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Kitabı oku: «Eva Siebeck», sayfa 12

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XIV

Sechs Wochen später. Als Schloßherrin in Großstetten waltete nunmehr die junge Gräfin Robert.

Ralph hatte ihr diese Würde übertragen: »Du mußt es lernen, hier zu regieren, Klein-Eva. Ein Betrag von monatlich Tausend Gulden wird Dir zur Verfügung gestellt, und damit mußt Du den Haushalt bestreiten. Mich betrachte als Deinen Gast.«

Eva bewohnte jetzt die Zimmerreihe im ersten Stock, welche die alte Gräfin innegehabt; Robert war im Erdgeschoß geblieben. Ihren Vorsatz, sich fortan jede intime Annäherung von Seiten des Gatten zu verbieten, hatte Eva ausgeführt. »Ich betrachte unsere Ehe als ungiltig,« hatte sie ihm erklärt. »Du hast mich geheirathet, um Deine Geliebte vor dem Zorn eines betrogenen Ehemanns zu schützen. Du hast mich weder geliebt noch begehrt, die ganze Heirath war eine große Lüge. Ich weigere mich, diese Lüge in unserem Verkehr fortzusetzen. Vor der Welt bleibt das Erlogene natürlich aufrecht, da das Gesetz uns unwiderbringlich zusammengekettet hat; da ich – Du weißt gar nicht, mit wie wenig Recht – fortan auch Siebeck heiße. Diese Lüge falle auf die Gesellschaft zurück, welche die Ehe – auch auf so falscher Grundlage – als echt betrachtet und als unlöslich aufzwingt; – zwischen uns aber will ich sie nicht walten lassen. Wir sind geschiedene Leute.«

Darauf hatte Robert mit den Achseln gezuckt und nur bemerkt: »Wie fad.« Seine Frau war ihm wirklich gleichgültig; ihre »überspannten, affektirten, pedantischen, theatralischen« (in welche Unterabtheilungen er den Hauptbegriff »fad« zerlegte) Ideen mit ihr zu erörtern: darauf hatte er sich nicht einlassen mögen. Also ließ er sie gewähren. Es war ihm sogar in mancher Hinsicht recht angenehm, daß sie ihm seine Freiheit wiedergegeben.

Zwischen Eva und Ralph war mit keinem Worte, keinem Blicke – beinah mit keinem Gedanken – mehr auf jene Dinge angespielt worden, die während des Wiener Aufenthaltes sie so mächtig bewegt hatten. Wie durch ein schweigendes Uebereinkommen war über alles an jenem Tag Geoffenbarte wieder ein dichter Schleier gefallen. Als nicht geschehen, als nicht verrathen, als nicht vorhanden behandelten sie das gegenseitig Gestandene und Enthüllte. Der wuchtige Zwischenfall, Gräfin Siebecks plötzlicher Tod, hatte im ersten Augenblick jeden andern Gedanken verscheucht, hatte die Herzenskonflikte unterbrochen, scheinbar aufgehoben. Ralph war in aufrichtigste Trauer um die geliebte Mutter versunken, Eva weihte ihm das innigste Mitgefühl. Dieses Gefühl, welches zwar eine verstärkte Liebe bedeutete, hegte sie ohne Reue und Argwohn.

Die Aufgabe, welche ihr nun zugefallen war, an der Spitze eines Haushalts zu stehen, die Herrin zu sein – mißfiel ihr nicht. Sie nahm sich der Sache sehr ernst und eifrig an; sie führte Bücher, überwachte die Vorräthe, schaltete in Speise-, Wäsche- und Silberkammer und fühlte sich jedesmal von einem gewissen Stolz durchdrungen, wenn die verschiedenen Diener Rechnungen vorlegten oder Befehle einholten. Auch das trug bei, sie von den Wirren ihres Herzens abzulenken.

Im Uebrigen war sie kaum eine Minute des Tages unbeschäftigt. Sie hatte ihre Musik mit neuem Eifer wieder aufgenommen. Doktor Hartung, der nun seine gewohnte Begleiterin Irene verloren hatte (dieselbe war nämlich einige Tage nach dem Begräbniß zu Verwandten nach Ungarn abgereist, wo sie auf unbestimmte Zeit bleiben sollte), wandte sich an Eva mit der Bitte, ihm zur Violine den Klavierpart zu spielen; sie, willigte ein und fand viel Vergnügen daran. Jeden Abend, vor dem Thee, wurde eine Stunde oder länger musizirt. Fräulein Ottilie saß arbeitend, Ralph lesend dabei. Die zwei Jünglinge und ihr Hofmeister waren gewöhnlich auch anwesend – Robert nur selten.

Zwei oder drei Vormittagsstunden pflegte Eva in Ralphs Studirzimmer zuzubringen, theils in seinen Büchern stöbernd, theils ihm bei der Fertigstellung einer Arbeit – eine Übersetzung aus dem Englischen, dessen sie kundiger war als er, – helfend. Auf Ralphs ausdrücklichen Wunsch mußte Fräulein Ottilie diesen Arbeitsstunden anwohnen. Sie saß dabei ruhig in einer anderen Ecke des großen Saals, in ihre ewige Häkelei oder Stickerei vertieft, mitunter nur irgend eine ungereimte Bemerkung fallen lassend, welche nie verfehlte, Eva – und sogar dem traurigen Ralph ein Lächeln abzugewinnen.

Die Nachbarn aus Dornegg hatten Kondolenzbesuch gemacht, doch war man weiter nicht zusammengekommen, da Liuba in ein Seebad gefahren war. Jetzt aber sollte sie bald zurückkehren, und da standen wohl häufige Besuche bevor. »Es ist mir so leid,« hatte sie beim Abschied gesagt, »daß ich gerade jetzt muß gehen aux bains de mer, wo Sie. Eva, Zerstreuung brauchen – und Sie, Graf Ralph, Aufheiterung. Aber was thun? Der Arzt befiehlt … In sechs Wochen bin ich zurück – dann sehen wir uns oft – nicht so? Dann kommt auch mein beau-frère – der wird Leben bringen in unsern Kreis. Das Erste wird sein, daß er Ihnen machen wird eine cour assidue; er ist von allen hübschen Frauen immer ganz närrisch, und die meisten Frauen sind ganz närrisch von ihm – nehmen Sie Acht!«

Die liebsten Stunden des Tages waren für Eva die in Ralphs Arbeitszimmer zugebrachten. Es ging ihr da langsam eine neue Welt auf. Das Werk, welches sie Ralph übersetzen half, war ein wissenschaftliches – gezeichnet Huxley – und die darin geoffenbarten Thatsachen eröffneten ihr – bis jetzt verschlossene – Gedankenkreise. Es war wie eine geistige Reise in ein unbekanntes, an Schönheiten und Schätzen reiches Land – und mit welch einem Führer und Gefährten! Der Inhalt des Buches gab Ralph Gelegenheit, Betrachtungen anzustellen, Bemerkungen einzuflechten, die von dem hohen Fluge seines Geistes Zeugniß gaben, und es durchrieselte Eva jedesmal wie mit einem seelischen Wohlgefühl, wenn sie an ihrem König wieder etwas zu bewundern fand.

Ja – sie betete ihn an. Aber das war ja – so schien es ihr – kein sündiges, das war vielmehr ein frommes Gefühl. Bewunderung großer moralischer Eigenschaften, beglückende Anerkennung derselben, ein liebendes Sichsonnen im Strahle höherer Vollkommenheit: das sind ja Empfindungen, die jedes Kind dem lieben Gott darbringen soll – die glühen auch in ihrem Herzen nicht als wilde Leidenschaftlichkeit, sondern als sanfte Andacht…

Während dieser Stunden überraschte sich Eva öfters bei dem Bewußtsein, daß ihr Leben voll ausgefüllt – daß sie glücklich sei. Die Ueberlegung verscheuchte zwar diesen Wahn; denn wenn ihr Robert einfiel und wenn sie sich erinnerte, daß sie an diesen, ihr jetzt so fremd, so abstoßend Gewordenen auf immer gebunden war, so mußte sie erkennen, daß ihr Schicksal nichts weniger als ein glückliches genannt zu werden verdiente. Aber was verschlug es? Solche Ueberlegung konnte man ja in den frohen Minuten verjagen – und ob begründet oder nicht, ob berechtigt oder unberechtigt, ob statthaft oder verwerflich – empfundenes Glück ist Glück. Daß überhaupt etwas Verwerfliches in ihrem Herzenszustand enthalten sein konnte – der Gedanke kam ihr gar nicht in den Sinn. Ja, es war einmal – vor längerer Zeit – ein schwüler Gewittersturm an ihnen vorbeigestrichen, wo es gefährliches Wetterleuchten gegeben; aber das war vorüber, vorüber. Der Tod, der erhaben-ernste, hat durch das Wehen seiner schwarzen Flügel alle blitztragenden Wolken zerstreut und rein, heiter und azurblau erglänzt nun wieder der Himmel ihrer gegenseitigen wunsch- und arglosen Liebe. So dachte Eva für Beide. Was in Ralphs Innern vorging, konnte sie zwar nicht wissen; denn, wie gesagt, nicht ein Wort, nicht ein Blick spielte an das Vergangene an.

»Willst Du wieder einmal eine Kahnfahrt machen, Eva?« schlug Ralph eines Nachmittags vor.

»O, sehr gern! Wann?«

»Gleich – die Tage sind schon kurz. Aber das thut nichts. Wir haben jetzt Mondschein. Kommst Du mit, Ottilie?«

»Nein – bitte mich zu entschuldigen, ich mag die Abendluft nicht und fürchte das Wasser – ich glaube immer, daß es feucht ist.«

»Diese Eigenschaft wird dem Wasser allerdings öfters zugeschrieben,« bemerkte Doktor Hartung lächelnd.

»Also schnell, Eva – wirf nur ein Tuch um Deine Schultern. Ich bin schon ungeduldig, Dich herumzurudern.«

»Ich bin bereit, König, gehen wir.«

Eva freute sich auf diese Fahrt. Seit jenem ersten Male am Tage ihrer Ankunft – war sie nicht wieder mit Ralph auf dem Wasser gewesen. Er schob ihren Arm in den seinen und führte sie hinab in den Park.

Es war ein wunderbarer lauer Septemberabend; noch war der westliche Himmel von der untergehenden Sonne geröthet und schon stand die Mondscheibe hinter den Baumwipfeln. Nachtfalter flatterten über den üppigen blühenden Reseda- und Vanillenduft ausströmenden Blumenbeeten; vom Teiche her klang der eintönige Froschchor.

Sie waren am Ufer angelangt.

»Erinnerst Du Dich, Eva,« fragte Ralph, den Kahn loskettend, »erinnerst Du Dich unserer ersten, einzigen Wasserfahrt?«

»O ja, ich habe nichts vergessen. »Doch« – verbesserte sie sich halblaut, »ich habe manches vergessen —«

»Da, stütze Dich ordentlich … so, Deinen Fuß setze hierher … da, nimm Platz … und jetzt stoßen wir ab.«

Das Wasser, dort wo der Widerschein des rothen Gewölks nicht hineinfiel, hatte schon dunkle Färbung, und auch die Bäume, bis auf einige vom scheidenden Licht erhellte Stellen, hüllten sich in schwarze Schatten.

»Du erinnerst Dich, Eva,« fing Ralph wieder an, nachdem er eine Strecke gerudert, »damals sprachen wir kein Wort; heute will ich aber Deine Stimme hören. Nun?«

»Was soll ich Dir sagen, König?«

»Beantworte mir ein paar Fragen. Bist Du nicht sehr unglücklich?«

»Nein.«

Nach einer Pause. »Auf welchem Fuße lebt Ihr jetzt, Du mit – mit Deinem Manne?«

»Wie zwei Fremde.«

»Ist das wahr?«

»Ich schwöre es. Wäre das nicht der Fall dann – allerdings – würde ich mich unglücklich fühlen. Seit ich weiß, was ich weiß, betrachte ich meine Ehe als null und nichtig.«

»Wenn er nun aber diese Anschauung mit Dir nicht theilt? – wenn es ihm einfiele, seine Gattenrechte … höre mich an. Eva. Ich habe über Deine Lage viel nachgedacht, obwohl es schien, als wäre mein Sinn nur von der Trauer um meine arme Mutter erfüllt … Ich glaube – wenn wir auch über gewisse Dinge nichts gesprochen haben – ich glaube zu lesen, was in Deinem Innern vorgeht, und ich sehe die Möglichkeit kommen, daß Du den Entschluß fassest, Dich von Robert gänzlich zu trennen. Zu solchem Entschluß muß Dir wenigstens die Ausführungsmöglichkeit gegeben sein, hierzu brauchst Du vor Allem selbstständige Mittel. Zu diesem Zweck habe ich vor einigen Tagen auf Deinen Namen eine Summe in einem Bankhaus niedergelegt, morgen erhältst Du das Checkbuch. Mit diesem in der Hand bist Du Deine eigene Frau.«

»O, König – darf ich denn solche Großmuth —«

»Still! Ueberhaupt, reden wir nicht länger von Finanzangelegenheiten, das paßt nicht zur poesievollen Stimmung, welche über diesem Bilde schwebt … Sieh, dort kommt schon der Mond hervor und spiegelt sich zitternd in dem Wasser. Macht Dich Mondschein auch so traurig, Eva – mußt Du dabei auch immer an die Gräber denken, die er bestrahlt, oder gar bedenken, daß der Mond selber eine arme kleine Sternleiche ist …«

»Nein, – nicht Trauer weckt er mir, eher Sehnsucht.«

»Wonach?«

»Nach Ruhe und Frieden.«

Er lenkte den Kahn nach jener Bucht, wo sie das erste Mal Wasserrosen gepflückt. Hier war es schon ganz dunkel. Die zu ihren Häupten sich wölbenden Aeste ließen nicht einmal das Mondlicht durch. Der Kahn blieb leise schaukelnd im Schilfe stehen. Ralph erhob sich von seinem Rudersitze und ließ sich leise neben Eva nieder. Und seinen Arm um ihre Schulter legend:

»Ist‘s nicht ruhig und friedlich hier?« fragte er.

Sie ließ ihren Kopf auf seine Achsel sinken, und in der That, das Gefühl, welches sie da erfüllte, war – gestillte Sehnsucht.

Ein paar Minuten verrannen. Unbeweglich und schweigsam blieben die Beiden – der Eine in seinen Gedanken, die Andere in ihre Gefühle versunken. Denken mochte er wohl – der Wissende, der Erfahrene; sie grübelte nicht – sie empfand nur ein unendlich süßes, warmes Wogen in der Brust; deutlich fühlte sie ihr Herz sich weiten in inniger, dankbarer, sich erwidert wissender Liebe. Hätte er sie jetzt geküßt – und sie war sich bewußt, daß sein herabgeneigter Mund, dessen Hauch ihr Stirnhaar streifte, darnach lechzte, sie zu küssen – hätte er es gethan, sie würde ohne Bangen die Liebkosungen hingenommen haben, als etwas so Selbstverständliches, wie es der Punkt nach einem Satze, der Schlußakkord nach einer Tonreihe ist. Aber er widerstand der Versuchung. Ebenso sanft, wie er sie an sich gezogen, richtete er sie jetzt wieder auf und ging auf seinen vorigen Platz zurück. Wieder plätscherten die Ruder, und der Kahn fuhr langsam aus der Bucht heraus über die mondspiegelnde Fläche hinweg zum Ufer hin.

Hier stand Doktor Hartung. Er hakelte mit seinem Stock den Nachen fest und zog ihn ans Land.

»Da sind sie endlich, die kühnen Schiffer! Ich dachte schon, die Herrschaften seien mit Mann und Maus versunken. Ach, mein lieber Ralph – das ist eine Mühe, die mich Ihre Erziehung und Ueberwachung noch immer kostet,« fuhr er fort, nachdem er der jungen Frau aussteigen geholfen und jetzt an der Seite der Beiden einherging. »In dieser Stunde und um diese Jahreszeit sich auf ein Element wagen, welches, wie Fräulein Ottilie vermuthet, bisweilen feucht ist, und bei der Finsterniß – da muß man sich ja einerseits erkälten und andererseits kompromittiren! Wenn ich Robert wäre, so würde ich —«

»Reden Sie keinen Unsinn, Hartung,« unterbrach Ralph in sehr abweisendem, auf den beabsichtigten Scherz durchaus nicht eingehendem Tone.

Eva hingegen lachte. Die Unschuld – mehr noch: die Erhabenheit des liebevollen Gefühls, von dem sie durchdrungen war, erhob ihr dasselbe über jede frivole Deutung, über jeden boshaften Verdacht.

Im Saale angelangt, wo die übrigen Familienglieder – darunter diesmal auch Robert – versammelt waren, ging Eva sogleich an das Klavier.

»Kommen Sie, Hartung, spielen wir. Ich habe mich noch selten so musikalisch aufgelegt gefühlt wie heute – und spielen wir Barcarolen, nichts als Barcarolen.«

Ralph zog sich zurück. Auch Eva blieb an diesem Abend nicht lange bei den Andern. Nachdem sie mit Hartung drei oder vier Stücke – Schifferweisen in Sechsachtel-Takt – gespielt, wünschte sie den Anwesenden gute Nacht und begab sich auf ihr Zimmer.

Die Kammerjungfer hatte sie entlassen, und jetzt saß sie, in einen weißen Schlafrock gehüllt, auf einem niedern Lehnsessel, der an der Fensternische stand. Die Rollvorhänge waren, auf ihren Befehl, nicht heruntergelassen worden; sie wollte den durch die Scheiben hereinblickenden Mond noch nicht ausgeschlossen haben. Von der Decke hing eine blaßblaue Glasampel herab, deren mildgedämftes Licht das Gemach auch mondscheinartig erhellte. Das zuletzt gespielte Gondellied tönte ihr noch im Geiste nach – zwischendurch klangen auch einzelne Worte, welche Ralph auf der Wasserfahrt gesprochen.

Da fiel ihr auf einmal das Wort Checkbuch wieder ein – daran und an den damit verbundenen Sinn hatte sie eigentlich gar nicht mehr gedacht. Ein selbstständiges Vermögen wollte ihr König geben, damit sie im Falle einer Scheidung … »Scheidung«, auch ein Wort, dessen Sinn sie jetzt näher betrachtete … Für Katholiken giebt es ja überhaupt keine Scheidung, nur Trennung, und getrennt – das war sie ja eigentlich schon —

Hier schreckte sie ein Geräusch aus ihren Gedanken heraus. Robert war in das Zimmer getreten.

Eva sprang auf:

»Du?« rief sie. »Was führt Dich hierher? Ist etwas geschehen?«

»Es braucht doch kein Erdbeben stattgefunden zu haben, damit ein Mann in das Zimmer seiner Frau komme, sollt‘ ich meinen,« entgegnete Robert achselzuckend, und er ließ sich auf einem am Fußende des Bettes stehenden Sessel nieder.

»Ich betrachte mich nicht als Deine Gattin, das weißt Du. Die Lüge, welche unserm Bund zur Grundlage gedient hat, macht ihn in meinen Augen ungültig. Ich bitte Dich daher, die Zurückgezogenheit meines Schlafgemachs zu respektiren und mich zu so später Stunde nicht zu stören.«

»Ach, wie fad! Uebrigens sei ruhig, ich bin nicht gekommen, Gattenrechte geltend zu machen, ich will etwas Geschäftliches mit Dir bereden.«

»Hätte das nicht morgen Zeit?«

»Aber weißt Du, wenn ich Dich anschau, wie Du so dastehst in dem wallenden weißen Gewand, unter dem blauen Licht – Du bist doch verteufelt hübsch … Und schließlich ist‘s doch lächerlich, daß Du mich aus diesem Zimmer hinauswerfen willst. Mit welchem anderen Rechte bist Du denn eigentlich hier als mit dem, das ich Dir gegeben, indem ich Dich geheirathet? Du sagst, diese Heirath fußt auf einer Lüge; das geb‘ ich zu – aber worauf fußt denn Dein Hiersein – im Siebeckschen Schlosse? Siehst Du, wenn ich mich stark anstrenge, kann ich auch logisch sein – nicht?«

Eva schauderte – was Robert sagte, war richtig. Lüge, – alles um sie herum – Lüge der Boden, auf dem sie stand. Dieses Zimmer – der verstorbenen Gräfin Siebeck Zimmer – mit welchem Rechte betrachtete sie sich als Herrin darin? Sie preßte beide Hände an die Stirn und ließ sich – möglichst weit von Robert – in einen Sessel fallen.

»Was war das Geschäftliche,« fragte sie, »von dem Du —«

»Ich wollte Dich ersuchen, mir ein paar hundert Gulden zu leihen. Mein Herr Vater hält mich etwas knapp und ich brauche das Sümmchen morgen; Du hast, so viel ich weiß, Wirtschaftsgeld und – kurz – sei so gut, leih‘ mir dreihundert Gulden.«

Eva athmete erleichtert auf.

»Mit Vergnügen,« sagte sie.

Sie ging an ein kleines Schreibpult und nahm eine Brieftasche heraus.

»Hier.« Sie überreichte ihm den verlangten Betrag.

Er steckte die drei Hunderter ein.

»Dank Dir, Weiberl,« und er wollte sie umarmen.

Sie aber wehrte ihn ab, indem ihr Gesicht den Ausdruck ununterdrückten Ekels annahm. Und Ekel war es auch, was sie empfand, denn bei der an sich unliebsamen Annäherung hatte sie ein widerlicher Weingeruch angeweht.

Sein Blick flammte zornig auf.

»Du! Solche Manieren möchte ich mir doch ausgebeten haben – mein Kuß ist kein Gift. Auf unserer Reise, da warst Du alle Augenblicke da mit Zärtlichthunwollen und »Robert, hast Du mich lieb?« und sonstiges fades Zeug, jetzt soll man Dich als Prinzeß »Rührmichnichtan« behandeln – das ist zu dumm.«

»Du kennst meine Gründe und hast dieselben anerkannt, glaubte ich. Da Du mich nur geheirathet, um Dorina Borovetz zu —«

»Warum ich Dich zur Frau genommen, ist schließlich egal, Du bist es, das ist die Thatsache, und nach dieser müßtest Du Dich auch richten, wenn ich wollte. Aber ich laß Dir Deine Launen und Mucken. Mir ist meine Ruh‘ viel zu lieb, als daß ich mit Dir Komödien aufführen wollt‘! Gute Nacht!«

Nachdem er fortgegangen, schob Eva den Riegel vor. Das wollte sie fortan allabendlich thun – nicht mehr solchen Ueberfällen sich aussetzen …

XV

Am folgenden Tag erhielt Eva durch die Post das angesagte Checkbuch. Der ihr zur Verfügung gestellte Betrag war ein ziemlich beträchtlicher: 40,000 Gulden – ein kleines Vermögen. Sie hielt das Ding in der Hand, erstaunt, bestürzt – was mochte Ralph nur bestimmt haben, ihr dieses Geschenk zu machen, und konnte, durfte sie es annehmen? Noch ein Gedanke stieg ihr auf, indem sie das Büchelchen betrachtete: mit diesem Besitz war sie unabhängig geworden, sie konnte nunmehr, falls sie Großstetten meiden wollte, dasselbe fliehen und sich auswärts durch das Leben schlagen; die Möglichkeit, daß ihre Existenz an Roberts Seite unerträglich werde, war nicht ausgeschlossen. Es war ihr schon öfter eingefallen: wie, wenn Ralph wieder abreiste oder gar – stürbe, wie könnte sie dann neben Robert ausharren? Ralph war ihr Stütze, Trost, Lebensmittelpunkt – vor Robert hatte sie Angst. Die Rauschszene konnte sie nicht vergessen, und seit sie wußte, daß er eines Trunkenboldes, eines Verbrechers Kind war, erschien ihr das rohe, wilde Wesen, welches er damals gezeigt hatte, als sein eigentlicher – im nüchternen Zustand nur verborgener Charakter. Ja, das edle Geschenk Ralphs war eine große Wohlthat: es ließ ihr gegen fürchterliche Möglichkeiten einen Ausweg offen. Sie verschloß das Checkbuch in ein Schreibtischfach und nahm sich vor, dem Geber – wenn sie ihn nun unten beim Frühstück sehen würde zu sagen, daß sie annehme und warum sie annehme, und wie herzlich dankbar sie ihm sei.

Ralph erschien jedoch nicht beim Frühstück. Der Herr Graf, so berichtete der Kammerdiener, war mit dem Förster in die Nachbarschaft gefahren, wo ein Wald lizitirt ward, den der Herr Graf schon lange zu erwerben wünschte.

Auch Robert war abwesend. Von diesem erfuhr Eva, daß er mit dem Frühzug nach Wien gefahren sei. »Also dazu die dreihundert Gulden«, dachte sie achselzuckend. Vielleicht war er sogar bis nach Krems gefahren, das wäre ihr vollkommen gleichgültig – eher angenehm. Die Abwesenheit Ralphs hingegen verursachte ihr eine unsäglich bange Leere. Wie froh war sie, daß er sich nur in die Nachbarschaft begeben; hätte man ihr statt dessen gemeldet, daß er nach Wien gefahren, da wäre die Besorgniß so nah gelegen, daß er wieder, wie das letzte Mal, plötzlich, ohne Abschied, sich für eine weite Reise auf den Weg gemacht. Von dem Waldlauf würde er sicherlich noch heute zurückkommen. Schade nur um die angenehme Arbeitsstunde im Theaterflügel …

Der Tag wurde Eva lang. Keine Beschäftigung vermochte ihre Aufmerksamkeit zu fesseln. So beschloß sie, in den Garten hinabzugehen – es zog sie zu dem Teiche hin. Doch, als sie aus dem Schlosse heraustrat, sah sie einen Wagen durch das Parkgitterthor hereinrollen – die Dürenbergsche Equipage.

»Wie fad!« konnte sie sich nicht enthalten, mit Roberts Lieblingswort im Geiste auszurufen. Vermuthlich das alte fürstliche Paar selber, und sie war so gar nicht aufgelegt, einen Ceremonienbesuch anzunehmen – sie hätte so gern am Teichesrand nachgedacht über gestern – an die schöne Fahrt zurückgedacht. Aber was half‘s? Sie war die Hausfrau. Ihre Pflicht war es, die Gäste mit geheuchelter Freude zu empfangen. Sie blieb vor dem Thore stehen und in der nächsten Sekunde hielt der Wagen an.

Heraus stiegen Liuba und – ein junger Mann. Erstere fiel Eva stürmisch um den Hals:

»O wie ich froh, wie ich froh! Jetzt müssen wir oft, oft uns sehen – alle Tage! … Hier habe ich Ihnen geführt meinen Schwager, der Bruder von feu, mein Mann —«

Der Vorgestellte verneigte sich, und Eva reichte ihm die Hand.

»Sehr erfreut, Graf Dürenberg.«

Dann führte sie die Gäste in den Saal hinauf.

Auf der Stiege legte Liuba ihren Arm um Evas Taille und flüsterte ihr Mittheilungen über ihren Schwager Adolf zu, der, einige Stufen zurück – außer Gehörweite – den Damen nachging.

»Er ist so gefährlich, chère, Sie müssen Ihr Herz zurückhalten mit zwei Händen. In Wien und überall machte er victimes.«

»So sind Sie wohl selbst in ihn verliebt?« fragte Eva lächelnd.

Liuba schüttelte den Kopf.

»Nein – ich betrachte ihn als Bruder – denn lieb‘ ich einen Anderen.«

Im Saale angelangt, nachdem sie ihren Gästen Sitze angewiesen, konnte Eva erst den so gefährlichen Grafen betrachten, was sie, nach allem was sie über ihn gehört, nicht ohne Neugierde that.

Adolf Dürenberg war in der That eine äußerst einnehmende Erscheinung. Sehr hoch und ebenmäßig gewachsen, achtundzwanzig Jahre, feiner lichtblonder Schnurrbart, etwas dunklere dichte Haare, lachende blaue Augen, wunderschöne Zähne; dabei in Kleidung, Haltung und Sprachweise tadellos vornehm.

»Wie lange gedenken Sie sich in Dornegg aufzuhalten?« leitete Eva das Gespräch ein.

Dürenberg antwortete, daß er gewöhnlich so lange bleibe, als die Dornegger Jagden währen – ungefähr vier Wochen. Und in diesem banalen Tone ging es eine Zeitlang fort, doch was die Beiden dabei beschäftigte, war, weit mehr als der Inhalt der ausgetauschten Phrasen, gegenseitige Beobachtung. Denn auch Dürenberg war auf Eva neugierig gemacht worden; Liuba hatte sie ihm als große Schönheit geschildert – und er war in seinen Erwartungen nicht enttäuscht.

»Wie schade,« fiel Liuba ein, »daß Sie sind in Trauer. Während der Jagdsaison ist Dornegg so lustig – da wird Theater gespielt, getanzt – und auch Ihr beau-père wird uns sehr fehlen. Wo ist er denn, der Graf Siebeck? … Lassen wir ihm doch sagen, daß wir sind gekommen —«

»Mein Schwieg —« Eva brachte das Wort nicht über die Lippen – »er ist nicht zu Hause – schon früh Morgens zu einer Waldversteigerung gefahren.«

»O, wie schade! Wir wollten ihn entführen und Sie auch, Gräfin und Ihren Mann —«

»Mein M —«, auch das war ihr unangenehm auszusprechen, »Robert ist nach Wien.«

»So sind Sie ganz allein? Dann entführen wir Sie ganz allein. Nicht so, Adolf?«

»Das unterliegt gar keiner Frage.«

»Ich verstehe nicht —« sagte Eva.

»Sie fahren mit uns nach Dornegg zurück,« entschied Liuba. »Sie bleiben uns zum Diner. Wir sind noch à peu près en famille« – davon müssen wir profitiren. Morgen kommt schon die erste Serie Eingeladene und da ist‘s für Euch Andere – mit Eurer Trauer – nicht mehr möglich. Allons! Kommen Sie? Oder besser: Kommst Du? So langweilig, das »Sie« – nicht so?«

Eva drückte der Andern die Hand:

»Sehr gern – wie Du willst …«

Liuba sprang auf:

»Also schnell – nimm einen Hut und imperméable und komm.

Graf Adolf schloß sich dem Zureden seiner Schwägerin an und Eva willigte ein. Ralph würde doch nicht vor Abends nach Hause kommen … und übrigens wäre es schwer gewesen, der leidenschaftlichen Liuba Widerstand zu leisten. Zudem versprach sie sich von dem Ausflug Vergnügen.

Zehn Minuten später stieg Eva mit ihren Besuchern in den Dürenbergschen Wagen und befahl, daß ein Großstettner Wagen sie um acht Uhr Abends von Dornegg abholen solle – Liubas Vorschlag, dort zu übernachten, hatte sie dennoch abzulehnen den Muth gefunden. Ihre Sehnsucht war zu groß, heute noch König wiederzusehen.

Graf Adolf saß auf dem Rücksitz. Eva gegenüber. Er sprach viel und amüsant – es gewährte Eva Vergnügen, ihm zuzuhören. Um so mehr Vergnügen, als sie mit dem untrügerischen Instinkt, welcher in diesen Dingen den meisten Frauen eigen ist, recht gut fühlte, daß der glänzende junge Aristokrat sich Mühe gab, ihr zu gefallen – und deshalb sich Mühe gab, weil sie ihm lebhaft gefiel.

Liuba ihrerseits erzählte von ihrer eben durchgemachten Badesaison in Ostende und aus ihren Berichten funkelte es von Glanz und Lustbarkeiten. Es schien, als ob das berühmte Seebad diesmal der Sammelplatz des europäischen Hochlebens gewesen wäre – die Namen, mit welchen Liuba um sich warf, die klirrten nur so von Kronen und Millionen! Orléans – Norfolk – Rothschild – Arenberg – Doria —; und russische Großfürsten, schwedische Prinzen, deutsche Herzoge, indische Nabobs; und Alles badend, reitend, tanzend, »flirtend«. Besonders letzteres schien – in Liubas Auffassung – die angelegentlichste Beschäftigung der Ostender Saisongäste und der »Gesellschaft« im Allgemeinen zu sein: Jener hat Dieser die Cour gemacht: – und Dieser und Jene » se sont quittés«; und der Graf X. machte Narrheiten für die Marquise Z; und die Prinzessin L. wird sich scheiden lassen, um ihren Geliebten, den Fürsten N., zu heirathen – und so ins Unendliche.

Eva lauschte mit Interesse. Seit jeher, d. h. seit ihrer ersten Jugend, als sie mit ihrem Vater klassische Dramen und mit ihrer Mutter moderne Romane gelesen, war eine große Lebensneugierde, ein unersättliches Erfahrenwollen um das Weltgetriebe in ihr rege geworden, und es machte auf sie den Eindruck eines Stückchens Wirklichkeitsromans, was Liuba da unter ihrem übersprudelnden Geschnatter durchschauen ließ. Die Erzählerin selber, in ihrer Pariser Toilette, die den unnachahmlichen Stempel der großen Modeschneider trug, mit ihrer lebhaften, fremdartigen, dabei aber durch und durch » grande dame«-mäßigen Sprechweise – gab die nicht ein lebendiges Romanfigürchen ab? und der erlauchte, korrekte, wunderhübsche junge Weltmann ihr gegenüber, war der nicht auch eine typische Gestalt aus der rauschenden Festkomödie der oberen Zehntausend? Und sie schließlich, die dreiundzwanzigjährige Gräfin Siebeck, mit Schönheit und Geist – dessen war sie sich bewußt – nicht gerade stiefmütterlich ausgestattet, durch Verwandtschaft und Nachbarschaft mit diesen Großen auf gleichen Fuß gestellt, schlecht verheirathet, von ihrem Manne beinahe freigegeben – stand ihr nicht auch die Möglichkeit offen, sich in diesen Strudel zu werfen, alle die Herrlichkeiten mitzumachen: tanzen, reiten, kokettiren, Romanheldin spielen? Der gegenüber wäre gleich Einer – man sieht das Begehren darnach schon bei dieser ersten Begegnung in seinen Augen leuchten – wäre wohl gleich Einer, der sie – in dankbarer Huldigung – mit den so toll zu Kopfe steigenden Freuden eines verbotenen Liebeshandels bekannt machen wollte …?«

Ein Schauer durchrieselte sie bei diesem Gedanken; aber kein Schauer der Begehrlichkeit, sondern des Abscheues. Unwillkürlich griff sie nach der Kapsel an ihrer Uhr. Da lagen die Talismanworte: »Dank und Verehrung«. Das war ja ihr stolzester Besitz – Königs Achtung – den würde sie nimmermehr verwirken. Und sehnend, Beruhigung suchend flüchteten ihre Gedanken wieder zu Ralphs theurem Bilde. Wie war der doch ganz anders als diese Weltpuppe … wie viel höher sein Geist, gerader sein Sinn, wärmer sein Herz?

In Dornegg angekommen, führte Liuba ihre neue Dutzschwester vorerst auf ihre Zimmer. Bis zum Diner waren noch beinahe zwei Stunden, da konnte man, ehe man in den Salon ging, noch einige Zeit verplaudern und verrauchen.

Evas Eintritt wurde wieder mit dem Bellen, Kläffen und Kreischen von Liubas Menagerie begrüßt.

»Schweigt, schweigt, meine Seelchen … Ach – Du machst Dir nicht Idee, ma chère – setz Dich, so daher – sch – sch – mais taisez-vous donc, monstres! – Du machst Dir nicht Idee, wie sehr meine Lieblinge mir gefehlt haben. Tresor und Darling waren bei mir, aber Galubka, meine Gold-Galubka hab‘ ich müssen hier lassen.«

»Müssen? warum denn?« fragte Eva, um dieser in so traurigem Tone vorgebrachten Mittheilung gegenüber nicht ganz fühllos zu scheinen.

»Weil mein Kleiner närrisch ist in sie – und auch sie, Galubka, kann nicht leben ohne Sergei Gugowitsch.«

»Ah so, Dein Sohn war hier geblieben? Und den hast Du nicht vermißt?«

»O nein, Kinder auf Reisen und aux eaux sind eine große Plage. Uebrigens – die Großeltern lassen ihn nie fort – ich bin gewohnt, ihn nur zu sehen, wenn ich hier bin, in Dornegg. Was thun?«

Yaş sınırı:
12+
Litres'teki yayın tarihi:
30 ağustos 2016
Hacim:
280 s. 1 illüstrasyon
Telif hakkı:
Public Domain
Metin
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