Kitabı oku: «Don Bosco - eBook»
Vorwort zur deutschen Ausgabe
In der italienischen Originalausgabe dieser Don-Bosco-Biografie von Teresio Bosco, die 1978 erschien, heißt es: „Wer die Gestalt Don Boscos, seine Gedanken und sein Werk kennenlernen wollte, musste auf die Schriften zurückgreifen, die vor fast einem halben Jahrhundert geschrieben worden waren.“ In letzter Zeit hat man nicht nur die während der Lebensjahre Don Boscos herrschenden sozialen und politischen Gegebenheiten verstärkt in den Blick genommen, sondern auch Untersuchungen über die Beziehungen Don Boscos zu anderen Persönlichkeiten seiner Epoche durchgeführt. So erhalten wir ein deutlicheres Bild von ihm. Teresio Bosco stellt die Botschaft des Heiligen und sein Erziehungssystem nicht nur für die heutige Zeit verständlich dar. Er bindet sie auch in den historischen Kontext jener Jahre ein. Man muss bedenken, dass in einer Zeit, in der der Jugend weder in der Kirche noch in der übrigen Gesellschaft eine Bedeutung beigemessen wurde, in der die armen Bevölkerungsschichten nur als passive Objekte der Politik und der sozialen Veränderungen betrachtet wurden und in der die Laien in der Kirche noch nicht als unersetzliche Mitarbeiter bei der Evangelisierung betrachtet wurden, Don Bosco gerade diesen Gruppen den Vorrang bei seinem Apostolat gab.
Natürlich gibt es darüber hinaus im Leben Don Boscos etwas – und auch das betont Teresio Bosco –, das unabhängig von den geschichtlichen Verhältnissen ist und sich nur als übernatürliches Charisma erklären lässt.
Da die vorliegende Ausgabe für die Leser des deutschsprachigen Raumes gedacht ist, wurden einige Einzelheiten weggelassen, die zwar die Geschichte Italiens betreffen, aber für unser Verständnis Don Boscos nicht unbedingt zentral sind.
Was dieses Buch von anderen, auch neueren deutschsprachigen Don-Bosco-Biografien vor allem unterscheidet, ist, dass Don Bosco nicht vorwiegend als der „Gaukler Gottes“, der „Erzieher mit Spürnase“, dargestellt ist, dem einfach alles gelang, was er unternahm. Hier wird realistisch aufgezeigt, wie schwierig es für Don Bosco war, seinen Weg zu gehen. Zwar wusste er seit seinem Traum im Alter von neun Jahren um seine Lebensaufgabe. Selbst sein Weg wurde ihm immer wieder gezeigt – in Träumen –, aber nur etappenweise. Diesen Weg hat er immer erst nach langem, oft aussichtslos erscheinenden Suchen gefunden und vor allem immer erst dann als den richtigen Weg erkannt, wenn er ihn bereits beschritten hatte, wenn das, was er im Traum meist in Symbolen gesehen hatte, Wirklichkeit geworden war. Aber Don Bosco ging diesen Weg unbeirrt, ohne Rücksicht auf sich und auf seine persönliche Neigung, einfach im Glauben an die Führung durch Gott und Maria. Gerade damit hat er Tausenden und Abertausenden Jugendlichen ihren Weg weisen können, ihren Weg, den auch sie durch die Unsicherheit hindurch gehen müssen und der auch für sie ein Ziel hat.
Sr. Johanna Schepping FMA
Vorwort zur Neuauflage
Im Buchhandel erfreuen sich Biografien zunehmend einer großen Beliebtheit. Und auch in Rundfunk und Fernsehen werden immer wieder die Lebensgeschichten berühmter wie weniger berühmter Menschen erzählt. Dabei interessieren gleichermaßen die Höhen und Tiefen dieser Geschichten wie die Irrungen und Wirrungen. Offensichtlich geben uns die Lebensgeschichten anderer Menschen die Möglichkeit, uns mit ihnen, ihrem Suchen und ihren Erfahrungen zu identifizieren und daraus für unseren eigenen Lebensweg zu lernen. Für uns Christen sind darum auch die Geschichten großer Heiligengestalten bleibend aktuell. Ihr Lebens- und Glaubenszeugnis lässt auf je neue Weise das Evangelium in seiner Vielgestaltigkeit lebendig werden.
Über 20 Jahre nach seinem ersten Erscheinen in deutscher Sprache halten Sie hiermit eine Neuausgabe von Teresio Boscos Porträt der Lebens- und Glaubensgeschichte des Turiner Jugendapostels Johannes (Giovanni) Bosco (1815–1888) in Händen. Immer wieder ist dieses Buch in letzter Zeit nachgefragt worden, da es schon vielen geholfen hat, ein lebendiges Bild dieses großen und einzigartigen Heiligen zu entwickeln. Der Don Bosco Medien GmbH sei daher dafür gedankt, dass sie das längst vergriffene Buch mit neuem Gesicht und in einer aktualisierten Form herausgebracht hat.
Der Autor Teresio Bosco, selbst Salesianerpriester, erweist sich dabei als ein sehr guter Erzähler, der auf lebendige Weise die Geschichte Don Boscos zu vermitteln weiß. Er kennt die neuere Don-Bosco-Forschung sehr gut, sucht aber das Leben Don Boscos in erster Linie auf erzählerische Weise nahezubringen. Das ist seine Stärke und seine selbst gesetzte Grenze zugleich. Leser mit einem wissenschaftlichen Interesse seien daher vor allem auf die Publikationen Pietro Stellas und Pietro Braidos zu Don Bosco verwiesen.
Möge dieses Buch dazu beitragen, dass Don Boscos Leben für die Jugend und mit der Jugend auch künftig in lebendiger Erinnerung bleibe.
P. Reinhard Gesing SDB
Institut für Salesianische Spiritualität, Benediktbeuern
Der Junge aus Becchi
Weggeschickt
An jenem Winterabend war die Spannung bis zum Zerreißen gestiegen. Antonio schaute wütend zu Giovanni, der, wie gewöhnlich, ein Buch neben seinem Teller liegen hatte, und schrie: „Dieses Buch werf ich noch ins Feuer!“
Margherita, die Mutter, versuchte Giovanni, ihren Jüngsten, zu verteidigen: „Giovanni arbeitet wie die anderen auch. Wenn er nachher lesen will, geht dich das etwas an?“ „Das geht mich wohl etwas an“, entgegnete Antonio. „Schließlich bin ich es, der den Laden in Gang halten muss. Ich kann mir den Rücken krumm machen, und er soll wohl den feinen Herrn spielen? So weit wird es nicht kommen, dass er sich ein bequemes Leben verschaffen kann und wir Polenta essen müssen.“
Giovanni reagierte darauf heftig. An Worten fehlte es ihm nicht. Er dachte auch nicht daran, Antonio die andere Wange hinzuhalten. Antonio stand auf, während ihn Giuseppe, der zwei Jahre älter war als Giovanni, erschrocken anblickte. Margherita versuchte, sich dazwischenzustellen. Giovanni könnte wieder Prügel bekommen, wie so oft, vielleicht diesmal noch mehr. Mit seinen elfeinhalb Jahren war er dem 19-jährigen Antonio nicht gewachsen. Später, im Bett, weinte Giovanni, mehr aus Wut als aus Schmerz. Und nahe bei ihm weinte auch die Mutter, die in dieser Nacht wohl keinen Schlaf fand.
Am nächsten Morgen hatte sich Margherita entschieden. Was sie zu Giovanni sagte, waren die traurigsten Worte seines und ihres Lebens: „Es ist besser, wenn du aus dem Haus gehst. Antonio kann dich nun einmal nicht riechen. Schließlich tut er dir vielleicht eines Tages noch etwas an.“ „Und wohin soll ich gehen?“, fragte Giovanni.
Er glaubte, sein Herz müsse stillstehen, und Margherita war es nicht anders zumute. Sie nannte ihm einige Höfe in der Gegend von Moriondo und Moncucco: „Dort kennt man mich. Jemand wird dir schon Arbeit geben, wenigstens für einige Zeit. Dann werden wir weitersehen.“
Ein schwerer Gang
An diesem Tag richtete die Mutter ein kleines Bündel zusammen, mit einigen Hemden, Giovannis zwei Büchern und einem kleinen Brot. Es war Februar. Schnee und Eis bedeckte die Straßen und die umliegenden Gehöfte. Am nächsten Morgen ging Giovanni fort. Mama Margherita blieb in der Tür stehen, schaute ihm nach und winkte, bis ihr Giovanni im Nebel verschwunden war.
Er versuchte sein Glück bei den Höfen, die die Mutter ihm genannt hatte. Aber die Leute dort sagten ihm, sie hätten keine Arbeit für ein Kind. Am Nachmittag war sein Brot aufgebraucht und seine Hoffnung dahin. Er konnte nur noch zur Familie Moglia gehen. „Frag nach Herrn Luigi“, hatte ihm die Mutter gesagt.
An dem Tor, das auf den Hof der Moglias führte, blieb er stehen. Ein alter Mann war gerade im Begriff, das Tor zu schließen. Er schaute Giovanni an: „Was willst du hier, Junge?“ „Arbeit.“ „Tüchtig. Dann arbeite doch, Addio!“ Und damit zog er an dem Tor, um es zu schließen. Giovanni nahm seinen letzten Mut zusammen: „Aber ich muss mit Herrn Luigi sprechen!“
Er ging in den Hof. Die Familie Moglia war im Bogengang versammelt, um die Weidenruten für den Wein aufzubinden. Luigi Moglia, ein junger Bauer von 28 Jahren, blickte verwundert auf den Ankömmling.
„Ich suche Herrn Luigi Moglia“, erklärte Giovanni. „Der bin ich.“ „Meine Mutter schickt mich. Sie hat zu mir gesagt, ich soll zu Euch gehen und den Stallknecht machen.“ „Aber warum schickt dich deine Mutter fort, wo du noch so klein bist? Wer ist denn deine Mutter?“ „Margherita Bosco. Mein Bruder Antonio ist so grob zu mir, darum hat sie gesagt, ich soll zu Euch gehen und als Stallknecht arbeiten.“ „Aber hör mal, armer Junge, wir haben Winter. Wir nehmen erst im März einen Stallknecht. Komm, hab Geduld, geh wieder heim!“
Giovanni war mutlos und müde. Er brach in verzweifeltes Weinen aus: „Nehmt mich doch, in Gottes Namen! Ihr braucht mir nichts zu zahlen. Aber schickt mich nicht nach Hause! Da, seht,“ sagte er mit dem Mut der Verzweiflung, „ich setze mich hier auf die Erde und geh nicht mehr weg. Tut mit mir, was Ihr wollt, aber ich geh nicht fort.“ Und weinend begann er, die herumliegenden Weidenruten zu sammeln, um sie aufzubinden.
Luigis Frau, Dorotea, die 25 Jahre alt war, ließ sich erweichen: „Nimm ihn, Luigi, versuchen wir es wenigstens für einige Tage.“ Auch Teresa, ein 15-jähriges Mädchen, hatte Mitleid. Sie war die jüngste Schwester des Bauern und hatte die Kühe zu hüten. Sie meinte: „Ich bin groß genug, um mit euch auf dem Feld zu arbeiten. Für den Stall wäre er gerade recht.“
Und so begann Giovanni Bosco im Februar 1828 sein Leben als Stallknecht. Die Moglias waren eine begüterte Bauernfamilie, auch wenn alle selbst mit Hand anlegen mussten. Sie bearbeiteten den Boden, das heißt die Weinberge und Felder, und versorgten das Vieh. Sie beteten auch zusammen. Jeden Abend versammelte sich die ganze Familie zum Rosenkranzgebet um den Herd. Am Sonntag fuhr Luigi alle zum Hochamt, das der Probst Francesco Cottini in Moncucco feierte.
Dass Giovanni als Stallknecht arbeitete, war nichts Außergewöhnliches. Ab März gab es in dieser Gegend viele, die auf fremden Höfen als Stallknechte dienten. Das war der normale Weg für Jungen aus armen Familien. Am Fest der Verkündigung des Herrn, dem 25. März, gingen die Hofbesitzer in die Dörfer oder auf die Märkte, um Jungen als Saisonarbeiter anzuwerben. Für acht Monate harter Arbeit erhielten diese als Vergütung Kost und Logis sowie 15 Lire für Kleidung. Es gab aber auch welche, die nur für Kost und Logis arbeiteten.
Giovanni Bosco aber unterschied sich von all den anderen Knechten. Er war ungewöhnlich jung und trug einen Traum in seinem Herzen, den er eines Nachts gehabt hatte. Er selbst erzählte ihn uns später:
Ein Traum, der den Weg weist
„Mit neun Jahren hatte ich einen Traum, der mir mein ganzes Leben im Gedächtnis blieb. Mir schien, als wäre ich in der Nähe unseres Hauses, auf einem weiten Hof, wo eine große Schar Jungen spielte. Einige lachten, nicht wenige fluchten. Als ich das Fluchen hörte, stürzte ich mich sofort auf sie und versuchte, sie mit Schlägen und Schimpfen zum Schweigen zu bringen.
In diesem Augenblick erschien ein ehrwürdig aussehender, vornehm gekleideter Herr. Sein Gesicht leuchtete so stark, dass ich es nicht anschauen konnte. Er rief mich beim Namen und sagte: ‚Nicht mit Schlägen, sondern mit Güte und Liebe wirst du sie als Freunde gewinnen. Fang sofort an, zu ihnen über die Hässlichkeit der Sünde und die Kostbarkeit der Tugend zu sprechen.‘ Erschrocken und völlig verwirrt antwortete ich, dass ich ein armer, unwissender Junge sei.
In diesem Augenblick hörten die Jungen auf zu raufen und zu lärmen und versammelten sich um diesen Herrn. Fast ohne zu wissen, was ich sagte, fragte ich ihn: ,Wer seid Ihr, dass Ihr mir Unmögliches befehlt?‘ ,Gerade weil es dir unmöglich erscheint, musst du es möglich machen, durch Gehorsam und durch den Erwerb von Kenntnissen.‘ ,Aber wie soll ich denn diese Kenntnisse erwerben?‘ ,Ich werde dir eine Lehrmeisterin geben. Unter ihrer Führung wirst du weise werden.‘ ,Wer seid Ihr eigentlich?‘ ,Ich bin der Sohn der Frau, die dreimal am Tag zu grüßen deine Mutter dich lehrte. Nach meinem Namen frag meine Mutter.‘
In diesem Augenblick sah ich neben dem Herrn eine Frau von majestätischem Aussehen. Sie trug einen Mantel, der glänzte wie die Sonne. Weil sie merkte, dass ich ganz durcheinander war, winkte sie mich zu sich und nahm mich gütig an der Hand. ,Schau!‘, sagte sie. Ich schaute und bemerkte, dass alle Jungen verschwunden waren. An ihrer Stelle sah ich viele Ziegen, Hunde, Katzen, Bären und einige andere Tiere. ,Siehst du, das ist dein Arbeitsfeld. Werde demütig, tüchtig und stark, und was du jetzt an diesen Tieren geschehen siehst, das sollst du für meine Kinder tun.‘
Ich schaute. Da erschienen plötzlich anstelle der wilden Tiere sanfte Lämmer, die um den Herrn und die schöne Frau herumsprangen und blökten. Ich begann zu weinen und bat die Dame, mir das doch zu erklären. Ich wusste ja nicht, was es bedeuten sollte. Da legte sie mir die Hand auf den Kopf und sagte: ,Zur rechten Zeit wirst du alles verstehen.‘
Kaum hatte sie das gesagt, da wurde ich von einem Geräusch wach, und alles war verschwunden. Ich war völlig durcheinander. Mir kam es vor, als täten mir die Hände weh von den Schlägen, die ich ausgeteilt hatte, und als würde mein Gesicht brennen von den Ohrfeigen, die ich von diesen ungezogenen Jungen erhalten hatte.
In der Frühe habe ich den Traum zuerst meinen Brüdern erzählt, die darüber lachten, dann meiner Mutter und der Großmutter. Jeder legte ihn auf seine Weise aus. ,Du wirst ein Hirte werden‘, meinte Giuseppe; ,ein Räuberhauptmann‘, sagte Antonio bissig. Meine Mutter aber sagte: ,Wer weiß, vielleicht wirst du Priester.‘ Die Großmutter schließlich gab die definitive Antwort: ,Auf Träume kann man nichts geben.‘ Ich war der gleichen Ansicht. Trotzdem aber wollte mir dieser Traum einfach nicht aus dem Kopf gehen.“
Alle folgenden Jahre im Leben Giovanni Boscos waren von diesem Traum gekennzeichnet. Mama Margherita hatte es verstanden – und bald sollte es auch Giovanni verstehen –, dass dieser Traum ihm den Weg gewiesen hatte.
Don Boscos „Erinnerungen“
Mit 58 Jahren erinnert sich fast niemand mehr an das, was fünf Jahre zuvor passiert ist. Aber fast alle wissen noch ganz deutlich – so, als wäre es erst gestern gewesen –, was sie mit neun, elf oder 15 Jahren erlebt haben. Man spürt an seinen Knien förmlich noch die raue Rinde der Bäume, auf die man damals geklettert war, und es scheint einem, als hätte man erst gestern noch das warme Fell des Hundes berührt, neben dem man einst dahinrannte.
Mit 58 Jahren schrieb Don Bosco seinem eigenen Zeugnis zufolge im Auftrag des Papstes die Geschichte seiner ersten Lebensjahrzehnte nieder. Mit seinem beinahe fotografischen Gedächtnis füllte er drei große Hefte mit insgesamt 180 Seiten. Mit den Daten kam er dabei zuweilen etwas durcheinander. Aber die Episoden zeigen eine außerordentlich lebendige Frische. Und so können wir den Erlebnissen des Bauernjungen Giovanni Bosco aufgrund dieser „Memorie“ („Erinnerungen“) auch heute noch bis in viele Einzelheiten folgen.
Hunger und Krieg
„Der Name meiner Mutter war Margherita Occhiena aus Capriglio, Francesco der meines Vaters. Sie waren Bauern, die durch Arbeit und Sparsamkeit ihr Brot ehrlich verdienten.“ So schrieb Don Bosco in seinen „Memorie“. Giovanni Bosco wurde am 16. August 1815 geboren. Seine Mutter nannte ihn „Giuanín“, eine Kurzform seines Namens Giovanni, wie sie in ganz Piemont üblich war.
Giovanni Boscos erste Erinnerung ist die an den Tod seines Vaters. Francesco Bosco hatte ein kleines Haus und ein wenig Grund gekauft. Um die fünf Personen, für die er zu sorgen hatte, ernähren zu können, musste er zusätzlich bei einem begüterten Nachbarn arbeiten. Eines Abends, als er schweißgebadet vom Feld kam, ging er gedankenlos in den kalten Weinkeller seines Arbeitgebers. Einige Stunden danach überfiel ihn ein heftiges Fieber. Wahrscheinlich hatte er sich eine doppelseitige Lungenentzündung zugezogen. Ein paar Tage später starb er, mit nur 33 Jahren.
„Du hast keinen Vater mehr“
„Ich war noch keine zwei Jahre alt,“ so erzählte Don Bosco, „als mein Vater starb. Ich erinnere mich nicht einmal daran, wie er ausgesehen hatte. Ich weiß nur noch, dass meine Mutter sagte: ,Jetzt hast du keinen Vater mehr, Giuanín.‘ Alle gingen aus dem Sterbezimmer hinaus, aber ich wollte unbedingt bleiben. ,Komm, Giuanín‘, sagte meine Mutter sanft, aber bestimmt. ,Wenn der Vater nicht mitkommt, geh ich auch nicht‘, antwortete ich. ,Komm schon, Kleiner, du hast keinen Vater mehr.‘ Bei diesen Worten brach meine Mutter in Tränen aus und nahm mich mit. Ich weinte, weil sie weinte. Was kann ein Kind in diesem Alter schon verstehen? Aber der Satz: ,Du hast keinen Vater mehr‘ ist mir im Gedächtnis geblieben. Das ist das erste Ereignis, an das ich mich erinnere.“
Eine schlimme Zeit
Die zweite Erinnerung des kleinen Giovanni ist die an den Hunger, den er im selben Jahr erleiden musste. Der Weiler Becchi, in dem das Haus der Familie Bosco lag, bestand aus zehn Häusern, die über eine Anhöhe verstreut waren. Die Gegend war hügelig. Der Blick ging über Weinberge und kleine Wälder. Sie gehörten zum Dorf Morialdo, das fünf Kilometer von dem Marktflecken Castelnuovo d’Asti entfernt war.
Im Jahr 1817 wurde das Hügelland des Monferrato, in dessen Norden Castelnuovo lag, zusammen mit dem ganzen Piemont von einer schweren Hungersnot heimgesucht. Im Frühjahr kam zunächst der Frost, dann folgte eine lange Dürreperiode. Die Ernte war verloren. Auf dem Land herrschte Hunger, großer Hunger. In den Straßengräben fand man verhungerte Bettler, die den Mund voll Gras hatten.
Ein Dokument aus dieser Zeit beschreibt, wie Turin, die Hauptstadt des Piemont, damals eine Invasion von geradezu biblischen Ausmaßen erlebte: Züge von ausgemergelten und zerlumpten Menschen, die ihre Dörfer verlassen hatten, Gruppen von Familien, die aus den Tälern und von den Hügeln herab in die Stadt gezogen waren, wo sie sich vor den Kirchen und Palästen niederließen und die Hand nach Almosen ausstreckten.
Gerade in dieser schlimmen Zeit musste Margherita ihre Familie alleine versorgen. Im Haus waren ihre Schwiegermutter, die gelähmt und daher an den Lehnstuhl gefesselt war, Antonio (neun Jahre), der Sohn aus der ersten Ehe ihres verstorbenen Mannes, und ihre beiden eigenen Kinder Giuseppe und Giovanni (vier und zwei Jahre). Sie, die Bäuerin und Analphabetin, bewies in diesen Monaten Charakterstärke.
„Meine Mutter gab der Familie zu essen, solange sie etwas hatte“, erzählte Don Bosco. „Dann bat sie einen Nachbarn, Bernardo Cavallo, ihr Geld zu leihen, damit sie auf die Suche nach Lebensmitteln gehen konnte. Sie ging auf verschiedene Märkte. Aber selbst zu Wucherpreisen konnte sie nichts bekommen. Nach zwei Tagen kehrte sie am Abend zurück, sehnsüchtig von uns erwartet. Als sie das Geld zurückgab und sagte, dass sie nichts bekommen hatte, überkam sie die Angst. Wir hatten schon seitdem sie fortgegangen war nichts mehr zu essen gehabt. Dann aber fasste sich meine Mutter und sagte: ,Francesco sagte im Sterben zu mir, ich solle auf Gott vertrauen. Knien wir nieder und beten!‘
Nach kurzer Zeit stand sie wieder auf. ,In extremen Fällen muss man zu extremen Mitteln greifen‘, meinte sie. Mithilfe von Bernardo Cavallo ging sie in den Stall, um das Kalb zu schlachten. Dann kochte sie etwas Fleisch und gab es uns zu essen. Wir waren erschöpft. In den folgenden Tagen ließ sie von weither Getreide kommen, zu einem teuren Preis.“
In piemontesischen Bauernfamilien war das Schlachten eines Kalbs bis vor wenigen Jahrzehnten ein Akt der Verzweiflung. Denn ein Kalb, das im Stall groß werden konnte, war eine Geldanlage, die es einem erlaubte, eventuell auftretende schwierige Situationen, wie zum Beispiel eine Krankheit, zu überstehen. Es zu schlachten, bedeutete deshalb, sich der letzten Reserve zu entäußern. Tod, Hunger und Schwierigkeiten – das waren also die ersten Erinnerungen eines Kindes, das später einmal der Vater vieler Waisen werden sollte, ein Vater, der in seinen Häusern vielen Jungen Brot geben würde.