Kitabı oku: «Schach von Wuthenow», sayfa 10
Siebzehntes Kapitel.
Schach in Charlottenburg
Eine Woche später hatten König und Königin Paretz wieder verlassen, und schon am Tage danach ritt Rittmeister von Schach in Veranlassung eines ihm in Schloß Wuthenow übergebenen Kabinetsschreibens nach Charlottenburg hinaus, wohin inzwischen der Hof übersiedelt war. Er nahm seinen Weg durchs Brandenburger Thor und die große Thiergartenallee, links hinter ihm Ordonnanz Baarsch, ein mit einem ganzen Linsengericht von Sommersprossen überdeckter Rothkopf mit übrigens noch rötherem Backenbart, auf welchen rothen und etwas abstehenden Bart hin Zieten zu versichern pflegte, »daß man auch diesen Baarsch an seinen Flossen erkennen könne.« Wuthenower Kind und seines Gutsherrn und Rittmeisters ehemaliger Spielgefährte, war er diesem und allem, was Schach hieß, selbstverständlich in unbedingten Treuen ergeben.
Es war vier Uhr Nachmittags und der Verkehr nicht groß, trotzdem die Sonne schien und ein erquickender Wind wehte. Nur wenige Reiter begegneten ihnen, unter diesen auch ein paar Offiziere von Schachs Regiment. Schach erwiderte ihren Gruß, passirte den Landwehrgraben und ritt bald danach in die breite Charlottenburger Hauptstraße mit ihren Sommerhäusern und Vorgärten ein.
Am türkischen Zelt, das sonst wohl sein Ziel zu sein pflegte, wollte sein Pferd einbiegen; zwang er es aber weiter und hielt erst bei dem Morellischen Kaffeehause, das ihm heute für den Gang, den er vorhatte, bequemer gelegen war. Er schwang sich aus dem Sattel, gab der Ordonnanz den Zügel und ging ohne Versäumniß auf das Schloß zu. Hier trat er nach Passirung eines öden und von der Julisonne längst verbrannten Grasvierecks erst in ein geräumiges Treppenhaus und bald danach in einen schmalen Korridor ein, an dessen Wänden in anscheinend überlebensgroßen Porträts die glotzäugigen blauen Riesen König Friedrich Wilhelms I. paradirten. Am Ende dieses Ganges aber traf er einen Kammerdiener, der ihn, nach vorgängiger Meldung, in das Arbeitskabinet des Königs führte.
Dieser stand an einem Pult, auf dem Karten ausgebreitet lagen, ein paar Pläne der Austerlitzer Schlacht. Er wandte sich sofort, trat auf Schach zu, und sagte: »Habe Sie rufen lassen, lieber Schach … Die Carayon; fatale Sache. Spiele nicht gern den Moralisten und Splitterrichter; mir verhaßt; auch meine Verirrungen. Aber in Verirrungen nicht stecken bleiben; wieder gut machen. Uebrigens nicht recht begreife. Schöne Frau, die Mutter; mir sehr gefallen; kluge Frau.«
Schach verneigte sich.
»Und die Tochter! Weiß wohl, weiß; armes Kind … Aber enfin, müssen sie doch charmant gefunden haben. Und was man einmal charmant gefunden, findet man, wenn man nur will, auch wieder. Aber das ist Ihre Sache, geht mich nichts an. Was mich angeht, das ist die honnêteté. Die verlang ich und um dieser honnêteté willen verlang ich Ihre Heirath mit dem Fräulein von Carayon. Oder Sie müßten denn Ihren Abschied nehmen und den Dienst quittiren wollen.«
Schach schwieg, verrieth aber durch Haltung und Miene, daß ihm dies das Schmerzlichste sein würde.
»Nun denn bleiben also; schöner Mann; liebe das. Aber Remedur muß geschafft werden, und bald, und gleich. Uebrigens alte Familie, die Carayons, und wird Ihren Fräulein Töchtern (Pardon, lieber Schach) die Stiftsanwartschaft auf Marienfließ oder Heiligengrabe nicht verderben. Abgemacht also. Rechne darauf, dringe darauf. Und werden mir Meldung machen.«
»Zu Befehl, Ew. Majestät.«
»Und noch eines; habe mit der Königin darüber gesprochen; will Sie sehn; Frauenlaune. Werden sie drüben in der Orangerie treffen … Dank Ihnen.«
Schach war gnädig entlassen, verbeugte sich und ging den Korridor hinunter auf das am entgegengesetzten Flügel des Schlosses gelegene große Glas- und Gewächshaus zu, von dem der König gesprochen hatte.
Die Königin aber war noch nicht da, vielleicht noch im Park. So trat er denn in diesen hinaus und schritt auf einem Fliesengange zwischen einer Menge hier aufgestellter römischer Kaiser auf und ab, von denen ihn einige faunartig anzulächeln schienen. Endlich sah er die Königin von der Fährbrücke her auf sich zukommen, eine Hofdame mit ihr, allem Anscheine nach das jüngere Fräulein von Viereck. Er ging beiden Damen entgegen, und trat in gemessener Entfernung bei Seite, um die militärischen Honneurs zu machen. Das Hoffräulein aber blieb um einige Schritte zurück.
»Ich freue mich Sie zu sehen, Herr von Schach. Sie kommen vom Könige.«
»Zu Befehl, Ew. Majestät.«
»Es ist etwas gewagt,« fuhr die Königin fort, »daß ich Sie habe bitten lassen. Aber der König, der anfänglich dagegen war und mich darüber verspottete, hat es schließlich gestattet. Ich bin eben eine Frau, und es wäre hart, wenn ich mich meiner Frauenart entschlagen müßte, nur weil ich eine Königin bin. Als Frau aber interessirt mich alles, was unser Geschlecht angeht, und was ging uns näher an als eine solche question d'amour.«
»Majestät sind so gnädig.«
»Nicht gegen Sie, lieber Schach. Es ist um des Fräuleins willen … Der König hat mir alles erzählt, und Köckritz hat von dem Seinen hinzugethan. Es war denselben Tag, als ich von Pyrmont wieder in Paretz eintraf, und ich kann Ihnen kaum aussprechen, wie groß meine Theilnahme mit dem Fräulein war. Und nun wollen Sie, gerade Sie, dem lieben Kinde diese Theilnahme versagen und mit dieser Theilnahme zugleich sein Recht. Das ist unmöglich. Ich kenne Sie so lange Zeit und habe Sie jederzeit als einen Kavalier und Mann von Ehre befunden. Und dabei, denk ich, belassen wir's. Ich habe von den Spottbildern gehört, die publizirt worden sind, und diese Bilder, so nehm ich an, haben Sie verwirrt und Ihnen Ihr ruhiges Urtheil genommen. Ich begreife das, weiß ich doch aus allereigenster Erfahrung, wie weh dergleichen thut und wie der giftige Pfeil uns nicht bloß in unserem Gemüthe verwundet, sondern auch verwandelt und nicht verwandelt zum Besseren. Aber wie dem auch sei, Sie mußten sich auf sich selbst besinnen, und damit zugleich auch auf das, was Pflicht und Ehre von Ihnen fordern.«
Schach schwieg.
»Und Sie werden es,« fuhr die Königin immer lebhafter werdend fort, »und werden sich als einen Reuigen und Bußfertigen zeigen. Es kann Ihnen nicht schwer werden, denn selbst aus der Anklage gegen Sie, so versicherte mir der König, habe noch immer ein Ton der Zuneigung gesprochen. Seien Sie dessen gedenk, wenn Ihr Entschluß je wieder ins Schwanken kommen sollte, was ich nicht fürchte. Wüßt ich doch kaum etwas, was mir in diesem Augenblicke so lieb wäre, wie die Schlichtung dieses Streits und der Bund zweier Herzen, die mir für einander bestimmt erscheinen. Auch durch eine recht eigentliche Liebe. Denn Sie werden doch, hoff ich, nicht in Abrede stellen wollen, daß es ein geheimnißvoller Zug war, was Sie zu diesem lieben und einst so schönen Kinde hinführte. Das Gegentheil anzunehmen, widerstreitet mir. Und nun eilen Sie heim, und machen Sie glücklich und werden Sie glücklich. Meine Wünsche begleiten Sie, Sie Beide. Sie werden sich zurückziehen, so lang es die Verhältnisse gebieten; unter allen Umständen aber erwart ich, daß Sie mir Ihre Familienereignisse melden, und den Namen Ihrer Königin als erste Taufpathin in Ihr Wuthenower Kirchenbuch eintragen lassen. Und nun Gott befohlen.«
Ein Gruß und eine freundliche Handbewegung begleiteten diese Worte; Schach aber, als er sich kurz vor der Gartenfront noch einmal umsah, sah, wie beide Damen in einem Seitenweg einbogen und auf eine schattigere, mehr der Spree zu gelegene Parthie des Parkes zuschritten.
Er selbst saß eine Viertelstunde später wieder im Sattel; Ordonnanz Baarsch folgte.
Die gnädigen Worte beider Majestäten hatten eines Eindrucks auf ihn nicht verfehlt; trotzdem war er nur getroffen, in nichts aber umgestimmt worden. Er wußte, was er dem König schuldig sei: Gehorsam! Aber sein Herz widerstritt, und so galt es denn für ihn, etwas ausfindig zu machen, was Gehorsam und Ungehorsam in sich vereinigte, was dem Befehle seines Königs und dem Befehle seiner eigenen Natur gleichmäßig entsprach. Und dafür gab es nur einen Weg. Ein Gedanke, den er schon in Wuthenow gefaßt hatte, kam ihm jetzt wieder und reifte rasch zum Entschluß, und je fester er ihn werden fühlte, desto mehr fand er sich in seine frühere gute Haltung und Ruhe zurück. »Leben,« sprach er vor sich hin. »Was ist leben? Eine Frage von Minuten, eine Differenz von heut auf morgen.« Und er fühlte sich, nach Tagen schweren Druckes, zum ersten Male wieder leicht und frei.
Als er, heimreitend, bis an die Wegstelle gekommen war, wo eine alte Kastanienallee nach dem Kurfürstendamm hin abzweigte, bog er in diese Allee ein, winkte Baarsch an sich heran und sagte, während er den Zügel fallen ließ und die linke Hand auf die Kruppe seines Pferdes stemmte: »Sage Baarsch, was hältst Du eigentlich von heirathen?«
»Jott, Herr Rittmeister, wat soll ich davon halten? Mein Vater selig sagte man ümmer: heirathen is gut, aber nich heirathen is noch besser.«
»Ja, das mag er wohl gesagt haben. Aber wenn ich nun heirathe, Baarsch?«
»Ach, Herr Rittmeister werden doch nich!«
»Ja wer weiß … Ist es denn ein solches Malheur?«
»Jott, Herr Rittmeister, vor Ihnen grade nich, aber vor mir …«
»Wie das?«
»Weil ich mit Untroffzier Czepanski gewett't hab, es würd' doch nichts. Un wer verliert, muß die ganze Corporalschaft freihalten.«
»Aber woher wußtet Ihr denn davon?«
»I Jott, des munkelt ja nu all lang. Un wie nu vorige Woch ooch noch die Bilders kamen …«
»Ah, so … Nu sage, Baarsch, wie steht es denn eigentlich mit der Wette? Hoch?«
»I nu, 's jeht, Herr Rittmeister. 'Ne Cottbusser un'n Kümmel. Aber vor jed' een.«
»Nu, Baarsch, Du sollst dabei nicht zu Schaden kommen. Ich werde die Wette bezahlen.«
Und danach schwieg er und murmelte nur noch vor sich hin »et payer les pots cassés.«
Achtzehntes Kapitel.
Fata Morgana
Schach war zu guter Stunde wieder heim, und noch denselben Abend schrieb er ein Billet an Frau von Carayon, in dem er in anscheinend aufrichtigen Worten um seines Benehmens willen um Entschuldigung bat. Ein Kabinetsschreiben, das er vorgestern in Wuthenow empfangen habe, hab ihn heute Nachmittag nach Charlottenburg hinausgeführt, wo König und Königin ihn an das, was seine Pflicht sei, gemahnt hätten. Er bedaure, solche Mahnung verschuldet zu haben, finde den Schritt, den Frau von Carayon gethan, gerechtfertigt, und bäte morgen im Laufe des Vormittags sich beiden Damen vorstellen zu dürfen, um ihnen sein Bedauern über diese neuen Versäumnisse persönlich zu wiederholen. In einer Nachschrift, die länger als der Brief selbst war, war hinzugefügt, »daß er durch eine Krisis gegangen sei; diese Krisis aber liege jetzt hinter ihm, und er hoffe sagen zu dürfen, ein Grund an ihm oder seinem Rechtsgefühle zu zweifeln, werde nicht wiederkehren. Er lebe nur noch dem einen Wunsch und Gedanken, alles was geschehen sei, durch Gesetzlichkeit auszugleichen. Ueber ein Mehr leg er sich vorläufig Schweigen auf.«
Dies Billet, das der kleine Groom überbrachte, wurde, trotz der schon vorgerückten Stunde, von Frau von Carayon auf der Stelle beantwortet. Sie freue sich, in seinen Zeilen einer so versöhnlichen Sprache zu begegnen. Ueber alles, was seinem Briefe nach als ein nunmehr Zurückliegendes anzusehen sei, werd es am besten sein zu schweigen; auch sie fühle, daß sie ruhiger und rücksichtsvoller hätte handeln sollen, sie habe sich hinreißen lassen, und nur das Eine werd ihr vielleicht zur Entschuldigung dienen dürfen, daß sie von jenen hämischen Angriffen in Wort und Bild, die sein Benehmen im Laufe der letzten Woche bestimmt zu haben schienen, erst seit zwei Tagen Kenntniß habe. Hätte sie diese Kenntniß früher gehabt, so würde sie vieles milder beurtheilt, jedenfalls aber eine abwartende Haltung ihm und seinem Schweigen gegenüber eingenommen haben. Sie hoffe jetzt, daß alles wieder einklingen werde. Victoirens große Liebe (nur zu groß) und seine eigene Gesinnung, die, wie sie sich überzeugt halte, wohl schwanken aber nie dauernd erschüttert werden könne, gäben ihr die Gewähr einer friedlichen und wenn ihre Bitten Erhörung fänden auch einer glücklichen Zukunft.
Am andern Vormittage wurde Schach bei Frau von Carayon gemeldet. Sie ging ihm entgegen, und das sich sofort entspinnende Gespräch verrieth auf beiden Seiten weniger Verlegenheit, als nach dem Vorgefallenen hätte vorausgesetzt werden sollen. Und doch erklärte sich's auch wieder. Alles was geschehen war, so schmerzlich es hüben und drüben berührt hatte, war doch schließlich von jeder der beiden Parteien verstanden worden, und wo Verständniß ist, ist auch Verzeihung oder wenigstens die Möglichkeit einer solchen. Alles hatte sich in natürlicher Konsequenz aus den Verhältnissen heraus entwickelt, und weder die Flucht, die Schach bewerkstelligt, noch die Klage, die Frau von Carayon an oberster Stelle geführt hatte, hatten Uebelwollen oder Gehässigkeit ausdrücken sollen.
Als das Gespräch einen Augenblick zu stocken begann, erschien Victoire. Sie sah sehr gut aus, nicht abgehärmt, vielmehr frischer als sonst. Er trat ihr entgegen, nicht kalt und ceremoniös, sondern herzlich, und der Ausdruck einer innigen und aufrichtigen Theilnahme, womit er auf sie sah und ihr die Hand reichte, besiegelte den Frieden. Es war kein Zweifel, er war ergriffen, und während Victoire vor Freude strahlte, füllten Thränen das Auge der Mutter.
Es war der beste Moment, das Eisen zu schmieden. Sie bat also Schach, der sich schon erhoben hatte, seinen Platz noch einmal auf einen kurzen Augenblick einnehmen zu wollen, um gemeinschaftlich mit ihm die nöthigsten Festsetzungen zu treffen. Was sie zu sagen habe, seien nur wenige Worte. So viel sei gewiß, Zeit sei versäumt worden, und diese Versäumniß wieder einzubringen, empfehle sich wohl zunächst. Ihre langjährige freundschaftliche Beziehung zum alten Konsistorialrath Bocquet, der sie selber getraut und Victoiren eingesegnet habe, böte dazu die beste Gelegenheit. Es werde leicht sein, an die Stelle des herkömmlichen dreimaligen Aufgebots ein einmaliges zu setzen; das müsse nächsten Sonntag geschehen, und am Freitage der nächsten Woche – denn die Freitage, die gemeinhin für Unglückstage gölten, hätte sie persönlich von der durchaus entgegengesetzten Seite kennen gelernt – werde dann die Hochzeit zu folgen haben. Und zwar in ihrer eignen Wohnung, da sie Hochzeiten in einem Hotel oder Gasthause von ganzer Seele hasse. Was dann weiter zu geschehen habe, das stehe bei dem jungen Paare; sie sei neugierig, ob Venedig über Wuthenow oder Wuthenow über Venedig den Sieg davon tragen werde. Die Lagunen hätten sie gemeinsam und die Gondel auch, und nur um Eines müsse sie bitten, daß der kleine Brückensteg unterm Schilf, an dem die Gondel liege, nie zur Seufzerbrücke erhoben werde.
So ging das Geplauder, und so verging der Besuch.
Am Sonntage, wie verabredet, erfolgte das Aufgebot, und der Freitag, an dem die Hochzeit stattfinden sollte, rückte heran. Alles im Carayonschen Hause war Aufregung, am aufgeregtesten Tante Marguerite, die jetzt täglich erschien, und durch ihre naive Glückseligkeit alles Unbequeme balancirte, das sonst unzertrennlich von ihrem Erscheinen war.
Abends kam Schach. Er war heitrer und in seinem Urtheile milder als sonst, und vermied nur in ebenso bemerkenswerther wie zum Glück unbemerkt bleibender Weise von der Hochzeit und den Vorbereitungen dazu zu sprechen. Wurd er gefragt, ob er dies oder jenes wünsche, so bat er mit einer Art von Empressement, »ganz nach eigenem Dafürhalten verfahren zu wollen; er kenne den Takt und guten Geschmack der Damen und wisse, daß ohne sein Rathen und Zuthun alles am besten entschieden werden würde; wenn ihm dabei manches dunkel und geheimnißvoll bleibe, so sei dies ein Vortheil mehr für ihn, hab er doch von Jugend auf eine Neigung gehabt, sich überraschen zu lassen.«
Unter solchen Ausflüchten entzog er sich jedem Geplauder, das, wie Tante Marguerite sich ausdrückte, »den Ehrentag en vue hatte,« war aber um so plauderhafter, wenn das Gespräch auf die Reisetage nach der Hochzeit hinüberlenkte. Denn Venedig, aller halben Widerrede der Frau von Carayon zum Trotz, hatte doch schließlich über Wuthenow gesiegt, und Schach, wenn die Rede darauf kam, hing mit einer ihm sonst völlig fremden Phantastik allen erdenklichen Reiseplänen und Reisebildern nach. Er wollte nach Sizilien hinüber und die Sireneninseln passiren, »ob frei oder an den Mast gebunden, überlaß er Victoiren und ihrem Vertrauen.« Und dann wollten sie nach Malta. Nicht um Maltas willen, o nein. Aber auf dem Wege dahin, sei die Stelle, wo der geheimnißvolle schwarze Welttheil in Luftbildern und Spiegelungen ein allererstes Mal zu dem in Nebel und Schnee gebornen Hyperboreer spräche. Das sei die Stelle, wo die bilderreiche Fee wohne, die stumme Sirene, die mit dem Zauber ihrer Farbe fast noch verführerischer locke, als die singende. Beständig wechselnd seien die Scenen und Gestalten ihrer Laterna magica, und während eben noch ein ermüdeter Zug über den gelben Sand ziehe, dehne sichs plötzlich wie grüne Triften und unter der schattengebenden Palme säße die Schaar der Männer, die Köpfe gebeugt und alle Pfeifen in Brand, und schwarz und braune Mädchen, ihre Flechten gelöst und wie zum Tanze geschürzt, erhüben die Becken und schlügen das Tambourin. Und mitunter sei's, als lach es. Und dann schwieg es und schwänd es wieder. Und diese Spiegelung aus der geheimnißvollen Ferne, das sei das Ziel!
Und Victoire jubelte, hingerissen von der Lebhaftigkeit seiner Schilderung.
Aber im selben Augenblick überkam es sie bang und düster, und in ihrer Seele rief eine Stimme: Fata Morgana.
Neunzehntes Kapitel.
Die Hochzeit
Die Trauung hatte stattgefunden und um die vierte Stunde versammelten sich die zur Hochzeit Geladenen in dem nach dem Hofe hinaus gelegenen großen Eßsaale, der für gewöhnlich als ein bloßes unbequemes Anhängsel der Carayonschen Wohnung angesehen und seit einer ganzen Reihe von Jahren heute zum erstenmale wieder in Gebrauch genommen wurde. Dies erschien thunlich, trotzdem die Zahl der Gäste keine große war. Der alte Konsistorialrath Bocquet hatte sich bewegen lassen, dem Mahle mit beizuwohnen, und saß, dem Brautpaare gegenüber, neben der Frau von Carayon; unter den anderweit Geladenen aber waren, außer dem Tantchen und einigen alten Freunden aus der Generalfinanzpächterzeit her, in erster Reihe Nostitz, Alvensleben und Sander zu nennen. Auf letzteren hatte Schach, aller sonstigen, auch bei Feststellung der Einladungsliste beobachteten Indifferenz unerachtet, mit besonderem Nachdruck bestanden, weil ihm inzwischen das rücksichtsvolle Benehmen desselben bei Gelegenheit des Verlagsantrages der drei Bilder bekannt geworden war, ein Benehmen, das er um so höher anschlug, als er es von dieser Seite her nicht erwartet hatte. Bülow, Schachs alter Gegner, war nicht mehr in Berlin, und hätte wohl auch gefehlt, wenn er noch dagewesen wäre.
Die Tafelstimmung verharrte bis zum ersten Trinkspruch in der herkömmlichen Feierlichkeit; als indessen der alte Konsistorialrath gesprochen und in einem dreigetheilten und als »historischer Rückblick« zu bezeichnenden Toast, erst des großväterlichen Generalfinanzpächterhauses, dann der Trauung der Frau von Carayon und drittens (und zwar unter Citirung des ihr mit auf den Lebensweg gegebenen Bibelspruches) der Konfirmation Victoirens gedacht, endlich aber mit einem halb ehrbaren, halb scherzhaften Hinweis auf den »egyptischen Wundervogel, in dessen verheißungsvolle Nähe man sich begeben wolle« geschlossen hatte, war das Zeichen zu einer Wandlung der Stimmung gegeben. Alles gab sich einer ungezwungenen Heiterkeit hin, an der sogar Victoire theilnahm, und nicht zum wenigsten, als sich schließlich auch das zu Ehren des Tages in einem grasgrünen Seidenkleid und einem hohen Schildpattkamme erschienene Tantchen erhob, um einen zweiten Toast auf das Brautpaar auszubringen. Ihr verschämtes Klopfen mit dem Dessertmesser an die Wasserkaraffe war eine Zeitlang unbemerkt geblieben, und kam erst zur Geltung, als Frau von Carayon erklärte: Tante Marguerite wünsche zu sprechen.
Diese verneigte sich denn auch zum Zeichen der Zustimmung, und begann ihre Rede mit viel mehr Selbstbewußtsein, als man nach ihrer anfänglichen Schüchternheit erwarten durfte. »Der Herr Konsistorialrath hat so schön und so lange gesprochen, und ich ähnle nur dem Weibe Ruth, das über dem Felde geht und Aehren sammelt, was auch der Text war, worüber am letzten Sonntag in der kleinen Melonenkürche gepredigt wurde, die wieder sehr leer war, ich glaube nicht mehr als ölf oder zwölf. Aber als Tante der lieben Braut, in welcher Beziehung ich wohl die älteste bin, erheb ich dieses Glas, um noch einmal auf dem Wohle des jungen Paares zu trinken.«
Und danach setzte sie sich wieder, um die Huldigungen der Gesellschaft entgegenzunehmen. Schach versuchte der alten Dame die Hand zu küssen, was sie jedoch wehrte, wogegen sie Victoirens Umarmung mit allerlei kleinen Liebkosungen und zugleich mit der Versicherung erwiderte: »sie hab es alles vorher gewußt, von dem Nachmittag an, wo sie die Fahrt nach Tempelhof und den Gang nach der Kürche gemacht hätten. Denn sie hab es wohl gesehen, daß Victoire neben dem großen für die Mama bestimmten Veilchenstrauß auch noch einen kleinen Strauß in der Hand gehalten hätte, den habe sie dem lieben Bräutigam, dem Herrn von Schach, in der Kürchenthüre präsentiren wollen. Aber als er dann gekommen sei, habe sie das kleine Bouquet wieder weggeworfen, und es sei dicht neben der Thür auf ein Kindergrab gefallen, was immer etwas bedeute, und auch diesmal etwas bedeutet habe. Denn so sehr sie gegen dem Aberglauben sei, so glaube sie doch an Sympathie, natürlich bei abnehmendem Mond. Und der ganze Nachmittag stehe noch so deutlich vor ihr, als wär es gestern gewesen, und wenn manche so thäten, als wisse man nichts, so hätte man doch auch seine zwei gesunden Augen, und wisse recht gut wo die besten Kürschen hingen.« In diesen Satz vertiefte sie sich immer mehr, ohne daß die Bedeutung desselben dadurch klarer geworden wäre.
Nach Tante Margueritens Toast löste sich die Tafelreihe; jeder verließ seinen Platz, um abwechselnd hier oder dort eine Gastrolle geben zu können, und als bald danach auch die großen Jostyschen Devisenbonbons umhergereicht und allerlei Sprüche wie beispielsweise »Liebe wunderbare Fee, Selbst dein Wehe thut nicht weh«, aller kleinen und undeutlichen Schrift unerachtet, entziffert und verlesen worden waren, erhob man sich von der Tafel. Alvensleben führte Frau von Carayon, Sander Tante Marguerite, bei welcher Gelegenheit, und zwar über das Ruth-Thema, von Seiten Sanders allerlei kleine Neckereien verübt wurden, Neckereien, die der Tante so sehr gefielen, daß sie Victoiren, als der Kaffee servirt wurde, zuflüsterte: »Charmanter Herr. Und so galant. Und so bedeutungsvoll.«
Schach sprach viel mit Sander, erkundigte sich nach Bülow, »der ihm zwar nie sympathisch, aber trotz all seiner Schrullen immer ein Gegenstand des Interesses gewesen sei« und bat Sander, ihm, bei sich darbietender Gelegenheit, dies ausdrücken zu wollen. In allem was er sagte, sprach sich Freundlichkeit und ein Hang nach Versöhnung aus.
In diesem Hange nach Versöhnung stand er aber nicht allein da, sondern begegnete sich darin mit Frau von Carayon. Als ihm diese persönlich eine zweite Tasse präsentirte, sagte sie, während er den Zucker aus der Schale nahm: »Auf ein Wort, lieber Schach. Aber im Nebenzimmer.«
Und sie ging ihm dahin vorauf.
»Lieber Schach,« begann sie, hier auf einem großgeblümten Kanapee Platz nehmend, von dem aus beide mit Hilfe der offenstehenden Flügelthür einen Blick auf das Eckzimmer hin frei hatten, »es sind dies unsere letzten Minuten, und ich möchte mir, ehe wir Abschied von einander nehmen, noch manches von der Seele heruntersprechen. Ich will nicht mit meinem Alter kokettiren, aber ein Jahr ist eine lange Zeit, und wer weiß, ob wir uns wiedersehen. Ueber Victoire kein Wort. Sie wird Ihnen keine trübe Stunde machen: sie liebt Sie zu sehr, um es zu können oder zu wollen. Und Sie, lieber Schach, werden sich dieser Liebe würdig zeigen. Sie werden ihr nicht wehe thun, diesem süßen Geschöpf, das nur Demuth und Hingebung ist. Es ist unmöglich. Und so verlang ich denn kein Versprechen von Ihnen. Ich weiß im Voraus, ich hab es.«
Schach sah vor sich hin, als Frau von Carayon diese Worte sprach, und tröpfelte, während er die Tasse mit der Linken hielt, den Kaffee langsam aus dem zierlichen kleinen Löffel.
»Ich habe seit unsrer Versöhnung,« fuhr sie fort, »mein Vertrauen wieder. Aber dies Vertrauen, wie mein Brief Ihnen schon aussprach, war in Tagen, die nun glücklicher Weise hinter uns liegen, um vieles mehr als ich es für möglich gehalten hätte, von mir gewichen, und in diesen Tagen hab ich harte Worte gegen Sie gebraucht, harte Worte, wenn ich mit Victoiren sprach, und noch härtere, wenn ich mit mir allein war. Ich habe Sie kleinlich und hochmüthig, eitel und bestimmbar gescholten, und habe Sie, was das Schlimmste war, der Undankbarkeit und der lâcheté geziehen. Und das beklag ich jetzt, und schäme mich einer Stimmung, die mich unsre Vergangenheit so vergessen lassen konnte.«
Sie schwieg einen Augenblick. Aber als Schach antworten wollte, litt sie's nicht und sagte: »Nur ein Wort noch. Alles was ich in jenen Tagen gesagt und gedacht habe, bedrückte mich, und verlangte nach dieser Beichte. Nun erst ist alles wieder klar zwischen uns, und ich kann Ihnen wieder frei ins Auge sehen. Aber nun genug. Kommen Sie. Man wird uns ohnehin schon vermißt haben.«
Und sie nahm seinen Arm und scherzte: »Nicht wahr? On revient toujours à ses premiers amours. Und ein Glück, daß ich es Ihnen lachend aussprechen kann, und in einem Momente reiner und ganzer Freude.«
Victoire trat Schach und ihrer Mama von dem Eckzimmer her entgegen, und sagte: »Nun, was war es?«
»Eine Liebeserklärung.«
»Ich dacht es. Und ein Glück, Schach, daß wir morgen reisen. Nicht wahr? Ich möchte der Welt um keinen Preis das Bild einer eifersüchtigen Tochter geben.«
Und Mutter und Tochter nahmen auf dem Sopha Platz, wo sich Alvensleben und Nostitz ihnen gesellten.
In diesem Augenblick wurde Schach der Wagen gemeldet, und es war als ob er sich bei dieser Meldung verfärbe. Frau von Carayon sah es auch. Er sammelte sich aber rasch wieder, empfahl sich, und trat in den Korridor hinaus, wo der kleine Groom mit Mantel und Hut auf ihn wartete. Victoire war ihm bis an die Treppe hinaus gefolgt, auf der noch vom Hof her ein halber Tagesschein flimmerte.
»Bis auf morgen,« sagte Schach, und trennte sich und ging.
Aber Victoire beugte sich weit über das Geländer vor und wiederholte leise: »Bis auf morgen. Hörst Du?.. Wo sind wir morgen?«
Und siehe, der süße Klang ihrer Stimme verfehlte seines Eindrucks nicht, auch in diesem Augenblicke nicht. Er sprang die Stufen wieder hinauf, umarmte sie, wie wenn er Abschied nehmen wolle für immer, und küßte sie.
»Auf Wiedersehn, Mirabelle.«
Und nachhorchend hörte sie noch seinen Schritt auf dem Flur. Dann fiel die Hausthür ins Schloß, und der Wagen rollte die Straße hinunter.
Auf dem Bocke saßen Ordonnanz Baarsch und der Groom, von denen jener sich's eigens ausbedungen hatte, seinen Rittmeister und Gutsherrn an diesem seinem Ehrentage fahren zu dürfen. Was denn auch ohne weiteres bewilligt worden war. Als der Wagen aus der Behren- in die Wilhelmsstraße einbog, gab es einen Ruck oder Schlag, ohne daß ein Stoß von unten her verspürt worden wäre.
»Damm,« sagte Groom. »What's that?«
»Wat et is? Wat soll et sind, Kleener? En Steen is et; en doter Feldwebel.«
»Oh no, Baarsch. Nich stone. 't was something … dear me … like shooting.«
»Schuting? Na nu.«
»Yes; pistol-shooting …«
Aber der Satz kam nicht mehr zu Ende, denn der Wagen hielt vor Schachs Wohnung, und der Groom sprang in Angst und Eile vom Bock, um seinem Herrn beim Aussteigen behilflich zu sein. Er öffnete den Wagenschlag, ein dichter Qualm schlug ihm entgegen, und Schach saß aufrecht in der Ecke, nur wenig zurückgelehnt. Auf dem Teppich zu seinen Füßen lag das Pistol. Entsetzt warf der Kleine den Schlag wieder ins Schloß und jammerte: »Heavens, he is dead.«
Die Wirthsleute wurden alarmirt, und so trugen sie den Todten in seine Wohnung hinauf.
Baarsch fluchte und flennte, und schob alles auf die »Menschheit«, weil er's aufs Heirathen zu schieben nicht den Muth hatte. Denn er war eine diplomatische Natur wie alle Bauern.