Kitabı oku: «Das kleine Narrcoticum»

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Thomas C. Breuer, Jahrgang 1952, bereiste über vier Jahrzehnte als Kabarettist Bühnen in Deutschland, der Schweiz und Nordamerika. Nebenher arbeitete er fürs Radio, u. a. SWF3, SDR, SWR, Rias Berlin, HR, WDR und noch immer fürs Schweizer Radio SRF1. Den Salzburger Stier als bedeutendsten Radio-Kabarett-Preis im deutschsprachigen Raum erhielt er 2014. Die Zahl seiner Buchveröffentlichungen soll bei annähernd vierzig liegen, niemand hat mehr den Überblick. Seit 2003 lebt er in Rottweil, wenn er nicht mit der Deutschen Bahn oder den SBB unterwegs ist, seit 2019 als Verfasser und Vorleser eigener Texte und Gelegenheits-Privatier.

Thomas C. Breuer

Das kleine

Narrcoticum

Vorwiegend fasnachtliche Vergnügungsreisen

durch die reiche Freistadt Rottweil

und die Region Schwarzwald-Baar-Heuberg

LINDEMANNS

Für Beatrice, as always ...

Vorwort

Im September 2018 erschien mein doch sehr spezielles Buch über die – überwiegend Rottweiler – Fasnacht, des Titels „fas.net“. Selbst verlegt und über sog. Stubenlesungen in Rottweil und Umgebung vermarktet, d. h. wir haben die Lesungen angeboten und die Gastgeber Freunde, Bekannte, Römer, Mitbürger eingeladen, die ich dann in allen möglichen Haushalten mit Texten versorgt habe. Mitte 30 sind es dann geworden, sogar mit Außenterminen wie z. B. im Museum Narrenschopf in Bad Dürrheim, bei der Narrenzunft in Schramberg, selbst ein Yoga-Studio in Villingen durfte nicht fehlen. Über 500 Bücher konnte ich so direkt an den Leser bringen, einige ausgesuchte Geschäfte führten den Titel am Lager.

Wie ein Schmetterlingsjäger war ich Monate zuvor lang durch die Botanik gestreift, ohne Netz allerdings, aber mit gezücktem Notizbuch: Beinharte Recherche ist schließlich in diesem Geschäft das A und O, und auch die ganzen Lügen wollen sauber und schlüssig formuliert sein. Schon das Niederschreiben hat großen Spaß gemacht, die sog. „Marktdurchdringung“, wie man das heutzutage nennt, noch viel mehr, zumal dieses Buch eben ohne jedwede finanzielle Unterstützung entstanden war, also ohne Crowdfunding, Cloudfunding, Stipendien, Darlehen, Mäzene oder dgl. – ich konnte schreiben, was ich wollte und war von daher auch voll verantwortlich, nicht zuletzt dafür, das Buch unter die Leute zu bringen: Deshalb die Stubenlesungen. Früher kam der Mann mit der Brockhaus-Enzyklopädie ins Haus, der Vorwerk-Vertreter folgte auf dem Fuße (und mancherorts auch Johnny Walker), heute steht die Dame der Firma Thermo-Mix im Wohnzimmer, die auf den Spuren der Tupperware oder Avon-Repräsentantinnen wandelt. Und dann kam ich, umsonst und drinnen, und oft wurde sogar die „gute Stube“ bereitwillig geöffnet.

Lesungen als Matinee, zur Vesperzeit, zum abendlichen Umtrunk. In einem Fall im Neubauviertel eines Dorfes, wo der Haushaltsvorstand kleinlaut zugab, mit der Fasnet nichts am Hut zu haben, so dass wir alle mehr oder weniger unschlüssig herumsaßen, selbst ich während meiner Lesung. Dieser Abend zählte zu den weniger beglückenden Erlebnissen wie auch jener Nachmittag, an dem sich die Familienmitglieder riesig freuten, einander wiederzusehen – ich hoffe, ich habe nicht allzu sehr gestört. Komisch, dass einem die Ausnahmen eher im Gedächtnis haften bleiben als das Gros – also etwa neunzig Prozent – der Veranstaltungen. Allgemein erfreute ich mich lebhaften Interesses, aufmerksamer Zugewandtheit und überwältigender Großzügigkeit, und bald jeder hatte eine Geschichte zu erzählen wie z. B. der Redakteur des Schwarzwälder Boten, der sich um einen Kollegen des Kölner Stadt-Anzeigers kümmern sollte, weswegen man im oberen Teil der Rottweiler Hauptstraße den Narrensprung abnahm. Nach etwa einer Stunde Larven und Kleidle fragte der Rheinländer: „Wann kommen denn endlich die Wagen?“ (Meine Tochter hat im zarten Alter von zwei Jahren ihren ersten „Veedelszooch“ in Köln absolviert – und die „Kamelle“ zurückgeworfen.)

Mal eher großes Publikum, also für Lesungen, mal Stuhlkreis. Als Bonus die gesellschaftlich akzeptierte Möglichkeit, schon am frühen Vormittag Alkohol zu konsumieren. Für mich das Schönste: Dieses Projekt bewegte sich innerhalb eines überschaubaren Rahmens, vor allem geographisch, und der Aufwand war gering: Es gab ja kaum Gepäck außer dem Manuskript und den Büchern. Expeditionen führten mich in Teile der Stadt, von deren Existenz ich zuvor keine Ahnung gehabt hatte, und obendrein war es aufschlussreich, die Wohnstuben der Rottweiler Bürger kennenzulernen und herauszufinden, wer bei wem sitzt und warum. Das hat die Landkarte noch einmal neu sortiert. Natürlich könnte das kompromittierende Berichte über die örtliche Innenarchitektur zeitigen – ich werde mich hüten, denn ich will ja wiederkommen dürfen. Ich liebe diese Art von Unmittelbarkeit, das Improvisierte. Manche hatten sogar die Möbel umgeräumt oder ihre Werkstatt, wie der lokale Kult-Schuster. Bauliche Veränderungen wurden meines Wissens jedoch nicht vorgenommen.

Jetzt ist der Nachfolger fertig, und den Radius habe ich erweitert, auf die gesamte Region Schwarzwald-Baar-Heuberg (inklusive weniger Abstecher), den Schwerpunkt bilden weiterhin die bisweilen bizarren Rituale der Fasnet, allerdings werden auch andere Themen berücksichtigt, wie Events, Sitten und Gebräuche, lukullische Spezialitäten in dieser Region zwischen Tuttlingen und Villingen-Schwenningen sowie Balingen und Rottweil, die selten in den Fokus gerät und noch seltener in die Schlagzeilen.

Rottweil, im Sommer 2020

Fasnet in den Zeiten von Corona

Aus gegebenem Anlass gilt es, über das Schicksal der Fasnet in pandemischen, respektive pandämonischen Zeiten zu räsonieren, sozusagen visionär und visionärrisch. Wir erinnern uns nur ungern an jene grässlichen Tage, als das ARD-Extra gleich nach der Tagesschau eher schon ein ARD-Normal war. Aber machen wir uns nichts vor: Eine Krankheit wie Covid-19 kann jederzeit überall wieder aufflammen, sogar in Irslingen, bzw. mutieren (zu Covid-20 – komisch, irgendwie scheinen die immer ein Jahr hinterherzuhinken – gibt es vielleicht irgendwann mal ein Upgrade?) Wie haben wir uns eine Fasnet unter verschärften Sicherungsbedingungen vorzustellen? Immerhin, das sollte man nie vergessen, feiern die Narren ja ehrenamtlich.

Fasnetszeit ist immer auch Erkältungszeit – diese Doppelbelastung macht eine verlässliche Diagnose schwierig und bringt uns zur nächsten Frage. Wenn ich unentwegt in meine Armbeuge schnoddere, nimmt dann nicht das Kleidle Schaden, besonders bei Weißnarren?

Daher: Virtuelle Fasnet – keine ganz schlechte Idee an besonders frostigen Tagen. Das Narrenbuch im Tablet.

– Sind Schantle überhaupt systemrelevant?

– Können Narrenzünfte unter einen Rettungsschirm

schlupfen? Soforthilfe Corona für Maskenschnitzer?

Oder Reinigungen?

– Müssen Fanfarenzüge zu jeder vollen Stunde desinfiziert werden?

– Soll man Ordner serienmäßig mit Fieberthermometern ausstatten?

– Wären Drive-By-Umzüge nicht sinnvoller?

(Früher: Autokorso)

– Marshall-Plan für Unterhaltungskapellen – genügt hier

ein Tony-Marshall-Plan? Können professionelle Fasnachter mit Roberto-Blanco-Schecks bezahlt werden?

– Wie ist das mit dem Sicherheitsabstand bei Alleinunterhaltern?

– Bietet Überschminken schon einen probaten Schutz?

(Eher nicht.)

– Maske über die Larve oder genügt selbige an sich?

Maskenbälle – sind die sicher?

– Wie kann ich mich als Virologe verkleiden?

– Muss man den Mundschutz beim Trinken abnehmen?

(Bei griechischem Kaffee wäre das sogar ein Vorteil.)

– Polonaise mit Einmalhandschuhen?

– Wie passt Schunkeln ins Hygienekonzept –

und ist das überhaupt noch zeitgemäß?

– Schmotziger per Videokonferenz?

– Drive-In-Besen – eine Alternative?

– Wo kann man Herdenimmunität beantragen?

Wer ist der verantwortliche Hirte – doch hoffentlich

nicht Michael Hirte?! (Wieso hat Herdenimmunität

eigentlich nichts mit sog. „Schwarmintelligenz“ zu tun?)

– Dichtestress bei Umzügen – wie geht man damit um?

(Zur Not entscheidet der Videobeweis).

In diesem Zusammenhang: Aufsagen mit Megaphon? In vielen Gemeinden kann man die Leute mit einer Saubloder auf Abstand halten. (Notfalls auch mit einer Schere.) Was, wo nicht? Zwei Fragen hierzu: Wieso fällt die saublöde Saubloder nicht unter das Kriegswaffenkontrollrecht und stimmt es, dass dank einer Intervention der UNESCO wieder Schlachtabfälle an der Fasnet verwendet werden dürfen?

Auch diese Fragen müssen gestattet sein bzgl. des öffentlichen Nahverkehrs sowie der sexuellen Bestätigung am Arbeitsplatz – wie wird das geregelt? Sex mit 1,5 Metern Abstand, welche Möglichkeiten tun sich da auf? Fernbestäubung? Was ist mit Händewaschen: Vorher? Nachher? Oder sogar während? Zwei Drittel der Coronapatienten sagen aus, dass sie nichts mehr riechen oder schmecken. Nun, bei manchen Anlässen kann das sogar hilfreich sein, sozusagen als Coronakollateralnutzen. Wenn zwei Personen nicht riechen können, dass sie sich nicht riechen können, verbessert das womöglich die Gewaltstatistik.

Viele Schnapsbrenner haben während der Krise von der Alkohol- auf Desinfektionsmittelproduktion umgestellt: Bevor die Fasnet dadurch auf dem Trockenen landet – muss da der Gesetzgeber nicht einen Riegel vorschieben? Der weißrussische Diktator Lukaschenko hatte in den schlimmsten Tagen eine hervorragende Idee: „Nutzt den Wodka nicht nur zum Händewaschen. Die innere Anwendung von vierzig bis fünfzig Gramm reinem Alkohol täglich wird das Virus töten!“

Lässt sich das auch auf unsere Verhältnisse übertragen? (In Tadschikistan haben im gleichen Zeitraum die Preise für Knoblauch und Zitronen stark angezogen, weil die angeblich gegen das Virus schützen.)

Kann die Gastronomie nicht rund um die Uhr öffnen? Dann würde sich der Andrang besser verteilen. Außerdem heißt es ja wohl: Viren brauchen einen Wirt.

Bleiben Saitenwürste erschwinglich, wenn sich neuerdings sogar Schlachthöfe an die Hygieneregeln halten müssen?

Droht eine Neuauflage von Covid, halten es alle Coronarren und Coronärrinnen besser mit einem Satz von Ovid: „Nec tempora perde precando“, auf Deutsch: „Verliere keine Zeit mit Beten!“ Folglich sollte man aus der allseits beliebten Kehrwoche eine Vorkehrwoche machen, auch länger, wenn’s denn sein muss. Wie sagt man so schön?

„Be prepared!“ – sei zubereitet.

Aldingen

Aldingen, ein bedeutender IC-Durchfahrtsort, ist die vielleicht einzige Gemeinde in Deutschland, ja, weltweit, die den Namen eines Lebensmitteldiscounters im Namen trägt, noch dazu im vorderen Teil. Von einem Lidlingen ist nichts bekannt. Gut, im niederländischen Ingen betreibt Lidl gleich drei Filialen, aber das ist etwas anderes. In den USA finden wir zwar in Illinois die Stadt Normal, aber die Kette ist dort gar nicht präsent. Dafür wiederum Aldi, z. B. in Vandalia, Illinois. Ebenso wenig wurde Aldingen nach dem Musiker Al di Meola getauft, der immerhin schon einmal beim Jazzfest in Rottweil aufgetreten ist, also ganz in der Nähe.

Aldingen liegt am Fuß der Schwäbischen Alb, wo genau, ob Ferse, Spann, Außenrist oder zwischen irgendwelchen Zehen, wird leider nicht präzisiert. Im Jahre des Herrn 802 erfährt die Gemeinde ihre erste urkundliche Erwähnung. Der wahre Ortskern befindet sich übrigens unter dem Fußboden der St. Maurhizinuskirche. Dem Vernehmen nach soll es vorher schon eine frühalemannische Siedlung gegeben haben, die bereits um 400 nach Christus in Betrieb war, wenn man den alten Ringzugfahrkarten Glauben schenken darf, die 1998 bei Ausschachtungsarbeiten entdeckt wurden. Und schon um 700 errichtete ein „Eigenkirchenherr“ eine Holzkirche.

Aldingen wurde 1444 von Württemberg gekauft, es muss also zu jener Zeit günstig zu erwerben gewesen sein. 1534 wurde die Gemeinde protestantisch, bis 1806 wurden überhaupt keine Katholiken geduldet – und trotzdem gibt es eine Fasnet.

Schmiede, Schlosser und vor aldingen Tonfedermacher schufen mit ihrer Kreativität die feinmechanische Industrie am Ort, nicht schlecht für eine Ansiedlung, durch die knapp 220 Millionen Jahre zuvor noch Krokodilsaurier marodierten.

Ein paar Jahre später, nämlich 1994, gründeten sich die „Narrenfreunde Aldingen“. Als erste Amtshandlung verkrachten sie sich gründlich, hier waren anscheinend nicht nur Feinmechaniker unterwegs, sondern auch Grobmotoriker. Man spricht noch heute von der „Aldinger Kernspaltung“.

Schon ein halbes Jahr nach der Gründung gab es also zwei Vereine, die Narrenfreunde einerseits mit der „Schlössle-Bühl-Hex“, und andererseits die Narrenzunft mit dem „Lindenmännle“.

Noch 1995 war die Hexe die einzige Figur, dann wurde ein Prototyp des „Aldinger Narro“ entwickelt, der kurz darauf in Serie ging. 1998 traten aber 32 „Lindenmännle“ aus der Narrenzunft aus, um sich – ablösefrei! – den Narrenfreunden anzuschließen. Fachleute sprechen hier wiederum von der „Aldinger Kernfusion“.

Stand 2019 sind auf den Straßen der Stadt beim Umzug, der traditionsgemäß am letzten Sonntag im Januar stattfindet, manchmal aber auch später bzw. früher, 133 Hexen, 76 Narros, 40 „Lindenmännle“ und der „Graf von Dellingen“ als Einzelfigur in den Ortsfarben gelb-grün unterwegs. Dellingen war eine Vogtei, die anlässlich des Bauernaufstandes von den aufsässigen Bauern mit Hammer und Sichel geschleift wurde. Vielleicht gibt die Kombination gelb-grün Aufschluss über die Aldinger Narren: Man ist sich nicht immer grün, und gelb ist bekanntlich die Farbe des Neides. Gelb und Grün passen ohnehin nicht zusammen, vor allem politisch nicht.

Bad Dürrheim

Erste urkundliche Erwähnung 889 gegen halb neun als Durroheim, und vom Durro zum Narro ist es wahrhaftig kein weiter Schritt. Bereits um 1300 schlug der Villinger Malteserorden zu, was sich natürlich rigoros auf die Trinkgewohnheiten auswirkte. Lange Zeit war die Region hin- und hergerissen zwischen Rottweil und Villingen, also hingerissen von Rottweil, von den Villingern eher hergerissen. Im Jahre 1818 wurde die finanzielle Lage der Gemeinde im Übrigen als „kläglich“ beschrieben.

Keine vier Jahre später aber wurde bei Bohrungen auf der sog. Dürrenmatte ein riesiges Salzlager entdeckt. Das Salz wurde alsbald in große Pfannen gehauen und zu Speisesalz gesiedet. Gesodet? Gesotten? Was auch immer. Seit 1883 wurde die flotte Sole für Heilkuren genutzt. Die passende Architektur dazu wurde im klassizistischen Weinbrennerstil angelegt, was wohl bedeutet, dass sie von besoffenen Architekten entworfen wurde. Erst 1921 wurde Dürrheim Bad, was im Englischen „schlecht“ bedeutet, im Deutschen aber gar nicht mal so schlecht ist. Vor allem im Diätbereich ist man vorne dran, der Name Dürrheim ist Programm. Überraschend sind dennoch die Verkaufsstatistiken von Schwarzwälder Kirschtorte.

Der Salzabbau wurde 1971 mit dem Heilbronner Salzwerk zur Südwestdeutschen Salzwerke AG vereinigt und dann stillgelegt. So weit hätte es nicht kommen dürfen – man hätte nur das Sortiment um Streu- und Schüsslersalze und den Verleih von Soleiern erweitern müssen. Denn gerade Schüsslersalze sind heute das Salz in der Suppe. Auch hätte ein wenig mehr Solidarität seitens des Kreises nicht geschadet, aber die Herren verstanden es schon immer, sich einen schlanken Fuß zu machen.

Bereits 1925 wurde eine günstige Gelegenheit am Schopf gepackt und eine Narrenzunft gegründet. Natürlich hatte das Salzbusiness – cum grano salis – einen enormen Einfluss auf das Fasnetstreiben: Mit der Salzgewinnung zu Beginn des 19. Jahrhunderts gab es sämtliche Fasnetsmahlzeiten auch gepökelt. Zu den gebräuchlichen Figuren „Narro“ und „Alt-Narr“ gesellten sich damals der „Salzhansel“, der „Sieder“ und seit 1998 als Solist der „Salzgeist“. Auf der Suche nach einem Herausstellungsmerkmal jenseits von Kurschatten (die sich nebenbei ungünstig auf das Klima auswirken) hat man 1973 den Narren beim Schopfe gepackt und in drei halbkugelförmigen Solebehältern der vormaligen Rottweiler Saline ein Fasnetsmuseum untergebracht, in dem Kleidle, Häser, Schemmen, Larven und Foulards zu bestaunen sind – Fool Art at its best.

Obwohl es bei der Bahn einmal einen Chef namens Dürr gab, wurde Bad Dürrheim 1953 vom Personenverkehr abgehängt. Das war natürlich ein verkehrter Schritt, und der einzige Zug, der heute noch verkehrt, ist der Fanfarenzug. Der ist allerdings nur einmal per annum zu hören, beim Fünf-Uhr-Wecken am Schmotzigen. Dafür ist er pünktlicher als die Deutsche Bahn. In Sunthausen gibt es am Sonntag um 19 Uhr einen Nachtumzug. Wenn wir schon gerade dabei sind: Am Schmotzigen schlagen die Wogen hoch beim sog. Hemdglonkerball, da heißt es für die Dürrheimer dafür Sorge zu tragen, dass alle Hemden ordentlich durchgeglonkt wurden.

Viel mehr weiß man nicht über die örtlichen Sitten und Gebräuche im Wandel der Zeiten; in Bad Dürrheim wurde seit Anfang des 14. Jahrhunderts so viel gefeiert, dass sie die Archivierung und geschichtliche Aufarbeitung der Fasnet darüber schlicht vergessen haben. Die Faktenlage bleibt also dürr.

Balingen

Streng genommen hat die Zollernmetropole keinen Platz an der Baar – ihr Einfluss auf das Narrentreiben darf dennoch nicht unterschätzt werden. Keine kühne Behauptung: Balingen hat weniger mit dieser indonesischen Insel mit vier Buchstaben zu tun als mit der Bundeshauptstadt. Dies ist auf die „Große Nebenalemannische Lautverschiebung“ zurückzuführen, die im Bereich Zollernalb zu verheerenden Vokalverschleppungen und – vor allem – Konsonantenschleifungen geführt hat. So haben viele Sueben auf ihrer Wanderung vom südlichen Barling nach Nordosten das „G“ liegen gelassen, das „R“ aber mitgenommen und das „A“ gegen ein „E“ getauscht. Dort siedelten sie in einer Sumpflandschaft, aus der später die Hauptstadt Berlin wurde, wobei sich der Sumpf an vielen Stellen erhalten hat. Viele der Sueben leben heute noch bevorzugt am Prenzlauer Berg. So wurde aus Barling im Laufe der Jahrhunderte Berlin – und den Rest überließ man den Balingern. Zum Glück für die Berliner, sonst hätte John F. Kennedy bei seinem Besuch am Brandenburger Tor am 26. Juli 1963 ausgerufen: „Ich bin ein Balinger!“, was die Leute doch sehr verstört hätte. (Tontechniker war damals übrigens ein gewisser Peter Lustig – Tatsache.)

Der Autor dieses Buches hatte noch kein Jahr in der Region gelebt, als man ihn in eine Metzgerei schickte, um „Mannheimer“ zu besorgen. Er glaubte zunächst an einen recht einfach gestrickten Scherz. Obwohl (oder weil?) er fünfundzwanzig Jahre in der Metropolregion Rhein-Neckar gewohnt hatte: Von „Mannheimern“ hatte er bis dato nie gehört, und erst eine detailliertere Beschreibung brachte ihn auf die Spur: Schweinefleisch, das in ein Netz gezogen und dann gepökelt und leicht geräuchert wird – aber hey, das ist doch Kassler? Wie das wohl in Kassel heißt? Rottweiler? Natürlich musste eine Recherche her: Mit Kassel hat das Kassler nichts zu tun. Angeblich soll ein Fleischer namens Cassel Pate gewesen sein – in Berlin. Noch wahrscheinlicher ist die Ableitung des französischen Wortes Casserolle, das von den Hagebutten nach Berlin eingeschleppt worden sein soll. Von den Hugenotten, um genau zu sein.

Im Mai 1805 bot der Fleischhauer Johann Peter Lahner erstmals seine „Original Wiener Frankfurter Würstel“ an. Die Schweizer „Wienerli“ heißen beim Schwaben wiederum „Saiten“. Auf einer Speisekarte irgendeiner Autobahnraststätte stand einmal im Angebot: „Zürcher Rahmgeschnetzeltes Nürnberger Art.“ Und irgendwo auf der Welt gibt es sicher das „Chinarestaurant Akropolis“. (Das hat der Autor vor dreißig Jahren erfunden, in seinem Text „Zorba the Buddha“. Mittlerweile gibt es einen Song dieses Titels von der Kölner Band „Domstürmer“.)

Jetzt aber zum Fasnets-Signature-Dish, dem Superfood der tollen Tage: Berliner, ein Siedegebäck, das mehr Aliasnamen spazieren führt als ein gewöhnlicher Internetbetrüger. Im Osten sagen sie Pfannkuchen, im Westen Berliner Ballen, in Hessen Kräppel, Kreppel oder Krebbel, im Allgäu Ignazkiechle, in Österreich Faschingskrapfen. In Finnland wiederum verspeisen sie „hillomunkki“ mit Marmelade oder eine Variante mit rosafarbenem Zuckerguss namens „berliininmunkki“. Süßer Hefeteig wird in Fett ausgebacken und, wenn man Glück hat, mit Marmelade gefüllt, mit Vanille oder Eierlikör. Wenn man Pech hat, mit Senf oder Sägespänen – Späßle gmacht! Die Bäurinnen haben in vergangenen Jahrhunderten ihr letztes Fett vor den Festtagen verbacken, und alle haben so knapp vor der Fastenzeit noch einmal tüchtig reingehauen. Lange hielt sich das Märchen, der Name „Krapfen“ sei auf die Hofratsköchin Cäcilie Krapf zurückzuführen. Tatsächlich ist sie nur für die „Cillykugeln“ verantwortlich. Da schon die Römer Unmengen davon vertilgt haben – gut erhaltene Restexemplare wurden bei Ausgrabungen in Frommern entdeckt –, liegt der Bezug zum lateinischen Wort „crassos“ nahe, also fett. Voll fett, also krass. Auch gab es zu Zeiten Karls des Großen ein Gebäckstück namens „Crapho“. Schließlich findet sich im „Praktischen Kochbuch“ einer Henriette Davidis ein Rezept für „Berliner Pfannkuchen“.

Nach dem Backen werden die Berliner gemeinhin mit Zucker bestäubt bzw. betäubt, aber der Variationen sind viele: Zuckerguss, kakaohaltige Fettglasur, Zuckerwerk, Smarties oder Schokostreusel. Egal, in welcher Form, unter welchem Namen auch immer: Berliner sind das ultimative Fasnetsgebäck, das vor allem am Montag und am Dienstag vertilgt wird, und dies in unvorstellbaren Mengen.

Nie aber sollte man vergessen, dass der richtige Name des „Berliners“ besser „Balinger“ lauten sollte, denn hier stammt er her, aus der Bäckerei Krauth in der Stingstraße, deren Name sich keineswegs von einem englischen Rockmusiker ableitet. Also Sting jetzt. (Die Engländer nennen die Deutschen sowieso „Krauts“.) In Balingen ist das von Bedeutung, die Balinger sind Feuer und Flamme, denn hier wird an der Fasnet lange gefackelt, um den traditionellen Nachtumzug durchzuführen – und Berliner, die meist weiß bestäubt sind, sind im Dunkeln besser zu sehen. Denn das ist ein weiteres Erfolgsgeheimnis: Sie lassen sich einfach hervorragend werfen. Der Umzug ist keinesfalls ein umnachteter, wobei der Begriff Nacht hierbei – wie z. B. in Dietingen – durchaus großzügig interpretiert wird, startet die Parade doch bereits um 18:66 Uhr. Dieser Brauch ist so ungewöhnlich nicht, ohnehin ziehen sich sehr viele Menschen vor dem Schlafengehen um, und das bedeutet: Nachts.

Beim Nachtumzug paradieren die „Balinger Loable“ (auch „Loable“ hat mit Backwerk zu tun – der Balinger Gruß lautet übrigens: „Hoscht scho gveschpret?“ Womit wir wieder bei der Konsonantenschleifung wären.) Dazu gesellen sich die Hexen, die in drei Geschmacksrichtungen daherkommen: Eyach-, Binsen- und Feuer-. Wieso das hohe Aufkommen? Hexen pflegen sich auf dem nahen Heuberg zu versammeln, um ihre Teufelsspiele zu vollstrecken. Für den allfrühjährlichen Heuschnupfen sind sie allerdings nicht verantwortlich zu machen, heißt es. Jedes Jahr am 5. Januar erfolgt die Feuertaufe auf dem Heuberg, man startet mit einem Becher Ziegenmilch, um Nerven und Magen zu beruhigen.

Balingen – Perle der Zollernalb: Zwar hat man es nur zu einer einzigen Städtepartnerschaft gebracht, dennoch kann die Stadt einiges in die Waagschale werfen, denn von beidem versteht man was: Waagschalen (Bizerba) und Handball (HBW). Zunächst aber haben sie 1255 eine Stadtmauer gebaut, um dann feststellen zu müssen, dass sie, um das Ensemble komplett zu machen, einen Ort dazu benötigen. Ab 1818 wurde man versehentlich dem Schwarzwaldkreis zugeschlagen, was eine tiefgreifende Verstörung nach sich zog. Bald war die Stadt bekannt für ihre Trikotwebereien, obwohl es zu diesem Zeitpunkt weder die TSG (Fußball) noch die HBW (Handball) gab, die Trikots hätten gebrauchen können. Wegen der Webereien existierte lange Zeit ein Gerberviertel, das heute Klein-Venedig genannt wird – und damit auf einen direkten Bezug zum „Carnevale“ aufweist. Klein-Venedig, das ist in Baden-Württemberg wirklich einzigartig, wenn man mal von den Klein-Venedigs in Konstanz, Esslingen, Freiburg und Reutlingen absieht. Seit dem 1. Januar 1974 ist Balingen „Große Kreisstadt“, und der Sitzungssaal im Rathaus darf sich mit dem Titel „Großer Kreissaal“ schmücken.

In Balingen geht es hoch her. Für den Brauchtumsabend in der „volksbankmesse“ – schon das klingt urgemütlich – muss man einen „gültigen Partypass“ mit sich führen. Der Eintritt erfolgt als One-Way-Ticket.

Wir fassen zusammen: Korrekterweise müsste der Berliner also „Balinger“ heißen – das sollten sie sich hinter die Ohren schreiben, die Mannheimer, Kassler, Frankfurter und Wiener – und vor allem die Berliner selbst.

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