein Bild zu hängen. Und in einem blieb ich eisern. Ich wollte es nicht in dem Zimmer haben, in dem ich schlief. Ich nahm es noch nicht mal ins Schlafzimmer mit. Ich bin jedoch kein abergläubischer Mensch und hatte bis dahin nur Albträume gehabt, wenn ich krank und fiebrig war. Da es mir so schwerfiel, den richtigen Platz zu finden, ließ ich das Bild schließlich hier stehen, angelehnt an das Bücherregal. Und ich konnte nicht aufhören, es zu betrachten. Jedes Mal, wenn ich in diese Räume zurückkam, zog es mich an. Ich verbrachte mehr Zeit damit, es anzuschauen – nein, in es hineinzuschauen –, als mit Bildern von viel größerer Schönheit und Vorzüglichkeit. Ich schien es zu brauchen, viel zu viel Zeit damit zu verbringen, in jede Ecke, jedes einzelne Gesicht zu blicken.

Von dem ermüdenden Quälgeist aus den Auktionsräumen hörte ich nichts mehr und hatte ihn bald vollkommen vergessen.

Nur eine befremdliche Sache geschah um diese Zeit. Es war im Herbst desselben Jahres, kurz nach dem Michaelitag und an einem Abend, an dem die erste Kühle des Herbstes mich veranlasste, nach einem Feuer im Kamin zu klingeln. Das Feuer prasselte gemütlich, und ich arbeitete an meinem Schreibtisch im Schein der Lampe, als ich zufällig kurz aufschaute. Das venezianische Bild stand direkt in meinem Blickfeld, und irgendetwas daran ließ mich genauer hinschauen. Das Säubern hatte dem Bild größere Tiefe verliehen, wodurch die Einzelheiten jetzt viel genauer zu erkennen waren. Auf dem Weg neben dem Wasser drängten sich mehr Leute als zuvor, stellenweise in mehreren Reihen hintereinander, und auch Gondeln und andere Boote voller Nachtschwärmer, manche maskiert, andere nicht, schwammen in größerer Zahl auf dem Kanal. Ich hatte die Gesichter immer wieder betrachtet und jedes Mal mehr gefunden. Menschen lehnten aus den Fenstern und über Balkonbrüstungen, andere befanden sich in den schwach erleuchteten Innenräumen der Palazzi. Doch dieses Mal war es nur eine Person, eine Gestalt, die mir ins Auge fiel und sich von dem Rest abhob, und obwohl der Mann vorne im Bild war, glaubte ich nicht, ihn schon einmal bemerkt zu haben. Er schaute nicht auf die Lagune oder die Boote, sondern eher von ihnen weg und aus dem Bild hinaus – ja, er schien mich anzusehen und in dieses Zimmer zu blicken. Er trug zeitgemäße, jedoch schlichte Kleidung, nicht die extravaganten Kostüme vieler Karnevalsbesucher, und er war nicht maskiert. Doch zwei der Nachtschwärmer neben ihm trugen Masken und schienen ihn festzuhalten, der eine an der Schulter, der andere am linken Handgelenk, als wollten sie ihn zurückhalten oder sogar wegziehen. Sein Gesicht hatte einen merkwürdigen Ausdruck, als sei er gleichzeitig erstaunt und verängstigt. Er schaute von der Szene weg, weil er nicht daran teilhaben wollte, und in mein Zimmer, auf mich – auf jeden vor dem Bild – mit etwas, das ich nur als Flehen beschreiben kann. Aber um was? Was verlangte er? Der Schock bestand darin, dort eine männliche Gestalt zu sehen, die ich vorher nie bemerkt hatte. Ich nahm an, dass das Licht der Lampe, welches in einem bestimmten Winkel auf das Bild fiel, die Gestalt zum ersten Mal deutlich hervortreten ließ. Wie auch immer, sein Ausdruck beunruhigte mich, und ich konnte nicht mit meiner bisherigen tiefen Konzentration weiterarbeiten. In der Nacht wachte ich mehrmals auf, einmal aus einem merkwürdigen Traum, in dem der Mann aus dem Bild im Kanal ertrank und seine Arme Hilfe suchend nach mir ausstreckte. Der Traum war so lebhaft, dass ich aufstand und hierherkam, das Licht anschaltete und das Bild betrachtete. Natürlich hatte sich nichts geändert. Der Mann ertrank nicht, wenngleich er mich nach wie vor anschaute, immer noch flehend, und ich hatte das Gefühl, er sei dargestellt worden, während er den beiden Männern, die ihn festhielten, zu entkommen versuchte.

Ich ging wieder zu Bett.

Und das war es dann, für lange Zeit. Mehr geschah nicht. Das Bild stand monatelang an das Bücherregal gelehnt, bis ich den Platz dafür fand, wo du es jetzt hängen siehst.

Ich träumte nicht wieder davon. Aber es ließ mich niemals los, seine eindringliche Präsenz verminderte sich nie, als wären die Geister all dieser Menschen in dieser unheimlich beleuchteten, gekünstelten Szenerie zugegen, hier bei mir in diesem Zimmer.

Einige Jahre vergingen. Das Bild verlor nichts von seiner seltsamen Kraft, aber das Alltagsleben geht natürlich weiter, und ich gewöhnte mich daran. Ich betrachtete es jedoch oft, erforschte die Gesichter, die Schatten, die Gebäude, das dunkle, gekräuselte Wasser des Canal Grande, und ich schwor mir ebenfalls, eines Tages nach Venedig zu reisen. Ich war nie ein begeisterter Reisender, wie du weißt; ich liebe die englische Landschaft zu sehr und hatte nie das Bedürfnis, mich während der Ferien weit darüber hinauszuwagen. Außerdem war ich in jener Zeit stark mit dem Unterrichten beschäftigt, übernahm mehr und mehr Pflichten innerhalb des College, verfasste und veröffentlichte eine Reihe von Büchern und fuhr damit fort, Bilder zu kaufen und zu verkaufen, obgleich meine Zeit dafür beschränkt war.

Während dieser Zeit geschah bezüglich des Bildes nur eine merkwürdige Sache. Brammer, ein alter Freund, kam zu Besuch. Ich hatte ihn seit einigen Jahren nicht mehr gesehen, und wir hatten vieles zu bereden, aber irgendwann, kurz nach seiner Ankunft, während ich nicht im Zimmer war, schaute er sich die Bilder an. Als ich zurückkehrte, stand er vor dem venezianischen Gemälde und beäugte es genauer.

»Wie bist du zu dem hier gekommen, Theo?«

»Oh, bei einer Auktion vor einigen Jahren. Warum?«

»Es ist ziemlich außergewöhnlich. Wenn ich nicht …«

Er schüttelte den Kopf. »Nein.«

Ich stellte mich neben ihn. »Was ist?«

»Du kennst dich doch mit diesen Dingen aus. Wann wurde es deiner Meinung nach gemalt?«

»Es stammt aus dem späten achtzehnten Jahrhundert.«

Wieder schüttelte er den Kopf. »Dann verstehe ich es nicht. Siehst du, dieser Mann hier …« Er deutete auf eine Gestalt in der ersten Gondel. »Ich … ich kenne – kannte ihn. Das heißt, er sieht jemandem, den ich gut kannte, zum Verwechseln ähnlich. Wir waren als junge Männer befreundet. Natürlich kann er das nicht sein … aber alles – wie er den Kopf hält, sein Ausdruck … das ist ziemlich gespenstisch.«

»Bei den Milliarden von Menschen auf dieser Welt, die alle nur zwei Augen, eine Nase und einen Mund haben, finde ich es noch bemerkenswerter, dass es nicht mehr identische gibt.«

Aber Brammer hörte mir gar nicht zu. Er war zu sehr damit beschäftigt, das Bild zu betrachten und dieses eine Gesicht zu studieren. Ich brauchte eine Weile, ihn davon fortzuziehen und auf die Themen unserer vorherigen Unterhaltung zu lenken, und während der nächsten vierundzwanzig Stunden kehrte er mehrfach zu dem Bild zurück und stand dort, mit einem Ausdruck von Besorgnis und Unglauben im Gesicht, und schüttelte von Zeit zu Zeit den Kopf.

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