Kitabı oku: «Seelenheilung», sayfa 2

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Vielleicht ist ja der Umstand, dass unsere moderne Industrie­gesellschaft genau auf der anderen Seite der Realität ihren Schwerpunkt setzt - nämlich auf der Seite der sichtbaren, erklärbaren und materialistisch ausgerichteten Wirklichkeit - der Grund für die zunehmende Sehnsucht auch zivilisierter Menschen nach dem Ungesehenen, dem Unerklärlichen und nach der Verbundenheit auch und vor allem mit diesem Teil der Schöpfung.

Seelenmythologie

Über die Art und Weise des Umwandlungs- oder Transformations-prozesses vom ‚Gesehenen zum Ungesehenen‘ gibt es eine Vielzahl von Überlieferungen, Mythen und Erfahrungsberichten. Zur weiteren Erforschung der natürlichen Gesetzmäßigkeiten des Seelenlebens sei daher an dieser Stelle ein kleiner Ausflug in die mythologischen Gefilde erlaubt. Die Seelenverständnisse früherer Kulturen und Zivilisationen erlauben nämlich einen weniger naturwissenschaftlich und materialistisch geprägten Blick. Stattdessen besteht die Hoffnung, dass die darin zum Ausdruck kommenden Seelenverständnisse noch etwas näher an den natürlichen Gesetzmäßigkeiten ausgerichtet und orientiert sind, als es in unserer modernen, materiell ausgerichteten Welt der Fall ist.

In einer der frühesten Hochkulturen dieser Erde, in Ägypten, ist die Vorstellung eines Lebens nach dem Tode und damit die Annahme einer nicht körpergebundenen Substanz besonders gut erkennbar: Der Aufwand, der rund um das Thema Tod betrieben wurde, war enorm. Von den akribisch geregelten Mumifizierungspraktiken bis zu der sehr aufwendigen Gestaltung der Grabstätten wirkt der Umgang mit dem jenseitigen Leben sehr umfangreich und methodisch. Offenbar ging es in dieser Kultur weniger um die Frage nach dem ob als vielmehr um das wie eines außerkörperlichen Lebens. Vielleicht ist es gerade diese scheinbare Gewissheit, die das nicht nachlassende Interesse an der ägyptischen Kultur in der heutigen Zeit zumindest teilweise erklärt. Die Begräbnisstätten und die damit verbundenen Kunstwerke machen schließlich einen guten Teil der Überlieferung aus. Dabei wird diese äußerliche Darstellung des Todes genährt von einer sehr bildhaften mythologischen Sprache, die den Übergang von einem Bewusstseinszustand, dem physischen Leben, in einen anderen, jenseitigen Zustand erklärt. Ohne an dieser Stelle auf alle Details dieser sehr umfangreichen Mythologie eingehen zu wollen, lässt sich in Bezug auf das Seelenverständnis Folgendes zusammenfassen:

Im Mittelpunkt des Geschehens steht die Idee einer nicht materiellen Substanz, dem ‚Ba‘, die im Augenblick des Todes als Seelenvogel aus dem Körper austritt und in des Totenreich des Osiris überwechselt. Dieses ‚Ba‘ war zuvor bei der Geburt des Menschen wie ein Vogel in einen Käfig in ihn hineingeflogen, um ihn nach dem Tode in die wieder gewonnene Freiheit zu verlassen. Interessanterweise wird zusätzlich zum seelischen ‚Ba‘ die Existenz einer göttlichen Schaffenskraft, dem ‚Ka‘, erwähnt, die als grundlegendes Lebensprinzip allen Lebewesen gegeben ist. Diese Unterscheidung zwischen der eher persönlichen Seele, dem ‚Ba‘ und einer eher unpersönlichen göttlichen Energie, dem ‚Ka‘, wird uns an anderer Stelle noch beschäftigen. Die Kombination dieser zwei bedeutungsvollen Silben findet man übrigens auch in anderen religiösen Zusammenhängen, wie z.B. in der „Kaaba“, dem größten Heiligtum des Islams oder auch in der jüdischen ‚Kabbala‘.

Vollkommen unabhängig (?) von dieser mythologischen Seite des ägyptischen Seelenverständnisses werden Sie aber vielleicht beim nächsten Einkauf des köstlichen Plantagentranks, genannt ‚Kaba‘, mit etwas anderen Augen betrachten.

Im frühgeschichtlichen China wurde ebenfalls von zwei verschiedenen Seelen gesprochen: Man nahm eine Körperseele (P‘o) und eine Hauchseele (Hun) als zwei separate Entitäten im Menschen an. Die Körperseele ist für körperliche Funktionen zuständig, die Hauchseele für Bewusstsein und Verstand. Die Hauchseele kann den Körper schon zu Lebzeiten verlassen und trennt sich bei seinem Tod endgültig von ihm. Auch die Körperseele besteht nach dem Tode fort, doch bleibt sie mit dem Körper verbunden und begleitet ihn normalerweise ins Grab, wo die Grabbeigaben für ihr Wohlergehen sorgen sollen. Die P‘o-Seele ist dem dunklen, weiblichen Yin-Prinzip und der Erde zugeordnet, sie entsteht zugleich mit dem Embryo, die Hun-Seele ist dem männlichen, hellen Yang-Prinzip und dem Himmel zugeordnet, sie entsteht, wenn der Mensch bei seiner Geburt ins Licht kommt. Die Hun-Seele kann sich nach einem natürlichen Tod des Körpers in den Himmel oder in einen anderen Jenseitsbereich begeben.

Diese schon in den ersten so genannten Hochkulturen der Menschheitsgeschichte getroffene Unterscheidung zwischen mindestens zweierlei Seelenformen oder -arten zieht sich wie ein roter Faden durch eine Vielzahl von mythologischen und religiösen Vorstellungen. Die griechischen Philosophen, allen voran Platon, sprechen gar von einer Dreiteilung der seelischen Vorgänge: Die inneren Konflikte der Menschen erklärt Platon damit, dass die Seele aus wesensverschiedenen Teilen bestehe, einem vernunftbegabten Teil (logistikón) mit Sitz im Gehirn, einem triebhaften, begehrenden (epithymētikón) mit Sitz im Unterleib und einem muthaften (thymoeidēs) mit Sitz in der Brust. Dafür verwendet Platon das Bild eines Pferdewagens: Die Vernunft hat als Wagenlenker ein Zweigespann von zwei verschiedenen Rossen (Wille und Begehren) zu lenken und dabei das ungezügelte Ross des Begehrens zu bändigen, damit jeder Seelenteil die ihm zukommende Funktion in rechter Weise erfüllt. Wenn darin die frühen Vorboten einer von Sigmund Freud Jahrhunderte beziehungsweise Jahrtausende später postulierten Dreiteilung in Form des Es-Ich-Überichs erkennbar sind, so spricht dies wiederum dafür, dass es bestimmte übergeordnete Gesetzmäßigkeiten gibt, nach denen sich die Menschen über Jahrhunderte hinweg orientierten, um sie je nach den jeweiligen Zeitgeistern auszuformen.

Seele und persönliche Entwicklung

Platon war es auch, der in der Überwindung der sich im schein­­baren Widerspruch und Gegensatz zueinander befinden­den Seelenanteile die eigentliche Entwicklungsaufgabe des Menschen sah: Die Sorge um das Wohlergehen der Seele sei vorrangige Aufgabe, um dem Menschen zur Unsterblichkeit und Teilhabe an der von ihm so genannten unvergänglichen, weil geistigen ‚Ideenwelt‘ zu verhelfen. Dabei kommt gerade dem Menschen, der als einziges Lebewesen mit einer Vernunftseele ausgestattet ist, eine besondere und hervorgehobene Stellung zu, während das Tier- und Pflanzenreich auf niederer Stufe beseelt ist.

Der Gedanke von einer Entwicklung hin zu einer persönlichen seelischen Reife als Lebensaufgabe für den Menschen taucht in den meisten Kulturen und Religionen der Welt auf. Diese ‚Individualisierung‘ des Seelenlebens scheint jedoch eng verknüpft zu sein mit dem jeweiligen geistigen Überbau der jeweiligen Kultur: Im Bereich der Naturreligionen, wie die der Kelten, Germanen oder auch der Indianer Nordamerikas findet man dagegen eine viel ausgeprägtere Identifikation des Menschen mit den überpersönlichen, irdischen Vorgängen und Kreisläufen. Die Kelten beispielsweise bezeichneten den Tod als ‚die Mitte eines langen Lebens‘. Es herrscht weiterhin der gleiche Geist, nur in einem anderen Körper und in einer anderen Welt. Das heißt, beim Eintritt des Todes verlässt die Seele den einen Körper, um in einem anderen Körper weiter zu existieren. Der damit zum Ausdruck gebrachte Prozess der Seelenwanderung oder Seelenwandlung ist jedoch im Gegensatz zur Reinkartnationslehre des Hinduismus nicht persönlich und individuell gedacht. Vielmehr folgt diese Anschauung von der Unsterblichkeit der Seele dem Grundsatz von den fließenden Übergängen der sicht- und greifbaren Welt und der so genannten ‚Anderwelt‘. Wie alle Naturreligionen waren auch die Kelten durchdrungen von der Überzeugung, dass es keine wirkliche Trennung zwischen physischer und geistiger Wirklichkeit gibt, weder im Leben des einzelnen Menschen, noch in der Welt als Ganzem. Alles ist mit allem verbunden. Folglich wurde den persönlichen und individuellen Unterschieden zwischen den Menschen viel weniger Gewicht beigemessen. An erster Stelle stand nicht die Einzelperson, sondern die Gemeinschaft und die gemeinsame Teilhabe am übergeordneten ewigen Kreislauf von Wachsen und Sterben, von Leben und Tod, wie er auch in der Natur zu beobachten ist. Daher war auch die Seele nicht wirklich individuell, sondern Teil eines übergeordneten Ganzen.

Vermutlich liegt gerade in diesem Aspekt der untrennbaren seelischen Verbundenheit mit der Natur der große Reiz der animistischen Naturreligionen in unserer heutigen Zeit. Wo Kelten, Germanen und Indianer einen scheinbar ganzheitlichen Zugang zur diesseitigen und jenseitigen Welt hatten, leben wir heutzutage in einer ‚verkopften‘, einseitig rational ausge­richteten Welt. Wir scheinen eher im Gegensatz denn im Einklang mit der Natur in und um uns herum zu leben. Doch Vorsicht: Das Rad der Entwicklung lässt sich nun einmal auch in diesem Zusammenhang nicht zurückdrehen. Die damaligen Naturreligionen hatten vermutlich keinen wirklichen Sinn für Weiterentwicklung oder das Bedürfnis für nennenswerte Veränderungen. Warum bestehende Ordnungen in Frage stellen, wenn sie sich seit Generationen bewährt haben? Diejenigen, die es dennoch wagten, den Kopf aus der Masse zu erheben, liefen ständig Gefahr, denselbigen zu verlieren. Die Vorstellung von Völkern und Kulturen, die ganz im Einklang mit sich und der Natur leben, kann vermutlich nur mit dem entsprechenden Bewusstseinszustand überhaupt erlebt und schließlich ertragen werden. Von einem durch und durch individualisierten Menschen der so genannten zivilisierten Welt ist kaum zu erwarten, dass er diese Individualität wie einen Mantel abstreift und sich als mehr oder weniger unpersönlichen Bestandteil einer übergeordneten Gemeinschaft empfindet.

Daher sei an dieser Stelle die Bemerkung erlaubt, dass bei aller Inspiration, die man durch die Beschäftigung mit der mythologischen Seite der Seele erfahren kann, die eigentliche Aufgabe wohl darin besteht, sich über die zugrunde liegenden Gesetzmäßigkeiten klar zu werden und auf das eigene seelische Erleben und dessen Weiterentwicklung anzuwenden.

Genau dieser Weg soll in den weiteren Kapiteln beschritten werden.


„Das Wort Seele hat ja seinem Ursprung nach mit ‚See’ zu tun, es steht für Tiefe des Menschen, für das Unergründliche, das Geheimnisvolle in ihm, für seine innere Welt.“

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Seelenverständnisse

Einig sind sich die zahlreichen religiösen und mythologischen Vorstellungen darin, dass es wohl verschiedene Teile oder Funktionen der Seele gibt: Zum einen den für die Aufrechterhaltung der körperlichen Prozesse zuständigen Teil, Vital- oder auch Körperseele genannt. Hier finden sich denn auch Fauna und vielleicht sogar Flora als beseelte Wesen wieder. Es geht diesem Teil der Seele vorrangig um die Bewahrung der Intaktheit und Gesundheit. In diesem Sinne kann man wohl auch von Tieren als ‚beseelten‘ Lebewesen reden.

Was den Menschen als Lebewesen aus diesem rein planetarischen Funktionieren jedoch herausragen lässt, ist die Fähigkeit zu geistigen Prozessen und damit zu einer Verbindung der individuellen Seele mit überirdischen Welten. Dieses Streben und Suchen nach Überirdischem scheint etwas spezifisch Menschliches zu sein. Es ist unter anderem daran erkennbar, dass der Mensch das einzige Lebewesen auf diesem Planeten zu sein scheint, das sich für ein Leben außerhalb der Erdatmosphäre interessiert. Sei es durch tatsächliche Erforschung des Weltalls, sei es durch die persönliche Betrachtung und bewusste Hinwendung zu Sonne, Mond und Sterne - der Mensch strebt seit Jahrtausenden mit Leib und Seele nach eben diesem Überirdischen. Selbst Hunde, die gelegentlich den Mond anheulen, dürften dies wohl eher aufgrund biologischer Programmierungen, als zum Zweck der seelischen Erbauung, tun. Mir ist jedenfalls derzeit kein weiteres Lebewesen bekannt, das bewusst den Anblick der Himmelsgestirne genießt und dabei romantische oder schwärmerische Gefühle entwickelt.

Der zweite Teil der Seele des Menschen scheint daher - neben den starken Gefühlen der Erhabenheit und Verbundenheit mit der planetarischen Natur - ein sehr großes Interesse an den überirdischen Welten zu haben.

Die menschliche Seele hat also einen körperlichen wie auch einen geistigen Aspekt. Am Ende stellt sie das entscheidende Bindeglied zwischen diesen beiden Bereichen des menschlichen Lebens dar.

Die Seele als Dirigent

Beginnen möchte ich an dieser Stelle mit der Funktion der Seele, die in erster Linie der Aufrechterhaltung und Koordination der körperlichen Funktionen des Menschen dient: Nennen wir sie der Einfachheit halber Körper- oder Vitalseele. Dabei geht es nicht um die physischen Abläufe an sich, sondern um die Verbindung zwischen der körperlichen und der geistigen Ebene.

Wenn man nun das Zusammenspiel der biologisch-physiologischen Kräfte des Menschen, seine Sinne und die damit verbundenen Energiekreisläufe bildhaft mit einem großen Sinfonieorchester vergleichen würde, wäre die Rolle der Körper- oder Vitalseele die des Dirigenten. Ihre Aufgabe ist es, die natürlichen lebenserhaltenden Funktionen des Menschen mit seinem Erleben, seinen Gedanken, Empfindungen und Handlungen zu überwachen und in Einklang zu bringen - ihn im wahrsten Sinne zu einem beseelten Wesen zu machen. Dabei agiert sie eher konservativ, d.h. in dem Wortsinn erhaltend und ist Neuerungen und Veränderungen erst einmal skeptisch gegenüber eingestellt. Dies erklärt sich daraus, dass ihre Funktion in erster Linie darin besteht, dass das gesamte Orchester in größtmöglicher Harmonie zusammenspielt. Die einzelnen Instrumente werden zwar in ihrem solistischen Können gewürdigt und können phasenweise zur Geltung kommen. Dies jedoch nur so lange, wie der Gesamtzusammenhang - das heißt die Melodieführung der jeweiligen Sinfonie - gewährleistet ist. Auf den Menschen übertragen bedeutet dies: Wann immer wir uns aus unserem natürlichen Gleichgewicht der Kräfte hinausbewegen, sendet die Seele Warnsignale aus, um uns wieder ins rechte Lot, bzw. Gleis zu bringen.

Man denke beispielsweise an einen Extrembergsteiger, der aufgrund einer enormen physischen, emotionalen und mentalen Belastung die eigenen Grenzen erreicht oder zeitweise sogar überschreitet. Dabei wird er auch immer wieder bestimmte warnende Signale des Körpers in Form von Erschöpfung wahrnehmen oder innere Stimmen hören, die ihn zur Umkehr oder zumindest zum Innehalten bewegen wollen. Seine Lungenfunktion, das gesamte Herz-Kreislaufsystem und alle anderen lebensnotwendigen Körperfunktionen sind die entscheidenden Signalgeber. Das Gleiche passiert dem Berufstätigen, der über längere Zeit hinweg eindeutige Signale einer körperlich-geistig-seelischen Überforderung ignoriert und sich selbst in einen Zustand des Ausgebranntseins, fachsprachlich ‚Burnout‘ genannt, hineinmanövriert. Das reicht von Schwindelattacken über Magen- und Darmbeschwerden bis zu massiven Erschöpfungszuständen. Diese Warnsignale werden von unserer Körperseele ausgesendet, um uns daran zu erinnern, dass wir in einem Zustand der natürlichen Ausgewogenheit am Besten funktionieren und damit unser persönliches Wohlbefinden bewahrt wird. Ignorieren wir diese Warnsignale über längere Zeiträume, verbrennen wir im wahrsten Sinne unsere seelische Energie. Wir bleiben ausgebrannt und als nahezu seelenloses Wesen auf der Strecke. Mit anderen Worten: Wer seine Seele nicht ab und zu baumeln lässt, dem kann es passieren, dass er ins Taumeln gerät.

Seelisches Gleichgewicht

Die Seele ist dabei in einem weiteren Bild vergleichbar mit der Elektrizität, die im Hause des Menschen - also seinem Körper mit all seinen Bestandteilen wie Knochen, Muskeln, Sehnen, Nerven und Organen mit ihren vielfältigen Sinnesfunktionen - die nötige Energie liefert. Ist unser seelisches Leben aus dem Gleichgewicht, so wirkt sich dies wie im Stromkreislauf auf alle angeschlossenen Geräte aus, sei es durch eine schwächere Leistung der einzelnen Teile oder aber durch einen kompletten Kurzschluss und damit den Ausfall des ganzen Systems. Dies ist ein Zustand, der sich in Formulierungen wie „Ich fühle mich saft- und kraftlos“ oder „Ich stehe ständig unter Strom“ bildhaft ausdrückt. Im Moment der anhaltenden seelischen Belastung sind wir scheinbar nicht mehr im Vollbesitz unserer seelisch-geistig-körperlichen Fähigkeiten. Das Wort ‚Stress‘, bzw. das englische Wort ‚distress‘ (= Sorge, Kummer), stammt ursprünglich vom lateinischen ‚distringere‘, was so viel bedeutet wie ‚einengen, abschneiden‘, will sagen: In dem Moment, in dem wir unter dauerhaftem, also chronischen Stress stehen, ohne ihn angemessen abbauen, bzw. bewältigen zu können, sind wir abgeschnitten von unseren natürlichen Fähigkeiten. Als Folge brennt uns entweder die eine oder andere Sicherung durch oder aber es bricht gleich der gesamte (Strom-) Kreislauf zusammen.

Gott sei Dank haben wir wie jeder geregelte Stromkreislauf ein gut ausgetüfteltes Sicherungssystem. Da gibt es einzelne Sicherungen wie die kleinen Warnsignale von Kurzatmigkeit über Schweißausbrüche bis zu Herzrasen. Wenn diese Sicherungssysteme versagen oder ignoriert werden, gibt es immer noch einen (FI-) Schutzschalter für den gesamten Kreislauf, vergleichbar mit einem Kreislaufkollaps beim Menschen. All diese, auch unter dem Namen ‚Stresssymptome‘ bekannten Warnsignale sind im Gesamtsystem Mensch eingebaute Sicherungsmechanismen, um uns vor Schlimmerem zu bewahren. Wenn wir sie ignorieren und uns nicht auf die Suche nach der möglichen Ursache der Störung der Stromversorgung machen, sind wir ständig damit beschäftigt, die Sicherungen zu wechseln. Im therapeutischen Sinne spricht man dabei von der so genannten Symptombehandlung, der sowohl im medizinischen wie psychiatrischen Bereich nach wie vor am Weitesten verbreiteten Behandlungsform. Dabei würde wohl kein professioneller Elektriker bei einer Störung des Stromkreislaufes auf die Idee kommen, den betroffenen Hausbesitzer dauerhaft mit einer ganzen Wagenladung Sicherungen zu versorgen und zu glauben, damit dem Übel nachhaltig Abhilfe verschafft zu haben.

Es gilt also im Falle wiederkehrender Unterbrechungen und Ausfälle der Stromversorgung, sprich chronischem Stress, eine Bestandsaufnahme zu machen. Eine Bestandsaufnahme, die sowohl die körperlichen Symptome, als auch die psychischen Spannungszustände des Menschen erfasst.

Auf den Komponisten kommt es an

Um zum ursprünglichen Bild der Seele als Orchesterdirigenten zurückzukehren: Wenn man dem Menschen zu einer wirklichen Heil-, das heißt Ganzwerdung verhelfen will, bedarf es also einer Betrachtung des ganzen Orchesters und seines Zusammenspiels mit dem Dirigenten. Misstöne im Klangkörper sind selten auf einzelne Instrumente oder Musiker beschränkt, sondern werden meist durch die mangelhafte Abstimmung zwischen den einzelnen Teilen verursacht. Selbst bei einem scheinbar eindeutigen Missklang im System des Menschen in Form eines Herzinfarktes ist es nie das Herz alleine, das das Problem darstellt. Das Zusammenspiel mit der Blutversorgung im Körper ist ein wesentlicher Zusammenhang, den es bei jeglicher Art von Herzversagen zu berücksichtigen gilt. Die Blutversorgung wiederum ist abhängig von einer Vielzahl von Faktoren wie Ernährung, Bewegung, geistiger und emotionaler Beanspruchung und damit der Gewohnheiten und der persönlichen Lebenseinstellung des betroffenen Menschen. Die Seele selbst, also der Dirigent, ist nämlich abhängig davon, welche Art der Komposition es zu interpretieren gilt. Die Vorlage des Komponisten ist immer noch die entscheidende Grundlage für jegliches musikalische Zusammenspiel. Das heißt, ohne Komponist kein Dirigent und auch kein Orchester. Drei mal dürfen Sie an dieser Stelle raten, wem in diesem Zusammenhang die Rolle des Komponisten zufällt. Genau. Sie selbst sind es, die Ihrer Seele die entsprechenden Vorgaben zu machen haben und Sie mit der Aufführung der Sinfonie beauftragen. Selbst der egozentrischste Dirigent wird zugestehen, dass er ohne die Komposition aufgeschmissen wäre und sich daher in erster Linie mehr oder weniger loyal dem Komponisten gegenüber verhalten. Das wiederum bedeutet, Sie selbst geben letzten Endes im wahrsten Sinne den Ton und den Takt an. Von Ihren Vorgaben wird es abhängen, wie sich Ihre Seele als ausführender Dirigent betätigen kann. Ihre ureigenste Aufgabe ist es also, Ihrer Seele konkrete Anweisungen zu erteilen und sie dazu anzuhalten, das zur Aufführung anstehende Stück nach Ihren Vorstellungen zu gestalten.

Erfahrungen

Die Art und Weise, wie Sie die eigene Seelensinfonie gestalten, ist wiederum abhängig davon, welche Erfahrungen Sie im Laufe Ihres Lebens gemacht haben. Die Umwelt, in der wir aufwachsen und in der wir leben, die Menschen, denen wir auf dem Weg begegnen, die eigenen Aktivitäten und die Interessen, die wir verfolgen - all dies prägt uns und unsere Seele nachhaltig. Es ist tatsächlich vergleichbar mit der Software eines Computers: Aufgrund der von uns gemachten Erfahrungen erhält unsere Seele ein Programm, das auf ihrer Festplatte gespeichert wird. Bei Bedarf wird dieses Programm abgerufen und wir reagieren nahezu automatisch, das heißt entsprechend der installierten Software - unserer unbewusst gespeicherten Erfahrungen. Diese automatisierten, weil vorprogrammierten Aktionen und Reaktionen, laufen in erster Linie auf der unbewussten Ebene unseres Lebens ab. Das Beruhigende ist: Sobald wir unser Bewusstsein einschalten, haben wir jederzeit die Möglichkeit, uns über unsere gemachten Erfahrungen - also unsere Seelenprogramme - hinwegzusetzen. In diesem Augenblick können wir dann die aktuelle Situation relativ unvoreingenommen bewerten und neu angehen. In der Realität sieht es allerdings so aus, dass diese Situationen, in denen wir uns selbst und unserer Aktionen beziehungsweise Reaktionen völlig bewusst sind, eher die Ausnahme darstellen. Einen guten Teil unseres Lebensalltags absolvieren wir nämlich mehr oder weniger unbewusst. Die Psychologie behauptet sogar in ihrem Eisbergmodell der Wahrnehmung, dass der Anteil der bewussten Prozesse gerade einmal die berühmte Spitze des Eisbergs darstellt. Mit anderen Worten: Maximal 20-30% unserer gesamten Wahrnehmungsprozesse sind uns bewusst. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass unser Leben zu einem weitaus größeren Anteil (70-80%!) aus unbewussten - also weniger steuerbaren - Prozessen besteht. Angenommen, die Wissenschaft hätte in diesem Falle tatsächlich recht: Dann wird die Aussage, unser Seelenleben sei vor allen Dingen das Ergebnis früherer Erfahrungen und Prägungen, die auf der unbewussten Ebene unser heutiges Leben weitgehend bestimmen, etwas verständlicher.

Dies alles mag auf den ersten Blick sehr mechanisch klingen und wenig mit dem zu tun haben, womit man das Seelenleben im Allgemeinen in Verbindung bringt. Es sei daher an dieser Stelle daran erinnert, dass wir noch immer von dem Teil der Seele sprechen, der als Körper- oder Vitalseele bezeichnet werden kann. Zu den ‚höheren‘ seelischen Aspekten später mehr.

Allgemein gilt im Bereich der gemachten Erfahrungen der Grundsatz „Je früher die Erfahrung, desto gravierender und nachhaltiger die Auswirkungen“ (siehe auch im Buch „Psychologie für die Seele“). Wenn ich als Kind das so genannte Urvertrauen in vollen Zügen genießen durfte, ist die Wahrscheinlichkeit, dass ich als Erwachsener ein mehr oder weniger ‚gesundes Selbstvertrauen‘ besitze, relativ groß. Unter Urvertrauen wird dabei das bedingungslose Vertrauen des Kindes verstanden, dass die Mutter beziehungsweise die Eltern für das Kind da sind und für es sorgen, es während der ersten Lebensjahre bedingungslos annehmen und lieben. Fehlt dieses Urvertrauens während der ersten Lebensjahre, habe ich auch als Erwachsener unweigerlich ein dauerhaftes Problem. Das Thema ‚gesundes Selbstvertrauen‘ und die natürliche Sicherheit, sich von seiner Umgebung gewürdigt und angenommen zu fühlen, zieht sich unter Umständen wie ein roter Faden durch das weitere Leben. Dies ist schließlich der Grund, warum Generationen von Psychiatern und Psychologen der Kindheit so viel Bedeutung für das spätere Leben beimessen und sich in manchen Fällen mit wahrer Leidenschaft auf diese Lebensphase ihrer Klienten stürzen. Dabei kann es im Einzelfall tatsächlich von Nutzen sein, einschneidende und traumatisierende Kindheitserlebnisse ‚aufzuarbeiten‘. Die eigentliche Hilfestellung sollte sich jedoch meiner Ansicht nach immer auf die aktuelle Situation - das berühmte ‚Hier und Jetzt‘ - und vor allen Dingen auf die Zukunft des betroffenen Klienten beziehen. Die in der Vergangenheit gemachten Erfahrungen lassen sich eben nicht einfach auslöschen, sie begleiten uns für den Rest unseres Lebens. Es ist vielmehr die Art, wie wir diese Erfahrungen aus heutiger Sicht einordnen und verarbeiten, die uns den Weg in eine unbeschwertere Zukunft ebnet.

Alte Erziehungssprüche wie „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmer mehr“ zeichnen in diesem Zusammenhang ein eher fatalistisches Bild. In manchen Fällen kann man tatsächlich die fatale Wirkung frühkindlich gemachter Erfahrungen nur sehr schwer hinter sich lassen. Trotz dieser sicherlich sehr prägenden Einflüsse der Kindheit und Jugend auf das (Seelen-) Leben des Menschen ist meine feste Überzeugung: Jeder Mensch kann aufgrund seiner ihm ureigenen Freiheit der Wahl zu jedem Zeitpunkt seines Lebens entscheidende Schritte zur Veränderung oder Umkehr, unternehmen. Kein Schicksal ist unausweichlich, kein Schaden, aus dem man nicht irgendeinen Nutzen ziehen kann. Was es dazu braucht, ist eine bewusste Um- bzw. Neuprogrammierung der eingefleischten Denk-, Fühl- und Verhaltensmuster. (Mehr zu diesem Thema im Kapitel 5 „Die 5 Intelligenzen der Seele“). Wenn ich also verhindern möchte, dass ein guter Teil meines Lebens dirigiert wird von mehr oder minder automatisch belaufenden Seelenprogrammen, bin ich dazu genötigt, diese Art der Umprogrammierung täglich neu zu überprüfen und immer wieder korrigierend einzugreifen. Dabei soll nicht der Wert von Lebenserfahrungen an sich in Abrede gestellt werden. Im Gegenteil. Es sind unsere gesammelten Erfahrungen, die uns zu dem machen, was wir sind, auch im positiven Sinne. Nicht umsonst spricht man mit einem gewissen Respekt von der reichhaltigen Lebenserfahrung eines Menschen. Wir - und damit unserer Seele - brauchen unsere Erfahrungen, die positiven wie die weniger positiven, um unsere eigene Identität zu formen. Sie sind die Bausteine, die das Haus unseres Ichs bilden. Der Unterschied liegt auch hier in der Bewusstheit, mit der ich mit diesen Erfahrungen umgehe. Selbst eine unglücklich verlaufende Kindheit führt nicht zwangsläufig zu einem unglücklichen Erwachsenen. Es geht es also nicht so sehr um das Wühlen in einer mehr oder weniger unglücklichen Vergangenheit, als vielmehr um Entscheidungen, welche Art von Erfahrungen ich mir und meiner Seele heute und zukünftig zumuten will.

Entscheidungen

Ein kluger Mensch sagte einmal, dass viele Menschen deshalb Probleme haben, weil sie sich nicht zu gegebener Zeit entscheiden oder entschieden haben. Mit Entscheidung ist dabei die im Wortsinn enthaltene Bedeutung von Ent-Scheidung gemeint. Also: Ich lasse mich nicht mehr hin- und herreißen zwischen verschiedenen Möglichkeiten beziehungsweise Alternativen, sondern lege mich auf eine bestimmte Richtung meines Handelns fest. Es ist wie bei einer Weggabelung, bei der ich mich für eine Richtung entscheiden muss, wenn ich nicht für ewig an derselben Stelle stehen bleiben will. Eine alte Yogi-Weisheit bringt es auf den Punkt: „Wenn sich der Weg vor dir gabelt, schlage ihn ein“.

Dabei sind hier in erster Linie Entscheidungen gemeint, die so genannte Weichenstellungen bewirken können. Also die Art von Entscheidungen, die in bestimmten Lebenssituationen und zu bestimmten Zeitpunkten im Leben den weiteren Fortgang desselben maßgeblich beeinflussen können. Das reicht von der Partnerwahl über die berufliche Ausrichtung bis hin zu Fragen der allgemeinen Lebensführung. Aber selbst im Alltag, wenn wir mit einer nahezu unüberschaubaren Zahl von Wahlmöglichkeiten konfrontiert werden, kann es sich manchmal als gesundheitsfördernd und -erhaltend erweisen, sich einfach nur zu entscheiden und nicht zu lange im Zustand der Unentschlossenheit zu verharren. Zwischen den Stühlen zu sitzen - also sich nicht zu entscheiden - ist wohl eine der unangenehmsten und unbequemsten Formen des Sitzens. Die Ernsthaftigkeit, mit der ich in manchen Lebenslagen eine Entscheidung treffe, bestimmt letztlich ihre Wirkung. Auf dem Niveau der allseits beliebten Neujahrsvorsätze kann ich nur mit einer begrenzten Halbwertszeit rechnen (die meist schon an Heilig-Drei-Könige, also nach einer knappen Woche, endet). Bei wirklich wichtigen Themen wie Partnerschaft, Familie und der allgemeinen Ausrichtung des eigenen Lebens empfiehlt es sich dagegen, nachhaltigere Prozesse der Entscheidungsfindung zu durchlaufen. Die guten Gründe, die für oder gegen bestimmte Entscheidungen sprechen, miteinander zu vergleichen und gegeneinander abzuwägen, dies ist im wahrsten Wortsinne der entscheidende Schritt, um sich mit sich selbst in Einklang zu bringen und im seelischen Gleichgewicht zu halten. Unsere Seele erweist sich dabei als zuverlässig und verhält sich entsprechend unseren Anweisungen. Als Dirigent führt sie das aus vielen Einzelteilen bestehende Orchester durch das Programm, das wir - die Komponisten - ihr vorgegeben haben. Wenn ich mein Leben in erster Linie auf Beruf und Karriere ausrichte, wird sich meine Seele loyal dieser Entscheidung gegenüber verhalten und mich dazu befähigen, die dazu notwendigen Denk- Fühl- und Verhaltensweisen zu produzieren. Entscheide ich mich dagegen für ein Leben, in dem die Familie und die Pflege sozialer Kontakte absoluten Vorrang haben, wird sich die Seele ebenso loyal entsprechend dieser Entscheidung ausrichten.

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