Kitabı oku: «Liebesbrief an Unbekannt», sayfa 2
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Im Fitzherbert waren nur noch zwei Gäste. Burschen, die an einem der kleinen Tische saßen, schon ein paar Drinks gehabt hatten, lachten und sich gegenseitig auf den Rücken schlugen. Die Frau hinter der Theke war wenig erfreut, als Eric und Emma eintraten. Sie hätte wohl lieber schon bald geschlossen.
Die Tür war hinter ihnen noch nicht zugefallen, da kam noch ein Gast.
»Eric, Bier für dich?«, fragte Emma.
»Ein großes, ja. Ich sitze hinten in der Nische. Muss nur kurz…« Er hielt sein Handy hoch.
»Alles klar.« Emma fragte sich im Stillen, was Eric am Handy machen musste. Nachrichten beantworten? Von wem konnten sie sein?
»Das geht dich gar nichts an«, ermahnte sie sich und bestellte ein großes und ein kleines Bier.
Der Mann, der nach ihnen eingetreten war, stellte sich rechts neben sie.
»Gleich noch ein großes, bitte, wenn Sie schon dabei sind.«
Die Laune der Frau verbesserte das nicht. Sie ließ das Bier aus dem Hahn in ein hohes Glas rinnen, stellte es weg, zapfte das nächste, während der Schaum im ersten zurückging, stellte es weg und nahm ein kleineres Glas für Emma. Ihre Bewegungen waren sehr geübt und sicher.
Emma spürte einen Blick auf sich gerichtet. Sie spähte aus den Augenwinkeln zu dem Mann, der nur einen Schritt entfernt stand. Ihn umwehte der Duft eines Herrenparfüms, eine Mischung aus Leder, Holz und orientalischen Gewürzen.
Jetzt nur nicht zu ihm drehen, ermahnte sie sich. Wahrscheinlich starrte er auf den kleinen Leberfleck über ihrem rechten Mundwinkel. Er war zu klein, um als Schönheitsfleck zu gelten, und zu groß für eine dunkle Sommersprosse.
Neulich hatte Emma ein Mann in ihrem Alter angesehen. Sie hatten beide am Holzgeländer der Brüstung oben an der Marine Parade gestanden. Es war genau wie jetzt gewesen. Der Mann hatte sie prüfend betrachtet, und schließlich hatte sich Emma zu ihm gedreht.
Sein Gesicht war ernst, seine Brille hatte etwas zu dicke Rahmen, er trug ein weißes Hemd und dunkel Hosen und war damit besser gekleidet als die meisten Männer in Brighton.
Emma fand den Mann irgendwie interessant, und weil sie in letzter Zeit nicht viele Männer angesehen hatten, lächelte sie ihm zu. Er kam die zwei Schritte näher, die sie voneinander entfernt standen.
»Hallo«, sagte sie.
Er nickte kurz und räusperte sich. »Ich habe einen Tick«, waren seine ersten Worte. Emmas kurzer Moment, in dem sie sich wieder wie eine begehrenswerte Frau vorgekommen war, endete damit schlagartig. Am liebsten hätte sie sich einfach weggedreht und wäre gegangen.
Es war jedoch zu spät und kam noch schlimmer. »Ich habe einen Tick. Ich halte es nicht aus, wenn Leute Toastkrümel im Gesicht kleben haben. Sie haben hier einen.« Er deutete an die Stelle, wo sich Emmas Leberfleck befand. Sie starrte ihn ausdruckslos aus und antwortete dann: »Danke. Danke für den Hinweis.«
Auf so einen Hinweis hatte sie jetzt keine Lust. Jetzt nicht und in Zukunft nicht. Daher ignorierte sie den Blick, obwohl der Duft des Parfüms wirklich anziehend auf sie wirkte.
»Das macht fünf Pfund.« Die Kellnerin stellte das große und das etwas kleinere Bierglas vor sie auf eine blaue Frotteematte mit dem Logo des Fußballclubs Chelsea. Sie hatte die Gläser gut gefüllt und seitlich rannen Schaum und Bier herab. Emma kramte eine zerdrückte 5-Pfund-Note heraus und reichte sie der Frau. Sie nahm die Gläser und wollte sich nach rechts drehen, wo Eric an einem schmalen Tisch in einer Nische saß.
»Verzeihung«, sagte der Mann, der sie angestarrt hatte.
Nein, keine Bemerkung über Krümel von verbranntem Toast in meinem Gesicht, dachte Emma und beschleunigte die Drehung. Sie machte einen Schritt…
…das heißt, sie wollte einen Schritt machen. Aber etwas hielt ihren rechten Fuß zurück. Emma stolperte nach vorne, versuchte sich zu fangen, stolperte dabei aber weiter und ihre Hände mit den vollen Gläsern schnellten in die Höhe. Sie schaffte es die rutschigen Gläser festzuhalten, das Bier aber schwappte heraus. Der Mann war auf sie zugesprungen und hielt sie gerade noch fest, bevor sie stürzte.
Die Gläser waren halbleer, das Bier auf dem Boden.
Wie konnte man nur so ungeschickt sein?
»Brauchen Sie was zum Abwischen?«, fragte die Kellnerin. Sie klang noch mürrischer als zuvor.
»Nein, danke«, sagte Emma.
»Nicht Sie. Er!«
Erst jetzt bemerkte Emma, dass sie den Großteil des Biers über den Mann geschüttet hatte. Sein roter Strickpullover hatte auf der Brust einen großen nassen Fleck. Das Bier hatte seine Spur aber auch vorne auf der Jeans hinterlassen, was peinlich aussah.
»Es tut mir so leid. Entschuldigung.« Emma nahm die kleine Frotteematte vom Tresen und wollte den Fleck am Pulli trocknen. Der Mann ließ es sich gefallen.
»Ihr Schnürsenkel ist offen. Ich wollte Sie aufmerksam machen«, sagte er.
Emma blickte auf und in ein frisches, leicht gebräuntes Gesicht. Sie sah einen Anflug von Bartstoppeln, buschige Augenbrauen und ein Lächeln, das echt und freundlich schien. Sein Haar war kurz geschnitten und recht präzise frisiert.
Als sie da so mit dem nassen, nach Bier stinkenden Frotteetuch an seinem Pullover fummelte, kam sich Emma wieder einmal unendlich lächerlich vor.
»Lassen Sie mich.« Die Kellnerin war hinter dem Tresen vorgetreten und schob Emma zur Seite. Sie hatte ein frisches Geschirrtuch gebracht und tunkte das Bier vom Pullover mit schnellen Griffen auf. Danach zeigte sie auf die Flecken am Hosenstall und meinte: »Das tun Sie besser selbst.« Der Mann lachte kurz auf und nahm ihr das Tuch ab. Als er fertig war – mit nicht so viel Erfolg wie am Pullover – nahm sie ihm das Tuch wieder ab, warf es auf den Boden und bewegte es mit der Schuhspitze über die Bierpfütze.
»Tut mir wirklich leid.« Emma zuckte entschuldigend mit den Schultern.
»Last order«, rief die Kellnerin und läutete die Schiffsglocke an der Wand neben dem Tresen.
»Ein Glas Chardonnay«, bestellte der Mann.
Die Tür des Pubs wurde aufgestoßen, und eine dunkelhaarige Frau schlüpfte herein. Sie hatte diese Art sich zu bewegen, um die sie Emma sofort beneidete: sicher, elegant, sehr damenhaft. Die Frau winkte dem Mann, kam auf ihn zu und betrachtete ihn stirnrunzelnd. »Was ist dir denn passiert?«
»Kleiner Unfall mit zwei Biergläsern. Muss nur trocknen.«
Emma war erleichtert, dass er sie aus dem Spiel ließ. »Wieso warst du nicht in der Vorstellung?«, hörte sie die Frau vorwurfsvoll fragen. Sie deutete mit dem Daumen über die Schulter Richtung Stadttheater, das schräg gegenüber vom Fitzherbert lag.
»Weil ich viel zu spät war, verzeih mir. Ich war unten am Strand beim Pier. Jamie hat schon sehr auf seinen Abendspaziergang gewartet, denn ich war heute lange in der Kanzlei und musste noch so viel vorbereiten für die Verhandlung morgen.«
»Du kennst nur deine Arbeit.«
»Ich muss es morgen schaffen, für meinen Klienten 500.000 Pfund zu retten, weil er sonst pleite geht. Aber ich komme am Dienstag in die Vorstellung. Versprochen.«
Die Kellnerin schob das Glas mit dem Weißwein zu den beiden.
Emma fragte kläglich, ob sie bitte noch einmal ein Pint und ein halbes Pint haben könnte. Wortlos machte sich die Kellnerin ans Zapfen. Eric tauchte neben Emma auf. »Ich übernehme das.«
»Nein, ich.«
»Du bindest deinen Schnürsenkel.«
Gehorsam bückte sich Emma nach unten. Sie kam sich vor wie ein dummes, kleines Schulmädchen.
Eric bezahlte und trug die Gläser in die Nische. Er holte auch noch zwei Säckchen Chips, riss beide auf und drehte sie Emma hin.
»Danke, nein.« Sie klopfte auf ihren Bauch.
»Bist du schwanger? Von wem?«, fragte Eric grinsend.
Emma nahm das Glas und drohte scherzhaft, es ihm über den Kopf zu leeren.
Sie prosteten sich zu und nahmen beide einen Schluck. Das Bier war genau richtig gekühlt und schmeckte.
»Was ist los? Hast du geweint am Strand oder nicht?« Eric sah sie auf eine Art an, als wollte er ausdrücken, dass es für Emma kein Entkommen gab. Sie musste ihm jetzt die Wahrheit sagen.
Lieber Wer-immer-du-bist,
37 Minuten nach Mitternacht. Könntest du Eric sein? Wäre das möglich? Können diese Briefe wirklich so schnell wirken, und habe ich meinen zukünftigen Mann schon angezogen? Habe ich vorhin einen Fehler gemacht, als mich Eric vor der Haustür abgesetzt hat? Hätte ich dich hereinbitten sollen auf einen »letzten Drink«, der natürlich direkt ins Bett geführt hätte?
Eric, ich hätte dich so gerne hier behalten, ich gebe es zu, wenn du derjenige bist, an den ich diese Briefe schreibe. Ich hätte dich gerne an mich gezogen und dich geküsst. Du hast dich so angenehm angefühlt, als ich hinter dir auf deinem Moped gesessen und mich an dir festgehalten habe.
Gehst du viel ins Fitnessstudio? Trainierst du? Deine Bauchmuskeln sind stark, und Schwimmreifen scheinst du keinen zu haben. Jedenfalls konnte ich keinen durch deine Lederjacke spüren.
Ich sitze hier und schreibe dir, weil ich einfach loswerden muss, wie unendlich blöd ich mich fühle. Wenn du wirklich derjenige bist, der in mein Leben soll (ich kann mir das vorstellen), dann habe ich unser erstes Date total verhaut. Nicht wegen des Tritts in deine Mitte. Das war irrtümliche Notwehr. Nein. Aber ich habe auf jede deiner Fragen eine falsche Antwort gegeben. Mit falsch meine ich, eine erfundene Antwort, eine Lüge.
Langsam finde ich diese Briefe, die ich hier schreibe, gut, weil ich dir etwas sagen kann, was ich dir gegenüber nicht auszusprechen wagen würde.
Du hast mich gefragt, ob ich am Strand geweint habe. Meine Antwort: Ich habe eine Atemmeditation gemacht, mit stoßweisem Ausatmen. Nell tut das regelmäßig, und ich habe sie dabei beobachtet, am Tag bevor sie abgereist ist.
Die Wahrheit ist: Ich habe geweint, weil es der einzige Weg ist, diesen schrecklichen Knoten in meinem Hals und meiner Brust loszuwerden, der dort sitzt und wehtut.
Eric, wie soll ich dir jemals sagen, wer ich wirklich bin? Du würdest sicher allen Respekt vor mir verlieren. Es kann nicht anders sein, denn ich habe selbst vor mir keinen Respekt mehr.
Wenn du wüsstest, was ich alles getan habe in den vergangenen Jahren und welche Folgen es für die Menschen rund um mich hatte, und für mich natürlich auch.
Deshalb lüge ich. Deshalb rede ich von stoßweiser Atmung und Meditation. Deshalb habe ich dir auch im Lucky Beach, als du mich auf den Mojito eingeladen hast, erzählt, ich wäre Journalistin und würde eine große Geschichte über die kleinen Hotels und B&Bs in Brighton recherchieren. Deshalb hätte ich das Hotel von Nell für einige Monate übernommen.
Du hast es geglaubt und mich bewundert, weil ich für ein Magazin schreibe.
Aber es war alles nur gelogen.
Manchmal bekomme ich in letzter Zeit Angst, dass ich mir die Lügen nicht merke, die ich Leuten erzähle. Ich versuche wenigstens, ziemlich die gleichen Geschichten zu verwenden, um nicht völlig durcheinander zu geraten.
Aber bestimmt würdest du dich nicht mehr über den Tisch beugen und »Echt?« sagen, wenn ich dir reinen Wein einschenke. Dabei mag ich diese Momente mit dir so besonders. Weil ich dann deine dunklen Augen aus der Nähe sehe und die kleine Narbe über der Augenbraue, die vom Biss deiner Zwillingsschwester stammt.
Heute habe ich mich so zurückhalten müssen, dir nicht mit den Fingern durch deine Haare zu fahren. Ich hätte nie gedacht, dass ich rote Haare anziehend finde, aber deine schon.
»Ginger« nennt ihr die Farbe hier. Wieso eigentlich Ingwer? Ingwer ist doch nicht orange oder rot, sondern eher gelb.
Es tut so gut, mit dir zu reden. Danke, dass du mich vor drei Wochen auf den Mojito eingeladen hast, als ich im Lucky Beach gesessen habe. Ich hätte mir den Drink nie leisten können, dabei ist Mojito ganz oben auf meiner Hitliste.
Der Grund, wieso ich trotz des Regens in ein Strandcafé gekommen bin, war die Hoffnung auf eine frühe Happy Hour. Wenig Gäste, mehr Großzügigkeit, habe ich gedacht. Aber ich hätte nie damit gerechnet, dass du mich einlädst.
Weiß das dein Chef? Hat er eine Ahnung, dass sein Caféleiter/Kellner Frauen auf Drinks einlädt?
Er ahnt es, wie alle Lokalbesitzer ahnen, dass ihre Mitarbeiter sich bedienen. Es war bei uns auch so, daher kenne ich mich aus. Aber daher weiß ich auch von »frühen« Happy Hours, von verbilligten Drinks, damit die wenigen Gäste zu trinken anfangen, auf den Geschmack kommen und weitertrinken. An schwachen Tagen kann man so gutes Geschäft machen.
Wie du hörst, bin ich Expertin.
Oder ich war Expertin. Mich lässt niemand mehr in ein Lokal, um es zu leiten, wenn er oder sie erfährt, was geschehen ist.
Vielleicht deshalb eine Warnung: Bleib besser weg von mir. Ich bringe kein Glück.
Jetzt bin ich beruhigt, dass ich dich nicht ins Haus eingeladen habe. Es ist gut, dass nichts weiter geschehen ist. Für einen One Night Stand bist du einfach zu freundlich.
Habe gerade gelesen, was ich alles geschrieben habe. Ich muss verrückt sein. Dieses Briefeschreiben muss aufhören. Ich werde den Brief zerreißen und wegwerfen.
Wieso schreibe ich das auf? Wieso schreibe ich meine Frage auf, wieso ich das aufschreibe?
Emma, du hast sie nicht mehr alle.
Mit einem tiefen Seufzer richtete sich Emma auf. Es war genug. Wenn sie mit Eric flirten wollte, dann musste sie nur ins Lucky Beach gehen und sich an einen Tisch setzen. War wenig Betrieb, hatte er Zeit. Sie konnte weiter vorgeben, Journalistin zu sein. Vielleicht gefiel sie ihm, und er hatte Spaß an einem kleinen Flirt.
OMG, wie lange hatte sie schon nicht mehr geflirtet. Am vergangenen Abend war es das erste Mal gewesen, dass sie mit einem Mann annähernd das gehabt hatte, was man Flirt nennt. Natürlich sehnte sie sich auch nach mehr Berührung, einer langen Umarmung, zarten Küssen, die langsam heftiger wurden, und sie hätte nichts dagegen gehabt, auch wieder einmal einen Mann in ihrem Bett zu haben.
Es würden dann wieder die üblichen Zweifel und Unsicherheiten beginnen, aber das nahm sie in Kauf.
Ja, sie beschloss, Eric beim nächsten Mal einfach Andeutungen zu machen, dass sie bereit für mehr wäre. Bisher erschien er als liebenswert, wenn auch nicht als Traummann. Ihre Lügen würde er irgendwann herausfinden, aber wenn sie bis dahin schon Spaß miteinander gehabt hatten und die Gefühle abgeflaut waren, konnte es ihr egal sein.
Nachdenklich blickte sie durch das Erkerfenster auf die parkenden Autos.
Emma, Emma, was ist aus dir nur geworden, fragte sie sich im Stillen. Viel wichtiger aber war wohl die Frage, was aus ihr werden sollte?
Sie schob den Stuhl zurück und stand auf. Zeit, ins Bett zu gehen. Schlafen und vergessen. Das hatte in der Vergangenheit immer geholfen.
5
Wie viel hatte sie am Abend getrunken? Beim Aufwachen fühlte sich Emma wie nach einer Partynacht. Sie versuchte sich genau zu erinnern, und ihr fielen nur zwei kleine Bier ein. Davon konnte sie doch nicht so benebelt sein.
Sie setzte sich im Bett auf und warf einen Blick aus dem Fenster. Ihr Zimmer – eigentlich das Schlafzimmer ihrer Tante Nell – lag unter dem Dach, war niedrig und eng. Emma mochte hier so gut wie gar nichts: Die Blümchentapete war hoffnungslos altmodisch und ausgebleicht, das Bett zu hoch und für ihren Geschmack zu weich, das Braun des Schranks der Nachtkästchen hatte ihr vom ersten Moment an nicht gefallen.
Das Wetter verbesserte ihre Laune auch nicht gerade. Der Himmel hatte das gewohnte Grau und der Wind rüttelte an den Hälften der Schiebefenster. Emma rechnete mit Regen bis spätestens Mittag.
Was für ein großartiger Wochenbeginn, dachte sie und stand auf.
Die Küche befand sich, wie in vielen dieser Häuser, im Souterrain. Es war ein Keller, der halb aus dem Boden ragte und Fenster besaß, durch die Licht fallen konnte. Emma stapfte gähnend die steilen Treppen hinunter. Das Haus war schmal, besaß aber vier Stockwerke samt Dachgeschoss, und dann noch Küche und Essraum im Keller.
Sie fröstelte und zog den ziemlich ausgeleierten Bademantel fester um sich und den Stoffgürtel zu. Auch der Mantel war aus dem Besitz ihrer Tante, und Emma hoffte, sich bald einen eigenen neuen kaufen zu können.
Aus Sparsamkeit hatte sie die Heizung nicht mehr eingeschaltet, aber in Brighton brauchte man sie manchmal sogar im Juli, hatte ihr Patricia erklärt. Der Anblick, der sich Emma in der Küche bot, war auch nicht sehr erfreulich: Drei volle Müllsäcke lehnten an der Anrichte, weil sie so oft vergessen hatte, sie hinaus an den Zaun zu hängen. In Brighton war es nicht erlaubt, den Müll einfach nur hinzustellen, da die Möwen sonst die Säcke aufrissen und den Abfall nach Fressbarem durchwühlten.
Sie füllte den elektrischen Teekessel und schaltete die Espressomaschine an. Während sie wartete, bis das Wasser kochte, schlenderte sie durch den Essraum. Hier gab es vier kleine Tische, an denen die Gäste ihr Frühstück einnehmen konnten. Auch diese Möbel waren alt und strahlten etwas Liebloses aus.
Ein schmaler Spiegel an der Wand sollte den kleinen Raum größer erscheinen lassen. Emma betrachtete sich kurz und fuhr sich mit den Fingern durch die Haare. Waschen, machte sie eine mentale Notiz. Sie war verstrubbelt, hatte dunkle Schatten unter den Augen und mochte sich an diesem Morgen gar nicht.
Vor dem Haus hörte sie das Brummen eines großen Wagens. Sie blickte durch das Fenster und sah das untere Drittel eines Müllautos.
Jetzt aber schnell, sonst blieb sie auf ihrem Mist noch länger sitzen, und es würde hier drinnen zu stinken beginnen. Sie raffte die drei Müllsäcke zusammen und lief damit ins Erdgeschoß. Auf dem Weg zur Eingangstür fiel ihr Blick in das kleine Arbeitszimmer und auf den übervollen Papierkorb. Er musste auch endlich ausgeleert werden. Sie trat die Papierbälle mit dem bloßen Fuß hinein und schnappte den ganzen Korb. Es war keine Zeit mehr, den Abfall in einen der Plastiksäcke umzufüllen.
Auf der Straße schlug ihr gleich der Wind vom Meer entgegen. Er wehte ihren Bademantel ein wenig hoch, und Emma versuchte ihn mit den Ellbogen wieder hinunterzuschieben.
Der Müllwagen war schon weiter nach oben Richtung St. James’s Street gefahren.
»Warten Sie bitte!«, rief Emma und rannte hinterher. Die Müllsäcke schlugen gegen ihre Beine, der Papierkorb geriet gefährlich ins Rutschen.
Zwei Männer sammelten die Müllsäcke von den Zaunstangen der Häuser ein. Einer war klein mit muskulösen Armen, der andere hatte etwas Aristokratisches an sich. Die Männer drehten sich zu ihr, und der Kleine kam wortlos auf sie zu und nahm ihr die Säcke ab. Der andere deutete auf den Papierkorb. »Das nehmen wir nicht.«
»Jaja, verstehe«, Emma nickte schuldbewusst. Für Papier und Karton gab es einen Container am anderen Ende des Platzes, an der Ecke des Parks.
Als der Müllwagen mit einem Ruck weiterrollte, kam jemand um die Ecke. Zuerst sah Emma nur einen kleinen Hund, weiß mit braunen Flecken, der heftig an der Leine zog. Ihm folgte -
Sie erkannte ihn sofort. Es war der Mann aus dem Pub, dem sie das Bier über den Pulli gegossen hatte. Er trug einen dunklen Anzug, weißes Hemd mit Schlips und schwarze Lederschuhe.
»Langsam, Jamie, nicht so ziehen«, befahl er dem Hund, für den das aber nur eine Aufforderung zu sein schien, noch mehr Gas zu geben.
Emma fiel der graue Bademantel ein und das ausgeleierte T-Shirt, das sie darunter trug. Sie musste verwahrlost aussehen und es war ihr peinlich, wenn der Mann sie so sah. Sie griff an den Kragen und hielt mit einer Hand den Mantel am Hals zu. Ein neuer Windstoß schlug ihr vom Meer entgegen und wehte unter den Bademantel. Sie fühlte, wie der Saum hochgehoben wurde und drückte ihn mit der Hand energisch nach unten. Dabei kippte der Papierkorb und ein paar der Papierbälle fielen auf die Straße.
»Nein«, hörte sich Emma rufen. Der Wind trieb die Papierbälle vor sich her, und Emma nahm die Verfolgung auf. Sie schaffte es, einen einzufangen, als der kleine Hund neben ihr auftauchte. Er fand, dass die Jagd ein lustiges Spiel war und entriss ihr, was sie gerade eingesammelt hatte. »Gib das her!«, schrie sie ihn an.
»Aus, Jamie, aus!« Der Mann kam Emma zu Hilfe, hockte sich neben sie und versuchte, seinem Hund die Beute zu entwenden. Emma kroch auf allen Vieren herum und schlug nach den weißen Bällen. Sie bekam einige zu fassen und beförderte sie in den Papierkorb zurück, den sie unter den linken Arm geklemmt hielt.
»Hier!« Der Mann streckte ihr die Hand hin. Emma wollte ihm abnehmen, was er für sie eingefangen hatte. Da er sich gleichzeitig zu ihr vorbeugte, schlug sie ihm aber voll auf die Wange.
»Verzeihung, ich wollte Ihnen nur helfen!« Er stand auf und hob abwehrend die Hände.
»Entschuldigung, entschuldigen Sie vielmals!« Emma wäre am liebsten im Boden versunken. Sie spürte den musternden Blick des Mannes.
»Kann das sein, sind Sie die Dame, die mir gestern das Bier…?«
»Ja, ich bin das. Entschuldigung noch einmal.« Emma nahm ihm die Papierkugeln ab und stopfte sie in den Korb. »Schönen Tag noch.«
Was war der Superlativ von peinlich, dachte sie. Oberpeinlich. Oder unerträglich peinlich? Sie drehte sich einmal im Kreis um zu sehen, ob ihr ein Papier entgangen war, konnte aber keines mehr entdecken.
Jamie wedelte und blickte hechelnd zu ihr. Den Blick seines Herrchens konnte sie nicht deuten, wahrscheinlich hielt er sie für geistesgestört, und sie konnte es ihm nicht verdenken.
»Ja, Entschuldigung dann noch einmal«, stammelte sie, und das verlegene Grinsen in ihrem Gesicht verursachte ihr Gänsehaut. Sie stolperte am Park entlang hinunter zu dem großen grünen Container. Er besaß ein rechteckiges Einwurfloch an der Oberseite, durch das sie den Papierkorb entleerte. Sie schüttelte ihn ein paar Mal, damit auch wirklich alles aus ihm rausfiel. Danach stellte sie sich auf die Zehenspitzen und sah durch die Öffnung.
Ihre hilflosen Briefversuche hatten es sich schon in der Tiefe des Containers zwischen alten Zeitungen und Kartons mit dem Amazon Logo gemütlich gemacht.
Als sie zu ihrem Haus zurückeilte, waren der Mann und Jamie nicht mehr zu sehen. Sie konnte ihnen nicht verübeln, vielleicht auf der anderen Seite des Platzes zu gehen, um einen Bogen um diese Wahnsinnige zu machen, die aussah, wie gerade aus einer Anstalt entkommen.
Oh, Emma, dachte sie und schlug die Tür hinter sich zu.