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Kitabı oku: «Eva Siebeck», sayfa 16

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XIX

Als Eva wieder zu sich kam, lag sie angekleidet auf ihrem Bette. An der Seite desselben standen Fräulein Ottilie und Netti, die Kammerjungfer. Nach einigen Sekunden erwachte in ihrem Geiste die Erinnerung an das Geschehene. Doch sie zitterte, eine Frage zu stellen über das, was seit dem Augenblick vorgefallen, da sie auf den Teppich des Nebenzimmers ohnmächtig hingesunken war.

Fräulein von Otterfeld und Netti hatten bemerkt, daß Eva die Augen geöffnet, und ungefragt gaben sie Auskunft. Aus dem, was sie sagten, ging hervor, daß vor fünf Minuten Graf Ralph die Jungfer gerufen hatte, um mit ihrer Hilfe die ohnmächtige Eva auf ihr Bett zubringen. Dann habe der Graf Ottilie bitten lassen, und jetzt sei er fortgegangen, Doktor Söller zu holen. Nunmehr wußte Eva, was seit dem Augenblick geschehen, da man sie in ihrer Ohnmacht gefunden hatte – aber wie lange sie in diesem Zustand gelegen, was unterdessen zwischen den beiden Männern sich abgespielt – das wußte sie noch nicht.

Ralph und Doktor Söller traten herein.

»Ah!« rief Siebeck, »sie ist zu sich gekommen … Wie ist Dir, Kind?«

Sie nickte nur.

Der Doktor beugte sich über sie.

»Die junge Gräfin ist sehr angegriffen,« sagte er. »Sie hat einen heftigen Schreck erlitten. Was sie jetzt braucht, ist die allergrößte Ruh. Kein Reden, keine Fragen … ich werde ihr eine opiumhaltige Arznei geben, – sie muß schlafen. Etwaige Explikationen müssen auf morgen bleiben.«

Eva fügte sich diesem Gebot. Da sie Ralph gesehen, war sie beruhigt; um Robert wollte sie gar nicht fragen.

Die beiden Männer entfernten sich wieder. Auch Ottilie, da die Speiseglocke erschallte (trotz aller Dramen geht die Haushaltsmaschine ihren Gang), verließ das Zimmer. Netti entkleidete ihre Herrin und brachte sie zu Bette. Doktor Söller schickte die aus seiner Hausapotheke bereitete Medizin, und dieselbe bewirkte, daß die junge Frau, nachdem sie noch einen Teller Suppe genommen, sehr bald in einen tiefen, wohlthätigen Schlaf verfiel – so fest, daß sie nicht einmal hörte, wie Ottilie zurückkam und (auf Ralphs Wunsch) ihr Nachtlager auf dem Divan aufschlug.

Am folgenden Morgen – Eva war vollkommen gesund erwacht und jetzt schon seit einer Stunde aufgestanden – ließ sich Ralph bei ihr melden. Ottilie, welche mit der jungen Frau gefrühstückt hatte, saß noch immer da. Von dieser hatte Eva über die Ereignisse des gestrigen Abends nicht viel erfahren; denn sie wußte selber nichts. An dem Diner hatten sämmtliche Hausgenossen theilgenommen … aber Vater und Sohn hatten beinahe gar nichts gegessen und Keiner ein Wort gesprochen. Nach dem Diner war sie gleich wieder in Evas Zimmer gekommen – daß irgend ein Verdruß stattgefunden haben mußte, war klar – sie hatte aber keine Idee, worüber …

»Wie ich gehört, bist Du vollkommen hergestellt,« sagte Ralph. »Das freut mich. Freut mich um so mehr«, fügte er hinzu, »als die Ausführung meines Planes keinen Aufschub zu erleiden braucht.«

Eva blickte überrascht auf. In Ralphs Ton lag eine große Entschiedenheit und – wie ihr schien – eine unerklärliche Kälte. Hatte sie denn nur geträumt, daß sie ihm gestern ans Herz gesunken, und daß er ihr mit ungezählten Küssen deutlich gesagt, daß sie sein Alles sei?

»Mein Plan ist nämlich dieser,« fuhr er fort: »Wir fahren mit dem nächsten Zug nach Wien.« Eisig und heiß zugleich überlief sie ein süßer Schreck. »Wir – das heißt Du, Ottilie, Deine Kammerjungfer, Doktor Söller und ich. Deine Tante Rosa Koloman ist gegenwärtig in Wien, sagtest Du mir neulich?«

»Ja,« antwortete Eva. »Ich soll doch nicht? …«

»Der nächste Zug geht um 11 Uhr; Du hast gerade noch Zeit, Deine Vorbereitungen zu treffen. Zum Erklären und Erörtern ist keine Zeit. Willst Du mir vertrauen? Rückhaltslos? … Ich habe Alles überlegt, glaube mir, und der Weg, auf den ich Dich weisen will, ist der beste – der einzige vielmehr – den wir einschlagen können.«

»Ich unterwerfe mich, König. – Was habe ich zu thun?«

»Deiner Kammerjungfer anzugeben, was sie – für einen mehrwöchentlichen Aufenthalt – von Deinen Sachen einzupacken hat. Daß sie Dich begleiten muß, habe ich mit ihr schon in Ordnung gebracht … Vergiß nicht, Deine Pretiosen und das Checkbuch mitzunehmen … Und von Dir, Ottilie, erbitte ich den Freundschaftsdienst, mit uns zu fahren. Du brauchst kein Gepäck, da Du heute Abend wieder nach Großstetten zurück kannst.«

Um ihr Leben gern hätte Eva ein paar Fragen gestellt, über den Zweck der bevorstehenden Reise, über den Verlauf des gestrigen Auftritts mit Robert; aber es lag etwas in Ralphs Gesichtsausdruck und in seiner ganzen Art, welches verrieth, daß er jede Erklärung vermeiden wollte, daß es ihm unerwünscht – und wohl auch unnütz wäre, wenn sie ihn ausforschte. Was er verlangte, war Vertrauen, rückhaltloses Vertrauen, und das konnte sie ihm nicht besser zeigen, als indem sie jede Frage zurückdrängte und einfach seinem Wink sich fügte.

Ottilie stand auf.

»Gern will ich Dir diese kleine Gefälligkeit erweisen, Ralph —« sagte sie; »ich will jetzt gehen, mich bereit machen.«

Wieder fühlte Eva eine Beklemmung, einen heftigeren Herzschlag; sie würde mit Ralph allein bleiben. Aber das traf nicht zu. Er ging mit Ottilie sogleich zur Thür. Im Vorübergehen zog er an der Glockenschnur.

»In einer Stunde wird angespannt sein, Eva!« sagt er noch auf der Schwelle, wo er sich mit der eintretenden Netti kreuzte.

Eva gab die nöthigen Befehle und machte sich reisefertig. Auch dafür sorgte sie, daß Nero einer liebevollen Pflege übergeben werde.

Die bevorstehende Abfahrt war ihr eigentlich willkommen; galt es doch »fort von Robert«. Das Benehmen Ralphs blieb ihr zwar unerklärlich; aber dessen konnte sie ja sicher sein: was er verfügte, das war das Beste, »vielmehr das Einzige«, was zu thun erübrigte.

Man fuhr in zwei Wagen zur Bahn. In dem einen Ottilie, Eva und die Kammerjungfer; im andern Ralph mit Doktor Söller.

An der Station besorgte Ralph die Plätze. er half den zwei Damen in ein Kupee erster Klasse, stieg aber selber mit Doktor Söller in einen anderen Wagen. Offenbar: er vermied die Gelegenheit, mit Eva zu sprechen. In Wien wurden gleichfalls zwei Fiaker genommen, um nahe dem Hotel Munsch zu fahren. Hier führte Ralph Eva und Ottilie bis zu ihrem Zimmer; er trat jedoch nicht ein.

»Also in der Jägerzeil Nummer 25 wohnt Deine Tante Koloman?« fragte er vor der Thür.

»Ja, im zweiten Stock.«

»Ich bitte Euch, einstweilen hier zu bleiben, bis ich komme.« Und er entfernte sich.

Das Zimmer, welches den Damen angewiesen worden, war dasselbe, welches Eva während ihres letzten Aufenthaltes inne gehabt. Welche Erinnerungen! Sie setzte sich in den Lehnsessel, neben dem König dazumal ihr zu Füßen gekniet, und jener ganze Auftritt stieg vor ihrem Gedächtnis auf.

Fräulein Ottilie indessen, welche keinen solchen Reminiszenzen sich hingeben konnte, und welcher diese sämmtlichen geheimnißvollen Vorgänge schon unheimlich zu werden begannen, machte jetzt ihrem Mißmuth Luft. Sie warf Hut und Mantel ab und setzte sich Eva gegenüber.

»Ich möchte doch gern wissen, wer eigentlich gestern in Großstetten verrückt geworden ist – Dein Schwiegervater, Dein Mann oder Du? Ohnmacht, Nachtwachen, Schweigen, Geheimthuerei, trübe Gesichter, starre Blicke – was soll das alles heißen? Vermuthlich hast Du mit Robert Streit gehabt – und ich glaube, Ralph ist auf Dich böse und will Dich zu Deiner Tante Rosa zurückschicken … Wäre es nicht das Einfachste, Du schriebst Deinem Mann – und bittest ihn um Verzeihung? Es ist nicht leicht, mit ihm zu leben, das gebe ich zu … er hat mich immer – schon als kleiner Bub – furchtbar sekkirt – aber schließlich: er ist doch Dein Mann – das Nachgeben und Dulden ist an der Frau. Findest Du nicht auch?«

»Was?« Eva hatte nichts gehört.

Es verging eine Stunde. Da wurden zwei Briefe überbracht, der eine an Ottilie, der andere an Eva. Beide von Ralph. Was konnte er nur schreiben? Mit Bangen zerriß Eva den Umschlag und las:

»Bis hierher, Evinka, hast Du Dich fraglos meinem Willen gefügt – ich danke Dir dafür. Du mußt in dieser Richtung noch einige Zeit ausharren – ich bitte Dich darum.

Ich bin bei Deiner Tante Rosa gewesen. Ich habe ihr gesagt, was ich zu sagen für nothwendig fand, und darauf hin bietet sie Dir Aufnahme in ihrem Hause. Sie wird mit Dir über die Angelegenheit, die Deiner Abfahrt von Großstetten zu Grunde liegt, nicht sprechen – bewahre Du das gleiche Schweigen. Gräfin Koloman beabsichtigt, nächster Tage von Wien abzureisen. Du begleitest sie, natürlich. Daß ich nicht persönlich von Dir mich verabschiede – dafür habe ich meine Gründe. In einer halben Stunde wird Deine Tante selber zu Munsch kommen, Dich abzuholen. Deine Jungfer nimm mit. Ottilie, der ich gleichzeitig schreibe, wird, wie verabredet, wieder zurückfahren. Schreibe mir nicht. Schreibe Niemandem nach Großstetten.

Geduld und Vertrauen!

Ralph Siebeck.«

Eva hatte den Brief kaum gelesen und wieder gelesen, als der Kellner die Thür öffnete, um eine Dame einzulassen:

»Tante Rosa!«

»Ja, ich – liebes Herz. Ich komme, Dich abzuholen. Mein Wagen steht unten. Du weißt doch —«

»Ich weiß Alles – oder vielmehr, ich weiß nichts.« Dann, sich an Fräulein Otterfeld wendend: »Liebe Ottilie, eine Verwandte —« stellte sie in Parenthese vor – »ich gehe auf einige Zeit zu meiner Tante – Gräfin Koloman – und Du? —«

»Ich? Ich habe die Weisung erhalten —« sie zeigte auf den in ihren Händen befindlichen Brief – »wenn Du fort bist, die Hotelrechnung – die nicht bedeutend sein wird, da wir nicht einmal ein Glas Wasser genommen – in Ordnung zu bringen und dann wieder nach Haus zu reisen. Eine hübsche Vergnügungsfahrt, das muß man sagen.«

»Liebe Tante,« sagte Eva, »ich bin bereit.« Sie hatte den Wunsch, die erhaltenen Weisungen so widerstandslos und so schnell als möglich auszuführen. »Adieu, Ottilie. Habe auch die Güte, zu besorgen, daß Netti – mit dem Gepäck – mir nachfolge. Hier die Adresse meiner Tante.« Sie schrieb dieselbe auf einen Zettel. »So, und jetzt laß uns gehen, Tante Rosa.«

Als die beiden Frauen im Wagen saßen:

»Ich bitte Dich, Eva,« begann die alte Gräfin, »frage mich nicht aus. Ich habe Deinem Schwiegervater versprechen müssen, daß ich—«

»Sei ganz ruhig, ich werde keinerlei Frage stellen – erbitte mir aber ein Gleiches von Dir.«

»Das wird schon schwerer sein, denn ich bin sehr neugierig, manches zu erfahren; aber auch das habe ich versprochen – ich werde Dich nicht ausforschen. Ein sonderbares Schicksal, das Deine … Aber sprechen wir nicht davon, reden wir lieber von etwas Anderem. —«

»Wenn Du gestattest, Tante, reden wir vorläufig gar nicht. Ich fühle etwas, das mir die Kehle zuschnürt – wenn Du nicht willst, daß ich in Thränen ausbreche, so laß uns schweigen.«

»Wie Du willst, liebes Kind. Ich begreife und respektire Deinen Kummer.«

Eva erhielt dasselbe Zimmer, in welchem sie als Mädchen gewohnt, dasselbe, in welchem sie – vor einigen Monaten erst – ihre Hochzeitskleider angelegt. Wie ein Traum lag es hinter ihr, daß sie in diesen Räumen die Brautzeit zugebracht, von der Zukunft so Wunderbares und Frohes erwartend; und noch traumhafter jene sogenannten Flitterwochen, jener Aufenthalt in Italien und die erste Ankunft in Großstetten – das Kennenlernen so viel neuer Dinge der Außenwelt und das allmälige Kennenlernen des eigenen Gatten, die erst langsam, dann immer schneller gewonnene Einsicht, daß sie »unglücklich verheirathet« sei. Traum auch das dämmernde Verlieben in Ralph – die mit dem eigenen Herzen bestandenen Kämpfe; – Traum Dornegg und seine Einwohner. – Das einzig Wirkliche, Gegenwärtige mit vollem Bewußtsein Empfundene, das war ihre seit gestern zu verzehrender Flamme aufgeloderte Liebe. Und jetzt war sie aus dieser leidenschaftlich erfaßten Wirklichkeit wieder in eine Art unverständlicher Traumexistenz zurückgeworfen; denn was bedeutete diese von Ralph veranstaltete Trennung, sein ganzes geheimnißvolles Planen und Vorgehen, sein Vermeiden einer gegenseitigen Aussprache? Das Beste war, sich jetzt darüber nicht den Kopf zermartern: »Geduld und Vertrauen,« das war ja alles, was er von ihr verlangte, und wenn auch die Geduld etwas schwer war, das Vertrauen war leicht. Eine Hauptsache ergab sich doch als Gewinn – nämlich die Trennung von Robert. Hier war sie aus seinem Bereich; sicherlich hatte Ralph ihre Tante unterrichtet, daß die unselige Ehe getrennt werden müsse. Wenigstens ging aus dem Benehmen der alten Gräfin hervor, daß sie eine Weisung erhalten und nach derselben sich richtete.

Noch am selben Abend eröffnete Gräfin Koloman ihrer Nichte, daß sie in zwei oder drei Tagen – sobald die nöthigsten Vorbereitungen und Einkäufe erledigt sein würden – von Wien abreisen wolle.

»Du kommst natürlich mit,« beschloß sie diese Mittheilung.

»Natürlich,« erwiderte Eva.

»Die Hauptsache ist, daß Dein Mann nicht wisse, wohin wir uns begeben.«

»So ist es. – Und wohin begeben wir uns?«

»Nach Nizza. Es ist zwar noch nicht die Jahreszeit für die Riviera – aber desto besser…wir werden desto billiger und ungenirter leben. Ich habe schon lange die Sehnsucht, jene Gegenden kennen zu lernen, und einmal in Monte Carlo mein Glück bei der Roulette zu versuchen. Mir ist diese Gelegenheit sehr willkommen. Morgen also heißt es, die nöthigsten Reisesachen einkaufen, um so schnell als möglich abfahren zu können. Dein Schwiegervater sagte mir, Du seist genügend mit Geld versorgt.«

»In der That, ja. Brauchst Du etwas?« »Für mich nicht. Aber die Kosten der Reise und des Aufenthalts für Dich und Deine Jungfer, die übernimmst Du?«

»Selbstverständlich.«

»Sag‘ mir, Eva,« fragte die Gräfin unvermittelt, »bist Du sehr unglücklich?«

Die junge Frau schüttelte verneinend den Kopf.

»Jetzt nicht.« sagte sie.

Und in der That, sie fühlte sich nicht unglücklich. In ihrem Innern ruhte das Bewußtsein einer großen Bereicherung. Ihr war zu Muthe, wie Einem, der eben einen Treffer gemacht, dessen Betrag ihm zwar noch nicht ausgezahlt, aber zugesichert ist. Dieser freudige Besitz bestand in ihrer seit gestern zu so unbestrittener Herrschaft gelangten Liebe. Sie brauchte nur die Augen schließen und an jenen Augenblick zurückdenken, wo sie von Ralphs Lippen den ersten seelenaustauschenden Kuß erhalten, und ein unsäglich seliges Gefühl schwellte ihr Herz. Ein Gefühl, wie sie es im Leben nicht nur nie gekannt, sondern nie geahnt hatte, gegen welches ihre einstige Schwärmerei für Robert verschwand, wie ein Nachtlämpchen vor einem Sonnenstrahl, Das Schwelgen in dieser Erinnerung, das Untertauchen, sozusagen, in die Fluth der eigenen überströmenden Zärtlichkeit, das genügte, die Gegenwart auszufüllen – und für die Zukunft? Je nun, da hieß die Losung: Geduld und Vertrauen.

Zwei Tage später fand die Abreise statt. Das Reiseziel war Nizza, doch wurde auf einigen Zwischenstationen in Venedig, Mailand, Genua – Aufenthalt genommen. Die Gräfin Koloman benutzte diese mehrtägigen Reiseunterbrechungen zu gewissenhafter, vom »Bädecker« geleiteten Erledigung aller sogenannten Sehenswürdigkeiten, und ließ sich dabei von Eva begleiten, welche mit der größten Gleichgiltigkeit Alles that und Alles unterließ, wie es von ihr gefordert ward. Ihre Gedanken, ihr ganzer Sinn war so sehr mit dem Bilde Ralphs gefüllt, daß sie für die ganze Außenwelt theilnamslos blieb. Sie durchschritt die Museen und die Kirchen, sie setzte sich an die Table d‘hôte, sie ging ins Theater, sie schaute in die am Waggonfenster vorbeieilenden Gegenden, sie sprach mit der Tante und mit Fremden von allerlei Dingen – doch ihre Seele war nicht dabei.

XX

Etwas mehr als drei Monate waren vergangen.

Eva hatte verstanden: es war Alles vorbei!

Die ganzen drei Monate keine Nachricht, kein Lebenszeichen – allmälig war ihr die Vermuthung. und jetzt schon die Sicherheit gekommen: was Ralph bezweckt und erreicht hatte, war – Losreißung.

So wie damals, als er ohne Abschied davongefahren, um weit fort zu fliehen – von den Gefahren einer verderbendrohenden Liebe weg – so hatte er auch jetzt dasselbe Mittel angewendet: Entfernung, Trennung. Zugleich, indem er sie in die Hut der Tante gegeben, hatte er sie von der verhaßten Nähe Roberts befreit und von seiner eigenen geliebten Nähe bewahrt. Und damit diese Verfügung ihr nicht zu weh thue, damit sie nicht etwa in thörichter Leidenschaft sich widersetze, hatte er vermieden, ihr einen plötzlichen Abschiedsschmerz zu bereiten, und Alles so geheimnißvoll eingeleitet … Sollte sie ihm einmal den Vorwurf machen, daß er sie mit den Worten »Geduld und Vertrauen« fälschlich vertröstet, so konnte er sich dahin rechtfertigen, daß er ihres Vertrauens nicht besser sich würdig zeigen konnte, als indem er ihre Frauenehre vor der Klippe bewahrte, welche ihre beiderseitige Liebe ja war… Wie war das Alles so zart, so charakterfest, so – grausam!

Mit letzterem Worte schloß Eva diese Kette von Muthmaßungen ab. Grausam – denn sie litt unsäglich. Diese langsam ersterbende, diese jetzt erstorbene Hoffnung, den Einziggeliebten wiederzusehen – die zerriß ihr das Herz. Von Tag zu Tag war sie stiller, teilnahmsloser, trauriger geworden. Ihre Wangen verloren die blühende Frische, ihr Blick wurde trüber, ihr Gang müde und schleppend; ein nervöses Hüsteln befiel sie; alle Eßlust war verschwunden, die Nächte brachten nur unruhigen und ungenügenden Schlaf. In der Einsamkeit ihres Zimmers gab sie sich oft der Genugthuung hin, zu weinen – bitterlich und lang zu weinen. Wenn sie mit ihrer Tante oder unter fremden Leuten war, so verbarg sie ihren Kummer; dieser war das Einzige, was sie noch mit dem Gegenstände ihrer Liebe verband, und war ihr ein Heiligthum, das sie eifersüchtig vor jedem profanirenden Mitwisser hütete. Dennoch konnte der Gräfin Koloman die gedrückte Stimmung und die abnehmende Gesundheit ihrer Nichte nicht entgehen. Da sie jedoch eine ziemlich kalte und selbstsüchtige Natur war, so nahm sie sich Evas Zustand nicht weiter zu Herzen; sie gab sich keine Mühe, die Ursache dieser Melancholie zu ergründen und vermied es auch, dem Grafen Siebeck darüber zu schreiben; denn ihr war die Existenz an der Riviera unter den gegebenen Verhältnissen eine sehr angenehme, und es wäre ihr im höchsten Grad unlieb gewesen, dieselbe abgebrochen zu sehen. Die von Eva beigesteuerten Beträge genügten reichlich, um die sämmtlichen Kosten des Aufenthalts zu decken und diesen auf das Bequemste zu gestalten.

Zwei oder dreimal wöchentlich ward ein Wagen genommen, mit welchem Gräfin Koloman mit oder ohne Eva nach Monte Carlo fuhr, wo sie nach einem selbst erfundenen »System« an der Roulette spielte, was ihr ein ungeheures Vergnügen und nebenbei die Hoffnung gewährte, nach Verlauf von weiteren drei Monaten ein kleines Vermögen gewonnen zu haben. Bis jetzt waren die Gewinnsthoffnungen freilich immer gescheitert; aber da war das »System« noch nicht so ausgebildet gewesen, es hatte da und dort noch Lücken aufgewiesen, jetzt aber war es zu unfehlbarer Vollkommenheit gediehen.

Die beiden Frauen hatten nur wenig Bekanntschaften gemacht. Eva war so gar nicht gesellig aufgelegt und auch Gräfin Koloman – so gern sie in ihrer Heimath in die Welt ging – war gegen die in Nizza und Monaco weilenden Fremden mißtrauisch, und die Vergnügungen der Theater, der Promenaden und namentlich des Spielsaales, genügten ihr so ausreichend, daß sie nach Anderem kein Verlangen mehr trug. Mit Ausnahme einiger englischer Familien verkehrten die Beiden mit Niemand.

Jetzt – zu Anfang Jänner – war die Saison auf ihrer Höhe. Aus aller Herren Länder kamen die Wintergäste herbei. Auch zwei oder drei Oesterreicher, welche die Gräfin Koloman kannten, befanden sich darunter, doch wurde auch mit diesen kein lebhafter Verkehr angeknüpft. Gern hätte Eva einmal von dem einen oder dem andern vernommen, was die beiden Grafen Siebeck machten, aber darüber wußte zufällig keiner Bescheid. Daß Ralph gar nichts hatte von sich hören lassen, das war ihr begreiflich. Diese Verstummung, dieses Verschwinden aus ihrem Gesichtskreise lag ja – wie sie zu durchschauen glaubte – in seinem vorgefaßten Verhaltungsplan. Daß aber Robert so gänzlich verschollen war, daß er nicht schrieb, nicht trachtete, sie aufzufinden, um sie – wenn nichts Anderes – seinen Groll fühlen zu lassen, das wunderte sie. Wie gern hätte sie an Ottilie geschrieben, um Nachricht einzuholen, – aber König hatte ihr verboten, nach Hause zu schreiben, und sich seinem Gebote blind zu fügen, gewährte ihr Genugthuung. Sie empfand diesen Gehorsam als etwas, wodurch sie mit dem Entfernten noch gleichsam verbunden war, wodurch auch ihm noch ihr gegenüber Pflichten erwuchsen. Würde sie entgegenhandeln, so könnte dadurch das letzte Band zerrissen sein. Daß auch ihr Niemand aus der Heimath schrieb – weder Ottilie, noch Irene, noch Härtung, noch die Knaben – das geschah wohl gleichfalls auf Ralphs Geheiß, oder es war ihnen Allen ihr Aufenthaltsort verborgen geblieben.

»Kommst Du mit? Heute fahre ich wieder nach Monte Carlo,« sagte eines Vormittags Gräfin Koloman.

»Nein, Tante, ich danke … Mir ist gar nicht wohl – ich bleibe lieber zu Hause.«

»Wie Du willst. Aber Du solltest wirklich einen Doktor fragen – Du bist so blaß und einsilbig. Ich denke, der Arzt würde Dir Zerstreuung verordnen, und da wäre die Fahrt nach Monte Carlo nur zu empfehlen. Dort sieht man so viel, was fesselt und was amüsirt: die vielen Leute, das Spiel, der herrliche Park… Abends könnten wir in die Oper gehen – die Devries singt im Rigoletto – geh, komm mit!«

Eva schüttelte langsam den Kopf.

»Nein —!« sagte sie gedehnt und müde.

»Dann sage ich Dir Adieu. Aber bleib‘ ja nicht den ganzen Tag allein zu Hause. Geh‘ aus die promenade des Anglais zur Musik und besuche Lady Folkton, bei der ist heute große Lawn-tennis-Partie.«

Doch von diesen Verordnungen wollte Eva keine befolgen. An diesem Tage war sie weniger denn je zur Geselligkeit aufgelegt. In der vergangenen Nacht hatte sie sich wieder einmal in den Schlaf geweint, und am Morgen, als sie abermals einen Hustenanfall gehabt, erlebte sie einen großen Schreck: das zu den Lippen geführte Taschentuch hatte sich roth gefärbt.

Blutspucken! … In den Augen der meisten Leute gilt diese Erscheinung als Todesurtheil. Und so faßte Eva es auch auf. Erst vor Kurzem war im selben Hotel ein junger Russe von 21 Jahren – auch ein Bluthustender – gestorben. Sie hatte ihn oft in seinem Rollwägelchen auf der Promenade gesehen; und als sie neulich unter der Hoteleinfahrt seinem Leichenzug begegnete, war sie demselben nach dem Friedhof gefolgt. Dort las sie die Inschriften der Grabsteine. Es war entsetzlich, wie viel junge Menschen von 15 bis 25 Jahren da ihren ewigen Schlaf schliefen. Wohl lauter Brustkranke – gewiß hatten sie alle gehustet und Blut gespuckt … Sollte es auch ihr Loos sein, auf dem fremden Erdwinkel so jung hinzusterben, unbetrauert – ohne daß eine liebende Hand ihr die Augen zugedrückt? …

Das waren ungefähr die Gedanken, welche Evas Sinn erfüllten, als die zur Fahrt gerüstete Tante ihr auftrug, zu einer Partie Lawn-Tennis zu eilen. Uebrigens war es Eva lieb, daß die alte Dame sich den ganzen Tag entfernte, denn nach Ruhe, nach Einsamkeit hatte sie besondere Sehnsucht. Sie fühlte, daß sie über Vieles nachdenken müsse, daß sie einen Entschluß fassen werde. Welchen? – das wußte sie nicht, aber etwas mußte sie ausführen. Das empfangene Todesurtheil gab ihr – wie jedem Verurtheilten – das Anrecht auf irgend etwas Außergewöhnliches, auf etwas dem sogenannten »Henkermahle« Gleichkommendes.

Nachdem die Gräfin Koloman davongefahren, zog sich Eva auf ihr Zimmer zurück. Sie warf sich in einen Lehnsessel, und regungslos, mit geschlossenen Augen, den Kopf zurückgelegt, blieb sie lange, lange in Gedanken vertieft. Ihre ganze Vergangenheit ließ sie an sich vorüberziehen, und auch in die Zukunft wandte sie den inneren Blick. Was sie da sah, das war – auf dem Friedhof von Nizza – in der Nähe des kürzlich begrabenen Russen – von Palmen beschattet – ein Kreuz mit der Inschrift:

Eva Siebeck,

geb. 1863, gest. 1887,

Und über das Kreuz gebeugt, die hohe, die edle Gestalt Desjenigen, den die da unten Ruhende so sehr geliebt, so sehr, daß sie daran gestorben war.

Mit einem tiefgeholten Seufzer fuhr die junge Frau aus diesen düsteren Träumereien empor, und ihr Entschluß war gefaßt: ohne Abschied werde sie nicht von hinnen gehen. Sie holte ihr Reiseschreibzeug herbei, legte es auf dem Sophatisch zurecht, setzte sich hin und ohne Zaudern, mit fliegender Feder, warf sie folgende Zeilen auf das Briefblatt:

»Mein König – komm! Ich muß Dich noch einmal sehen – noch einmal Deine Stimme hören, eh‘ sie mich begraben. Nimmermehr hatte ich Dir geschrieben, denn Dein Geheiß lautete: »Schreibe, nicht«; nimmermehr hätte ich Dich gerufen, da Du unsere Trennung gewollt … aber der Tod hebt Alles auf – den Gehorsam, den Stolz, Alles – nur die Liebe nicht. »Geduld« befahlst Du mir – dabei hattest Du die Zeit im Sinn. Wenn noch lange Monate, Jahre vergingen, vielleicht, würde ich – wie Du es zu meinem Wohl geplant – zu voller Ruhe gelangen; aber ich habe keine Zeit vor mir. Daher kündige ich Dir die Geduld. Das »Vertrauen« aber – das habe ich Dir redlich entgegengebracht; keinen Augenblick hat mich die Gewißheit verlassen, daß das von Dir Gewollte das Beste und Weiseste war, daß Du es im Hinblick auf meinen Gewissensfrieden, auf meine Ehre, auf meine Zukunft gewollt. Doch da glaubtest Du eben irrthümlich, daß ich eine Zukunft habe. So fest und stark lebt dieses Vertrauen auch jetzt in mir, daß ich keinen Augenblick zweifle, dieser mein Ruf werde genügen, um Dich, ohne Verlust eines Tages, an meine Seite zu bringen. Noch bin ich nicht auf dem Todtenbett – aber ich bin von einer unheilbaren Krankheit – einer Brustkrankheit – erfaßt. Vielleicht liegen noch Wochen, vielleicht noch ein Vierteljahr des Lebens vor mir – desto besser: dann werde ich in Deiner Nähe noch einen Himmel gekostet haben, der tausend Erdenleben aufwiegt. Mein König, komm!«

Sie faltete das Blatt, schloß und überschrieb den Umschlag. Dann nahm sie Hut und Jacke und trug den Brief selber zu einem in der Nebenstraße befindlichen Postkasten.

Es war geschehen … der kleine Lärm des hinabgleitenden Papieres und zufallenden Spaltdeckels durchzuckte Eva mit einem eigenthümlichen Schreck – »es war geschehen« – nicht mehr rückgängig zu machen – die Folgen dieser That würden ihren Lauf nehmen … in vier bis fünf Tagen konnte Ralph angekommen sein. Der Gedanke hatte etwas so überwältigend Beglückendes, daß sie momentan ihr ganzes Elendsein vergaß. Ihr war so aufgeregt, so gehoben zu Muthe, daß sie wahrlich beinahe Lust hatte, zur Lady Folkton lawn-tennis spielen oder auf die »Promenade des Anglais« zur Musik zu gehen. Sie wollte jetzt nicht weiter nachdenken über das, was sie gethan; den gemengten Empfindungen von Freude und von Gewissensbiß, die sie bestürmten, wollte sie nicht Audienz geben. Besonders an das Sterben wollte sie nicht denken … und der Umstand, daß sie zum Sterben verurtheilt war, bildete ja die einzige Rechtfertigung des Schrittes, den sie gewagt. Im Straßenkostüm war sie, zur Engländer-Esplanade lagen nur hundert Meter Weges: »Gehen wir,« sagte sie mit beinahe lauter Stimme – und zwei Minuten später saß sie auf einer Bank des mit unzähligen Spaziergängern belebten Strandes. Auch Rollwägelchen waren da wieder zu sehen, mit zu Tode verurtheilten Schwindsüchtigen; der Anblick reizte Eva zum Husten, aber sonderbar: sie konnte sich jetzt nicht krank fühlen, ein eigenthümliches Gefühl von Daseinskraft hatte sie überkommen.

Das Orchester spielte das Schifferlied aus der Stummen von Portici. Das erinnerte sie an jenen Abend, wo sie mit Doktor Hartung – nach der Kahnfahrt – Barcarolen, »nichts als Barcarolen« gespielt … O, wie schön wäre es doch, zu leben und zu lieben – leben zu können, lieben zu dürfen.

Plötzlich, aus einer Gruppe von Damen und Herren, stürzte eine in Peluche gehüllte Frauengestalt auf die Bank zu:

»Ach – chère!«

»Ah – Liuba!«

Wie ein Blitzschlag, so unerwartet und auch so erschütternd, war für Eva diese Begegnung. Dornegg – und damit Großstetten nahe gebracht – was würde sie nun Alles erfahren! Das Herz schlug ihr in raschen Schlägen und, als wäre sie von Schwindel erfaßt, so tanzte vor ihren Augen die Umgebung. Sie konnte sich nicht länger auf den Füßen erhalten und ließ sich auf ihren Sitz zurücksinken, von welchem sie bei Liubas Heraneilen aufgesprungen war.

»Ach, wie ich froh! Erlaube, ich setze mich zur Seite von Dir … Aber wie Du blaß! Bist Du krank? – Bist Du in Nizza wirklich, um Dich zu behandeln?«

Diese Auffassung war Eva willkommen und stimmte zu ihrem Seelenzustand.

»Ja,« antwortete sie – »ich huste sehr stark – und da ist das hiesige Klima —«

»O, wie denn – vortrefflich!«

»Und Du? Was bringt Dich hierher? Gedenkst Du längere Zeit zu bleiben?«

»Nein, nein, nur de passage … Ich werde den Winter zubringen in Petersburg (sie sprach »Ptesbur«) und komme von Paris. Achch, wie man sich amüsirt in Paris! In Ptesbur ist das Leben großartiger – wie denn – aber Paris ist die ville unique. Achch, wenn Du wüßtest, ich hatte einen so großen Kummer: mein Pedigro ist gestorben. Reden wir nicht davon …«

»Wie geht es Deinem Kleinen?«

»O, danke. Sergei Gugowitsch geht gut, er ist in Wien bei seinen Großeltern. Die gehen auch gut…«

Eva wagte nicht, um die Großstettner Neuigkeiten zu fragen; doch lauschte sie gierig Allem, was die Andere erzählte, hoffend, darin eine Anspielung auf jene Dinge und Personen zu vernehmen, von welchen sie so gern etwas erfahren hätte. Aber Liuba hielt eine zehn Minuten lange, beistrichlose Rede, in welcher sie von Paris nach Ptesbur flog – von den Dornegger Jagden zu der neuesten Rolle Coquelins, von dem aufgehenden Sterne Boulangers zu einem leichten Unwohlsein ihres Hündchens Darling; sie berichtete den Inhalt eines neuen Romans »Coeur amoureux«; sie versicherte, daß sie wegen der großen Unvorsichtigkeit, an einem Montag eine Reise angetreten zu haben, beinahe verunglückt wäre, von ihrem Schutzheiligen, ihrem lieben, goldenen Alexander Newsky jedoch wunderbar gerettet worden sei; sie bestätigte, daß der Schneider Worth von Felix und Laferrière weit überflügelt worden, und man sich eigentlich bei niemand Anderem anziehen könne als bei den zwei Letztgenannten (für Reitkleider und englische Kostümes jedoch bei Redfern); sie klagte, daß sie durch drei Monate verbrecherisch faul gewesen: keinen Pinsel und Meisel angerührt – in Ptesbur aber, wo sie in ihrem Palais ein bequemes Atelier habe, da würde wieder rastlos gearbeitet werden …

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Litres'teki yayın tarihi:
30 ağustos 2016
Hacim:
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