Kitabı oku: «Kranichtod»

Yazı tipi:

Kranichtod

Impressum

Personenverzeichnis

Prolog

Linthdorfs Wochenende

Gut Lankenhorst

Die Stifter

Die Weiße Frau

Unverhoffte Entwicklungen

Der Einsiedler

Im Dunstkreis des Bösen

Das Grauen kehrt zurück

Noch mehr Verwicklungen

Der Schrei des Hechts

Kranichland

Regulas Fluch

Familiengeheimnisse

Etwas Licht ins Dunkel

Die Geistersiedlung

Jäger und Gejagte

Blutgeld

Epilog

Über den Autor

Thomas L. Viernau

Kranichtod

Linthdorfs 2. Fall

Kriminalroman

XOXO Verlag

Impressum

Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.de abrufbar.

Print-ISBN: 978-3-96752-011-8

E-Book-ISBN: 978-3-96752-511-3

© 2020 XOXO Verlag

Umschlaggestaltung: Grit Richter

Coverbild: Thomas L. Viernau

Buchsatz:

Alfons Th. Seeboth

Hergestellt in Bremen, Germany (EU)

XOXO Verlag ein IMPRINT

der EISERMANN MEDIA GMBH

Gröpelinger Heerstr. 149

28237 Bremen

Alle im Roman vorkommenden Personen sind rein fiktiv. Sollte es zufällige Ähnlichkeiten mit lebenden Personen geben, so ist das nicht beabsichtigt.

Personenverzeichnis

In Potsdam:

Theo Linthdorf, KHK beim LKA Potsdam

Dr. Nägelein, Kriminaloberrat, Dienststellenleiter im LKA Potsdam

Regina Pepperkorn, Profilerin (operative Fallanalytikerin)

Dr. Knipphase, Kriminaloberrat, BKA-Mitarbeiter

Auf Gut Lankenhorst:

Baron Rochus von Quappendorff, pensionierter Lehrer, Leiter des Vereins »Kultur-Gut Lankenhorst e.V. «

Rolf Bertram Leuchtenbein, Archivar und engster Vertrauter des Barons

Gunhild Praskowiak, Kulturaktivistin und Mitarbeiterin des Barons

Meinrad Zwiebel, Hausmeister und Parkgärtner

Mechthild Zwiebel, Ehefrau von Meinrad, Mitarbeiterin im Verein

Im Umfeld des Gutes – der Stiftungsrat:

Irmingard Hopf, geb. von Quappendorff, älteste Tochter des Barons

Clara-Louise Marheincke, geb. von Quappendorff, jüngste Tochter des Barons

Lutger von Quappendorff, Neffe des Barons, Investment-Manager

Gernot Hülpenbecker, Filialleiter der Märkischen Bank Oranienburg

Im weiteren Umfeld des Gutes:

Felix Verschau, Einsiedler und Maler

Roderich Boedefeldt, Dorfpolizist in Linum

Professor Dr. Horst Rudolf Diestelmeyer, Ornithologe und Hobbyangler

Weitere Personen:

Freddy Krespel, Fotograf, Freund von Linthdorf

Louise Elverdink, Kriminalhauptkommissarin aus Brandenburg/Havel

Matthias Mohr, Kriminaloberkommissar bei der Kripo in Eberswalde

Aldo Colli, Steuerfahnder aus Berlin

Dipl.Kfm. Müller, Meier, Schulze – alle drei stellv. Filialleiter der Märkischen Bank in Oranienburg

Rudi Wespenkötter – Wilddieb und Fallensteller

Alle im Roman vorkommenden Personen sind rein fiktiv. Sollte es zufällige Ähnlichkeiten mit lebenden Personen geben, so ist das nicht beabsichtigt.

Prolog

Kraniche


... gelten als Glücksbringer. Ihr etwas heiseres, melancholisches Trompeten erfüllt jedes Jahr im Herbst und im Frühling die Luft über den weiten Ebenen der Mark Brandenburg.

Über 70.000 Kraniche werden inzwischen wieder auf den Landeplätzen im Havelländischen Luch, der Prignitz, im Rhinluch, den Niederungen an der Oder und den Sumpfwiesen an Elbe und Elster gezählt.

Die Großvögel sind ausgesprochen scheu. Glücklich kann sich derjenige schätzen, der den Tanz der stolzen Vögel schon einmal beobachten konnte.

In den letzten Jahren hat ein regelrechter Kranichtourismus eingesetzt. An den Rastplätzen der Kraniche kann man im Spätherbst zahlreiche Autos mit den verschiedensten Kennzeichen stehen sehen. Mit gebührendem Respekt nähern sich die Kranichfreunde ihren Lieblingen mit Teleobjektiven und Feldstechern.

Die Gemeinden haben viele ehemals landwirtschaftlich genutzte Flächen zu Landegebieten für die Zugvögel erklärt und so ideale Rastplätze für die Kraniche geschaffen. Kranichgucken ist inzwischen eine Art Volkssport geworden. Niemanden würde es einfallen, diese schönen Tiere zu ärgern oder gar zu jagen ...

Im Linumer Bruch

Sonntag, 15. Oktober 2006


Dieser Morgen schien einen der typischen Herbsttage hier im Luch zu gebären. Dichter Nebel hatte sich auf die Wiesen und Felder gelegt und eine undurchsichtige Welt geschaffen, in der Geräusche und Schatten dominierten. Vom Boden stieg eine feuchte Kühle auf, die alles durchdrang.

Mitten auf der großen Wiese vor der alten Eisenbrücke über den Alten Rhin konnte man zwei Schatten erkennen. Nur langsam bewegten sich die beiden Schatten vorwärts. Der Nebel schien die Bewegung zu schlucken. Nach ein paar Minuten wurden die Schatten zu den dunkel umrissenen Konturen zweier Männer. Ein etwas größerer, hagerer Mann im Parka und mit einem Schlapphut und ein untersetzter, kleiner Mann in einer karierten Wolljacke mit Kapuze stapften auf einem nur wenigen Naturfreunden bekannten Trampelpfad durchs Luch. Sie schienen in eine lebhafte Unterhaltung vertieft. Der dichte Nebel schluckte ihre Stimmen, aber die heftigen Armbewegungen ließen nur diesen Schluss zu.

Über der Nebelbank war ein Klangteppich aus einer überirdischen Welt zu vernehmen. Langgezogene, seltsam melancholische Töne, unterbrochen von schrillen Pfiffen. Pausen schien dieses Engelsorchester nicht zu kennen, dennoch war ein unverkennbarer Rhythmus in dieser Klangwelt auszumachen. Die beiden Gestalten im Nebel schienen den Klängen zu folgen. Einer der beiden hatte ein geheimnisvolles Kästchen an einem Gurtband umgehängt und eine etwas sperrige Antennenkonstruktion in seiner rechten Hand, mit der er sich langsam drehte und so die Richtung bestimmte.

Zielstrebig bewegten sich die beiden Schatten durch den Nebel zu den Engelsstimmen. Etwas schien die Aufmerksamkeit der beiden von dem Konzert abzulenken. Der hagere Mann eilte auf eine Stelle zu, die wie durch ein Wunder, vom Nebel verschont worden war.

Was er dort sah, ließ ihn erstarren. Sein etwas kleinerer Begleiter war inzwischen ebenfalls herangekommen. Der musste sich gleich wegdrehen. Das, was sich da auf dem Wiesenboden bot, ließ ihn sich übergeben.

Auf einer Fläche von vielleicht acht mal acht Metern lagen die Kadaver mehrerer Kraniche. Allen war der Hals mit einem scharfen Messer durchtrennt worden. Überall waren Blut und Federn. Es musste ein grässliches Gemetzel gewesen sein. Die Tiere hatten nicht fliehen können, denn ihre Beine hatten sich in ausgelegten Schlingen verfangen. In ihrer Todesangst hatten sie sich gegenseitig behindert und verletzt. Der hagere Mann holte seine Kamera hervor und fotografierte stillschweigend die Details des entsetzlichen Blutbads.

Erschüttert schaute er auf seinen kalkweiß gewordenen Partner. Wer machte denn so etwas? Diese Vögel wurden von allen Menschen gemocht. Sie taten niemandem etwas zuleide und ihre Gesänge verbreiteten eine ganz spezielle Art von Glücksgefühlen. Und dann so etwas!

Die beiden Wanderer sahen sich kurz an. Ein stilles Einverständnis schien sich da zwischen den beiden Männern einzustellen. Dieser Frevel musste publik gemacht und diejenigen, die dafür verantwortlich waren, einer gerechten Strafe zugeführt werden.

Langsam trotteten die zwei davon, beladen mit einer unsichtbaren Last, die ihnen Energie entzog und sich in ihre Seele fraß.

Linthdorfs Wochenende

Etwas Erstaunliches über wachsame Kraniche

Bereits bei den alten Griechen taucht der Kranich als besonders wachsames und kluges Tier auf. Er wird oft mit einem Steinchen im Schnabel dargestellt. Das Steinchen soll ihn daran hindern, zu trompeten und so die Aufmerksamkeit von bösen Räubern, wie etwa dem Adler, auf sich zu lenken.

Bei den Römern hatte dieser alte Mythos des »wachsamen Kranichs«, auf Lateinisch »Grus Vigilans«, ihn zum Symbol der römischen Tugenden »Vigilantia« (militärische Vorsicht), »Prudentia« (vernünftiges Handeln), »Perseverantia« (Beharrlichkeit) und »Custodia« (Sorgfalt) werden lassen.

Auf altrömischen Bildmotiven erscheint nun der Kranich mit einem Stein in der angezogenen Kralle. Sollte er einschlafen, würde er sofort vom Geräusch des herabfallenden Steins geweckt werden. Ein Motiv, das bis ins Mittelalter fort lebte. Viele Häuser und Burgen hatten solche Kranichbilder am Giebel oder am Portalbogen, um so die Wachsamkeit der Bewohner anzudeuten. In Otterndorf, einem kleinen Städtchen an der Nordseeküste, steht das »Kranichhaus«, an dessen Giebel folgender Spruch erhalten geblieben ist:

Der Kranich hält den Stein,

des Schlafs sich zu erwehren.

Wer sich dem Schlaf ergibt,

kommt nie zu Gut und Ehren.

Der Theologe Ambrosius, der auch als einer der wichtigsten Kirchenväter gilt, verwies in seinen Schriften auf das Gleichnis des wachsamen Kranichs für die Furcht vor Gott zum Schutz gegen Sünde und Teufelswerk. Das Fallen des Steins habe demnach eine ähnliche Wirkung wie das Läuten der Kirchenglocken. Die Menschen sollten sich Ambrosius zufolge mehr an den Kranichen orientieren und deren Sozialverhalten kopieren, wobei die Stärkeren die Schwächeren unterstützen müssten, ganz so, wie er es bei den Kranichen beobachtet hatte.

I

Linumer Teiche

Sonnabend, 21. Oktober 2006


Die Fahrt ins Linumer Bruch hatte Linthdorf schon lange geplant. Jedes Jahr fuhr er mindestens drei bis vier Mal hierher. Nicht nur die unzähligen Vögel am Himmel und auf den Feldern hatten es ihm angetan. Er liebte diese kurze Zeitspanne des Jahres, in welcher der Herbst noch einmal alle Reserven mobilisierte und eine Farbenpracht entwickelte, die von einem ganz besonderen Reiz war. Linthdorf war passionierter Hobbyfotograf. Zusammen mit seinem alten Freund Freddy Krespel und seinen beiden Söhnen, die inzwischen auch mit kleinen Digitalkameras ausgerüstet waren, zog es ihn die weiten Ebenen der brandenburgischen Luche. Ein spezieller Höhepunkt dieser Herbstausflüge war das Kranichgucken.

Irgendwann vor sieben oder acht Jahren war er auf diese eleganten Flieger aufmerksam geworden. Dicht über ihm waren ein paar Kraniche in einem großen Bogen eingeschwebt und dann mit wenigen Flügelschlägen auf der Wiese nur knapp fünfzig Meter vor ihm gelandet. Linthdorf fühlte sich plötzlich eigenartig glücklich und zufrieden. Als ob ihm eine schwere Last von der Seele fiel. Minutenlang beobachtete er den Tanz der großen Vögel. Er wusste, dass diese kurzen Augenblicke etwas besonders Seltenes waren. Normalerweise kam man an die scheuen Tiere nur auf eine Distanz von etwa dreihundert Metern heran. Die Kraniche achteten sorgsam darauf, dass dieser Sicherheitsabstand eingehalten wurde. Kam man näher, flogen sie davon. Aber irgendwie schien an diesem späten Nachmittag alles anders gewesen zu sein.

Vielleicht hatten sie ihn nicht bemerkt. Linthdorf maß stattliche Zwei Meter und war auch sonst nicht zu übersehen. Mit seinem breitkrempigen Hut und dem schwarzen Mantel sah er aus wie eine riesige Vogelscheuche. Möglicherweise fühlten sie sich jedoch nicht von diesem Riesen bedroht und ignorierten deshalb seine Anwesenheit. Er hatte jedenfalls seitdem schon öfters darüber nachgedacht, wieso sie ihn nicht bemerkt hatten und nahm es schließlich als eine besondere Gunst des Schicksals hin. Seitdem begann sich Linthdorf für diese Tiere intensiv zu interessieren. Mit seinem Interesse hatte er auch seine beiden Jungs und seinen Freund Freddy angesteckt.

Sie freuten sich im März auf die ersten zurückkehrenden Kraniche aus dem Süden und speziell auf die Wochen des Sammelns im Herbst. Dann trafen sich hier in den Luchgebieten Brandenburgs die Kraniche aus Skandinavien, dem Baltikum und Nordrussland um noch einmal Kraft aufzutanken bevor es auf den großen Zug nach Süden ging. Zigtausende der silbergrauen Vögel drängten sich dann auf den Luchwiesen, erfüllten die Luft mit ihren Trompetenklängen und flogen in Keilformation über den Köpfen der Beobachter.

Speziell für dieses Schauspiel hatte sich Linthdorf ein langes Wochenende frei genommen. Im Frachtraum seines Cherokee waren diverse Fotoapparate, Teleobjektive und Feldstecher, dazu ein paar Klappstühle, Thermoskannen mit heißem Kaffee und Proviant in Form von Äpfeln, Birnen und Wiener Würstchen. Auf den Rücksitzen hatten es sich seine beiden Jungs bequem gemacht und auf dem Sozius studierte Freddy Krespel eine Landkarte. Den Wagen, einen sogenannten SuV, also eine Mischung aus geländegängigem Jeep und bequemen Mittelklassewagen, fuhr er noch nicht lange. Im Sommer hatte sein alter Daimler den Geist aufgegeben. Als neuen Dienstwagen durfte er sich einen der requirierten Wagen aus dem Arsenal der »Beuteautos« aussuchen. Erinnerungen an die wilde Verfolgungsjagd am Finowkanal wurden wieder wach. Er griff sich daher nach kurzem Zögern den Cherokee, der inzwischen neu lackiert in einem freundlichen silbergrauen Metallic erglänzte.

Linthdorf summte eine Melodie vor sich hin, die er meist bei Ausflügen im Kopf hatte: die Barcarole aus »Hoffmanns Erzählungen«. Dabei störte ihn das Gedudel des Autoradios nicht. Die beiden Jungs hatten einen eigenartigen Musikgeschmack. Er konnte partout nichts mit den neuen Klängen und hämmernden Beats moderner Musikrichtungen anfangen. Aber er tolerierte es weitestgehend. Nur wenn es sich allzu schrill anhörte, drehte er den Sender raus. Dann gab es meist etwas Verstimmung.

Der Wagen bog am Ortsende von Linum in eine kleinere Seitenstraße, die direkt zu den Linumer Teichen führte.

Vor knapp 150 Jahren wurde hier im Linumer Bruch noch Torf gestochen. Die Gegend war ein wichtiger Lieferant dieses als billiges Brennmaterial hoch geschätzten Rohstoffs. Quer durch die Luchlandschaft gab es damals überall Torfstechereien. Nachdem die Kohle den Torf verdrängt hatte, verschwanden die Torfstecher aus der Landschaft. Zurück blieben tiefe Löcher in der Erde. Ein paar findige Leute kamen auf die Idee, diese Löcher zu fluten und in den neu entstandenen Teichen Fische zu züchten. Die Linumer Teiche waren so entstanden. Lange Zeit wurden sie speziell für die Karpfenzucht genutzt. Nach der Wende kamen französische Investoren nach Linum und machten den Teichfischern die Störzucht schmackhaft. Dieser inzwischen wieder im Brandenburgischen heimische Fisch wird vor allem wegen seines Rogens, dem begehrten Kaviar, gut bezahlt. Außerdem gilt sein Fleisch als eine Delikatesse. Das weiße Fleisch des Störs erinnert an junge Karpfen und ist auch als Räucherfisch ausgesprochen wohlschmeckend.

Linthdorf steuerte zielsicher ein unscheinbares Holzhaus direkt vor den Teichen an. Ein unverkennbarer Duft nach frischem Buchenholzrauch schlug ihm entgegen, als er die Tür des Autos öffnete. Seine Augen leuchteten auf und er schnüffelte geräuschvoll den rauchigen Duft ein. Krespel war inzwischen ebenfalls ausgestiegen und begann sogleich seine Kamera zu justieren. In der Luft war das tausendstimmige Konzert der gefiederten Gäste unüberhörbar. Schwäne flogen im Tiefflug ein, Graugänse zogen in schwindelerregender Höhe ihre Kreise und auf dem Wasser war ein buntes Sammelsurium von allen möglichen Federtieren zu entdecken: Blesshühnern paddelten aufgeregt zwischen den bunten Enten und Gänsen herum, weiße Singschwäne kreuzten wie Fregatten vollkommen stoisch auf dem Wasser und am Rande hatten es sich ein paar Graureiher gemütlich gemacht.

Krespels Kamera klickte im Sekundentakt. Auch Linthdorf hatte umständlich seine alte Praktika hervorgeholt. Er bevorzugte immer noch das Fotografieren mit Film. Diese alte Kamera hielt ihn davor zurück, ähnlich wie jetzt Freddy Krespel, wahllos in der Gegend herum zu knipsen. Er wusste, dass sein Filmvorrat begrenzt war. Das zwang ihn, sich stets zu überlegen, ob das Motiv wirklich ein gutes Foto hergab oder nur Banales abbildete. Zu Hause sortierte er dann noch einmal aus, so dass wirklich nur perfekt durchkomponierte Fotos in seinem kleinen Archiv verblieben. Für Linthdorf hatte das Fotografieren etwas Meditatives. Ein wenig Harmonie und Ordnung in seinem Leben, auch wenn es nur auf Zelluloid zu entdecken war, hatte immensen Wert für ihn. Die Fotos mit ihrer stillen Ästhetik waren ein Gegenpol zu seiner oft gewalttätigen und verstörenden Alltagswelt.

Zahlreiche Menschen waren hier versammelt, viele waren mit aufwändigen Fotoausrüstungen ausgestattet um dieses Naturereignis festzuhalten. Die Chance, auf engem Raume so viele Federtiere vor die Linse zu bekommen, hatte man nicht oft. Die kleine Holzhütte mit dem dazugehörigen Räucherofen war gut besucht. Auf den Außenbänken drängten sich die Menschen, ebenfalls an den Tischen im Schankraum.

Ein Duft nach frisch geräuchertem Fisch schlug Linthdorf entgegen und ließ ihn automatisch die Füße Richtung Räucherofen setzen. Krespel folgte etwas widerwillig. Er ahnte, dass es mit der guten Laune Linthdorfs sonst vorbei war, wenn er nicht bald etwas Schmackhaftes bekam.

»Mein Gott, Theo, nun reiß dich doch mal ein bisschen zusammen! Wir sind noch keine fünf Minuten hier und du denkst schon wieder nur ans Essen.«

Linthdorf blickte etwas verstört auf seinen mit Kameras behangenen Begleiter. »Mensch Freddy, wer weiß denn, wie lange es bei diesem Andrang noch was Jutes gibt. Komm schon, außerdem hab ich Hunger.«

Damit drängte er entschlossen durchs Gewühle.

Zehn Minuten später saß er mit einem großen Pappteller voller Fischleckereien, einem Pappbecher mit Bier und zwei Weißbrotkanten an einem großen Holztisch. Krespel hatte sich ein paar kleinere Fischhappen genehmigt und schaute etwas missvergnügt auf Linthdorfs Riesenportion. »Na, konnteste wieda ma nich jenuch kriegen, oller Fressbär!«

Linthdorf blieb erstaunlich gelassen, sortierte die Fischhappen und begann wortreich seinem Begleiter zu erklären, was ihm da entging: »Mensch, guck doch mal, Welsröllchen, Aalhappen, geräucherter Zander, Spießchen mit Lachs, Saibling, Lachsforelle, und als Krönung Stör!«

Schräg gegenüber Linthdorf saß ein Mann, der den Fischliebhaber mit dem großen Teller erstaunt anblickte. Vor ihm stand ein Pappteller, der mindestens genauso gut gefüllt war, wie der Linthdorfs. »Ich kenn Sie doch! Mensch, Linthdorf, ich bin’s: Hauptmeister Boedefeldt aus Linum! Erinnernse sich noch? Na das trifft sich ja jut ... Hähä!«

Linthdorf kam der kugelrunde Mann mit Igelfrisur und dem verschmitzten Gesicht bekannt vor. Natürlich, Roderich Boedefeldt, der findige Dorfpolizist, der erheblich bei der Klärung des Mordfalles Hirschfänger mitgewirkt hatte, war für Linthdorf kein Unbekannter. Seine Orts- und Menschenkenntnis hatte eine schnelle Klärung des Falles ermöglicht.

Linthdorfs Kollegin Louise Elverdink hatte so eine direkte Spur zu dem Psychopathen Peregrinus aufnehmen können. Die Ereignisse überschlugen sich damals. Ein Kollege aus Brandenburg war bei einer nervenaufreibenden Hetzjagd zu Tode gekommen. Die ganze Jagd lief innerhalb von Sekundenbruchteilen noch einmal durch Linthdorfs Hirnwindungen. Blitzlichtartige Bilderfetzen, die beklemmende Atmosphäre am nebligen Finowkanal und die zermürbenden Ermittlungen, die vollkommen ins Leere zu laufen schienen. Drei Monate im Winter hatte sich Linthdorf mit der Suche nach dem ominösen Nixenmörder beschäftigt.

Nachdem der Fall abgeschlossen war, hatte sich der Kommissar plötzlich leer und ausgebrannt gefühlt wie lange schon nicht mehr. Seinen ganzen Jahresurlaub hatte er gebraucht um wieder in die Balance zu kommen. Der Sommer war nur als eine kurze Episode von ihm wahrgenommen worden. Noch lange geisterten die toten Nixen und der Nixenschatz durch seine nächtlichen Träume, manchmal so intensiv, dass er plötzlich wie von einer Tarantel gestochen aufwachte, schweißüberströmt im Bett saß und Schwierigkeiten hatte, wieder einschlafen zu können. Er war selbst erstaunt über sich und seine Reaktionen auf dieses Verbrechen.

Eigentlich ließ er sonst seine Gefühle außen vor, wenn er ermittelte, aber hier lagen seine Nerven blank. Vielleicht waren es die vielen Todesfälle im Zusammenhang mit der Suche nach dem Schuldigen, vielleicht war es auch das etwas schale Gefühl beim Abschluss des Falles, versagt zu haben, da die wirklich Schuldigen mit einem blauen Auge davon gekommen waren.

Zweifel nagten an ihm, ob er denn auch wirklich konsequent genug gewesen war bei der Ermittlungsarbeit. Irgendwie hatte sein Chef es geschafft, die Arbeit auf der letzten Etappe zu sabotieren. Linthorf spürte dann wieder den Zusammenhalt des Klüngels, zu dem sich sein Chef bekannte und dem man mit normaler Polizeiarbeit nicht beikommen konnte.

Im Spätsommer hatte Linthdorf beschlossen, einen Schlussstrich zu setzen und sich dem Alltag und dem Jetzt zu widmen, da er sonst Angst bekam, in einer Depression zu versacken. Mit seiner ihm eigenen eisernen Disziplin begann er also wieder systematisch am normalen Leben teilzunehmen. Er traf sich mit seinen Freunden, ging abends öfters fort und fuhr an den freien Wochenenden auch wieder übers Land. Eine zerbrechliche Ausgeglichenheit stellte sich bei ihm ein.

Innerlich spürte er zwar noch immer den Unmut und das Unwohlsein, dass seit diesem letzten Winter in ihm rumorte, nach außen hatte er jedoch wieder seine ausgeglichene und ruhige Lebensart aufgenommen, so dass in seiner Umgebung keiner etwas von der seltsamen Unruhe Linthdorfs mitbekam. Manchmal glaubte er selber, dass alles wieder in bester Ordnung war. Aber dann schüttelte er diesen Trugschluss von sich ab. Spätestens wenn er an der Tür seines Chefs vorbei musste, war dieses unangenehme Gefühl wieder voll präsent.

Und just in diesem Augenblick, beim Anblick des friedlich ihm gegenüber sitzenden Dorfpolizisten Roderich Boedefeldt, stellte sich auch dieses Gefühl in voller Macht wieder in ihm ein, drängte sich in sein Gehirn und durchflutete wie ein dunkler Schatten sein Herz.

Beim Anblick dieses Mannes fiel ihm wieder seine Kollegin Louise Elverdink ein, die er seit dem Ende der Ermittlungen nicht mehr gesehen hatte und die bei ihm so etwas wie ein kleines Tauwetter ausgelöst hatte. Er wollte sich selbst nicht eingestehen, dass Louise ihm weit mehr bedeutete als nur eine kompetente Kollegin. Andererseits hatte er auch keine große Lust, sich wieder auf unbekanntes Glatteis zu begeben. Zu oft hatte er schon böse Einbrüche erlebt. Die Zeiten der Erholung wurden von Mal zu Mal immer länger und die Herzschmerzen erreichten ein Ausmaß, welches es selbst ihm mit seiner Selbstdisziplinierung immer schwerer machte, den Alltag zu meistern. Allerdings ahnte er auch, dass die Art und Weise zu leben, die er seit der Trennung von seiner Frau führte, keine große Zukunft hatte.

Ein ständiges Unzufriedensein hatte sich in ihm eingenistet. Linthdorf konnte es nur schwer beschreiben, denn eigentlich ging es ihm ja leidlich gut. Er hatte einen festen Job, der recht aufregend war, zwei wohl geratene Kinder, einen stabilen Freundeskreis, dennoch nagte das Unwohlsein an seinem Gemüt. Meistens ließ er solche Gedanken nicht zu. Dann flüchtete er in die Arbeit, oder, falls es mal so etwas wie Freizeit gab, trieb es ihn hinaus aus der engen Stadtwohnung ins Brandenburgische. Das war der eigentliche Grund für seine guten Kenntnisse der Mark. Endlos die Wege, die er befahren hatte, endlos auch die Zeiten, die er hier in der Einsamkeit verbrachte. Er war ein Eigenbrötler geworden ohne es zu merken.

Schmerzlich wurde ihm das bewusst, als er sich nach der Trauerfeier für Alfred Stahlmann von ihr verabschiedete. Die Zusammenarbeit mit ihr hatte ihn beflügelt. Er hatte sich an ihre dunkle Stimme und den leichten Duft nach ..., ja, wonach duftete Louise überhaupt? Linthdorf hatte eine Idee, die ihm aber zu verwegen erschien. Er kramte in seiner Manteltasche nach seinem Handy, durchforstete seinen Speicher und lächelte einen kurzen Moment später. Jetzt konnte er sich auch entspannt dem Dorfpolizisten zuwenden.

»Ja, Mensch Boedefeldt, klar kenn’ wir uns!«

»Was hat Sie denn hierher verschlagen?«

»Na, die Kraniche und natürlich der Fisch.«

Linthdorf grinste und zeigte auf seinen reichlich gefüllten Pappteller. Boedefeldt lachte und verwies ebenfalls auf seinen Teller. »Wir ha’m denselben Jeschmack. Jeräucherter Stör is wat janz feines ... Hmm!«

Linthdorf nickte wissend.

»Und wie geht’s sonst so? Viel Arbeit? Was macht denn Ihre nette Kollegin aus Brandenburch?«

»Naja, der übliche Kram. Viel Büroarbeit, viele Überstunden, wenig Freizeit. Sie kennen das ja. Und meine nette Kollegin ... Ja, also, die ist wieder in Brandenburg an der Havel. Hab sie lange nicht mehr gesprochen.«

»Mein Jott, Linthdorf! Die Frau ist doch ne wahre Sahneschnitte und sie ijnorieren se! Det kann doch nich wahr sein! Wie die Ihnen hinta her jekuckt hat ..., also, Mann o Mann! Det müssten se doch jespürt ha’m.«

Linthdorf war irritiert. Was der Dorfpolizist ihm da so leicht entrüstet zwischen zwei Fischhappen erzählte, lief ihm wie ein warmer Schauer den Rücken hinunter. Krespel und seine beiden Jungs beschäftigten sich glücklicherweise mit irgendwelchen bunten Heftchen und waren damit abgelenkt.

Verlegen lächelte er Boedefeldt an.

»Na ja, so richtig Zeit hatte ich bisher nicht.«

»Ach, kommen se, Linthdorf, Sie sind doch kein Kostverächter, nee, so sehnse wirklich nicht aus!«

»Ja, vielleicht sollte ich ...«

»Na klaar, sollten se ..., so lange ist die Frau nicht mehr frei auf’m Markt. Det können se mia glauben!«

Eigentlich war Linthdorf das Thema inzwischen zu privat geworden, aber was er da von dem Mann vor sich erfuhr, war viel zu interessant, um abzulenken. Dennoch wurden die beiden jäh unterbrochen. Ein älterer Herr im Pfadfinder-Outlook hatte sich plötzlich zu ihnen gesellt. Boedefeldt begrüßte ihn gleich überschwänglich: »Tach auch, Herr Professor!«

Der Angesprochene winkte ab: »Lassen se mang jut sein. Keine Titel, keine übertriebene Höflichkeit.« Dabei lächelte er kurz.

»Ach was, kommen se ran. Ich hab hier noch Platz jenuch.«

Der Mann im Tarnanzug rutschte vorsichtig mit auf die Bank. In seinen Händen war ebenfalls ein Pappteller, gefüllt mit Matjesheringen, Zwiebelringen und einer weißen Tunke.

Boedefeldt schielte genießerisch auf den Inhalt der runden Pappe: »Hmm, Herr Professor, aba da wissense schon, wat jut schmeckt!« Dabei ließ er wieder sein ansteckendes, dröhnendes Lachen ertönen.

Professor Dr. Dr. Horst Rudolf Diestelmeyer, Experte für Ornithologie, spezialisiert auf die seltenen Lemikolen, saß wie ein Häufchen Unglück neben dem runden Polizisten. »Ach, Boedefeldt, mir geh’n immer noch die armen Kraniche nicht aus’m Kopp. Nachts träum’ ich schon von diesen schrecklichen Bildern. Das ist viel schlimmer als die Sache mit der nackten Toten im Rhin. Wissen se, da war kein Blut bei, aber hier ... Alles voller Blut, ein Massaker!«

Boedefeldt nickte. Er war ja mit dabei gewesen, als der Professor die toten Kraniche gefunden hatte. Ein Skandal für das kranichverrückte Linum. Keinem der Bewohner war so etwas zuzutrauen und dennoch war es geschehen. Es konnte nur ein Insider sein, also ein Mensch mit spezieller Ortskenntnis. Aber alle Ermittlungen waren ins Nichts verlaufen. Boedefeldt blickte kurz zu seinem riesenhaften Gegenüber. Wenn einer etwas Licht in dieses ominöse Kranichmassaker bringen konnte, dann war es dieser Mann. Er räusperte sich und setzte zu einer kurzen Rede an. Linthdorf lauschte dem ungeheuerlichen Bericht des Dorfpolizisten. Der Professor warf ab und an ein paar Worte mit ein, um dem Ganzen etwas mehr Nachdruck zu verleihen.

Dann war plötzlich Ruhe. Boedefeldt und Diestelmeyer schwiegen, Linthdorf hatte aufgehört, seine Fischhappen weiter zu essen. Es dauerte noch mindestens ein paar Minuten bevor er mit leiser Stimme fragte: »Haben Sie Fotos vom Fundort? Gab es eine kriminaltechnische Untersuchung des Fundortes?«

Boedefeldt nickte. »Ick hab den janzen Vorjang bei mir im Büro. Kommense ma nachher rüba zu mia. Denn zeich’ ick Ihnen allet.«

II

Eine kurze Meldung im Ruppiner Tagesblatt

Rubrik »Was sonst noch passierte ... «

Tierquälerei

Unbekannte Täter haben im Naturschutzgebiet im Rhinluch unweit des Storchendorfes Linum zahlreiche Kraniche mit unzulässigen Schlingen gefangen und getötet. Der Naturschutzbund NABU und die örtlichen Polizeiorgane haben die Ermittlungen aufgenommen.

III

Berlin - Friedrichshain

Sonntag, 22. Oktober 2006

Linthdorf hatte schlecht geschlafen. Der Sonntagmorgen war grau und kalt. Ein Blick aus dem Fenster reichte vollkommen aus, um das festzustellen. Etwas verstört saß er auf der Bettkante und starrte vor sich hin. Die Bilder in seinem Kopf waren nicht so einfach weg zu bekommen. Es waren beklemmende Bilder, die ihm den Schlaf geraubt hatten.

Gestern am späten Nachmittag war er im kleinen Dienstzimmer Boedefeldts aufgetaucht. Boedefeldt hatte schon auf ihn gewartet. Eine Mappe mit großformatigen Fotos lag bereit. Linthdorf sah sich die Fotos mit den blutigen Kadavern der Kraniche an und sagte dabei kein Wort. Danach schob ihm der Dorfpolizist noch die Ermittlungsakte rüber. Viel war darin nicht zu lesen. Der oder die Täter schienen sehr professionell vorgegangen zu sein. Brauchbare Spuren waren nicht entdeckt worden. Die benutzten Schlingen konnten in jedem Bau- oder Gartenmarkt erworben worden sein und andere Spuren gab es einfach nicht mehr. Die Tiere waren beim Auffinden schon mindestens 24 Stunden tot. Etwaige Spuren im Gras waren durch den Dauerregen längst verwischt.

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Yaş sınırı:
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Litres'teki yayın tarihi:
26 mayıs 2021
Hacim:
623 s. 90 illüstrasyon
ISBN:
9783967525113
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