Kitabı oku: «Psychopharmaka»

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Dr. Sybille Rockstroh ist Lehrbeauftragte an der Universität Freiburg i. Br. und an der Hochschule für Angewandte Psychologie Olten / Schweiz. Von der Autorin außerdem im Ernst Reinhhardt Verlag / UTB erhältlich: „Biologische Psychologie“ (UTB-basic, ISBN 978-3-8252-3374-7).

Hinweis: Soweit in diesem Werk eine Dosierung, Applikation oder Behandlungsweise erwähnt wird, darf der Leser zwar darauf vertrauen, dass die Autorin große Sorgfalt darauf verwandt hat, dass diese Angabe dem Wissensstand bei Fertigstellung des Werkes entspricht. Für Angaben über Dosierungsanweisungen und Applikationsformen oder sonstige Behandlungsempfehlungen kann vom Verlag jedoch keine Gewähr übernommen werden. – Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnungen nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften.

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UTB-Band-Nr.: 4346

ISBN 978-3-8463-4346-3 (EPUB)

ISBN 978-3-8385-4346-8 (Online-Lesen)

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Inhalt

1 Einleitung

2 Definitionen

3 Grundlagen

4 Präparateklassen

4.1 Antidepressiva

4.1.1 Serotonin

4.1.2 Depression

4.1.3 Klassifikation der Antidepressiva

4.1.4 Alternative Therapien

4.1.5 Phasenprophylaktika

4.2 Antipsychotika

4.2.1 Dopamin

4.2.2 Schizophrenie

4.2.3 Klassifikation der Antipsychotika

4.2.4 Alternative Therapien

4.3 Anxiolytika und Hypnotika

4.3.1 GABA

4.3.2 Angststörungen

4.3.3 Klassifikation der Anxiolytika

4.3.4 Alternative Therapien

4.3.5 Schlafstörungen

4.3.6 Klassifikation der Hypnotika

4.3.7 Alternative Therapien

4.4 Antidementiva

4.4.1 Acetylcholin

4.4.2 Senile Demenzen

4.4.3 Klassifikation der Antidementiva

4.4.4 Alternative Therapien

4.4.5 Neue Ansätze

4.5 Stimulantien, Neuroenhancement Drugs

4.5.1 Noradrenalin

4.5.2 Das Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom

4.5.3 Klassifikation der Stimulantien und Neuroenhancement Drugs

4.5.4 Alternative Therapien

4.6 Neuroprotektiva

4.6.1 Glutamat

4.6.2 Traumatische Hirnverletzungen

4.6.3 Klassifikation der Neuroprotektiva

4.7 Antiepileptika

4.8 Parkinsonmittel

5 Drogen

5.1 Sedativa

5.2 Stimulantien

5.3 Psychedelika

6 Anhang

Glossar

7 Literatur

Zitierte Literatur

Weiterführende Literatur

8 Sachregister

1

Einleitung

Nach der Definition der psychotropen Substanzen und der Darstellung ihrer neuronalen Grundlagen werden die Substanzklassen der Antidepressiva, Antipsychotika, → Anxiolytika/Hypnotika, Antidementiva, Stimulantien/Neuroenhancement Drugs und Neuroprotektiva vorgestellt. Dies geschieht anhand ihrer Klassifikation, dem Wirkmechanismus und den Haupt- und Nebenwirkungen. Neben den Präparateklassen der Psychopharmaka werden Neuropharmaka wie Anästhetika, Antiepileptika und Parkinsonmittel besprochen, sowie einige sekundär psychotrope Substanzen. Zur Abrundung des Themas werden Drogen/missbrauchte Substanzen behandelt.

2

Definitionen

Definition

Psychopharmaka sind Medikamente mit einem kurz- oder langfristigen Effekt auf die Psyche. Der psychotrope Effekt ist die Hauptwirkung der Substanz. Er ist von therapeutischem Nutzen (vs. „Drogen“).

Definition

Neuropharmaka sind zentralnervös wirksame Medikamente zur Behandlung von neurologischen Erkrankungen. Sie können psychische Nebenwirkungen haben.

Definition

Sekundär psychotrope Substanzen sind Medikamente mit extrazerebralem Zielorgan und psychischen Nebenwirkungen. Die Nebenwirkungen werden vom Hersteller nicht überprüft, in der Roten Liste bzw. im Beipackzettel wird der Hinweis Reaktionsvermögen gegeben.

Der Effekt auf die Psyche, erfasst über anerkannte, von den Gesundheitsbehörden akzeptierte psychometrische Methoden, muss in methodisch einwandfreien Untersuchungen nachgewiesen sein (placebokontrollierte, doppelblinde, randomisierte, cross-over-Designs).

Die Belege werden über die Neuropsychopharmakologie erbracht. Diese Wissenschaftsdisziplin untersucht die neurochemischen Grundlagen psychischer Prozesse an der Zelle, dem Tier, dem gesunden und kranken Menschen durch Verabreichung von psychotropen Substanzen, wodurch körpereigene Substanzen mit dem Vorteil der Reversibilität des Effekts manipuliert werden.

3

Grundlagen

Alle Psychopharmaka entfalten ihre Wirkung über die Neurotransmitter. Folgende Neurotransmitterklassen werden unterschieden:

Tabelle 1: Neurotransmitter


AminosäurenBiogene AmineNeuropeptide (unvollständig)
GlutamatNoradrenalinOpioide
GABAAcetylcholinTachykinine
DopaminSomatostatine
SerotoninSekretine
Insuline

Die Neurotransmitter binden an Rezeptorfamilien. Rezeptoren werden in ionotrope und metabotrope unterschieden. Ionotrope Rezeptoren führen bei Anbinden des Neurotransmitters zur Öffnung eines Ionenkanals (ligandenabhängige Ionenkanäle), es kommt zum Einstrom von entweder positiv oder negativ geladenen Ionen und damit zu einer Exzitation oder Inhibition des postsynaptischen Neurons innerhalb von Millisekunden. Beim metabotropen Rezeptor ist ein metabolischer Prozess notwendig, um eine second messenger Kaskade in Gang zu setzen, die zur → Phosphorylierung der spannungsabhängigen Kalium- oder Calcium-Kanäle führt. Hierdurch wird das Aktionspotential verlängert oder verkürzt, der Prozess kann bis zu einer Minute dauern. Es wird außerdem der Autorezeptor unterschieden, der am präsynaptischen Neuron sitzt und über Autoinhibition eine Entleerung des Neurons verhindert. Der Heterorezeptor sitzt präsynaptisch an fremden Neuronen und verhindert die Ausschüttung des Neurotransmitters.

Tabelle 2: Rezeptorfamilien


TransmitterRezeptorenMembraneffektRezeptortyp
GlutamatNMDA, AMPADepolarisationIonotrop metabotrop
GABAGABAA, BHyperpolarisationIonotrop metabotrop
NoradrenalinAlpha, BetaDepolarisation Hyperpolarisationmetabotrop
AcetylcholinNicotinischer, muscarinischerDepolarisation HyperpolarisationIonotrop metabotrop
DopaminD1-D5Depolarisation Hyperpolarisationmetabotrop
Serotonin5-HT1-5-HT7Depolarisation HyperpolarisationIonotrop metabotrop

Es bestehen folgende Angriffspunkte am Neuron für exogene Liganden:

1. Substitution des Vorläufers (Parkinsonmittel)

2. Erhöhte Freisetzung (Amphetamine)

3. Agonist (z.B. Benzodiazepine)

4. Antagonist (z.B. Antipsychotika)

5. Inhibition des Metabolismus (Antidementiva)

6. Inhibition der Wiederaufnahme (z.B. Antidepressiva)

7. Verhinderung der Reizweiterleitung entlang des Axons (Anästhetika, Antiepileptika)

Psychopharmaka müssen in der Lage sein, die Blut-Hirnschranke zu überwinden. Dazu müssen sie niedermolekular und → lipophil sein.

Neuropsychopharmaka haben neben der erwünschten Wirkung eine Reihe von vegetativen und kognitiven Nebenwirkungen. Bei Überdosierung brechen alle kognitiven Funktionen zusammen und es entsteht Verwirrtheit, → Delir oder psychotisches Verhalten. Die kognitiven Nebenwirkungen werden durch den Wirkmechanismus des Präparats verursacht und entsprechen dem funktionalen Effekt des Neurotransmitters.

Tabelle 3: Kognitive Haupt-/Nebenwirkungen der Neuropsychopharmaka


NeurotransmitterPräparat/-klasseKognitive Haupt-/Nebenwirkung
NoradrenalinAmphetamin, Methylphenidat, ModafinilSelektivitätsfunktion der Aufmerksamkeit
AcetylcholinDonepezil, Galantamin, RivastigminIntensitätsfunktion der Aufmerksamkeit
DopaminKlassische AntipsychotikaWorking Memory, Alternierende Aufmerksamkeit
ParkinsonmittelVerwirrtheit, Psychosen
Atypische AntipsychotikaAufmerksamkeit
SerotoninAntidepressiva, SSRIAufmerksamkeit
GABABenzodiazepineMerkfähigkeit
AntiepileptikaMerkfähigkeit
OpioideAnästhetikaMerkfähigkeit

4

Präparateklassen

4.1 Antidepressiva

4.1.1 Serotonin

Der Vorläufer von Serotonin ist Tryptophan. Es handelt sich um eine essentielle Aminosäure, die über die Nahrung aufgenommen werden muss. Die höchsten Konzentrationen finden sich in Sojabohnen, Kakao und Milchprodukten, speziell Hartkäse. Serotonin wird in zwei Schritten aus Tryptophan synthetisiert. Der chemische Name ist 5-Hydroxytryptamin. Die serotoninergen Neuronen befinden sich in den Raphe Kernen. Diese feuern ein bis fünf mal/sec. Das gleichmäßige Pulsieren macht das Zeitempfinden aus (Cooper, Bloom & Roth, 2003).

Serotonin entfaltet seine Wirkung über eine große Rezeptorfamilie, über die eine Vielzahl von somatischen und psychischen Funktionen vermittelt wird.

Über das Serotoninsystem werden via → Hypothalamus und sein Ausführungsorgan Hypophyse viele vegetative Funktionen zentralnervös reguliert, indem neuronale Information in hormonelle umgewandelt wird (Neurosekretion). Dies bedeutet, dass die neuronale Information in Form eines Botenstoffes aus der Hypophyse ins Blut ausgeschüttet wird und auf dem Blutweg sein Zielorgan erreicht (z.B. Schilddrüse, Gonaden, Nebennierenrinde). Dort entfaltet sich eine langsame, gleichmäßige Wirkung. Serotonin hat damit eine homöostatische Funktion zwischen psychischen und physischen Prozessen. Es stellt ein Gleichgewicht zwischen Körper und psychischer Verfassung her.

Tabelle 4: Rezeptoren des Serotoninsystems


RezeptorReizweiterl.AgonistAntagonistFunktionaler Effekt
5-HT1A-FGiBuspiron SumatriptanAngst, Depression, Schlaf, Circadiane Rhythmen, Tonus der Blutgefäße
5-HT2A-CGqLSDRisperidonStimmung, Schlaf, Müdigkeit, Appetit
5-HT3IonotropOndansetronBrechreiz, Schmerz, Angst, Lernen
5-HT4TropisetronRelaxation der glatten Muskulatur
5-HT5
5-HT6LSD, MDMA
5-HT7LSD, MDMA

Folgende vegetativen und psychischen Funktionen werden vermittelt:

■ Emotionen (Angst, Depressivität, Aggressivität)

■ Essverhalten

■ Impulsivität/Craving

■ Blutdruck

■ Merken/Lernen

■ Schlaf

■ Schmerz

■ Sexualität

■ Zeitliche Analysen

Bei Dysregulation des Serotoninsystems entsteht eine Vielzahl von Störungen, die häufig in Komorbidität auftreten. Von Benkert (1995) wurde das Störungsbild Serotonin-Dysfunktionssyndrom geprägt.

Hierzu gehören:

■ Angststörungen

■ Depressionen

■ Zwangsstörungen

■ Schizophrenie

■ Schlafstörungen

■ Sexualstörungen

■ Essstörungen

■ Migräne

■ Schmerzempfindlichkeit

■ Sucht

Über das Serotoninsystem können eine Vielzahl von Störungsbildern behandelt werden.

Tabelle 5: Neuropsychopharmaka des Serotoninsystems


WirkmechanismusWirkstoffTherapeutisches Gebiet
Agonisten5-HT1A5-HT1DBuspironAngst
SumatriptanMigräne
Antagonisten5-HT2Atypische Antipsychotika (z.B. Risperidon)Schizophrenie, Mischformen aus Angst,Depression, Erschöpfung, Autismus
ReuptakeInhibitorenAntidepressiva (SSRI)Depression, Zwangserkrankungen

4.1.2 Depression

Die Depression besteht aus einem Syndrom mit einer somatischen, emotionalen und kognitiven Komponente. Die somatischen Symptome bestehen in körperlichem Unwohlsein/Krankheitsgefühl, mangelnder Energie, Schlafstörungen, Appetitstörungen, die emotionalen in gedrückter Stimmung, Niedergeschlagenheit, Verzweiflung und „Losigkeiten“ wie Antriebslosigkeit, Lustlosigkeit und Interesselosigkeit, die kognitiven in negativen Gedanken, Denkverlangsamung, Entscheidungsunfähigkeit, Suizidgedanken (Schmitz, 2004). Pathogenetische Faktoren sind aktuelle psychosoziale Belastungen (z.B. Arbeitslosigkeit, Trennung), physikalische Einwirkungen wie Dunkelheit (Winterdepression), traumatische Ereignisse (z.B. sexueller Missbrauch), Persönlichkeitsmerkmale (Introversion, Soziotropie) und eine genetische Prädisposition (→ S-Allel des Serotonin-Transportergens 5-HTTLPR).

Es wird angenommen, dass es zur Auslenkung der Neurotransmitter Serotonin, Noradrenalin und Dopamin kommt (Monoamin-Hypothese). Die Hypothese eines Serotoninmangels, post-hoc formuliert aufgrund des Wirkmechanismus der SSRI, wird über folgende Untersuchungsansätze belegt:

■ Polymorphismus des Serotonin-Transportergens (→ S-Allel des 5-HTTLPR-Gens)

■ Hypersensitiver Autorezeptor

■ Serotoninmangel nach Tryptophandepletion

■ Serotonin-Konzentration und seiner → Metaboliten nach Suizid

Die kurze Variante des Transportergens (S-HTTLPR) exprimiert den Bauplan für einen ineffektiveren Transporter, daraus resultiert eine höhere Konzentration von Serotonin im synaptischen Spalt. Das → S-Allel steht im Zusammenhang mit Depression, Angst und Harm Avoidance, insgesamt bleiben die Ergebnisse jedoch inkonsistent (Niitsu, Fabbri, Bentini & Serretti, 2013). Die Hypothese eines hypersensitiven Autorezeptors, post-hoc aufgrund des Wirkmechanismus der SSRI formuliert, geht davon aus, dass aufgrund von Hypersensitivität des Autorezeptors eine zu niedrige Konzentration von Serotonin im synaptischen Spalt vorliegt. Durch die Medikation mit SSRI und die dadurch hervorgerufene erhöhte Serotoninkonzentration wird der Autorezeptor und damit die Ausschüttung von Serotonin neu eingestellt (Popova & Naumenko, 2013). Dies macht die Wirklatenz der SSRI aus. Mit der Methode der Tryptophan-Depletion kann die Konzentration von Tryptophan im Gehirn um 90% innerhalb von fünf Stunden reduziert werden. Tryptophan ist der Vorläufer von Serotonin und wird über die Nahrung aufgenommen. Durch ein tryptophanfreies Getränk mit hoher Konzentration an konkurrierenden Aminosäuren wird Tryptophan verdrängt. Bei Gesunden wird nach Tryptophan-Depletion kein Effekt auf die Stimmung gefunden, die Erhöhung des Serotonin-Spiegels führt zu besserer Verträglichkeit (Young, 2013). Serotonin wird daher Aggressions-Inhibitor genannt (Carlson, 2004).

Bei Untersuchung der Serotonin-Konzentration und seiner → Metaboliten in der cerebrospinalen Flüssigkeit nach Suizid ist der Serotoninspiegel bzw. seiner Metaboliten erniedrigt. Die Aggressivität der Selbsttötungsmethode und der Serotoninspiegel bzw. seiner Metaboliten sind negativ korreliert (Audenaert, Peremans, Goethals & van Heeringen, 2006; Cremniter, Thenault, Jamain, Meidinger, Delmas & Gaillard, 1994). Psychometrisch erfasste Impulsivität und der Serotoninspiegel nach Suizidversuchen sind ebenfalls negativ korreliert (Desmyter, van Heeringen & Audenaert, 2011).

4.1.3 Klassifikation der Antidepressiva

Klassifikation nach der chemischen Struktur/Entwicklungsgeschichte

■ Antidepressiva der ersten Generation (Trizyklika)

■ Antidepressiva der zweiten Generation (Bi- und Tetrazyklika)

■ Antidepressiva der dritten Generation (SSRI, SNRI, SSNRI)

Klassifikation nach dem Wirkmechanismus

■ MAO-Hemmer

■ Selektive Serotonin-Reuptakeinhibitoren (SSRI)

■ Selektive Noradrenalin-Reuptakeinhibitoren (SNRI)

■ Selektive Serotonin-Noradrenalin-Reuptakeinhibitoren (SSNRI)

■ Noradrenalin-Dopamin-Reuptakeinhibitoren

■ Dualserotoninerge Antidepressiva

■ Sonstige/neuartige

Der Placebo-Verum Unterschied beträgt nur 15%.

Zugelassene Indikationen sind:

■ Depressive Störungen

■ Panikstörungen mit/ohne → Agoraphobie (Verhaltenstherapie ist überlegen, insbesondere auch im Rahmen einer Erhaltungstherapie)

■ Generalisierte Angststörungen (Kognitive Verhaltenstherapie ist überlegen)

■ Phobische Störungen (Verhaltenstherapie ist überlegen)

■ Zwangsstörungen (bei Therapie mit SSRI Therapieerfolg nach zwei bis drei Monaten bei ca. 50% der Patienten, Rückfallquote 80%, Verhaltenstherapie ist überlegen)

■ Posttraumatische Belastungsstörungen (Kognitive Verhaltenstherapie ist überlegen)

■ Somatoforme Störungen

■ Schmerzsyndrome (Trizyklika, Dualserotoninerge Antidepressiva)

■ Chronic-Fatigue-Syndrom

■ Prämenstruell-dysphorisches Syndrom

■ Entzugssyndrome verschiedener Substanzgruppen, Rezidivprophylaxe bei Alkoholabhängigkeit

■ Essstörungen

■ Schlafstörungen

■ Klimakterische Beschwerden

■ Persönlichkeitsstörungen

Die Antidepressiva der ersten und zweiten Generation leiten sich von Imipramin ab. Die antidepressive Wirkung wurde 1957 entdeckt. Die chemische Struktur besteht aus drei bzw. vier Benzol-Ringen. Nachteile sind die lange Wirklatenz von vier bis sechs Wochen und die hohe Rate von Nebenwirkungen, die sofort auftreten. Es sind jedoch sehr wirksame und bewährte Antidepressiva.

Der Wirkmechanismus der Antidepressiva der ersten und zweiten Generation besteht in einer Hemmung der Wiederaufnahme von Serotonin- und Noradrenalin, in Kombination mit einer → antagonistischen Wirkung am cholinergen, histaminischen, serotoninergen und noradrenergen System. Entsprechend dem Rezeptorbindungsprofil entsteht entweder eine sedierende oder aktivierende Wirkung.

Tabelle 6: Klassifikation der Antidepressiva


Erste Generation Trizyklische AntidepressivaZweite Generation Tetra- und Bizyklische AntidepressivaDritte Generation MAO-Hemmer, SSRI, SNRI, SSNRI, NDRI, DSA Sonstige/neuartige
AmitriptylinAmitriptylinoxidClomipraminDoxepinImipraminNortriptylinTrimipraminMaprotilinMianserinMirtazapinMAO-Hemmer:Moclobemid, Tranylcypromin
Serotonin-Reuptakehemmer (SSRI):CitalopramEscitalopramFluoxetinFluvoxaminParoxetinSertralin
Noradrenalin-Reuptakehemmer (SNRI):Reboxetin
Serotonin-Noradrenalin-Reuptakehemmer (SSNRI):Duloxetin, Venlafaxin Noradrenalin-Dopamin-Reuptakehemmer (NDRI):Bupropion Dualserotoninerge Antidepressiva (DSA): Trazodon
Sonstige/neuartige:Agomelatin Hypericum/Johanniskraut

Tabelle 7: Rezeptorbindungsprofile der Antidepressiva erster und zweiter Generation (Benkert & Hippius, 2013) NA-I Inhibition der Rückaufnahme von Noradrenalin, 5-HT-I Inhibition der Rückaufnahme von Serotonin, ACh Antagonismus des cholinergen Systems, H1 Antagonismus des histaminischen H1-Rezeptors, 5-HT2 Antagonismus des serotoninergen 5-HT2-Rezeptors, α1 bzw. α2 Antagonismus des noradrenergen α1- bzw. α2-Rezeptors


WirkstoffTherap. EigenschaftNA-I5-HT-IAChH15-HT2α1α2
AmitriptylinSedierend++++++++++++++0
ClomipraminAktivierend+++++++++++0
DoxepinSedierend++++++++++++0
ImipraminAktivierend+++++++/−++0
MaprotilinSedierend++0+++++++0
MirtazapinSedierend0+/−+/−++++++++
NortriptylinAktivierend++++++++0
TrimipraminSedierend00+++++++++0

Die Nebenwirkungen der Antidepressiva erster und zweiter Generation sind von ihrem Wirkmechanismus abhängig. Das Rezeptorbindungsprofil bestimmt die Nebenwirkungen.

Weitere Nebenwirkungen der Trizyklika sind → Arrhythmien, → Tachykardien, → Hypotonie, Veränderungen des Blutbildes, Krampfanfälle, → Myoklonien und → Tremor. Hypertone Krisen kann es bei MAO-Hemmern geben.

Tabelle 8: Nebenwirkungen nach Neurotransmittersystem


WirkmechanismusHauptwirkungNebenwirkungen
Noradrenalin-RückaufnahmehemmerAktivierungTremor, Tachykardie, Schwitzen, Schlafstörungen
Serotonin-RückaufnahmehemmerAktivierung HabituationGastrointestinale Beschwerden, Übelkeit, Anorexie, Kopfschmerzen, Nervosität, sexuelle Dysfunktionen
H1-AntagonismusSedierungHypotonie, Gewichtszunahme
mACh-AntagonismusSedierungMundtrockenheit, verschwommenes Sehen, Obstipation, Harnretention, Hypotonie mit reflektorischer Sinustachykardie, Gedächnisstörungen
Alpha1-AntagonismusSedierungHypotonie, Schwindel

MAO-Hemmer werden in reversible (Moclobemid) und irreversible (Tranylcypromin) unterschieden. Der Wirkmechanismus besteht darin, dass das Enzym MAOA selektiv inhibiert und dadurch der Abbau von Serotonin, Noradrenalin und Dopamin verhindert wird. MAO-Hemmer sind stark antriebssteigernd. Irreversible MAO-Hemmer werden wegen starker Nebenwirkungen nur stationär eingesetzt. Da tyraminhaltige Speisen und Getränke (alles Fermentierte) durch Monoaminooxidasen abgebaut werden, muss eine Tyramin-freie Diät eingehalten werden wegen der Gefahr von Tyraminakkumulation mit eintretenden sympathikotonen Blutdruckkrisen. Tyramin wirkt im Körper als indirektes Sympathikomimetikum. Es wird in die noradrenergen Synapsen aufgenommen und in der umgewandelten Form Octopamin in den Vesikeln gespeichert.

Antidepressiva der dritten Generation wurden in den 1980er Jahren mit dem Ziel geringerer Nebenwirkungen entwickelt. Sie binden selektiv an ein einziges Neurotransmittersystem oder eine angestrebte Kombination von Neurotransmittern. Der Wirkmechanismus der Antidepressiva der dritten Generation besteht in einer selektiven Rückaufnahmehemmung von Serotonin (SSRI) bzw. Noradrenalin (SNRI) bzw. von zwei Monoaminsystemen Serotonin und Noradrenalin (SSNRI) bzw. von Noradrenalin und Dopamin (NDRI) oder in der Bindung an zwei Serotoninrezeptoren (DSA). Das neue Antidepressivum Agomelatonin agoniert Melatonin. Es bestehen weniger Nebenwirkungen und eindeutigere Hauptwirkungen, wobei ein publication bias existiert.

Selektive Serotonin-Reuptakeinhibitoren (SSRI) hemmen selektiv die Rückaufnahme von Serotonin ins Neuron. Damit kommt es zu einer Erhöhung der Serotonin-Konzentration im synaptischen Spalt. In der Folge kommt es zur Down-Regulation der Rezeptorsensitivität des Autorezeptors 5-HT1A. Dies führt zu einer erhöhten Ausschüttung von Serotonin. Der Wirkmechanismus über Desensibilisierung des Autorezeptors macht die Wirklatenz aus. Zugelassene Indikationen sind Depressionen unterschiedlichen Typs, Zwangsstörungen, Angststörungen und soziale Phobie. Weitere Anwendungen sind → Bulimie, Suchterkrankungen, Aggressivität und Impulsivität. Nebenwirkungen sind gastro-intestinale Beschwerden, Gewichtsabnahme, Unruhe, Schlafstörungen und sexuelle Störungen.

Wegen der Antriebssteigerung sind SSRI bei agitierten suizidgefährdeten Patienten kontraindiziert!

Bei Suizidgefahr sollten sedierende Antidepressiva verabreicht werden, u.U. kombiniert mit Benzodiazepinen.

Warnhinweis bei Paroxetin: wegen psychomotorischer Unruhe besteht insbesondere bei Kindern und Jugendlichen erhöhtes Suizidrisiko!

Das Serotoninsyndrom wird hervorgerufen durch Addition der Effekte von Präparaten mit serotoninergem Wirkmechanismus z.B. Gaben von MAO-Hemmern und SSRI oder Tryptophan und SSRI, aber auch unter Monotherapie bei zu hoher Dosierung. Es besteht aus Unruhe, Agitiertheit, Verwirrtheit, Übelkeit, Erbrechen, → Diarrhoe, Schwitzen, → Tremor (Zittern), → Myoklonien, eventuell Krämpfen, → Hyperthermie, Bluthochdruck, epileptischen Anfällen und Tod bei starker Beteiligung der Atemmuskulatur. Erholung tritt nach Absetzen der Medikamente ein und dauert mehrere Tage.

Absetzsymptome sind Angstzustände, Fieber, vermehrtes Schwitzen, Unwohlsein, Muskelschmerzen, Kopfschmerzen, Schwindelanfälle, Übelkeit und Erbrechen („grippeähnlich“).

Der Selektive Noradrenalin-Reuptakeinhibitor (SNRI) Reboxetin weist eine hochselektive Hemmung der Noradrenalin-Rückaufnahme auf und damit eine Erhöhung der Noradrenalinkonzentration im synaptischen Spalt. Zugelassene Indikationen sind Depressionen auch im Rahmen einer bipolaren affektiven Störung und ADS. Nebenwirkungen sind Übelkeit, gastrointestinale Beschwerden, Kopfschmerzen, Schlafstörungen, → Tachykardie, Blutdruckanstieg, Angst, Schwindel, Schwitzen und Impotenz.

Die Selektiven Serotonin-Noradrenalin-Reuptakeinhibitoren (SS-NRI) Venlafaxin und Duloxetin weisen eine Serotonin- und Noradrenalin-Rückaufnahmehemmung auf, sie haben nur schwache Wirkung auf andere Neurotransmitter. Es kommt zu einem schnellen Wirkungseintritt. Zugelassene Indikationen sind Depression, Panikstörungen, Soziale → Phobie, Generalisierte Angststörungen und klimakterische Beschwerden. Nebenwirkungen sind Schlafstörungen, Mundtrockenheit, Verstopfung, → Miktionsbeschwerden, → Tachykardie und Schwindel.

Der Noradrenalin-Dopamin-Rückaufnahmeinhibitor Bupropion weist eine Dopamin-Noradrenalin-Rückaufnahmehemmung auf und einen schwachen Antagonismus am histaminischen und noradrenergen System. Er hat aktivierende Eigenschaften und wird beim Nikotinentzug eingesetzt. Nebenwirkungen sind Agitation, Schlafstörungen, Übelkeit, Erbrechen, Kopfschmerzen, Schwindel, Schwitzen und Konzentrationsstörungen.

Achtung: Todesfälle ohne gesicherte Kausalität!

Das Dual-Serotoninerge Antidepressivum Trazodon weist eine mäßige Serotonin-Rückaufnahmehemmung, eine Blockade des 5-HT2-Rezeptors und eine noradrenerge Rezeptorblockade auf. Es hat sedierende, schlafanstoßende Eigenschaften. Nebenwirkungen sind Sedierung, sexuelle Funktionsstörungen, → Hypotonie, Gewichtszunahme und → Priapismus (im Notfall sofort urologische Intervention).

Bewertung Trazodon: verzichtbar!

Agomelatonin ist ein Melatonin-Agonist und 5-HT2C-Antagonist. Die → Bioverfügbarkeit beträgt nur 5% wegen eines ausgeprägten → First Pass Effects. Es kommt zur Stabilisierung circadianer Rhythmen und Verbesserung des Schlafs. Nebenwirkungen sind Sedierung, Kopfschmerzen, Schwindel und Übelkeit.

Johanniskraut wirkt über eine Wiederaufnahmehemmung von Serotonin, Noradrenalin und Dopamin und erhöhte Freisetzung von GABA. Die Dosis wird meist zu niedrig gewählt. Empfohlen werden 3 x 300-350 mg/d bzw. 1 x 900 mg/d. Es bestehen Interaktionen mit oralen Kontrazeptiva. Bei leichten bis mittelschweren Depressionen konnte ein Effekt nachgewiesen gewiesen werden.

Vergleich von Pharmakotherapie mit Psychotherapie

■ Nur bei schweren Depressionen besteht eine Überlegenheit der Pharmakotherapie (Leitlinie des NICE, 2005).

■ Auch bei der Akuttherapie von schweren Depressionen besteht keine Überlegenheit der Pharmakotherapie (Benkert & Hippius, 2013).

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