Kitabı oku: «Ab 40 wird's eng!», sayfa 2
Niemals Hobbycamperin
In den nächsten Tagen wurde es ruhiger in mir. Ich hatte nämlich eine phänomenale Entscheidung getroffen. Wenn ich schon so rasant und unvorbereitet in die Phase des Klimakteriums, mit fast 45 Jahren unsanft aus der Mädchenwelt herausgerissen, regelrecht gestoßen wurde, dann musste ich dies mit Würde tun: stumm und duldsam. Ich brauchte nun kein neues Tuch, keine hübschen Stiefeletten für den nächsten Frühling, sondern ganz eindeutig Tuniken und Ponchos, unter denen ich all das verstecken konnte, was mir meine letzte mädchenhafte Würde zu rauben beabsichtigte. Auch meine Brüste beschlossen, ein Eigenleben zu entwickeln. Das stelle Frau sich vor: Es ist ja noch zu verkraften, von zwei lieblichen Tennisbällen zu zwei voluminösen Ballons zu wechseln. Doch ich dachte auch an meine süßen, mir im Laufe der Jahre ans Herz gewachsenen Stringtangas. Wenn ich die jetzt anprobierte, quollen links und rechts vom Spitzendreieck des Tangas einige unansehnliche Berge hervor (zumal der Sitz des Tangas inzwischen äußerst unausgeglichen wirkte). Ich hätte mein Augenlicht gern noch behalten (mein Mann sicher auch), dachte an meine Erziehung und an meine Mutter, die fast täglich zu sagen pflegte: »Du musst dich immer so anziehen, dass du dich niemals schämen musst, falls du dich mal ausziehen musst.« Also, um das vorweg richtigzustellen: Sie meinte, wenn mir mal was passierte und der Arzt packte mich aus, sollte er keinen Schreck bekommen oder womöglich selbst in einen komatösen Zustand gelangen.
Es hieß also einkaufen zu gehen. Ich überlegte, welche Riesenzelte ich jetzt käuflich erwerben würde. Da man mir meine immense, neue Konfektionsgröße nicht ansah, musste ich bei den Verkäuferinnen mit gnadenlosen Geschichten aufwarten. Die Gedanken an meine Mutter kamen mir gerade recht. Diese Frau, die mit 75 Jahren immer noch aussehen wollte, als würde sie sich bei Heidi Klums »Topmodel« bewerben wollen, sich ihr ganzes Leben lang mit Diäten quälte und auch von anderen verlangte, sich mit den Schönsten der Schönen zu messen, dieser Frau wollte ich jetzt eins auswischen. Das Beste an dieser kleinen Rache, die sich nur in meinem Bewusstsein abspielte, war: Sie würde nie davon erfahren.
Mein erster Einkauf gestaltete sich folgendermaßen: Der Laden sah erst einmal ganz normal aus. Ich schwänzelte zwischen den Kleiderkarussells hin und her, sah mir gedankenverloren einige Oberteile an und versuchte, mich auf den eigentlichen Zweck des Einkaufes zu konzentrieren. Ich musste mich an den Geruch in dem Laden gewöhnen, mich einfühlen und einstellen. Es war wie immer, wenn ich einkaufen ging. Doch dieses Mal stand ich unter extremer Spannung. Diese negierte ich mit aufrechtem Gang, vorgestrecktem Kinn und nach hinten geworfenem Haar, denn ich spürte die aufmerksamen Blicke der Verkäuferin auf der anderen Seite des Ladens auf mir.
Ich berührte die Sachen, ohne sie wahrzunehmen. Mein Blick war vernebelt. Dann nahmen Büstenhalter hinter mir meine Aufmerksamkeit in Anspruch und meine Augen wurden klarer. Schwarze, rote, weiße, orange Büstenhalter belebten mich ganz plötzlich. Sicheren Schrittes ging ich darauf zu und zitterte innerlich vor Aufregung. Ich berührte den Stoff des roten Büstenhalters, der ziemlich groß aussah und atmete tief ein. Dann sah ich auf das Etikett: 90 Doppel D und das veranlasste mich, den BH näher unter die Lupe zu nehmen. Ich nahm ihn samt Bügel von der Stange und traute meinen Augen nicht. Die Träger waren mindestens drei Zentimeter breit und auch der hintere Bereich des Doppelrundzeltes war alles andere als zierlich gestaltet. Das konnte doch nicht wahr sein! Ich erinnerte mich an meine früheren BHs, deren Träger höchstens einen Zentimeter breit waren, zart mit Spitze versehen. Manche hatten sogar nur Spaghettiträger, waren am Büstenteil mit Stickereien, Schleifchen oder Spitze verziert.
Bevor ich den Schreck überhaupt verdauen konnte, kam die Verkäuferin auf mich zu. »Kann ich Ihnen helfen?«, sprach sie, freundlich lächelnd, die mir verhasste Standardfrage der Verkäufer aus. (Verdammt noch mal, mir ist nicht mehr zu helfen!) »Äh, ja«, stotterte ich und versuchte, mich zu sammeln. »Ich suche einen Slip für meine Mutter. Die liegt gerade im Krankenhaus.« So sprach ich meinen ersten, vor dem Spiegel einstudierten Satz, der überzeugend wirken sollte. Die hübsche, geschickt geschminkte Verkäuferin (ihre Mutter war sicher Verkäuferin bei Douglas) sah mich mitleidig an. Dieser Blick gefiel mir, gerade in meiner Situation. Ich fand das gar nicht so übel. So bemitleidete sie mich für etwas, was sie gar nicht wusste – eine tolle Sache. »Welche Größe hat ihre Mutter denn?« »44 bis 46«, brachte ich unwillig hervor und versuchte, gelangweilt auszusehen. »Ich zeige Ihnen gleich mal einige Slips«, meinte sie hochmotiviert und wies in die Ecke des Ladens. Dann kam das absolut Unvermeidbare. Ich folgte ihr wie in Trance, ahnend, welche Hürden es nun zu überwinden galt, zu einem Wühltisch, in dem sich die mir jahrzehntelang verhassten »Baumwollzelte«, wie ich sie stets überheblich zu nennen pflegte, befanden. Ich war der vollen Überzeugung, dass ich niemals, wirklich niemals (nicht einmal mit 70 Jahren) solche Dinger tragen würde! Sie sahen tatsächlich nicht einmal im Entferntesten einem Slip ähnlich und ich zweifelte daran, im richtigen Geschäft zu sein. (Vielleicht hatte ich mich in einen Laden für Hobbycamper verirrt? Ich hasste Campen, schon immer. Zu viel Chaos, zu wenige Rituale.) »Schauen Sie, hier gibt es viele Varianten: Die hohe Variante«, fuhr die Verkäuferin in einem Ton fort, als ob ich mich zwischen einem Zwei- oder Vierpfundbrot entscheiden müsste. Die niedrige Variante, die sie mir dann zeigte, war schon enorm hoch für mich. Also gestikulierte ich mimikreich, dass meine Mutter wohl doch eine recht moderne Frau sei und ich sie lieber noch einmal fragen würde. Wie ein Feger verließ ich den »Hobbycamper« und verschwand für den Rest des Tages in meinem Taschentuch.
Rückblick: »Was ist mit dir los?«, hatte Mutter vor drei Monaten gefragt, als ich sie das letzte Mal sah. »Was konkret meinst du?«, entgegnete ich, obwohl ich wusste, dass ich mir diese Frage hätte sparen können. »Na, wenn du schon krank bist, musst du dich nicht auch noch vollfressen und solche körperlichen Ausmaße erreichen!«, plärrte sie mich an und ihre Stimme überschlug sich hysterisch. Sie fragte nicht, wie es mir ging. Sie fragte nicht, ob ich die Medikamente vertrug, welche Spuren diese Chemiekeulen in meinem Körper hinterließen. Sie besuchte mich nie im Krankenhaus. Sie fragte nichts, was eine Mutter fragen sollte. Seit ich denken konnte, befand sie sich in dieser Nahrungssklaverei und hinterließ in mir nichts anderes als Essstörungen. Fünfzehn Jahre kotzte ich mir fast die Seele aus dem Leib, um dünn zu sein und arbeitete mich krank, um ihr und den anderen Leistungssüchtigen der Familie zu genügen. Als ich dann dünn war, fühlte ich mich leichter, aber auch meines Glaubens an mich selbst beraubt. Eines Tages machte mir ein Arzt klar, dass ich sterben würde, wenn ich nicht in eine Klinik ginge. Ich hatte keine Lust auf Gevatter Tod, zumal ich ihm schon einmal begegnet war. Es war keine sonderlich angenehme Begegnung. Ich wollte leben – und vor allem lebendig sein.
»Zieh einen kurzen Rock an«, hatte mir Mutter vor der Feier zu ihrem 60. Geburtstag befohlen. »Und trag endlich mal Farben!«, gackerte sie weiter. Ich zog einen Rock an, trug rot (ich hasste rot!) und zupfte den ganzen Abend an meiner Kleidung herum. Das war nicht ich! Ich trug damals gern Hosen, kleidete mich lieber schlicht und eher unauffällig. In einem dieser Momente, als ich meinen Rock zu richten versuchte, fauchte mich Mutter an: »Was machst du denn da? Das ist ja furchtbar!« »Nächstes Mal ziehe ich an, was ich will!«, giftete ich mutig zurück und fühlte wieder jene Wut in mir aufsteigen, die ich aus den letzten Jahren kannte. Wer war diese Frau, die mich so attackierte? Ich, die sich sonst immer so ergeben und liebeshungrig verhielt, rollte mich ein, wurde unantastbar und nicht zu durchdringen; für einen Bruchteil meines Lebens fühlte ich mich unverletzlich. Die Krankheit, die mich vor einem Jahr eingeholt hatte, empfand ich als Strafe dafür, dass ich bis vor 15 Jahren mit meinem Leben spielte und dem Tod die Gelegenheit gab, mich als Opfer ins Auge zu fassen. Doch wieder ließ ich mich nicht von ihm einschüchtern. Er war noch viel träger als ich.
Freundinnen
Am nächsten Tag rief ich meine Freundin Anika an. Ich fühlte mich bis aufs Äußerste strapaziert und die Ausweglosigkeit faulte in mir, wie ein zu lange liegengelassener Apfel. Anika meldete sich wie immer und als sie mich hörte, brachte sie auch wie immer ihre Freude zum Ausdruck. »Gesundes neues Jahr, meine Liebe!«, säuselte sie in den Hörer und ich wünschte ihr das auch, natürlich im Eilzugtempo. Alles dauerte mir zu lange, auf meiner Zunge lag ein gallebitterer Geschmack, meine geschundene Eitelkeit blähte sich auf und drohte zu platzen. »Dass alles besser wird als im letzten Jahr und du gesünder wirst …« bla, bla, bla. Anika schien heute guter Dinge zu sein. »Ja, danke, meine Liebe«, säuselte ich zurück und verschluckte die garstigen Worte, die meine Kehle hochkrochen (»Halt endlich deinen Mund, lass die Floskeln sein und tröste mich. Sofort! Sonst komme ich auf dein Amt und erwürge dich!«) Doch dann sprudelte es aus mir heraus. Mein ganzes Elend spritzte regelrecht durch die Löcher des Telefonhörers. Anika war auf Arbeit, aber zu meinem Glück an diesem Tag allein im Zimmer. So konnte ich meinem Kummer freien Lauf lassen. Anika schwankte nicht zwischen Lachen und Bedauern, sie entschied sich für beides: Sie lachte und bedauerte mich, sie stimmte mir zu und wies mich zurecht. Ach, ich liebte sie an diesem Tag ganz besonders. Nun fand ich es gar nicht mehr schlecht, dass sie so guter Dinge war. »Hör zu, meine Liebe.« Oh ja, ich sperrte meine Ohren auf.
Meine Nerven waren zum Zerreißen gespannt. »Du bist endlich erwachsen geworden!«, sagte Anika schlicht und ergreifend. Sekundenlang war es still in der Leitung. »Hallo, Sonne?« Anikas warme Stimme drang endlich durch mich hindurch. »Erwachsen«, wiederholte ich mit brüchiger Stimme und versuchte, das Wort langsam zu wiederholen. »Ja, klar. Mensch, du warst früher viel zu dünn! Manchen Frauen steht es einfach nicht, so dünn zu sein und du gehörtest definitiv dazu. Dein Gesicht war zu spitz und du hast manchmal ausgesehen, als würdest du dich auf Dauermagerkurs befinden! Jeder, der dich sah, musste den Impuls bekommen haben, dich umgehend und ohne jegliche Verzögerung mit einem fetten Essen versorgen zu müssen!« (Was? Mich hat nie jemand zum Essen eingeladen, sie müssen beim Impuls abgestorben sein oder Anika spinnt.) »Du bist verheiratet und kommst eben in die Jahre. Gut so, glaub mir!« Och nee, dachte ich. »In die Jahre also …« Wie konnte Anika das so schonungslos formulieren? In die Jahre, betagt, nicht mehr ganz jung, verbraucht, ausgedörrt, verkommen … Was? Und wieso war ich damals zu dünn? Ich fand mich gut so, hatte mich wohlgefühlt. Ich ging in den Laden und kaufte mir, was mir gefiel, ohne kaschieren zu müssen und das alles in der wundervollen, phantastischen, anmutigen und gesellschaftstauglichen Konfektionsgröße 38 (und in meinen besten Zeiten sogar 36). »Außerdem hattest Du vor einem Jahr die Operation, das spielt bestimmt auch noch eine Rolle.« Anika war immer schon die Vernünftige und Erwachsene, deshalb mochte ich sie auch so sehr. Sie war die Realistin, ich der Emotionsbolzen. Sie analysierte die Dinge so, als ob sie eine Matheaufgabe lösen würde. Aber manchmal nervte es mich einfach. (Sie hatte doch nicht etwa Recht?).
»Anika, jetzt muss ich mir alles neu kaufen und in dieser Größe gibt es nichts Flottes!« »Ich habe diese Konfektionsgröße auch und laufe nicht nackt durch die Gegend! Du wirst nicht sterben, sondern dich neu einstellen. Das ist alles, ganz einfach.« Ganz einfach also? Einfach? Anika war der mütterliche Typ und seit ich sie kannte, trug sie den gleichen Stil, nichts anderes. Sie hatte leicht reden. Aber ich konnte auch nicht zu ihr sagen: »He, meine Liebe. Deine Klamotten sehen nach Oma aus und so will ich nicht rumlaufen!« Ich war nie eine, die nahestehenden Menschen ohne Nachzudenken auf den Schlips trat. Als hätte sie meine Gedanken gehört, meinte Anika plötzlich, offensichtlich selbst erstaunt über ihre gute Idee: »Es gibt Läden, da kannst du flotte Klamotten einkaufen, auch in dieser Größe, glaub mir!« Punkt. Ausgestanden. In mir flackerte ein Licht, das Licht der Hoffnung. (Juhu, ich musste nicht aussehen wie eine Oma, juhu, ich musste nicht hungern und ewig Kalorien zählen, mir womöglich eine Waage kaufen oder Sport machen.)
Etwas zuversichtlicher hakte ich nach: »Und die Schlüpfer?« Ja, Schlüpfer nannte ich sie, denn Slip war ein viel zu zarter Ausdruck für diese Stoffbeutel mit drei Löchern. »Ach, Mädel!« Anika seufzte. »Hast du schon mal von den Pants gehört? Die sehen flott aus, die gibt es auch mit Spitze oder eben ganz einfach. Du bist sowieso dem Stringtanga-Alter entwachsen!« Ent… was? Entwachsen? Wie unverblümt sich Anika wieder ausdrückte, wie verteufelt nüchtern sie immer war. (Rausgewachsen, aus den Nähten geplatzt, in die Breite gegangen, ausladend, unförmig, pummelig, dickbäuchig!) Mir fielen so viele Synonyme zu entwachsen ein und Anika plapperte inzwischen munter weiter, von ihren eigenen Ideen regelrecht inspiriert. »Hotpants gibt es sogar, da ist dein Bäuchlein eingepackt.« Bäuchlein nannte sie das also, eine Verniedlichung der zu Fleisch und Fett gewordenen (einst schlankwüchsigen) Erscheinung. »Und es sieht trotzdem hübsch verpackt aus. Du musst dich damit nicht schämen!« Ich hörte nur hübsch verpackt und dachte an meine frühere Begründung, warum ich regelmäßig das Sonnenstudio aufsuchte: »Brauner Speck sieht besser aus als weißer« und alle lachten über diese Aussage. Nun ja, sie werden wohl gelacht haben, weil ich das sagte, obwohl ich aussah, als könne ich mich hinter einem Zaunpfahl umziehen und beim Duschen von Strahl zu Strahl springen. Schließlich mochte ich Anika und ihre Art. Ich wusste genau, dass ich dringend nachdenken musste und dafür brauchte ich Zeit und Ruhe.
Ich musste meine gesamte Kleidung im Kopf neu gestalten und mich dann aufmachen, um die XXL-Läden zu stürmen. Ich kannte einen Laden, der hieß: »Fülle in Hülle«. Immer, wenn ich früher daran vorüberfuhr, bedauerte ich die Frauen, die dort einkaufen gingen. »Oh Anika, danke, dass du mir wieder zugehört hast!« Anika lachte und sagte: »Du bist mir Eine! Gerne immer wieder, meine Liebe!«
Ja, ich war Eine, und was für Eine … Ich war seit Tagen eine – eine unausstehliche, alternde Diva und alles andere als eine liebe. Ich brannte und ich war aggressiv. Vielleicht wurde ich schon wie meine Mutter? Ich kam mir vor, als würde ich auf einem Pulverfass sitzen, in dem sich die andere Mitte meines Lebens befand (gealtert, faltig, zerfressen von Bitterkeit und folglich auch unsexy … und nicht zu vergessen: mit einem Sparbuch unter dem Kopfkissen, in dem ich jeden Monat die Verbesserung der Qualität des Holzes für meine Kiste verfolgen konnte).
Die Frau im Sack
Ich beschloss, doch irgendwie weiterleben zu wollen und machte einen Plan. Erstens: Kleiderschrank beräumen, zweitens: Kleidung verschenken, drittens: Geschäfte für die Frau ab Größe 44 aufsuchen. Also, los ging‘s. Ich probierte alles an. Vorher nahm ich eine Baldriantablette, um meine gereizten Nerven zu beruhigen. Es dauerte zwei Stunden: Die wunderschönen Oberteile meiner früheren Lieblingsmarken stapelten sich auf dem Bett. Ich liebte all diese Sachen und hatte sie immer geschont. Ich wusch sie mit den Händen, um den Stoff nicht in der Waschmaschine zu quälen. Sie hingen in meinem Kleiderschrank abgesondert von den anderen Sachen, damit ich mich immer an ihrem Anblick erfreuen konnte. Und nun? War alles vorbei. Der Schrank wurde immer leerer und gähnte mich mit regelrechter Bösartigkeit an. Ich setzte mich auf die Bettkante und weinte verstört. Meine Lieblingsmarken gab es nicht mehr in dieser Größe, ich musste mich von ihnen endgültig verabschieden. Die Sachen mussten weg. Ich wollte sie nicht mehr sehen, wollte nicht, dass sie mich täglich an den Verlust meiner jugendlichen Schönheit erinnerten. Meine Schwägerin hatte diese Größe und nicht viel Geld. Ich beglückte sie am Ende dieses furchtbaren Tages mit all diesen phantastischen Oberteilen, Röcken und Jeans. Sie freute sich ungeheuer. Normalerweise machte es mich ungemein glücklich, anderen Menschen eine Freude zu machen. Diesmal jedoch befand ich mich in der Schlucht von übermächtiger Trauer. Immer, wenn ich seit diesem Tag meine Schwägerin sah, völlig neu eingekleidet mit meinen Sachen, wurde ich traurig. Ich hatte ihr meine Schönheit vermacht. Manchmal konnte ich sie kaum ansehen, weil mich der Schmerz um meine alte, schöne Figur fast zu erdrücken drohte.
Am nächsten Tag suchte ich dieses Geschäft »Fülle in Hülle« auf. Die Puppen im Schaufenster trugen höchstens Gr. 40, was mich zutiefst beunruhigte. Ich war froh, als ich sah, dass die Verkäuferin mindestens zwei Konfektionsgrößen größer trug als ich jetzt brauchte und nahm all meinen Mut zusammen, um folgenden Satz herauszuquetschen: »Ich muss mich neu einkleiden und suche etwas Modernes in meiner Größe.« Ohne das ich es bewusst tat, brachte dieser Satz die Verkäuferin dazu, meine Konfektionsgröße zu erraten (was diese Berufsgruppe wohl gern machte und mich früher stets erfreute). »Ich schätze mal, Sie brauche höchstens die 44?«, meinte sie und lächelte mich freundlich an. Darauf war ich nicht vorbereitet. »Äh, ja, die 44 bis 46 brauche ich. Das heißt oben herum brauche ich eher die 46, bei den Hosen reicht die 44«, nuschelte ich. Sie verstand mich trotzdem und lachte irgendwie gemütlich. »Na, andersherum wäre es nicht so angenehm, nicht wahr?« Ich war ja nicht so schnell mit dem Begreifen, vor allem, wenn ich abgelenkt und angestrengt war. »Nee, wäre es wohl nicht«, meinte ich salopp und als ich den Satz ausgesprochen hatte, verstand ich ihre Bemerkung erst. (Sie hatte das wohl durchaus freundlich gemeint, mich nicht mit einer Birne zu vergleichen!). »Was haben Sie sich denn so vorgestellt?«, fragte die Verkäuferin besonnen und sah mir direkt in die Augen. Ich bemerkte, dass sie jene mütterliche Ausstrahlung besaß, die ich an anderen Frauen mochte (nur eben nicht an mir) und fasste etwas mehr Vertrauen zu ihr. »Nun ja, ich habe im letzten Jahr zugenommen, hatte früher die Größe 38 und würde jetzt gern etwas Weiteres tragen, was mein Gewicht kaschiert.« Die Frau sah mich an, als hätte ich gerade offenbart, dass heute noch die Welt untergehen würde. Ich bemerkte, wie sie schluckte und überlegte. »Ich möchte Ihnen ja nicht zu nahe treten, junge Frau«, begann sie und sprach betont langsam, »aber wir führen hier Größen bis über die 54 hinaus. Die Frauen, die diese Größen tragen, wollen tatsächlich kaschieren, was auch in Ordnung ist. Aber Sie, mit der 44 oder 46, müssen doch nichts kaschieren. Sie können doch ihre Weiblichkeit betonen.« Sie sprach noch weiter, aber ich verschwand schon wieder in meinem Tunnel. Ich hörte nur Weiblichkeit und war enorm gestresst. Irgendwie gelang es ihr jedoch, dass ich wenigstens meinen Kopf wieder aus der Öffnung des Tunnels steckte.
»Sie sind wesentlich größer als der Durchschnitt der Frau von heute und man sieht Ihnen die Konfektionsgröße gar nicht an.« Das war Balsam für meinen Ohren und so kroch ich vollends aus dem Tunnel hervor. Dabei überlegte ich kurz, ob Verkäuferinnen vielleicht eine psychologische Ausbildung hatten, was ich bisher noch nie festgestellt hatte. Als ich noch dünn war, sagte mal eine Verkäuferin zu mir: »Sie brauchen zwar nur die 36/38, aber Sie haben ausladende Hüften. Solche Kleidung führen wir hier nicht.«
Damals flüchtete ich aus diesem Laden, man sah mich dort nie wieder und ich bekam diesen Satz auch nie aus meinem Kopf. Ich begann, meine ausladenden Hüften zu verachten und versuchte fortan, sie zu verbergen.
Jedenfalls stand hier ein offensichtlich außergewöhnlich nettes Exemplar dieser Zunft vor mir und ich beschloss, aus diesem Einkauf einiges zu lernen. »Ach, ich weiß nicht, ich war früher immer schlank und kann noch nicht so richtig damit umgehen. Ich möchte wirklich lieber erst einmal etwas, was nicht so am Körper anliegt, will mich einfach wohler fühlen.« »Das verstehe ich sehr gut«, meinte die nette Dame und tätschelte meinen Arm. »Kommen Sie doch mal mit. Ich zeige Ihnen mal einiges in dieser Größe und Sie können in Ruhe anprobieren und auswählen. Es ist niemand weiter im Laden und Sie haben alle Zeit der Welt. Die Kleidung ist so wichtig im Leben einer Frau und gerade in unserem Alter legen die Frauen besonderen Wert auf ihr Äußeres.« Upps! Der erste Teil ging noch runter wie Öl. Doch bei dem letzten Satz begann es in meinem Kopf plötzlich verdächtig zu hämmern. (›In unserem Alter‹, sagte sie? Diese Frau ist ganz sicher über 50 und ich noch nicht einmal Mitte 40! Das sind mindestens acht Jahre! Da gibt es wohl erhebliche Unterschiede!) Gerade war ich dabei, in meinen geliebten Tunnel zu gleiten, da sagte die Frau: »Nun ja, Sie sind gewiss jünger als ich und können sich mehr Extras gönnen«. Und wieder lächelte sie gütig. Sie wirkte ruhig und ausgeglichen und so hielt ich mich an der Kabinentür fest, um nicht wieder im Tunnel zu verschwinden.
Ich suchte mir zunächst zwei Ponchos aus: einen dunkelbraunen und einen grauen. Ich mochte die Farbe Grau nicht, sie ließ mich blass und müde wirken. Jetzt war mir alles gleich, Hauptsache, es war weit und geräumig. Man packt ja auch keinen Bus in die Garage eines Motorrades! Die Verkäuferin sah mich ein wenig traurig an, als ich mir diese zwei Teile griff und gesenkten Kopfes auf die Kabine zuging. Sie versuchte, mich aufzuheitern: »Hier, diese zwei Sweatshirts kann ich Ihnen noch empfehlen. Die können Sie unter die Ponchos ziehen. Die Farbe hellt das Bild etwas auf.« Nun ja, den Wink mit dem Zaunpfahl konnte ich diesmal gleich verstehen, denn ich tendierte beim Anblick der Ponchos zur Trübsinnigkeit. »Die Pullover liegen an. So können Sie die Ponchos super bequem darüber tragen und nichts stört Sie darunter.« Im Spiegel erblickte ich meinen verbitterten Mund, sah die alternde Frau im Spiegel böse an und steckte ihr die Zunge raus. (Bist du hässlich geworden, verdammt noch mal, wie kann so was sein? Wie konntest du nur in so kurzer Zeit zum wehmütigen Fleischklops mutieren?) Das alles war mir zu viel. Ich drehte dem Spiegel den Rücken zu und betrachtete das erste enge, fliederfarbene Longshirt näher. Auf dem Schild stand: »EU Gr. 46/48«. »Das ist doch die 46/48!«, rief ich entsetzt aus der Kabine heraus und hielt mir, erschrocken von der eigenen Spontanität, sofort die Hand auf den Mund. »Ja, aber die fällt kleiner aus und da Sie so groß sind, brauchen Sie es länger«, beruhigte mich die Frau.
»Okay«, meinte ich kleinlaut und zog es mir über, immer noch den Rücken zum Spiegel gewandt. (Es ist doch noch schlimmer, dass ich so groß bin. Wenn ich klein und dick wäre, würde ich nicht so auffallen. Viele Frauen sahen so aus. Aber groß und dick, das ging gar nicht. Aber das verstand die Frau nicht.) Ich sah mich nicht an, sondern zog geschwind den Poncho drüber. »Und? Kommen Sie klar?«, rief die Verkäuferin, die scheinbar direkt vor meiner Kabine stand. Warum müssen sie das immer tun? Warum fragen sie solche überflüssigen Sachen wie »Kommen Sie klar?« oder »Brauchen Sie noch etwas?« Womit um Himmels Willen sollte ich denn beim Anprobieren nicht klarkommen oder was sollte ich beim Anprobieren noch brauchen? Wollte sie mich anziehen? Warum ließen die einen nicht in Ruhe anprobieren und raubten einem jede Möglichkeit, sich mit den Sachen anzufreunden? Ich war doch kein Mann, der in ein Geschäft ging, weil er einen Bierbauch mit sich herumschleppte, die Pullover in der XXL drüber streifte, »alles klar« sagte, zur Kasse ging und bezahlte. Ich war eine Frau und musste eine Beziehung zu den Sachen aufbauen. Sie sollten ein Teil von mir werden. Als ich meine wunderschönen Sachen meiner Schwägerin schenkte, gab ich einen wichtigen Teil von mir weg, sozusagen den Hauptteil. Es war wie ein kleiner Tod. Jetzt musste ich mich neu binden – an neues Material, an neue Gerüche, neue Farben, neue Schnitte, neue Größen. Warum ließen sie einem nicht die Zeit für den Aufbau dieser neuen Beziehungen, in Gottes Namen? »Ja, ich komm klar«, brummte ich aus der Kabine und zog Grimassen wie ein bockiges Kind. Sie störte mich tatsächlich bei meiner intensiven Kontaktaufnahme mit dem Neuen, mit dem sich vielleicht einmal mein Körper im Einklang befinden sollte.
Ganz langsam drehte ich mich zum Spiegel. Ich spürte, wie ich wieder so schrecklich schwitzte und hatte Angst, dem neuen Longshirt unangenehme Achselflecken verpasst zu haben. Was, wenn ich das Teil nicht kaufte? Was, wenn die Frau die Flecken sah? Mist, ich hatte früher nie geschwitzt. Was zum Teufel war mit mir los? Und dann nahm ich die fremde Frau dort im Spiegel wahr. Eine große Frau in einem Sack sah mich an, mit wütend vorgeschobenem Kinn, hängenden Mundwinkeln, monströsem Leibesumfang, der in dem Sack noch umfangreicher wirkte. Der Bus war eingeparkt. Meine Lider flatterten in dem grellen Licht der Umkleidekabine. (Warum müssen die in den Kabinen immer so viel Licht haben? Wir Frauen wollen gar nicht so viel sehen wie die glauben!) Ich sah ein unförmiges Gebilde in mausgrauem Design und erkannte mich nicht wieder. Mein Atem stockte, im Brustkorb schmerzte es verdächtig. Das Fazit: Ich regte mich mächtig auf. Diese plumpe Gestalt dort konnte doch unmöglich ich sein? »Klappt es denn?«, tönte von draußen die Frau, die es nur gut mit mir meinte. In diesem Augenblick war sie meine Feindin, denn sie wurde Zeugin meiner Wandlung vom Zier- zum Kugelfisch. »Ja, es klappt«, stöhnte ich mit brüchiger Stimme. Ich wusste, sie wartete darauf, dass ich den Vorhang aufzog, damit sie mich betrachten konnte. Das tat ich auch. Ich überragte die Frau mindestens um eineinhalb Köpfe und sie war viel dicker als ich. Doch ich sah sie, als ich vor ihr stand, als ein zartes Geschöpf neben mir. Das machte die Sache noch schlimmer. Sie brauchte eine kleine Weile, ehe sie etwas sagte und sie lächelte nicht. Nur in ihren warmen Augen konnte ich so etwas wie Mitgefühl erkennen. »Wie fühlen Sie sich?«, fragte sie. »Wie im Sack«, antwortete ich ehrlich. »Ja, das ist sicher eine Umstellung für Sie, aber sie müssen sich auf alle Fälle wohlfühlen darin. Das ist das A und O bei der Kleidung.« »Ja, ja, es ist schon okay«, flüsterte ich angestrengt. »Besser als in so engen Sachen, in denen ich aussehe wie eine Presswurst.« Die Frau lachte herzlich über diesen Ausdruck und empfahl mir, die anderen zwei Teile auch zu probieren.
Mir war gar nicht zum Lachen zumute, was mein düsterer Blick wohl auch verriet. Die Verkäuferin räusperte sich. »Darf ich Ihnen noch eine Hose anbieten?«, schlug sie betont munter vor, im Versuch, diese Situation zu entschärfen. »Wenn Sie eine in vierunddreißiger Länge haben?«, fragte ich und hoffte, dass sie verneinte. So war ich das immer gewohnt. In Deutschland schienen nur Bordsteinkantenschnüfflerinnen zu leben, wenn man nach dem Angebot in den Kaufhäusern ging. »Ja, allerdings habe ich in dieser Länge nur zwei: Eine schwarze und eine dunkelbraune.« Klar, schwarz und dunkelbraun, andere Farben würde ich meiner Figur auch nicht mehr zumuten wollen. Letztendlich war ich froh darüber, dass sie überhaupt zwei Hosen in meiner Länge führte. Melancholisch dachte ich an meine knallenge, weiße Jeans, die vor wenigen Jahren meine schlanke Figur betont hatte und die die Erdnuckelchen neidisch zu mir aufsehen ließen. Missmutig nahm ich der Verkäuferin die Hosen ab und lief stocksteif dem zweiten schweren Gang entgegen.
In der Kabine nahm ich die Hosen unter die Lupe und traute meinen Augen nicht. Nicht nur, dass die braune Hose aussah, als ob sie einer Siebzigjährigen gehörte. Nein, sie hatte sogar an den Seiten einen Gummizug, der noch einige Kilo mehr zuließ. Solche Hosen hatte ich immer verachtet und über sie gelacht. Sie sollten den gewaltigen Frauen erlauben, nicht zu darben. Der Gummizug war meiner Meinung nach einfach nur eine Hilfe zum Selbstbetrug. Nie im Leben hätte ich gedacht, dass ich jemals mit solch einer Oma-Hose in einer Kabine stehen würde, um sie anzuprobieren, geschweige denn mit dem Gedanken zu spielen, sie zu kaufen. Impulsiv warf ich die Hose auf den Stuhl in der Kabine und verdammte mein Leben. Warum machte ich nicht einfach eine Diät? Warum kaufte ich mir nicht solche Drinks aus der Apotheke, die man sich literweise reinschüttete, um an Gewicht zu verlieren und verkündete dann überzeugt, dass ich normales Essen gar nicht mehr mochte und alles, was ungesund war, verdammte? Warum musste ich nach meiner Mutter schlagen, die sich mit Nahrungsmitteln auskannte, als läge unter ihrem Kopfkissen die Kalorien- und Fetttabelle und mir jedes Mal, wenn wir gemeinsam aßen, die Nährwerte in den Mund zählte, was mir das Essen gründlich verdarb, bevor es meinen Magen erreichte? Warum war ich überhaupt eine Frau geworden? Männer hatten es viel einfacher. Diesmal hielt sich die Verkäuferin zurück, sinnlose Fragen zu stellen. Ich hätte schon lange fertig sein müssen, doch ich stand wie angewurzelt in der Kabine, stellte mir Grundsatzfragen und starrte die Hosen angewidert an.
»Nein!«, platzte es plötzlich aus mir heraus. »So was ziehe ich nicht an, wirklich nicht!«, rief ich schwer atmend und riss den Vorhang auf. »Okay«, sagte die Verkäuferin und versuchte, ihren beruhigenden Ton beizubehalten. Ich nahm die Hosen, legte sie unwirsch auf ihren Arm, den sie mir bereitwillig hinstreckte, schloss den Vorhang wieder und zog in Windeseile den anderen Longpullover und Poncho über meinen Kopf. Ich sah mich im Spiegel an, beschloss, dieses Elend hinzunehmen, zukünftig in den Abgründen des Oma-Daseins zu verschwinden, mich um Koch- und Backrezepte und meinen Haushalt zu kümmern, eine unübertreffliche Mutter für den Kleinen zu sein und eine sittsame, ewig lächelnde Ehefrau in grauer Reizlosigkeit, die heimlich in den Sachen des Ehemannes wühlte, um die versteckten Pornofilme zu finden.
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