Kitabı oku: «Die Beobachter», sayfa 2

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Insiderbericht einer Befristeten

Ich hatte in G. Kommunikationspsychologie studiert, sage und schreibe sieben Jahre lang, denn zu meiner Studienzeit waren Bachelor und Master noch abartige Fremdwörter und so meldete ich mich als Diplom-Kommunikationspsychologin arbeitslos. Als ich einige Termine nicht einhielt, wurde ich zu einem Computerkurs verdonnert, der für mich völlig sinnlos und die reine Zeitverschwendung war. Doch dann bekam ich eines Tages ein unmoralisches Angebot, das ich einfach nicht ausschlagen konnte. Ich sollte die Seiten wechseln und für den bisherigen Feind arbeiten, nämlich das DLZ. So kam es, daß ich nach Dresden fahren durfte, um dort meinen auf elf Monate befristeten Vertrag zu unterschreiben. Die Sicherheitsleute waren dort auf allen Fluren zu sehen, denn anscheinend war es mittlerweile relativ gefährlich geworden, für die Agentur zu arbeiten, doch ich ließ mich davon nicht beeindrucken. Recht schnell erkannte ich, daß die Bürokratie zwar ziemlich anstrengend und lästig sein kann, daß es allerdings nicht wirklich Konsequenzen gibt, wenn man Papiere zu spät abliefert, es passiert nichts. Zwar schwebt das Damoklesschwert einer drohenden Sanktion über allem, aber da jenes die meisten Leute so abschreckt, daß sie sich mehr oder weniger freiwillig an die Vorschriften halten, können Leute wie ich die Grenzen unbeschadet austesten sowie übertreten.

In den ersten Monaten wurde ich eingearbeitet, was im Grunde so aussah, daß ich irgendwo dabei saß und den Mitarbeiterinnen bei der Arbeit zuschaute. Das war zwar hin und wieder ganz interessant, meistens allerdings recht langweilig, weil man selber nichts tun konnte und durfte. Fragen wollte ich keine stellen, denn das hätte eh nichts gebracht. Aber dann ging es eines Tages richtig los und ich bekam mein eigenes Büro und meine eigenen Kunden. Ich war für die Hartz IV-Empfänger zuständig, die sich selbständig machen wollten und davon gab es sogar in G. nicht Wenige. Sie hatten mir ihr schriftliches Konzept zu präsentieren, in dem sie beschrieben, was sie zu tun gedachten und wenn jenes nicht völlig unverständlich und absurd anmutete, dann machte ich ihnen den Weg frei und sie konnten sich fortan in der staatlich geförderten Selbständigkeit ausprobieren. Klar, Viele von ihnen scheiterten, aber wenigstens hatten sie es versucht und bewiesen, daß sie sich nicht einfach gehen ließen, sondern hatten stattdessen Eigeninitiative gezeigt. In einer Stadt wie G. hat man es als Selbständiger nicht leicht, von daher gehörten sowohl Mut als auch Pioniergeist dazu, so etwas zu riskieren. Natürlich fragte ich mich nach dem 30. bewilligten Nagelstudio, ob man so viele in G. wirklich brauchte, aber wenn es die Nachfrage hergab, warum nicht? Ich lernte viele hochinteressante Leute kennen, über die ich später noch mehr erzählen werde, doch erst einmal wieder zurück zu mir und meiner persönlichen Situation: Am Anfang war es wirklich nicht leicht, dort anzukommen und sich wohl zu fühlen, denn meine neuen Kolleginnen hielten sich sehr zurück und schienen nicht allzu viel mit mir zu tun haben zu wollen. Kein Wunder, schließlich war ich für sie ein Fremdkörper, noch dazu einer, der die Fronten gewechselt hatte, von daher beäugten sie mich eher vorsichtig und mißtrauisch. Doch das änderte sich zum Glück mit der Zeit, alle wurden offener und fingen an mir zu vertrauen, sie gingen teilweise sogar so weit, mir ihre größten persönlichen Geheimnisse nahe zu bringen und das fand ich dann schon sehr bemerkenswert. Natürlich hatte das auch mit mir und meiner Persönlichkeit zu tun, denn ich gehörte zu denen, die gut zuhören konnten und so verwunderte es nicht weiter, daß ich mit der Zeit zu einer beliebten Anlaufstelle wurde, wo die Kolleginnen ihre Probleme loswerden konnten. Es passierte so viel in den letzten Monaten, daß ich überhaupt nicht weiß, wo genau ich eigentlich anfangen soll, doch eines vorneweg: Von Anfang an hatte ich mir vorgenommen, hinter die Fassaden zu blicken und meinen eigenen Weg im Amt zu gehen, ich wollte menschlich bleiben und meine Kunden genauso behandeln. Bisher ist mir das auch gelungen, denn die meisten von denen haben es so schon schwer genug, die brauchen moralische Unterstützung und aufbauende Worte und nicht noch jemanden, der ihnen Druck macht. So viele neue Leute habe ich kennengelernt und jede/r von denen hat eine spannende Lebensgeschichte zu erzählen. Natürlich kann ich hier nicht auf jede einzelne eingehen, aber die interessantesten und unterhaltsamsten werde ich selbstverständlich wiederaufbereiten, in der Hoffnung, daß diejenigen, welche glauben und behaupten, die Arbeitslosen wären selber schuld an ihrem Schicksal und hätten es nicht anders verdient, verstehen lernen, daß die Wahrheit eine völlig andere ist und man es sich wirklich nicht so leicht machen sollte.

Auf der anderen Seite möchte ich auch aufzeigen, wie die Bürokratie die Menschen lähmt und behindert und damit oft Flexibilität sowie vernünftige Lösungen verhindert. Ich bin mir darüber im Klaren, daß es sich bei meinen Darlegungen um eine höchst subjektive Sichtweise handelt, aber nichtsdestotrotz glaube ich, daß sie dabei helfen können, alles näher zu betrachten und genauer unter die Lupe zu nehmen. Ich rechne nicht mit Veränderungen oder gar Verbesserungen, möchte aber auf diesem Wege wenigstens einige Denkanstöße geben.

Der Mensch verschwindet hinter den Vorschriften. Ein Beispiel: Im Amt ist offenes Feuer nicht erlaubt, was zum Beispiel bedeutet, daß man bei einer internen Geburtstagsfeier keine Kerzen anzünden darf. Ich habe in meinem Büro ein kleines Teelicht stehen und brennen, was dazu führt, daß ich immer wieder darauf angesprochen werde, daß das doch eigentlich verboten wäre. Und was passiert? Natürlich nichts! Man wird dafür bewundert, wenn man sich nicht an die Vorschriften hält, aber das auch nur deshalb, weil die Anderen nicht den Mut dazu haben. Wer einmal in das Meer der Paragraphen eingetaucht ist, wird darin garantiert untergehen, denn dort zählt der Mensch als Lebewesen nicht mehr viel, sondern wird eher als unfähiger Parasit angesehen, welcher den Steuerzahlern auf der Tasche liegt, also quasi sich selbst, weil wir ja alle auf irgendeine Art und Weise Steuern zahlen. Als ich von einer guten Bekannten sprach, welche ein Kind erwartet und mit ihrem kambodschanischen Freund nach Deutschland zurückkehren möchte und mich erkundigte, wie es da sozialleistungsmäßig aussehen würde, bekam ich zu hören, daß es nicht so toll wäre, wenn die ganzen Schwarzen hierher geholt würden und dann mehr oder weniger auf Kosten der Deutschen hier lebten. Rassenhygieniker hätten an solchen Aussagen gewiß ihre Freude, aber auch die benachbarten Polen bekommen ihr Fett ab. Doch selbst wenn es um deutsche Studenten geht, die beispielsweise ein Urlaubssemester nehmen wollen und sich über dessen Finanzierung Gedanken machen, bekommt man zu hören, daß das eigentlich nicht vorgesehen wäre.

Das alles klingt schon mal ziemlich unangenehm, doch wenn sich die Angestellten persönlich angegriffen fühlen, dann kennen sie kein Erbarmen und schlagen gnadenlos zurück. Ein Arbeitsloser beschwerte sich mal bei einer Kollegin darüber, daß er vier Minuten habe warten müssen, er hatte um 15.30 Uhr einen Termin und wurde erst um 15.34 Uhr vorgelassen. Da konterte die sich attackiert fühlende Frau: „Wissen Sie, wie Sie in den vier Minuten eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung hätten finden können?“ Aber damit nicht genug. Es brodelte immer noch in ihr, weshalb sie versuchte, sich an ihm zu rächen, indem sie ihn zur Apfelernte verdonnerte, doch das klappte nicht, was sie sehr bedauerte. Ja, Mitarbeiter der Arge sind auch nur Menschen und keine Roboter, denen man alles an den Kopf knallen kann, aber wenn man das Gefühl haben muß, daß sie ihre Macht dazu mißbrauchen, um unliebsame Kunden zu schikanieren, dann hört da der Spaß natürlich ganz schnell auf. Allerdings sollte man sich nichts vormachen: Die Scheiße fließt immer von oben nach unten, was bedeutet, daß die Bundesregierung irgendetwas beschließt und das haben die Mitarbeiter der Arge umzusetzen und wenn es von oben halt zum Beispiel heißt, daß man auf die Arbeitslosen mehr Druck ausüben und sie härter sanktionieren müsse, dann geben die Angesprochenen den Druck natürlich weiter, weil sie ja selbst keinen Ärger mit ihrem Chef bekommen wollen.

Blöd an der ganzen Sache ist natürlich, daß es Statistiken gibt, welche angeblich belegen, daß dort, wo mehr sanktioniert wird, auch die Arbeitslosigkeit sinkt, was verständlicherweise dazu führt, daß das Beispiel Schule macht und fast alle glauben, das wäre die optimale Lösung. Aber wo es keine Arbeitsplätze gibt, da kann man sanktionieren soviel man will, das bringt überhaupt nichts.

Ich für meinen Teil habe es da etwas leichter, denn zu mir kommen ja nicht die Arbeitsunwilligen, sondern nur die, die sich selbständig machen wollen, von daher habe ich nicht den selben starken Sanktionsdruck wie meine Kolleginnen und außerdem rechne ich eh fast tagtäglich damit, entlassen zu werden, weil ich im Grunde viel zu wenig Ahnung von der ganzen Materie habe, als daß ich mich ernsthaft als kompetent bezeichnen könnte. In G. sind die meisten Bewohner dem Alkohol sehr zugeneigt, was auch daran liegen könnte, daß man diese Stadt nüchtern schlicht und einfach nicht ertragen kann. Mir selbst geht es da nicht viel anders, aber das bedeutet natürlich auch, daß es in G. sehr viele Alkoholiker und ähnliche Leute gibt, welche sich bei der Arbeitssuche deshalb oft sehr schwer tun und irgendwie fast nicht vermittelbar sind. Die brauchen auch Geld zum Überleben, setzen das dann jedoch meist sofort in Alkohol und ähnliche Sachen um. Was dagegen tun? Wegschauen, zuschauen oder draufhauen? Schwierig zu beantworten, denn hinter jedem Alkoholiker verbirgt sich schließlich ein persönliches Schicksal, das man nicht aus den Augen verlieren sollte. Außerdem gibt es unter ihnen auch Viele, die sich mit ihrer Situation arrangiert haben, beziehungsweise gar nicht wollen, daß man ihnen hilft oder etwas an ihrer Situation verändert. Da stellt sich dann zwangsläufig die Frage nach dem Selbstbestimmungsrecht und dem freien Willen des Einzelnen. Vielleicht sind diese Leute ja glücklich und zufrieden mit ihrem Leben, wer würde es wagen, das Gegenteil zu behaupten? Wir können das doch überhaupt nicht einschätzen, denn wir befinden uns in einer ganz anderen Lebenssituation und nur weil wir glauben, daß diese Menschen unsere Hilfe brauchen, heißt das noch lange nicht, daß dem auch so sein muß. Deshalb machen wir ihnen lediglich Angebote und sie können dann entscheiden, ob sie jene annehmen oder nicht. So sollte es jedenfalls sein, leider sieht die Realität nicht immer genauso aus.

Arbeitslosigkeit ist kein Verbrechen und Arbeit macht ganz bestimmt nicht frei. Oft schaut es eher so aus, daß diejenigen, die Arbeit haben, gerne mehr Freizeit hätten und die, die keine Arbeit haben, gerne auf einen Teil ihrer freien Zeit verzichten würden, wenn man ihnen eine Aufgabe geben würde. Da liegt die Lösung quasi auf der Hand, denn wenn die Einen statt 40 nur 20 Stunden in der Woche arbeiten würden, dann könnten die Anderen auch 20 Stunden malochen. Was in der Theorie recht einfach klingt, hält dem Praxistest leider nicht stand. Kein Arbeitgeber hat ein Interesse daran, für zwei statt einer Person Sozialabgaben zu entrichten, da läßt er lieber seinen Arbeitnehmer Überstunden machen bis es kracht. Außerdem würden die Arbeitenden dann ja auch nur noch die Hälfte von dem verdienen, was sie vorher hatten und daran haben die wiederum keinerlei Interesse. Von daher mutiert dieser viel versprechende Ansatz alsbald zu einer Totgeburt.

Was aber tun, um den sozialen Frieden im Land nicht zu gefährden? Gib dem Affen Zucker? Immer wieder hört und liest man von Millionengehältern oder enormen Abfindungen und Pensionen für Manager, Banker und Politiker. Da kocht der Volkszorn schnell hoch, weshalb man denen da unten auch ein paar Krümel hinschmeißen muß, damit die nicht aufbegehren und rebellieren. Wer arbeitet und sieht, was vom Bruttogehalt alles abgezogen wird und wie viel dann am Ende davon netto übrig bleibt, schüttelt verwundert den Kopf und versteht die Welt nicht mehr. Andererseits muß so ein Sozialstaat selbstverständlich auch finanziert werden, von daher hat das alles schon eine gewisse Berechtigung. Ungerecht finden es jedoch sehr viele Leute, daß diejenigen, welche ihr ganzes Leben lang Sozialbeiträge gezahlt haben, am Ende genauso viel bekommen wie die anderen Arbeitslosen, die vielleicht noch nie in ihrem Leben gearbeitet haben. Daran scheiden sich die Geister und doch zeigt die Komplexität der Thematik in erster Linie Folgendes: Arbeitslosigkeit ist ein Schicksal, das jede/n ereilen kann, im Grunde ist fast niemand davor gefeit und deshalb sollte man sich gut überlegen, was man selbst dazu und darüber sagt, denn es kann sehr leicht passieren, daß man sonst eines Tages mit den eigenen unbedachten Äußerungen konfrontiert wird und dann nicht mehr weiß, wie man aus der Bredouille, in die man sich selbst hineingeritten hat, wieder herauskommt. Zu mir ins Büro kommen jedenfalls etliche Menschen, die nicht gedacht hätten, daß es sie auch mal erwischen könnte, wieder Andere haben selbst gekündigt, weil sie es in ihrem Job nicht mehr ausgehalten haben, doch eines haben sie gemeinsam: Sie sind mit einer neuen, oft ungewohnten Lebenssituation konfrontiert und brauchen erst mal Zeit und Unterstützung, um wieder zurechtzukommen. Deshalb wäre es angebracht, wenn man ihnen das Gefühl gibt, daß sie es schaffen können und daß man ihnen so gut es geht helfen wird, die neuen Herausforderungen zu meistern.

So wie überall gibt es natürlich auch in jedem Hilfesystem Leute, welche jenes ausnutzen, um einen Vorteil daraus zu ziehen, doch das ist einfach unvermeidlich, weshalb man es nicht überbewerten darf, da sonst wieder einmal die Ehrlichen die Dummen sind. Nichtsdestotrotz sollte versucht werden, den Mißbrauch so weit wie möglich einzudämmen, aber auch die Arbeitslosen sind oft nicht dumm und wissen schon, was sie tun und sagen müssen, um das zu bekommen, was sie haben wollen. Die Welt in ihrer Komplexität zu begreifen, fällt oftmals nicht leicht, doch wenn man sich das Einzelne genauer anschaut, dann versteht man oft, was dahinter steckt.

Nun aber wieder zurück in die wunderbare Welt der Arbeitsvermittler, wo zum Beispiel folgende Aussprüche zu hören sind: „Wenn jemand das alles hier aufnehmen würde, dann würde man uns alle feuern.“ Das sagt doch schon Einiges über die Selbsteinschätzung der Beteiligten aus und für mich als Doppelagentin, Maulwurf und Spionin ist so ein Satz natürlich eine Ermutigung und Bestätigung, denn auch ich sehe die Gefahr, immer mehr vom System verschluckt zu werden, mich zu sehr anzupassen und irgendwann genauso zu werden wie all die Anderen auch. So kann man beispielsweise an der BA studieren und bekommt dafür monatlich auch noch 1000 Euro überwiesen, wovon alle anderen Studenten selbstverständlich nur träumen können. Aber so funktioniert es halt, denn weil nicht viele Leute diese Arbeit bei der Agentur toll finden, muß man sie natürlich locken, was in unserer Gesellschaft mit Geld nach wie vor am besten funktioniert. „Durch Zwang Chancen eröffnen“, lautet einer der tollen Leitsprüche im Amt und als ich den zum ersten Mal hörte, da wurde mir richtig schlecht. Aber die meinen das dort tatsächlich so. Sicherlich gibt es Menschen auf der Erde, die man zu ihrem Glück buchstäblich zwingen muß, da sie ansonsten nie etwas auf die Reihe kriegen und auch nicht glücklich werden, aber wenn dieses Motto für alle Arbeitslosen gelten soll, dann liegt in der Arge Einiges im Argen. Woher nehmen wir uns das Recht, zu bestimmen, was andere Menschen zu tun und zu lassen haben? Klar, da kommen jetzt gleich wieder die Besserwisser angeschissen und verweisen darauf, daß die Arbeitslosen ja quasi von der Agentur bezahlt werden und jener deshalb auch zur Verfügung stehen müssen, so wie die Arbeitnehmer ihrem Arbeitgeber. Jedoch handelt es sich beim erstgenannten Fall um einen Hungerlohn, wenngleich viele Arbeitgeber auch nicht so viel mehr bezahlen und außerdem braucht jeder Mensch in einem kapitalistischen System Geld zum Überleben. „Fordern und Fördern“, ist ja auch so ein schlauer Spruch und da kommen einem zum Beispiel diese Bildungsgutscheine in den Sinn, mit denen man dann irgendwo eine Ausbildung oder sowas in der Art beginnen kann. Alles manchmal gut gedacht, allerdings sehr oft schlecht gemacht, denn in manchen Fällen haut die Agentur die Kohle sinnlos zum Fenster raus, während sie in anderen knausert. Zurück in die Amtswelt, wo alles so öde, langweilig und banal ist, daß man gleich angeredet wird, wenn man mal ein Buch mit in den Raucherraum bringt. „Liest Du?“ „Nein, ich tu nur so.“ „Ach so.“ Dort ist alles gleich ein Riesending, weil alle so in ihrer Aktenwelt verstauben, daß sie froh über alles sind, was nicht mit der Arbeit zu tun hat. Über die Kundschaft wird natürlich ebenfalls richtig abgelästert, denn irgendwie muß man sich ja abreagieren. Dabei scheinen viele Lästermäuler oft und gerne zu vergessen, daß auch sie selbst auf der anderen Seite stehen könnten und ob sie dann so das Maul aufreißen würden, sei einmal dahingestellt. Zugegeben, manche Kunden können wirklich anstrengend sein und nerven, aber das ist noch lange kein Grund, zu vergessen, daß es sich bei ihnen um Menschen handelt und laut Grundgesetz ist die Würde des Menschen unantastbar, von daher sollte man sich da vielleicht doch ein wenig zurückhalten, denn ich glaube kaum, daß die Vermittler es gerne hätten, wenn man über sie so reden würde, wären sie arbeitslos. Gut, man kann nun entgegnen, daß die Arbeitslosen bestimmt auch über die Mitarbeiter der Arge herziehen, aber das ist dann doch etwas Anderes, da jene am längeren Hebel sitzen und Sanktionen verhängen können, wohingegen die Leistungsempfänger von ihnen und ihrem Wohlwollen abhängig sind. Damit wären wir dann endlich auch beim Thema Macht angelangt. Macht kaputt? Wohl kaum, denn wer etwas braucht, der ist nicht frei und niemand gesteht sich gerne ein, von irgendjemandem abhängig zu sein. Arbeitslos zu sein bedeutet ein schweres Los und nicht Wenige ertragen das nicht und bringen sich um. Aber das stört nicht Viele wirklich, da auf diese Art und Weise wieder ein Maul weniger gestopft werden muß. Da sitzen sich also zwei Menschen in einem Büro gegenüber, die sich erst einmal nur darin unterscheiden, daß der Eine von ihnen einen Job hat und der Andere nicht. Ist deswegen der Letztere ein schlechterer Mensch? Grundsätzlich natürlich nicht, doch wenn man manche Leute so reden hört, die sich über die stinkfaulen Hartz IV-Empfänger echauffieren, welche angeblich den ganzen Tag nur saufen, fernsehen und vögeln, dann gewinnt man schon den Eindruck, daß da auch ein bißchen Neid mit im Spiel ist. Die meisten Personen, die einen Job haben, wollen zwar nicht mit den Arbeitslosen tauschen, aber irgendwie stinkt es ihnen schon, daß sie in der Früh aufstehen und malochen müssen, während die Leistungsempfänger ihren Rausch ausschlafen können. Doch abgesehen davon, daß das Leben als Arbeitsloser bestimmt kein Zuckerschlecken ist, sollte man ebenfalls nicht darüber hinwegsehen, daß die Arbeitnehmer sich auch viel mehr leisten können, wenn sie nicht gerade schamlos ausgebeutet werden, was heutzutage wieder sehr in Mode gekommen zu sein scheint. Wenn man also über Macht spricht, dann muß man auf alle Fälle die da oben erwähnen, die oberen Zehntausend oder Hunderttausend, die sich das ganze Vermögen untereinander aufgeteilt haben und keinen Sinn darin sehen, etwas davon abzugeben. Ganz oben stehen die Milliardäre, die tun und lassen können was sie wollen, wenn sie nicht gerade in russischen Knästen sitzen und dann gibt es da ja auch noch jede Menge Millionäre, die ihr Leben ebenfalls genießen können. Aber oft sind diese Leute gar nicht wirklich glücklich, nichtsdestotrotz halten sie die Fäden in der Hand, denn in den meisten Fällen handelt es sich bei ihnen um die Arbeitgeber. Auch wir im DLZ sind darauf angewiesen, daß sich immer wieder Arbeitgeber finden, die bereit sind, Arbeitnehmer einzustellen, ansonsten wären auch wir arbeitslos. Genauso problematisch wäre es auf der anderen Seite, wenn alle Leute Arbeit hätten, denn dann hätten wir auch nichts zu tun und uns praktisch selbst überflüssig gemacht. Genau darin besteht die eigentliche Perversion des Systems: Wir dürfen bei der Arbeitsvermittlung nicht erfolglos, aber auch ja nicht zu erfolgreich sein, da wir sonst den Ast absägen, auf dem wir sitzen. Alles nicht ganz so einfach, genauso wie zum Beispiel im Gesundheitssystem. Kein Arzt hat ein Interesse daran, daß es nur noch gesunde Menschen gibt, denn das wäre sein beruflicher Untergang. Ganz schön verzwickt und auch die Pharmaindustrie will nicht wirklich, daß ihre Pillen helfen, weil sonst irgendwann keiner mehr welche kauft. Wie auch immer, das mit der Macht und der Verantwortung bleibt ein zweischneidiges Schwert. Die Arbeitslosen stehen irgendwie auf der untersten Stufe und bekommen natürlich den Druck von allen Seiten ab. Doch es gibt da auch diejenigen, die behaupten, uns würde es einfach allen viel zu gut gehen, was dazu führt, daß wir überhaupt keine Lust darauf haben zu arbeiten, weil man mit einem schlecht bezahlten Job finanziell auch nicht viel besser dasteht, womit die Lebensqualität im Vergleich zur Arbeitslosigkeit ganz schön sinkt. Alles nicht ganz von der Hand zu weisen, doch in erster Linie geht es darum, Licht ins Dunkel zu bringen.

In mein Büro kommen Menschen, die sich mit der Arbeitslosigkeit nicht abfinden wollen, was bedeutet, daß diese Leute meistens schon ein wenig motivierter als der gemeine Leistungsempfänger sind. Selbstverständlich gibt es auch unter ihnen schwarze Schafe, die genau wissen, daß ihr Konzept nicht funktionieren wird und die einfach nur die Gelder einkassieren wollen, aber das nur am Rande. Ich unterhalte mich gerne mit meinen Kunden, weil die sehr oft eine ziemlich interessante Lebensgeschichte zu erzählen haben und so ein bißchen Farbe in den sonst doch ziemlich eintönigen Büroalltag bringen. Man lernt sehr viel über die Menschen und erfährt manchmal die tollsten Sachen, jedoch muß ich natürlich zugeben, daß auch ich nicht ganz ohne Tricks arbeite, um ein bißchen was aus meinen Selbständigen in spe herauszukitzeln. Ich schreibe sie nämlich an und teile ihnen im in der Agentur üblichen Beamtenjargon mit, daß ich gerne mal mit ihnen über ihre Selbständigkeit sprechen möchte, was häufig dazu führt, daß sich die Leute im Vorfeld des Gesprächs jede Menge Gedanken und Sorgen machen, was ich denn von ihnen wollen könnte. Wenn sie mir dann gegenübersitzen und recht schnell merken, daß ich sie einfach nur kennenlernen und ein bißchen mit ihnen plaudern möchte, dann sind sie oft so erleichtert, daß sie alles Mögliche über sich und ihr Leben erzählen, was sie normalerweise nie preisgegeben hätten. Zugegeben, nicht ganz koscher, das Ganze und in gewisser Weise auch ein Machtmißbrauch, aber so sind wir Menschen halt mal. Im Amt haben wir natürlich auch Zugriff auf die ganzen Daten und Profile der bei uns registrierten Arbeitslosen und daß man das ausnutzt und sich anschaut, was denn die Ex-Freundin so macht, liegt natürlich auf der Hand. "Gelegenheit macht Diebe", heißt es schließlich nicht umsonst. Wir sind alle keine Engel und irgendwie muß man sich den öden Job ja interessant machen. Ach ja und da gibt es dann ja auch noch diese tollen Benimmregeln. Theoretisch dürfte man nichts über Amtsinterna nach draußen dringen lassen, aber daran hält sich eigentlich niemand, denn über was sollten wir sonst reden, schließlich ist unsere Arbeit das halbe Leben. In der Straßenbahn zum Beispiel sollen wir uns nicht über das DLZ beschweren, denn das würde die Öffentlichkeit verstören. Lauter solche tollen Vorschriften gibt es und daß die Bürokratie in Deutschland erfunden worden ist, scheint ja wohl auf der Hand zu liegen. Dann gibt es da ja auch noch den Vorwurf, daß sich die Bürokraten in gewisser Weise nur selbst verwalten, aber das mag vielleicht auf die Hauptzentrale der Agentur in Nürnberg zutreffen, wir in G. haben genug Arbeitslose, die es zu betreuen gilt. So sind beispielsweise die Fallmanager für die besonders schweren Fälle zuständig, zum Beispiel für Alkoholiker, Kiffer und solche Zeitgenossen. Ich dagegen begleite leistungsbereite Arbeitslose in die Selbständigkeit und das ist dann schon eher etwas Aufbauendes, auch wenn natürlich von vornherein klar ist, daß es die Meisten von denen auf dem freien Markt nicht leicht haben werden. Nichtsdestotrotz versuchen sie es wenigstens und allein das ist schon sehr lobenswert. Am Mittwoch ist Büroalltag, da kommt normalerweise keine Kundschaft zu mir, weshalb ich mich an jenem Tag meist sehr langweile, weil ich nicht weiß was ich machen soll und im Grunde unterfordert bin. Am Donnerstag müssen wir bis 18 Uhr bleiben, da gibt sich die Kundschaft, die wir natürlich herbestellt haben, die Klinke in die Hand. Aber das Tolle in so einem Amt ist ja, daß man viele Stunden mit den Kolleginnen verquatschen kann, ohne daß sich jemand daran stört. Was für ein phantastisches Leben!

Kommen wir nun wieder zu etwas Abstrakterem, nämlich der so genannten Nationalitätenpsychologie. Jene betrachtet die einzelnen Völker und Kulturen recht differenziert und analysiert sie tiefgehend. Beim deutschen Volk stellt sich das etwas schwierig dar, denn nach dem Zweiten Weltkrieg gab es recht bald sowohl die amerikanischen als auch die russischen Deutschen und die wurden von ihren Besatzern jeweils sehr stark beeinflußt. Doch wenn man sich die Deutschen mal ohne diese Manipulationen genauer anschaut, dann erkennt man recht schnell, daß es sich bei ihnen um ein sehr autoritätshöriges Volk handelt, das Befehle gerne befolgt und ausführt, was man ja in den zwölf Jahren zwischen 1933 und 1945 sehr gut beobachten konnte. Die Deutschen als solche gehören nicht gerade zu den rebellierenden Völkern, 1989 war da die Ausnahme, sondern leben viel lieber unter einem Kaiser, König oder Diktator, weil sie da die Verantwortung abgeben und die Schuld weiterschieben können. Grundsätzlich kann man die Deutschen als eher sachliches, nüchternes (dabei geht es nicht um den Alkoholkonsum), ernstes, korrektes, vielleicht sogar pedantisches Volk bezeichnen. Alles muß seine Ordnung haben, Recht und Gesetz spielen eine entscheidende Rolle. Man erkennt das auch daran, wie ein Land im Sport auftritt, die letzten Fußballweltmeisterschaften waren da die Ausnahme, doch früher gewannen die Deutschen ihre Spiele wegen ihres Kampfes und ihrer Disziplin. Das Bild der deutschen Panzer, die erbarmungslos voranrollen, wurde auf der ganzen Welt zum Sinnbild der Kampfkraft dieses mitteleuropäischen Volkes. Auch eine gewisse Zwanghaftigkeit kann man den Deutschen nicht absprechen, bei ihnen muß immer alles ganz genau sein, was einem dann besonders auffällt, wenn man irgendeinen Antrag für ein Amt auszufüllen hat. Die Deutschen lieben natürlich auch das gesellige Beisammensein und die Gemütlichkeit, sie sind nicht offen emotional, sondern eher zurückhaltend, was ihre Gefühle angeht. Pünktlichkeit spielt eine wichtige Rolle, auch wenn die Deutsche Bahn in diesem Punkt nicht immer überzeugend abschneidet. Selbst so etwas wie soziale Gerechtigkeit zählt zu den zentralen Themen, doch wenn es um die Umsetzung geht, dann gehen die Meinungen weit auseinander. „Sozial ist, was Arbeit schafft“, meinte dazu vor einigen Jahren eine große konservative Volkspartei, wozu einem Abgeordneten der Sozialdemokraten nur einfiel, der Spruch erinnere ihn an den Nazi-Slogan „Arbeit macht frei“. Daraufhin war die Empörung natürlich mal wieder groß und das ist auch irgendwie typisch deutsch. Über die Vergangenheit wird nicht gerne geredet, insbesondere nicht über die zwölf Jahre unter Führer Hitler, welche von einer ganzen Generation in den Orkus der Verdrängung und Vergessenheit geschickt wurden. Leistungsbereitschaft und Ehrgeiz zeichnen das deutsche Volk aus, es geht um Pflichterfüllung, ganz im Gegensatz zum Beispiel zu den Südeuropäern, bei denen die Lebensfreude doch auch eine entscheidende Rolle spielt. Nicht umsonst wurden die Deutschen schon des Öfteren mit Robotern und Kampfmaschinen verglichen. Man kann also erkennen, daß sich jedes Volk sein eigenes System schafft, wenn es nicht gerade einen Weltkrieg angezettelt und verloren hat, doch im Vergleich zum amerikanischen Kapitalismus geht es in Deutschland noch relativ gemäßigt zu. Und damit wären wir auch schon bei einer entscheidenden Sache angelangt: Wenn man über den eigenen Tellerrand hinausschaut, andere Völker betrachtet und deren Sozialsystem unter die Lupe nimmt, dann erkennt man recht schnell, was man hat.

Niemand würde behaupten, daß der deutsche Sozialstaat der Beste der Welt wäre, aber im Vergleich mit den anderen Nationen schneiden wir dann doch nicht so schlecht ab, wie wir uns vielleicht gerne einreden würden. Nicht umsonst versuchen viele Flüchtlinge nach Deutschland zu gelangen und auch so genießt das deutsche Sozialsystem weltweit einen sehr guten Ruf. Was ist davon zu halten? Nun ja, in anderen Ländern legt man halt zum Beispiel viel mehr Wert auf Eigenverantwortung, wie zum Beispiel in den USA oder Großbritannien. Anderswo, wie in Schweden, ist der Sozialstaat noch besser ausgebaut, aber das hat natürlich alles sehr viel mit den Völkern, deren Geschichte, Kultur und Weltanschauung zu tun. Man vergleicht natürlich immer gerne damit, wie es früher war und da muß man dann schon zugeben, daß die Arbeitslosen unter Bundeskanzler Kohl finanziell besser dastanden und auch nicht so schikaniert wurden. Zur Wahrheit gehört aber auch, daß es so sowieso nicht weitergegangen wäre, eine schwarz-gelbe Regierung hätte zweifellos etwas Ähnliches wie Hartz IV in die Welt gesetzt, zum Beispiel Biedenkopf III oder sowas in der Art. Die soziale Hängematte war Ende der 90er Jahre ziemlich ausgeleiert und mußte deshalb neu geknüpft werden. Da kann man den Unmut in der Bevölkerung natürlich durchaus nachvollziehen, denn was man gehabt hat, das will man behalten und nicht vermissen. Das Wort Reform sorgt bei vielen Deutschen allein bei seiner Nennung schon für einen Hautausschlag, denn Reformen bedeuten fast immer eine Verschlechterung, ganz gleich ob im Gesundheitswesen oder auf dem Arbeitsmarkt. Allerdings muß man den Politikern zugute halten, daß sie wenigstens was gemacht haben, denn daß es so wie bisher nicht mehr weitergehen konnte, war allen Experten klar gewesen. Allerdings zeigte sich vor einigen Jahren recht schnell, in welche Richtung der Zug fahren sollte, nämlich aufs soziale Abstellgleis. Die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe wurde in fast allen politischen Lagern befürwortet, jedoch hatte man nicht unbedingt damit gerechnet gehabt, daß man als gemeinsame Meßlatte den Sozialhilfesatz hernehmen würde, noch dazu, da es sich seinerzeit um eine rot-grüne Bundesregierung handelte. Zusätzlich wurde die Zeitarbeit mehr oder weniger gepusht und das führte zu den Zuständen und Problemen, mit denen wir heute zu kämpfen haben. Man möge mich bitte nicht falsch verstehen; wenn ich ein Arbeitgeber wäre, dann hätte ich auch keine Lust darauf, meine Arbeitnehmer bezahlen zu müssen, auch wenn ich gerade nichts für sie zu tun habe, aber es geht bei der ganzen Angelegenheit eben auch darum, abzuwägen und die Interessen der Arbeitnehmer ebenso zu berücksichtigen. Man kann alles begründen und aus wirtschaftlicher Sicht macht Vieles Sinn, jedoch hat man in Deutschland das Gefühl, daß es nur noch darum geht, die Wirtschaft zu fördern und die Arbeitenden sowie die Arbeitslosen zu fordern und ob das der Weg zum Glück sein kann und wird, das sei einmal dahingestellt. Wenn die Armen eines Tages nichts mehr zu verlieren haben, dann werden sie sich erheben und für alles rächen, was man ihnen angetan hat. Noch schweigen sie, weil sie gerade so über die Runden kommen und sich mit ihrer prekären Situation irgendwie arrangiert haben, aber das heißt nicht, daß es immer so sein wird. Die Kinder von vielen Hartz IV-Empfängern stellen sich schon sehr früh darauf ein, später ebenfalls zu den Arbeitslosen zu zählen und das sollte allen Politikern sehr zu denken geben, denn wenn die intrinsische Motivation bereits am Anfang des Lebens fehlt, dann weiß man, was man von den Leuten später zu erwarten hat.

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