Kitabı oku: «Flagschiff Nescafé - Nestlés Aufstieg zum grössten Lebensmittelkonzern der Welt», sayfa 8
Aufbau, Lancierung und Etablierung – wie Nescafé zum Hauptprodukt des Unternehmens heranwuchs (1938–1953)
Kaffee statt Kondensmilch – Nescafé wird zum neuen Flaggschiff des Unternehmens aufgebaut
Die Überzeugung des Managements
Mit seiner Entdeckung hatte Morgenthaler die technische Grundlage zur Herstellung von Nescafé geliefert. Der Weg zur erfolgreichen Einführung und Etablierung des Kaffeepulvers war damit aber selbst innerhalb des Unternehmens noch keinesfalls geebnet:
Zum einen erkannten 1937 nur wenige die Vorteile des Morgenthaler-Verfahrens,1 welches sich durch die Beigabe von geschmacksneutralen Kohlenhydraten und die Egron-Sprühtrocknung substanziell von G. Washington’s Coffee und anderen Kaffee-Extrakten unterschied.2 Darüber hinaus mussten zur Verwertung des Verfahrens die dazu notwendigen technischen Einrichtungen – insbesondere industrielle Druckperkolatoren zur Kaffee-Extraktion – weiter optimiert werden, damit der neue Löslichkaffee zu einem akzeptablen Preis verkauft werden konnte.3
Zum andern war Nescafé nur eines von vielen Kaffeeprodukten, die Nestlé Ende der 1930er-Jahre zur Unterstützung des Milchkonsums entwickelt hatte: Im März 1937 lancierte das Unternehmen an der Westküste der Vereinigten Staaten, wo damals bereits über 20 Instantkaffeemarken existierten, neben der unter Vakuum hermetisch verschlossenen Alpine Milk einen nach dem gleichen Prinzip luftdicht versiegelten Alpine Coffee, der aus gemahlenem Pulverkaffee bestand.4 Gleichzeitig wurde 1937 in Grossbritannien Milkmaid Café au lait in kleinformatigen Dosen eingeführt,5 wodurch die Verkaufszahlen der Milchkaffee-Mischung dort auf über 30 000 Kisten anstiegen. Ebenso konnte sich Coffee & Milk in Australien (5300 Kisten) und Neuseeland (2600 Kisten) einen gewissen Absatz sichern.6
Dass sich Nescafé schliesslich gegenüber den anderen Kaffeeprodukten intern durchsetzte und nicht jeder Markt seine eigene Kaffeemarke lancierte, verdankte er der treibenden Kraft des frisch gewählten Verwaltungsratspräsidenten Eduard Müller, der das Potenzial dieses neuen Produkts früh erkannte. Im März 1937 verschickte Müller den Marktchefs aller bedeutenden Nestlé-Märkte ein Schreiben, in dem er sich für eine schnelle, weltweite Einführung des Nescafés stark machte.7 «[…] Nescafé of ours will be a real winner one day»,8 war er von den Zukunftsperspektiven des Produkts überzeugt. Zwar könne Nescafé qualitativ nicht mit dem besten brasilianischen Kaffee oder der Kaffeetradition des Orients mithalten. Man dürfe aber nicht vergessen, dass der Konsum eines hochstehenden Bohnenkaffees nach wie vor ein Privileg einer kleinen Oberschicht sei, die weder Zeit noch Preis zur Herstellung dieses exklusiven Getränks scheute. Nestlés Vorsitzender sah Nescafé deshalb nicht als Konkurrenzprodukt zu einem erstklassigen Santos-Kaffee, sondern als Massenprodukt für all diejenigen Konsumenten, die gerne schnell und einfach einen guten Kaffee trinken wollten. Besonders in den Grossstädten, wo die Arbeiter über Mittag nicht mehr nach Hause gingen und es schwierig war, einen guten Kaffee zu einem günstigen Preis zu erhalten, sah Müller einen potenziellen Markt für Nescafé. Zudem zeigte sich der Verwaltungsratspräsident zuversichtlich, dass der neue Instantkaffee auch beim Wandern oder Picknick sehr beliebt sein würde.9
Um in diesem Marktsegment konkurrenzfähig zu sein, sollte der Preis für eine Tasse Nescafé etwas günstiger als der einer Tasse Kaffee im Restaurant angesetzt werden,10 aber etwa einen Drittel teurer als eine zu Hause zubereitete Tasse Bohnenkaffee. Diese Preisdifferenz schien Müller gerechtfertigt, da sich der Pulverkaffee wesentlich schneller zubereiten liess als herkömmlicher Röstkaffee. Gleichzeitig gewährte diese Preispolitik Nestlé eine interessante Marge von 15 Prozent für Werbeausgaben und Gewinne.11
Müllers Ankündigung von Nescafé wurde jedoch nicht überall begrüsst. Besonders kritisch reagierte Nestlés Marktchef in Grossbritannien: Zwar überzeugte auch ihn die Qualität des neuen Pulverkaffees, gleichzeitig bemängelte er aber, dass Nestlé erst kürzlich eine verbesserte Form von Milkmaid Café au lait auf den Britischen Inseln eingeführt habe und die Verkaufsabteilung für die rasche Lancierung eines zusätzlichen Kaffeeprodukts nicht über genügend Ressourcen verfüge: «[…] we have just launched our own Café au lait, and have prospects of a really big success with it, we scarely think it would be advisable to introduce Nescafé»,12 war seine Schlussfolgerung. Zusätzlich gab er zu bedenken, dass die Engländer als Teetrinker einen guten Kaffee gar nicht zu schätzen wüssten,13 denn in England waren damals vor allem minderwertige, flüssige Kaffee-Extrakte wie Camp Coffee, Lyons Coffee, Symington’s Coffee oder Bantam Coffee weit verbreitet, die analog zum Tee mit viel Milch und Zucker getrunken wurden. Für ihn hatte Milkmaid Café au lait gegenüber diesen Extrakten den grossen Vorteil, dass die beiden Ingredienzien bereits enthalten waren.14
Als Befürworter von Nescafé zeigte sich Eduard Müller daraufhin zwar einverstanden, die Markteinführung in Grossbritannien um ein Jahr hinauszuschieben – aber dann müsse sie zwingend erfolgen. Dabei betonte er, dass Nescafé gegenüber Milkmaid Café au lait und allen anderen Nestlé-Produkten Priorität genoss, denn Müller war überzeugt, dass Nestlé mit Nescafé endlich das lange gesuchte Produkt gefunden hatte, welches das Unternehmen von der gefährlichen Ertragsabhängigkeit von der gezuckerten Kondensmilch wegführte:
«[…] for many, many years Mr. Dapples and our Management here have been pushing our Laboratories to find something new with big sales prospects with the idea of consolidating our position for the future. You know as well as I do that our best dividend-payer today is Sweetened, whereas we all know that we must not bet too heavily on Evaporated Milk. Of course, Nestlé’s Food, Nestlé’s Cheese and many other lines bring in their little contribution to the till, but even taking them all together they do not amount to much in the aggregate. I say nothing about chocolate because that trade is so competitive that we cannot reckon on much help from that line to stabilise our dividend. Mind you, we don’t despise these minor sources of revenue, but, due to the fact that we lean most heavily on one leg, which is represented by our Sweetened Milk trade, we should very much like to find something to make the other leg sound so as to avoid the Company having some day to use crutches! Nestlé’s Coffee Extract should represent that leg […]»,15 begründete er die Forcierung des neuen Instantkaffees. Entsprechend sorgfältig baute er Nescafé zum neuen Hauptprodukt des Unternehmens auf.
Die Positionierung der Marken Nescafé und Nescoré
Mit dem Morgenthaler-Verfahren liessen sich auch koffeinfreier Kaffee und Zichorien-Kaffee-Mischungen erzeugen.16 Nescafé sollte deshalb ursprünglich in drei verschiedenen Sorten auf den Markt gebracht werden: Einerseits als «reiner Nescafé» in einer koffeinhaltigen und einer koffeinfreien Version. Andererseits als Zichorien-Kaffee-Mischung, die besonders für die Zubereitung von Milchkaffee empfohlen wurde.17
Die Bezeichnungen wurden von den Schweizer Kantonschemikern allerdings beanstandet, weil sie nicht dem Schweizer Lebensmittelgesetz entsprachen: Da Nescafé kein reiner Kaffee war, sondern zur Hälfte aus hinzugefügten Kohlenhydraten bestand, betrachteten sie die Bezeichnung «reiner Nescafé» als irreführend, billigten dagegen den Produktbeschrieb «Extrakt aus reinem Kaffee ohne jedes Ersatzmittel». Der Zichorien-Kaffee-Mischung dagegen wurde die Bezeichnung als Kaffee verwehrt. Weil sie neben Kaffee und Kohlenhydraten noch zu 20 Prozent aus Zichorien bestand, musste sie nach dem schweizerischen Lebensmittelgesetz18 als Kaffee-Ersatzprodukt gekennzeichnet werden. Deshalb entschied sich Nestlé, die Zichorien-Kaffee-Mischung unter der Marke Nescoré auf den Markt zu bringen, um die Marke Nescafé von Anfang an klar von Kaffee-Ersatzprodukten abzuheben.19
Damit war die Auseinandersetzung mit den Behörden allerdings noch nicht beendet. Nestlé kämpfte bei Nescoré weiter gegen dessen Bezeichnung als Ersatzkaffee an. Das chemische Labor der Stadt Zürich verweigerte dem Unternehmen aus Vevey im Mai 1938 jedoch einen anderen Terminus, worauf sich Nestlé an den Verband der Kantons- und Stadtchemiker wandte.20 Diesen konnte der Lebensmittelkonzern davon überzeugen, dass es unangebracht wäre, Nescoré als Kaffee-Ersatzprodukt zu klassifizieren: Kaffee-Ersatzmittel mussten nämlich mit den hauptsächlichen Inhaltsstoffen charakterisiert werden, was im Fall von Nescoré wiederum Kaffee war.21 Deshalb wurde Nescoré schliesslich nicht als Kaffee-Ersatzprodukt, sondern als «Extrakt aus 80 % reinem Kaffee und 20 % Zichorie» gekennzeichnet.22 Mit einigen Monaten Verspätung erhielt Nestlé damit am 30. Juli 1938 doch noch die Bewilligung, um Nescoré nach ihren Vorstellungen einzuführen.23 Die Hartnäckigkeit bei der Bezeichnung ihrer Kaffeeprodukte zeigt, wie minutiös Nestlé auf die Positionierung des Nescafés und Nescorés achtete.
Auch in anderen Ländern führte Nestlé ähnliche Diskussionen mit den Lebensmittelbehörden um die Bezeichnung von Nescafé. Bewusst charakterisierte Nestlé ihren Instantkaffee sowohl im Markennamen als auch in der Produktbeschreibung eindeutig als Kaffee, um ihn klar von den als minderwertig geltenden Kaffee-Surrogaten oder flüssigen Kaffee-Essenzen abzugrenzen.24
Besonders heftig stritt sich das Unternehmen über die Bezeichnung des nach dem Morgenthaler-Verfahren hergestellten Löslichkaffees in Frankreich. Dort mussten alle Bestandteile des Produkts aus der Kaffeebohne stammen, damit man es als Kaffee einordnen durfte. Weil dies beim Morgenthaler-Verfahren nicht der Fall war, der Markenname Nescafé in der französischen Sprache aber ausdrücklich auf einen Kaffee hinwies, schlug die französische Tochtergesellschaft stattdessen Namen wie Neskaoua (eine Mischung aus Nestlé und dem arabischen Wort «Kaoua» für Kaffee), Nesca oder Nestarome vor.25 Diese wiederum erschienen der Unternehmensleitung in Vevey wenig attraktiv. Als neues Hauptprodukt des Unternehmens sollte der Instantkaffee einen international verwendbaren Markennamen tragen, der in allen Sprachen verwendbar war.26
Aus diesem Grund entschied sich Nestlé im März 1938 trotz allen rechtlichen Unsicherheiten, ihren Instantkaffee unter der internationalen Marke Nescafé auf den Markt zu bringen. Falls in einigen Ländern dieser Markenname aufgrund der Nähe zum Wort «Café» verboten worden wäre, hätte man das neue Kaffeeprodukt stattdessen einfach unter den Marken Nescafé oder Nescaféy27 eingeführt.28 Im November 1938 konnte sich Nestlé schliesslich auch mit den französischen Behörden einigen: Der mit Kohlenhydraten versetzte Löslichkaffee durfte zwar nicht als reiner Kaffee beschrieben werden, gleichzeitig erteilte das Amt aber die schriftliche Erlaubnis, das neue Produkt unter der Marke Nescafé zu verkaufen.29
Qualität dank Neutralität
Nach dem Börsenkrach von 1929 lag die brasilianische Kaffeewirtschaft am Boden. Trotzdem wurde der Gedanke der Kaffeevalorisierung30 nicht vollständig aufgegeben. Um das Überangebot an Kaffee zu reduzieren, erhob das brasilianische Kaffeeinstitut (IBC) eine Steuer auf die Exporte in die Industrieländer. Mit diesen Steuereinnahmen konnte der überschüssige Kaffee zerstört oder zu anderen Zwecken billig abgegeben werden.31
Nestlé hoffte damals, dass die brasilianische Regierung bereit sein würde, den überschüssigen Rohkaffee zu einem reduzierten Preis zu liefern, wenn das Unternehmen seinen Löslichkaffee in Brasilien produzieren würde. Dies – so errechnete sich die Nestlé-Führung – hätte sowohl Nestlé als auch der brasilianischen Regierung Vorteile gebracht: Einerseits hätte das Schweizer Unternehmen durch den tiefen Rohkaffeepreis eine wesentlich höhere Rendite erzielen können als in einem Kaffee konsumierenden Land wie Australien, Deutschland, Frankreich, Norwegen oder der Schweiz. Andererseits wäre es auch für die Brasilianer vorteilhaft gewesen, ihren Rohkaffee noch irgendwie verwerten zu können, als ihn einfach zu verbrennen.32
Die Fabrikation von Nescafé in Brasilien wäre aber gleichzeitig auch mit Risiken verbunden gewesen:
Erstens hätte sich Nestlé dadurch von einer Kaffeepolitik abhängig gemacht, die sich von einem Tag auf den anderen ändern konnte.33 Denn angesichts der Tatsache, dass Brasilien in den 1930er-Jahren nicht weniger als 52,2 Millionen Sack Kaffee vernichtet hatte und sich damit an den Rand des Ruins brachte, während sich in seinem Schatten Kolumbien als neue Kaffeemacht etablierte, waren die Brasilianer früher oder später gezwungen, ihre Politik der Kaffeevalorisation aufzugeben.34
Zweitens stellte das staatlich kontrollierte Kaffeeinstitut vielerorts eine Keimzelle ausufernder Korruption dar.35 So wurde Nestlé vom Direktor des nationalen Kaffeedepartements sehr wohl die Möglichkeit angeboten, Kaffee zu günstigen Preisen zu beziehen, allerdings unter der merkwürdigen Bedingung, dass dieser Kaffee seine technischen Dienste passieren musste: «[…] en approchant ces techniciens, les motifs cachés de leur grand chef ont apparu: ils se sont tous très intéressés … financièrement»,36 bemerkte der Marktchef in Brasilien zu diesem Angebot, auf welches daraufhin nicht weiter eingegangen wurde.
Nachdem die Weltmarktpreise für Kaffee zwischen 1931 und 1937 von 21,7 Cents auf 9,8 Cents gesunken waren und Versuche, das Problem der Überproduktion durch ein internationales Abkommen der grössten lateinamerikanischen Kaffeeproduzenten zu lösen, im August 1937 auf der Konferenz in Havanna scheiterten, warf Brasilien im November 1937 schliesslich die riesigen brasilianischen Kaffeereserven auf den Markt.37 Damit fanden sowohl die bisherige Politik der Kaffeevalorisierung als auch die Hoffnung auf eine Nescafé-Fabrikationsanlage in Brasilien ein Ende, denn die brasilianische Regierung verbot nun die Produktion von Löslichkaffee unter dem Vorwand, dieser würde die öffentliche Gesundheit gefährden.38 In Tat und Wahrheit versuchte die brasilianische Regierung jedoch unter dem Druck der mächtigen Kaffee-Exporteure die eigene Kaffeewirtschaft zu schützen. Da es Nestlé nicht gelang, die Regierung davon zu überzeugen, dass Nescafé kein Konkurrenzprodukt für den brasilianischen Kaffee-Export darstellte, musste das Schweizer Unternehmen das Fabrikprojekt in Brasilien schliesslich aufgeben.39
Zeitgleich entschied sich Nestlé 1937, die Schokolade- und Milchfabrikation in der Schweiz in einer Fabrik zu konzentrieren, denn aufgrund des starken Schweizer Frankens und steigender Zollschranken hatte Nestlé immer weniger Milch aus der Schweiz exportiert. Die Wahl fiel dabei auf Broc, während in Orbe eine Fabrikationsanlage frei wurde. Es bot sich daher an, in der leerstehenden Produktionsstätte in Orbe Nescafé herzustellen.40 Darüber hinaus hatte der neutrale Standort Schweiz einen weiteren entscheidenden Vorteil gegenüber der Instantkaffeefabrikation in einem Kaffee produzierenden Land wie Brasilien: Während dort nur brasilianische Bohnen zur Kaffeeproduktion verwendet werden durften, konnten die Kaffeebohnen in der Schweiz von überall her eingeführt werden. Dabei zeigte sich, dass Nescafé den besten Geschmack erhielt, wenn Kaffeesorten aus verschiedenen Herkunftsländern miteinander gemischt wurden.41 Ausserdem konnte Nestlé durch die freie Wahl der Kaffeebohnen den unterschiedlichen Geschmackspräferenzen in den einzelnen Ländern besser Rechnung tragen, indem Nescafé nicht als Standardprodukt hergestellt wurde, sondern Röstgrad und Herkunft der Bohnen sorgfältig auf die lokalen Konsumgewohnheiten angepasst wurden. Hierin lag ein wesentlicher Grund für den späteren Erfolg des Nescafés auf allen Märkten der Welt.42
Zwischen Wirtschaftskrise und Weltkrieg – eine Lancierung in stürmischen Zeiten
Die Markteinführung in der Schweiz
«Betrachten wir die heutigen Verhältnisse, so müssen wir […] wohl oder übel feststellen, dass wir uns noch im Zeitabschnitt der mageren Kühe befinden […]. Wenn wir folglich am Jahresende in dieser Herde magerer Kühe eine finden, die sich einigermassen sehen lässt, so sind wir keine allzu schlechte Hirten gewesen»,43 hielt Verwaltungsratspräsident Eduard Müller anlässlich der Generalversammlung 1939 fest. Damit tönte er einerseits seine Zuversicht bezüglich der Entwicklung von Nescafé an, andererseits musste das Unternehmen in guten Geschäftsjahren weiterhin zweifelhafte Werte abschreiben, um wieder auf einem soliden ökonomischen Fundament zu stehen.44 Angesichts dieser Finanzlage konnte sich Nestlé keine teuren Fehlschläge leisten. Entsprechend vorsichtig erfolgte die Markteinführung des Nescafés: Zuerst wurde der neue Instantkaffee im kleinen Rahmen in der Schweiz getestet und aufgrund der daraus gewonnenen Erfahrungen verbessert, bevor er weltweit verbreitet werden sollte.45
Um das Marktpotenzial abzuschätzen, holte sich Nestlé vor der Lancierung die Meinung der Schweizer Armee ein und bat die Direktoren von Kaffee Hag, Usego und Merkur Kaffee, die alle im schweizerischen Kaffeegeschäft tätig waren, um ein kompetentes Urteil zur Qualität und zu den Marktchancen des neuen Produkts. Einhellig waren die drei Kaffee-Experten der Ansicht, dass Nescafé jedem bisherigen Löslichkaffee qualitativ überlegen sei. Fast ebenso einhellig bezweifelten sie allerdings, dass das Produkt über einen begrenzten Absatzmarkt hinaus eine Käuferschaft finden würde: Mit einem Bohnenkaffee könne Nescafé nicht mithalten, und andere Instantkaffeeproduzenten seien in der Schweiz bisher erfolglos geblieben. Höchstens als Notration im Haushalt sowie als praktischer Reisekaffee für Touristen, Bergsteiger oder Soldaten sahen sie eine gewisse Verwendung. Weit mehr Erfolgschancen gaben sie dem Produkt ausserhalb der Schweiz – in Italien, wo ein guter Kaffee schwierig zu erhalten sei, oder in den Vereinigten Staaten, wo bereits ein bedeutenderer Instantkaffeemarkt existierte und G. Washington’s Coffee eine grössere Anhängerschaft gewinnen konnte.46 Immerhin zeigte sich Merkur Kaffee aber bereit, in Zusammenarbeit mit Nestlé ab dem 15. Februar 1938 in mehreren Schweizer Städten Degustationen durchzuführen, um das Publikumsinteresse an Nescafé auszuloten.47
Am 1. April 1938 erschien Nescafé schliesslich offiziell in den Schweizer Ladenregalen. Die Neuheit war in zwei Formaten erhältlich: einerseits in einer kleinen Degustationsportion (9-Gramm-Aluminiumtube), die das Interesse der Schweizer Bevölkerung am Löslichkaffee wecken sollte. Andererseits in der 95-Gramm-Dose, welche für einen festen Kundenkreis gedacht war.48 Damit das Produkt rasch an Popularität gewann, wurde die Markteinführung von weiteren Gratis-Degustationen in allen Schweizer Grossstädten49 begleitet und die Vorteile des neuen Löslichkaffees auf Werbeschriften bekannt gemacht: «Praktisch – sofort trinkbereit – sparsam im Gebrauch!»,50 lautete die Botschaft. Ausdrücklich hervorgehoben wurden Fortschritt und Einfachheit, mit der sich das Produkt zubereiten liess, sowie der gute Kaffeegeschmack. Wichtig war zudem, dass Nescafé ein Produkt von Nestlé war, damit die Schweizer Kundschaft sofort Vertrauen in die Qualität des neuen Kaffeeprodukts gewann.51
Besondere Aufmerksamkeit wurde den Alpinisten, Touristen und Autofahrern gewidmet,52 aber auch Skiläufer, Segler und Pfadfinder wurden als Zielgruppe rege beworben. Ein weiteres Kundensegment ortete Nestlé zudem bei den Früharbeitern, den Nachtarbeitern und den Reisenden, die schnell und ohne Zeitaufwand einen Kaffee zu sich nehmen wollten. Nicht zuletzt spiegelten sich in der Werbung für Nescafé auch die damaligen Rollenbilder von Mann und Frau wieder, indem der neue Löslichkaffee alleinstehenden Männern empfohlen wurde, die ohne weibliche Hilfeleistung einen Kaffee zubereiten mussten, sowie der bürgerlichen Hausfrau als schnelle Lösung im Falle eines unerwarteten Besuchs.53
Des Weiteren ging Nestlé davon aus, dass ein Käufer von gezuckerter Kondensmilch ebenfalls ein potenzieller Kunde von Nescafé war, da beide Produkte über ähnliche Vorteile verfügten. Aus diesem Grund wies das Unternehmen auf ihrer Kondensmilch explizit auf den neuen Instantkaffee hin und empfahl ihn zur schnellen Zubereitung eines «Café crème»54 in Kombination mit sterilisiertem Ideal-Rahm.55
«Der Blitzkaffee ohne Kanne», wie Nescafé auf den Werbebannern genannt wurde, schlug in der Schweiz voll ein.56 Das neue Produkt erfreute sich sofort grosser Beliebtheit und übertraf die Verkaufserwartungen bei weitem: Schon nach zwei Monaten war die für das ganze Jahr budgetierte Umsatzmenge erreicht. Diesem enormen Ansturm war die Instantkaffeefabrik in Orbe zeitweise nicht gewachsen, die Lieferrückstände konnten jedoch in Grenzen gehalten werden.57 Nachdem der koffeinfreie Nescafé und Nescoré am 1. September von den Schweizer Behörden ebenfalls die Verkaufsbewilligung erhalten hatten,58 belief sich Nestlés Instantkaffeeabsatz bis zum Jahresende auf rund 8400 Kisten zu 48 Dosen sowie mehrere zehntausend Kartons zu je 50 Aluminiumtuben.59 Die entkoffeinierten Kaffeebohnen zur Herstellung von koffeinfreiem Nescafé bezog Nestlé bei der Firma Coffex in Schaffhausen, welche mit Hilfe des Lösungsmittels Dichlorethylen60 fast 98 Prozent des Koffeins aus der Bohne entzog und damit der Konkurrenz von Kaffee Hag und Sanka überlegen war.61
Auch ökonomisch gesehen war Nescafé auf Anhieb ein grosser Erfolg: Anstatt des ursprünglich budgetierten Defizits von 35 000 Schweizer Franken resultierte 1938 sogar ein kleiner Gewinn von 15 000 Schweizer Franken. Damit konnten die Spezialinstallationen in Orbe, welche zur Herstellung von Nescafé eingerichtet werden mussten, gleich im ersten Jahr amortisiert werden. Für das folgende Jahr sah Nestlé bereits einen Anstieg des Gewinns auf 40 000 Schweizer Franken voraus. Die Rentabilität des neuen Instantkaffees war für das Unternehmen aus Vevey sehr interessant, wenn man bedenkt, dass die Preise absichtlich tief angesetzt worden waren, damit das Produkt eine gewisse Popularität erhielt. Eine Tasse Nescafé war in der Praxis nicht wesentlich teurer als eine durchschnittliche Tasse Röstkaffee. Es zeigte sich, dass der Konsument bereit war, für eine einfachere Zubereitung einen leicht höheren Preis zu bezahlen.62
Die erfreulichen Resultate in der Schweiz veranlassten den Verwaltungsrat, die Verbreitung des Nescafés in weiteren Ländern unverzüglich an die Hand zu nehmen, denn Nestlé fürchtete, der Erfolg des neuen Produkts würde grosse Kaffeeunternehmen im Ausland schnell dazu bewegen, ebenfalls ins Instantkaffeesegment einzusteigen. Da die Produkte der Konkurrenz aber vermutlich von geringerer Qualität gewesen wären, wollte Nestlé der Konkurrenz zuvorkommen, um gleich zu Beginn einen hohen Standard zu setzen und das Ansehen des Instantkaffees zu schützen.63
Abbildung 4: Schluss mit dem mühsamen Kaffeemahlen und Kaffeefiltern! 1938 wurde Nescafé als praktisches Produkt der modernen Hausfrau auf den Markt gebracht, wie die Werbeanzeige aus der Schweiz zeigt.
Abbildung 5: An Degustationsständen wurde 1938 die einfache Zubereitungsart von Nescafé dem Schweizer Publikum vertraut gemacht.