Kitabı oku: «Rache der Zarin. Der Beginn: Nach wahren Begebenheiten», sayfa 5
Zarenmord im Ipatjew Haus
Seit zwei Wochen hatte Jakow Michailowitsch Jurowski hier das Sagen. In seinem Oberlippenbart hingen oftmals Speisereste.
Er war von Alexander Beloborodow, dem Vorsitzenden des Uraler Gebietssowjets, zum hiesigen Kommandanten ernannt worden. Vom Charakter war er ein hinterhältiger Mensch, der sich äußerlich gespielt höflich und scheinbar korrekt verhielt, aber innerlich voller Hass uns gegenüber war. Seine Augen blickten stets kalt und mit Abscheu auf uns. Im Kampf gegen uns Ausbeuter glaubte er sein höheres Sein zu erkennen. Marias Liebsten unter den Bewachern hatte er auf der Stelle hinrichten lassen, als er ihn kürzlich beim Küssen mit ihr erwischte. Mama sagte, dass wir von ihm nun das Schlimmste zu befürchten hätten. Um seine eigentlichen Wurzeln zu vertuschen, wäre er in Deutschland vom Judentum zum Protestantismus übergetreten und dann sogar noch Bolschewik geworden. Könnte es noch schlimmer sein? Konvertiten neigten zumeist zum Sektierertum und wären durch Übereifer zu jeder Schandtat bereit. Deswegen war er so gefährlich.
Gleich einen Tag nach seiner Ankunft zwang er uns, sämtlichen Schmuck abzugeben. Jedes einzelne Stück, welches wir trugen, ließ er sich vorlegen, notierte es akribisch und verschloss das Eingeforderte in einem versiegelten Umschlag. Diesen wollte er angeblich für uns aufbewahren und jeden Tag das Siegel auf Unversehrtheit prüfen. Doch wir glaubten das nicht. Noch nie hatten wir etwas zurückerhalten, was man uns weggenommen hatte. Deswegen hatte wir einige Tage zuvor schon die meisten Schmuckstücke in unserer Unterwäsche und in einige Kissen eingenäht. Wir trugen somit den kleinen wertvollen Rest unseres Besitzes immer am Körper, damit wir bei einer eventuellen Flucht etwas Kapital dabei hätten.
Heute wurden wir plötzlich kurz nach Mitternacht geweckt und mussten alle in das große Eckzimmer neben der Vorratskammer im Keller gehen. Durch den nahenden Kanonendonner und Papas Warnung hatte ich durch die Sorgen und Ängste sehr schlecht geschlafen. Im Flur stand eine Gruppe von mit Karabinern bewaffneten Soldaten. Das machte mir noch mehr Angst. Nervös musterte ich ihre verschlossenen Gesichter. Die meisten von ihnen blickten uns nicht direkt an, so als wollten sie etwas verbergen. Einige von ihnen trugen ungarische Uniformen, die mit Rotgardisten-Abzeichen verziert waren. Die anderen, in der russischen Uniform, schauten mehr spöttisch. Unter ihnen war auch Hauptmann Pawel Medwedew, der als Kommandant der Außenwachen nach Jakow Michailowitsch Jurowski das Sagen hatte. Er lächelte einen kurzen Moment boshaft, als er uns sah. Dann versteinerte sich sein Gesicht zu einer Maske. Ich hatte ihm gestern noch ein Stück Kuchen angeboten.
Auf Papas Nachfrage, was das hier solle, erklärte Medwedew, die ganze Aktion sei nur zu unserer Sicherheit, da eventuell mit einem plötzlichen Angriff der Weißgardisten zu rechnen wäre. Er grinste dabei merkwürdig und meinte, man werde uns anscheinend verlegen müssen.
Mama drückte mir beim Vorbeigehen hastig etwas in die Hand und sah mich für einen Augenblick bedeutungsvoll an. Ich ahnte, um was es sich handelte und schaute erschrocken zurück. Eiskalt durchbebte es mein Inneres. War es nun tatsächlich so weit? Mein Herz übersprang ganze zwei Schläge, die Wände schwankten. Es war eine der Kapseln aus der geheimen Schatzkammer.
Sie lächelte mit Tränen in den Augen, um mir letzten Mut zu machen. Dies ließ keinen Zweifel zu. Mir wurde eisig kalt und meine Hände zitterten unkontrollierbar, als hätte ich einen Tremor. Das Geschehen und alle Stimmen rückten in den Hintergrund, so als sähe ich nur als Zuschauer einen Film. Fast entglitt mir das kleine Gefäß mit der besonderen Medizin. Ich krampfte die Hände fest zusammen, damit die anderen meine Furcht nicht bemerkten. Wie klammerte ich mich an diese letzte Hoffnung. Nein, es konnte doch nicht sein! Wir waren doch Lebewesen, Menschen. Wie hing ich an diesem Leben. Das wurde mir erst jetzt bewusst. Ich würde alles tun, um es zu behalten. Mit jedem der Bewacher schlafen, ihnen dienen wie ein Sklavin, wenn es denn uns rettete. Oh, geliebte Geschwister, liebe Eltern, was wird aus uns? Der Boden schien weg zu brechen und meinen zaghaften Schritten nicht standzuhalten. Für einen Moment glaubte ich ohnmächtig zu werden. Kalter Schweiß klebte unter meinen Achseln.
Doktor Botkin, der Leibarzt, hatte unsere drei Diener geweckt und kam mit ihnen herunter. Nur der neue Kammerdiener Leonid Sednew war nicht dabei, er hatte gestern noch Ausgang bekommen.
Papa trug Aljoscha auf den Armen, da man mit dem Rollstuhl schlecht hierher hinkam. Sie hatten beide Uniformhemden an und ungewöhnlicherweise Fellmützen auf dem Kopf. Unser Vater war offensichtlich in Sorge, dass wir nach draußen gebracht und sich der kleine Zarewitsch dabei erkälten würde.
Wir Mädchen hatten unsere Mieder und Kleider angezogen.
Darunter trugen wir die Unterwäsche, in die wir unseren letzten Schmuck eingenäht hatten. Mama hatte Tränen der Angst und des Mitgefühls in den Augen, schluchzte aber nicht. Diese Genugtuung wollte sie ihren Feinden nicht geben. Sie riss sich zusammen und bat um Stühle, da Aljoscha nicht lange stehen konnte. Der Zarewitsch lehnte mühsam auf den schwachen Beinen stehend erschöpft seinen Kopf an sie, so als wollte er sich verstecken. Die Krankheit, der Sturz und die Entbehrungen der letzten Zeit waren für unseren Liebling zu schwer gewesen. Man brachte tatsächlich zwei Sitzgelegenheiten herbei. Das ließ mich wieder etwas hoffen. Vielleicht war es doch so, wie Medwedew gesagt hatte und man würde uns an einen anderen Ort schaffen. Ich wusste, dass Mama zwar unseren Tod erwartete, doch ich klammerte mich an diesen Strohhalm, denn ich wollte heute noch nicht sterben.
Das letzte Geschenk fühlte sich eisig in meinen Händen an, die nun plötzlich glühten. Die Kälte tat gut und lenkte ab.
Papa versuchte ebenfalls tapfer zu erscheinen. Als letzter Zar und Familienoberhaupt wollte er uns auch in dieser Stunde Mut machen und ein Vorbild sein, darum bekreuzigte er sich und murmelte Gebete. Was nutzte das?
Hätte er doch lieber die Angebote des deutschen Kaisers angenommen. Ich hatte daraus gelernt, dass Stolz uns nur im Wege stand und blind machte. Man sollte auf gar nichts stolz sein. Trotz all der Aufregung hatte er offensichtlich bemerkt, dass Mama mir das Elixier gegeben hatte. Er ahnte, was das bedeutete, überließ aber allem, wie so oft, seinen Lauf. Was sollte er auch in diesem Moment sonst tun?
Unser Hausarzt, Dr. Jewgeni Botkin, stand neben Papa. Trotz der Kühle des Kellers rann fortwährend Schweiß von dessen Stirn. Seine wenigen Haare klebten dadurch an dieser. Er nestelte fortwährend nervös und ängstlich an der runden Brille. Seine Klugheit ließ ihn die Gefahr deutlich erkennen. Er verbarg vor mir seine panischen Blicke. Was sollte er auch mitteilen? Etwas hinter dem Doktor und Papa stand unser Koch. Ich befand mich in der äußersten Ecke neben Mamas Kammerfrau, die ein Kissen bei sich trug. Rechts vor mir stand Maria. Ich hatte somit alle gut im Blick. Anna Demidowa, so hieß die Bedienstete, hatte Mama ihr Kissen für Aljoscha angeboten, doch diese hatte es abgelehnt. Sie wollte ihn nicht von sich lassen.
Anastasia und Tatjana standen hinter Mama. Ich selbst hatte mich mit dem Rücken an den rundlichen Kamin gelehnt, der sich unmittelbar hinter mir befand. Ein Eisstrom der Angst ergoss sich mir durch die Glieder und lähmte mich zugleich.
In der Ferne hörten wir den Kanonendonner. Dumpf drang dieser durch die Wände des Kellerzimmers. Er war lauter geworden. Die Gefechte rückten also näher und unsere Befreiung löste sich zugleich auf, wie ein Regenbogen am Himmel.
Wir Mädchen, der Leibarzt, unser Diener, das Kammermädchen, der Koch und Papa standen. Insgesamt waren wir elf Gefangene. Es gab außer den zwei Stühlen keinerlei Möbel im Raum. Mama setzte nun den Zarewitsch auf den einen Stuhl und sich auf den anderen. Er legte seinen Kopf auf ihren Schoß. Papa, der nun neben ihm stand, streichelte liebevoll seine Hand.
Wie im Film standen mir viele frühere Augenblicke vor Augen. Wie hatten wir das Leben mit unserem Baby genossen. So nannten wir unseren kleinen Bruder früher manchmal. War Aljoscha guter Dinge und fröhlich, schien der Sonnenschein überall im Palast. Ich hatte als älteste Schwester viel Zeit mit ihm verbracht und so auch bei seiner Erziehung geholfen – von Anfang an. Mama schimpfte manchmal mit mir, da ich Aljoscha aus ihrer Sicht leider zu wenig Tischsitten beigebracht hatte. Aber wie sollte man diesem Charmeur denn Grenzen setzen? Einmal hatte Aljoscha beim Empfang sogar einer Dame den Schuh ausgezogen und eine Erdbeere hineingesteckt. Deswegen durfte er lange Zeit nicht mehr mit anderen Gästen essen. Ging es ihm durch die vielen Medikamente oder eine Verletzung aber schlecht, hingen düstere Wolken über unserer kleinen Insel. Er musste immer äußerst vorsichtig sein. Das widersprach eigentlich seinem ungestümen Wesen. Bei Spaziergängen wurde er darum sogar von zwei Kosaken getragen, über deren Verschiedenheit unser Bruder gern scherzte.
Die Leiden und Schmerzen seiner Krankheit hatten sein goldenes Herz noch mitleidsvoller gemacht. Jedem anderen, der litt, spendete er selbst aus tiefstem Herzen Trost. Er war einer dieser wenigen ganz besonderen Menschen, die nur sehr selten in diese grausame Welt hineingeboren werden. Christen bezeichnen solche Menschen als „Heilige“, Moslems als „Freunde Gottes“ und die Buddhisten nennen sie „Boddhisatvas“.
Anders als wir fühlte Aljoscha sich mehr als Russe denn als Deutscher. Papa hatte ihm das stets eingeredet, da er der Zarewitsch und somit der zukünftige Zar war. Deswegen trug unser Bruder wie alle Romanows gern die russische Marineuniform und sprach bewusst nur dieser Sprache mit uns. Selbst wenn Mama ihn außerhalb des Unterrichts etwas auf Deutsch fragte, antwortete er ihr auf Russisch.
Als Papa wegen des Krieges im Feldlager war, begleitete Aljoscha diesen manchmal dorthin. Einmal war der Sohn eines Generals in dieser Zeit gefallen. Da Papa Aljoschas gutes Herz kannte, ließ er diesen extra bei dem trauernden Vater übernachten. Unser Bruder vermochte diesen alten Mann allein durch seine Nähe wieder aufzurichten und Trost zu spenden, obwohl er gerade elf Jahre alt war.
Es war jetzt 01:20 Uhr morgens. Wir standen verhöhnt und erniedrigt in diesem kalten Zimmer, hofften auf weitere Anweisungen und warteten wahrscheinlich nur auf unseren Tod. Alle spürten, dass etwas anders als sonst war.
Keiner sprach nun ein Wort, da die Angst ihre dunklen Flügel ausgestreckt hatte. Ich war mit fast dreiundzwanzig Jahren das älteste Kind und bildete den äußeren Abschluss unserer verängstigten nächtlichen Gruppe.
Furcht schnürte unsere Hälse zu und ließ bei meiner Schwester Anastasia unentwegt Tränen kullern. Diesen Gefallen wollte ich unseren Feinden nicht gewähren. Meine Hände zitterten jedoch erneut wie Espenlaub und abermals fürchtete ich die Kapsel zu verlieren.
Wir würden sicher sterben, wurde mir voller Schrecken bewusst. Ich fühlte es instinktiv. Es gab keine Rettung. Das war unser letzter Morgen. Ich machte mich bereit und zwang mich vor Angst nicht ohnmächtig zu werden. Ich musste klaren Verstand bewahren, damit mich das geheime Mittel vielleicht doch rettete. Ja, ich wollte leben, leben, nur leben. Dafür war ich nun bereit alles zu tun, selbst Gott abzuschwören. Sein Himmelreich interessierte mich nicht, nur das wundervolle Geschenk des Lebens auf dieser Erde. Eine düstre Traurigkeit durchschlich meinen Geist tötend mein Inneres.
Der kleine Zarewitsch hustete und weinte. Mama strich ihm zärtlich über das Gesicht. Ihr Blick lag jedoch beschwörend auf mir. Leider hatten wir uns aus meiner heutigen Sicht zu oft gestritten, da ich sehr eigensinnig sein konnte. Wie gern hätte ich all meine harten Worte nun in Worte der Liebe verwandelt. Für mich war dies die kostbarste aller Familien. Ich umschloss das Elixier in der Hand noch fester. Es gab mir Halt.
Papa sah mich traurig, aber konsterniert an. In seinen warmen Augen stand alle Liebe dieser Welt. Er verabschiedete sich so von mir.
Diesmal würde ich jedoch Mamas Rat folgen. Warum hatte Papa nicht schon früher auf sie gehört?! Wer weiß besser als eine Mutter, was für ihre Kinder gut ist? Sein Rat erwies sich leider zu oft als falsch und seine Versprechen als wertlos.
Wir hätten dieses hinterhältige Land verlassen sollen, wie es uns die Verwandten unserer Mutter geraten hatten. Das Volk, dem Papa sich so verbunden fühlte, spuckte jetzt auf uns. Es war unsere Henker.
In einem günstigen Moment, während ich mich bekreuzigte, ließ ich das kleine Gefäß in meinen Mund gleiten und positionierte es unter meinen Backenzähnen. Ein kräftiger Biss sollte es bersten lassen. Hoffentlich funktionierte das Elixier so, wie Mama es mir gesagt hatte. Ich wollte unbedingt leben und nicht sterben! Noch nie war mir dies so kostbar erschienen. Mein Hals schnürte sich panisch zu. Verzweifelt wandte ich mich nun doch wieder an Gott: Wenn es dich gibt, lass uns nicht sterben! Schenk uns ein Wunder!
Papa sah mich mit großen leidvollen Augen an. Mama nickte mir fordernd zu.
Ich schloss als Antwort ganz langsam und leicht meine Lider. Ein nur für mich erkennbares Lächeln zeichnete sich im besorgten Gesicht meiner wunderbaren Mutter ab. Auf eine gute Mutter kann man sich bis zu seinem letzten Atemzug verlassen. Das wurde mir jetzt bewusst. Ja, meine Mama war eine sehr gute Mutter. Diese bekreuzigte sich nun ebenfalls. Sie hatte mit dem Leben abgeschlossen. Dann sah sie liebevoll zu meinem Vater. Würde es das letzte Mal sein?
Rasputin hatte alles richtig vorausgesagt. Wir Romanows würden vertilgt werden und Russland zusammenbrechen.
Hätten doch nur die Weißgardisten Jekaterinburg schneller und überraschend gestürmt. Es war besser, im Kampf zu sterben, als weiter von diesen herzlosen Monstern der Revolution erniedrigt zu werden. Vielleicht sollten wir uns auf sie stürzen und sie überraschen. Was konnten wir schon verlieren?
Die Tür öffnete sich. Die beiden Ungarn im Raum hielten demonstrativ ihre Hände an die Pistolen und funkelten uns nun mit giftigen Augen an. Unsere Blicke wandten sich ängstlich, leider auch mit etwas Hoffnung gemischt, den Eintretenden zu. Vielleicht war alles ein Irrtum?
Im Türrahmen erschien die Gestalt des verhassten Kommandanten Jakow Michailowitsch Jurowski. Er ähnelte jetzt einer Ausgeburt der Hölle. Sein kalter, herzloser Blick richtete sich auf meine Mutter, die ehemalige Zarin von Russland. Er strich sich genüsslich durch seinen schmutzigen Bart. Demonstrativ langsam holte er ein Schreiben aus seiner Jacke und grinste böswillig. Ein paar Sekunden, die mir wie Stunden erschienen, vergingen. Hinter ihm tauchten weitere Soldaten mit Gewehren auf, an denen wie auf dem Schlachtfeld Bajonette befestigt waren. Sie richteten diese nun auf uns. Eine Gegenwehr war unmöglich.
Die Kühle des Raumes wich einer besonderen Kälte. Diese war der Atem des Todes. Nur wer schon einmal in der Nähe eines Sterbenden war, kennt ihn. Dieser Hauch lässt das Mark gefrieren und jeden bis in die Knochen erschauern. Von wildem Entsetzen gefasst wollte ich Fortrennen. Voller Liebe versuchte ich nochmals meine Schwestern, unseren wundervollen und kranken Bruder, die geliebte Mama und unseren tapferen Vater mit einem letzten zärtlichen Blick zu bedenken. Diese starrten jedoch angstvoll auf Jurowski. Durch die vielen Heilsbücher, die wir in den letzten Monaten gelesen hatten, sollten wir eigentlich besser auf diese Stunde vorbereitet sein. Die herzlose Wirklichkeit war jedoch immer anders, schlimmer als erwartet und der eigene Geist schwächer und voller Angst. Sterben ist niemals leicht.
Alle meine Muskeln begannen zu vibrieren. Dabei klapperte sogar die Kapsel verräterisch im Mund unter den Zähnen. Ich musste auf den richtigen Moment warten, so wie Mama mich angewiesen hatte. Es war dieses unendlich schnelle Zittern der Todesangst. Ich sah, dass auch die Lippen meiner Geschwister bibberten und durchsichtiger Schleim aus Marias Nase lief. Sie kümmerte sich nicht darum und war dem Wahnsinn nahe, entstellt von der Blässe der Todesangst.
Mama beherrschte sich noch immer. Sie war stärker als wir.
Unser Henker verlas den Inhalt des Blattes. Alles war so unwirklich. Ich verstand nur, dass der Dämon der Hölle unser Todesurteil vortrug. Der Uraler Sowjet hatte es gestern beschlossen und übte somit Selbstjustiz. Es gab selbst für uns Kinder keinen Prozess, keinen Anwalt, nur diesen heimtückischen Mordbefehl. War das die Idee von Gerechtigkeit, welche die Revolutionäre selbst für sich laut einforderten? Es ist so leicht über andere zu richten!
Alles wirkte in diesem Moment entrückt und unwirklich. Es fühlte sich an, als verließe mein Bewusstsein schon in diesem Moment den Körper und war nur noch ein Zuschauer der Ereignisse. War alles ein böser Traum, aus dem ich vielleicht bald erwachte? Das konnte doch nicht die Realität sein? Es musste irgendetwas passieren, dass dieses Missverständnis beseitigte!
Mama und ich bekreuzigten uns nochmals. Niemand will seinen eigenen Tod wahrhaben.
Papa fragte der Realität entrückt: „Was?“ Wie banal diese Frage klang.
Die Männer zielten nun genauer auf unsere elfköpfige Gruppe. Sie schienen den Ablauf ihres Verbrechens genau besprochen zu haben, da auf jeden von uns ein anderer Rotgardist seine Gewehrmündung richtete. Auf mich war die von Pawel Medwedew gerichtet. Die Möbel fehlten deswegen im Raum, weil sie unseren Tod bereits detailliert geplant hatten. Das wurde mir jetzt bewusst.
Der Kommandant Jurowski trat mit gezogenem Revolver auf Papa zu. Zwei Schüsse peitschten durch den Raum. Dann schoss er auf Mama. Unsere Eltern fielen als Erste getroffen zu Boden. Aljoscha, der vor Entsetzen aufgesprungen war, schaute zitternd auf die Getroffenen.
Ich biss nun mit aller Kraft zu. Länger durfte man keinesfalls warten. Die Umhüllung barst knirschend. Etwas Glas schnitt sich in meine Zunge und Zahnfleisch. Den Schmerz spürte ich in diesem Moment nicht. Der Inhalt schmeckte bitter und faulig. Brennend ergoss sich eine Flüssigkeit in den Magen und verströmte glühenden Schmerz.
Nun feuerten alle Soldaten gleichzeitig. Die Kraft des starken Mittels krümmte mich jedoch in diesem Moment. Ein Geschoss zischte an mir vorbei. Durch die plötzliche Bewegung hatte es mich verfehlt. Eine weitere Kugel traf mich darauf jedoch mit Wucht vor die Brust und schmetterte meinen zarten Körper schmerzhaft gegen die Wand.
Überall peitschten Schüsse. Federn flogen durch den Raum. Die Kammerdienerinnen versuchte voller Verzweiflung die Schüsse mit den Kissen abzuwehren, die sie vorsichtshalber mitgenommen hatten. Es war unermesslich laut. Pulverdampf trübte die Sicht. Der Rauch des Pulvers konnte ja nicht durch die geschlossenen Fenster entweichen.
Ich war jedoch nicht tot. Wir hatten in unsere Mieder auf Mamas Anweisung schon in Tobolsk einigen Schmuck eingenäht. Dieser musste die Kugel abgehalten haben. Das Mittel begann zudem zu wirken. Das Geschehen um mich her ähnelte noch mehr einem Traum.
Auch die anderen Mädchen stöhnten. Ich blickte zu Papa. Schaute er tatsächlich zu mir? War das noch ein letztes Lächeln? Sein Körper zuckte unter weiteren Treffern. Auch ich verspürte einen großen Schmerz im Bein. Gleichzeitig brannte die fremde Flüssigkeit wie Feuer im Magen. Der Wirkstoff versengte mich innerlich.
„Bitte nicht!“, stöhnte die neben mir liegende kleine Maria.
Auch sie lebte noch. Die Rotgardisten hatten alle auf die Brust ihrer Opfer gezielt. Dadurch verfehlten viele Schüsse, die auf den Schmuck trafen, ihre eigentliche Wirkung und verwundeten nur, anstelle zu töten. Wir trugen die teuersten Schusswesten der Welt.
Aljoscha, mein Bruder, der Zarewitsch, stöhnte leidvoll und stützte sich auf einen Unterarm. Seine Kinderaugen flehten um Gnade. Er hatte furchtbare Schmerzen.
Jurowski trat nun kaltherzig zu diesem, hielt seinen Revolver an dessen Ohr und drückt erneut ab. Der Kopf zuckte unter dem Schuss und krachte laut auf die Dielen.
Trotzdem wimmerte der verletzte Zarewitsch immer noch unerträglich. Bitte, bitte, lasst ihn leben und tötet stattdessen alle anderen!
Jurowski schoss ihm ein zweites Mal in die gleiche Stelle ins Ohr. Er stöhnte nicht mehr.
„Sterbt endlich!“, schrie der Anführer der Henker und entlud nun den Rest seines Pistolenmagazins auf Anastasia. Die Geschosse schienen sie nicht einmal zu verletzen.
Die eingenähten Juwelen verzögerten ihre Pein. Selbst Morden ist zuweilen nicht so einfach, wie viele glauben.
„Ein Wunder! Die Kugeln prallen ab!“, rief einer der russischen Schergen und bekreuzigte sich entsetzt. „Gott will nicht, dass sie sterben!“ Er wagte nicht mehr zu schießen. „Es ist Sünde, was wir tun!“
Auch die anderen stellten erschrocken das Feuer ein. Der Raum war voll Rauch, Gewimmer und Stöhnen.
„Bekreuzigst du Narr dich noch?“, schrie Jurowski außer sich und riss dem Soldaten den Karabiner aus den Händen.
„Schaut her, wie man das macht!“
Er stach mit aller Wut auf die wimmernde Anastasia ein. Das Bajonett drang aber nicht ganz durch und blieb zwischen dem eingenähten Goldschmuck des Mieders stecken. Der Raum war voller Nebelschwaden, was die Sicht erschwerte. Jurowski versuchte nun das Messer herauszuziehen und schliff dabei meine Schwester durch den halben Raum. Blut verschmierte den Boden. Das Bajonett steckte jedoch weiter im Schmuck und den Rippen fest. Die wilde Bestie musste Anastasia mit einem Fußtritt von dem Stahl lösen.
Die Soldaten wirkten konsterniert und wussten nicht, was sie tun sollten. Auch Tatjana und meine Mutter stöhnten noch. Ich stellte mich tot.
„Vielleicht ist das wirklich ein Zeichen von Gott!“, wagte ein weiterer Russe einzuwenden.
„Noch ein Wort und du liegst auch da!“, schrie der rasende Kommandant diesen an.
„Nur gut, dass ich noch die Ungarn mitgenommen habe.“
Er kramte in der Tasche nach seinem Taschenmesser und zog dieses heraus. Es hatte eine recht kurze rostige Klinge. Ich hatte gesehen, wie er sich mit diesem schmutzigen Ding manchmal einen Apfel schälte oder die langen Nägel reinigte.
„Bitte nicht!“, stöhnte die kleine Maria eindringlich, die ihm am nächsten lag. Das Monster ließ für den Moment von Anastasia ab und machte bei der Kleinen weiter.
Jurowski griff kalt in ihre Haare, als töte er nur ein Tier, und begann mit dem Messer an ihrer Halsschlagader zu säbeln. Es dauerte ein wenig, bis das erste Blut hervorsprudelte. In irrer Raserei begann er ungeduldig die kurze Klinge in ihren kleinen Hals zu stoßen. Es war ein bestialisches Meucheln. Die Geister der Hölle wurden wach. Maria schrie dabei fortwährend spitz und markerschütternd.
Mit weit aufgerissenen erschrockenen Augen beobachteten die anderen Häscher sein wahnsinniges Tun. Maria war immer noch nicht ganz tot, als er sich vorerst zufrieden mit seinem Werk den Männern zuwandte. Der hohe Blutverlust ließ aber den baldigen Tod meiner jüngeren Schwester erahnen. Der Gedanke zu fliehen, wie ein gehetztes Tier, ließ mich vorsichtig in Richtung Tür kriechen, da die Männer alle auf die grausame Schlachtung schauten.