Kitabı oku: «Beruf Bäuerin»
Mit Beiträgen haben das Buchprojekt unterstützt:
Inhalt
Vorwort von Nationalrätin Maya Graf
Einleitung
Berta Murten FR
Ruth Haug-Eggenberger Weiningen ZH
Marie-Theres Waser-Küttel Stans NW
Rosmarie Mazenauer-Wicki Altnau TG
Rita Schuler-Schöpfer Hünenberg ZG
Paula Zurfluh-Bieri Isenthal UR
Rita Burkard-Laubacher Hohenrain LU
Franziska Inderbitzin-Schuler Lakeland, Australien
Heidi Roos-Flury Schwesteregg, Romoos LU
Sandra Schmid Koch Uezwil AG
Vreni Föhn-Zurfluh Muotathal SZ/Alp Dräckloch GL
Nicole Scheuber-Bieber Disentis GR
Luzia Egli-Wicki Schangnau BE
Erfahrung, Wissen und Können von Peter Moser
Bäuerinnenschule Kloster Fahr 1944–2013
Dank
Die Autorin
Vorwort
Als die Anfrage kam, für dieses spezielle Bäuerinnenbuch ein Vorwort zu schreiben, habe ich zuerst gezögert. Bin ich die richtige Person dazu? Ich kenne die Bäuerinnenschule des Klosters Fahr nur von Erzählungen. Zwar arbeite ich heute, wenn ich nicht als Nationalrätin in Bern bin, als Biobäuerin. Doch ich habe keine Ausbildung in diesem Bereich abgeschlossen. Ich habe nach dem Handelsdiplom die Ausbildung zur Sozialarbeiterin absolviert und in diesem Beruf auch Teilzeit gearbeitet. Erst als ich 30 war, übernahmen wir mit unserer Hofgemeinschaft den elterlichen Bauernhof zur Bewirtschaftung.
Die Hofarbeit auf dem Milchwirtschafts- und Obstbetrieb habe ich von klein auf gelernt, die Liebe zu Tier und Natur hat mich schliesslich zur Politik der Grünen geführt. Aber sattelfest in Kochen und Hauswirtschaft bin ich nicht. Im Gegenteil. Ich führte als junge Frau eher einen Kampf dagegen, gerade weil es von mir erwartet wurde. Ich wollte ja nie Bäuerin werden. Als ich mit 19 Jahren schliesslich auf einem Bauernhof im Waadtland das Haushalten lernen sollte, brach ich mir nach zwei Wochen den Fuss so radikal, dass ich ein halbes Jahr ausfiel und der Versuch beendet wurde.
Heute arbeite ich fürs Leben gerne auf dem Bauernhof, weil ich das Glück und die Freiheit habe, zusammen mit meinem Mann, meinen Kindern und der Familie meines Bruders wie auch mit meinen Eltern die Arbeit auf dem Hof so zu organisieren, dass ich mein Nationalratsmandat ausüben und daneben dort mitarbeiten kann, wo meine Stärken liegen. Es ist diese Freiheit zur Selbstbestimmung, die Bäuerinnen heute haben und die mir wichtig scheint. Unsere Mütter und Grossmütter hatten diese Freiheit nicht. Es ist diese Freiheit, die das Leben auf den Bauernhöfen der Schweiz heute so komplett anders macht, vielfältig, offen, nicht einfacher, aber hoffentlich bereichernd.
Mit Spannung las ich also die Porträts heutiger Bäuerinnen, die alle etwas gemeinsam haben: Sie besuchten in jungen Jahren die Bäuerinnenschule des Klosters Fahr. Ich bin beim Lesen immer tiefer in den Alltag der Bauernhöfe eingetaucht, in Gedanken durch die Deutschschweizer Landschaft von Hof zu Hof geflogen und war überwältigt von all diesen Lebensgeschichten. Ich bin beeindruckt von der Offenheit, mit der diese Landfrauen über ihren Werdegang, ihren Beruf, ihre Zusammenarbeit auf dem Hof, ihre Glücksmomente und ihre Schwierigkeiten erzählen. Und es ist schön zu lesen, wie gut sie sich selbst einschätzen können, wie selbstbewusst sie ihren Beruf vertreten und lieben. Beschäftigt hat mich aber, wie unglaublich viel und hart diese 13 porträtierten Bäuerinnen arbeiten, wie lange die Tage sind, wie viel sie für andere geben und wie wenig sie für sich selbst verlangen.
Der Beruf der Bäuerin ist nicht nur ein vielseitiger Beruf, bei dem man extrem stark und flexibel sein muss, er ist auch eine Berufung. Es wird spannend sein, zu sehen, wie die nächste Generation von Bäuerinnen all diese Herausforderungen in einer sich schnell wandelnden Zeit meistern wird. Diese Herausforderungen werden sie ohne die «Oase» Bäuerinnenschule Fahr antreten müssen. Denn diese musste sich dem Zeitgeist bereits anpassen und ihre Schultüren schliessen.
Die jungen Bäuerinnen werden andere «Lernoasen» finden, sie werden vermehrt einen zweiten Beruf haben, mehr auswärts arbeiten und bestimmt weitere innovative Projekte auf den Höfen entwickeln. Sie werden auch bei den Sozialversicherungen und beim Lohn gleichwertige Partnerinnen ihrer Lebenspartner sein. Ich wünsche deshalb von Herzen, hoffentlich ganz im Sinne dieser 13 starken Bäuerinnen, dass dieser wunderschöne Beruf weiterhin eine grosse Anerkennung in der Gesellschaft findet. Und ich möchte allen herzlich danken, die zu diesem eindrücklichen Bäuerinnenbuch beigetragen haben.
Maya Graf
Nationalrätin Grüne, Sozialarbeiterin und Biobäuerin Sissach BL
Einleitung
Wie Bäuerinnen auf einem Hof mit ihren Familien, mit den Tieren und der Natur leben, davon haben viele Menschen – und bei weitem nicht nur in städtischen Gebieten – kaum eine Vorstellung, höchstens vielleicht Vorurteile.
Schweizer Bäuerinnen eine Stimme und eine Bühne in der Öffentlichkeit zu geben: Das ist das Ziel dieser Lebensgeschichten. 13 Frauen erzählen von ihren Freuden und Sorgen, ihren Träumen und ihrer oft harten Lebensrealität in der Landwirtschaft des 20. und 21. Jahrhunderts. Obwohl die porträtierten Frauen in verschiedenen Kantonen der Schweiz leben, ja eine sogar nach Queensland in Australien ausgewandert ist, und alle aus unterschiedlichen Generationen stammen, so gibt es doch einen roten Faden im Buch. Es sind die Erinnerungen an einen Ort, der sie verbindet: Sie sind ehemalige Absolventinnen der Bäuerinnenschule im Benediktinerinnenkloster Fahr – am Rand der Stadt Zürich. Sie haben dort, kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, Ende des letzten Jahrhunderts oder erst vor ganz wenigen Jahren, ihre bäuerliche Grundausbildung absolviert.
Selbst «Ehemalige» der Bäuerinnenschule, die im Sommer 1983 im Kloster Fahr fürs Leben lernen durfte, aber keine aktive Bäuerin wurde, nahm es mich sehr wunder, wie Frauen in der Landwirtschaft heute denken und ihr Leben gestalten.
Mit Unterstützung der Fahrer Schwestern, besonders der Gartenfachfrau Schwester Beatrice Beerli, ging ich auf die Suche nach geeigneten Interviewpartnerinnen: Es sollten Frauen mit verschiedenen Tätigkeitsgebieten sein, ältere, jüngere, solche aus dem Berggebiet, Bio-Bäuerinnen, mit kleinen oder erwachsenen Kindern, die eigene Produkte im Hofladen verkaufen und Direktvermarktung betreiben, Agro-Tourismus anbieten oder ausgefallene Tiere züchten, Frauen, die geschieden sind – oder heute im Ausland leben.
Wir standen vor der Qual der Wahl, denn über 4000 Frauen haben im Verlaufe von 69 Jahren im Kloster Fahr den zwanzigwöchigen Kurs besucht.
Der Schweizerische Bauernverband definierte vor Jahresfrist in seinem Leitbild die Bäuerinnen als «naturnah, unternehmerisch und regional verwurzelt» – diese drei Begriffe treffen fast lückenlos auch auf die dreizehn Porträtierten zu.
Mein Oral-History-Projekt führte mich zu spannenden Frauen. Die Gespräche mit ihnen waren offen und sehr herzlich. Sie schenkten mir ihr Vertrauen. So entstanden berührende und bewegende Lebensgeschichten von engagierten Bäuerinnen, die ich bewundere; einerseits für ihre grosse Arbeitsleistung und ihr oft selbstloses Engagement für Familie und Betrieb, andererseits für ihre positive und lebensbejahende Einstellung – trotz allem. Es sind starke, eigenständige Frauen, die sich für die Landwirtschaft einsetzen und Zuversicht ausstrahlen … in einer heilen harten Welt.
Zwei Bäuerinnen, mit denen ich Gespräche geführt habe, sind im Buch nicht vertreten. Sie zogen ihre Texte vor Drucklegung leider zurück. Während sich bei der einen ihr Umfeld am Schluss stark in die Texte einmischte, kamen bei der anderen, die vor zwei Jahren ihren Mann auf tragische Weise verloren hat, alle Gefühle wieder hoch. Es war ihr einfach zu viel, als sie schwarz auf weiss ihre eigene Geschichte las; sie wollte sie nicht mehr veröffentlicht sehen. Dies gilt es zu akzeptieren.
Nach all den Begegnungen mit den Frauen darf ich sagen: Schweizer Bäuerinnen haben etwas zu sagen. Und sie verdienen es, dass sie gehört werden und dass sie für ihr Engagement und ihre Arbeit Verständnis, ja Anerkennung bekommen.
Susann Bosshard-Kälin
Egg bei Einsiedeln, Anfang 2014
Berta
Berta ist 1928 geboren und lebt in Murten FR.
«Daheim helfen und zu meinen zehn Geschwistern schauen, das war für mich absolut selbstverständlich. Das habe ich nie hinterfragt. Weshalb auch? Wir Mädchen hatten keine anderen Chancen.»
Berta möchte zum Erzählen am liebsten heim auf ihren Bauernhof. Nach Franex – «ans Ende der Welt», wie ihre Geschwister sagen. Ins Französisch-Freiburgische, wo sie 56 Jahre lang mit der Familie lebte und wirkte. Bis sie vor zwei Jahren mit ihrem Mann Niklaus in die Résidence Beaulieu ins Städtchen Murten umzog. In die Seniorenresidenz, in Betreutes Wohnen, nicht ins Altersheim, wohlverstanden! 30 Kilometer Autofahrt sind es bis Murist. Ab der Dorfmitte führt eine kaum befahrene Nebenstrasse in eine einsame Hügellandschaft – vorbei an Wald, Wiesen und einer Holunderplantage. 56 Einwohner zählte der Weiler Franex im Broyetal im Jahr 1950 – fast 20 Prozent davon machte die Familie von Berta aus. Heute leben noch etwa 40 Einwohner hier. Welch ein Glück für das Paar, dass ihr Sohn Othmar das Erbe übernommen hat und mit seiner Familie da draussen auf dem Hof arbeitet und lebt!
Mein Geburtshaus ist abgebrannt, als ich vier war. Mitten in der Nacht. Mehr als Menschenleben war nicht zu retten. Unser Knecht hatte den Hof angezündet, kam uns aber rufen, sonst wären wir alle verbrannt. Das kam erst sieben Jahre später aus.
Ich bin am 27. August 1928 auf dem «Hiltihof» in Hohenrain im Luzerner Seetal auf einem einfachen Bauernhof geboren. Wir waren elf Kinder daheim – sechs Buben und fünf Mädchen –, ich bin das älteste der Mädchen. Denke ich an meine Kindheit zurück, erinnere ich mich an eiskalte Winter. Geheizt waren nur die Küche und die Stube. Ich habe unendlich viel gefroren. Wir trugen im Winter ungefütterte, genagelte Holzschuhe, die wir mit Zeitungspapier ausstopften. Hosen waren für Mädchen strikte verboten. Als die Tochter des Lehrers eines Sonntags mit Hosen in die Messe kam, schickte der Pfarrer sie schnurstracks wieder heim. Handgestrickte Strümpfe mit Gschtältli und Gummiträgern und wadenlange, handgestrickte Unterziehhosen unter dem langen Rock – das war unsere Wintergarnitur. Elektrizität hatten wir im Haus, aber natürlich noch keine Waschmaschine. Das wäre mit einer so riesigen Familie heute undenkbar. Vier-, fünfmal im Jahr kam für die grosse Wäsche, vor allem die Bettwäsche, eine Waschfrau vorbei. Die Dutzenden von Windeln kochte Mutter jahrelang jeden Tag auf dem einfachen Holzherd in einem Häfeli aus.
Kindergarten gab es keinen im Dorf – den hatte ich mit so vielen Geschwistern daheim! Mutter war eine Gschaffige, aber wegen der vielen Schwangerschaften ab und zu krank. Es kam oft vor, dass ich nicht zur Schule konnte, weil ich daheim helfen musste. So verwundert es nicht, dass ich ein Primarschuljahr wiederholen musste.
Die Schule war sowieso ein mühsames Kapitel für mich. Der Lehrer bevorzugte eindeutig die Kinder wohlhabender Eltern, und Tatzen mit Lineal und Rute gehörten zum Schulalltag.
Dann doch viel lieber daheim schaffen als die Schulbank drücken: Kühe einschirren beherrschte ich bald aus dem Effeff. Wir haben daheim mit den Kühen geackert, mit solchen, die die Kommandos gut kannten und friedlich waren. Vater liess mich bald auch sägäzän, also mit der Sense Gras schneiden. Auch vor der Stallarbeit drückte ich mich nie. Wir hatten es trotz viel Arbeit gemütlich in unserer Familie. An die Weihnachtszeit daheim habe ich besonders gute Erinnerungen. Wir Kinder verkleideten uns und führten zusammen Krippenspiele auf. Das war immer ein grosser Spass. Wie oft war ich die Maria, der Josef oder später dann ein Engel! So lehrten wir die kleinen Geschwister die Weihnachtsgeschichte. Meine drei jüngsten Geschwister sind alles Buben. Und dabei hätte ich mir doch unbedingt noch eine kleine Schwester gewünscht. So musste der Tonäli mit seinen blonden Locken als Mädchen herhalten. Wir zogen ihm Röckli an, und er liess es ohne Geschrei mit sich machen. Grossvater wohnte mit uns zusammen; er spielte Handorgel und lehrte uns tanzen.
Darüber, dass Mutter immer wieder einen dicken Bauch hatte und daraufhin wieder ein Kind bekam, redete man natürlich nicht. Sie muss auch etliche Fehlgeburten gehabt haben – ich erinnere mich, dass in der Küche einmal alles voll Blut war. Gwundrig war ich natürlich schon. Eines Tages, ich war etwa elf Jahre alt, erhaschte ich Brocken eines Gesprächs meiner Mutter mit unserem Küchenmädchen. Sie waren in der Stube, und Mutter erklärte, wie ich auf die Welt gekommen war. Ich sass atemlos und mucksmäuschenstill auf dem Kachelofen und vernahm, dass ich kopfvoran gekommen sei. Was für ein Schreck! Mir hatte Mutter doch immer erzählt, ein Engel würde Kinder durchs Fenster hereinbringen. Und nun war ich tatsächlich kopfvoran in die Stube geflogen! Ich muss völlig verdattert dagesessen haben, denn Mutter erwischte mich und ergänzte nur noch: «Ja, du bist in meinem Bauch gewachsen.» Wie ich da hineingekommen war, habe ich dann irgendwo anders erfahren!
Nach den sieben obligatorischen Primarschuljahren liebäugelte ich damit, Schneiderin zu werden. Aber ich wurde nicht gefragt, was ich möchte, es hiess nur: «Du brauchst keinen Beruf zu lernen. Du musst einfach haushalten können.» Daheim helfen und zu den zehn Geschwistern schauen, das war für mich absolut selbstverständlich. Das habe ich nie hinterfragt. Weshalb auch? Wir Mädchen hatten keine Chancen.
Mit 15 Jahren kam ich ins «Kreuz» nach Hohenrain. Der neue Wirt hatte in den Grossfamilien der Gegend nach einer billigen Arbeitskraft für seine Küche gefragt. 50 Franken bekam ich im Monat, und Kost und Logis. Vater war grosszügig: «Wenn du gut zum Geld schaust, kannst du es behalten.» Das war aussergewöhnlich. Um halb sechs Uhr stand ich jeweils auf, um die Wirtschaft zu putzen, und bis abends kam ich kaum zur Ruhe. Aber ich lernte kochen, schöne Platten und «Restbrot» machen – Teller mit Schinken, Gurken und Eiern. Die Wirtsleute übergaben mir Verantwortung, bald war ich auch für den ganzen Garten zuständig. Die drei Jahre wurden zu einer wichtigen Erfahrung für mich.
Mit 18 lernte ich im «Kreuz» meinen Mann kennen. Er war im Hof nebenan für die Pferde angestellt und musste jeden Tag mit dem Gespann am Wirtshaus vorbeifahren. Der Niklaus kam immer öfter ins «Kreuz». Der Wirt sah unsere aufkeimende Liebe mit Argwohn. Als wir einmal ein Tänzli machen wollten, verbot er meinem Freund, das Radio und den Plattenspieler anzustellen. Kurz darauf hing mitten im Dorf ein Plakat mit der Aufschrift: Radio mit Plattenspieler zu verkaufen! Gezeichnet: der Kreuz-Wirt. Niklaus musste wegen dieses Scherzes nach Hochdorf auf den Polizeiposten. Ist das nicht lächerlich!
Niklaus kommt aus Hildisrieden und ist vier Jahre und vier Tage älter als ich. Am Anfang unserer Bekanntschaft war ich noch nicht mündig. Als wir beide und meine Schwester mit ihrem Freund an einem Wochenende auf den Pilatus steigen und in einer Alphütte übernachten wollten, mahnte uns der Vater: «Ihr wisst, dass Mädchen ein Jungfernhäutchen haben. Das soll dann noch ganz sein, wenn ihr morgen heimkommt!» Auf dem Land und in den katholischen Familien wurde man streng erzogen. Niklaus und ich trafen uns nie allein. Oft sind wir nächtelang in unserer Stube auf dem Kanapee rumgehockt. Mein gwundriger kleiner Bruder versteckte sich eines Abends unter dem Sofa, um zu sehen, was seine grosse Schwester mit dem Jungen da so lange machte. Erst als ein kleines Rinnsal unter dem Sofa herauslief, entdeckten wir den Spion. Unverheiratet miteinander zu schlafen, das kam damals überhaupt nicht in Frage. Wir wussten: Das war eine Sünde. Aber wir liebten uns und wollten heiraten. Einen Heiratsantrag hat mir Niklaus nicht gemacht, und eine Aussteuer hatte ich nicht. Von meiner künftigen Schwiegermutter bekam ich die Bettwäsche, die ich lieber nicht gehabt hätte. Das Leinenzeug war steif und hart, und beim Waschen konnte ich die Tücher kaum auswringen.
Als ich zum ersten Mal zu meinen künftigen Schwiegereltern kam, hat mein Herz schon geklopft. Ich sehe es noch vor mir, wie sie und die zwölf Schwager und Schwägerinnen «in spe» mich von Kopf bis Fuss musterten. Zum Glück wusste ich nicht, dass mein Schwiegervater gesagt hatte: «Es soll mir ja keine Schwiegertochter mit Dauerwelle kommen!» Aber ich habe ihm trotzdem gefallen. «Du sollst Vater und Mutter ehren» war für Niklaus’ Familie sehr wichtig, er und alle seine Geschwister sagten den Eltern noch «Ihr». Für sie alle war klar: Wenn das nicht befolgt wird, bringts Unglück.
Bevor wir 1950 heirateten, wollte mein Mann, dass ich die Bäuerinnenschule im Kloster Fahr absolvierte. Es war nicht gerade Bedingung, aber er war der Ansicht, als verheiratete Frau müsse man eine Haushaltungsschule besucht haben. Niklaus’ Schwester Emmi war für den Sommerkurs 1949 im Kloster Fahr angemeldet, und bald hiess es, «geh doch auch gleich mit!» Das Schulgeld hätte ich mir indessen nie und nimmer leisten können. Die Priorin, Schwester Elisabeth Galliker, schenkte mir die gesamte Ausbildung. Von Juli bis Weihnachten lebte ich im Kloster Fahr, im zehnten Kurs der Bäuerinnenschule. Ich war das erste Mal richtig von zu Hause weg, hatte aber überhaupt kein Heimweh. Bei den Schwestern und den vielen neuen Kolleginnen fühlte ich mich wohl. Heim konnte ich nie, aber Niklaus kam mich ab und zu an einem Sonntagnachmittag mit dem Velo besuchen. Weil ich in der Schule 20 und damit volljährig wurde und weil seine Schwester Emmi auch immer mit dabei war, durften wir zu dritt spazieren gehen. Emmi verliebte sich während der Schule in den Knecht auf dem Klosterhof. Dass meine künftige Schwägerin nun auch einen Freund hatte, wusste lange niemand. Ich bin ab und zu beim Klostertor Wache gestanden, wenn sie sich mit ihrem Liebsten heimlich treffen wollte.
Ich hatte das Glück, im Kloster nicht im 14er-Schlafsaal, sondern in einem Viererzimmer wohnen zu dürfen. Unser Schulzimmer war im Riegelbau eingerichtet, und im kleinen Häuschen neben der St.-Anna-Kapelle assen wir. Wir kochten in der Klosterküche fürs ganze Kloster, für die Propstei, für die Schwestern, für die Angestellten und für uns – jeden Tag drei, vier verschiedene Menüs. Die Propstei bekam jeweils das beste Essen, die Schwestern das einfachste.
Wir lernten in der Schule auch Schweine füttern und die Hühnerhaltung. Jeweils eine Woche lang hatte jede von uns Dienst im Hühnerstall – inklusive Misten und Füttern der Tiere. Ich muss heute noch lachen, wenn ich daran denke, dass während dieser Arbeit die «Hühnerschwester» Ursula mit uns Schülerinnen den Rosenkranz betete. Das Metzgen der Hühner hingegen war ein grausiges Thema. Wir hassten es. Eine aus der Klasse weinte jedes Mal und musste zur Strafe etwas ins Opferkässeli geben. Wir hatten die Methode, den Hühnern den Schnabel zu öffnen und mit einer kleinen Schere die Halsader durchzuschneiden. Das sei die humanste Art, Hühner zu töten, hiess es! Auf Weihnachten hin ging es jeweils 30 Truthähnen so an den Kragen. Das Metzgen war auch für mich hart.
Die Ausbildung war damals, kurz nach dem Krieg, schon sehr gut. Ich profitierte für den Haushalt, aber auch menschlich, im Zusammenleben mit den anderen Frauen im Internat, sehr viel. Und immer wieder lernten wir, aus Wenigem etwas zu machen. Viele meiner Kolleginnen nähten sich im Fahr eine Tracht, manche die Fahrertracht mit weisser Bluse und blauem Rock. Solche Extravaganzen konnte ich mir nicht leisten. Ich stickte auf einem Leintuch eine Hohlsaumbordüre. Nach mir ging dann meine Schwester Bernadette in die Fahrer Bäuerinnenschule – und blieb im Kloster. Als Ordensschwester lebt sie dort seit 1958. So habe ich natürlich noch heute einen sehr engen Kontakt zum Fahr. Auch drei unserer Töchter haben später die dortige Bäuerinnenschule besucht.
Nach dieser gründlichen Ausbildung war ich reif für die Ehe! 14 Tage vor unserer Heirat bezogen Niklaus und ich am Hang gegen den Pilatus unser kleines Pacht-Heimetli Griäsigä in Horw. Es gab Arbeit in Hülle und Fülle. Für Flitterwochen wäre es dort oben mit Blick auf den Vierwaldstättersee, Bürgenstock und Rigi sicher schön gewesen. Aber für uns bedeutete der kleine Hof viel, viel Arbeit. Der Schüttstein in der Küche etwa war nur ein Loch, das direkt ins Güllenloch runter ging. Wirklich gefallen hat mir nur das eingebaute Bauernbuffet in der Stube. Aber wir waren jung und verliebt. Da geht fast alles. Bis zur Hochzeit am 15. Juni 1950 im Hergiswald schliefen wir selbstverständlich noch in getrennten Zimmern. Ich denke heute manchmal, wie verklemmt doch früher alles war. Aber ich bin heute noch stolz auf den schweren Verzicht.
Schon bald nach der Hochzeit war ich schwanger. Unsere ersten beiden Kinder, 1951 Niklaus, den Stammhalter, und 1952 Marianne, bekam ich dort oben am Berg. Später hatten wir in Boswil im Aargau eine Pacht auf dem Hof einer Witwe. Nach zwei Jahren und mittlerweile vier Kindern mussten wir dort auch wieder fort. In den ersten sieben Ehejahren kam jedes Jahr ein Kind. Das war unglaublich streng. Ich möchte nie mehr von vorne anfangen.
Niklaus hatte genug vom Wechsel von einer Pacht zur anderen und wollte etwas Eigenes. Wir suchten und suchten. Was uns angeboten wurde, war viel zu teuer. An Neujahr 1955 hatten wir noch kein Daheim für unsere 7-köpfige Familie, und wir wussten, dass wir im März auf der Strasse stehen würden. Mein Mann spielte mit dem Gedanken, nach Kanada auszuwandern und dort ein neues Leben zu beginnen. Aber ich sträubte mich mit Händen und Füssen. Auswandern kam für mich nicht in Frage. Meine Familie, meine Geschwister hätten mir so gefehlt. In der Bauernzeitung fanden wir schliesslich ein Heimet im Welschland zum Verkauf ausgeschrieben: im freiburgischen Franex. Zu einem Preis, der bedeutend günstiger war als in der Deutschschweiz und den wir uns leisten konnten. Niklaus schlug zu.
Ich sprach kein Wort Französisch als wir ankamen. Noch heute, nach bald 60 Jahren im Welschland, spreche ich nicht gut Französisch. Es bleibt mir einfach nicht. Für Heimweh hatte ich keine Zeit, aber im Hinterkopf hatte ich die Hoffnung: Da bleiben wir nicht ewig. Später meinte Niklaus: «Wir machen weiter, bis die Kinder raus sind.» Und schliesslich übergaben wir den Hof unserem Sohn Othmar und bauten uns ein Stöckli … in Franex!
Ja, unser Hof ist schon am Ende der Welt, wie meine Geschwister sagen. Eigentlich war es dann doch wie Auswandern für mich. Der Hof total abgelegen, ohne asphaltierte Zufahrtsstrassen, mit uralten Gebäuden, einer winzigen Küche mit gestampftem Sandboden. Im März 1955 kamen wir mit Hab und Gut an, und im Mai gebar ich unser nächstes Kind. Daheim. Ins Spital nach Estavayer-le-Lac wollte ich nicht. Ich konnte mich ja nicht verständigen. So kam die Hebamme aus dem Dorf, aber sie sprach kein Deutsch! Glücklicherweise reisten zwei meiner Schwestern an und halfen, wo sie konnten. Die Geburt ging problemlos. Ich hatte ja mittlerweile Erfahrung: Sie sollten während der Wehen ein Leintuch unter meinen Rücken rollen und einen Zuber mit warmem Wasser bereithalten, um das Neugeborene zu baden, hiess ich die Helferinnen. Dass unsere kleine Pia von der Hebamme mit jener Seife gewaschen wurde, die wir brauchten, wenn wir aus dem Stall kamen, scheint unserer Tochter nicht geschadet zu haben. Noch heute witzeln wir: Nur dank der Stallseife hast du so eine feine Haut!
Arbeit, Arbeit und nochmals Arbeit! Nicht nur im Haushalt, sondern auch auf dem Betrieb und auf den Feldern. Ich half bei den Zuckerrüben, die wir von Hand ausdünnen mussten, bei den Kartoffeln und schliesslich beim Mais, als wir mit der Rindermast anfingen. 1963 bauten wir einen neuen Stall und endlich ein neues, geräumiges Haus für unsere Familie, die immer noch grösser und grösser wurde.
In der Westschweiz gibt es wenige Familien mit so vielen Kindern. Wir waren Exoten. Empfängnisverhütung war damals noch nicht so einfach wie heute. Wir probierten es mit verzichten, Temperatur messen und den Zyklus beobachten – es brachte alles nichts. Je geschwächter ich war, umso schneller wurde ich wieder schwanger. Was war ich naiv, damals! Wenn ich merkte, dass ich wieder schwanger war, weinte ich. Als ich einem Pater mein Leid klagte, war seine Antwort: «Jedes Kind bringt Segen ins Haus.» Das sollte mein Trost sein. Vermehret euch! Die Pfarrer haben gut reden … «Lieber ein Kind auf dem Kissen als auf dem Gewissen.»
Ich war oft gestresst und überfordert. Geholfen hat mir niemand. Meine Familie war ja weit weg. Ich musste lernen, mir selber zu helfen. Ich weinte oft in meinem Leben, aber nie vor den Kindern. Mein Glück ist, dass ich eine gesunde Frau bin. Aber müde war ich trotzdem immer. Vier- oder fünfmal bekam ich von der Pro Juventute für wenige Wochen eine Familienhilfe. Einmal schenkte mir der Schweizerische Frauenbund drei Wochen Gratisferien in Gersau. Etwas erholen konnte ich mich beim Stillen. Dabei konnte ich mich hinlegen oder hinsetzen.
Elf Kinder habe ich geboren, neun leben noch. Unser sechstes Kind, der Seppli, starb mit drei Jahren an echtem Krupp. Erst mussten sie ihm einen Luftröhrenschnitt machen, und dann hatte er noch eine doppelte Lungenentzündung. Aus meinem Hochzeitskleid nähte ich für ihn das Sterbekleid. Ich hatte keine Zeit zum Trauern, hab seinen frühen Tod irgendwie überlebt. Mit der grossen Familie musste es weitergehen. Unser neuntes Kind, Alwyn, kam 1962 mit einem schweren Herzfehler auf die Welt und lebte nur dreieinhalb Monate. Er war nach seiner Geburt schon gelähmt. Diese unsicheren Monate mit dem behinderten Baby waren die schwierigsten in meinem Leben. Ich wusste nie, ob er am nächsten Morgen noch leben würde. Die beiden Buben sind auf dem Friedhof von Franex beerdigt.
Jeden Tag hatte ich elf Leute am Tisch. Nach der obligatorischen Schulzeit musste jedes der Kinder für ein Jahr zu Hause mithelfen – quasi den Knecht machen. Erst dann durften sie eine Lehre anfangen. Sie mussten auf vieles verzichten und teilen lernen. Aber das hat ihnen sicher nicht geschadet. Glücklicherweise sind alle unsere Kinder gut geraten. Und sie haben davon profitiert, dass sie zweisprachig aufgewachsen sind. Alle haben einen guten Beruf, gute Arbeit und zahlen jetzt unsere AHV. Mit den Grosskindern umfasst unsere Familie über 30 Personen.
Angefangen haben mein Mann und ich in Franex mit 16 Kühen und zehn Hektaren Land. Nach und nach gingen zwei Liegenschaften in der Umgebung ein, und Niklaus kaufte wieder Land dazu – am Schluss hatten wir 50 Hektaren mit dem Pachtland zum Bewirtschaften. Als die Kinder grösser wurden, mussten sie alle kochen lernen, denn ich war oft kurz vor zwölf noch draussen am Arbeiten mit meinem Mann. Wenigstens hatte ich keine Schwiegereltern auf dem Hof, die mich drangsalierten.
Aber es war hart, vor allem in den ersten Jahren. Die Berge habe ich grüslig vermisst. Erst nach meinem 50. Geburtstag trat ich in den Damenturnverein im nächsten Dorf ein, war während zehn Jahren und trotz Sprachschwierigkeiten sogar im Vorstand. Vorher hatte ich nie die Möglichkeit, etwas für mich zu machen. Hier draussen, weit ab vom Schuss, waren wir Selbstversorger. Wenn ich ab und zu einmal einen Grosseinkauf machen musste, fuhr ich mit dem Traktor die acht Kilometer nach Estavayer zum nächsten grossen Laden. Zu jener Zeit hatten ja wenige hier in der Gegend ein Auto, und ich fiel kaum auf. Mit 30 Jahren machte ich das Permis, den Führerschein, und so wurde vieles einfacher.
Ich war immer vollwertige Partnerin meines Mannes, aber einen Lohn bekam ich nicht. Ich hatte nie eigenes Geld. Wenn ich wieder 100 Franken zum Einkaufen brauchte, sagte mein Mann: «Schon wieder? Ich hab dir doch erst welches gegeben!»
Ich wollte einfach keine Diskussionen mehr und suchte nach einem Nebenerwerb. In einer Zeitung fand ich den Hinweis, dass Ricola Holunderblüten und verschiedene Heilpflanzen wie Schafgarben für die Zeltli-Produktion suche. So fing ich an, für Ricola kiloweise Holunderblüten von den Sträuchern in der Gegend zu sammeln, und brachte sie, grün oder getrocknet, nach Laufen ins Baselbiet. Später pflanzten wir sogar eine eigene Plantage, weitab von den Abgasen der Autobahn. Mit dem Blütengeld kaufte ich mir einen Feldstecher und einen Fotoapparat, und ich lud Niklaus sogar zu zwei Reisen nach Brasilien ein, zu unserem Sohn, der dorthin ausgewandert war. In den 30 Holunderjahren habe ich sicher für viele tausend Franken Blüten verkauft.
Ich hatte ein strenges Leben, aber ich lache gern. Ich bin eine fröhliche Natur, eine humorvolle Person und habe gelernt loszulassen. Wenn etwas zu Ende ist – tant pis! Das hat mir so vieles erleichtert. Schliesslich auch den Auszug vor zwei Jahren, weg von unserem Hof in die Seniorenresidenz nach Murten. Meinem Mann hat es fast das Herz gebrochen. Niklaus ist 89 und nicht mehr so gut zwäg. Die Folgen der Hirnhautentzündung, die er nach einem Zeckenbiss mit 80 Jahren erlitten hat, machen ihm sehr zu schaffen. Seither ist er nicht mehr der Gleiche.
Nach fast sechs Jahrzehnten nun in einer Wohnung zu leben, war schon eine Umstellung. Aber für mich ist es einfacher. Ich bin froh, einen praktischen Haushalt zu haben und wieder deutsch reden zu können. Es hat zwei, drei Frauen in der Siedlung, die kommen, umarmen mich und sagen: «Wenn wir dich nicht hätten!» Das tut mir so gut. Ich habe jetzt endlich etwas Gesellschaft und kann aus mir heraus.