Kitabı oku: «Graf Petöfy», sayfa 3

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Fünftes Kapitel

Einige Wochen lang setzte sich der Verkehr Franziskas mit dem Petöfyschen Hause fort, dann aber brach er etwas auffällig ab, und selbst die Besuche, die der Graf noch eine Zeitlang in dem Eckhause der Salesinergasse gemacht hatte, hörten auf. Es hieß, was auch zutraf, er sei verreist, und erst von Paris aus gab er wieder ein Lebenszeichen und entschuldigte sich in den verbindlichsten Worten seiner plötzlichen Abreise halber. Aber so verbindlich diese Worte waren, so waren sie doch kühler als gewöhnlich oder wenigstens befangener.

Franziska fühlte das heraus, war indessen an derartig wechselnde Vorgänge zu sehr gewöhnt, um ein besonderes Gewicht darauf zu legen.

Anders in dem engeren Zirkel, der sich nach wie vor an jedem dritten Abend im Salon der Gräfin versammelte. Hier wurde nicht bloß dem Ausbleiben des Fräuleins, sondern weit mehr noch der Abreise des Grafen eine gewisse Bedeutung beigelegt, bei welcher Gelegenheit man nicht unterließ, sich die seltsamsten Dinge zuzuflüstern. Der alte Graf sei regelrecht verliebt oder interessiere sich wenigstens bis zur Torheit für das junge Fräulein, und so sei denn die ganze Pariser Reise nichts weiter als eine Flucht. Die Gräfin habe mit Rücksicht auf den eigensinnigen Charakter des Grafen anfänglich seiner Reise widersprochen, natürlich nur in der Absicht, ihn durch solchen Widerspruch in seinem Plane desto fester zu machen. Andere dagegen wollten von dem allem nichts wissen und hoben ihrerseits hervor, daß die »jours de fête« für den alten Grafen vorüber seien; sie begegneten aber nur dem Spott aller medisanten Klub- und Kasinohabitués, die nicht müde wurden, auf den siebenzigjährigen Goethe, ja zuletzt sogar auf König Sigurd Ring hinzuweisen, der noch mit neunzig Jahren in Leidenschaft verfallen und auf die Freite gezogen sei. Der Graf aber sei Vollblutungar und könne mehr.

Ein Echo dieser Gespräche würde zweifellos auch bis zu Franziska hinauf gedrungen sein, wenn diese nicht durch ein nervöses Fieber, in das sie bald nach der Abreise des Grafen verfiel, vor allem derartigen Gerede bewahrt geblieben wäre. Sie lag wochenlang in jenem apathischen Dämmerzustande, der der Begleiter und fast auch der Freund dieser Krankheit ist, und als endlich dieser Zustand geschwunden und ihr ein wenigstens umschleiertes Interesse für die Dinge des Lebens zurückgekehrt war, da waren viele Wochen vergangen und beinahe heiße Sommertage da, trotzdem erst Frühling im Kalender stand.

Am letzten Apriltage saß Franziska an ihrem Fenster und sah zum ersten Male wieder auf das bunte Treiben der Stadt unten, und siehe da, noch ehe die Mitte des Mai heran war, war sie schon in einem jener reizend gelegenen, in weitem Halbkreise die Hauptstadt nach Süden hin umziehenden Villendörfer einquartiert und genoß hier die Wonne der Rekonvaleszenz. Es hatte sich dabei so glücklich getroffen, daß eine befreundete Kollegin – und zwar um so befreundeter, als sie das Fach der hoben Tragödie kultivierte – mit ihr in die Sommerfrische gegangen war, einer Molkenkur halber, die sie sich unter Hinweis auf ihr »total erschöpftes Organ« vom Theaterarzt hatte verordnen lassen. Eine Verordnung, in die dieser lächelnd, aber doch zugleich auch mit der Bemerkung gewilligt hatte: »Wollte Gott, Fräulein Phemi, daß ich mich annähernd Ihres Organs erfreute.«

Natürlich war auch Hannah mit draußen, und alle drei bewohnten ein halbes Parterre, das nach der Rückseite hin einen einfachen Garten mit Kaiserkronen und Feuerlilien, in Front aber eine durch Glasfenster und Leinwandwände geschützte Veranda hatte. Schräg gegenüber von ihnen befand sich ein großes, mit Oleanderbäumen umstelltes Hotel, und zwischen hüben und drüben lief ein chaussierter Straßendamm, auf dem, die heißen Mittagsstunden abgerechnet, ein beständiges Fahren war. Denn der Ort war nicht nur Eisenbahnstation, sondern von alter Zeit her auch Knotenpunkt vieler Straßen, die von hier aus strahlenförmig in die steirischen Vorberge hineinführten, ein entzückendes Hügelland, über das hinweg, sobald die Sonne zu sinken begann, das Hochgebirg in blauem Dämmer aufragte.

Heute jedoch war der Abend noch fern, und beide Freundinnen saßen frühnachmittags in der Veranda, deren Glasfenster man ausgehoben hatte, weil es nach einer kurzen Regenzeit in den letzten Tagen wieder sehr warm geworden war. Auf einem hart an der Brüstung stehenden Tische lagen Muster, Decken und Wollknäuel umher, und die Tapisserienadel beider Damen, welche letzteren an einer großen Stickerei beschäftigt schienen, ging hurtig hin und her. Dabei war eine rechte Nachmittagsstille, nichts wach, und nur aus dem Garten kamen ein paar gelbe Schmetterlinge, haschten sich und flogen dann weiter die Straße hinunter. Franziska sah ihnen nach, bis sie schließlich über die Dächer hin verschwanden, und war noch in ihrem Sehen und Sinnen verloren, als vom Flur her ein reizender Blondkopf erschien, ein etwa zehnjähriges Mädchen, das an ihnen vorüber in Hast und Sturm auf die Straße zulief, einen Tonnenreifen vor sich, den es mit dem Handgriff eines allem Anscheine nach sehr eleganten Fächers schlug. An dem Reifen selbst waren kleine Blechstücke befestigt, und bei jedem Schlage gab es einen Klang, als ob ein Tambourin oder Kinderjanitschar geschüttelt würde.

»Lysinka«, rief die Tragödin und lachte. »Sieh nur, Franziska, sie hat meinen besten Fächer genommen, ein Geschenk von Graf Pejevics von der letzten Redoute her. Ein wahres Prachtstück, ich meine den Fächer. Und nun hantiert der Unhold damit, als ob es ein Trommelstock wäre... Lysinka!«

Aber die Kleine hörte nicht mehr, sondern jagte schon die chaussierte Straße weiter hinauf und auf das große, mit Oleanderbäumen umstellte Hotel zu, vor dem eben ein paar gelbe Reisewagen mit zurückgeschlagenem Verdeck hielten. Man sah ordentlich, wie das schwarze Leder in der Sonne brannte, während ein paar Hühner, die sich vom Hofe her eingefunden hatten, die Körner aufpickten, die zerstreut umherlagen. Hier machte Lysinka halt, sah sich inmitten der pickenden Hühner einen Augenblick um und jagte dann in geschickter Biegung, und die Veranda, wo Phemi und Franziska saßen, aufs neue passierend, nach der andern Seite hin die Straße hinunter.

»Ein reizendes Kind!« sagte Franziska. »Du mußt es sehr lieben. Tust du?«

»Gewiß tu ich's. Oder glaubst du, daß der hohe Stil der Tragödie dergleichen ausschließt? Auch Medea...«

»Nichts von der. Ich will von Medea nichts wissen. Ich will nur wissen...«

»Ein Geheimnis.«

»Unter Schauspielerinnen gibt es keine Geheimnisse. Das solltest du wissen, Phemi. Zudem hab ich dir alles aus meinem Leben erzählt, Abenteuer und Nichtabenteuer.«

»Nun gut; so rate.«

»Gräflich? Hocharistokratie?«

»Höher.«

»Ah, ich seh schon, du willst dich auf einen Erzherzog hin ausspielen. Aber ehe ich dir das glaube...«

Hannahs Erscheinen machte hier dem Gespräch ein Ende. Sie kam mit einem großen Tablett, das sie vorläufig auf die rechtwinklige Brüstung der Veranda setzte, legte dann sorglich ein Tuch und arrangierte den Kaffeetisch.

»Und nun, Hannah, Juwel unserer Krone«, hob Phemi wieder an, »schaff uns auch etwas Krausgebackenes oder einen Napfkuchen oder, um auch in Öslau gut wienerisch zu bleiben, einen Gugelhupf. Denn du mußt wissen, ich habe heute den Lammbraten vorübergehen lassen – er hat immer so etwas Ungeborenes –, und so klingt es denn in den Tiefen meiner Seele: ›Was du vom Lamm zu Mittag ausgeschlagen, bringt nur der Gugelhupf zurück.‹ Oh, ein himmlisches Wort, bei dem ich ordentlich fühle, wie's hier mithupft. Und nun geh, Hanning, geh; ich habe ein drittes Haus von hier etwas appetitlich Braunes im Schaufenster stehen sehen, heute früh, als wir von der Promenade kamen, und die leere Straße sieht mir nicht darnach aus, als ob sich Öslau mittlerweile daran vergriffen haben könnte... Hier mein letzter Fünfguldenschein!«

»Ach, Fräulein Phemi, wenn Sie nur nicht immer vergessen wollten, daß wir Krachzeiten haben.«

»Unsereins hat nie Krach, Hannah. Übrigens wecke keine traurigen Gedanken in mir, denn schließlich und auf einem Umwege bin ich doch daran beteiligt. Und nun geh, ehe es zu spät ist. Wir leben zwar in einer gedankenarmen Zeit, aber die Not einer Öslauer Kaffeestunde macht auch den Ärmsten erfinderisch. Also vite, vite.«

Hannah ging. Als sie fort war, beugte sich Franziska vor und sagte: »Du kannst dir gratulieren und stolz sein, Phemi, bei Hannah in solcher Gunst zu stehen. Eigentlich hält sie nicht viel von uns. Ihr Vater war Totengräber, und davon ist ihr was geblieben. Und am meisten wundert es mich, daß sie mit dem Blondkopf so gut steht, mit der Lysinka. Sie hat ordentlich einen Narren an dem Kind und erklärt es rundheraus für einen Engel. Und das geht doch schlechterdings nicht, oder das ganze Kapitel von der Erbsünde...«

»Nichts davon! Um darüber zu sprechen, muß man so studiert sein wie du. Das alles ist nicht mein Sach. Aber wenn du dich über die Hannah wunderst, weil sie trotz all ihrer Tugend an dem Kinde hängt und dem Kinde nicht die Mutter und der Mutter nicht das Kind anrechnet, so zeigst du nur, wie wenig du die Menschen kennst. Und bist doch an die Vierundzwanzig.«

»Eben gewesen«, lachte Franziska.

»Nun, siehst du! Freilich, ich könnte deine Mutter sein oder wenn nicht geradezu deine Mutter, so doch deine Stiefmutter...«

»Dazu bist du wieder zu gut und verwöhnst mich zu sehr.«

»Also deine Mutter. Und nun höre. Was ich dir hinsichtlich deiner Hannah und ganz speziell hinsichtlich ihrer Liebe zu dem Kinde zu sagen habe, das heißt einfach...«

»Nun?«

»Das heißt einfach: es lebt sich am besten mit der Tugend.«

»Das hat einen Doppelsinn.«

»Ich wollt ihm den Doppelsinn nicht geben, und stünde mir auch schlecht an. Es soll nur heißen: es lebt sich am leichtesten und am bequemsten mit guten und unschuldigen Leuten. An Tadel oder Vorwurf ihrerseits ist nie zu denken. Im Prinzipe sind sie streng und streng auch gegen sich selbst. Aber was von anders Geartetem an sie herantritt, dagegen sind sie mild, und es ist fast, als freuten sie sich, eine Bekanntschaft damit zu machen. Es soll sich ja, wie die Katholiken sagen, das Heilige durch Handauflegen fortpflanzen etwa nach Art eines elektrischen Stroms, und so strömt auch vielleicht ein kleiner, prickelnder Strom des Unheiligen von unsereinem aus. Jeder nach seinen Mitteln und Kräften.«

»Ach, Phemi, wie du nur redest! Du bist ja gar nicht so.«

»Man kann sich nicht unheilig genug machen. Eine durchgängerische Demut ist das letzte Mittel, sich wenigstens einen Schimmer aus der ewigen Strahlenkrone zu retten... Aber ums Himmels willen, Fränzl, sieh dich um, da kommt ja Graf Egon.«

Franziska hatte sich vorgebeugt und erkannte nun auch ihrerseits den Grafen, der eben drüben aus dem Hotel getreten war und noch einmal zurücksah, um nach einem Balkon hinauf zu grüßen, der am ganzen ersten Stock entlanglief und durch Holzpfeiler getragen wurde. Sein Gruß selbst aber galt einer alten Dame, der Gräfin.

Egon war allein, nur von einer Ulmer Dogge begleitet, einem prächtigen Tier, das augenscheinlich ungeduldig seinem Herrn auf der chaussierten Straße bis an die Veranda hin vorauflief. Einen Augenblick später aber war auch der junge Graf heran und gewahrte die beiden Damen, die sich anscheinend in ihre Tapisserie vertieft hatten. Er fuhr ganz ersichtlich zusammen, als ob ihm die Begegnung mit ihnen mehr ein Schreck als eine Freude gewesen wäre, fand sich aber rasch wieder zurecht und trat an die Brüstung heran, um beide mit aller Courtoisie zu begrüßen.

Phemi hatte sich zum Gegengruß erhoben und überstürzte den Grafen sofort mit einer Frageflut, die keine Dämme kennen zu wollen schien, am wenigsten aber den der Diskretion. Endlich schwieg sie.

»Meine Gnädigste«, lächelte Graf Egon, »alles zu beantworten, müßt ich den letzten Zug abwarten können, was mir leider versagt ist. Aber ein Anfang ließe sich wenigstens machen, immer vorausgesetzt, daß Sie geneigt sind, mir einen Platz an Ihrem Kaffeetische zu gönnen.«

Er voltigierte, während er dies sagte, leicht über die Brüstung hin und setzte sich in einen Gartenstuhl, den er selber aus einer Ecke herangeschoben.

»Ehe ich aber beginne«, fuhr er fort, »denn Fragen sind einer Gegenfrage wert, bitte ich, mir sagen zu wollen, was Sie nach diesem Erdenwinkel geführt hat?«

»Ich war krank«, antwortete Franziska, »viele Wochen lang, und die stillen Tage hier sollen mich wieder gesund machen.«

All dies war in einem durchaus ruhigen Tone gesprochen, und doch klang ungewollt und ungewußt etwas wie Vorwurf darin. Egon geriet denn auch in eine leise Verwirrung, an der die Sprecherin erst er kannte, welche Bedeutung er ihren Worten gegeben hatte. Sie fuhr daher rasch und mit soviel Unbefangenheit wie möglich fort: »Es ist erquicklich, die reine Luft hier zu genießen, am erquicklichsten aber ist doch die geistige, darin ich lebe. Wenn ich nicht irre, hat irgendein alter oder neuer Philosoph ausgesprochen, es mache nichts so gesund wie Heiterkeit, und die Wahrheit dieses Satzes hab ich hier an mir selbst erfahren. Denn Sie müssen wissen, Graf Egon, es gibt nichts Heitereres und Vergnügteres als eine Tragödin. Nicht wahr, Phemi?«

Diese patschelte die Hand, die Franziska, während sie so sprach, ihr gegeben hatte, zugleich aber nahm sie selber das Wort und sagte: »Was das für Anwandlungen sind! Ich bitte dich, ich soll mich nicht auf das Archidukale hin ausspielen, und du spielst dich auf das Sentimentale hin aus. Und nun wirst du schließlich noch rot und scheinst als ›Naive‹ nicht einmal zu wissen, daß mit Hilfe solcher Anspielungen nie und nimmer das geringste verraten wird. Und wenn Graf Egon auch raten wollte bis an den Jüngsten Tag, er erriete doch nicht, um was es sich hier handelt.«

»Ich fürchte wirklich, nein.«

»Nun, siehst du. Zudem soll man an den kleinen Freuden des Lebens nicht ohne Not vorübergehen, das verübeln einem die Schicksalsmächte, von denen ich schon von Metier wegen zu reden weiß. Und zu diesen kleinen Freuden des Lebens gehört es auch, in Geheimnissen und Anspielungen zu sprechen. Einige sagen freilich, es sei ein schlechter Ton und nicht artig. Aber was ist artig? Eine Beschäftigung für arme Leute.«

»Gut, es mag so sein, aber du hast umgekehrt eine zu stark ausgeprägte Neigung, dich unter Ignorierung der armen Leute mit deinen Königinnen zu verwechseln. Ist es nicht so, Graf Egon?«

»Im Gegenteil, meine Gnädigste. Bedaure, widersprechen zu müssen. Ich meinerseits bin immer nur überrascht, unsere Freundin in so genialer Weise die Rollengebiete wechseln und aus der Sprache der Königinnen in die der echtesten Weiblichkeit übergehen zu sehen.«

»Eine Genialität«, lachte Phemi, »die Sie mutmaßlich überschätzen. Immer, mit Ausnahme der Pastoren, ist es einem jeden ein liebes und leichtes, aus dem Aufgesteiften in das Natürliche zu verfallen. Erinnern Sie sich der mythologischen Gottheiten, und wie begierig dieselben allezeit waren, aus ihrer Göttlichkeit herauszutreten. Und nun gar erst die Götter und Göttinnen dieser Welt! Als Hofmann sollten Sie wissen und wissen es auch, wie schwer arme junge Königinnen an ihrem Hermelin zu tragen haben. Da haben wir beispielsweise die Königin Anna von England, allerdings nur in einem historisch angekränkelten Stück. Aber gleichviel, die Figur soll echt sein. Und nun beobachten Sie, woran hängt sich dieser Königin Anna königliches Herz? An einen Fähnrich. Dabei verwechselt sie die zwölf Millionen Staatsschulden mit den Toten bei Malplaquet. Zwölf Millionen Tote! Viel, sehr viel; aber am Ende warum nicht? Ihr Fähnrich blieb ihr ja, und so rollt ihr die Zahl so gemütlich von der Lippe, wie wenn's eine Bagatelle wäre. Da haben Sie Königinnen! So sehen wirkliche Königinnen aus, und einer armen Sklavin gleich mir, die nur die Königinnen spielt, sollt es schwer werden, aus der Zepter-und-Kronen-Sprache herauszufallen? Und noch dazu hier, hier in Öslau. Hier bin ich Mensch, hier will ich menschlich fühlen, ja, Graf, auch dann noch, wenn Sie samt Franziska superior über mich lächeln, weil ich mutmaßlich wieder einmal falsch zitiert habe, was aber Ihre gerechte Strafe dafür sein mag, daß wir immer noch nicht wissen, um was sich's handelt und um was Sie hier waren. Und nun dring ich allen Ernstes auf eine Generalbeichte.«

»Die wir sicherlich längst hätten, Phemi, wenn du dem Grafen nur einen Zollbreit Raum zum Niederknien gegönnt hättest.«

Egon verneigte sich zustimmend und erzählte nun in Kürze, daß die Tante seit etwa acht Tagen hier in Öslau sei, drüben im Hotel. Er sei gekommen, ihr Briefe zu bringen, darunter auch Briefe von Graf Adam.

»Und wie geht es dem Grafen?« fragte Franziska.

»Gut. So nehm ich wenigstens an. Es geht ihm überall gut, wo sich eine große Oper und eine Opéra comique verfindet. Freilich fehlt ihm das Napoleonische Regiment, und die Regierung im schwarzen Frack ist nicht gerade sein Ideal. Er liebt das Bunte, darin ganz Ungar, aber zuletzt bleibt doch Paris Paris und spottet jeder Kleiderfrage. Mit der Viardot hat er die Freundschaft erneuert und mit der Sarah Bernhardt diniert, ein Diner, von dem sich mindestens eine Woche lang in enthusiastischer Erinnerung zehren läßt. Mitte Juni will er nach Trouville, wenn nicht nach Biarritz, er ist aber unberechenbar und hält eigentlich jeden Tag für verloren, den er, etwa Schloß Arpa abgerechnet, außerhalb Wien zubringt.«

In diesem Augenblick hörte man aus der Ferne her den Pfiff einer Lokomotive. »Das ist mein Zug, meine Damen, und ich muß eilen.«

»Oh, Sie haben noch sieben Minuten.«

Und er setzte sich wirklich wieder. Aber die Dogge, die sich all die Zeit über vor die kleine Verandatür gelagert und den Kopf zwischen die Pfoten gesteckt hatte, gab jetzt so sichtliche Zeichen von Ungeduld und schlechter Laune, daß ihr Herr unter scherzhaftem Hinweis auf den malkontenten Begleiter sich wieder erhob.

»Ein schönes Tier!« sagte Phemi. »Fast zu schade...«

»Für sein Coupé?« ergänzte lachend der Graf. »Gewiß. Und würd es auch sehr übelnehmen, sich darin untergebracht zu sehen, denn er steckt ganz und gar in Standesvorurteilen. Ich muß es eben mit dem Schaffner versuchen. Mißglückt es, so macht er die vier Meilen zu Fuß. Apropos, ich darf doch der Tante von Ihrem Hiersein melden? Au revoir.«

Und er ging rasch die Straße hinunter, an deren nahem Ausgange das Bahnhofsgebäude gelegen war. Eben fuhr der Zug ein. Eine Minute darnach aber gab die Glocke schon wieder das Abfahrtszeichen, und beide Damen sahen nur noch die weiße Dampfwolke, die, sich verflüchtigend, über die letzten Häuser hinzog.

Weder Phemi noch Franziska sprach. Jede hing ihren Gedanken nach.

Sechstes Kapitel

Graf Egon hielt Wort, und schon den zweiten Tag darnach, als beide Freundinnen von einem Mittagsspaziergang zurückkehrten, fanden sie zwei Karten vor, die von einem Lohndiener abgegeben waren, während die Gräfin selber in einem zurückgeschlagenen Wagen vor der Veranda gehalten hatte. Phemi drehte die für sie bestimmte Karte hin und her und las mit Betonung jeder einzelnen Silbe: »›Reichsgräfin Judith von Gundolskirchen, geborene Gräfin Petöfy.‹ Wundervoll, und kommt in der Schale, wenn ich erst wieder in Wien bin, obenauf. An Grafen ist kein Mangel bei mir, aber Gräfinnen sind desto seltener. Glaube mir, Fränzl, dergleichen ist nicht nur hübsch, sondern auch nützlich, und man muß jede gute Brise benützen... Und in einem Wagen, sagtest du, Hannah?«

»Ja, in einem Wagen«, bestätigte Hannah. »Und es war eigentlich nur der Hotelwagen von drüben, aber alles herrschaftlich zurechtgemacht und der Kutscher mit Handschuhen. Er sah so feierlich aus, daß mir das Lachen ankam. Und dazu der lange Sepp als Lohndiener und einen Frack an. Und alles bloß für uns, Fräulein Phemi, wirklich bloß für uns. Denn an der nächsten Ecke sah ich sie kehrtmachen, und ehe ich noch bis hundert zählen konnte, hielten sie schon wieder vor dem ›König von Ungarn‹.«

Franziska war mehr bestürzt als erfreut. Allerdings waren ihr die Winterabende bei der Gräfin in durchaus freundlicher Erinnerung, aber die Beziehungen von damals wieder aufgenommen zu sehen entsprach wenig ihren Wünschen.

Am andern Tage gaben beide Damen in Abwesenheit der Gräfin ihre Gegenkarten ab, und Franziska lebte der Hoffnung, daß es dabei sein Bewenden haben werde. Darin irrte sie jedoch, und schon derselbe Tag war dazu bestimmt, eine persönliche Begegnung herbeizuführen.

Es kam dies so:

Zu den kleinen Zerstreuungen Franziskas und Phemis gehörte namentlich auch der Bahnhofsbesuch, wo sie zu promenieren und das bunte Treiben der ankommenden und abgehenden Züge zu beobachten pflegten. Auch heute hatten sie sich eingefunden und bogen eben aus den Anlagen in den parallel mit der Bahn laufenden Kiesweg ein, als Franziska der Gräfin ansichtig wurde, die, von ihrer Kammerjungfer gefolgt, auf dem Perron auf und ab ging und ebenfalls den von Wien kommenden Vieruhrzug abzuwarten schien. Es fehlten nur noch einige Minuten. Ein Sichvermeidenwollen wäre wenig schicklich, außerdem auch undurchführbar gewesen, und so trat denn Franziska an die Gräfin heran und bat nach den ersten Begrüßungsworten, ihr ihre Freundin Euphemia La Grange vorstellen zu dürfen. Die Gräfin reichte dem Fräulein die Hand und sprach ihr Bedauern aus, den ihr zugedachten Besuch der beiden Damen verfehlt zu haben, zugleich Franziska versichernd, wie sehr sie sich freue, die so plötzlich unterbrochene Winterbekanntschaft in diesen schönen Maitagen erneuern zu können.

»Ich habe von Ihrer andauernden Krankheit gehört«, fuhr sie fort, »und muß mich anklagen, mich dabei so säumig und anscheinend teilnahmlos gezeigt zu haben. Aber ich war gut unterrichtet, erst durch meinen Bruder und später durch meinen Neffen, Grafen Egon. Und nun bitt ich die Damen, einen Platz für mich suchen oder wenigstens die Promenade wieder aufnehmen zu wollen, denn meine Füße versagen mir im Stehen den Dienst und mahnen mich an die lange Reihe meiner Jahre.«

Dabei schritt sie den Damen vorauf auf ein Tempelchen zu, das auf einem künstlich aufgeworfenen Hügel inmitten der Anlagen errichtet war. Ehe sie jedoch die Stufen desselben erreichen konnte, hörte sie schon das Herannahen des Zuges und entschuldigte sich nun, das eben erst begonnene Gespräch auch schon wieder abbrechen zu müssen, aber sie sei hier, um einen lieben Freund zu begrüßen, den sein Weg von Wien aus nach Wiener Neustadt führe. »Sie kennen ihn ja, mein liebes Fräulein«, setzte sie hinzu, »Pater Feßler, ein eifriger Verehrer von Ihnen und als solcher oft der Gegenstand unserer Neckereien. So Sie mir gestatten, bring ich ihm Grüße von Ihnen.« Und damit empfahl sie sich und ging, von ihrer Jungfer gefolgt, auf den Perron zurück.

Euphemia sah ihr nach und sagte: »Charmante alte Dame, jeder Zoll eine Gräfin. Ich glaube zwar, trotz aller Liebenswürdigkeit, sehr stolz. Aber es ist mit dem Stolz wie mit der Tugend, worüber ich dir erst neulich einen kleinen Vortrag gehalten habe; weißt du noch? Und sieh, alles, was ich dir damals von der Tugend und den Tugendhaften sagte, das paßt auch auf die Stolzen. Ich leg ihre Karte noch mehr obenauf... Aber wer ist nur der Pater Feßler?«

»Überzeuge dich selbst; eben ist er ausgestiegen und spricht mit der Gräfin.«

»Ein schöner Mann.«

»Und sehr angenehm im Umgang.«

»Er wird dich am Ende noch bekehren.«

»Zweifle.«

»Wer weiß? Eine geborene Predigerstochter und gewordene Liebhaberin und Soubrette, nimm mir's nicht übel, Fränzl, aus solchen Zutaten kann alles werden.«

Seit dieser Begegnung hatte sich ein Verkehr zwischen hüben und drüben entwickelt, der sich indessen auf bloße Begrüßungen beschränken zu wollen schien. Jeden Morgen, wenn beide jungen Damen auf ihrer Veranda saßen und Phemi die Zeitung studierte – denn sie war eine Politikerin, ungemein für Freiheit und noch mehr für Aristokratie –, erschien die Gräfin auf ihrem Balkon, anscheinend um nach dem Wetter, in Wahrheit aber, um nach den jungen Damen zu suchen, und wenn dann diese sich erhoben, um ihren Respekt zu bezeugen, so nickte sie beiden ihren Morgengruß zu, bevor sie sich wieder in ihre Zimmer oder am liebsten auf einen nach hinten zu gelegenen Gartenbalkon zurückzog.

Aber dabei blieb es.

»Es wird nicht viel«, sagte Phemi, die sich über dies Halbverhältnis ärgerte. »Wir kommen nicht von der Stelle mit ihr, und am Ende wär es besser gewesen, wenigstens für mich, Graf Egon hätte mir dies Öslauer Idyll und die Ruhe meiner Seele nicht gestört. Ach, es war so still hier, Franziska, so konflikt- und tragödienlos, und wenn ich vielleicht doch noch Medea war, so war es Medea während der Freundschaftsschließung mit Kreusa, die Zeit vor der Eifersucht und den unliebsamen Gefühlen überhaupt. Wirklich, ich war wie Fridolin in der Ballade so sanft und rein und natürlich auch glücklich, aber seitdem dieser Maledetto von Egon hier war, ist eine totale Gemütsveränderung mit mir vorgegangen. Ich habe meine Fridolinrolle vertauscht und könnte mich jeden Augenblick ans Spinnrad setzen. Meine Ruh ist hin, mein Herz ist schwer. Wirklich, Schatz, ich werde täglich nervöser, und wenn nicht bald etwas geschieht, so reis ich ab.«

»Ich weiß, du wirst bleiben, Phemi; du hast ein Zeugnis auf Molkenkur und mußt nun aushalten. Alles straft sich und am meisten das Lügen... Aber da kommt ja der lange Sepp von drüben, und wenn ich sein Zwinkern und seine Wichtigkeit recht verstehe, so bringt er uns eine Botschaft.«

Und wirklich, er kam von der Gräfin und übergab ein an Franziska gerichtetes Billet. Es lautete:

»Vielleicht ist es den Damen genehm, an einer Partie teilzunehmen, die wir heute nachmittag in die Berge machen wollen. Mein Neffe Egon und mit ihm der junge Graf Pejevics, der Fräulein Phemi zu kennen vorgibt, sind mit dem letzten Bahnzuge hier angekommen und rechnen auf ein Ja der beiden Damen. Am meisten aber Ihre Judith v. G.«

Eine kurze Nachschrift, in der es hieß: »Nicht später als drei«, war hinzugefügt, und der Bote brachte die Nachricht zurück, daß sich beide Damen zu festgesetzter Stunde die Ehre geben würden.

Und wirklich um Punkt drei schritten sie dem »König von Ungarn« zu, vor dessen Freitreppe der heute jeder Galavorrichtung entkleidete Hotelwagen bereits hielt. Auch die Gräfin war schon da, stellte die Herren und Damen einander vor, trotzdem diese sich von kurz oder lang her bereits kannten, und bat, als sie dessen gewahr wurde, ihrer Zerstreutheit halber um Entschuldigung. Endlich aber wandte man sich der wichtigen Frage zu, wie hinsichtlich des Gehens und Fahrens die Rollen zu verteilen seien, und entschied sich nach längerer Debatte dahin, daß die Gräfin und Graf Egon in der Serpentine den Berg hinauffahren, die beiden Damen aber in Begleitung von Graf Pejevics einen näheren Fußweg einschlagen sollten. Oben auf dem Berge werde man sich dann ziemlich a tempo treffen. Und nun trennte man sich, und die wenigstens auf Augenblicke noch zurückbleibende Jugend sah dem mit Egon und der alten Gräfin langsam dahinfahrenden Wagen nach.

»Ich sollte nun wohl Ihren Führer machen«, hob Graf Pejevics an, »aber obschon Generalstäbler, erkenn ich mich doch unfähig dazu. Sie müssen helfen, meine Damen, und mir die nötigen Direktiven geben. Ein ganz besonderes Vertrauen aber hab ich zu der Strategie von Fräulein Phemi La Grange.«

Phemi war es zufrieden und schlug vor, einen etwas abseits gelegenen Zickzackweg zu benützen, einmal, weil es dabei was Tüchtiges zu steigen und zu klettern gebe, was doch immer die Hauptsache bleibe, vor allem aber, weil man vorher einen großen Wiesengrund, einen vollkommenen Wurstelprater, zu passieren habe, bei dessen Anblick man sich mal wieder wienerisch fühlen, ja vielleicht sogar ein paar Kolleginnen in ihren Geheimnissen der Kunst und des Lebens belauschen könne.

Niemand widersprach, und so traten sie denn aus einem bloß aus Remisen und Stallgebäuden bestehenden Gäßchen, das sich dicht hinter dem Hotel hinzog, auf einen ansteigenden Ackerstreifen hinaus und wurden hier alsbald einer querlaufenden Senkung gewahr, in der sich ein Schützenplatz etabliert hatte. Die Schützen ihrerseits waren auch schon fleißig am Werk, aber das anderweite Fest- und Jahrmarkttreiben ruhte noch oder befand sich doch höchstens in einer verschwiegenen Vorbereitung für den Abend. Selbst der Mann in der Würfelbude nickte, denn niemand in der heißen Nachmittagsstunde war da, der sein Glück hätte versuchen mögen. So war das Budentreiben, das in diesem Augenblick eigentlich kein Treiben war.

Aber der von Phemi beliebte Weg lief auch nur eine kurze Strecke lang in Front dieser Buden hin und bog vielmehr nach fünfzig Schritten schon an einem mehrstöckigen Carrousel vorbei, dessen Fahnen jetzt schlaff in der Luft herabhingen, in einen hinter der Budenreihe hinlaufenden Seitenweg ein.

»Ah, hier fängt es an«, sagte Phemi, während sie sich voll augenscheinlicher Befriedigung umblickte. »Hier sind wir hinter den Kulissen.«

Und wirklich, es war, wie sie sagte. Der den langen Degen verschluckende Spanier, der magere Feuerkönig, der Herkules, der sich den Amboß auf die Brust packen, und der Pyramidenmann, der sich seine drei Kinder auf die Schultern stellen läßt – alle traten einem hier in schöner Menschlichkeit entgegen, am menschlichsten aber, wie selbstverständlich, die Frauen, die sich, während sie wuschen und plätteten oder ein Kleidungsstück mit einem neuen Flitter besetzten, zu gleicher Zeit ihren zum Teil weitgehendsten Mutterpflichten unterzogen. Es war nichts Schlimmes, was dabei zutage trat; da man indes nicht wissen konnte, was vielleicht noch komme, so waren beide Damen, und sogar Phemi, doch schließlich froh, als sie die »Wohnungswagen« hinter sich und statt ihrer die nun beginnende Reihe der Gepäckwagen zur Seite hatten. Es fehlte hier an all und jedem Beängstigenden, und an Stelle davon traten Genrebilder von durchaus harmlosem Charakter. In einer an vier Ketten hängenden Schoßkelle schlief eine Hundefamilie, während auf dem Rand einer großen Trommel ein ältlicher und etwas fadenscheiniger Rabe saß, in betreff dessen es zweifelhaft blieb, ob er sich bloß zufällig hier eingefunden oder aber den Rang eines wirklichen Mitgliedes der Truppe habe. Phemi war natürlich der letzteren Ansicht und beteuerte wiederholt, daß ein Schützenplatz ohne Wahrsagerei gar nicht möglich und die vorhin gesehene schwarze Frau mit dem Kind an der Brust aller Wahrscheinlichkeit nach die Lenormand dieses Kreises gewesen sei. Sie habe durchaus auch die Requisiten dazu gehabt: einen stechenden Blick und einen falschen Scheitel. Und das dritte sei eben dieser Rabe. Übrigens käme die Wahrsagerei wieder in Mode, was auch gut und erklärlich sei, denn je freier der Mensch werde, desto nötiger werd ihm der Hokuspokus.

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