Kitabı oku: «Codename Travertin», sayfa 2

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Doch diese Plätze sind alle längst abgegrast. Deshalb ist Fantasie gefragt! Zum Beispiel: Kleine, regelmäßig geformte Hügel bleiben stets interessant. Gräberfelder liegen nicht direkt am Wasser. Wo könnte in der Umgebung ein Heer das Lager aufgeschlagen haben? Man hat den Blick oder man hat ihn nicht. Das wirst du bald merken!“

Die „Ausbildung“ hatte in der privaten Garage des Denkmalpflegers stattgefunden. Er bewahrte offenbar einige Fundstücke, die er verkaufen wollte, in seinem Wagen auf. Weshalb behielt er für sich.

Frank vermutete, als Vorsichtsmaßnahme. Um für den Fall, dass man ihn mit einem Artefakt erwischte, eine plausible Ausrede parat zu haben. Ein ausgegrabenes Stück im Auto dürfte grundsätzlich weniger verdächtig sein, als eines, das zum Beispiel in seiner Wohnung gesehen wurde.

Der Denkmalpfleger zeigte ihm an verschiedenen Teilen, worauf er besonders achten sollte. Eine grüne Verfärbung wies auf Kupfer hin. Das zeichnete sich meistens bereits im Boden ab, bevor man auf die Artefakte stieß. Knotenmuster verwiesen auf Kelten. Römische Funde erkannte man an den Waffen und natürlich an der typischen Ausrüstung der Legionäre. Logischerweise konnte sich Frank nur einen Bruchteil der Tipps merken.

Was ihm jedoch trotzdem auffiel. Der Umstand, dass der Denkmalpfleger den Wagenschlüssel in einem Blechkasten verwahrte, der in der Garage an der Wand hing. Darin lag auch verschiedenes Werkzeug und offenbar einige Ersatzteile, die zu dem alten Benz gehörten. Er bemerkte Franks erstaunten Blick auf die Werkzeuge. „Ich repariere an ihm alles selbst“, ließ er stolz hören. „Ein absolut unverwüstlicher Diesel. Davon laufen in Afrika noch Tausende.“

Frank zeigte beeindruckt. „So einfach ist das nun auch wieder nicht“, versuchte er zu loben, ohne zu schmeicheln.

„Na, ja. Etwas Erfahrung ist natürlich schon nötig. Aber machbar ist es.“

***

Mit dem Detektor im Arm schlenderte Frank hin und her durch die Wiese am Bach. Kein Spaziergang. In der ersten Stunde grub er mehrere Kronenkorken und Abziehringe von Getränkedosen, einen Bügelverschluss und etliche rostige Konservendosen aus. Das interessanteste Teil bestand aus einem Stück Stoff, an dem ein Metallteil hing. Ein Druckknopf, wie sich bei genauerer Betrachtung herausstellte.

Niemals hätte Frank geglaubt, dass so viel Müll einfach in die Natur geworfen wurde. Das Tal glich trotz seiner Idylle eher eine Müllhalde als einem Paradies.

Frank erkannte allmählich, was der Denkmalpfleger gemeint hatte: Die Landschaft ermöglichte oder verhinderte eine direkte Verbindung zwischen zwei Orten. Ortskundige kannten die besten Möglichkeiten. Mit der Zeit bildete sich mindestens ein Trampelpfad, dem andere Reisende auch ohne Führer folgen konnten. Gewisse Stellen auf diesen Wegen boten einfach Ort und Reiz für eine Rast. Deshalb sammelten sich die Abfälle vorwiegend an solchen Plätzen. In alter Zeit stellten Metalle einen hohen Wert dar und wurden nicht einfach weggeworfen. Sondern beispielsweise verloren, versteckt oder manchmal zusammen mit dem Besitzer begraben. Die modernen Abfälle, die sehr oft Metalle enthielten, überlagerten deshalb meistens die interessanten Fundstellen.

Frank schaltete den Detektor ab, zerlegte ihn und verstaute ihn im Rucksack. Zuerst erkunden, dann graben, sagte er sich. Müll sammeln war gewiss, zumindest im übertragenen Sinn, eine verdienstvolle Tätigkeit. Aber kaufen konnte man davon nichts.

Auf dem Kamm, der das Tal nach Süden begrenzte, hielt er Ausschau. Woher wären mögliche Feinde gekommen? Spielte das für seine Suche überhaupt eine Rolle?

Am ergiebigsten dürfte ein Gräberfeld aus friedlichen Zeiten sein. Geschmückte Skelette in Reih und Glied. Auf denen man seit Jahrhunderten achtlos herumspazierte.

Frank versuchte, sich vorzustellen wenn man einfach so, einen Meter tief in die Erde hineinschauen und sich der Schätze bemächtigen könnte. Es müsste doch einen Weg geben?

Auf der linken Talseite fiel ihm eine sanfte Erhebung auf. Die konnte durchaus von Menschenhand stammen. Je länger er sie betrachtete, desto klarer schien es. Wie sollte auf einer Anhöhe, die an dieser Stelle in eine klar begrenzte Ebene überging, auf natürliche Weise ein Hügel entstanden sein?

Der Weg schien zwar nicht besonders weit, führte jedoch von oben nach unten und wieder hinauf. Völlig nassgeschwitzt erreichte er den östlichen Kamm. Keine Spur mehr von einem Hügel. War er einer optischen Täuschung erlegen? Blödsinn, der Hügel existierte. Er ließ sich bloß nicht mehr erkennen, wenn man direkt darauf stand.

Entschlossen packte Frank die Sonde aus. Schon nach wenigen Schritten ertönte das erste Signal. „Na also“, brummte er vor sich hin, „geht doch!“

***

In Berlin blätterte zur gleichen Zeit der Rentner Michael Gerteis den Bericht durch, den er gerade im Briefkasten gefunden hatte. Verfasst von einem Karl Heinz Huber. Der Name sagte ihm nichts. Genauso wie er keine Ahnung hatte, wer ihm das Papier zugespielt hatte und wozu.

An Heinrich Lehmann, den sie als Agent Armin Schuppers im Westen „beschäftigt hatten“, erinnerte er sich.

Eine alte Geschichte, die mit einem Liquidierungsauftrag einen klaren Abschluss gefunden hatte. Weshalb ihn wohl jemand mit dieser ollen Kamelle beschäftigen wollte? Gerteis zuckte mit den Schultern. Begannen die Genossen mit beginnender Altersdemenz damit, ihre „Heldentaten“ zu verherrlichen?

Trotzdem las er die Seiten aufmerksam durch. Eine absolut glatt gelaufene Sache, was nicht immer der Fall gewesen war. Dieser Mann war praktisch ohne Aufsehen erledigt worden. In einem Hotel, das kurz nach der Aktion abgerissen wurde. Zufall? Das wusste Gerteis auch nicht genau. Es war üblich gewesen, Informationen nur an diejenigen weiterzugeben, die sie tatsächlich benötigten. Das hatte sich bewährt.

Gerteis stutzte. Fingerabdrücke? Von der Leiche des Agenten? Die angeblich nicht mit denen übereinstimmten, die in der Akte hinterlegt waren? Er selbst hatte diese Abdrücke besorgt, von einem Glas, das Lehmann bei einem Treffen benutzt hatte. Irrtum ausgeschlossen! Konnte sich nur um eine Schlamperei handeln.

Nicht auszudenken, wenn der noch am Leben wäre. Gerda hatte sich inzwischen zur erfolgreichen Landespolitikerin entwickelt. Lehmann hatte sie damals als Waldtraut Scholz gekannt.

Michael Gerteis erinnerte sich ganz besonders an die Aufmachung, die Mia, die extrem begabte Maskenbildnerin des MfS, Gerda alias Waldtraut verpasst hatte, um Lehmann zu täuschen. Erschreckend echt. Als wäre sie tatsächlich gnadenlos zusammengeschlagen worden. Wenn er es nicht besser gewusst hätte …

Na ja immerhin. Mia hatte keinerlei Fantasie benötigt, um sich vorzustellen, wie eine von Profis verprügelte Frau aussah. Sie hatte damals mehr als genug Anschauungsmaterial zur Verfügung.

Gerda war aktuell für die nächsten Wahlen auf Bundesebene nominiert. Der Weg zur Bundesministerin dürfte nur noch eine Frage der Zeit sein. Dadurch erschien sie fast täglich in den Medien. Natürlich würde Lehmann sie erkennen, falls er noch am Leben sein sollte.

Ein absoluter Supergau. Für die Partei genauso wie für Gerda. In ihrer Position konnte bereits ein Verdacht, der sich nicht sofort und komplett ausräumen ließ, den erzwungenen Rücktritt bedeuten.

Und was konnte mit den vielen sorgfältig getarnten Genossen passieren, wenn sich diese Schleusen einmal geöffnet hatten?

Selbst wenn es sich nur um ein verschwindend kleines Restrisiko handelte: Konnte er es ignorieren? Dass auch er selbst in den Strudel geraten würde, wäre kaum zu vermeiden. Und als pensionierter Beamter im höheren Dienst bot das Leben mit gerade mal achtundsechzig Jahren Annehmlichkeiten, auf die er nur sehr ungern verzichten würde. Oder sie sogar gegen eine Zelle eintauschen.

Es gab nur eine Lösung. Er musste sich darum kümmern. Auch wenn er damit schlafende Hunde wecken sollte.

Ist sicher nur falscher Alarm, versuchte er, sich selbst zu beruhigen. Aber das schale Gefühl wollte nicht verschwinden. Irgendwie schien das Atmen schwieriger als sonst. Jedoch das lag wohl eher daran, dass er zu viel rauchte, schalt er sich selbst. Damit hatte Lehman ganz bestimmt nichts zu tun.

3. Kapitel

Die Besprechung fand am üblichen Treffpunkt statt. Ein Café, das sie früher schon genutzt hatten, als es noch zum MfS gehörte. Das hatte allerdings damals kaum jemand gewusst. Das Café hatte als stiller Ort gegolten, den man aufsuchte, wenn man sich ungestört unterhalten wollte. Dabei war jeder Tisch verwanzt gewesen und Kameras hatten alles festgehalten. Allerdings war das Material praktisch nie verwendet worden. Zumindest nicht direkt. Höchstens als Anstoß zu weiteren Nachforschungen. Der Mythos der Ungestörtheit in diesem Lokal war damals wichtiger gewesen, als die mögliche Brisanz der Informationen. Alles lange her. Die neuen Besitzer hatten keine Ahnung von früher, und die technische Einrichtung war gleich nach der Wende abgebaut worden.

Gerteis hatte bereits zwanzig Minuten hinter einer Zeitung gesessen, als Fleischer auftauchte. „Welch ein netter Zufall“, begrüßte er lautstark seinen alten Kollegen. „Dass ich dich hier antreffe!“

Gerteis schien wenig begeistert, zeigte jedoch auch keine Ablehnung. „Morgen, Herbert. Ich bin ab und zu hier, das weißt du doch“, stellte er nüchtern und ebenso laut, fest.

Dass es sich hier nicht um eine Verabredung handelte, sollte spätestens jetzt jedem zufälligen Zuhörer aufgefallen sein.

Gerteis ließ brav die Zeitung sinken. „Setz dich! Wie geht’s?“

„Du hast doch den Bericht schon gelesen“, flüsterte Fleischer. „Was hältst du von der Sache?“

„Könnte brisant werden!“

„Das denke ich auch. Deshalb möchte ich, dass du dich um die Fakten kümmerst!“

Gerteis konnte ein Grinsen nicht unterdrücken. „Ganz wie früher. Du schnippst mit dem Finger und ich renne. Hast du vergessen, dass ich nicht mehr dein Untergebener bin? Ich bin im Ruhestand.“

„Es betrifft uns beide, das ist dir wohl klar“, gab Fleischer ungerührt zurück. „Du brauchst mir nichts vorzuspielen. Du solltest eher froh sein, dass du gewarnt und einbezogen wirst.“

Gerteis winkte ab. „Erspar mir das. Was weißt du sonst noch? Wie groß scheint dir die Möglichkeit, dass Schuppers, beziehungsweise Lehmann, noch lebt?“

„Lehmann? Das heißt, du erinnerst dich tatsächlich an den Mann?“

„Ja. Sein Deckname, Travertin, kommt an meinem Geburtsort vor. Ein Süßwasserkalk aus Thermalquellen, der als heller Baustoff Verwendung findet. Deshalb ist er mir im Gedächtnis geblieben. Aber Travertin wurde endgültig versiegelt. Auch daran erinnere ich mich. Einstimmig beschlossener Vorgang. Seine Loyalität wurde mehrfach in Frage gestellt. Weshalb sollte die Aktion nicht durchgeführt worden sein. Und ohne mich zu informieren. Kann ich mir wirklich nicht vorstellen.“

„Ich halte es ebenso für ausgeschlossen. Er hatte das Zimmer bezogen. Unser Mann hat ihn dort besucht und seine Aufgabe erfüllt. Genauso wie bei seinen Einsätzen davor und danach. Wenn was schiefgegangen wäre, hätte er es selbst wieder ausgebügelt. Für uns zählte ja bloß das Ergebnis. Wie er es erreichte, überließen wir ihm!“

„Also bleiben die Abdrücke übrig“, stellte Gerteis fest, „die angeblich nicht stimmen?“

Fleischer nickte.

„Wie komme ich an Infos? Über dich?“

Fleischer nickte aufs Neue. „Ich kümmere mich um die Daten, die im System zu finden sind. Du trägst die übrigen Fakten zusammen, triffst dich mit alten Kameraden, die möglicherweise helfen können, und so weiter. Ein Bild von Lehmann wäre schon ein guter Anfang, um nach ihm zu suchen!“

Gerteis konnte zum zweiten Mal ein Grinsen nicht unterdrücken. „Wir waren wohl zu gründlich beim Aufräumen.“

„Ich dachte weniger an unsere Akten. Aber jemand hat diesen Lehmann gekannt und besitzt ein Foto von ihm. Wie bei jedem Menschen. Gut möglich, dass er auch Kontakt zu alten Freunden gesucht hat, als er untertauchen wollte.“

„Dafür, dass du nicht an seine Existenz glaubst, wirkst du ziemlich überzeugend“, stellte Gerteis fest.

„Es darf einfach nicht sein, dass er plötzlich auftaucht“, gab Fleischer zurück. „Deshalb gehen wir die Sache so an, als ob er überlebt hätte!“

***

Frank Berger verfluchte den unpraktischen Klappspaten nicht zum ersten Mal. Höchstens geeignet als Geschenk für einen Kollegen, den man nicht mochte. Ein richtiges Werkzeug kam trotzdem nicht in Frage, weil man damit gleich von Anfang an auffiel. Ein großer Stein, der sich nicht bewegen ließ, verhinderte bislang seinen Erfolg. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als neben seiner ersten Grabung ein neues Loch auszuheben. Immerhin war diese Seite des Tals ruhig. Bisher wurde er nicht durch Wanderer gestört. Bei der Größe der Sondierung, die er inzwischen erreicht hatte, würden die normalen Ausreden nicht mehr helfen. Normalerweise stellte man einfach den Rucksack auf die Stelle und wartete, bis sich die Neugierigen verzogen hatten. So deutlich, wie das Signal ausgefallen war, musste es sich um ein größeres Objekt handeln. Um den Signalton für ein edles Metall herauszuhören, fehlte Frank noch die Erfahrung. Aber es schien ihm durchaus möglich.

Eifrig stocherte er mit dem Spaten im Loch. Seine Hände brannten, die ersten Blasen machten sich bemerkbar. Im Moment störte ihn das nicht. Frank befand jetzt im Rausch des Schatzjägers. Endlich! Der Stein begann zu wackeln. Mit einer gewaltigen Anstrengung hebelte Frank ihn aus der Erde.

Schon einige Zentimeter tiefer begann sich das Erdreich braun zu verfärben. Da, etwas Helles! Ein Knochen?

Der Knochen entpuppte sich als länglicher Stein. Frank schüttelte den Kopf. Eigentlich wusste er doch inzwischen, dass sich Knochen in der Erde dunkel verfärbten. Immerhin ließ sich der Spaten jetzt leichter in den Untergrund schieben. Offenbar war er auf Sand gestoßen. Ein gutes Zeichen. Mit Sand wurden Gräber meistens zugeschüttet, ging ihm durch den Kopf, während er weiter schaufelte. Das Loch wuchs auf einen Meter Tiefe. Jedoch ohne, dass ein Fund auftauchte.

Irritiert gönnte sich Frank eine Pause. Das Signal war so klar gewesen, dass er jeden Irrtum ausgeschlossen hatte. Hier musste einfach etwas liegen. Schließlich packte er die Sonde doch wieder aus. Vermutlich hatte ihm die Tiefenanzeige einen Streich gespielt. Elegant schwenkte er das Gerät im Loch, dann erstarrte er. Kein Mucks. Die Anzeige leuchtete, er hatte also nicht vergessen, das Gerät einzuschalten. Was zum Teufel …

Als ob vor nicht mal einer halben Stunde einfach nichts gewesen wäre. Das Gerät blieb ruhig. „Schon kaputt, du Scheißding“, murmelte Frank vor sich hin, bevor er den Ring der Sonde zur Sicherheit einmal dicht über den Spaten gleiten ließ. Das Signal heulte so laut auf, dass Frank das Ding vor Schreck beinahe fallen gelassen hätte.

Kopfschüttelnd überprüfte er den Aushub. Nichts. Erst als er sich dem ausgebuddelten Stein näherte, heulte das Gerät erneut auf. Der Brocken enthielt offenbar Metall. Und nicht zu knapp. So ein Mist! Nicht mal auf die Steine ist noch Verlass, dachte Frank verärgert.

Ein Blick auf seine Hände erregte Übelkeit. Dürfte wohl ein paar Tage dauern, bis er wieder ohne Schmerzen etwas richtig anfassen konnte. Aber selbst wenn er nichts gefunden hatte: Den Rausch, den er eben erlebt hatte, den würde er nicht so schnell vergessen. So musste sich das viel zitierte Goldfieber anfühlen. Kein Wunder, das unzählige Menschen ihm erlegen waren.

Notdürftig schob er das Loch wieder zu. Der Stein landete selbstverständlich ganz unten. Und wenn dies auch nur dem Zweck diente, dass ein möglicher, nächster Schatzjäger die gleiche Plackerei vor sich hatte, wie er selbst.

***

Michael Gerteis dachte stundenlang darüber nach, was er noch an Infos über den Agenten Lehmann zusammenkratzen konnte. Sämtliche Aufzeichnungen waren vernichtet oder verschwunden. Nur das, was in irgendwelchen Köpfen überlebt hatte, blieb greifbar.

Gerteis hatte in seiner Laufbahn Hunderte von Mitarbeitern betreut. Lehmann war ihm im Gedächtnis geblieben als einer der wenigen Ausländer, die sie damals verpflichten konnten. Aber Einzelheiten über ihn, wie weitere Decknamen, Freunde oder Personendaten? Unmöglich, alles im Kopf zu behalten.

Die einzige Person, die ihm zu Lehmann einfiel, blieb Gerda. Aber die durfte er damit nicht behelligen. Außerdem wusste sie kaum viel mehr als er selbst.

Direkte Nachforschungen: absolut unmöglich. Der Gedanke entlockte ihm ein Lächeln: „Gerteis! Ministerium für Staatssicherheit, eine Frage …“

Früher waren die Leute regelrecht geschrumpft vor der Macht, die er mit dieser Einleitung ausstrahlte. Und heute? Heute musste er sich vor dem Pöbel verstecken.

Irgendjemand weiß immer noch was, versuchte er, sich selbst zur Ordnung zu rufen. Eine Sekretärin oder ein Archivar. Ein Fahrer vielleicht? Aber ohne Bild und Namen? Früher, da hatten sie diese Geruchsproben gehabt. Stofffetzen in Einmachgläsern. Einfach, aber effektiv. Ein Spürhund konnte nicht nur identifizieren, sondern auch gleich die Spur des Subjekts verfolgen. Das war der Hochtechnologie der Westler doch tausendfach überlegen gewesen. Mindestens.

Gerteis zwang sich zu einem neuen Versuch, bei der Sache zu bleiben. Bloß die Fingerabdrücke besaßen sie konkret als greifbares Indiz. Jemanden damit zu finden war jedoch nur möglich, wenn man über Zugang zu Polizeiinformationen verfügte. Damit eindeutig Fleischers Sache. Der konnte jedoch nicht einfach so, wie früher, nach einer Person fahnden, die er zufällig im Visier hatte. Aber wenn man einen konkreten Verdacht dazu konstruieren konnte, spann er den Gedanken weiter. Vielleicht …

Die Prints auf einer Sache, die allgemein interessierte. Kein Mord. Das würde zu schnell auffliegen. Aber Kunstwerke oder illegal gehandelte Altertümer zum Beispiel, die schafften es auch in die Nachrichten. Und das waren Dinge, die nicht jeder einfach so anfassen durfte, wie ein Taxi oder eine Banknote.

Er würde mit Fleischer darüber sprechen. Vermutlich blieb dies das Einzige, was er selbst beitragen konnte. Wenn ihm nicht ein plötzlicher Geistesblitz weiterhalf.

Gerteis ärgerte sich nicht nur über seine eigene Ohnmacht. Schmerzlich wurde ihm auch bewusst, wie sehr er schon zum alten Eisen gehörte. Ein nutzloser Esser, so hatte ihn sein Vater als Junge oft bezeichnet. Sollte der Alte so spät noch Recht bekommen? Möglicherweise hatte der damals die gleiche Erfahrung gemacht, die er selbst gerade erlebte. Und hatte mit diesem Spruch einfach von sich ablenken wollen?

Aber als zweifacher Kriegsheld hatte sein Vater das eigentlich nicht nötig gehabt. Der hatte gewusst, wozu er gelebt hatte. Völlig unvorstellbar, dass sich der Alte mit Dingen wie Sinn oder Unsinn des Krieges beschäftigt hatte. Pflicht und Gehorsam! Das zählte. Die guten alten Werte.

An denen er selbst jedoch gescheitert war. Hatte er denn eine Wahl gehabt?

„Verdammt!“, schalt er sich selbst. Das alles lag längst hinter ihm. Er hatte sich längst damit abgefunden, dass von ihm keine Spur mehr bleiben würde, sobald sich der Deckel seines letzten Möbels über ihm geschlossen hatte.

***

Franks Hände hatten sich soweit erholt, dass er seit ein paar Tagen wieder mit dem Suchgerät durch die Gegend streifen konnte. In einer anderen Ecke, die ihm der Denkmalpfleger, der offenbar gierig auf neues Material wartete, empfohlen hatte. Die Schwierigkeit bestand hier weniger darin, die Sachen zu finden, sondern darin, sie unbeobachtet aus der Erde zu bekommen. Frank nutzte deshalb die Morgendämmerung, um zu graben. Und den Tag, um zu suchen. Mit unauffälligen Zeichen wie einem geknickten kleinen Ast oder ähnlichen Dingen markierte er Plätze, die durch ein deutliches Signal der Sonde als mögliche Fundstellen in Frage kamen.

In dem lichten Wäldchen, das ihm der Denkmalheini empfohlen hatte, vermutete dieser einige unberührte Keltengräber. Allerdings sollte Frank, falls er darauf stieß, keinesfalls allein versuchen, die Gegenstände zu bergen. Stattdessen sollte er sich die Stelle merken, damit sie zusammen mit einigen zuverlässigen Jungs den kompletten Schatz in einer Nacht rausholen konnten.

Franks Aufmerksamkeit und die Interpretation der Sonden-Signale hatten sich durch die Übung weiter geschärft. Die Signale ergaben ein ähnliches Muster, wie es bei Skeletten mit Beigaben zu erwarten war. Oben zum Beispiel ein Halsreif, links und rechts die Waffen oder Armschmuck, im Fußbereich Behälter aus Metall oder weitere Preziosen. Abstände und Liegerichtung zeigten sich auffallend regelmäßig. Selbst ohne große Kenntnisse der Materie wäre jedem Schatzsucher klar, dass es sich hier zu graben lohnte.

Mindestens seit zwei Stunden hatte Frank niemanden in der Nähe gesehen, also überlegte er, ob er sich über die Anweisung hinwegsetzen konnte oder nicht. Die unglaubliche Neugier zu zügeln, die ihn erfasst hatte, schien fast unmöglich. Wenigstens eine kleine Sondierung! Nur, um sicher zu gehen, natürlich. Das schien ihm vertretbar. An der Stelle, an der er einen Halsreif vermutete, stach er eine Scholle aus der Erde und legte sie vorsichtig ab, um sie genau gleich wieder einsetzen zu können. Die wenigen Bäumchen und Sträucher hinterließen nicht genug Laub, um den Boden vollständig zu bedecken. Einige Kräuter, die Frank nicht kannte, wuchsen verstreut zwischen Pilzen und winzigen Nadelbäumchen. Trotzdem zeigte sich der Boden von Wurzeln durchsetzt, was leichtes Graben unmöglich machte.

Frank kratzte mit der Klinge seines Jagdmessers, das er sich kürzlich zu diesem Zweck zugelegt hatte, die Erde zwischen den Wurzeln hervor, um wenigstens noch eine Handbreit tiefer zu kommen. Der Denkmalpfleger hatte ihm erzählt, dass die Skelette oftmals fast direkt unter der Oberfläche lagen, in Tiefen von zehn bis zwanzig Zentimetern. Natürlich fand sich genau an dieser Stelle ein Stein zwischen den Wurzeln. Bei seinem Glück wohl unvermeidlich. Frank fluchte leise. Den Stein würde er auf jeden Fall noch schaffen, selbst wenn er damit die Klinge völlig ruinierte.

Überraschenderweise konnte Frank den ganzen Tag weitergraben, ohne gestört zu werden. Mehrere Objekte lagerten inzwischen in seinem Rucksack. Ein schöner Halsreif, zwei Dolche oder auf jeden Fall Klingen, die sich nicht so besonders gehalten hatten, sowie einige Klumpen, die anhand der Grünverfärbung auf Kupfer schließen ließen.

Völlig erschöpft, jedoch hochzufrieden, ließ Frank endlich ab. Die Fundstelle hatte er soweit präpariert, dass es kaum auffallen würde, dass hier jemand gegraben hatte.

Der Denkmalpfleger würde Augen machen, wenn er ihm die Fundstücke vorlegte. Eigentlich hatten sie ausgemacht, dass er ihm einzelne Funde ganz einfach per Post zuschicken konnte. Ohne Absender natürlich und an seine Privatadresse. Das vermied auf jeden Fall, mit Artefakten unterwegs oder bei einer Übergabe erwischt zu werden. Die Idee dazu stammte aus der Erfahrung des Denkmalpflegers. Es kam ab und zu vor, dass er auf diesem Weg Funde erhielt, die wahrscheinlich von Schatzsuchern stammten, die ein schlechtes Gewissen plagte.

Jedoch bei der Größe und Menge von Franks Funden bliebe auch diese Methode nicht mehr unauffällig. Dafür wandelte sich Franks Position damit vom ahnungslosen Helfer zum erfolgreichen Finder.

Und ganz nebenbei machte diese Arbeit auch noch richtig Spaß. Eigentlich konnte Frank sich gut vorstellen, in Zukunft nur noch Schätze auszugraben. Besser, als auf einer Baustelle zu malochen, wäre es allemal.

***

Frank rief den Denkmalpfleger zu Hause an. Der bestellte Frank auf den „Platz“, um das Vorgehen zu besprechen, wie er es ausdrückte. Weder Lob noch Tadel. Frank führte es auf die alte Regel zurück, am Telefon nichts Verdächtiges zu sagen.

So war er bester Laune, als er sich auf das „geliehene“ Fahrrad schwang. Der Treffpunkt, wieder der Rastplatz an der Landstraße, lag nur wenige Kilometer entfernt.

Die neue Entwicklung musste auch für den Beamten ideal sein. Je mehr Frank allein erledigte, desto weniger riskierte der Denkmalheini selbst, ohne dabei entbehrlich zu werden.

Also kein Grund für Misstrauen oder die Befürchtung, dass Frank ihm das Geschäft aus der Hand nehmen wollte.

Der Platz, eher an einer Stelle gelegen, an der kaum jemand rasten mochte, lag abgesehen von einigen hektischen Vögeln in gewohnter Ruhe da. Frank hielt sie für Spatzen oder Meisen, die sich um die Früchte eines Busches stritten. Er schob das Rad ins Gebüsch und verschwand selbst hinter einer dicken Zitterpappel. Heute kam er eindeutig zu früh. Die Reserve, die er eingerechnet hatte, erwies sich als zu lang für seine inzwischen beachtliche Kondition auf dem Rad. Sitzend lehnte er sich an den Stamm. Mit geschlossenen Augen genoss er den leichten Windhauch, der ihn umschmeichelte. Trotz der lauten Vogelbande, die sich nur kurz hatte aufscheuchen lassen, schlief er einfach ein.

***

Das hässliche Geräusch durchdrehender Reifen riss ihn aus dem Schlummer. Mühsam rappelte er sich auf und kroch aus der Deckung. Einen dunklen Wagen, der sich schnell entfernte, konnte er gerade noch erkennen.

Egal. Auf jeden Fall hatte der ihn noch rechtzeitig geweckt, bevor der Denkmalheini auftauchte. Ein Blick auf die Uhr ließ Frank stutzen. Er hatte mehr als eine halbe Stunde geschlafen. Der Typ sollte doch längst hier sein?

Oder hatten die noch rasch ein Geschäft abgewickelt, während der Geschäftspartner hinter einem Baum gepennt hatte?

Die dunklen Flecken auf der Parkbank fielen Frank zuerst auf. Die mussten ganz frisch sein. Auch wenn er noch ein ganzes Stück entfernt stand, nahm er deutlich die Insekten wahr, die sich offenbar brennend für diese Flecken interessierten. Sein Weg ins Gebüsch hatte direkt an der Bank vorbeigeführt. Da waren zuvor weder Viecher noch Flecken gewesen. Die hätte er bestimmt nicht übersehen. Vermutlich stammte die ganze Schweinerei von dem Idioten, der ihn mit seinem Kavalierstart geweckt hatte, dachte Frank. Das passte ja auch irgendwie zu dem.

Erst als er einen Finger in einen der Flecken tunkte, traf ihn die Erkenntnis wie ein Blitz. Blut! Angeekelt betrachtete er seinen Zeigefinger. Von irgendwo aus seinem Hirn schlich sich eine leise Warnung ein: Was machst du da?

Reflexartig roch er an der Substanz, bevor er unwillkürlich zurückwich. Vielleicht handelte es sich doch nur um Saft von zerquetschten Brombeeren?

Die Farbe passte zwar einigermaßen. Aber sein Finger roch überhaupt nicht nach Beeren.

Große Teile der Bank waren verschmiert mit frischem Blut. Möglicherweise hatte der Idiot eine Katze überfahren, die sich sterbend auf die Bank geschleppt hatte, weil sie es nicht mehr auf einen Baum schaffte, fiel Frank ein. Ohne Zweifel nur ein weiterer schwacher Versuch, sich selbst zu beruhigen.

Die Schleifspur ließ sich kaum erkennen. Aber sie war vorhanden. Ihr zu folgen würde Gewissheit bringen. Und vermutlich auch eine Menge Scherereien.

Andererseits: Es konnte sich immer noch um einen Tierkörper handeln, der hier geblutet hatte. Ein Reh, zum Beispiel. Aber natürlich. Frank atmete auf. Absolut normal an einer Landstraße. Die ästen schließlich inzwischen am helllichten Tag ganz offen. Kaum noch Respekt vor den Menschen, seit sie nicht mehr intensiv gejagt wurden …

Die Hoffnung erstarb mit dem Anblick der Schuhsohlen, die unter einem Busch hervorlugten. Große Treter. Das Profil fürs Gelände geeignet, keine Bürolatschen.

Den endgültigen Tiefschlag holte sich Frank, als er sich neben den leblosen Körper ins Gebüsch zwängte. Der Denkmalheini, der ihn aus weit aufgerissenen Augen anzustarren schien.

Selbst wenn man den braunen Holzgriff mit den sauber eingesetzten messingfarbigen Nieten ignorierte, der senkrecht aus seiner Brust ragte: Hier kam jede Hilfe zu spät.

Trotzdem versuchte Frank, am Hals einen Puls zu ertasten. Er zuckte erschrocken zurück, als er den Toten berührte. Er fühlte sich viel zu warm an.

Einen Puls fand Frank nicht. Aber was hatte das schon zu bedeuten, fragte er sich selbst. Er erinnerte sich, wie er schon des Öfteren zum Spaß versucht hatte, bei eindeutig noch lebendigen Partnerinnen die Halsschlagader zu ertasten. Was er jedoch noch nie richtig geschafft hatte.

Tot oder nicht? Was zum Teufel sollte er jetzt machen?

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