Kitabı oku: «Migräne mit Hirnstammaura - Leben mit einer seltenen, schweren Form der Migräne - auch bekannt als "Basilarismigräne"», sayfa 2

Yazı tipi:

3 Diagnose

3.1 Diagnosekriterien

Bei der Umstellung der Klassifizierungssysteme (von ICD 10 auf ICD 11) wurden die Diagnosekriterien für die Migräne mit Hirnstammaura leicht angepasst. Eine Unterscheidung von der hemiplegischen oder vestibulären Migräne bzw. vestibulärer Schwindelsymptomatik, die zusammen mit der Migräne auftritt, ist so eindeutiger möglich.

Eine Migräne mit Hirnstammaura wird laut ICHD-3 diagnostiziert, wenn Attacken vorliegen, die

A. die Kriterien für eine klassische Migräne mit Aura (s.u.)

UND

B. zusätzlich folgende Kriterien erfüllen:

1. Aura, bei denen mindestens 2 der folgenden vollständig reversiblen (= zurückgehenden) Hirnstammsymptome vorliegen:

- Sprechstörungen (Dysarthrie)

- Schwindel

- Tinnitus

- Hörminderung

- Doppelbilder (Diplopie)

- Störung der Bewegungskoordination (Ataxie), die nicht auf ein sensibles Defizit zurückzuführen ist

- Bewusstseinsstörung (GCS ≤13 s.u.)

UND

2. Keine motorischen oder retinalen Symptome vorliegen.

Bei der Diagnosestellung sind einige Punkte zu beachten:

1. Es sollte die Abgrenzung einer Dysarthrie von einer Aphasie erfolgen. Dysarthrien sind Beeinträchtigungen des Sprechens aufgrund einer Störung im motorischen System („Sprechstörung“). Aphasien sind multimodale Störungen des Sprachsystems (z.B. Grammatik, Wortwahl). Aphasie ist also eine Störung des Gesamtsystems 'Sprache' („Sprachstörung“) [vgl. Dogil/Mayer 2014].

2. Schwindel beinhaltet nicht „Benommenheit“ und muss von dieser abgegrenzt werden.

3. Eine Hörminderung liegt nicht vor, wenn Patienten von einem „Völlegefühl“ im Ohr berichten.

4. Doppelbilder (=Diplopie) umfasst nicht ein „Verschwommensehen“ (oder schließt dieses aus).

5. Eine Abschätzung der Bewusstseinsstörung nach der Glasgow Coma Scale (GCS) kann bei Erstbefundung (z. B. bei stationärer Aufnahme) erfolgen. Alternativ können eindeutig vom Patienten geschilderte Defizite eine GCS-Einstufung möglich machen.

Glasgow Coma Scale (GCS): Das GCS ist ein Bewertungsschema für Bewusstseins- und Hirnfunktionsstörungen nach einem Schädel-Hirn-Trauma. Anhand von 3 Kriterien (Öffnen der Augen, beste verbale Reaktion, beste motorische Reaktion), für die jeweils Punkte vergeben werden, verschaffen sich Mediziner einen Eindruck von der Bewusstseinslage des Patienten.

Diagnose der Migräne mit Aura

Patienten mit Hirnstammaura weisen fast immer zusätzliche typische Aurasymptome auf.

Die Migräneaura ist ein neurologischer Symptomkomplex, der in der Regel unmittelbar vor einem migränetypischen Kopfschmerz auftritt. Sie kann aber auch nach Beginn der Kopfschmerzphase einsetzen oder sich bis in die Kopfschmerzphase hineinziehen.

Die neueste Klassifizierung der IHS (ICHD-3) beschreibt die Migräne mit Aura als "wiederkehrende, für Minuten anhaltende Attacke mit einseitigen, komplett reversiblen visuellen, sensorischen oder sonstigen Symptomen des Zentralnervensystems, die sich in der Regel allmählich entwickeln und denen in der Regel Kopfschmerzen und damit verbundene Migränesymptome folgen." (IHS / ICHD-3)

Frühere Bezeichnungen dieser Migräneart waren unter anderem „migraine accompagnée“ oder „komplizierte Migräne“.

typische Aurasymptome

Der häufigste Auratyp ist die visuelle Aura. Diese typischen Symptome treten bei mehr als 90% der Patienten zumindest bei einigen Attacken auf. Oftmals beschreiben Patienten diese Symptome als einen sich langsam ausbreitenden, oder nach rechts oder links bewegenden Zickzack-Kreis bzw. Randbereich um einen anvisierten Punkt. Dieser Fixationspunkt wird von Betroffenen häufig als "blinder Fleck" bezeichnet. Mediziner nennen diesen Fleck relatives Skotom (auch teilweiser „Gesichtsfeldausfall“). Fällt das Gesichtsfeld komplett aus, spricht man vom absoluten Skotom (= Erblindung). Manchmal tritt ein Skotom auch plötzlich und ohne andere positive visuelle Phänomene auf. Dann variiert nur die Größe. Bei Kindern und Jugendlichen treten diese Symptome untypischerweise oftmals beidseitig (bilateral) auf.

Weitere Aurasymptome sind Sensibilitätsstörungen, wie nadelstichartige Empfindungsstörungen (Parästhesien), die sich langsam vom Ursprungsort ausbreiten. Diese Missempfindungen wandern häufig durch größere oder kleinere Areale einer Körperhälfte. Auch Gesicht und/oder Zunge oder Mundwinkel können betroffen sein.

seltenere Aurasymptome

Seltenere Aurasymptome sind Sprachstörungen. Wenn sie auftreten, dann sind dies üblicherweise sprachbezogene (aphasische) Störungen, die jedoch meist schwer zu erfassen und diagnostisch einzuordnen sind. Einige Patienten beschreiben diese Störungen auch als „Wortfindungsstörungen“ oder „Hängenbleiben“ bzw. „Stocken“ im Wort oder Satz.

Die verschiedenen Aurasymptome folgen gewöhnlich einer bestimmten Reihenfolge. Meistens beginnend mit visuellen Symptomen, gefolgt von Sensibilitätsstörungen und gegebenenfalls gestörter Sprache (Aphasie). Allerdings sind auch andere Reihenfolgen möglich und dokumentiert.

Für die meisten Aurasymptome beträgt die anerkannte Dauer ca. 60 Minuten. Motorische Symptome dauern häufig länger an.

Diagnostische Kriterien der Migräne mit Aura

Als diagnostische Kriterien der Migräne mit Aura gelten laut IHS / ICHD-3:

Kriterium A: Mindestens zwei Attacken, die das Kriterium B und C erfüllen

Kriterium B: Ein oder mehrere der folgenden vollständig reversiblen Symptome

1. visuell

2. sensorisch

3. Sprechen und/oder Sprache

4. motorisch

5. Hirnstamm

6. retinal

Kriterium C: Mindestens drei der folgenden sechs Merkmale sind erfüllt:

1. wenigstens ein Aurasymptom entwickelt sich allmählich über ≥5 Minuten hinweg

2. zwei oder mehr Aurasymptome treten nach einander auf

3. jedes Aurasymptom hält 5 bis 60 Minuten an

4. mindestens ein Aurasymptom taucht einseitig auf

5. mindestens ein Aurasymptom ist positiv

6. die Aura wird von Kopfschmerz begleitet, oder dieser folgt ihr innerhalb von 60 Minuten

Kriterium D: Nicht besser erklärt durch eine andere ICHD-3-Diagnose.

3.2 Diagnostik

Die Symptome der Hirnstammaura können einige schwerwiegende Krankheitsbilder wie Schlaganfall, Tumore und Infektionen imitieren. Es ist daher wichtig, einen Arzt oder eine Notfallambulanz aufzusuchen, wenn sich die Symptome einer Hirnstammaura zum ersten Mal zeigen oder wenn sich die Schwere und Häufigkeit der Symptome ändert, um solche schwerwiegenden Erkrankungen auszuschließen.

Es gibt keinen Blutwert oder eine typische Erscheinung der Hirnstammaura, die durch bildgebende Verfahren wie Röntgen oder Magnetresonanztomografie (MRT) sichtbar gemacht werden könnten. Die Migräne mit Hirnstammaura kann daher nur als Ausschlussdiagnose nach gründlicher Befragung (Anamnese) und Abklärung von Differenzialdiagnosen (s.u.) gestellt werden. Bei der Ausschlussdiagnostik werden im Allgemeinen folgende diagnostische Verfahren genutzt:

MRT/CT/Angiographie

Eine Bildgebung mit MRT oder Magnetresonanzangiographie (MRA) des Kopfes oder eine Computertomographie (CT)-Angiographie ist jedoch angezeigt, um andere Pathologien, wie Schlaganfall, Gefäßfehlbildungen (atrioventrikuläre Fehlbildung) des Hirnstamms (auch „AV-Missbildungen“) und Tumore auszuschließen.

EEG

Ein Elektroenzephalogramm (EEG) kann darüber hinaus andere Anfallsgeschehen (zum Beispiel Epilepsien) ausschließen. Dies kann besonders dann wichtig sein, wenn der Bewusstseinszustand des Patienten schwankt oder der Bewusstseinsgrad abnimmt.

EKG

Manchmal ist ein 24-Stunden-Echokardiogramm (EKG) („Holter-Überwachung“) erforderlich, um Herzrhythmusstörungen (Arrhythmien) auszuschließen, die ebenfalls für ähnliche Symptome verantwortlich sein könnten.

Blutwerte

Die Bestimmung verschiedener Blutwerte kann Hinweise auf Entzündungen oder andere Krankheiten geben.

Bei vielen Migränepatienten wird im Zuge dieser Standard-Blutuntersuchungen in Notfallambulanzen ein Magnesiummangel festgestellt, der jedoch nicht als Ursache für die Anfälle gesehen werden kann. Der Versuch einiger Notfallmediziner, mit Gabe eines Magnesiumpräparates den Anfall zu „therapieren“ bleibt in diesen Fällen naturgemäß ursächlich erfolglos. Besserungen des Zustands nach Gabe einer Magnesiumbrausetablette sind in diesen Fällen mit hoher Wahrscheinlichkeit zufällig, da ein Migräneanfall mit Hirnstammaura ohnehin meist innerhalb eines Zeitfensters von etwa 60 Minuten abklingt. Statistiker sprechen in solchen Fällen von Korrelation (= zufälliger Zusammenhang von Erscheinungen). Es kann hieraus keine kausale (also ursächlich begründende) Beziehung zwischen der Magnesiumeinnahme und dem Rückgang der Hirnstammaura-Symptomatik abgeleitet werden.

Dennoch kann die Gabe/Einnahme von Magnesium als Migräneprophylaxe und Unterstützung der Akuttherapie zu Beginn eines Anfalls sinnvoll sein (siehe Kapitel 8 Therapie und 9 Selbsthilfe).

3.3 Abgrenzung / Differenzialdiagnosen

Unter Differentialdiagnosen verstehen Mediziner Krankheiten, die ähnliche Symptome bzw. Symptomkomplexe aufweisen. Diese Krankheiten müssen bei einer korrekten Diagnosestellung (neben der ursprünglichen Verdachtsdiagnose) in Betracht gezogen worden sein. Ziel der Differentialdiagnostik ist es, Erkrankungen mit ähnlichem Erscheinungsbild voneinander abzugrenzen („Ausschluss-Diagnostik“), um letztlich sicher zu sein, mit welcher zugrundeliegenden Erkrankung man es tatsächlich zu tun hat. Nur so ist eine fachgerechte Therapie möglich.

3.3.1 andere Migräneformen

Die Abgrenzung der Migräne mit Hirnstammaura zu anderen Migräneformen gestaltet sich oftmals schwierig. So gibt es vor allem große Ähnlichkeiten der Symptome mit der in bisherigen Klassifizierungssystemen noch beschriebenen Migräne vestibularis bzw. vestibulären Migräne und der (familiären) hemiplegischen Migräne. Hinzu kommen Uneinigkeiten der Fachmediziner aufgrund der nicht abschließend geklärten Ursachen und leider auch die generelle Unkenntnis vieler Fachärzte, die dafür sorgen, dass nicht immer „saubere“ Diagnosen gestellt werden.

3.3.1.1 vestibuläre Migräne

Die unterschiedlichen Klassifikationssysteme und ihre Fassungen verkomplizieren eine genaue Beschreibung der verschiedenen Migränearten. Dies gilt vor allem für die Beschreibung der vestibulären Migräne im Unterschied zu bzw. Zusammenspiel mit der Migräne mit Hirnstammaura.

Manche Autoren sehen die Basilarismigräne bzw. Migräne mit Hirnstammaura seit langem als besondere Form der vestibulären Migräne. Diese wird auch als Migräne mit vestibulärer Aura, migranöser Schwindel, vertiginöse Migräne, migräne-assoziierter Schwindel, episodische Schwindelattacken bei Migräne (Engl.: vestibular migraine, migrainous vertigo, migraine with vestibular aura) bezeichnet.

Als Symptome der vestibulären Migräne gelten in weiten Teilen der aktuellen Fachliteratur:

• Drehschwindel, aber auch Bewegungsgefühl (Schwanken, Kippen)

• Gang- oder Standunsicherheit

• Dauer zwischen 30 Sekunden und Stunden, selten mehrere Tage

• Schwindel tritt häufig isoliert als einziges Symptom auf

• Auftreten meist ohne begleitende oder nachfolgende Kopfschmerzen

• Zunahme des Schwindels bei Änderung der Körperlage möglich

• Begleitend Gangunsicherheit, Übelkeit, Brechreiz, Erbrechen möglich

• Licht- oder Geräuschempfindlichkeit begleitend möglich

• Schwindelattacken können gelegentlich mehrfach pro Tag auftreten

• Visuell-induzierter Schwindel (Betrachtung sich bewegender Objekte)

• Kopfbewegungsinduzierter Vertigo

• Gelegentlich Sehstörung in Form eines verschwommenen Sehens

• Bei begleitendem Kopfschmerz, kann Schwindel Migräne vorausgehen, überlappend auftreten oder nachfolgen

• Gelegentlich nur leichter Kopfdruck

Extra angeführt wird ein Nystagmus, bzw. eine sakkadierte, das heißt ruckartige, nicht-fließende Blickfolge als Hirnstammsymptom der vestibulären Migräne (vgl. Neurologienetz.de).

Die Ähnlichkeit der Symptome zur Migräne mit Hirnstammaura liegt auf der Hand.

Laut Barany Society (International Society for Neuro-otology) gelten aktuell als Diagnosekriterien für die vestibuläre Migräne:

A) Mindestens 5 Attacken mit vestibulären Symptomen von milder bis schwerer Intensität mit einer Dauer zwischen 5 Minuten und 72 Stunden

B) Positive Anamnese für Migräne mit oder ohne Aura

C) Ein oder mehr Migränesymptome bei 50% der Schwindelepisoden

• Kopfschmerz mit mindestens 2 Charakteristika:

• einseitiges Auftreten

• pulsierender Charakter

• mittlere bis schwere Schmerzintensität

• Licht- und/oder Geräuschempfindlichkeit (Photophobie oder Phonophobie)

• visuelle Aura

D) Symptomatik nicht besser durch andere Erkrankungen erklärbar. (Barany Society 2012)

Die Bárány Society erarbeitet (wie die International Headache Society (IHS)) seit 2009 Kriterien zur Klassifikation von vestibulären Symptomen und Erkrankungen. Benannt ist sie nach dem Hals-Nasen-Ohren-Arzt Robert Bárány, der für seine Untersuchungen über die Funktion des Vestibularapparates 1914 den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin erhielt.

In dem in Deutschland bis Ende 2021 geltenden Klassifikationskatalog der Krankheiten (ICD-10-GM 2020) wird die vestibuläre Migräne (ebenso wie die Basilarismigräne) noch als Unterform der Migräne mit Aura unter der Kodierung G43.1 geführt.

Die neueste Klassifikation der Kopfschmerzen der IHS (ICDH-3) erfasst die vestibuläre Migräne jedoch nicht mehr als Migräneaura, sondern erläutert im Anhang der Klassifikation das Auftreten und die Schwindel-Symptomatik als Episodische Störung, die potenziell mit einer Migräne einhergeht.

Laut IHS/ ICDH-3 können Episoden einer vestibulären Migräne nicht als Migräneauren betrachtet werden, weil man beobachtet hat, dass nur wenige Patienten mit einer vestibulären Migräne (Kodierung A1.6.6) die Schwindel-Symptome innerhalb des zeitlichen Rahmens von 5 bis 60 Minuten, wie es bei der Migräne mit Aura für ein Aurasymptom definiert ist, erleben. Bei noch weniger Patienten tritt der Schwindel unmittelbar vor Einsetzen der Kopfschmerzen auf (wie für eine „typische Aura mit Kopfschmerz“ üblich).

Von mehr als 60 Prozent der Patienten mit einer Migräne mit Hirnstammaura wird Schwindel als Symptom geschildert. Die ICHD-3 verlangt für diese Diagnose zusätzlich zu visuellen, sensiblen oder dysphasischen Aurasymptomen – also Seh-, Wahrnehmungs- und Sprechstörungen - mindestens zwei Hirnstammsymptome. Weniger als 10 Prozent der Patienten mit einer vestibulären Migräne erfüllen diese Kriterien. Deshalb sind vestibuläre Migräne und Migräne mit Hirnstammaura nicht gleichbedeutend. Allerdings gibt es einzelne Patienten, die die diagnostischen Kriterien für beide Erkrankungen erfüllen (vgl. IHS / ICHD-3).

3.3.1.2 (familiäre) hemiplegische Migräne

Besonders die (familiäre) hemiplegische Migräne (FHM) lässt sich in der Praxis manchmal schwer von der Migräne mit Hirnstammaura abgrenzen.

Die hemiplegische Migräne wird aufgrund der genetischen und pathophysiologischen Unterschiede im Vergleich zu einer Migräne mit typischer Aura als separater Untertyp klassifiziert.

Unter FHM wird eine Migräne mit Aura verstanden, die eine motorische Schwäche einschließt. Der Begriff „plegisch“ bedeutet in vielen Sprachen „Lähmung“. Die meisten Attacken sind jedoch von einer „motorischen Schwäche“ gekennzeichnet. Die motorischen Symptome halten normalerweise weniger als 72 Stunden an. Es gibt jedoch einige Fälle, in denen die motorische Schwäche (zumindest abgestuft) über Wochen weiterbesteht.

Genau wie in der symptomatischen Beschreibung der Hirnstammaura, ist es in der Praxis sehr oft schwer, zwischen einer muskulären Schwäche und einem Sensibilitätsverlust (= Wahrnehmungsstörung) zu unterscheiden. Hier ist kommunikatives Geschick der Ärzte gefragt, die die laienhaften Schilderungen ihrer Patienten in entsprechendes „Fachchinesisch“ übersetzen müssen, um diagnostisch besser differenzieren zu können.

In einer dänischen Studie mit 147 Betroffenen mit FHM zeigten 69% während eines hemiplegischen Migräneanfalls auch die Symptome einer basilären Migräne (vgl. Thomsen et al. 2002).

Diagnosekriterien FHM

Die diagnostischen Kriterien der hemiplegischen Migräne gemäß IHS / ICHD-3 sind:

Kriterium A: Attacken erfüllen die Kriterien für eine Migräne mit Aura und Kriterium B unten

Kriterium B: Aura, bei der die beiden untenstehenden Punkte erfüllt sind:

1. Vollständig reversible motorische Schwäche

2. Vollständig reversible visuelle, sensible und/oder sprech-/sprachbezogene Symptome.

Bei der familiären hemiplegischen Migräne (FHM) müssen

1. die vorgenannten Kriterien erfüllt sein und

2. bei wenigstens einem Verwandten I. oder II. Grades müssen ebenfalls Migräneauren mit einer motorischen Schwäche auftreten oder aufgetreten sein.

Genetische Datenlage zur FHM

Fortschritte in der genetischen Datenerhebung erlauben mittlerweile eine genauere Definition der familiären hemiplegischen Migräne: So konnten bereits spezifische genetische Subtypen identifiziert werden: Laut ICDH-3 finden sich bei der FHM des Typs 1 Mutationen im CACNA1A-Gen (Kodierung für einen Kalziumkanal) auf Chromosom 19. Bei der FHM des Typs 2 konnten Mutationen im ATP1A2-Gen (Kodierung für eine K/Na-ATPase, auch: „Natrium-Kalium-Pumpe“) auf Chromosom 1 gefunden werden. Bei der FHM des Typs 3 liegen Mutationen im SCN1A-Gen (Kodierung für einen Natriumkanal) auf Chromosom 2 vor (vgl. Jen et al. 2001).

Auch finden sich sowohl bei der FHM als auch bei klassischer und gewöhnlicher Migräne Mutationen im SLC4A4-Gen, das für einen Natrium-Bikarbonat-Kotransporter kodiert (vgl. Bastian 2019). Möglicherweise existieren aber noch weitere, bislang nicht identifizierte Abschnitte von mutierten Genen.

Die familiäre hemiplegische Migräne wird autosomal-dominant vererbt mit einer Häufigkeit von 1:10.000. Bei der autosomal-dominanten Vererbung wird (unabhängig von den Geschlechtschromosomen) sowohl eine unveränderte Kopie eines Gens als auch eine veränderte weitergegeben. Wenn sich die veränderte Kopie gegenüber der unveränderten durchsetzt, wird sie dieser gegenüber "dominant". In diesem Fall ist die Person von der genetisch bedingten Störung oder Erkrankung betroffen.

FHM und Hirnstammsymptome

Es konnte gezeigt werden, dass bei der familiären hemiplegischen Migräne zusätzlich zu den typischen Aurasymptomen sehr oft Hirnstammsymptome auftreten. Auch Kopfschmerzen kommen praktisch immer vor. In seltenen Fällen sind während einer FHM-Attacke Bewusstseinsstörungen (bis hin zum Koma), Verwirrtheitszustände, Fieber und eine Liquorpleozytose (= erhöhter Zellgehalt bzw. Vermehrung der Granulozyten in der Gehirn-Rückenmarksflüssigkeit (Liquor cerebrospinalis)) zu beobachten.

Die familiäre hemiplegische Migräne wird nicht selten auch mit einer Epilepsie verwechselt. Entsprechende Behandlungsversuche scheitern folgerichtig.

FHM-Typ-1-Attacken können durch (leichte) Schädel-Hirn-Traumen getriggert werden. In ungefähr 50 Prozent der Familien mit FHM tritt unabhängig von den Migräneattacken eine chronische progressive zerebelläre Ataxie auf, das heißt, die normalen Bewegungsabläufe sind dauerhaft und zunehmend gestört (vgl. IHS-ICDH-3).

3.3.2 psychisches Krankheitsgeschehen

Die Abgrenzung zu einem psychogenen Schwindel oder Panikattacken ist für Fachärzte im Normalfall kein Problem, wird jedoch in der (Notfall-)Praxis häufig nicht gewissenhaft vorgenommen. Viele (vor allem weibliche) Betroffene werden deshalb mit psychischen oder psychosomatischen Diagnosen aus den notfallmäßig aufgesuchten Kliniken entlassen, oder gar direkt in die Psychiatrie eingewiesen.

Nicht selten wird erst von den Fachärzten dort festgestellt, dass die Symptome bzw. die Symptomkonstellationen nicht (ausschließlich) psychisch oder psychosomatisch zu erklären sind.

In der Praxis gibt eine gewissenhafte und vorurteilsfreie Anamnese die wichtigsten Eckpunkte der weiteren Diagnostik vor. Wichtig ist, zu verstehen, dass ein Patient mit den Symptomen einer Migräne mit Hirnstammaura sich in einer absoluten Ausnahmesituation befindet – körperlich und mental. Äußerungen von Angst und Panik sind in diesen Fällen keine Symptome einer psychischen Erkrankung oder Überempfindlichkeit, sie sind eine normale Reaktion eines „gesunden“ Bewusstseins auf eine als lebensbedrohlich und existenziell vernichtend empfundene Situation.

Generell ist festzustellen, dass Migräne-Auren die gesamte Palette neurologischer „Spezialeffekte“ abspielen können: Dazu gehören Halluzinationen, abnorme Bewusstseinszustände, Affektänderungen und -störungen, Sinnestrübung und gestörte Wahrnehmung, aber auch motorische Störungen bis hin zu kompletter Lähmung im Rahmen eines Locked-in-Syndroms als Komplikation (siehe Kapitel 5.3).

Wer solche Symptome gelassen und ohne Angst hinnimmt, vor allem, wenn sie erstmals auftreten, kann unter psychologischen Gesichtspunkten durchaus nicht als „der Gesunde“ gelten. Eine stoisch gelassene Haltung in diesen Situationen kann selbst für „alte Migräne-Hasen“ maximal Behandlungsziel sein. Neuerlich Betroffene und ihre Gefühlslagen in dieser Ausnahmesituation sollten immer als solche akzeptiert und ernst genommen, nicht aber psychopathologisiert werden.

Fokusumlenkung

Ganz grundsätzlich kann man davon ausgehen, dass psychische oder psychosomatische Symptome eher „von außen“ beeinflussbar sind. Vor allem bei „reinen“ Panikattacken kann eine Fokusumlenkung durch ein Gespräch oder anderweitiger Ablenkung gut gelingen. Eine Migräneaura mit Hirnstammbeteiligung ist dagegen fast vollständig immun. Patienten haben keinerlei Möglichkeit, hier bewusst gegenzusteuern oder sich in irgendeiner Form „zusammenzureißen“. Im Gegenteil sorgen solche Bemühungen, die mit hoher Anstrengung und Muskelanspannung verbunden sind, eher noch dafür, dass die Aura-Symptome heftiger werden und/oder länger andauern, da die Durchblutung des Gehirns durch die Muskelanspannung noch weiter gestört wird.

Es ist möglich, dass während oder nach eines Migräneanfalls mit Hirnstammaura die Patienten verstummen oder komplett dissoziieren („abspalten“). Dies ist eine Folge der extremen Belastung (vor allem, wenn die Migräneaura in dieser Form erstmals auftritt oder noch undiagnostiziert ist).

Ein extremer Migräneanfall kann traumatisierend wirken - mit allen hierfür bekannten akuten und/oder langfristigen Symptomen. Auch dies ist kein Zeichen von Charakterschwäche, „Anstellerei“ oder allgemeiner Hypersensitivität. Eine aus einem Trauma entstandene psychische Störung, wie beispielsweise die posttraumatische Belastungsstörung (PTBS), ist dann als Koerkrankung oder Folgeerkrankung der Migräne mit Hirnstammaura einzustufen (siehe Kapitel 6.5) - nicht als Ursache für die Migräne.

Bei schweren, hochfrequenten Migräneverläufen kommen allerdings signifikant öfter auch Traumafolgestörungen in der Patientengeschichte vor (14-25% der Betroffenen). Dennoch können weder Traumatisierungen noch Traumafolgestörungen als alleinige und zentrale Migräne-Ursache gesehen werden. Über einen möglichen kausalen Zusammenhang ist bisher wenig bekannt. Die Korrelation, das heißt die (evtl. zufällige) Häufung der beiden Erkrankungen gilt jedoch als belegt (vgl. Rech 2020).

3.3.3 Andere Differenzialdiagnosen

Andere Ursachen für Beschwerden, die sich wie eine Migräne mit Hirnstammaura äußern und ausgeschlossen werden sollten sind:

Morbus Menière (ICD-10-GM 2020: H81.0), vestibuläre Erkrankungen (ICD-10-GM 2020: H81.-), vorübergehende ischämische Attacken (TIA) (ICD-10-GM 2020: G45), andere Durchblutungsstörungen des Gehirns (Aneurysma, Dissektionen, Hirnvenenthrombose etc.) und Meningitis (je nach Ursache unterschiedliche ICD-10-Kodierungen).

In der Regel treten Symptome von ischämischen Attacken (TIA) genauso wie von Schlaganfällen und anderen Durchblutungsstörungen des Gehirns, eher plötzlich und unvermittelt innerhalb von Sekunden auf. Migräne-Auren entstehen in den allermeisten Fällen hingegen langsamer, „wandern“ durch den Körper und folgen einer eigenen „Dramaturgie“ bis sie wieder vollständig abklingen.

Auch Tumore verursachen mitunter ähnliche Beschwerden, wie eine Migräne mit Hirnstammaura. Hier jedoch über Wochen und Monate, ggf. schubweise langsam schlimmer werdend.

Untersuchungen der Hörorgane (v. a. Innenohr) können Aufschluss darüber geben, ob ein Morbus Menière oder andere vestibuläre Erkrankungen vorliegen.

Mittels Computertomografie (CT) bzw. CT-Angiografie, Magnetresonanztomografie (MRT) bzw. -angiografie (MRA), kann die Durchblutung und der Zustand des Gehirns überprüft werden, so dass die konsultierten Ärzte damit eine schnelle und treffsichere Aussage über mögliche Differentialdiagnosen tätigen können.

Vor allem eine Abgrenzung zur Epilepsie kann manchmal schwerfallen. Auch das Phänomen der Migrälepsie – eine Art Mischform von Migräne und Epilepsie – kann auftreten. (Mehr dazu im Kapitel 6.2 - Epilepsie als Komorbidität).

Die Abgrenzung zu transitorisch ischämischen Attacken (TIA) wird erleichtert durch die Tatsache, dass Taubheits- und Kribbelgefühle der Zunge, wie sie als sensorische Migräneaura häufig beschrieben werden, praktisch nicht vorkommen, wenn zerebrovaskuläre Störungen, also Störungen der Hirndurchblutung, vorliegen.

Liegen solch eindeutige Symptome nicht vor, ist es wesentlich schwieriger, eine Hirnstammaura von einer transitorisch ischämischen Attacke zu unterscheiden, da auch hier Symptome wie Tinnitus, Schwindel, Sprach- und Sprechstörungen und Doppelbilder vorkommen. Bei der Differenzierung hilft die Tatsache, dass bei Patienten mit basilärer Migräne kaum oder keine Gefäßrisikofaktoren auszumachen sind, sie zwischen 30 und 50 Jahren alt sind und der typische Druck-Kopfschmerz nach den neurologischen Symptomen länger anhält (vgl. Göbel 2012).

Dauern die neurologischen Symptome zusammen mit dem Kopfschmerz länger als eine Woche an, sollte in jedem Fall überprüft werden, ob nicht doch ein migranöser Infarkt vorliegt (mehr dazu im Kapitel 5 / Komplikationen). Es ist dann unumgänglich bildgebende Verfahren, wie MRT und CT hinzuzuziehen, und sich einen Überblick über den Zustand der Gefäße und des Herz-Kreislauf-Systems zu verschaffen.

Ücretsiz ön izlemeyi tamamladınız.