Kitabı oku: «Schatten der Anderwelt», sayfa 4

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Norbert stand einen Moment still und konzentrierte sich. Die lauernde, dämonische Gegenwart war überall. Norbert spürte einen Druck im Kopf, als würde ihm der Schädel zusammengepresst. Er meinte, kaum atmen zu können. Schweiß brach ihm aus. Um was auch immer es sich handeln mochte, dieses Anderweltwesen war zu stark für ihn! Wie konnte er gegen etwas kämpfen, geschweige denn, es zurück in die Anderwelt bannen, das ihm derart zusetzte, noch bevor er es überhaupt ausmachen konnte?

Die Worte des Meisters kamen ihm in den Sinn: Ich lasse mich niemals auf eine Begegnung ein, bevor ich nicht genau weiß, worum es sich handelt!

Er musste dem Ratsherrn absagen. Alles andere wäre mörderischer Wahnsinn.

Elmar ging an dem ausgestopften Bären vorbei und öffnete die Tür zur Linken.

Drinnen schrie ein Mann auf jemanden ein: „Lüge! Du bist nur vergesslich, das ist alles! Wozu kritzelst du ständig in deine Bücher, wenn du dir die einfachsten Dinge nicht merken kannst? Natürlich habe ich noch Ländereien!“

„Herr...,“ beschwichtigte eine gequälte Stimme, aber der Aufgebrachte schrie weiter:

„Das Landgut bei Kloster Schwarzach!“

„Ihr habt es voriges Jahr an den Schwarzacher Orden verkauft, Herr.“

„Unmöglich, du irrst dich!“

„Herr...“

„Himmeldonnerwetter nochmal! Dann geh eben zu Ansgar Winterfels und borge noch einmal zweihundert Goldtaler von ihm. Sag ihm, ich zahle sie innerhalb von zwei Wochen zurück.“

„Herr, der Ratsherr Winterfels hat mir schon letzten Monat geantwortet, Ihr schuldet ihm 2700 Goldtaler und er werde Euch nichts mehr leihen, bevor Ihr ihm nicht zumindest einen Anteil zurückgezahlt habt!“

„Bei allen Höllenteufeln! Rede halt etwas geschickter mit ihm! Erzähl ihm irgendwas! Schmier' ihm Honig um den Bart, wozu hast du all deinen Schulkram gelernt? Leier ihm das Geld aus den Rippen! Raus! Fort mit dir! Mach dich endlich mal nützlich, du Zahlenkrakler!“

Elmar war während der gebrüllten Auseinandersetzung still in den Raum getreten. Norbert schaute rasch durch die offene Tür auf der gegenüberliegenden Seite. Ein schmaler Gang führte auf einen Erker. Gegenüber dem Erker befand sich eine weitere Tür. Norbert schärfte seine Sinne. Auch im Gang dasselbe drohende Gefühl. Das gesamte Stockwerk war erfüllt von der ungreifbaren jenseitigen Bedrohung.

Aus der linken Tür stolperte Konrad heraus. Sein Blick flackerte wie der eines Irren. Er raufte sich die schütteren Haare, während er durch die Flügeltür stolperte. Norbert ging hinüber und trat durch die Tür. Er riss sich zusammen, versuchte, ein gefasstes Gesicht zu machen und richtete sich gerade auf.

Standleuchter erhellten ein holzgetäfeltes Zimmer. Unter dem Fenster waren Bücher unordentlich über einen Tisch verteilt. Daneben stand ein Schreibpult. Andere Bücher lagen und standen in Regalen an den Wänden. An der Rückwand stand eine geöffnete Eisenkiste. Sie schien leer zu sein. Daneben lag ein Bild mit zerbrochenem Rahmen zwischen den Scherben einer Vase auf den Dielen. Es zeigte das Konterfei desselben Mannes, der mit zornrotem Kopf im Lehnstuhl vor dem Kamin saß. Elmar verbeugte sich.

„Der junge Anwärter auf die Nachfolgerschaft des Anton Dreyfuß!“

Der Mittvierziger im Lehnstuhl hatte schulterlanges, glatt gekämmtes blondes Haar. Er trug einen von einer Goldkette zusammengehaltenen schwarzen Umhang mit Pelzkragen über einer kurzen Jacke mit breitem Gürtel und eng anliegenden Hosen. Am Gürtel trug er einen Dolch mit verziertem Griff. Er saß zurückgelehnt mit geschlossenen Augen, wie um durchzuatmen. Als Norbert vortrat, wandte er ihm den Kopf zu. Norbert machte eine kurze, deutliche Verbeugung, wie er es sich von Dreyfuß abgeguckt hatte. Der Ratsherr kniff die Augen zusammen.

„Und was bringt ausgerechnet dich dazu, mir heute auch noch auf den Nerven rumzutrampeln?“

Norbert ließ sich nicht ins Bockshorn jagen: „Vielleicht kann ich Euch von einem Problem befreien. Ich bin gekommen, um die Geistererscheinung, die Euer Haus heimsucht, zu...“ Schnell verbesserte er sich: „Um zu prüfen, ob ich sie bannen kann. Wenn es Euch recht ist,“ ergänzte er.

Ich sage ihm, ich muss erst herausfinden, um was es sich handelt, dann schaue ich mich nochmal kurz um und sage ihm ab.

„Wer hat dir davon erzählt?“ schnappte der Hausherr.

Verzweifelt suchte Norbert in seinem Kopf nach einer Antwort.

Mit einer Verbeugung soufflierte Elmar: „Der junge Nachfolger des Herrn Dreyfuß hat es von seinem Lehrer erfahren, den Ihr in dieser Angelegenheit herbestellt hattet. Ihr wurdet Euch seinerzeit nicht einig mit dem Herrn Dreyfuß.“

Dieser Kammerdiener hatte es offenbar faustdick hinter den Ohren, stellte Norbert überrascht fest. Der Ratsherr nickte grimmig. Sein Blick fiel auf Norberts Schwert, dann auf seine Ledermontur.

„Da sind Blutflecken auf deiner Lederjacke. Du scheinst nicht bloß hinterm Ofen zu hocken und gelehrten Kram aus Büchern in deinen Kopf hineinzustopfen.“

Norberts Trotz war herausgefordert: „Vor ein paar Tagen war ich im Gornwald, wo ich von einem Hexer magische Formeln geholt habe, die mein Meister gebraucht hätte. Ich hab mich da rausgekämpft aus der Wohnung des Hexers. Ich bin gerade noch rechtzeitig zurückgekommen, um die Banshee zu bannen, die das Feuer in der Unterstadt entfacht hat.“

Warum lachte der angebliche Ratsherr so schallend? Dieses Haus war Norbert ein einziges Rätsel.

„Er hat Zaubersprüche geraubt für seinen Herrn! Mit Waffengewalt!“ johlte der Hausherr. „Großartig. Elmar, du bringst mir den Richtigen!“

Es klang boshaft.

Der Ratsherr wurde wieder ernst: „Gut. Wie viel willst du dafür haben, mein Haus von diesem Spuk zu befreien?“

„Also... zwei Goldtaler,“ sagte Norbert aufs Geratewohl. „Aber vorher...“

„Zwei Goldtaler, um diesen Teufel auszutreiben?“ unterbrach ihn der Ratsherr. „Ich gebe dir zwanzig, wenn es dir gelingt.“

Elmar ächzte. Norbert fuhr zusammen. Zwanzig Goldtaler! Genau die Summe, die er brauchte, um beim Burgschmied in die Lehre zu gehen! Der Gornwald, die Jagdwaffen waren vergessen. Er konnte diesen Auftrag nicht ablehnen. Es musste ihm gelingen! Norbert verneigte sich.

„Ja, gut. Ich mache das – Herr,“ fügte er schnell an.

Immer vergaß er diese Höflichkeitsfloskeln. Aber der Hausherr schien ohnehin wenig Wert darauf zu legen.

Der Ratsherr blickte ihn streng an: „Unter einer Bedingung: keine Fragen!“

Die Sache wurde immer problematischer.

Norbert hörte sich sagen: „Wie Ihr wollt. Aber ich muss mich im Haus umsehen dürfen.“

Der Ratsherr sank in den Lehnstuhl zurück und blickte ins Kaminfeuer.

„Tu, was du zu tun hast. Ich werde wohl meinen Anteil dazutun müssen.“

„Ja, das hat Anton Dreyfuß zu allen gesagt, von denen er einen Auftrag angenommen hat,“ erinnerte sich Norbert. „Aber zuerst muss ich herausfinden, um was es sich handelt. Dann kann ich Euch sagen, was Ihr tun müsst.“

„Ich vermute, ich weiß es schon,“ murmelte der Hausherr bitter.

Norbert verneigte sich mit dem starken Gefühl, einen fatalen Fehler zu machen. Doch er hatte sich entschieden.

Der Ratsherr wandte sich an Elmar: „Bring mir Wein herauf. Hohenfelser Lornufer, den guten Jahrgang.“

Der Diener verneigte sich. „Euer bester Wein. Es sind nur noch zwei Flaschen davon da.“

„Genau. Bring mir beide.“

Elmar seufzte. Der Ratsherr machte eine wegwischende Geste zum Zeichen, dass das Gespräch beendet war.

Beim Hinausgehen stieß Norbert beinahe mit dem Ordensbruder zusammen, der unbemerkt in der Tür erschienen war. Der beleibte, kleine Mönch trat mit einer kurzen Verbeugung zur Seite.

„Darf ich dem ehrenwerten Herrn Ratsherrn von den heutigen Lernerfolgen seines Sohnes berichten?“

Norbert trat in die Mitte des von dem ausgestopften Bärenungetüm beherrschten Raums und versuchte, sich auf die jenseitige Bedrohung zu konzentrieren, die er überall spürte. Elmar blieb abwartend an der Flügeltür stehen. Er nahm die Dienerpose ein, die Norbert an einen traurigen Vogel erinnerte. Doch bei dem Geschrei aus dem Kabinett war an Konzentration nicht zu denken.

„Lernerfolge! Was glaubst du, was mich das Lesegestotter des großohrigen Rotzlöffels interessiert? Ob er sich das gelehrte Gequassel, das du in ihn hineinprügelst, merkt, oder nicht, ist mir egal!“

„Ich wollte den ehrenwerten Herrn Ratsherrn nur daran erinnern, das mir das vereinbarte Lehrergehalt des heutigen Tages noch nicht ausgezahlt worden ist.“

Das Brüllen steigerte sich zur Raserei: „Damit kommst du mir! Werde ich irgendwann einmal Ruhe haben vor euch Plagegeistern! Ihr seid schlimmer als der Höllenspuk in diesem Haus!“

Die Stimme des Mönchs blieb ruhig: „Es ist nur so, dass mir seit zwei Wochen kein Lehrergehalt ausgezahlt worden ist.“

„Dann machen ein, zwei weitere Tage ja wohl auch keinen Unterschied mehr! Heiliger Himmel! Komm morgen wieder. Morgen früh soll dir alles ausgezahlt werden.“

„Sehr gerne, Herr Ratsherr. Ich werde mir erlauben, den ehrenwerten Herrn Ratsherrn morgen daran zu erinnern.“

Der Mönch kam aus dem Kabinett und durchquerte mit gemessenen Schritten die Flügeltür in Richtung Treppenhaus. Sein blasses Gesicht zeigte keinerlei Regung.

„Morgen,“ hörte Norbert den Ratsherrn murmeln. „Wenn die Sonne aufgeht...“

Stille kehrte ein. Nur eine Frauenstimme weinte im gegenüberliegenden Raum hinter der Flügeltür. Norbert konzentrierte sich erneut. Er kämpfte gegen den lähmenden Horror an, der ihn überfiel. Da war das kaum beherrschbare Gefühl, von einem zum Sprung ansetzenden Raubtier fixiert zu werden. Irgendwo hallte grollendes Röcheln. Norbert murmelte einen Bannzauber und öffnete zugleich sein Bewusstsein, um zu sehen, was es war, das hier von drüben herüberdringen wollte. Da war ein Atemhauch unmittelbar an seinem Ohr. Tiefes Grollen - bestialischer Gestank wollte ihm die Sinne rauben.

„Rhe!“

Er riss das Schwert heraus und fuhr herum. Die Klinge leuchtete hell. An der Tür stieß Elmar ein Stoßgebet hervor.

Nichts zeigte sich. Norbert wusste, dass es in unmittelbarer Nähe war, aber er konnte es nirgends verorten.

Heftig atmend stand er mit vorgehaltenem Schwert und erwartete den Angriff aus dem Nichts. Es kam kein Angriff. Norbert zwang sich, sich auf das Diesseits zu konzentrieren, um nicht unversehens hinübergezogen zu werden von dem unsichtbaren Feind. Als nichts geschah, steckte er das Schwert wieder in die Scheide. Schweißperlen standen ihm auf der Stirn.

Ich kann immer noch gehen. Ich kann einfach weggehen. Ich muss hier nicht sterben!

Er riss sich zusammen.

Zu Elmar sagte er: „Ich muss mich umsehen. Ich muss herausfinden, wo das herkommt – diese Anderwelterscheinung. Dann kann ich sie vielleicht bannen.“

Der Diener hob schicksalsergeben die Schultern. Er sagte nichts, aber es war ihm anzusehen, dass er überall lieber wäre, als in diesem heimgesuchten Stockwerk.

Drüben im Kabinett war das Bild des Ratsherrn von der Wand gefallen, überlegte Norbert. Es hatte eine Bodenvase zerschmettert. Aber Norbert mochte nicht dorthin zurückgehen, so lange der Hausherr dort saß. Eine besondere Anwesenheit – außer der ungreifbaren, feindlichen Gegenwart, die überall zu spüren war, hatte er im Kabinett nicht bemerkt. Sie wäre ihm aufgefallen.

Er betrat den schmalen Gang auf der rechten Seite. Flackernde Wandkerzen verbreiteten unruhiges Licht. Die getünchten Wände waren kahl. Im Erker stand eine Figur aus glattem Stein. Sie zeigte einen nackten Jungen in vorgebeugter Haltung. Er stützte sich mit der linken Hand auf sein Knie, in der anderen hielt er am ausgestreckten Arm eine Scheibe oder einen Teller nach hinten von sich weg. Das Standbild ergab keinen Sinn, fand Norbert. Elmar war ihm unauffällig gefolgt.

„Der Diskuswerfer,“ erklärte er.

Norbert wusste nicht, was ein Diskuswerfer war und er hatte keine Lust, nachzufragen. Vorsichtig drückte er die Klinke der Tür gegenüber vom Erker hinunter. Sie war unverschlossen. Vor dem Fenster an der Seitenwand eines hohen Zimmers lag schwarz die Nacht. Ein Standleuchter neben der Tür warf unruhiges Licht in den Raum. Die Kerzen auf dem eisernen Deckenleuchter waren nicht entzündet. Unter dem Fenster stand eine Kommode, an der gegenüberliegenden Wand eine eisenbeschlagene Truhe und auf der linken Seite gegenüber dem Fenster ein großer Wandschrank. Zwischen den Möbelstücken hingen Wandteppiche. Sie schienen Jagdszenen zu zeigen. Der Leuchter stand dicht bei der Tür neben dem Wandschrank, so dass der hintere Raumbereich, wo die Truhe stand, im Schatten lag. Was sich in den dunklen Raumecken links und rechts von der Truhe befand, war nicht zu erkennen.

Die Truhe! Im fahlen, jenseitigen Licht, das sie umgab, konnte Norbert die schwere Truhe deutlich in der Finsternis erkennen. Ein Gefühl wie von tastenden Fingern rieselte ihm den Rücken herunter. Die Kerze auf dem Leuchter flackerte in einem plötzlichen eisigen Windhauch. Das Licht tanzte auf den Wandteppichen. Es sah aus, als wehten sie im Wind. Norbert trat auf den Gang hinaus und schloss die Tür. Er hatte gesehen, was er gesucht hatte.

„Was ist in der Truhe?“

„Keine Fragen!“ donnerte die Stimme des Hausherrn vom anderen Ende des Gangs her.

Norbert biss sich auf die Lippen. Es musste auch so gehen. Er ging durch den Gang zurück in den Raum mit der Flügeltür. Neben dem Bären stand der Ratsherr, angefletscht von dem ausgestopften Ungetüm. Sein brennender Blick begegnete Norbert. Norbert holte Luft und trat auf ihn zu. Sein Herz klopfte wie wild.

Will ich das? Soll ich das wirklich tun?

Zum Hausherrn hörte er sich sagen: „Ich muss mich vorbereiten. Es wäre besser, wenn nachher kein anderer mehr in diesem Stockwerk ist. Es könnte lebensgefährlich werden.“

Der Ratsherr nickte grimmig.

„Ja, das wird es wohl,“ murmelte er. „Tu, was du zu tun hast.“

Den Diener blaffte er an: „Den Wein, Elmar!“

„Sehr wohl, Herr. Ich eile.“

Aber Elmar folgte Norbert doch nur mit langsamen Schritten durch die Flügeltür.

Im vorderen Raum rang die Hausherrin mit von Tränen benetztem Gesicht die Hände.

„Was ist mit Hartmut? Was hat er, Elmar?“ weinte sie. „Was ist denn geschehen?“

Sie richtete ihren entsetzten Blick auf Norbert.

„Und was will dieser bewaffnete Schurke hier? Wer schickt ihn? Oh Elmar, ich spüre, dass etwas Schreckliches passieren wird!“

„Alles ist gut, gnädige Frau, macht Euch keine Sorgen,“ sagte der Diener im Vorbeigehen. „Der gnädige Herr ist wohlauf. Die schweren Geschäfte nehmen ihn sehr in Anspruch. Geht nur unbesorgt zu Bett. Ich richte Millie aus, sie möchte Euch einen Baldriantee zur Nacht bringen.“

Verzweifelt starrte die verhärmte Frau dem Diener und Norbert nach.

„Heilige Mutter von Altenweil,“ betete sie mit bebender Stimme. „Heilige Mutter, beschütze uns.“

***

Während sie durchs Treppenhaus hinuntergingen, raunte Elmar: „Jene Truhe im Erkerzimmer ist die alte Reisekiste des gnädigen Herrn aus der Zeit seiner, ähm,“ er räusperte sich, „Handelsreisen.“

In der dunklen Küche entzündete der Diener eine Kerze. Er blickte Norbert mit seinem traurigen Vogelgesicht an.

„Gutes Gelingen, junger Herr! Von der Dienerschaft wird über Nacht niemand im Haus sein. Sie alle und auch meine Wenigkeit verbringen die Nacht bis Tagesanbruch im Nebengebäude. Um die gnädige Frau mach dir keine Gedanken. Sie ist nervenkrank. Sie wird in ihrem Schlafzimmer bleiben. Der gnädige Herr wird, wenn ich nicht irre, noch eine Zeitlang im Kabinett verweilen und sich dem Wein widmen. Möglich, dass er geruht, dort in Schlaf zu fallen.“

Der Diener ließ Norbert allein, um dem Ratsherrn den Wein zu bringen.

Norbert setzte sich an den Küchentisch, stützte den Kopf in die Hände und starrte ins Kerzenlicht. Auf was hatte er sich da eingelassen! Jetzt wäre der Moment günstig, zu gehen – zur Tür hinaus über den Hof auf den Platz hinaus, den verruchten Ort hinter sich zu lassen, unverletzt und am Leben! Aber er brauchte das Geld! Auf welche andere Weise hätte er es sich verdienen können?

Er schloss die Augen. Um die Anderwelterscheinung aus dem Diesseits zu verbannen, musste er sie dazu bringen, sich zu... zeigen, oder so ähnlich. Dreyfuß hatte für alle diese Dinge andere, gelehrte Worte gehabt, die Norbert sich nicht merken konnte. Aber das wichtige war, es durchführen zu können, nicht, es erklären zu können. Wenn Norbert die wirkliche Gestalt – oder so ähnlich - der Geistererscheinung erkannte, konnte er hoffentlich herausfinden, was sie ans Diesseits fesselte. Und dann konnte er sie vertreiben – für eine Weile, hoffte er. Und schließlich konnte er den Hausbewohnern erklären, hoffentlich, was sie tun mussten, um die Ursache für die Heimsuchung zu beheben, damit sie nicht wiederkam. So hatte Dreyfuß es immer gemacht.

Dreyfuß hatte vor einem solchen Ex..., Exor..., Norbert konnte sich das Wort nicht merken – vor einer solchen Geisteraustreibung alle möglichen Hinweise darauf gesammelt, worum es sich handeln könnte. Auch die nebensächlichste Beobachtung konnte wichtig sein, um auf die richtige Spur zu kommen, hatte er immer betont. Wenn man erst einmal im Kampf war mit was auch immer es war, dann war es überlebenswichtig, so viel darüber zu wissen wie möglich. Was hatte Norbert also an Hinweisen erfahren? Da war diese alte Truhe. Melanie hatte einmal heimlich mit dem Sohn des Ratsherrn hineingeschaut. Sie hatte ihm gesagt, was darin lag. Er hatte es sich nicht gemerkt. Was hatte er noch herausgefunden? Sein Kopf war leer. Er konnte das nicht, was Dreyfuß „recherchieren“ nannte. Er war unter Siedlern im Wald aufgewachsen. Er hatte nie eine Schule besucht. Recherchieren, das war das Wort! Aber das half ihm auch nicht weiter.

Seufzend stand er auf. Vor dem Küchenfenster lag die Nacht. Gegenüber im Fenster des Nebengebäudes brannte Licht. Die Dienstleute waren anscheinend nicht schlafen gegangen. Vermutlich saßen sie da drüben, wo sie sich in Sicherheit wähnten, und warteten darauf, wie das Ganze ausgehen würde. Norbert war es recht. Im Herrenhaus wären sie ihm nur im Weg gewesen. Dreyfuß hatte den Hausbewohnern immer streng verboten, auch nur in die Nähe einer Geisteraustreibung zu kommen.

Die Stille wurde von dumpfem Poltern unterbrochen, wie wenn oben im Haus ein schwerer Gegenstand zu Boden stürzte. Stiefelschritte hallten auf den Dielen.

Es ging los. Norbert holte tief Luft und schloss für einen Moment die Augen.

Stern meiner Geburt, steh mir bei!

Er löschte die Kerze, ging auf den Gang hinaus und schloss leise die Küchentür hinter sich. Mit einem Zauberspruch ließ er magisches Licht aufleuchten. Er wollte die Stiege zum Hochparterre hinaufsteigen, als er ein Knarren von der Küche her hörte. Leise ging er zurück und legte das Ohr an die Tür. Tatsächlich, es war das Knarren einer Tür - der Küchentür, der einzigen anderen Tür, die in die Küche führte. Geflüster drang aus der Küche hinüber. Das Dienstpersonal hatte offenbar doch nicht vor, die Sache im Nebengebäude abzuwarten. Sie hatten ihn nur glauben machen wollen, sie würden nicht im Haus sein! Vielleicht hatten sie auch nur vermeiden wollen, dass er ihnen Fragen stellte. Norbert richtete er sich auf. Langsam, die Hand am Schwertgriff, ging er den Gang entlang zur Stiege. In diesem Haus waren alle verrückt! Es war ein Irrenhaus - ein von dämonischen Mächten heimgesuchtes Irrenhaus.

***

Die Kerzen im Hochparterre waren noch nicht heruntergebrannt und Norbert benötigte kein magisches Licht. Vor dem Heiligenbild in der Halle kniete die Hohenwarterin. Mit wiegendem Oberkörper und gefalteten Händen murmelte sie Gebete. Als Norbert durch die Halle schritt, fuhr sie zusammen und starrte ihm mit von Entsetzen verzerrten Gesichtszügen nach. Norbert versuchte, sie nicht zu beachten.

Im ersten Stock öffnete Norbert vorsichtig die Tür zum Kaminzimmer. Sehr wachsam und konzentriert trat er durch die Tür, die Hand am Schwertgriff, bereit, sofort einen Bannzauber zu wirken. Das Bild über dem Kamin war herabgestürzt und lag mit zerbrochenem Rahmen am Boden. Die Kerzen auf den Leuchtern neben dem Kamin flackerten in einem kalten Luftzug. Eisige Finger tasteten Norbert übers Gesicht, krochen ihm den Rücken herunter. Ein hohles Stöhnen drang wie von weit her an seine Ohren. Es hatte ihn bemerkt. Es wusste, dass er kam. Und sehr wahrscheinlich wusste es auch, wozu.

Hinter der Flügeltür knarrten schwere Schritte auf den Dielen, begleitet von einem Klirren, das Norbert nicht deuten konnte, weil er keine Stiefelsporen kannte.

Im Raum hinter der Flügeltür war niemand. Der ausgestopfte Bär gähnte verloren ins Leere. Die Tür zum Kabinett war geschlossen. Mit geschärften Sinnen trat Norbert durch die Doppeltür. Ein Hauch fuhr seine Wange entlang. Hohles Kreischen hallte durch das Stockwerk. In einem plötzlichen Windstoß erloschen die Kerzen. Norbert riss das Schwert aus der Scheide. Mit vorgehaltenem Schwert blieb er stehen. Mit aller Macht versuchte er, seinen Atem zu kontrollieren. Sein Puls raste. Die Schwertklinge strahlte hell auf. Schatten schienen im Raum zu tanzen.

Nicht ablenken lassen! Weiter! Zu spät, zu fliehen! Geh weiter!

Magisches Licht hervorzubringen hätte ihm nur die Konzentration geraubt. Auf alles gefasst, mit allen Sinnen auf jegliche noch so kleine Regung in der Dunkelheit achtend ging er weiter. Jeden Moment erwartete er den Angriff.

Da war es! Kehliges Grollen eines Raubtiers unmittelbar an seinem Ohr, übler Brodem eines aufgerissenen Mauls.

Er wirbelte herum, schrie den Bannzauber heraus: „Rhe!“

Sein Schwert blitzte auf. Scharfer Schmerz in seiner linken Schulter. Er fühlte warmes Blut herabrinnen. Im selben Atemzug schlug er zu. Ein krachender Lichtblitz leuchtete im Dunkeln auf.

Stille. Nichts war zu hören, außer Norberts eigenem, heftigem Atem, dem Pochen des Bluts in seinen Schläfen. Für den Moment hatte er es vertrieben, mit dem magischen Schwert und dem Bannzauber. Aber es konnte jeden Moment erneut losschlagen. Vorsichtig bewegte er die linke Schulter, dann den Arm, die Hand. Außer brennenden Schulterschmerzen war alles in Ordnung. Nur ein Kratzer! Die Lederjacke war zerfetzt, aber sie hatte das meiste abgefangen. Er ignorierte das in den Ärmel herabrinnende Blut und konzentrierte sich erneut auf seine Aufgabe.

Nicht nachdenken, du bekommst sonst Panik. Weiter! Weiter durch den Gang in den Raum gegenüber dem Erker, zur Truhe! Dort kannst du es stellen!

Vorsichtig, mit hellwachen Sinnen einen Fuß vor den anderen setzend, ging er mit vorgehaltenem Schwert voran. In der Tür zum Gang tanzte ein fahles Licht. Ein blutiges Schwert schwebte mitten in der Luft. Blut tropfte auf die Schwelle.

Nicht ablenken lassen! Geh weiter!

Die Erscheinung verschwand.

Im kalten, strahlenden Licht der Schwertklinge warfen alle Dinge unruhige Schatten durch den Raum. Durch die Fenster sickerte fahles nächtliches Halblicht. Von weit her drang Röcheln an Norberts Ohren wie von einem Sterbenden. Er trat über die Schwelle in den Gang. Das Röcheln wurde zum Brüllen. Ein heftiger Windstoß fuhr Norbert entgegen, steigerte sich zum Sturm. Fensterscheiben klirrten. Mit aller Macht stemmte Norbert sich gegen den Sturmwind, um nicht von den Füßen gerissen zu werden. Das Leuchten seiner Schwertklinge flackerte, als wollte es erlöschen.

„Rhe!“

Unendlich langsam schob er sich gegen den Sturm den Gang entlang. Es war, als müsse er eine unmögliche Steigung erklimmen. Der Sturm wollte ihm den Atem rauben. Norbert konzentrierte sich auf den Bannzauber. Um ihn her brüllte, orgelte die Luft.

Er hatte keinen Gedanken mehr, als: weiter! Geh weiter! Kämpfe es nieder!

Vor der Tür gegenüber dem Erker hörte der Sturm urplötzlich auf. Norbert stolperte vornüber und musste sich an der Wand abstützen. Sofort hatte er sich wieder gesammelt. Seine Schwerthand zitterte. Er versuchte, es zu ignorieren.

Das alles ist nur Vorspiel gewesen, nur Ablenkung. Jetzt beginnt der Kampf!

Und da war niemand, der ihm beistehen konnte.

Umkehren kam nicht in Frage. Er biss die Zähne zusammen, konzentrierte sich und öffnete die Tür.

Dunkelheit. Um die Truhe an der gegenüberliegenden Wand glühte blaues Anderweltleuchten. Vorsichtig betrat Norbert den Raum. Seine Nerven waren zum Zerreißen gespannt.

Ein scharfer Knall. Die Fensterscheiben explodierten. Die Luft war voller Glassplitter. Sie bohrten sich in Norberts Ledermontur, rissen ihm Hände und Gesicht auf. Stechender Schmerz raubte ihm die Konzentration.

Meine Augen!

Er spürte Panik von der Brust durch die Kehle aufsteigen. Überall im Gesicht und in seinen Händen brannten Schmerzen. Im nächsten Augenblick hatte er sich wieder unter Kontrolle. Er öffnete die zusammengepressten Augen.

Den Sternen sei Dank – sie waren unversehrt.

Blut rann ihm übers Gesicht.

Das blaue Licht um die Truhe wuchs. Norbert konzentrierte sich auf einen Beschwörungszauber.

Wolfsgrollen unmittelbar neben ihm ließ ihn aufmerken.

Lonnie!

Die Wölfin stand neben ihm, zum Sprung geduckt, mit aufgerissenem Rachen und hochgezogenen Lefzen. Mit gelb glühenden Augen knurrte sie ihn an. Ihr Nackenhaar war gesträubt.

„Lonnie, was...“

Weiter kam er nicht. Die Wölfin sprang ihn an mit heulend aufgerissenem Rachen. Die Wucht, mit der sie sich ihm gegen die Brust warf, ließ ihn zur Seite taumeln. Es kam völlig unerwartet. Er schaffte es nicht, das Schwert hochzureißen. Ein dumpfer Schlag unmittelbar neben ihm. Die Dielen zitterten. Wo er eben noch gestanden hatte, rammte sich der eiserne Deckenleuchter in die Dielen. Er war mitten durch die Geisterwölfin hindurch gefallen. Norbert wäre tot gewesen.

Einem Moment stand er mit geschlossenen Augen und flatterndem Atem, am ganzen Körper zitternd. Er konnte keinen klaren Gedanken fassen.

Das schaffe ich nicht, es ist zu stark! Das bringt mich um! Ich habe es gleich gewusst! Stern meiner Geburt, hilf mir, lass mich hier heil wieder rauskommen!

Die Wölfin knurrte an seiner Seite. Kleine Schmerzschläge jagten ihm durchs Bein, als sie sich gegen seinen Oberschenkel presste. Es reichte, um ihn zur Besinnung zu bringen.

Reiß dich zusammen oder du stirbst! Es wird nur stärker, wenn du der Angst nachgibst!

Seine Konzentration war wieder da. Er richtete sich auf, ignorierte die Schmerzen und öffnete die Augen erneut. Neben ihm grollte die Wölfin mit drohend hochgezogenen Lefzen die Truhe an. Ihre gelben Augen glühten. Auf der Truhe kauerte eine Gestalt im blauen Licht. Sie hielt sich schützend den Arm vors Gesicht, als wollte sie etwas abwehren. Ein brüllender Windstoß von der Truhe her wirbelte Glassplitter durch den Raum. Norbert achtete nicht auf die umherfliegenden Splitter. Es ging um Leben und Tod. Mit aller Willensmacht zwang er den Sturm nieder. Es wurde still. Er sprach die Beschwörungsformel.

Die Gestalt bei der Truhe stolperte schreiend mit vorgehaltenen Armen zurück: „Nein, Nein, nicht!“

Der nächtliche Raum war nicht mehr da. Um Norbert breitete sich eine grasbewachsene Ebene unter grauem Wolkenhimmel. Er spürte kühle, klare Luft. Vor ihm mitten auf dem Karrenpfad stolperte der junge Mann, den Norbert auf der Truhe hocken gesehen hatte, vor einem anderen zurück, der Norbert den Rücken zugekehrt hatte. Beide trugen lederne Reisejacken und hohe, schlammige Stiefel. Der Norbert den Rücken zugekehrt hatte, riss sein Schwert aus der Gürtelschlaufe. Der andere hob entsetzt die Arme.

„Nein, Nein, nicht!“

Sein Hilfeschrei erstickte gurgelnd, als das Schwert ihm auf Arme und Kopf herabfuhr. Sein Haarschopf klaffte blutig auseinander. Er sackte mit verdrehten Gliedern zu Boden, das Gesicht ertrank in einer Blutlache, die schnell größer wurde. Der andere schlug kein zweites Mal zu. Mit gesenktem Schwert stand er vor dem Erschlagenen und beobachtete dessen letzte Zuckungen.

Die Stimme eines Mannes erklang hinter Norberts Rücken: „Er ist tot. Du hast ihn ermordet, Hartmut!“

Der Angesprochene drehte sich um. Das blonde Haar hing ihm in schmutzigen Strähnen ins Gesicht. Er deutete mit dem blutigen Schwert auf jemanden hinter Norbert.

„Ja, er ist tot. Jetzt müssen nur wir beide uns noch einig werden, Ulf!“

Die Stimme in Norberts Rücken keuchte.

„Alles gut, Hartmut, alles gut!“ Schwer atmend redete sie weiter: „Es gehört alles dir. Du hast ohnehin den Löwenanteil der Dreckarbeit erledigt. Es ist alles deins. In Ordnung?“

Der Mörder senkte das Schwert. Unerbittlich blickte er an Norbert vorbei dem anderen entgegen.

„Mach, dass du verschwindest, Ulf, bevor ich bereue, dass ich dich ziehen lasse!“

In Norberts Rücken schnaubte ein Pferd.

„Wenn wir uns eines Tages wiedersehen,“ erklang die Männerstimme, „dann wird alles sehr anders sein als jetzt, Hartmut!“

Pferdeschnauben, Hufgetrappel entfernte sich. Der Mörder blickte dem davon Reitenden mit verkniffenem Gesicht nach. Die Vision verschwand.

Das dunkle Zimmer war wieder da, die Schmerzen, das Blut. Norbert musste es sich aus der Stirn wischen, damit es ihm nicht in die Augen rann. Brennender Schmerz durchfuhr seine Schulter, als er den Arm bewegte.

Die Gestalt des jungen Straßenräubers auf der Truhe hielt die Arme vor ihren blutig zerspaltenen Kopf, als wollte sie die Wölfin abwehren, die zum Sprung angesetzt der Erscheinung entgegen grollte.

Lonnie hält ihn in Schach! Wir haben ihn!

Seit gestern wusste Norbert, dass der Ritualgesang des schwarzen Hexers auf Untote dieselbe Wirkung hatte, wie Dreyfuß‘ komplizierte Apparate und Bannrituale: er konnte sie aus dem Diesseits verbannen. Norbert nahm alle Kraft zusammen, die er noch hatte, und stimmte den Ritualgesang an. Die Erscheinung gab ein Kreischen von sich. Norbert spürte den verzweifelten, wütenden Willen, der gegen seinen eigenen ankämpfte, sich ans Diesseits klammerte. Norberts Körper zitterte vor Erschöpfung. Die Sicht begann ihm zu verschwimmen. Dennoch spürte er, wie der Bannzauber begann, seine Kraft zu entfalten. Es war, als würde der Untote fort gesogen ins blaue Licht.

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