Kitabı oku: «Der Stechlin», sayfa 28
»Und so wird es Woldemar auch machen?«
»So wird es Woldemar auch machen. Wenigstens wird ihn die Lust sehr bald anwandeln, so halb und halb ins Alte wieder einzulenken.«
»Und diese Lust werden Sie natürlich bekämpfen. Sie haben ihm in den Kopf gesetzt, daß etwas durchaus Neues kommen müsse. Sogar ein neues Christentum.«
»Ich weiß nicht, ob ich so gesprochen habe; aber wenn ich so sprach, dies neue Christentum ist gerade das alte.«
»Glauben Sie das?«
»Ich glaub es. Und was besser ist: ich fühl es.«
»Nun gut, das mit dem neuen Christentum ist Ihre Sache; da will ich Ihnen nicht hineinreden. Aber das andre, da müssen Sie mir was versprechen. Besinnt er sich, und kommt er zu der Ansicht, daß das alte Preußen mit König und Armee, trotz all seiner Gebresten und altmodischen Geschichten, doch immer noch besser ist als das vom neuesten Datum, und daß wir Alten vom Cremmer Damm und von Fehrbellin her, auch wenn es uns selber schlecht geht, immer noch mehr Herz für die Torgelowschen im Leibe haben als alle Torgelows zusammengenommen, kommt es zu solcher Rückbekehrung, dann, Lorenzen, stören Sie diesen Prozeß nicht. Sonst erschein ich Ihnen. Pastoren glauben zwar nicht an Gespenster, aber wenn welche kommen, graulen sie sich auch.«
Lorenzen legte seine Hand auf die Hand Dubslavs und streichelte sie, wie wenn er des Alten Sohn gewesen wäre. »Das alles, Herr von Stechlin, kann ich Ihnen gern versprechen. Ich habe Woldemar erzogen, als es mir oblag, und Sie haben in Ihrer Klugheit und Güte mich gewähren lassen. Jetzt ist Ihr Sohn ein vornehmer Herr und hat die Jahre. Sprechen hat seine Zeit, und Schweigen hat seine Zeit. Aber wenn Sie ihn und mich von oben her unter Kontrolle nehmen und eventuell mir erscheinen wollen, so schieben Sie mir dabei nicht zu, was mir nicht zukommt. Nicht ich werde ihn führen. Dafür ist gesorgt. Die Zeit wird sprechen, und neben der Zeit das neue Haus, die blasse junge Frau und vielleicht auch die schöne Melusine.«
Der Alte lächelte. »Ja, ja.«
Zweiundvierzigstes Kapitel
So ging das Gespräch. Und als Lorenzen aufbrach, fühlte sich der Alte wie belebt und versprach sich eine gute Nacht mit viel Schlaf und wenig Beängstigung.
Aber es kam anders; die Nacht verlief schlecht, und als der Morgen da war und Engelke das Frühstück brachte, sagte Dubslav: »Engelke, schaff die Wabe weg; ich kann das süße Zeug nicht mehr sehn. Krippenstapel hat es gut gemeint. Aber es is nichts damit und überhaupt nichts mit der ganzen Heilkraft der Natur.«
»Ich glaube doch, gnädger Herr. Bloß gegen die Gegenkraft kann die Wabe nich an.«
»Du meinst also: ›für'n Tod kein Kraut gewachsen ist‹. Ja, das wird es wohl sein; das mein ich auch.«
Engelke schwieg.
Eine Stunde später kam ein Brief, der, trotzdem er aus nächster Nähe stammte, doch durch die Post befördert worden war. Er war von Ermyntrud, behandelte die durch Koseleger und sie selbst geplante Gründung eines Rettungshauses für verwahrloste Kinder und äußerte sich am Schlusse dahin, daß, »wenn sich – hoffentlich binnen kurzem – ihre Wünsche für Dubslavs fortschreitende Gesundheit erfüllt haben würden«, Agnes, das Enkelkind der alten Buschen, als erste, wie sie vertraue, sittlich zu Heilende in das Asyl aufgenommen werden möchte.
Dubslav drehte den Brief hin und her, las noch einmal und sagte dann: »O, diese Komödie … ›wenn sich meine Wünsche für Ihre fortschreitende Gesundheit erfüllt haben werden‹ … das heißt doch einfach, ›wenn Sie sich demnächst den Rasen von unten ansehn‹. Alle Menschen sind Egoisten, Prinzessinnen auch, und sind sie fromm, so haben sie noch einen ganz besonderen Jargon. Es mag so bleiben, es war immer so. Wenn sie nur ein bißchen mehr Vertrauen zu dem gesunden Menschenverstand andrer hätten.«
Er steckte, während er so sprach, den Brief wieder in das Kuvert und rief Agnes.
Das Kind kam auch.
»Agnes, gefällt es dir hier?«
»Ja, gnädger Herr, es gefällt mir hier.«
»Und ist dir auch nicht zu still?«
»Nein, gnädger Herr, es ist mir auch nicht zu still. Ich möchte immer hier sein.«
»Na, du sollst auch bleiben, Agnes, solang es geht. Und nachher. Ja, nachher …«
Das Kind kniete vor ihm nieder und küßte ihm die Hände.
Dubslavs Zustand verschlechterte sich schnell. Engelke trat an ihn heran und sagte: »Gnädger Herr, soll ich nicht in die Stadt schicken?«
»Nein.«
»Oder zu der Buschen?«
»Ja, das tu. So ne alte Hexe kann es immer noch am besten.«
In Engelkens Augen traten Tränen.
Dubslav, als er es sah, schlug rasch einen andern Ton an. »Nein, Engelke, graule dich nicht vor deinem alten Herrn. Ich habe es bloß so hingesagt. Die Buschen soll nich kommen. Es würde mir wohl auch nicht viel schaden, aber wenn man schon so in sein Grab sieht, dann muß man doch anders sprechen, sonst hat man schlechte Nachrede bei den Leuten. Und das möcht ich nich, um meinetwegen nich und um Woldemars wegen nich … Und dabei fällt mir auch noch Adelheid ein … Die käme mir am Ende gleich nach, um mich zu retten. Nein, Engelke, nich die Buschen. Aber gib mir noch mal von den Tropfen. Ein bißchen besser als der Tee sind sie doch.«
Engelke ging, und Dubslav war wieder allein. Er fühlte, daß es zu Ende gehe. »Das ›Ich‹ ist nichts – damit muß man sich durchdringen. Ein ewig Gesetzliches vollzieht sich, weiter nichts, und dieser Vollzug, auch wenn er ›Tod‹ heißt, darf uns nicht schrecken. In das Gesetzliche sich ruhig schicken, das macht den sittlichen Menschen und hebt ihn.«
Er hing dem noch so nach und freute sich, alle Furcht überwunden zu haben. Aber dann kamen doch wieder Anfälle von Angst, und er seufzte: »Das Leben ist kurz, aber die Stunde ist lang.«
Es war eine schlimme Nacht. Alles blieb auf. Engelke lief hin und her, und Agnes saß in ihrem Bett und sah mit großen Augen durch die halbgeöffnete Tür in das Zimmer des Kranken. Erst als schon der Tag graute, wurde durch das ganze Haus hin alles ruhiger; der Kranke nickte matt vor sich hin, und auch Agnes schlief ein.
Es war wohl schon sieben – die Parkbäume hinter dem Vorgarten lagen bereits in einem hellen Schein –, als Engelke zu dem Kinde herantrat und es weckte. »Steih upp, Agnes.«
»Is he dod?«
»Nei. He slöppt en beten. Un ick glöw, et sitt em nich mihr so upp de Bost.«
»Ick grul mi so.«
»Dat brukst du nich. Un kann ook sinn, he slöppt sich wedder gesunn … Und nu, steih upp un bind di ook en Doog um'n Kopp. Et is noch en beten küll drut. Un denn geih in'n Goaren nu plück em (wenn du wat finnst) en beten Krokus oder wat et sünsten is.«
Die Kleine trat auch leise durch die Balkontür auf die Veranda hinaus und ging auf das Rundell zu, um nach ein paar Blumen zu suchen. Sie fand auch allerlei; das Beste waren Schneeglöckchen. Und nun ging sie, mit den Blumen in der Hand, noch ein paarmal auf und ab und sah, wie die Sonne drüben aufstieg. Sie fröstelte. Zugleich aber kam ihr ein Gefühl des Lebens. Dann trat sie wieder in das Zimmer und ging auf den Stuhl zu, wo Dubslav saß. Engelke, die Hände gefaltet, stand neben seinem Herrn.
Das Kind trat heran und legte die Blumen dem Alten auf den Schoß.
»Dat sinn de ihrsten,« sagte Engelke, »un wihren ook woll de besten sinn.«
Dreiundvierzigstes Kapitel
Es war Mittwoch früh, daß Dubslav, still und schmerzlos, das Zeitliche gesegnet hatte. Lorenzen wurde gerufen; auch Kluckhuhn kam, und eine Stunde später war ein Gemeindediener unterwegs, der die Nachricht von des Alten Tode den im Kreise Zunächstwohnenden überbringen sollte, voran der Domina, dann Koseleger, dann Katzlers und zuletzt den beiden Gundermanns.
Den Tag drauf trafen zwei Briefe bei den Barbys ein, der eine von Adelheid, der andre von Armgard. Adelheid machte dem gräflichen Hause kurz und förmlich die Anzeige von dem Ableben ihres Bruders, unter gleichzeitiger Mitteilung, »daß das Begräbnis am Sonnabend mittag stattfinden werde.« Der Brief Armgards aber lautete: »Liebe Melusine! Wir bleiben noch bis morgen hier, – noch einmal das Forum, noch einmal den Palatin. Ich werde heute noch aus der Fontana Trevi trinken, dann kommt man wieder, und das ist für jeden, der Rom verläßt, bekanntlich der größte Trost. Wir gehen nun nach Capri, aber in Etappen, und bleiben unter anderm einen halben Tag in Monte Cassino, wo (verzeih meine Weisheit) das ganze Ordenswesen entstanden sein soll. Ich liebe Klöster, wenn auch nicht für mich persönlich. Neapel berühren wir nur kurz und gehen gleich bis Amalfi, wenn wir nicht das höher gelegene Ravello bevorzugen. Dann erst über Sorrent nach Capri, dem eigentlichen Ziel unsrer Reise. Wir werden nicht bei Pagano wohnen, wo, bei allem Respekt vor der Kunst, zu viel Künstler sind, sondern weiter abwärts, etwa auf halber Höhe. Wir haben von hier aus eine Empfehlung. In acht Tagen sind wir sicher da. Sorge, daß wir dann einen Brief von Dir vorfinden. Vorher sind wir so gut wie unerreichbar, ein Zustand, den ich mir als Kind immer gewünscht und mir als etwas ganz besonders Poetisches vorgestellt habe. Küsse meinen alten Papa. Nach Stechlin hin tausend Grüße, vor allem aber bleibe, was Du jederzeit warst: die Schwester, die Mutter (nur nicht die Tante) Deiner glücklichen, Dich immer und immer wieder zärtlich liebenden Armgard.«
Armgards Brief kam kaum zu seinem Recht, weil sowohl der alte Graf wie Melusine ganz der Erwägung lebten, ob es nicht, trotz Armgards gegenteiliger Vorwegversicherung, vielleicht doch noch möglich sein würde, das junge Paar irgendwo telegraphisch zu erreichen; aber es ging nicht, man mußte es aufgeben und sich begnügen, allerpersönlichst Vorbereitungen für die Fahrt nach Stechlin hin zu treffen. Des alten Grafen Befinden war nicht das beste, so daß seitens des Hausarztes sein Fernbleiben von dem Begräbnis dringend gewünscht wurde. Daran aber war gar nicht zu denken. Und so brachen denn Vater und Tochter am Sonnabend früh nach Stechlin hin auf. Jeserich wurde mitgenommen, um für alle Fälle zur Hand zu sein. Es war Prachtwetter, aber scharfe Luft, so daß man trotz Sonnenschein fröstelte.
In dem alten Herrenhause zu Stechlin sah es am Begräbnistage sehr verändert aus; sonst so still und abgeschieden, war heute alles Andrang und Bewegung. Zahllose Kutschen erschienen und stellten sich auf dem Dorfplatz auf, die meisten ganz in Nähe der Kirche. Diese lag in prallem Sonnenschein da, so daß man deutlich die hohen, in die Feldsteinwand eingemauerten Grabsteine sah, die früher, vor der Restaurierung, im Kirchenschiff gelegen hatten. Efeu fehlte; nur Holunderbüsche, die zu grünen anfingen, und dazwischen Ebereschensträucher wuchsen um den Chor herum.
Der Tote war auf dem durch Palmen und Lorbeer in eine grüne Halle umgewandelten Hausflur aufgebahrt. Adelheid machte die Honneurs, und ihre hohen Jahre, noch mehr aber ihr Selbstbewußtsein, ließen sie die ihr zuständige Rolle mit einer gewissen Würde durchführen. Außer den Barbys, Vater und Tochter, waren, von Berlin her, noch Baron und Baronin Berchtesgaden gekommen, ebenso Rex und Hauptmann von Czako. Rex sah aus, als ob er am Grabe sprechen wolle, während sich Czako darauf beschränkte, das gesellschaftliche Durchschnittstrauermaß zu zeigen.
Aber diese Berliner Gäste verschwanden natürlich in dem Kontingent, das die Grafschaft gestellt hatte. Dieselben Herren, die sich – kaum ein halbes Jahr zurück – am Rheinsberger Wahltage zusammengefunden und sich damals, von ein paar Ausnahmen abgesehen, über Torgelows Sieg eigentlich mehr erheitert als geärgert hatten, waren auch heute wieder da: Baron Beetz, Herr von Krangen, Jongherr van dem Peerenbom, von Gnewkow, von Blechernhahn, von Storbeck, von Molchow, von der Nonne, die meisten, wie herkömmlich, mit sehr kritischen Gesichtern. Auch Direktor Thormeyer war gekommen, in pontificalibus, angetan mit so vielen Orden und Medaillen, daß er damit weit über den Landadel hinauswuchs. Einige stießen sich denn auch an, und Molchow sagte mit halblauter Stimme zu von der Nonne: »Sehn Sie, Nonne, das ist die ›Schmetterlingsschlacht‹, von der man jetzt jeden Tag in den Zeitungen liest.« Aber trotz dieser spöttischen Bemerkung wäre Thormeyer doch Hauptgegenstand aller Aufmerksamkeit geblieben, wenn nicht der jeden Ordensschmuck verschmähende, nur mit einem hochkragigen und uralten Frack angetane Edle Herr von Alten-Friesack ihm siegreiche Konkurrenz gemacht hätte. Das wendisch Götzenbildartige, das sein Kopf zeigte, gab auch heute wieder den Ausschlag zu seinen Gunsten. Er nickte nur pagodenhaft hin und her und schien selbst an die vom ältesten Adel die Frage zu richten: »Was wollt ihr hier?« Er hielt sich nämlich (worin er einer ererbten Geschlechtsanschauung folgte) für den einzig wirklich berechtigten Bewohner und Vertreter der ganzen Grafschaft.
Das waren so die Hauptanwesenden. Alles stand dichtgedrängt, und von Blechernhahn, der in bezug auf »Schneid« beinah an von Molchow heranreichte, sagte: »Bin neugierig, was der Lorenzen heute loslassen wird. Er gehört ja zur Richtung Göhre.«
»Ja, Göhre,« sagte von Molchow. »Merkwürdig, wie der Zufall spielt. Das Leben macht doch immer die besten Witze.«
Weiter kam es mit dieser ziemlich ungeniert geführten Unterhaltung nicht, weil sich, als Molchow eben seinen Pfeil abgeschossen hatte, die Gesamtaufmerksamkeit auf jene Flurstelle richtete, wo der aufgebahrte Sarg stand. Hier war nämlich, und zwar in einem brillant sitzenden und mit Atlasaufschlägen ausstaffierten Frack, in eben diesem Augenblicke der Rechtsanwalt Katzenstein erschienen und schritt, nachdem er einen Granseeschen Riesenkranz am Fußende des Sarges niedergelegt hatte, mit jener Ruhe, wie sie nur das gute Gewissen gibt, auf Adelheid zu, vor der er sich respektvollst verneigte. Diese bewahrte gute Haltung und dankte. Von verschiedenen Seiten her aber hörte man leise das Wort »Affront«, während ein in unmittelbarer Nähe des Edlen Herrn von Alten-Friesack stehender, erst seit kurzem zu Christentum und Konservatismus übergetretener Katzensteinscher Kollege lächelnd vor sich hin murmelte: »Schlauberger!«
Und nun war es Zeit.
Der Zug ordnete sich; Militärmusik aus der nächsten Garnison schritt vorauf; dann traten die Stechliner Bauern heran, die darum gebeten hatten, den Sarg tragen zu dürfen. Diener und Mädchen aus dem Hause nahmen die Kränze. Dann kam Adelheid mit Pastor Lorenzen, an die sich die Trauerversammlung (viele von ihnen in Landstandsuniform) unmittelbar anschloß. Draußen sah man, daß eine große Zahl kleiner Leute Spalier gebildet hatte. Das waren die von Globsow. Sie hatten bei der Rheinsberger Wahl alle für Torgelow oder doch wenigstens für Katzenstein gestimmt; jetzt aber, wo der Alte tot war, waren sie doch vorwiegend der Meinung: »He wihr so wiet janz good.«
Die Musik klang wundervoll; kleine Mädchen streuten Blumen, und so ging es den etwas ansteigenden Kirchhof hinauf, zwischen den Gräbern hindurch und zuletzt auf das uralte, niedrige Kirchenportal zu. Vor dem Altar stellten sie den Sarg auf einen mit einer Versenkungsvorrichtung versehenen Stein, unter dem sich die Gruft der Stechline befand. Schiff und Emporen waren überfüllt; bis auf den Kirchhof hinaus stand alles Kopf an Kopf. Und nun trat Lorenzen an den Sarg heran, um über den, den er trotz aller Verschiedenheit der Meinungen so sehr geliebt und verehrt, ein paar Worte zu sagen.
»›Wer seinen Weg richtig wandelt, kommt zu seiner Ruhe in der Kammer.‹ Diesen Weg zu wandeln war das Bestreben dessen, an dessen Sarge wir hier stehn. Ich gebe kein Bild seines Lebens, denn wie dies Leben war, es wissen's alle, die hier erschienen sind. Sein Leben lag aufgeschlagen da, nichts verbarg sich, weil sich nichts zu verbergen brauchte. Sah man ihn, so schien er ein Alter, auch in dem, wie er Zeit und Leben ansah; aber für die, die sein wahres Wesen kannten, war er kein Alter, freilich auch kein Neuer. Er hatte vielmehr das, was über alles Zeitliche hinaus liegt, was immer gilt und immer gelten wird: ein Herz. Er war kein Programmedelmann, kein Edelmann nach der Schablone, wohl aber ein Edelmann nach jenem alles Beste umschließenden Etwas, das Gesinnung heißt. Er war recht eigentlich frei. Wußt es auch, wenn er's auch oft bestritt. Das goldene Kalb anbeten war nicht seine Sache. Daher kam es auch, daß er vor dem, was das Leben so vieler andrer verdirbt und unglücklich macht, bewahrt blieb, vor Neid und bösem Leumund. Er hatte keine Feinde, weil er selber keines Menschen Feind war. Er war die Güte selbst, die Verkörperung des alten Weisheitssatzes: ›Was du nicht willst, daß man dir tu.‹
Und das leitet mich denn auch hinüber auf die Frage nach seinem Bekenntnis. Er hatte davon weniger das Wort als das Tun. Er hielt es mit den guten Werken und war recht eigentlich das, was wir überhaupt einen Christen nennen sollten. Denn er hatte die Liebe. Nichts Menschliches war ihm fremd, weil er sich selbst als Mensch empfand und sich eigner menschlicher Schwäche jederzeit bewußt war. Alles, was einst unser Herr und Heiland gepredigt und gerühmt, und an das er die Segensverheißung geknüpft hat, – all das war sein: Friedfertigkeit, Barmherzigkeit und die Lauterkeit des Herzens. Er war das Beste, was wir sein können, ein Mann und ein Kind. Er ist nun eingegangen in seines Vaters Wohnungen und wird da die Himmelsruhe haben, die der Segen aller Segen ist.«
Einige der Anwesenden sahen sich bei dieser Schlußwendung an. Am meisten bemerkt wurde Gundermann, dessen der Rede halb zustimmende, halb ablehnende Haltung bei den versammelten »Alten und Echten« (die wohl sich, aber nicht ihm ein Recht der Kritik zuschrieben) auch hier wieder ein Lächeln hervorrief. Dann folgte mit erhobener Stimme Gebet und Einsegnung, und als die Orgel intonierte, senkte sich der auf dem Versenkungsstein stehende Sarg langsam in die Gruft. Einen Augenblick später, als der wiederaufsteigende Stein die Gruftöffnung mit einem eigentümlichen Klappton schloß, hörte man von der Kirchentür her erst ein krampfhaftes Schluchzen und dann die Worte: »Nu is allens ut; nu möt ick ook weg.« Es war Agnes. Man nahm das Kind von dem Schemel herunter, auf dem es stand, um es unter Zuspruch der Nächststehenden auf den Kirchhof hinauszuführen. Da schlich es noch eine Weile weinend zwischen den Gräbern hin und her und ging dann die Straße hinunter auf den Wald zu.
Die alte Buschen selbst hatte nicht gewagt, mit dabei zu sein.
Unter denen, die draußen auf dem Kirchhof standen, waren auch von Molchow und von der Nonne. Jeder von ihnen wartete auf seine Kutsche, die, weil der Andrang so groß war, nicht gleich vorfahren konnte. Beide froren bitterlich bei der scharfen Luft, die vom See her wehte.
»Ich weiß nicht,« sagte von der Nonne, »warum sie die Feier nicht im Hause, wo sie doch heizen konnten, abgehalten haben; es war ja da drin gar keine menschliche Temperatur mehr. Und nun erst hier draußen.«
»Is leider so,« sagte Molchow, »und ich werde wohl auch mit ner Kopfkolik abschließen. Und mitunter stirbt man dran. Aber wenn man in Berlin is (und ich habe da neulich auch so was mitgemacht,) is es doch noch schlimmer. Da haben sie was, was sie ne Leichenhalle nennen, ne Art Kapelle mit Bibelspruch und Lorbeerbäumen, und dahinter verstecken sich ein paar Gesangsmenschen. Wenn man sie nachher aber sieht, sehen sie sehr gefrühstückt aus.«
»Kenn ich, kenn ich,« sagte Nonne.
»Nu, der Gesang,« fuhr Molchow fort, »das ginge noch, den kann man schließlich aushalten. Aber der Fußboden und der Zug durch die offenstehende Tür. Und wenn man noch bloß den kriegte. Wer aber Pech hat, der kommt, wenn's Winter is, dicht neben einen Kanonenofen zu stehn, und wenn ich sage, ›der pustet‹, so sag ich noch wenig. Und der Geistliche kann einem auch leid tun. Er spricht sozusagen für niemanden. Wer kann denn bei solchem Zug und solchem Ofenpusten ordentlich zuhören? Und bloß das weiß ich, daß ich immer an die drei Männer im feurigen Ofen gedacht habe. So halb Eisklumpen, halb Bratapfel is nich mein Fall.«
»Ja, die Berliner,« sagte Nonne … »Nich zu glauben.«
»Nich zu glauben. Und dabei bilden sie sich ein, sie hätten eigentlich alles am besten. Und mancher von ihnen glaubt es auch wirklich. Aber die Hölle lacht.«
»Ich bitte Sie, Molchow, menagieren Sie sich! Das über Berlin, na, das ginge vielleicht noch. Aber so gleich hier von Hölle, hier mitten auf nem christlichen Kirchhof …«
Bald danach hatte sich der Kirchhof geleert, und alles, was in der Grafschaft wohnte, war auf dem Heimwege. Nur die von Berlin her erschienenen Gäste, die den nächsten, an Gransee vorüberkommenden Rostocker Zug abzuwarten hatten, waren in das Herrenhaus zurückgekehrt, wo mittlerweile für einen Imbiß Sorge getragen war. Rex und Czako, desgleichen auch die Berchtesgadens, nahmen erst ein Glas Wein und dann eine Tasse Kaffee. Zwischen dem alten Grafen und Adelheid knüpfte sich ein mäßig belebtes Gespräch an, wobei der Graf der Vorzüge des Verstorbenen gedachte. Da Schwester Adelheid jedoch, wie so viele Schwestern, allerlei Zweifel und Bedenken hinsichtlich des Tuns und Treibens ihres Bruders hegte, so ging man bald zu den Kindern über und beklagte, daß sie bei einer so schönen Feier nicht hätten zugegen sein können. Dazwischen wurde dann freilich das fast entgegengesetzt klingende Bedauern laut, daß das junge Paar seinen Aufenthalt im Süden wohl werde abbrechen müssen. Der alte Graf in seiner Güte fand alles, was Adelheid sagte, sehr verständig, während sich Adelheids Gefühle mit der Anerkennung begnügten, daß sie sich den Alten eigentlich schlimmer gedacht habe.