Kitabı oku: «Migräne mit Hirnstammaura - Leben mit einer seltenen, schweren Form der Migräne - auch bekannt als "Basilarismigräne"»

Yazı tipi:

Tanja Götten

Migräne mit

Hirnstammaura

Leben mit einer seltenen,

schweren Form der Migräne

- auch bekannt als „Basilarismigräne“

Impressum

Text: © Copyright by Tanja Götten

Cover: Tanja Götten

Verlag: Tanja Götten

c/o Block Services

Stuttgarter Str. 106

70736 Fellbach

E-Mail: info@tanja-goetten.de

Internet: www.tanja-goetten.de

Veröffentlichungsort: Gelsenkirchen, Nordrhein-Westfalen

ISBN:

Vertrieb: epubli – ein Service der neopubli GmbH, Berlin

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Inhalt

Grundlagen

1.1 Klassifizierung

1.2 Verbreitung (Epidemiologie)

1.3 Prognose

Symptome

Diagnose

3.1 Diagnosekriterien

3.2 Diagnostik

3.3 Abgrenzung / Differenzialdiagnosen

3.3.1 andere Migräneformen

3.3.2 psychisches Krankheitsgeschehen

3.3.3 Andere Differenzialdiagnosen

Ursachen

4.1 Anatomie des Hirnstamms

4.2 Pathophysiologie – Wie entsteht die Migräne?

4.3 Forscherdebatte

Komplikationen

5.1 prolongierte Aura

5.2 Schlaganfall / Hirninfarkt

5.3 Locked-in-Syndrom

Häufige Begleiter und Komorbiditäten

6.1 Andere Migräneformen

6.1.1 Chronische Migräne

6.1.2 Status migraenosus

6.2 Epilepsie

6.3 Depression

6.4 Angsterkrankungen

6.5 Traumatisierung

6.6 Schmerzerkrankungen

Realitäten – Leben mit Hirnstammaura

7.1 Alltag

7.2 Beruf

7.2.1 Schwerbehinderung

7.2.2 Erwerbsminderungsrente

7.3 beim Arzt / im Krankenhaus

7.3.1 „medical gaslighting“

7.4 Soziale Verantwortung

Therapie – Was hilft?

8.1 Akutbehandlung

8.1.1 Triptane pro u. Kontra

8.2 Vorbeugung (Prophylaxe)

8.2.1 Medikamente

8.2.2 Nicht-medikamentöse Verfahren

8.2.3 andere Verfahren

8.3 Psychohygiene

8.4 alternative Heilmethoden

Selbsthilfe

9.1 Der richtige Umgang mit dem Arzt

9.1.1 Spezialisten-„Do-It-Yourself“

9.2 Mindset – Alles Einstellungssache?

9.3 Ernährung – Gibt es Migränemenüs?

9.4 Entspannung – In der Ruhe liegt die Kraft

9.5 Bewegung – Zwischendurch aktiv sein!

9.6 Risikofaktoren minimieren

Fallbeispiele

10.1 Anna

10.2 Britta

10.3 Christina

10.4 Doris

10.1 Emma

Quellen

Serviceteil

12.1 Praxisleitfaden Medizinbetrieb

12.1.1 Mediziner-Info: Migräne mit Hirnstammaura

12.1.2 Merkblatt für den Rettungsdienst -

12.1.3 Empfehlungen für die Notfallambulanz

12.1.4 Weitere Handlungsempfehlungen

12.2 Tipps für die langfristige Patientenbeziehungen

12.3 Für Patienten: Die Scharlatan-Checkliste

12.4 Leserservice

12.5 Notfallausweis

Vorwort

Der Begriff der Migräne mit Hirnstammaura taucht erst seit den neuesten Änderungen in den Klassifikationssystemen der Internationalen Kopfschmerzgesellschaft auf. Bisher waren für diese Art der Migräne die Begriffe Basilarismigräne und Migräne vom Basilaristyp, bzw. basiläre Migräne etabliert. Das Krankheitsbild an sich ist selbst unter Fachmedizinern dennoch wenig bekannt. Die Namensänderung wird diese Situation aller Voraussicht nach nicht wesentlich verbessern. Wenngleich die Bezeichnung Migräne mit Hirnstammaura bereits eher ermöglicht, sich vorzustellen, um was es bei dieser neurologischen Erkrankung gehen könnte: Aurasymptome nämlich, die im Rahmen einer Migräneerkrankung vom Hirnstamm ausgehen bzw. sich auf das Gebiet des Hirnstamms auswirken.

Die genauen Pathomechanismen, das heißt, warum genau es zu den schlaganfallähnlichen Symptomen kommt, sind immer noch umstritten. Den Betroffenen ist damit wenig geholfen. Sie werden mit den oftmals als lebensbedrohlich empfundenen Symptomen alleingelassen oder als psychisch krank abgestempelt und mit ungeeigneten Medikamenten bzw. gar nicht versorgt. Viele von ihnen haben jahrelange Ärzteodysseen mit frustrierenden Erlebnissen hinter sich, bis sie die korrekte Diagnose erhalten. Auch frei zugängliche Informationen, die Laien sich beispielsweise über das Internet beschaffen könnten, sind spärlich gesät - vor allem in Deutschland. Allein die Tatsache, dass selbst in den Sozialen Medien kaum Einträge unter den Hashtags #hirnstammaura oder #basilarismigräne zu finden sind, belegt die geringe Informationsdichte.

Dieses Buch soll Betroffenen, Angehörigen, Behandelnden und Therapierenden einen Überblick über die aktuell verfügbaren Informationen zu dieser Erkrankung an die Hand geben.

Das Ziel: Aufklärung, Sensibilisierung und Beendigung der Psychopathologisierung, die immer noch von Behandelnden betrieben wird – häufig aus Unwissenheit. Nicht selten landen Betroffene mit ihren (eindeutig) neurologischen Symptomen in Psychiatrien und psychosomatischen Einrichtungen. Falsche und mitunter lebensgefährliche Medikamentenversuche werden auf Patientenrisiko unternommen. Eine adäquate Behandlung bleibt oftmals aus.

Die Folge: Schäden - auch psychische-, die das Leid noch vergrößern. Dies gilt es, im Interesse aller Beteiligten zu vermeiden.

Für die Patienten ist die Erkrankung eine extreme Belastung mit tiefgreifenden Auswirkungen auf ihre Lebensqualität. Dies wird in den Fallbeispielen in diesem Buch deutlich.

Als medizinischer Laie, jedoch mit langjähriger Berufserfahrung als Soziologe, Pädagoge und PR-Fachjournalist, Blogger und Autor greife ich bei den Schilderungen in diesem Buch nicht nur auf gewissenhaft erhobene Daten und Informationen aus Fachpublikationen zurück. Meine eigene über 40-jährige Migräne-“Karriere“ (u.a. mit Hirnstammaura) und der Kontakt zu einigen ebenfalls Schwerstbetroffenen machen mich zum (unfreiwilligen) Erfahrungsexperten. Als solcher stehe ich auch gerne als Ansprechpartner für Rückfragen aller Art (gerne auch von interessierten Medizinern) zur Verfügung. Meine Plattform www.daueraua.de bietet Betroffenen darüber hinaus die Möglichkeit, mit anderen in Kontakt zu kommen.

Denn, auch wenn die Erkrankung als sehr selten gilt, sollten Betroffene nicht das Gefühl bekommen, sie seien alleine. Das sind sie nicht. Dank der heutigen technischen Möglichkeiten der Online-Vernetzung gelingt es immer besser, die Erfahrungen der Einzelnen für andere nutzbar zu machen. Auch wenn es für die Migräne mit Hirnstammaura bisher noch keine standardisierte, nachweislich wirksame Behandlungsmöglichkeit gibt, können sich Erkrankte untereinander stärken und sich gegenseitig das Gefühl geben, wirklich verstanden und ernst genommen zu werden. Ein wichtiger Faktor bei der Krankheitsbewältigung.

Ausdrücklich bedanke ich mich bei meinen Interviewpartnerinnen aus den Fallbeispielen. Ohne sie wäre dieses Buch nie entstanden und nur halb so interessant. Ihre zum Teil dramatischen Geschichten zeigen, wie wichtig es ist, vor allem medizinisches Fachpersonal, Angehörige, Arbeitgeber und den Rest der Gesellschaft mit Informationen über die Migräne mit Hirnstammaura zu versorgen.

Zitate von Betroffenen:

„Ich dachte, ich müsste jetzt sterben.“

„Mein Ich war in meinem Körper eingesperrt und ich konnte nicht mehr auf ihn zugreifen.“

„...unterdrückte Ruhe und eiskalte Extremitäten. Der Puls ist eingeriegelt wie ein Drehzahlbegrenzer. Der Arzt sagte, ich bilde es mir nur ein …“

„Meine Arme und Beine fühlten sich an, als säßen sie direkt, aber falsch herum am Kopf.“

„Es war, als hätte ich nie Augen gehabt.“

„Alles hielt mich irgendwie in Unruhe, ich wusste nicht was mit mir los ist.“

„Ich weinte und konnte mich nicht wehren. Es passierte wieder …“

1 Grundlagen

Was ist Migräne mit Hirnstammaura?

Die Migräne mit Hirnstammaura (früher Migräne vom Basilaristyp oder Basilarismigräne genannt) ist eine besonders schwere, relativ seltene Sonderform der Migräne mit Aura. Erstmals beschrieb der britische Neurologe Edwin Robert Bickerstaff (*1920 +2008) diese Art der Migräne im Jahr 1961. Sie wurde daher lange „Bickerstaff-Migräne“ genannt. Andere Bezeichnungen waren: Migräne der Arteria basilaris, Migräne vom Basilar(is)-Typ, Migräne des vertebrobasilaren Typs oder Migraine Accompagnie.

Ursprünglich wurde angenommen, dass sie durch kurzfristige Krämpfe der Arteria basilaris, die für die Blut- und Sauerstoffversorgung des Hirnstammes zuständig ist, verursacht wird. Diese (vaskuläre) Hypothese konnte jedoch bis heute nicht bewiesen werden. Zwischenzeitlich gehen Mediziner davon aus, dass die Migräne mit Hirnstammaura / basiläre Migräne eine Unterart der "normalen" Migräne mit Aura ist.

1.1 Klassifizierung

In der 3. Auflage der Internationalen Klassifikation von Kopfschmerzerkrankungen (ICHD-3) der Internationalen Kopfschmerzgesellschaft / International Headache Society (IHS) wird die Migräne mit Hirnstammaura als eine Migräneform beschrieben, bei der die Aurasymptome eindeutig dem Hirnstamm zuzuordnen sind und keine motorische Schwäche auftritt. In der Klassifizierung der ICHD-3 befindet sie sich in Teil 1 (Primäre Kopfschmerzen) unter der Kategorie Migräne (1.) → Migräne mit Aura (1.2) unter Punkt 1.2.2:

TEIL I: Primäre Kopfschmerzen

1. Migräne

1.1 Migräne ohne Aura

1.2 Migräne mit Aura

1.2.1 Migräne mit typischer Aura

1.2.1.1 Typische Aura mit Kopfschmerz

1.2.1.2 Typische Aura ohne Kopfschmerz

1.2.2 Migräne mit Hirnstammaura

1.2.3 Hemiplegische Migräne

1.2.4 Retinale Migräne …

In der bis Ende 2021 in Deutschland gültigen Fassung der Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD-10 GM 2020), wird sie zusammen mit anderen Migräneformen unter der Kodierung G43.1 (Migräne mit basilärer Aura) gefasst:

G43. Migräne

G43.0 Migräne ohne Aura [Gewöhnliche Migräne]

G43.1 Migräne mit Aura [Klassische Migräne]

- Migräne: Aura ohne Kopfschmerz

- Migräne: basilär

- Migräne: familiär- hemiplegisch

- Migräne: mit: akut einsetzender Aura

- Migräne: mit: prolongierter Aura

- Migräne: mit: typischer Aura

G43.2 Status migraenosus

G43.3 Komplizierte Migräne

G43.8 Sonstige Migräne

Inkl.: Ophthalmoplegische Migräne, Retinale Migräne

G43.9 Migräne, nicht näher bezeichnet

Der im Mai 2019 von der World Health Assembly (WHA) verabschiedete und grundsätzlich ab 1. Januar 2022 gültige ICD-11 sieht eine Kodierung unter dem Punkt 08 Diseases of the nervous system (Krankheiten des Nervensystems) → Headache disorders (Kopfschmerzerkrankungen) → 8A80 Migraine (Migräne) → 8A80.1 Migraine with Aura (Migräne mit Aura) → 8A80.1Y Other specified migraine with aura (andere/sonstige Migräneformen mit Aura) vor:

8A80 Migraine

8A80.0 Migraine without aura

8A80.1 Migraine with aura

8A80.10 Hemiplegic migraine

8A80.1Y Other specified migraine with aura

8A80.1Z Migraine with aura, unspecified

8A80.2 Chronic migraine

8A80.3 Complications related to migraine

8A80.30 Status migrainosus

8A80.3Y Other specified complications related to migraine

8A80.4 Cyclic vomiting syndrome

8A80.Y Other specified migraine

8A80.Z Migraine, unspecified

[Quellen: dimdi / icd.who.int]

Wann der ICD-11 in Deutschland eingeführt wird, ist bei Drucklegung dieses Buches noch nicht bekannt.

Der ICD ist ein von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) herausgegebenes, weltweit anerkanntes Klassifikationssystem für medizinische Diagnosen. Auf dessen Grundlage erfolgt unter anderem die Abrechnung von medizinischen Dienstleistungen mit den Krankenkassen.

Internationale Quellen

In Deutschland sind strukturierte Informationen über die Migräne mit Hirnstammaura/Basilarismigräne sehr spärlich gesät. In den USA gehört sie offiziell zu den seltenen Erkrankungen und wird als solche im Verzeichnis seltener Erkrankungen geführt und dort beschrieben als eine Art von Migränekopfschmerz mit Aura, der auf beiden Seiten mit Schmerzen am Hinterkopf verbunden ist.

Unter Aura wird eine Gruppe von Symptomen gefasst, die prinzipiell als Warnsignal dafür dienen, dass starke Kopfschmerzen folgen. Zu diesen Symptomen können Schwindel und Benommenheit, Sprachstörungen, Ataxie, Tinnitus, visuelle Veränderungen und / oder Gleichgewichtsstörungen gehören. Obwohl die Basilarismigräne bei Männern und Frauen jeden Alters auftreten könne, sei sie bei jugendlichen Mädchen am häufigsten. Eine genaue Ursache sei kaum bekannt. Migräne sei wahrscheinlich eine komplexe Erkrankung, die von mehreren Genen in Kombination mit Lebensstil- und Umweltfaktoren beeinflusst wird. In seltenen Fällen könne die Anfälligkeit für die basiläre Migräne durch eine Veränderung (Mutation) des ATP1A2-Gens oder des CACNA1A-Gens verursacht werden. Um die Symptome während einer Episode zu lindern, könne eine Behandlung mit nichtsteroidalen entzündungshemmenden Medikamente (NSAIDs) und antiemetischen Medikamenten eingesetzt werden (vgl. GARD).

Das Informationszentrum für genetische und seltene Krankheiten (GARD) ist ein US-amerikanisches Programm des Nationalen Zentrums zur Förderung der translationalen Wissenschaften (NCATS) und wird von zwei Teilen der Nationalen Gesundheitsinstitute (NIH) der USA finanziert: NCATS und dem Nationalen Institut für Humangenomforschung (NHGRI) ). GARD bietet der Öffentlichkeit Zugang zu aktuellen, zuverlässigen und leicht verständlichen Informationen über seltene oder genetisch bedingte Krankheiten.

1.2 Verbreitung (Epidemiologie)

Prävalenz und Inzidenz der Migräne mit Hirnstammaura sind weitgehend unbekannt. Das heißt, es liegen keine Daten vor, die Aufschluss darüber geben, wie viele Betroffene es in Deutschland gibt oder bisher gab. In einer Studie zeigte sich rechnerisch, dass etwa 0,04 Prozent der dänischen Gesamtbevölkerung betroffen sind (vgl. Yamani et al 2019). Wie oft die Erkrankung neuerlich in der Bevölkerung auftritt, ist nicht erhoben. Festgestellt wurde jedoch, dass Frauen häufiger betroffen sind als Männer.

Altersstruktur der Betroffenen

Obwohl in der Kindheit prinzipiell jede Form der Migräne auftreten kann, sind basiläre neurologische Symptome besonders häufig bei der kindlichen Migräne zu beobachten (vgl. Göbel 2012).

Grundsätzlich kann die Basilarismigräne in jedem Alter auftreten. Häufiger wird sie offenbar bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen beobachtet. In der Fachliteratur wird angegeben, dass sich die Erkrankung normalerweise im Alter zwischen 7 bis 20 Jahren präsentiert. In Patientenforen und anderen Medien, in denen über die Migräne mit Hirnstammaura berichtet wird, treten jedoch häufiger Erwachsene über 30 in Erscheinung. Das liegt vermutlich daran, dass erst ab diesem Alter eine gewissen „Mediennutzungskompetenz“ vorhanden ist und Austausch auf diesem Wege in Betracht gezogen wird. Die überwiegende Mehrheit der in den sozialen Medien Rat- und Hilfesuchenden sind weiblich (z.B. 61 von 63 Mitgliedern einer deutschen Hirnstammaura-Facebookgruppe).

1.3 Prognose

Aufgrund der Seltenheit dieser Migräneart liegen nur begrenzt Daten zu Langfrist-Prognosen der Betroffenen vor. Einige Untersuchungen legen nahe, dass die Häufigkeit von Migräne mit Hirnstammaura mit dem Alter abnimmt. Bei vielen Betroffenen verändert sich die Migräne im Verlauf auch zu Episoden typischerer Migräneformen oder Mischformen.

In Betroffenen-Foren wird häufig berichtet, dass sich nach extrem hochfrequenten Hirnstammaura-Phasen, die vor allem vor und während der noch unklaren Diagnosephase auftreten, Phasen mit deutlich weniger starken Symptomen anschließen können.

2 Symptome

Wie äußert sich eine Hirnstammaura?

Die Symptome der Migräne mit Hirnstammaura ähneln einerseits weitaus gefährlicheren Krankheitsbildern, wie z. B. Schlaganfall oder Hirntumor, können aber als solche auch in Verbindung mit Angst und Hyperventilation auftreten.

Aufgrund der existentiell bedrohlich wirkenden Symptome, erleiden Betroffene häufig zusätzlich Panikattacken, die jedoch nicht Auslöser der Hirnstammaura sind. Durch sorgfältige Anamnese und (ggf. stationär durchgeführte) gründliche Diagnostik ist eine Abgrenzung gut möglich.

Symptomliste

Zur neurologischen Symptompalette, die in der Fachliteratur geschildert werden, gehören:

• extremer (Dreh-)Schwindel (spezieller Vertigo, der im Vergleich zum Schwindel bei der „normalen“ Migräne deutlich stärker auftritt) - auch bis mehrere Tage nach dem Anfall anhaltend

• Übelkeit und Erbrechen (Nausea)

• Sprachstörungen (Dysarthrie /Aphasie) - auch tagelang anhaltend

• Gleichgewichtsstörungen

• Ohrgeräusche, Tinnitus und Hörminderung

• Sehstörungen: Doppelbilder (Diplopie), Lichtblitze (Photopsie), Gesichtsfeldausfälle (Skotome) oder vorübergehende Blindheit auf beiden Augen (Amaurosis fugax)

• unwillkürliche Augenbewegungen (Nystagmus)

• Störungen der Bewegungsabläufe (Ataxie / zerebelläre ataktische Störungen), Zittern in den Beinen, unwillkürliche Bewegungen oder anormale Reflexe (Pyramidenbahnzeichen)

• Bewusstseinsstörung, Verwirrtheit und Desorientiertheit, vorübergehender Gedächtnisverlust (Amnesie)

• (Körper-)Wahrnehmungsstörungen (z.B. Metamorphosie: Gegenstände werden anders wahrgenommen als sie real sind – z. B. größer oder in Bewegung; auch „Alice-im-Wunderland-Syndrom“)

• gleichzeitige beidseitige Missempfindungen, Taubheitsgefühle, Kribbeln (Parästhesien und Sensibilitätsstörungen)

Lähmungserscheinungen oder Schwächegefühle (unvollständige Paresen) werden heute als Diagnosekriterien für andere Migräneformen (hemiplegische Migräne) aufgeführt. Manche Betroffenen schildern ihre Symptome trotzdem mit diesen Begriffen, möglicherweise, weil die Unterscheidung zwischen einer muskulären Schwäche und einem Sensibilitätsverlust ohne genaue Kenntnis der medizinischen Begrifflichkeiten und Zusammenhänge kaum möglich ist. Typisch ist beispielweise eine motorische Schwäche beider Arme, die sich von den Schultern abwärts, Richtung Hand ausbreitet und nach 10-15 Minuten allmählich wieder verschwindet (vgl. Göbel 2012).

Weitere Symptome, die vor, während oder nach einem Anfall auftreten können, sind: Herzrasen, Herzrhythmusstörungen, Blässe und Todesangst (Angor Animi), sowie alle möglichen Veränderungen des Affektes. Dazu können neben Angst und Panik auch gegenteilige Gefühlsausbrüche, wie Euphorie und besondere Freude gehören.

Alle Symptome bilden sich vollständig wieder zurück, d.h. sie sind vollständig reversibel und hinterlassen in aller Regel keine bleibenden Schäden.

Die in über 90 Prozent auftretenden, schweren Kopfschmerzen (häufig am Ende des akuten Anfalls, als starker Druck empfunden), sind im Hinterkopf lokalisiert. Die Aurasymptome und die ggf. auftretenden Schmerzen nehmen (anders als bei anderen Migräneformen) Betroffene beidseitig wahr. Dies ist auch ein relativ eindeutiges Zeichen für das Vorliegen einer Hirnstammbeteiligung, da sie somit beiden Hirnhälften (Hemisphären) gleichzeitig zuzuordnen sind.

Aus den Erfahrungsberichten von Betroffenen lassen sich noch weitere Symptome ableiten, die jedoch oftmals von den Ärzten erst entsprechend in die Diagnosekriterien „übersetzt“ werden müssen. Diese „Übersetzungsarbeit“ kann entscheidend zur korrekten Diagnosefindung beitragen. Ein Grund dafür, dass Symptomschilderungen nicht immer sofort zur korrekten Diagnose führen, ist die unterschiedlich „hinterlegte“ Definition der Bezeichnungen von Körpersensationen. Wenn ein Patient beispielsweise sagt: „Mir ist schwindelig“, müsste es in manchen Fällen medizinische korrekt heißen: der Patient hat „Wahrnehmungsstörungen“ oder ein „Benommenheitsgefühl“.

Vor allem im akuten Fall, der sich für Betroffene oft lebensbedrohlich anfühlt, ist es jedoch schwer bis unmöglich, die gerade vorliegenden Symptome sachlich korrekt und für ärztliches Personal eindeutig zu schildern. Dies führt häufig zu Missverständnissen und begünstigt Fehldiagnosen. Darüber hinaus wird in vielen Notfallambulanzen oder Arztpraxen allein aus Zeitmangel selten dezidiert nachgefragt, um die „Feinheiten“ der Patientenschilderungen herauszuarbeiten und komplexe Abläufe in Hinblick auf die neurologische Bedeutsamkeit zu erfassen. Vor allem unerfahrene Ärzte scheitern hier oft am eigenen (nicht ausreichend trainierten) „Bauchgefühl“ für die vorliegende Symptomatik.

Obwohl die Diagnosekriterien für die Migräne mit Hirnstammaura relativ eindeutig erscheinen, werden unter anderem aus den oben geschilderten Gründen die Symptome in der Praxis häufig nicht als solche erkannt. Zudem gibt es eine „saubere“ Migräne mit Hirnstammaura eher selten. Die meisten Betroffenen erleben eine individuelle Symptommixtur, die häufig nur dem spezialisierten Facharzt „etwas sagen“ und entsprechend entschlüsselt werden kann.

Hinzu kommt, dass die Migräne mit Hirnstammaura immer noch wenig bekannt ist. Auch in der allgemeinen Ausbildung der Fachärzte für Neurologie kommt sie meist nur im Nebensatz vor – wenn überhaupt. Die wenigsten Behandelnden in „normalen“ Hausarztpraxen oder Notfallambulanzen, in denen Betroffene sich aufgrund ihrer Symptome vorstellen, haben (bewusst) schon mal einen Patienten mit dieser Art der Migräne gesehen oder gar erfolgreich behandelt.

Leider zeigen die vielen Patientenberichte, dass auch die eindeutig neurologischen Symptome nicht immer gewissenhaft abgeklärt werden, sondern ohne weitere Diagnostik als psychosomatisches Krankheitsgeschehen eingestuft werden. Das ist weder fachmedizinisch korrekt, noch hilfreich für die betroffenen Menschen, wie man sich leicht vorstellen kann. Neurologische Symptome und Ausfallerscheinungen sollten immer gründlich und zeitnah abgeklärt werden.

Auch bei bereits diagnostizierten Patienten sollten Anfälle, die ungewöhnlich schwer oder anders verlaufen als üblich, mit einem fachkundigen Arzt besprochen werden, um Komplikationen wie Schlaganfall und Co. auszuschließen. Im Zweifel rechtfertigt ein solcher Anfall auch das Kontaktieren der Notfallambulanzen oder einen Anruf beim Rettungsdienst.

Wenn Betroffene das Gefühl haben, mit ihren Beschwerden nicht ernst genommen zu werden, sollten sie sich nicht scheuen, ihre Behandler zu wechseln, oder eine Zweitmeinung (am besten von einem spezialisierten Neurologen) einzuholen. Die Erfahrung der diagnostizierten Betroffenen zeigt, dass Beharrlichkeit und Geduld sich in diesem Falle auszahlen und erst damit wichtige Schritte in Richtung einer erfolgreichen Therapie gemacht sind.

Tipp:

Wenn Sie den begründeten (!) Verdacht haben, dass Sie an einer Migräne mit Hirnstammaura leiden könnten, beziehen Sie sich möglichst nicht auf „Dr. Google“ oder ein Buch (wie dieses hier). Viele Ärzte reagieren abweisend, wenn sie hören, woher Ihre Ideen stammen (und das nicht zu Unrecht). Cleverer ist es in diesem Fall, einen Verwandten oder Bekannten mit ähnlichen Symptomen zu erwähnen, oder den Hinweis eines (notfalls imaginären) Medizinerkollegen – evtl. auch eines Physiotherapeuten - „weiterzugeben“. Das ist natürlich nicht die feine Art, aber der Zweck heiligt in diesem Falle die Mittel. Wenn Sie sachlich bleiben und nicht „besserwisserisch“ auftreten oder gar die Diagnose vorwegnehmen, sind die meisten Ärzte erfahrungsgemäß offen und durchaus interessiert daran, genauer hinzuschauen. Sie werden die Diagnostik entsprechend gewissenhaft angehen.

An alle mitlesenden Ärzte: Bitte sehen Sie Ihren Patienten diese Art „Notwehr-Maßnahme“ gegebenenfalls nach. Zum Ausgleich gibt es im Serviceteil dieses Buches unter dem Punkt Praxisleitfaden für den Medizinbetrieb auch ein paar ähnliche “Tricks“ im Umgang mit „speziellen“ Patienten für Sie.