Kitabı oku: «Schlüssel der Zeit - Band 5: Antoniusfeuer», sayfa 2
Sie nahm das Kärtchen, das vor einer kleinen hölzernen Truhe stand. Sie war sehr einfach gefertigt, aus dunkelbraunem Holz. „Truhe aus dem Antoniterkloster zu Roßdorf, circa 1500.“ Keyra schnalzte mit der Zunge. „In Roßdorf gab es ein Antoniterkloster?“
Im nächsten Moment begann ihr Schlüssel zu vibrieren und das kirschkerngroße, silbrig-glänzende Schloss an der Truhe fing an zu singen.
„Das ist nicht dein Ernst!“, stöhnte Keyra. „Jetzt? Ausgerechnet jetzt?“ Sie warf einen hilfesuchenden Blick zur Tür, doch natürlich tauchten Christopher und Leo in diesem Moment nicht wieder auf.
Keyra wusste, dass sie keine Wahl hatte. Sie ergriff den Schlüssel, der sanft golden leuchtete. Sofort verwandelte er sich in ein kleines Schlüsselchen, das problemlos in das winzige Schloss der Truhe passen würde. „Na schön“, grummelte Keyra. „Also los.“
Sie nahm die Truhe aus dem Regal und steckte den Schlüssel in das Schloss. In dem Moment, als das mittlerweile vertraute goldene Licht sie umfing, verlor sie die Besinnung.
3. Die Hebamme und der Ordensbruder
Als Keyra aufwachte, war es überhaupt nicht so, wie es immer in Filmen und Romanen beschrieben wurde. Es war kein langsames Auftauchen aus der Dunkelheit der Bewusstlosigkeit. Es gab keine verwaschenen Stimmen, die langsam deutlicher wurden. Keyra war mit einem Schlag hellwach.
Sie riss die Augen auf und starrte an eine Holzdecke und lehmverputzte Wände. Ruckartig setzte sie sich auf – und bereute es sofort, denn ihr wurde schwindlig.
„He, nicht so schnell!“ Eine junge Frau eilte an ihre Seite und stützte Keyra, sodass sie nicht mit einem satten Klatschen zurück auf ihr Lager fiel. Das wäre gewiss nicht angenehm gewesen, denn Keyras Bett bestand aus einer harten Pritsche mit einer strohgestopften, dünnen Matratze. Keyra blinzelte und bemühte sich, nicht allzu klischeemäßig zu klingen, als sie fragte: „Wo bin ich?“
WANN bin ich?
„Ganz ruhig, Mädchen, du bist in Sicherheit. Du bist im Kloster des Heiligen Antonius in Roßdorf.“
Damit hatte ich fast gerechnet. „Und wie komme ich hierher?“ Keyra hoffte, dass es keine allzu dumme Frage war. Normalerweise wurde sie durch das Schloss gesogen und tauchte an der gleichen Stelle wieder auf. Da sich das Schloss dieses Mal in einer Truhe befunden hatte, ging sie davon aus, dass sich die Truhe irgendwo in der Nähe befand. Schließlich hatte sie – laut Infokärtchen – einst diesem Kloster gehört.
„Ich habe dich hierher gebracht.“ Die junge Frau lächelte Keyra beruhigend an. Sie war ein paar Jahre älter als Keyra, vielleicht Anfang 20, hatte weizenblonde Haare und eine helle Haut mit Sommersprossen. Am auffälligsten waren ihre leuchtend grünen Augen. „Mein Name ist Martha. Ich bin die Hebamme des Ortes und helfe den Antonitern hin und wieder im Spital aus. Als ich auf dem Weg hierher war, habe ich dich bewusstlos im Feld gefunden, am Rande der Straße, die nach Hanau führt. Bist du überfallen worden?“
„Ich weiß es nicht.“ Ah, die gute alte Amnesie-Lüge. „Ich … äh … hatte ich etwas bei mir?“ Eine Truhe zum Beispiel?
Martha griff nach einer Leinentasche, die neben dem Bett auf einem Schemel lag. „Diese Tasche.“
„Danke!“ Keyra griff nach der einfachen, sackähnlichen Tasche, die tatsächlich wie diejenige aussah, die sie bereits einige Male in der Vergangenheit bei sich gehabt hatte. Ich habe immer noch nicht gefragt, wer mich eigentlich umzieht und ausstattet. Sie spähte in die Tasche hinein. Zu ihrer Erleichterung sah sie ihr Wächterbuch, außerdem einen Brief und ein paar Wäschestücke. Eine Geldbörse konnte sie nicht entdecken.
„Was hatte ich denn an?“, fragte sie und sah an sich hinab. Momentan trug sie nur ein langes Unterkleid, das man Chemise nannte.
„Ich habe deine Sachen hier hingelegt“, sagte Martha. Ihre sanfte Stimme beruhigte Keyra, die sich orientierungslos und unwohl fühlte. „Weißt du deinen Namen?“
„Hm … Clara?“ Keyra hatte sich bereits daran gewöhnt, dass der Name ihrer Großmutter häufig ihren Tarnnamen darstellte.
Martha lachte. „Das klingt wie eine Frage, du bist dir also nicht ganz sicher, was? Na, Kopf hoch! Deine Erinnerung wird bald wiederkommen.“
Die Tür öffnete sich und ein junger Mann in einer schwarzen Kutte kam herein. Als er sich Keyra zuwandte, sah sie ein blaues, t-förmiges Kreuz, das im Brustbereich der Kutte aufgenäht war. „Ich sehe, dein Schützling ist aufgewacht“, sagte er und lächelte. Auch er war wohl nicht viel älter als Keyra, vielleicht in Marthas Alter. Er trug eine Tonsur in seinen braunen Haaren und hatte ein freundliches, rundes Gesicht, in dem fröhliche dunkle Augen blitzten.
„Gerade eben“, bestätigte Martha. „Das ist Severin, der Hospitalarius des Klosters. Er ist für alle Kranken im Hospital verantwortlich.“
„Das sind momentan nicht viele, dem Herrgott und dem Heiligen Antonius sei gedankt“, sagte Severin und schlug ein Kreuz. Diese Geste kam Keyra keineswegs übertrieben oder betont fromm vor – es geschah eher nebenbei und wirkte wie eine liebgewonnene Gewohnheit. „Deswegen haben wir genug Platz, um dir einen eigenen Raum zu geben, Mädchen. Wir wollten dich nicht zu den Siechen legen, denn krank bist du offenbar nicht. Was ist dir zugestoßen?“
„Sie glaubt, sie heißt Clara, aber sie kann sich nicht an viel erinnern“, antwortete Martha für sie.
„Hat sie vielleicht einen Schlag auf den Kopf bekommen?“ Severin zog fragend die Augenbrauen nach oben.
„Das ist möglich, sie hat jedoch keine schweren Kopfverletzungen, die darauf hindeuten. Ich würde sagen, sie hatte so etwas wie einen Schwächeanfall.“
Keyra mochte es nicht, dass die beiden so über sie redeten, als sei sie gar nicht da. „Ich glaube, es geht mir schon wieder ganz gut“, sagte sie. „Vielleicht brauche ich nur etwas Schlaf – ich fühle mich sehr erschöpft.“
„Natürlich, Mädchen“, sagte Martha sofort. „Du solltest dich etwas ausruhen.“
„Dann lassen wir dich jetzt alleine“, kündigte Severin an. „Martha, ich wollte dich ohnehin holen, weil du nach unserem Gast Mathis sehen sollst. Sein Fieber ist gestiegen.“
Martha runzelte die Stirn. „Das sollte nicht geschehen. Ich habe ihm extra …“ Während die beiden redeten, schienen sie Keyra völlig zu vergessen und verließen den Raum. Keyra wartete einen Moment, ehe sie nach der Tasche griff und das Wächterbuch hervorholte. Nach etwas Wühlen fand sie zudem ein Stück Kohle, das sie zum Schreiben benutzen konnte – Federkiel und Tinte hatte sie derzeit nicht zur Hand.
Kaum hatte Keyra das Buch aufgeschlagen, erschien Leopold von Wachtbergs akkurate Schrift: Der Antoniter-Orden, auch Antoniusorden, Antonier oder Antonianer, war ein christlicher Hospitalorden. Er wurde 1095 als Laienbruderschaft in St.-Didier-la-Mothe in der Dauphiné in Südostfrankreich gegründet und ist nach Antonius dem Großen benannt. Dies war ein christlicher ägyptischer Mönch, Asket und Einsiedler. Er wird unter anderem auch als Antonius der Einsiedler und „Vater der Mönche“ bezeichnet und häufig als Lehrer dargestellt. Er ist nicht zu verwechseln mit anderen Heiligen gleichen Namens, wie dem Heiligen Antonius von Padua.
Die Aufgabe des Ordens war die Pflege und Behandlung von Kranken, die am „Antoniusfeuer“ litten, einer im Mittelalter in Europa weit verbreiteten Krankheit.
Das Stammkloster des Ordens befindet sich in Saint Antoine l’Abbaye, wo der französische Adlige Gaston den Orden als Dank für die Heilung seines Sohnes vom Antoniusfeuer mit Hilfe der dort befindlichen wundertätigen Reliquien des Heiligen Antonius gestiftet haben soll. Das erste Antoniterkloster auf deutschem Boden wurde um 1190 in Roßdorf gegründet; die Generalpräzeptorei wurde 1441 nach Höchst am Main verlegt …
Keyra strich hastig dreimal mit der flachen Hand über die Seite und griff nach dem Kohlestift. „Leo, Stopp!“, schrieb Keyra in das Buch, ein gutes Stück unter die letzten Zeilen. Die Schrift verharrte. Es funktioniert, dachte Keyra begeistert.
„Kannst du mir erst einmal sagen, in welchem Jahr ich mich überhaupt befinde?“, kritzelte sie und hoffte, dass Leo ihre Schrift lesen konnte; mit Kohle schrieb es sich nicht eben elegant.
6. September 1502, kam die prompte Antwort. Dann, nach kurzem Zögern: Geht es dir gut?
„Ich war bewusstlos, als sie mich fanden, fühle mich aber fit. Irgendeine Alibi-Geschichte?“
In deiner Tasche müsste ein Brief sein, der dir weiterhilft. Du musst ihm dem Procurator geben, aber du darfst das Siegel vorher nicht brechen!
„Okay – sonst noch was für den Moment?“ Da fiel ihr selbst etwas ein. „Halt! Wenn das Kloster 1441 verlegt wurde und ich mich im Jahr 1502 befinde – warum bin ich dann im Kloster?“
Roßdorf war den Antonitern weiter wichtig, auch wenn viele Brüder abgezogen und die Reliquien und Altäre verlegt wurden. Es ist 1502 noch ein wichtiger Standort.
„Na schön. Gut zu wissen“, sagte Keyra laut, nachdem Leo keine weiteren Anstalten machte, sich zu äußern. Sie schwang die Beine über die Bettkante, stand auf und zog sich um. Das Kleid war ein sackähnliches Gebilde aus grobem, hellem Stoff. Kann ich nicht auch mal die Kleider einer Adligen bekommen?
Nachdem sie sich angekleidet hatte, griff sie in die Tasche und zog den Brief hervor. Er war tatsächlich versiegelt. Das Siegel war etwa so groß wie der Boden einer Kaffeetasse: ein rotes Oval mit einem schwarzen Rahmen und einem blauen T mit Serifen. Sie steckte Brief und Wächterbuch sorgsam zurück in die Tasche.
„Schön. Dann werde ich mich mal umsehen.“
Sie hängte sich die Tasche um und öffnete vorsichtig die Tür. Niemand war auf dem kleinen Gang zu sehen. Leise schlich sie hinaus und in den Gang hinein. Es herrschte Stille. Vielleicht waren in diesem Gebäude Kranke untergebracht, die schliefen. Keyra öffnete eine Tür am Ende des Ganges und blinzelte in helles Sonnenlicht. Vor ihr erstreckte sich das Gelände des Klosters. Sie hatte erwartet, etwas Ähnliches wie in der Rüdigheimer Kommende vorzufinden, aber dieses Kloster hatte eher etwas von einem Gutshof an sich: Ihr gegenüber erhob sich ein zweistöckiges Gebäude, zur Rechten erstreckte sich ein kleiner Kräutergarten. Links von dem Gebäude, aus dem sie getreten war, schloss sich ein weiterer, flacher Bau an; dahinter erhob sich eine Kirche von respektabler Größe. Dahinter schien es weiter zu gehen. Das ganze Gelände war von einer Mauer umgeben. Auf dem Hof liefen gackernde Hühner herum, und dazwischen tummelten sich Schweine, die kleine silberne Glöckchen um den Hals trugen.
Keyra hatte sich noch nicht an den unerwarteten Anblick gewöhnt, als sich eine Hand auf ihre Schulter legte. Sie drehte sich um und sah sich einem dicken Mönch gegenüber. Er wirkte keineswegs so freundlich wie Severin: Sein Gesicht, das von einer breiten Knollennase dominiert wurde, war knallrot und die buschigen Augenbrauen zornig zusammengezogen: „Na? Haben wir hier etwa eine Diebin?“
4. Der Procurator
Keyra war im ersten Moment zu perplex, um zu antworten. Der Mann reagierte darauf, indem er sie grob durchschüttelte. „Antworte, Dirne! Ist das der Dank für die Großherzigkeit der Antoniter, dass du hier herumschleichst, um etwas zu stehlen?“
„Ich wollte nichts stehlen“, protestierte Keyra. „Ich wusste nicht, dass es verboten ist, sich umzusehen.“
„Es ist verboten, alleine herumzuschleichen. Und deswegen kommst du jetzt mit zum Procurator, um dich zu verantworten.“ Die Finger des Mönchs schlossen sich wie eine Eisenklammer um Keyras Arm, und er zog sie hinter sich her. Sie überquerten den Hof vor ihnen. Das große Gebäude gegenüber hatte die Form eines Ls, und der Mönch strebte auf den kürzeren Flügel links von ihnen zu. Keyra protestierte gegen die grobe Behandlung, doch der Mönch beachtete sie überhaupt nicht. Er schritt energisch aus, sodass die Hühner empört gackernd auseinanderstoben. Keyra hatte kaum Zeit, sich zu orientieren. Ehe sie es richtig einordnen konnte, hatte der Mönch, dessen Kopf ein grauer Haarkranz zierte, eine Tür geöffnet, sie durch einen dunklen Flur und eine Treppe hinauf geschleift. Er klopfte an eine dunkelbraune Holztür und wartete nicht, bis eine Reaktion von innen kam. Schwungvoll drückte er eine Klinke hinunter und stieß Keyra vor sich her in den Raum.
„Procurator, ich habe eine Diebin ertappt, die auf dem Klostergelände herumgeschlichen ist.“
Hinter einem großen Schreibtisch saß ein alter Mann, ebenfalls ein Mönch, aber bestimmt doppelt so alt wie der Dicke, der Keyra hergezerrt hatte. Er hatte wache blaue Augen und weiße Haare. „Theobald, was hat das zu bedeuten?“, fragte er erstaunt.
„Ich bin nicht herumgeschlichen“, sagte Keyra empört. Sie befreite sich aus dem Griff des Mönchs. „Ich habe mich besser gefühlt und habe mein Krankenzimmer verlassen, weil ich mich umsehen wollte. Ich konnte nicht ahnen, dass man dafür als Diebin an den Pranger gestellt wird.“
„Du bist eine Kranke aus dem Hospiz?“ Der Procurator musterte sie von oben bis unten.
„Wieder eine Lüge – ich kenne die Siechen, und dieses Weib gehört nicht dazu. Sie ist überhaupt nicht aus dem Dorf.“ Theobald machte einen Schritt nach vorne, um Keyra erneut zu packen.
Keyra wich zurück, sodass sie mit dem unteren Rücken gegen den Schreibtisch stieß. „Ich bin keine Kranke. Ich hatte einen Unfall, Martha hat mich hierher gebracht.“
„Diese Hexe!“, Theobald verzog angewidert das Gesicht. „Du bist also mit ihr im Bunde.“
„Theobald!“ Der Tonfall des Procurators ließ das Gesicht des Mönchs zu Eis erstarren. „Ich weiß, wie du von Martha denkst, aber halte dich mit solchen Anschuldigungen zurück. Zudem reden wir momentan nicht von der Hebamme.“ Er wandte sich wieder Keyra zu. „Wie ist dein Name? Und was verschlägt dich nach Roßdorf?“
Der Brief! Wenn ich ihn jetzt nicht übergebe, wann dann? Keyra griff in ihre Umhängetasche und zog den Brief hervor. „Das hier wird einiges aufklären“, behauptete sie und hoffte inständig, dass es auch so war.
Der Procurator nahm den Brief mit fragend hochgezogenen Augenbrauen entgegen. Als er das Siegel sah, stockte er. Er drehte den Brief um und zeigte Theobald das rote Oval. Theobald schnappte nach Luft. „Das Siegel des Präzeptors!“
„In der Tat. Unser Gast ist wohl tatsächlich keine Diebin.“ Der Procurator nahm einen großen, mit einem blauen Edelstein besetzten Dolch vom Schreibtisch und brach damit das Siegel, entfaltete den Brief. Seine Augen huschten über die Zeilen, die, soweit Keyra erkennen konnte, mit schwarzer Tinte in gestochen sauberer Handschrift verfasst waren. Mit einem verblüfften Gesichtsausdruck ließ er das Schriftstück sinken. „Theobald, du wirst dich bei unserem Gast entschuldigen müssen. Das ist Kathrina Brücher, ein Mündel des Präzeptors. Sie sollte wohl eigentlich mit dem Wagen ankommen, der heute Morgen eingetroffen ist.“
Theobald klappte der Mund auf. „Ein … Mündel des …“
„Des Präzeptors, jawohl. Sie ist eine Waise aus Frankfurt, die am Kloster in Höchst aufgezogen wurde.“ Der Procurator sah sie mitleidig an. „Es tut mir sehr leid, dass Ihr Eure Eltern an das Antoniusfeuer verloren habt. Doch andere Waisen treffen es schlechter, wenn ihre Eltern nicht ihr Hab und Gut dem Kloster überlassen und so das Auskommen ihres Kindes sichern.“
„Huh … ja, da habe ich wohl richtig Glück gehabt“, sagte Keyra, da der Prokuratur sie abwartend ansah. Da Theobald die Stirn runzelte, setzte sie hinzu: „Äh, dem Herrgott sei gedankt!“
„Das ist doch Humbug“, protestierte Theobald. „Ich weiß nichts davon, dass der Großpräzeptor ein Mündel hat …“
„Das Haus in Höchst hat sogar mehrere Waisenkinder aufgenommen, von denen ich weiß“, unterbrach der Procurator. Er wies auf das Siegel. „Der Brief ist echt. In ihm bittet der Präzeptor darum, Kathrina aufzunehmen und in der Heilkunst zu unterweisen.“
„Was ist das für eine seltsame Bitte?“ Theobald blieb misstrauisch. „Warum unterweisen die Höchster das Weib nicht selbst?“
„Gründe sind nicht angegeben, und bei einer Bitte des Präzeptors sind sie auch nicht notwendig.“ Der Procurator faltete den Brief sorgsam zusammen. Keyra konnte sich denken, dass er seine Vermutungen hatte. Ein junger Mönch, der dem Mündel zu nahe getreten war, oder umgekehrt … Darüber wurde sicher nicht gesprochen. „Nun denn, willkommen im Antoniterkloster Roßdorf, Kathrina Brücher. Ich bin Procurator Adam Raid, das ist Vikar und Cellarius Theobald, mein Stellvertreter. Was ist Euch auf dem Weg hierher zugestoßen?“
Dass der Vikar ein Gesicht machte, als hätte er gerade in eine Zitrone gebissen, verschaffte Keyra eine gewisse Befriedigung. „Ich weiß es leider nicht. Ich kann mich an den Vorfall nicht erinnern, nicht einmal daran, wie ich ins Kloster gebracht wurde.“ Sie senkte den Blick. „Ich kann mich an nicht viel mehr als meinen Namen erinnern. Als ich den Brief in meiner Tasche gefunden habe, habe ich aber geahnt, dass er wichtig ist.“
„Hm …“ Adam strich sich über den kleinen Spitzbart, der ebenso wie sein Haupthaar schneeweiß war. Als er sich jetzt erhob, bemerkte Keyra, dass der schlanke Mann den Vikar um zwei Haupteslängen überragte. „Nun gut, die Erinnerung wird wiederkommen. Du wirst dich zunächst einen oder zwei Tage erholen und danach im Spital helfen.“
Oha – meine ‚Eltern‘ scheinen ganz schön großzügig gewesen zu sein.
„Martha wird sich um dich kümmern“, bestimmte Adam.
„Aber Procurator, das kann nicht Euer Ernst sein.“ Theobald knirschte mit den Zähnen. „Wenn dieses …. dieses Mädchen tatsächlich ein Mündel des Präzeptors ist, könnt Ihr es nicht diesem schlechten Einfluss aussetzen.“
Der Procurator atmete tief durch. Keyra war sicher, dass er am liebsten die Augen verdreht hätte. „Noch einmal: Martha ist eine gute Heilerin. Niemand sonst kennt sich so gut mit Heilkräutern aus. Solange es keinen ernsthaften Grund gibt, sie in Misskredit zu bringen, solltest du dich zurückhalten.“
Der Vikar beugte sich vertraulich vor. Dabei stützte er die rechte Hand auf die Tischplatte, an der ein goldener Ring funkelte: „Aber wenn ich es Euch doch sage – diese Hexe hat magische Kräfte. Schwangere Frauen kommen zu ihr und wenn sie gehen, sind sie nicht mehr schwanger. Sie ist eine Engelmacherin.“
„Das ist Schwätzerei.“ Adam winkte ab. „Schluss jetzt. Kathrina, geh zurück ins Hospital. Und du, Theobald, gehe in die Kirche, bete zehn Rosenkränze und denke dabei an das achte Gebot, das da lautet: Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten.“
5. Antoniterschweine
Mit einem spitzen Aufschrei wich Keyra einem Schwein aus, das sich ohne Rücksicht auf ihre Anwesenheit an ihr vorbei drängte. Verständlich: Auf der anderen Seite des Hofes warf der Koch gerade ein paar Küchenabfälle aus dem Fenster, und auf dem Weg zum Fressen stellte sich niemand einem hungrigen Schwein in den Weg. Das Glöckchen klingelte leise, während die Sau mit wippendem Ringelschwanz davon galoppierte.
„Die Biester sind ganz schön frech“, keuchte Keyra, die durch die Rücksichtslosigkeit des Schweins fast gefallen wäre und erst einmal ihr Gleichgewicht finden musste.
Severin, der Keyra über das Klostergelände führte, lachte laut auf. „Das sind sie allerdings. Diese Schweine sind etwas Besonderes. Siehst du das Glöckchen? Es zeichnet sie als Antoniterschweine aus.“
„Sie gehören also dem Orden? Aber das sollte doch klar sein, wenn sie auf dem Klostergelände leben.“
Severin deutete auf ein offen stehendes Tor. „Die Schweine bewegen sich frei auf dem Hof und im Dorf. Der Orden bekommt die Ferkel geschenkt, kennzeichnet sie durch das Glöckchen und lässt sie dann herumlaufen. Sie werden von allen Leuten gefüttert oder fressen Abfälle. Im Herbst werden sie dann eingesammelt und geschlachtet. Das Fleisch und die Würste werden in die Hospitäler gebracht.“ Er runzelte mit einem Mal die Stirn, und Keyra wurde klar, warum: Er wunderte sich sicher, warum Keyra das nicht wusste – oder eher Kathrina, schließlich „erinnerte“ sie sich mittlerweile an ihren „richtigen“ Namen, den Adam der Klostergemeinschaft mittlerweile verkündet hatte.
„Natürlich, in Höchst gibt es auch Antoniterschweine“, beeilte sie sich zu versichern. „Allerdings laufen sie dort eher im Dorf als im Kloster herum.“
Sie war froh, dass sie am Vorabend, als sie zurück in ihre Kammer gekommen war, noch einmal mit Hilfe des Wächterbuches etwas recherchiert hatte. So wusste sie bereits, dass das Kloster in Roßdorf das älteste Antoniterkloster Deutschlands war – oder eher gewesen war, denn vor einigen Jahren hatte man den Sitz des Konvents nach Höchst am Main verlegt. Obwohl Roßdorf mit der Generalpräzeptorei eine wichtige Funktion verloren hatte, residierte ein Verwalter weiter in Roßdorf und war für den umfangreichen Grundbesitz des Ordens zuständig. Severin, der sie herumführte, erklärte ihr, dass neben dem alten Procurator Adam und dem unwirschen Cellarius Theobald nur er selbst und die beiden Mönche Jean und Conrad im Kloster wohnten, während früher zwischen zwölf und dreißig Antonitermönche in Roßdorf gelebt hatten. Sie lebten im „Alten Bau“. Außerdem gab es drei alte Männer, die Severin als „Stifter und Pfründer“ bezeichnete. Etwa dreißig Mägde und Knechte bewirtschafteten den Hof und die dazugehörigen Anlagen, wie auch eine Mühle und ein Brauhaus.
„Ich verstehe nicht, warum vor sechzig Jahren der Konvent umgesiedelt wurde“, sagte Keyra, während sie auf die große Kirche zuschlenderten. Dem Gebäude war anzusehen, dass es für deutlich mehr Menschen gedacht war. Dem Wächterbuch zufolge gab es die Kirche in Keyras Zeit nicht mehr; sie war über die Jahre verfallen und als Steinbruch verwendet worden. Davon war sie heute weit entfernt: Noch glänzte das bunte Glas der Fenster, das für den Wohlstand des Ordens sprach.
„Das war die Entscheidung des Bischofs in Mainz. Er soll gemeint haben, Roßdorf sei ein unansehnliches Dorf und ohne Befestigungsmauern für ein geistliches Haus weniger geeignet.“ Severin zuckte die Schultern und zog die schwere Kirchentür auf. „Angeblich gab es Zwist mit den Herren von Hanau, aber ich weiß es nicht sicher. Viele Ordensbrüder waren erbost über die Entscheidung, aber ändern konnten sie nichts daran.“
Keyra folgte ihm ins Innere der Kirche. Das vordere Schiff wurde von einem großen Altar dominiert, ein Nebenaltar befand sich vor dem Chor. Keyra erkannte auf dem Altarbild eine in blau gekleidete Frau, bei der es sich mit Sicherheit um die Jungfrau Maria handelte.
„Die Kirche wurde zu einer Kapelle herabgestuft“, fuhr Severin fort und wies um sich. „Was angesichts ihrer Größe reichlich grotesk ist. Ursprünglich gab es vier Altäre; der Michaelsaltar und der Heiligkreuzaltar, die du aus Höchst kennen dürftest, standen einst hier. Auch die Reliquien – das Stück Bart und der Fingerknochen des Heiligen Antonius – befanden sich bis vor sechzig Jahren in dieser Kirche.“
„Der Fingerknochen“, wiederholte Keyra. Sie hatte mit Reliquienverehrung nie besonders viel anfangen können. Wenn es danach ging, hätten etliche Heilige deutlich mehr Extremitäten besitzen müssen, als normale Menschen, so viele Knochen von ihnen geisterten herum.
Severin jedoch nickte ehrfürchtig. „Es heißt, ein französischer Ritter hat um 1070 die Reliquien des Heiligen Antonius aus Byzanz nach Frankreich in das Kloster Saint Antoine gebracht. Von dort kam die Reliquie zu uns, als unsere Brüder in Roßdorf das Kloster gründeten.“
Keyra sagte nichts dazu. Das Wächterbuch – oder eher Leo – hatte ihr mitgeteilt, dass die Mönche im Antoniuskloster in Ägypten, woher dieser Heilige stammte, in ihrer Zeit die Meinung vertraten, dass sich die Gebeine des Eremiten nach wie vor in seinem Grab unterhalb der dortigen Klosterkirche befanden.
„Aber warum hat man das Kloster damals nicht einfach komplett nach Höchst verlegt?“, fragte sie, um das Thema zu wechseln.
„Roßdorf hat immer noch eine enorme Bedeutung für den Orden.“ Severin nickte bekräftigend. „Nach wie vor gibt es in der Region in unregelmäßigen Abständen Ausbrüche von Antoniusfeuer, und dann werden wir gebraucht. Oh, entschuldige, Kathrina, das ist sicher ein schmerzhaftes Thema für dich.“
„Ähm, ja.“ Keyra senkte verstohlen den Blick. Sie musste dringend nachforschen, was es mit diesem Antoniusfeuer auf sich hatte – da ihre Eltern angeblich daran gestorben waren, konnte sie Severin schlecht danach fragen. Dabei hätte ihr der junge Mönch, der für das Hospital zuständig war, sicher genau Auskunft geben können. Er hatte ihr bereits ihre zukünftige Arbeitsstätte gezeigt. Es war ein L-förmiger Gebäudetrakt direkt am Klostergarten. Dort waren derzeit drei Kranke untergebracht, außerdem lebten dort drei „Märtyrer“, hatte er erzählt: Menschen, die das Antoniusfeuer überlebt hatten, aber davon „gezeichnet“ waren. Was das bedeutete, wusste Keyra nicht, denn sie hatte die „Märtyrer“ noch nicht kennengelernt, weil sie zum Betteln unterwegs waren. Auch gab es zwei Invaliden, um die sich die Mönche kümmerten.
Sie ging zu dem Hauptaltar, der unverkennbar Antonius geweiht war: Das Altarbild in der Mitte zeigte einen Mann im Feuer stehend, in der einen Hand eine Schriftrolle und in der anderen einen T-förmigen Stab. Zu seinen Füßen war ein Schwein zu sehen, und auf seinem dunklen Habit befand sich ein Kreuz in Form des Buchstabens T, das nach dem griechischen Buchstaben auch Tau-Kreuz genannt wurde. Das gleiche, hellblaue Kreuz fand sich auch auf Severins Ordensgewand. Das Motiv auf dem rechten Altarbild erkannte Keyra dank ihres Vaters als eines der populärsten der Kunstgeschichte: die Versuchung des Heiligen Antonius. Hier saß Antonius im frommen Gebet zwischen halb zerfallenen Mauern, während um ihn herum der Teufel persönlich ein Chaos inszeniert. Eine für die damaligen Verhältnisse leicht bekleidete Dame schmiegte sich an den Mönch, Dämonen legten ein Dorf in Schutt und Asche, in der Luft tummelten sich weitere Dämonen und teuflische Wesen.
Das linke Altarbild war leer. „Nanu“, sagte Keyra und wandte sich fragend zu Severin um. „Ist die Bildtafel etwa auch mit nach Höchst gezogen?“
„Ja. Aber wir bekommen eine neue.“ Severin reckte stolz das Kinn. „Das zeigt, dass Roßdorf eben doch eine wichtige Stellung einnimmt, auch wenn viele Brüder jammern und die alten Zeiten zurücksehnen. Der Präzeptor hat eigens einen Maler hierher gesandt, der das Altarbild malen soll. Der Arme hat sich allerdings auf der Reise die Ruhr eingefangen, sodass er derzeit im Spital weilt.“
Keyra kramte in ihrem Gedächtnis. Ruhr war blutiger Durchfall, soweit sie sich erinnerte. Unwillkürlich verzog sie angeekelt das Gesicht.
„Keine Sorge, er ist auf dem Weg der Besserung“, grinste Severin und winkte ihr, ihm aus der Kirche zu folgen. „Die Kranken im Hospital sind leichte Fälle – außer unserem Malerfreund liegen dort ein kleiner Junge mit einem gebrochenen Bein und eine alte Frau mit Rotlauf.“
Was auch immer Rotlauf sein mag – ich werde es früh genug erfahren, dachte Keyra, während sie Severin zu den Wirtschaftsgebäuden auf der anderen Seite der Kirche folgte. Dort befand sich auch das Falltor, durch das größere Wagen auf das Klostergelände gelangten, ebenso wie ein Verwaltungsgebäude.
„Was ist das dort für ein Haus?“, fragte Keyra und wies auf ein Gebäude, das im Vergleich zu den anderen verlassen wirkte.
„Dort wurden früher die Adepten in die Lehren des Glaubens und die Künste des Heilens eingewiesen. Heutzutage brauchen wir es nicht mehr, die Lehre geschieht in Höchst.“ Bedauern schwang in Severins Stimme mit. „Ich habe meine ersten Jahre auch in Höchst verbracht.“
Er zeigte ihr die Ställe für Pferde, Schweine und das „Rindvieh“, die Scheunen und einen von drei Vorratskellern, die sich Cellaria – in der Einzahl Cellarium – nannten. Sie waren in den Boden eingegraben, um die Vorräte frostfrei zu lagern, und über eine breite Treppe zu erreichen. „Die Kellervorräte stehen unter Leitung und Aufsicht des Cellarius, Bruder Theobald“, sagte Severin und lehnte sich gegen ein beeindruckend großes Fass, auf dem das hellblaue Antoniterkreuz gemalt war.
„Hunger braucht ihr wohl nicht zu leiden“, meinte sie und wies auf die üppigen Vorräte an Rüben, Äpfeln und Birnen. Trockenfleisch hing an der Decke neben Würsten und Schinken. Was sich in den zahlreichen Fässern befand, konnte Keyra nur vermuten. Sie war informiert darüber, dass den Antonitern schwere Zeiten bevorstanden. Langsam begannen sich die Leute darüber zu beschweren, dass es die Antoniter mit ihren Sammlungen übertrieben und sie dem Grundsatz des Heiligen Antonius von Armut und Enthaltsamkeit oft nicht mehr folgten.
Severin schien zu wissen, woran sie dachte. „Wir verteilen unsere Vorräte stets an die Hospitäler und an diejenigen, die Not leiden“, sagte er. „Aber es gibt wohl tatsächlich Brüder, die ihre geistlichen Tätigkeiten vernachlässigen. Es soll gierige Brüder geben, die heimlich etwas von den Sammlungen beiseiteschaffen, anstatt sie den Hospitälern zukommen zu lassen. Aber in Roßdorf ist das sicher nicht der Fall.“
„Bist du sicher?“ Keyra sah ihn zweifelnd an.
Severin nickte ernst. „Vielleicht wäre es anders, wenn der Konvent hiergeblieben wäre. Aber ich kenne die Brüder. Wir haben alle nur das Wohl unserer Schützlinge im Sinn.“ Er seufzte und stieß sich mit Schwung von dem Fass ab. Seine Hände klatschten auf das Holz und ließen einen hallenden Klang zurück. Dieses Fass war zumindest leer.
Sie machten sich zurück auf den Weg zu den Hauptgebäuden. „Martha wird dir später ein wenig das Dorf zeigen“, meinte Severin. „Ich muss jetzt zurück ins Hospital. Du kannst heute Abend von deinem Krankenzimmer in eine Kammer im zweiten Wohnbau umziehen – wo auch die Knechte und Mägde schlafen. Im Haupthaus leben die Mönche und die Pfründer, dort wäre es für eine Frau unangemessen.“
„Klar“, sagte Keyra und verbesserte sich sofort. „Ich meine, das verstehe ich. Ich bin dankbar, dass ich hier aufgenommen werde.“
„Wenn das der Präzeptor befiehlt, wird sich nicht einmal Bruder Theobald dagegen sträuben.“
Ücretsiz ön izlemeyi tamamladınız.