Kitabı oku: «Gungo Large - Spiel mir das Lied vom Troll», sayfa 3
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Seit Jahren schon träumte ich – nur wenn ich schlief, versteht sich – immer den gleichen Traum vom Krieg. Auf Dauer war dies nicht nur recht langweilig, sondern darüber hinaus auch ziemlich merkwürdig. Das, was in diesem Traum geschah, war mir nämlich während meiner Zeit in der Army nie wirklich passiert.
In diesem Traum lag ich auf einer Bahre in einem Zelt – einem Sanitätszelt höchstwahrscheinlich, denn neben mir lagen noch andere Soldaten, die ganz offensichtlich verletzt waren. Es roch nach Blut, Schweiß sowie irgendwelchen Heilkräutern und schmerzerfülltes Stöhnen vermischte sich mit den Geräuschen einer weit entfernten Schlacht, die zu uns ins Zelt drangen. Hin und wieder konnte ich Kanonenschüsse und Explosionen hören, dann das Kriegsgeschrei der Elfen oder wilde Schießereien. Dazwischen wurde es immer mal wieder ganz ruhig bis auf das Röcheln der Verwundeten neben mir. Einige von denen waren offensichtlich dabei, ihren Löffel abzugeben.
»Hurra, lang lebe die Army!«, schoss es mir in diesem Traum jedes Mal durch den Kopf. »Wenn ihr es schon nicht dürft, ihr armen Schweine«.
Wie bereits erwähnt, hatte ich Ähnliches in der Realität niemals erlebt und vor allem hatte in Wirklichkeit niemals ein Elfenpfeil in meiner Brust gesteckt. An so etwas hätte ich mich doch ganz gewiss erinnert.
Ich lag also in meinem Traum so da und betrachtete den aus meiner Brust ragenden Pfeilschaft. Während ich das tat, dachte ich darüber nach, dass einem ein solches Geschoss im Leib nicht nur die Uniform, sondern auch den ganzen Tag versauen konnte. Plötzlich trat ein Fremder neben mich und lächelte voller Mitleid auf mich herab.
Er trug seltsamerweise nicht die Uniform eines Sanitäters oder den Kittel eines Arztes, sondern das Militärgewand eines Magiers. Diese Tatsache machte ihn in meinen Augen nicht unbedingt vertrauenswürdig.
Magier unterstützten die reguläre Armee in Gefechten mit Feuerbällen, Blitzstrahlen sowie anderem magischen Gedöns. Sie stellten somit das Pendant zu den elfischen Schamanen dar. Mir persönlich waren sie seit jeher unheimlich und nur wenig sympathisch, zumal ihnen bei Eintritt in die Army automatisch der Rang eines Offiziers verliehen wurde. In einem gewöhnlichen Private wie mir konnte diese bevorzugte Behandlung nur den Neid erwecken.
»Ich kümmere mich gleich um dich, mein Freund«, sagte der Magier und irgendwie weckte dieses Versprechen ein ungutes Gefühl in mir. Selbst in meinem Traum verpassten mir diese Worte eine Gänsehaut, auf der man Möhren hätte raspeln können. Sie klangen drohend und extrem unheilvoll.
Normalerweise endete mein Traum an dieser Stelle und er tat es auch dieses Mal – nur ein wenig anders als sonst. Von irgendwoher erklang Glockengeläut, leise erst, dann immer lauter, so dass es schon bald alle anderen Geräusche übertönte. Es musste eine seltsame Glocke sein, die dieses Geräusch von sich gab, denn es klang wenig melodisch, eher schief, irgendwie blechern. Erst als mich dieser Lärm langsam aus meinem Unterbewusstsein zurück in die Wirklichkeit lockte, erkannte ich, dass es gar keine Glocke war, die ihn verursachte.
Es war ein Blechnapf, der vor Gitterstäbe geschlagen wurde. Der Deputy war es, der mich auf so unsanfte Art weckte.
»Ombringer, du Arsch«, murmelte ich schlaftrunken. »Wenn man dich nach dem Aufwachen als Erstes sieht, wünscht man sich sofort in einen Albtraum zurück.«
Der rotbärtige Hilfssheriff drosch weiter mit demEssnapf auf die Gitterstäbe ein, obwohl ich bereits wach war, nur um mich zu ärgern. »Steh auf du Penner! Ich soll dich zum Bürgermeister bringen!«
Ich setzte mich auf und horchte für einen kurzen Moment in mich hinein. Elsa war verschwunden, ich hatte also lange genug geschlafen um sie und ihre Tanzwut zu vertreiben. Dafür zitterten meine Hände jetzt so sehr, dass jedes Glas Milch in ihnen zu Butter geworden wäre und eine unbeschreibliche Leere erfüllte mich. Doch das war nur die übliche Reaktion meines Körpers auf mehrstündigen Alkoholentzug. Anzumerken wäre jedoch, dass ich selbst mit diesem Flatterigen noch jedes Ziel mit einer Schusswaffe hätte treffen können.
»Was bitte soll ich denn beim Bürgermeister?«, wollte ich wissen.
Ombringer zuckte mit den Schultern. »Was weiß ich?Vielleicht will er dich für deine Verdienste zum Ehrenschluckspecht der Stadt ernennen. Der Sheriff ist schon bei ihm, also sieh zu, dass du deinen Hintern bewegst.«
Der Geschmack in meinem Mund war ebenso schal wie die Witze des Deputys, weshalb ich auf beides gerne verzichtet hätte.
»Hast du 'nen Drink oder 'ne Kippe für mich?«, fragte ich deshalb ohne mir große Hoffnung auf eine positive Reaktion darauf zu machen.
Sie fiel aus wie erwartet. »Einen Tritt in die Weichteile kannst du haben, das ist auch alles.«
Der Hilfssheriff schloss die Zellentür auf, die sich quietschend für mich öffnete. Ich erhob mich von der Pritsche und trat hinaus.
»Dreh dich um«, forderte Ombringer mich auf. »Hände auf den Rücken!«
Ich sah ihn ungläubig an. »Ernsthaft jetzt? Hast du ohne deinen Boss so viel Angst vor mir, dass du mir Handschellen anlegen musst, obwohl du eine Kanone hast und ich nicht?«
»Das hat nichts mit Angst zu tun«, erklärte der fiese Zwerg, während er mir die metallenen Handfesseln anlegte. »Ich schikaniere dich nur unheimlich gerne.«
Ich musterte ihn eingehend. »Kotzt es dich nicht manchmal an, Du zu sein?«, wollte ich wissen. »Ich meine, bist du mit deiner Gesamtsituation echt zufrieden? Niemand in der Stadt kann dich leiden und du wirst niemals mehr sein als der kleine, gemeine Gehilfe des Sheriffs. Ist doch erbärmlich, oder?«
Ombringer legte seinen Kopf auf die Seite und grinste mich spöttisch an. »Und das aus dem Munde des größten Säufers und Verlierers von ganz Copperhole.«
Ohne Handschellen hätte ich nun meinen Zeigefinger mahnend erhoben. So aber sah ich den Deputy nur an und hob meine linke Augenbraue – ein Minenspiel, dass ich lange vor dem Spiegel geübt hatte, da es mir ein unheimlich intelligentes, überlegenes Aussehen verlieh.
»Und genau das sollte dir zu denken geben!«
Doch das tat es nicht, wie ich nur wenig später feststellen musste. Als wir das Büro des Sheriffs verließen, stellte mir dieses linke Frettchen ein Bein, während er mich gleichzeitig nach vorne stieß. Ich strauchelte kurz und fiel schließlich vornüber. Da meine Hände hinter dem Rücken gefesselt waren und ich mich nicht mit selbigen abfangen konnte, stürzte ich ungebremst auf die staubige Straße. Ich schaffte es noch, mich im Fallen seitwärts zu drehen, sodass mir zumindest eine gebrochene Nase oder andere Blessuren im Gesicht erspart blieben.
»Da hat er bums gemacht und unten ist er«, frotzelte der Hilfssheriff hinter mir. »Los, steh auf, du hast doch lange genug geschlafen!«
Ich erwiderte nichts, während ich mich aufrappelte. Meine Liste mit den Dingen, die ich in meinem Leben unbedingt noch machen wollte, war jedoch soeben um den Punkt Ombringer umlegen erweitert worden.
Mein Hemd war an der Schulter eingerissen, meine Jeans mit Staub bedeckt und selbst in den Haaren trug ich noch ein paar Hinterlassenschaften der Straße – mein Outfit war also mehr als angemessen für einen Besuch beim Oberhaupt dieser Stadt, dessen Büro wir kurz darauf betraten.
Bürgermeister Jogrund Honesty residierte natürlich im Rathaus, einem Gebäude am südlichen Ende der Stadt, das sich eigentlich kaum von den anderen Holzbauten in Copperhole unterschied. Weder Erhabenheit noch Würde strahlte dieser Bau aus und repräsentative Insignien oder gar Prunk suchte man hier vergebens, sowohl außen als auch innen. Lediglich der schwere Schreibtisch des Bürgermeisters war aus einem edlen, dunklen Holz gefertigt, das perfekt mit der ebenfalls dunklen Wandvertäfelung in seinem Amtsraum harmonisierte. Hinter diesem Schreibtisch saß das Gemeindeoberhaupt dann auch. Er war ein älterer Zwerg mit grauem Haarkranz, einem ebenso grauen Backenbart und einer schmalen Lesebrille auf der Nase, über deren Rand er uns anblickte, als wir den Raum betraten.
Sheriff McHardy saß auf einem Sessel vor dem Schreibtisch. Er erhob sich verärgert, als er mich in Handschellen sah.
»Was soll denn dieser Blödsinn?«, fuhr er seinen Deputy an. »Nimm ihm sofort die Dinger ab!«
»Dein Büttel würde sogar ein Brathuhn fesseln, wenn er mit ihm allein sein müsste«, bemerkte ich, während ich von meinen Fesseln befreit wurde. »Es könnte ihn ja angreifen.«
Bürgermeister Honesty verzog keine Mine. Er musterte mich stumm und wandte sich dann dem Hilfssheriff zu. »Danke Deputy, Sie werden hier nicht mehr gebraucht!«
»Wie auch sonst nirgendwo«, fügte ich hinzu.
Während Ombringer sich trollte, nahm der Bürgermeister ein Schriftstück von seinem Tisch und überflog es kurz. Danach sah er mich mit vorwurfsvollem Blick an. Die Ernsthaftigkeit und Seriosität schienen ihm dabei aus jeder Pore zu dringen.
»Gungo Large, die Geißel dieser Stadt. Zweiundzwanzig Verhaftungen wegen Trunkenheit, Körperverletzung und ungebührlichem Verhalten allein in diesem Jahr.« Der grauhaarige Zwerg legte seine ohnehin schon runzlige Stirn noch mehr in Falten. »Das geht so nicht weiter. Stimmen Sie mir da zu, Mister Large?«
Ich nickte und versuchte ein möglichst unschuldiges, aufrichtiges Gesicht zu machen. »Ich bin da ganz Ihrer Meinung, Eure Bürgermeisterlichkeit. Der Sheriff muss endlich damit aufhören, mich ständig zu verhaften. Ich fühle mich auch schon in höchstem Maße gemobbt!«
Honesty erwiderte nichts. Er erhob sich von seinem Stuhl und begann, bedächtig schweigend in seinem Büro hin und her zu gehen. Den Kopf hielt er dabei gesenkt, so als würde er hoffen, auf dem Boden die passenden Wörter zu finden, nach denen er anscheinend suchte.
Sheriff McHardy saß währenddessen in seinem Sessel und hielt sich gänzlich aus der Unterhaltung raus. Doch während er einen ganz zufriedenen Eindruck machte, fragte ich mich, wieso im Rahmen unserer Zusammenkunft keine Drinks angeboten wurden. Unter Ehrenmännern war so was doch eigentlich selbstverständlich. Vielleicht würde es der Bürgermeister noch tun, so hoffte ich, denn meinem Wohlbefinden wäre ein Schluck Whisky sehr zuträglich gewesen.
Nach einer Weile blieb Honesty vor mir stehen.
»Lassen Sie mich ehrlich sein, Large.« Er verschränkte die Arme vor seiner Brust, kniff die Augen ein wenig zusammen und bedachte mich mit den abwertendsten Blicken, zu denen er wohl fähig war. »Ich will Sie nicht mehr in meiner Stadt haben! Sie sind wie ein Streifen Scheiße in einer sonst blütenweißen Unterhose und ich werde nicht zulassen, dass Sie diesen schönen Ort weiterhin mit Ihrer Anwesenheit verunreinigen.«
Solch einen rüden Tonfall hatte ich von so einem distinguierten, älteren Zwerg wahrlich nicht erwartet. Unverständlicherweise schien er keine sehr gute Meinung von mir zu haben, womit sich die Sache mit dem Drink wohl auch erledigt hatte.
Er entspannte sich jedoch schnell wieder ein wenig, trat einen Schritt zurück und lehnte sich lässig gegen seinen Schreibtisch.
»Sheriff McHardy hat mir allerdings von Ihrer, sagen wir mal, schwierigen finanziellen Situation berichtet und dass Sie weder über ein Pferd, noch über Barschaft verfügen. Ich bin kein gewissenloser Zwerg, Mister Large, und ich möchte Sie nur ungern so mittellos aus der Stadt jagen. Immerhin haben Sie als Kriegsveteran ja auch irgendwann mal unserem Land gedient. Darüber hinaus hat der Sheriff mir erzählt, dass Sie sich als eine Art Söldner sehen, aber in unserer friedlichen Stadt damit natürlich nur sehr wenig Erfolg haben.«
Die Mine des Bürgermeisters erhellte sich und plötzlich schenkte er mir sogar ein Lächeln, welches allerdings so falsch war wie ein rostender Goldbarren. »Nun, Mister Large, ich hätte da vielleicht einen passenden Job für Sie – eine kleine Aufgabe außerhalb der Stadt, die mehr als nur angemessen bezahlt wird. Mit dem Geld könnten Sie danach irgendwo neu anfangen, egal wo, Hauptsache weit weg von hier. Ein Pferd und etwas Proviant bekämen Sie von mir ebenfalls zur Verfügung gestellt. All das natürlich nur unter der Voraussetzung, dass Sie danach nie wieder – und ich meine nie wieder – nach Copperhole zurückkehren.«
Der Bürgermeister ging wieder hinter seinen Schreibtisch und setze sich, während ich ihn argwöhnisch beobachtete. Seine unerwartete Hilfsbereitschaft weckte das Misstrauen in mir, so wie es mir entgegengebrachte Wohltätigkeit grundsätzlich tut.
»Und was wäre das für ein Job?«, wollte ich wissen. »Irgendein Verlies von Riesenspinnen befreien, ein verwunschenes Artefakt suchen oder irgendwelche Schmuckstücke in heiße Lava schmeißen?«
Bürgermeister und Sheriff sahen mich irritiert an.
»Wie kommen Sie denn auf so abstruse Ideen?«, fragte Honesty. »Kommt das vom Alkohol? Na egal, natürlich ist es nichts derart Groteskes. Sagt Ihnen der Name Athuro etwas?«
Ich nickte. »Colonel Don Athuro, natürlich, wer kennt den Namen nicht? Er ist der größte, mächtigste und reichste Rancher hier in der Gegend. Im Grunde gehört ihm der halbe Westen Avaritias.«
»Und außerdem ist er mein Cousin«, fügte Honesty hinzu. »Er hat mich gebeten, ihm einen Zwerg zu schicken, der sich im Umgang mit Schusswaffen gut auskennt und der sich selbst zu helfen weiß. Nach allem, was ich über Sie gehört habe, wäre ein Raufbold wie Sie wohl genau der richtige Mann.«
»Sie haben so einflussreiche Verwandtschaft?«, wunderte ich mich. »Und trotzdem haben Sie es nur zum Bürgermeister eines so winzigen Kaffs gebracht? Irgendwie traurig. Was für eine Aufgabe hat Ihr Cousin denn nun für mich?«
Honesty ignorierte meine spitze Bemerkung und beschränkte sich etwas säuerlich dreinblickend auf die Beantwortung meiner Frage. »Das wollte er mir nicht verraten. Als Verwandter bin ich dennoch dazu verpflichtet, seinem Wunsch nachzukommen. Die Details müssten Sie also mit ihm selbst besprechen. Wie Sie vielleicht wissen, liegt seine Ranch etwa einen Tagesritt von hier entfernt. Nun, was sagen Sie?«
Ich ließ mir mit meiner Antwort etwas Zeit, obwohl ich mich eigentlich schon entschieden hatte. Ein Pferd, Proviant und eine Menge Geld – mir gingen tatsächlich die Argumente aus, um meinen Hintern nicht aus der Stadt bewegen zu müssen. Zudem war dies ein Angebot, das ich eigentlich gar nicht ablehnen konnte. Die Alternativen waren zwar gar nicht zur Sprache gekommen, doch sie würden wohl allesamt nicht gerade angenehm für mich sein. Der Bürgermeister würde wohl nicht zögern, mich ohne einen Cent in der Tasche oder einen Gaul unter dem Hintern aus der Stadt zu jagen. Vielleicht würde er mich vorher auch noch eine geraume Zeit lang in der Zelle schmoren lassen.
Honesty wartete ungeduldig mit seinen Fingern auf den Schreibtisch klopfend auf meine Antwort. Ich hatte Durst und die Unterhaltung fing an, mich zu langweilen. Also stimmte ich zu.
»Hervorragend!« Jogrund Honesty war sichtlich erfreut. »So soll es sein! Der Sheriff wird Sie hinausbegleiten und sich um alles Weitere kümmern. Aber lassen Sie es mich noch einmal ganz klar und deutlich sagen: Nie wieder! Dies war also definitiv unsere letzte Begegnung, womit wir beide wohl sehr gut leben können.«
»Sag niemals nie«, dachte ich. Dem Bürgermeister nickte ich als Abschiedsgruß aber nur stumm zu.
»Auf Nimmerwiedersehen!«, rief dieser mir noch nach, als ich gemeinsam mit McHardy sein Büro verließ.
Vor dem Rathaus sah mich der Sheriff mit einem klitzekleinen Funken Bedauern im Blick an. »Irgendwie wirst du mir fehlen, Gungo. Ohne dich werde ich nur noch halb so viel zu tun haben.«
»Dann kannst du deinen beschissenen Gehilfen ja entlassen«, scherzte ich und der Ordnungshüter grinste.
»Pass auf dich auf«, riet er mir. »Ich weiß, du bist unschlagbar mit dem Schießeisen, doch du neigst dazu, dich selbst in die Scheiße zu reiten.«
Er streckte mir seine Hand entgegen und ich ergriff sie.
»Auf den Abschiedskuss möchte ich aber verzichten«, wandte ich ein.«Dabei muss ich immer weinen.«
McHardy grunzte vergnügt. »Du bist ein Idiot. Willst du sofort los?«
Ich schüttelte den Kopf. »Gib mir noch ein wenig Zeit, ich habe da noch etwas zu erledigen.«
Etwa zwei Stunden später fühlte ich mich wie ein neuer Zwerg. Ich saß auf dem Rücken meines eigenen Pferdes und trug meinen Revolver, ein frisches Hemd sowie meinen schönen schwarzen Hut. Diesen hatte ich in einer Schnapslache unter dem Tresen des Saloons wiedergefunden. Die drei Whisky, die ich mir bei dieser Gelegenheit gegönnt hatte, sorgten für ein wohliges, warmes Gefühl in mir.
Der Apfelschimmel, den sie mir gegeben hatten, war zwar nicht mehr der Jüngste, auch nicht der Schnellste und schon gar nicht der Schönste, doch er schien robust zu sein und einen gutmütigen Charakter zu besitzen. Keine Luxusklasse also, aber ein solides, zuverlässiges Modell, das einen nicht so schnell im Stich ließ und seinen Reiter genau dort hinbrachte, wohin er auch wollte. Leider fiel mir kein passender Name für das gute Tier ein. Ich war jedoch zuversichtlich, dass mir da noch etwas Originelles einfallen würde.
Ein letztes Mal bevor ich nach Süden zur Tolemak-Ranch aufbrach, warf ich einen Blick zurück nach Copperhole, der kleinen Siedlung im Schatten eines namenlosen Berges, den die Zwerge auf ihrer Suche nach Kupfer nahezu vollständig ausgehöhlt hatten. Hier war ich zur Welt gekommen, hier hatte ich meine Kindheit verbracht und hier hatte ich die Menge eines Ozeans an Fusel gesoffen. Bis auf die Zeit bei der Army hatte ich hier mein ganzes Leben verbracht. Jetzt im Licht der hoch stehenden Sonne, sah dieser Ort fast schon idyllisch aus – na ja, zumindest so idyllisch wie ein paar Holzhütten am Fuß eines kahlen, grauen Berges eben aussehen können.
Doch es war nicht die Wehmut, die mich ergriff und auch nicht die Traurigkeit. Es war etwas ganz anderes, das mich beschäftigte.
Ich fragte mich, wie die Anwohner des kleinen Städtchens wohl auf den Anblick des splitternackten Zwergs reagierten, der genau in diesem Augenblick geknebelt und auf dem Rücken eines Ochsen festgebunden durch die Ortschaft trabte und zwischen dessen blanken Arschbacken der Stern eines Hilfssheriffs steckte.
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Der Elf war in Eile.
Er war am Rand des Dorfes gelandet und hatte seinen Greif bei den anderen in ihrem Gatter gelassen. Von der Neugier getrieben, mehr über die Bedeutung der Rauchzeichen zu erfahren, hastete er nun durch das Elfendorf, in dem ansonsten alles seinen gewohnten Gang ging. Frauen saßen vor ihren Tipis und tratschten, bereiteten Mahlzeiten zu oder flochten Körbe. Die Krieger, die nicht unterwegs waren, befiederten ihre Pfeile oder gerbten die Felle erlegter Bisons und die Kinder tollten zwischen den Tipis herum. Sie spielten Cowboy und Elf oder ließen ihre kleinen, gelben Nagetiere in selbstgebauten Arenen aus kleinen Ästen und Steinen gegeneinander kämpfen. In der Prärie fingen sie diese Viecher, die sie aus unerfindlichen Gründen Taschenmonster nannten.
All das interessierte den Greifenreiter jedoch nicht. Er war nur bestrebt, möglichst schnell den Häuptling zu erreichen.
»Hab Dank, dass du so schnell gekommen bist«, sprach dieser dann auch, als der Elf sein Tipi betrat. »Komm, setz dich zu uns, wir haben Wichtiges zu palavern.«
Stehender Gaul, Häuptling der Moonytoads, war nicht allein in seinem großen Zelt aus Bisonhaut, dessen Inneres mit edlen Fellen ausgelegt und mit bunten Webarbeiten sowie anderem kunstvollen Tand geschmückt war. Neben ihm saß der oberste Schamane des Dorfes, ein abnormal dürrer, uralter Elf namens Träumender Lurch, der wie immer einen etwas abwesenden Eindruck machte. Der Häuptling trug seinen prächtigen Kopfschmuck aus Adlerfedern nicht - das galt innerhalb geschlossener Räume als unhöflich. Ansonsten war er jedoch bekleidet, im Gegensatz zu Träumender Lurch, der splitternackt dasaß, was allerdings nicht ungewöhnlich war.
Der lebenslange Genuss von bewusstseinserweiternden und magischen Kräutern hatte Spuren in seinem Geist hinterlassen. Deshalb kam es schon mal vor, dass er vergaß sich zu bekleiden. Dafür war er von Kopf bis Fuß mit Tätowierungen bedeckt, die mystische Symbole, Figuren aus alten Sagen oder Stammeszeichen darstellten. Selbst sein kahl rasierter Schädel war voll davon. Eigentlich gab es an ihm keinen Zentimeter Haut mehr, der nicht tätowiert war.
»Es geht um Grimmiger Hirsch, deinen Bruder«, erklärte der Häuptling, als der Elf sich ihm gegenüber gesetzt hatte. »Er ist verschwunden. Seit vier Tagen hat er sich weder blicken noch etwas von sich hören lassen.«
Der junge Elfenkrieger stutze und runzelte die Stirn. Sein älterer Bruder, ebenfalls ein Greifenreiter – wenn nicht sogar der Greifenreiter des Stammes –, war für seine Zuverlässigkeit bekannt. Niemals versäumte er es, dem Häuptling Bericht über seine derzeitigen Tätigkeiten zu erstatten oder blieb so lange fort, dass man sich um ihn hätte sorgen müssen. Wenn er über mehrere Tage hinweg kein Zeichen von sich gegeben hatte, musste etwas Außergewöhnliches passiert sein.
Der Elf spürte große Besorgnis in sich erwachen.
»Man hat ihn zuletzt weit im Westen gesehen«, fuhr Stehender Gaul fort. »Einer unserer Späher sagt, er sei in die Richtung geflogen, in der die Ranch des reichen Zwerges liegt. Ich kann mir einfach keinen Reim darauf machen, was er dort zu suchen hat. Zudem hat Träumender Lurch eine Erschütterung der Macht gespürt...«
»Mumpitz!«, fiel ihm plötzlich der greise Schamane ins Wort. Seine Stimme erinnerte dabei schwer an das Krächzen eines sterbenden Geiers. »Ich habe doch keine Erschütterung der Macht gespürt! Was für eine Macht denn überhaupt?« Er zeigte dem Häuptling den Vogel ungeachtet dessen Stellung in der Hierarchie des Stammes. »Ich habe gesagt: Ich habe eine Erregung in der Nacht gespürt! So etwas kommt in meinem Alter nur sehr, sehr selten vor und ist für mich zwar ganz angenehm, aber auch ganz sicher ein Zeichen!«
Für einen Moment herrschte betretenes Schweigen, da sich keiner näher mit der Erektion des alten Schamanen befassen wollte. Der Häuptling räusperte sich leise, fuhr sich durch sein langes, schwarzes, von ein paar grauen Strähnen durchzogenes Haar und sah peinlich berührt zu Boden.
»Ich sollte sofort aufbrechen, um meinen Bruder zu suchen«, sagte der Greifenreiter dann endlich. »Wie ihr wisst, kann er ein ganz schöner Hitzkopf sein. Sein Hass gegen alle Zwerge und Menschen ist groß, sogar größer noch als der meine. Nichts versetzt ihn mehr in Rage, als der Gedanke daran, dass diese unser Land mit ihrer Anwesenheit beschmutzen. Vielleicht hat ihn seine Wut zu irgendeiner Dummheit verleitet. Oder es ist ihm irgendwas zugestoßen. Wie dem auch sei, ich muss ihn möglichst schnell finden.«
Der Häuptling stimmte ihm zu. »Du solltest damit anfangen, alle Orte, von denen er dir jemals berichtet hat oder die ihr als Kinder besucht habt, nach Hinweisen zu durchsuchen. Denke auch darüber nach, ob er in letzter Zeit irgendeine Bemerkung gemacht hat, die uns weiterhelfen könnte. Wenn du irgendwas brauchst, komm zu mir. Die Unterstützung des ganzen Stammes ist dir sicher. Irgendetwas stimmt da ganz und gar nicht!«
»Und da ist noch etwas«, warf der Greifenreiter ein. Er war begierig darauf, dem Häuptling von den Ereignissen auf der Baustelle zu erzählen. Unter normalen Umständen hätte er dies in allen Einzelheiten getan. Doch die Sorge um seinen Bruder und die daraus resultierende Unruhe veranlassten ihn dazu, seine Erzählung auf das Wesentliche zu beschränken. »Ich habe einen Magier bei den Säulen der Unvergänglichkeit gesehen, inmitten des Eisenbahner-Camps.«
»Ein Magier?!« Der dürre, nackte Schamane sprang auf, als hätte ihn irgendein Ungeziefer in seinen Allerwertesten gebissen. »So nahe beim Heiligtum? Bei allen Göttern!«
Er fuchtelte wild mit den dünnen Armen umher, während er weiter krächzte »Das Verschwinden des Greifenreiters und das Auftauchen des Magiers – da muss es eine Verbindung geben. Kein Wunder, dass sich mein alter Schamanenstab nach all den Jahren mal wieder geregt hat. Ein Zeichen – wie ich schon sagte.«
Für einen kurzen Augenblick wurde er still und nachdenklich, während er sich seinen Schädel kratzte. Dann riss er die Augen auf und erhob seinen knochigen Zeigefinger.
»Ich muss sofort die Geister um Rat fragen!« Mit diesen Worten stürmte er aus dem Tipi, so schnell, dass die beiden anderen Elfen nur noch verdattert dreinblicken konnten. Dann jedoch fassten beide gleichzeitig den Entschluss, ihm zu folgen.
Obwohl kein seltener Anblick sorgte die Blöße des Schamanen wie so oft für Erheiterung im Dorf der Moonytoads. Kinder rannten ihm laut lachend und feixend hinterher, Männer grölten ihm zotige Sprüche nach und Frauen, vor allem die jüngeren, senkten ihren Blick und kicherten verschämt.
All das nicht zur Kenntnis nehmend raste der greise Elf mit einer Geschwindigkeit durch das Dorf, die man einem alten Knacker wie ihm niemals zugetraut hätte. Seine Verfolger bemühten sich währenddessen angestrengt, den Blick von seinem wackelnden, faltigen Hintern abzuwenden. Dieses Bild würden sie nämlich so schnell nicht wieder aus ihren Köpfen bekommen, das wussten beide.
Bald schon hatten sie den blauen, kuppelförmigen Wigwam des Schamanen erreicht. Dieses war von innen wesentlich größer als von außen. Schon manch ein Besucher war aufgrund dieses Missverhältnisses verwirrt wieder nach draußen und um den Wigwam herum gelaufen, um ein Erklärung für dieses erstaunliche Phänomen zu finden. Doch nur die Magie des Schamanen machte solch ein Wunder möglich.
Diese Tatsache war ebenso ein Indiz für die außergewöhnlich große Macht des alten Wirrkopfs, wie für seine unbändige Sammelwut. Diese hatte ihn einst dazu genötigt, seine Behausung durch einen derartigen Zauber zu vergrößern. Aufgrund erneut auftretenden Platzmangels würde er diesen Zauber bald schon wiederholen müssen. Tausende von magischen Relikten, verwunschenen Artefakten und Utensilien für magische Beschwörungen türmten sich im riesigen Inneren des Wigwams auf. Haufenweise uralte Schriftrollen und vollständig gefüllte Sammelalben mit den gezeichneten Köpfen berühmter Greifenreiter lagen dort herum. In einer Ecke stand sogar ein kompletter Totempfahl, zweimal so groß wie ein ausgewachsener Elf, und in einer anderen ein ausgestopfter Braunbär, der drohend auf den Hinterbeinen stand. Aus unbekannten Gründen trug dieser einen Knopf in seinem linken Ohr.
Im Laufe seines Lebens – eines Elfenlebens wohlgemerkt, das in der Regel nicht nur läppische Jahrzehnte sondern mehrere Jahrhunderte umfasst – hatte der alte Schamane nichts von dem fortgeworfen, was irgendwie in seine Finger gelangt war. Er hatte so viele Dinge gesammelt, wie sie andere Leute in ihrem Leben noch nicht einmal zu Gesicht bekommen. Neben der magischen Begabung des Schamanen war es wohl seine erstaunlichste Fähigkeit, sich auch nur ansatzweise in diesem Chaos zurechtfinden zu können.
Greifenreiter und Häuptling wussten um all die Absonderlichkeiten dieser Behausung. Sie schenkten ihnen deshalb auch keinerlei Beachtung. Sie hockten sich einfach nieder und sahen zu, wie der Schamane anfing, hektisch irgendwelche Haufen zu durchsuchen. Laut fluchend beschimpfte er dabei die imaginäre Person, die angeblich immer seine Sachen versteckte.
Zwischen einigen aus Holz geschnitzten Götzenfiguren fand er letztendlich das, was er gesucht hatte. Er holte seine lange, mit kleinen Federn geschmückte Pfeife heraus – eine Pfeife für den Konsum von Tabak oder Kräutern natürlich, die andere hätte er ja nicht mehr hervorholen müssen – und stopfte sie mit einem groben, dunkelbraunen Kraut.
Schon kurz nachdem er sich hingesetzt und das Kraut entzündet hatte, füllte sich der Raum mit dichten Rauschwaden. Deren würziger, etwas süßlicher Geruch weckte auch in dem Greifenreiter eine gewisse Begehrlichkeit. Er war dem gelegentlichen Genuss von berauschenden Kräutern ebenfalls nicht abgeneigt. Dieses spezielle Kraut war jedoch aufgrund seiner enorm starken Wirkung dem Schamanen vorbehalten.
Dieser sog begierig den Qualm aus der Pfeife in sich hinein und nach einer Weile begann er langsam mit dem Oberkörper schwankend eine Beschwörung zu rezitieren.
»Ich rufe euch an, oh ihr Ahnen«, murmelte er. »Ich bitte um euren Rat und um euren Beistand.«
Er wiederholte diese Worte in einer Art leisem Gesang immer wieder, bis plötzlich seine Augäpfel nach oben kippten, sodass nur noch das Weiße in seinen Augen zu sehen war. Seine zwei Besucher wussten, dass er nun das Reich der Geister betreten hatte.
»Wir benötigen Auskunft über die seltsamen Ereignisse, die momentan stattfinden«, sprach der Schamane nun in seinem gewohnt krächzenden Tonfall. »Was? Wie? Einen Moment, die Verbindung ist total beschissen. Du kommst total abgehackt rüber.«
Weiterhin in Trance nahm Träumender Lurch einen weiteren tiefen Zug aus seiner Pfeife.
»Ja, so ist es besser«, stellte er zufrieden fest. »Kannst du mir mit meinem Anliegen weiterhelfen? Du nicht? Ja, wer denn dann? Ach so! Könntest du mich vielleicht weiter verbinden? Danke, das ist nett!«
Ein kurzer Augenblick verging, dann war der Schamane wohl mit dem richtigen Geist verbunden. Er erzählte ihm vom Verschwinden des Greifenreiters und dem Auftauchen des Magiers. Auch die nächtliche Auferstehung seines sonst inaktiven Körperteils ließ er nicht aus. Stehender Gaul und der junge Krieger starrten ihn währenddessen ungeduldig und wie gebannt an.
»Aha!«, krächzte der Alte nun wieder. »Hmm...soso...ah ja...na gut. Und da bist du dir auch ganz sicher? Na supi! Ich danke dir, oh Ahne! Ach so, bevor ich es vergesse: Ich soll dich von deinem Urenkel grüßen...Ja, er ist leider immer noch so fett, aber was willste machen? Weniger Kohlenhydrate und mehr ungesättigte Fettsäuren? Nicht mehr so viel auf seinem dicken Hintern herumsitzen? Ja, ich richte es ihm aus. Machs gut! Träumender Lurch – over and out!«
